Bundesgerichtshof Urteil, 19. Feb. 2008 - 5 StR 599/07

bei uns veröffentlicht am19.02.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 599/07

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 19. Februar 2008
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
19. Februar 2008, an der teilgenommen haben:
Richterin Dr. Gerhardt
alsVorsitzende,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
alsVerteidigerin,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 25. September 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft, die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt anzuordnen, abgelehnt. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Beschuldigte die ihm in der Antragsschrift zur Last gelegten vier rechtswidrigen Taten begangen hat, die es rechtlich als Bedrohung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung sowie unerlaubtes Führen einer Waffe gewertet hat. Jedenfalls bei den ersten drei Taten sei der Beschuldigte aufgrund einer psychotischen Störung schuldunfähig gewesen, bei der Begehung des Waffendelikts sei die Aufhebung der Schuldfähigkeit aufgrund eines Alkoholentzugsdelirs nicht auszuschließen. Es fehle jedoch an der weiteren Voraussetzung für die Anordnung einer Maßregel nach § 63 oder § 64 StGB, dass nämlich infolge des Krankheitszustands weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und der Beschuldigte deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
3
Zu dem jeweiligen Tatablauf hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
4
In der Nacht zum 5. Juli 2006 bedrohte der Beschuldigte einen Mitbewohner unter Vorhalt eines Messers mit dem Tode und schlug zudem mit dem Messer gegen dessen Gehstock.
5
Als die daraufhin verständigten Polizeibeamten das Zimmer des Beschuldigten betraten, saß er auf seinem Bett, wobei er in der Hand ein Küchenmesser hielt; er war erregt und beschimpfte die Beamten. Das Messer legte er trotz Aufforderung nicht weg. Als die Beamten schließlich Pfefferspray einsetzten , „fuchtelte“ er „mit dem Messer unkontrolliert in die Richtung der Polizeibeamten“.
6
Am Morgen des 15. August 2006 warf der Beschuldigte seine ihm nicht gehörende Zimmereinrichtung aus dem im Erdgeschoss gelegenen Zimmer auf die Straße. Bei Eintreffen der Polizeibeamten hielt er einen Hammer in der Hand, mit dem er zunächst „herumfuchtelte“, ihn dann aber auf Aufforderung beiseite legte. Am Nachmittag des Tages schlug der Beschuldigte den Putz von den Wänden. Dies beendete er kurzfristig, als erneut Polizeibeamte eintrafen. Als diese sich wieder entfernt hatten, riss er das Parkett, die Fensterverschalung , Steckdosen und die Verkabelung heraus.
7
Am 1. September 2006 ging der Beschuldigte abends über das „Alstervergnügen“ auf dem Jungfernstieg. Dabei trug er einen leicht gebogenen Dolch mit einer fast 20 Zentimeter langen Klinge mit sich, der im Hosenbund steckte, aber zur Hälfte sichtbar war. Als er deswegen von Polizeibeamten abgeführt wurde, versuchte er nach Passanten zu treten, was ihm nur einmal in abgemilderter Weise gelang.
8
2. Die Feststellungen zu den vom Beschuldigten begangenen Taten sind rechtsfehlerfrei. Die Ablehnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt hält jedoch rechtlicher Prüfung nicht stand. Denn die äußerst knapp gehaltenen Erwägungen lassen eine Nachprüfung der tatrichterlichen Annahmen zur Schuldunfähigkeit und zur Gefährlichkeit nicht zu.
9
a) Es fehlt bereits an einer nachvollziehbaren und eindeutigen Bewertung des Zustands des Beschuldigten. Dies lässt besorgen, dass die Art der Störung, ihr Schweregrad und damit die Gefährlichkeit des Beschuldigten unzutreffend beurteilt worden sind.
10
Das sachverständig beratene Landgericht führt hierzu – dem Sachverständigen folgend – lediglich aus, dass sich bei dem Angeklagten aufgrund einer Alkoholabhängigkeit eine psychotische Störung mit Verfolgungs- und Beziehungsideen entwickelt habe, die eine krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB darstelle. Diese Störung habe bei den ersten drei Taten bestanden und zur Aufhebung der Einsichtsfähigkeit geführt. Eine Aufhebung der Fähigkeit zur Unrechtseinsicht könne auch für die vierte Tat nicht ausgeschlossen werden, wahrscheinlich habe aber ein Alkoholentzugsdelir vorgelegen. Eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei dieser Tat sei daher nicht auszuschließen.
11
aa) Wenn sich der Tatrichter – wie hier – darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGHSt 34, 29, 31; BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07; BGH NStZ 2003, 307). Hier fehlt es aber an der Darlegung der die gutachterlichen Diagnosen tragenden Befunde. Es wird weder begründet, aufgrund welcher Symptome die Störungsbilder diagnostiziert wurden, noch, wie diese in der konkreten Tatsituation auf den Beschuldigten eingewirkt haben. Insbesondere teilt das Landgericht hierzu nicht mit, welche Anhaltspunkte bei der vierten Tat zur Annahme eines anderen Krankheitsbildes mit abweichenden Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit geführt haben.
12
bb) Für die vierte Tat fehlt es schließlich auch an einer eindeutigen Bewertung , welche der beiden Alternativen des § 20 StGB bei dem Beschuldigten vorgelegen hat. Es darf nicht offen bleiben, ob die psychische Störung die Einsichts - oder die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten vermindert oder aufgehoben hat (BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1 und Gefährlichkeit 5; BGH NStZ-RR 2003, 232; 2004, 38 f.). Nach den Urteilsgründen steht aber nicht fest, ob das Alkoholentzugsdelir dazu geführt hat, dass der Beschuldigte nicht die Fähigkeit besessen hat, das Unerlaubte seines Tuns zu erkennen, oder ob er lediglich außerstande gewesen ist, nach dieser Einsicht zu handeln. Dies kann Auswirkungen auf die Beurteilung der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit haben. Zudem ist ihnen nicht zu entnehmen, dass jedenfalls die Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Tat am 1. September 2006 sicher vorgelegen haben.
13
b) Auch die übrigen Ausführungen des Landgerichts zur fehlenden Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit begegnen durchgreifenden Bedenken, da sie eine ausreichende Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten und seiner Taten vermissen lassen. So ist weder sein bisheriger Lebensweg dargelegt, noch finden sich Ausführungen zu einer eventuellen Vordelinquenz.
14
Das Landgericht ordnet sämtliche Taten in den „Bereich der unteren Kriminalität“ ein, erheblich im Sinne der §§ 63, 64 StGB seien diese nicht, schließlich sei der Beschuldigte niemals „übergriffig“ geworden. Dabei verkennt es, dass es bei der ersten und der vierten Tat zu Übergriffen gekommen ist. So attackierte der Beschuldigte zwar seinen Mitbewohner nicht unmittelbar mit dem Messer, setzte dieses aber gegen dessen Gehstock ein. Für die vierte Tat bleiben die versuchten – in einem Fall vollendeten – Übergriffe auf Passanten unbeachtet. Selbst wenn das Landgericht eine Körperverletzung als Symptomtat nicht feststellen konnte (vgl. zum Erfordernis des Strafantrags BGHSt 31, 132, 134), hätte das gegen die körperliche Integrität Dritter gerichtete Verhalten des Beschuldigten doch in die Gesamtwürdigung betreffend die Gefährlichkeit einbezogen werden müssen. Auch hätte die aus den Taten 1., 2. und 4. ersichtliche Affinität des Beschuldigten zu Messern nicht unberücksichtigt bleiben dürfen.
15
3. Der neue Tatrichter hat die Frage der Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 72, 73; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 9; § 62 Verhältnismäßigkeit 2) umfassend neu zu prüfen. Falls der neue Tatrichter diese bejahen sollte, weist der Senat darauf hin, dass die Notwendigkeit der Unterbringungsanordnung nach § 63 StGB grundsätzlich nicht durch minder einschneidende Maßnahmen – hier die vier Monate vor dem Urteil einsetzende regelmäßige Medikamenteneinnahme – aufgehoben wird, sondern solche täterschonende Mittel Bedeutung nur für die Frage erlangen, ob die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 6, 28 und Beweiswürdigung 1).
Gerhardt Raum Brause Schaal Jäger

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Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 67b Aussetzung zugleich mit der Anordnung


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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 412/07
vom
2. Oktober 2007
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 2. Oktober 2007 gemäß § 349 Abs.
4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 12. Juni 2007 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Hildesheim zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts entwendete der Beschuldigte im März 2005 in einem Supermarkt ein Päckchen Tabak im Wert von 4,15 € und führte dabei ein Klappmesser mit feststellbarer Klinge und ein SchweizerMesser bei sich. Anfang November 2005 hinderte er eine Bekannte daran, seine Wohnung zu verlassen. Außerdem schlug er auf sie ein und verletzte sie erheblich.
3
Die Unterbringungsentscheidung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Anordnung nach § 63 StGB setzt u. a. die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustandes voraus, der zumin- dest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 27; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 63 Rdn. 6). Sie bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Das Landgericht hat weder ausreichend dargelegt, dass der Beschuldigte zu den Tatzeiten schuldunfähig war (nachstehend 1.), noch ausreichend dessen Gefährlichkeit begründet (nachstehend 2.).
4
1. Wenn sich der Tatrichter - wie hier - darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGH NStZ 2003, 307; NStZ-RR 2003, 232 jeweils m. w. N.). Daran fehlt es hier. Zum Beleg dafür, dass der Beschuldigte nicht fähig war, seiner vorhandenen Unrechtseinsicht gemäß zu handeln, hat die Strafkammer lediglich ausgeführt, bei dem Beschuldigten bestehe "neben einer dissozialen Störung und einer Alkohol-, Drogen- und Medikamentenabhängigkeit eine chronifizierte schwere schizophrene Psychose mit ausgeprägten Störungen der Handlungsübersicht, der Kritikfähigkeit, der adäquaten Selbsteinschätzung, des verinnerlichten Wertgefühles und der Impulskontrolle". Es fehlt eine Darlegung, wie dieses Störungsbild auf den Beschuldigten und seine Handlungsmöglichkeiten in den konkreten Tatsituationen eingewirkt hat. Hierauf kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn bei dem Täter eine Schizophrenie diagnostiziert worden ist. Die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich allein genommen nicht zur Feststellung einer - generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden - Schuldunfähigkeit (vgl. Nedopil, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S.151). Dass sich der Beschuldigte bei beiden Taten jeweils in einem akuten Schub der Krankheit befunden hätte (vgl. hierzu BGH, Beschl. vom 16. Mai 2007 - 2 StR 96/07), ist nicht erkennbar. Zu dem Diebstahl mit Waffen sind über die den Tatbestand erfüllende Handlung hinaus weitere Umstände nicht festgestellt. Bei der gefährlichen Körperverletzung nebst Freiheitsberaubung hat der Beschuldigte sich vor und nach der Tat situationsangepasst verhalten.
5
2. Vergleichbar knapp und damit angesichts des erheblichen Eingriffs, der mit der Unterbringung nach § 63 StGB verbunden ist, ebenfalls nicht ausreichend hat das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten begründet. Auch hier ist es dem Sachverständigen gefolgt und hat lediglich ausgeführt, es bestehe "ein erhebliches Risiko der Begehung weiterer ähnlicher Straftaten", es sei "jederzeit mit schwersten Gewalttaten aufgrund der psychotischen Situationsverkennung zu rechnen". Es fehlt eine Auseinandersetzung damit, dass der Beschuldigte nach den getroffenen Feststellungen letztmals Anfang 1998 bestraft worden und auch in den 15 Monaten zwischen der Tat und der vorläufigen Unterbringung nicht wieder auffällig geworden ist.
6
3. Über die Voraussetzungen der Unterbringung des Beschuldigten muss deshalb - sinnvollerweise auch unter Auswertung der Erkenntnisse im Zusammenhang mit dessen mehrfachen Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken - erneut entschieden werden.
7
4. Der neue Tatrichter wird im Hinblick darauf, dass das Opfer (und einzige Beweismittel) bezüglich der gefährlichen Körperverletzung selbst erheblich alkoholisiert war, auch der Darstellung der Beweiswürdigung größere Aufmerksamkeit zu widmen haben.
8
5. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Verfahren an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen.
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.

(2) Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.