Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 167/19
vom
19. Juni 2019
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:190619B5STR167.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Juni 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, analog § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 2018 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.352,16 € als Gesamtschuldner angeordnet wird.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.352,16 € angeordnet. Die auf die Rüge formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat lediglich den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die erhobene Verfahrensrüge ist unbegründet.
3
a) Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4
Der Angeklagte wurde am 5. Juni 2018 als Beschuldigter von der Polizei zur verfahrensgegenständlichen Tat vernommen. Nach Belehrung und Eröffnung des Tatvorwurfs verlangte er, mit seinem Rechtsanwalt reden zu können. Daraufhin wurde die Vernehmung unterbrochen, und einer der Vernehmungsbeamten versuchte vergeblich, den benannten Rechtsanwalt telefonisch zu erreichen. Dem Angeklagten wurde sodann ermöglicht, seinen Vater anzurufen, der den Rechtsanwalt in Kenntnis setzen sollte. Auf die Frage, ob er nun Angaben zur Sache machen wolle, erklärte der Angeklagte, er sage nur, dass er es nicht gewesen sei und nichts davon wisse. Auf weitere Nachfragen und Vorhalt von Ermittlungsergebnissen erfolgte eine ausführliche Vernehmung, in welcher der Angeklagte seine Tatbeteiligung – wie auch in der Hauptverhandlung – weiter bestritt, daneben aber Angaben machte. In der Hauptverhandlung hat die Verteidigung der Verwertung der Angaben der Vernehmungsbeamten widersprochen.
5
b) Die Revision rügt unter anderem den fehlenden Hinweis der Vernehmungsbeamten auf den anwaltlichen Notdienst. Ferner habe nach Unterbrechung der Vernehmung eine weitere Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation erfolgen müssen. Die Rüge hat keinen Erfolg.
6
aa) Ein Verstoß gegen das Gebot, auf den anwaltlichen Notdienst hinzuweisen (§ 163a Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 4 StPO) liegt nicht vor.
7
Der Bundesgerichtshof hat bereits unter Geltung der alten Fassung von § 136 Abs. 1 StPO, in der das Hinweisgebot noch nicht ausdrücklich normiert war, einen Hinweis auf den anwaltlichen Notdienst für entbehrlich gehalten, wenn der Beschuldigte bereits einen bestimmten Rechtsanwalt als Verteidiger benannt hatte (BGH, Beschluss vom 11. August 2005 – 5 StR 200/05, BGHR StPO § 136 Abs. 1 Verteidigerbefragung 8). In diesem Fall beschränke sich für die Ermittlungsbehörden das Gebot, bei der Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger zu helfen, darauf, eine Verbindung zu dem benannten Rechtsanwalt herzustellen, sofern der Beschuldigte nicht zu erkennen gebe, dass er nach dem Scheitern der Kontaktaufnahme einen anderen Rechtsanwalt als Verteidiger wählen wolle.
8
Dies hat sich durch die Einfügung des Hinweisgebots in § 136 Abs. 1 Satz 4 StPO in der Neufassung vom 27. August 2017 (BGBl. I S. 3295) nicht geändert. Der Gesetzesbegründung, die auf frühere Rechtsprechung zur Erforderlichkeit von ernsthaften Bemühungen der vernehmenden Person verweist, den Beschuldigten bei der Kontaktaufnahme zu einem Verteidiger zu unterstützen , ist zu entnehmen, dass die gesetzlichen Ergänzungen in § 136 Abs. 1 StPO lediglich klarstellend erfolgt sind (vgl. BT-Drucks. 18/9534, S. 22 unter Bezugnahme unter anderem auf BGH, Urteil vom 12. Januar 1996 – 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 19). Die Vorschrift des § 136 Abs. 1 Satz 4 StPO schützt danach den Beschuldigten, der zwar einen Verteidiger befragen möchte, aber keinen benennt. So verhält es sich hier aber nicht.
9
bb) Rechtsfehlerhaft war indes, dass die Polizeibeamten die Vernehmung fortgesetzt haben, ohne den Angeklagten erneut über sein Recht auf Zuziehung eines Verteidigers zu belehren. Dies macht seine Angaben unverwertbar.
10
Bringt der Beschuldigte zum Ausdruck, sich mit einem Verteidiger besprechen zu wollen, kann die Vernehmung nach der Rechtsprechung des Bun- desgerichtshofs ohne vorangegangene Konsultation nur fortgesetzt werden, wenn sich der Beschuldigte nach erneutem Hinweis auf sein Recht auf Zuziehung eines Verteidigers mit der Fortsetzung der Vernehmung einverstanden erklärt (BGH, Urteile vom 12. Januar 1996 – 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 19; vom 27. Juni 2013 – 3 StR 435/12, BGHSt 58, 301, 307; Beschluss vom 10. Januar 2013 – 1 StR 560/12, NStZ 2013, 299; darüber hinaus auch ganz hM in der Literatur, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 136 Rn. 10a; KK/Diemer, StPO, 8. Aufl., § 136 Rn. 14; Geppert, Festschrift Otto, 2007, S. 913, 922). Zweck der wiederholten Belehrung ist letztlich, dem Beschuldigten vor Augen zu führen, dass er sein Recht auf Verteidigerkonsultation nicht durch den fehlgeschlagenen Kontaktversuch verwirkt hat; sie trägt dadurch zur Subjektstellung des Beschuldigten bei (Beulke, NStZ 1996, 257, 261). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien zum Zweiten Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts vom 27. August 2017 (BGBl. I S. 3295) ausdrücklich gebilligt (BT-Drucks. 18/9534, S. 22).
11
Aus diesem Rechtsverstoß folgt hier nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch ein Beweisverwertungsverbot (vgl. BGH, Urteile vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 ff.; vom 12. Januar 1996 – 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 21 f.; Beschluss vom 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 219 ff.).
12
cc) Hierauf beruht das Urteil jedoch nicht (vgl. § 337 Abs. 1 StPO).
13
Das Landgericht hat den Tatnachweis nicht auf die Angaben des Angeklagten in der polizeilichen Vernehmung gestützt, mit denen er den Tatvorwurf bestritten hatte. Die Beweiswürdigung stützt sich vielmehr auf eine Gesamtschau der Indizien. Dabei hat das Landgericht insbesondere rechtsfehlerfrei gewürdigt, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung selbst eingeräumt hat, die Tat geplant zu haben und sogar am Tatort erschienen zu sein. Ferner hat es das Tragen der Tatkleidung durch den Angeklagten am Tag nach der Tat und das Auffinden der beiden am Tatort getragenen Jacken beim Angeklagten bzw. dessen damaliger Freundin maßgeblich herangezogen. Soweit das Landgericht an einzelnen Stellen die Angaben des Angeklagten aus der polizeilichen Vernehmung erwähnt (UA S. 7, 8, 9), wurden diese ohnehin durch andere Beweismittel bestätigt. Es handelt sich demgemäß um bloße Ergänzungen, ohne dass die Strafkammer dem wesentlichen Beweiswert beigemessen hätte. Werden Beweismittel nur ergänzend im Urteil erwähnt und sogar ausdrücklich für die Entscheidung als nicht wesentlich beschrieben, ist aber regelmäßig auszuschließen , dass das Tatgericht bei Nichtverwertung des Beweismittels zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 598/96, NJW 1997, 1790, 1792; Beschluss vom 3. Dezember 2003 – 5 StR 307/03, und vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1010).
14
2. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils hat weder im Schuld- noch im Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Da der Angeklagte allerdings die Tat nach den Urteilsfeststellungen mit einem unbekannten Täter begangen hat, war die gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen auszusprechen (vgl. BGH, Urteil von 7. Juni 2018 – 4 StR 63/18, BGHR StGB § 73c Abs. 1 Erlangtes 1; Beschluss vom 8. November 2018 – 1 StR 527/18, NStZ-RR 2019, 176).
15
3. Der nur geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).
Mutzbauer König Berger
Mosbacher Köhler

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

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(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 73c Einziehung des Wertes von Taterträgen


Ist die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes nach § 73 Absatz 3 oder nach § 73b Absatz 3 abgesehen, so ordnet das Gericht

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(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Strafprozeßordnung - StPO | § 136 Vernehmung


(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern

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(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

5 StR 200/05

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 11. August 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. August 2005

beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 8. Dezember 2004 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten verurteilt worden sind.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten F wegen un erlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten und die Angeklagte K als dessen Gehilfin zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Hinsichtlich dreier Fälle hat das Landgericht die Angeklagten ausweislich des verkündeten Urteilstenors und der Urteilsgründe (UA S. 18) freigesprochen. Die Urteilsurkunde enthält diesen Teil des verkündeten Tenors zwar nicht; maßgebend ist aber der aus dem Protokoll ersichtliche verkündete Urteilstenor (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 268 Rdn. 18). Die Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrügen kommt es demnach nicht mehr an.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Festste llungen getroffen : Der Angeklagte F kaufte – in Anwesenheit der Z eugin S – von Februar bis April 2004 in Dresden an fünf verschiedenen Orten je 120 bis 125 g Heroin von einem „M “ für jeweils 3.000 Euro und nach einer Zugfahrt nach Berlin dort – an einem unbekannten Platz – weitere 125 g. Der Angeklagte F und die Zeugin S verpackten nach den ersten drei Ankäufen einen Teil des erworbenen Rauschgifts als Kügelchen zu je 0,2 g in Plastikfolie. Die Reste aus den ersten drei Ankäufen und die übrigen Gesamtmengen verpackte der Angeklagte F mit Unterstützung seiner Lebensgefährtin , der Angeklagten K , in deren Wohnung auf die gleiche Weise. F und andere Personen, darunter auch die Zeugin S , verkauften das Rauschgift mit Gewinn im Stadtgebiet Dresdens.
Das Landgericht stützt seine Beweisführung ganz wesentlich auf die als glaubhaft erachtete Aussage der Zeugin S . Durch diese seien Angaben der Angeklagten K im Ermittlungsverfahren – sie und der Angeklagte F seien nur Verpacker des von S und deren Lebensgefährten A angelieferten und später wieder verkauften Rauschgifts gewesen – widerlegt. Obwohl das Landgericht auf Grund weiterer Zeugenaussagen fehlerfrei davon ausgehen konnte, F sei als „John vom Postplatz“ ein bekannter Drogenkleinverkäufer in Dresden gewesen, reicht dies als Stütze der belastenden Aussagen der Zeugin S für sechs Ankäufe erheblicher Drogenmengen und deren Weiterverkauf in alleiniger Regie des Angeklagten F im Blick auf die Besonderheiten der Beweislage nicht aus.
2. Die beweiswürdigenden Ausführungen des Landgerichts sind zum Teil widersprüchlich. Sie entbehren ferner der Darlegung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussagen der Zeugin S und setzen sich nicht mit einer nahe liegenden Falschbelastungshypothese auseinander. Solches war vorliegend aber geboten, weil widersprüchliche Aussagen von in ein Geflecht illegalen Rauschgifthandels verstrickter Personen zu würdigen waren, deren Motivation möglicherweise auf eigene Vorteile oder auf die Ab- wehr weiterer Beschuldigungen ausgerichtet war (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2004 – 5 StR 267/04; BGH StV 2005, 253, 254; jeweils m.w.N.).

a) Die Feststellungen des Landgerichts (UA S. 6), die Zeugin S sei bei den sechs Ankäufen des F von „M “ anwesend gewesen, wird von der in der Beweiswürdigung wiedergegebenen Aussage dieser Zeugin nicht gedeckt. Danach hatte sie nämlich ausgesagt, sie hätte „M selbst “ nur zwei- bis dreimal gesehen, „ansonsten habe dieser sich nur mit dem Angeklagten F getroffen“ (UA S. 9). Die Zeugin S hatte ferner unmittelbar nach ihrem Aufgriff am 12. Mai 2004 gegenüber Polizeibeamten geäußert, dass „M “ größere Mengen Drogen an F – auch in die Wohnung der Angeklagten K – geliefert hätte (UA S. 13). Die daraufhin erfolgte Durchsuchung brachte aber nur vier Heroinbömbchen zutage.

b) Ebenfalls am 12. Mai 2004 hatte der Zeuge T bei einer Polizeikontrolle angegeben, er hätte Heroin bei der Zeugin S und deren Freund A gekauft (UA S. 12). Diese Aussage hätte aber im Blick auf den zeitlichen Zusammenhang die Erörterung der Frage nahe gelegt, ob die Zeugin S nicht in Kenntnis des gegen sie und ihren Lebensgefährten gerichteten Tatverdachts – zudem in einer Situation möglicher Aufklärungshilfe –, um ihren Freund zu schonen, den ihr als Drogenhändler bekannten Angeklagten F als den Lieferanten einer größeren Menge Heroin zu Unrecht benannt haben könnte. Eine solche Falschbelastungshypothese hätte möglicherweise zwar widerlegt werden können, weil die Zeugin S in einer späteren Aussage, deren Zeitpunkt und nähere Umstände das Landgericht aber nicht mitteilt, auch A belastet hatte, der ab Ende Mai bis zu seinem Verschwinden Mitte August 2004 ebenfalls von „M “ alle zwei Wochen Heroin gekauft hätte (UA S. 9). Dieser Zusammenhang wird freilich vom Landgericht nicht beweiswürdigend erwogen. Offen bleibt daneben auch der Widerspruch zwischen der Aussage des Zeugen T , A sei schon am 12. Mai 2004, vor der Verhaftung des F , als Rauschgifthändler aufgetre- ten, und der Aussage der Zeugin S , die bekundet hatte, erst Ende Mai habe sie mit A zusammen den Rauschgifthandel aufgenommen.
Bedenken begegnet es auch, soweit das Landgericht zur Stützung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin S darauf abgestellt hat, dass sie bei ihrer polizeilichen Vernehmung den Eindruck vermittelt habe, sie hätte „aussteigen“ wollen. Nach den weiteren Feststellungen war sie nämlich bis zu ihrer Entgiftung im August 2004 drogenabhängig und als Drogenhändlerin tätig.
3. Somit kann der Schuldspruch zum Nachteil des Angeklag ten F nicht bestehen bleiben. Die Sache bedarf neuer tatrichterlicher Aufklärung und Bewertung. Dies gilt auch, soweit die Angeklagte K verurteilt worden ist. Der Senat hat zwar erwogen, ob die auf UA S. 7 wiedergegebene Beschuldigtenaussage dieser Angeklagten als Grundlage des Schuldspruchs ausreicht. Dies kann aber nicht angenommen werden, weil das Landgericht die Verurteilung der Angeklagten K nicht allein auf ihr – auch nur als wenig substantiiert mitgeteiltes – polizeiliches Geständnis gestützt hat, sondern auch Aussagen der Zeugin S ohne weitere Würdigung zur Überzeugungsbildung mit herangezogen hat (UA S. 9). Demnach ist nicht auszuschließen , dass auch die Verurteilung der Angeklagten K auf der unzureichenden Beweiswürdigung der Aussage der Zeugin S beruht.
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat dar auf hin, dass die mit den Verfahrensrügen geltend gemachten Umstände eine rechtswidrige Erlangung von Beweismitteln nicht begründen. Beweisverwertungsverbote scheiden damit von vornherein aus (vgl. dazu BVerfG NJW 2005, 1917, 1923; BGH NJW 2005, 1060; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4).

a) Die ermittelnde Staatsanwältin wurde am Tag der vorläufigen Festnahme der Zeugin S gegen 16.15 Uhr von deren polizeilicher Aussage unterrichtet, dass sich ca. 50 g Heroin des „J “ in der Wohnung der Angeklagten K befinden müssten, da diese Menge gegen 19.00 Uhr von einem „Jo “ abgeholt werden sollte. „Bei sofortiger Rücksprache mit der Ermittlungsrichterin erklärte diese, dass sie ohne Akte keinen Durchsuchungsbeschluss erlassen kann. Vor dem Hintergrund, dass der Zugriff in Kürze erfolgen musste, wurde Durchsuchung wegen Gefahr in Verzug angeordnet.“ Davon ausgehend war die Anordnung gemäß § 105 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 StPO rechtmäßig. Die rechtmäßige Inanspruchnahme der Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft setzt voraus, dass die richterliche Anordnung nicht eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird (vgl. BGH JZ 1962, 609, 610; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 98 Rdn. 6). Solches liegt auch vor, wenn – wie hier – die Ermittlungsrichterin meint, ohne Aktenkenntnis nicht, auch nicht mündlich (vgl. BGH NJW 2005, 1060) entscheiden zu können, und der Verlust der Betäubungsmittel als Beweismittel zeitnah droht (vgl. Hofmann NStZ 2003, 230, 232; Schulz NStZ 2003, 635, 636; Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 105 Rdn. 24; Meyer-Goßner aaO § 105 Rdn. 2). Bei dieser Sachlage fehlt es an einer eigenverantwortlichen Prüfung und Entscheidung durch die Ermittlungsrichterin , was es der Staatsanwaltschaft verwehren würde, anstelle des Gerichts die Durchsuchung anzuordnen (vgl. BGH NStZ 2001, 604, 606). Einer Verhinderung von Beweismittelverlusten durch Wahrnehmung der Eilkompetenz stehen verfassungsrechtliche Einwände nicht entgegen. Ein solches Vorgehen entspricht der verfassungsrechtlichen Gewährleistung einer rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege, die sich, bei nachhaltiger Sicherung der Rechte des Beschuldigten, auch auf eine wirksame Strafverfolgung erstreckt. Daher müssen die Strafverfolgungsbehörden die Entscheidung, ob auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls von der Gefahr eines Beweismittelverlusts auszugehen ist, so rechtzeitig treffen können, dass dieser Gefahr wirksam begegnet werden kann (BVerfGE 103, 142, 154 f.). Der Senat entnimmt dem Ergebnis dieser Abwägung die Zulässigkeit der Inan- spruchnahme der Eilkompetenz auch in dem Fall einer unzutreffenden richterlichen Kompetenzausübung.
Etwas anderes könnte sich allerdings dann ergeben, falls die Ermittlungsrichterin , was die Revisionen behaupten, von der Staatsanwältin unvollständig unterrichtet worden ist, um eine Ablehnung eines richterlichen Beschlusses zu provozieren und dadurch für sich die Eilkompetenz zu begründen. Dafür bestehen aber keine Anhaltspunkte.

b) Die – keine Drogen konsumierende – Angeklagte K hat als Beschuldigte nach Eröffnung des Tatvorwurfes bekundet, sie werde einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragen. Sie war nach weiterer Belehrung über die Voraussetzungen des § 31 BtMG am Abend des 12. Mai 2004 zu Äußerungen über den Tatvorwu rf bereit. Sie wünschte aber zunächst eine Besprechung mit Rechtsanwalt V aus Berlin. Die zu diesem Zweck über den deutschen Rechtsanwaltzentralruf sodann ermittelte Mobiltelefonnummer dieses Rechtsanwalts erwies sich aber als „nicht vergeben“. Die Beschuldigte erklärte daraufhin, sie verzichte auf einen Anwalt und möchte trotzdem zum Sachverhalt aussagen.
Die danach erfolgte Beschuldigtenvernehmung ist verwert bar. Der vernehmende Polizeibeamte war nicht verpflichtet, die Beschuldigte nach Scheitern der Kontaktaufnahme mit Rechtsanwalt V in Erfüllung der Pflicht zur Belehrung über das Recht der Verteidigerkonsultation nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO – wie die Revisionen meinen – auf den Dresdner Anwaltsnotdienst hinzuweisen (vgl. BGHSt 47, 233, 234 f.).
Indes hat der Senat eine derartige Hilfestellung für den Fall erwogen, dass ein Beschuldigter zunächst nach einem Verteidiger verlangt hatte und die Vernehmung ohne vorangegangene Konsultation eines Verteidigers fortgesetzt wurde (vgl. BGHSt 42, 15, 19 f.; anders BGHSt 42, 170, 173). Vorliegend hat die Beschuldigte zunächst auch allgemein ihre Absicht bekundet, einen Rechtsanwalt beauftragen zu wollen, was nach der Entscheidung des Senats eine Pflicht zur Hilfestellung hätte auslösen können.
Indes war die gebotene Hilfe nach Benennung eines bestimmten Rechtsanwalts auf eine Ermöglichung der Kontaktaufnahme mit diesem beschränkt. Die dafür erforderliche Hilfe hat der vernehmende Polizeibeamte geleistet. Nach Scheitern der Verbindung mit Rechtsanwalt V hat die Beschuldigte nicht etwa zu erkennen gegeben, sie wolle einen anderen Rechtsanwalt wählen. Sie hat damit ihr Recht auf Verteidigerkonsultation letztlich nicht anders ausgeübt, als wenn sie von vornherein zu erkennen gegeben hätte, dass sie keinen Verteidiger konsultieren wolle (vgl. BGHSt 47, 233, 234).
5. Für die neue Beweiswürdigung weist der Senat fern er darauf hin, dass erneut festzustellende Qualitätsmängel der Aussage der Belastungszeugin S einer genaueren Darstellung und Bewertung der die Mängel begründeten Umstände und einer Betrachtung der Entwicklung der verschiedenen Aussagen in einer Gesamtwürdigung bedürfen (vgl. BGH NJW 2003, 2250 m.w.N.).
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 435/12
vom
27. Juni 2013
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es, dass auch Spontanäußerungen
- zumal zum Randgeschehen - nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen
genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte
nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO die Konsultation durch einen benannten Verteidiger
begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.
BGH, Urteil vom 27. Juni 2013 - 3 StR 435/12 - LG Lüneburg
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
28. Mai 2013 in der Sitzung am 27. Juni 2013, an denen teilgenommen haben:
Präsident des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Tolksdorf
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - ,
Bundesanwalt - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 26. April 2012, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung zweier vorangegangener Urteile zur Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich die Revision des Beschwerdeführers, mit der er eine Verfahrensbeanstandung erhebt und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
2
Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensbeanstandung Erfolg.

I.


3
Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
4
Der Angeklagte wurde etwa drei Wochen nach der verfahrensgegenständlichen Tat wegen des dringenden Verdachts des versuchten Totschlags vorläufig festgenommen. Am nächsten Tag wurde er um ca. 13.30 Uhr der Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Uelzen vorgeführt, die ihm den Haftbefehl eröffnete und ihn ordnungsgemäß, unter anderem nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO, belehrte. Der Angeklagte erklärte, dass er seinen Verteidiger Rechtsanwalt K. beigeordnet bekommen wolle. Die Ermittlungsrichterin unterbrach daraufhin die Vernehmung und versuchte um 13.35 Uhr, den Verteidiger telefonisch zu erreichen. Dort meldete sich ein Anrufbeantworter mit der Ansage, dass das Büro während der Mittagspause von 13.00 bis 15.00 Uhr nicht besetzt sei. Sie kehrte in das Vernehmungszimmer zurück und teilte dem Angeklagten mit, dass sie seinen Verteidiger nicht habe erreichen können. Der Angeklagte erklärte nunmehr, er wolle sich zur Sache nicht äußern, und fügte spontan hinzu , er kenne - den im Haftbefehl genannten, ausschließlich in das Tatvorgeschehen verwickelten - S. , habe mit diesem aber nichts zu tun. Die Ermittlungsrichterin fragte daraufhin, ob er gesehen habe, wie S. auf den Fußweg uriniert habe, was zu einer der Tat vorgelagerten Auseinandersetzung zwischen S. und dem Tatopfer geführt hatte, aus der heraus sich im weiteren das eigentliche Tatgeschehen entwickelte. Der Angeklagte verneinte. Sodann fragte die Ermittlungsrichterin weiter, wie das Tatopfer verletzt worden sei. Der Angeklagte ließ sich im Folgenden umfassend zur Sache ein und räumte auf weitere Nachfragen ein, das Opfer zwei Mal gegen den Kopf getreten zu haben. Im Haftprüfungstermin vom 18. August 2011 revidierte der Angeklagte - nunmehr anwaltlich beraten - sein Geständnis und gab an, er könne sich nicht erinnern, ob er das Opfer getreten habe.
5
In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Zum Inhalt seiner Angaben im Ermittlungsverfahren hat das Landgericht die Ermittlungsrichterin und den Protokollführer vernommen; der Verteidiger hat unter Hinweis darauf, dass die Angaben des Angeklagten im Termin zur Haftbefehlsverkündung wegen Belehrungsmängeln unverwertbar seien, sowohl der Vernehmung der Ermittlungsrichterin als auch der Verwertung ihrer Aussage widersprochen. Die Strafkammer hat den Verwertungswiderspruch zurückgewiesen und die Einlassung des Angeklagten anlässlich der Haftbefehlsverkündung im Urteil gegen ihn verwertet.

II.


6
1. Die von der Revision zulässig erhobene Verfahrensrüge zeigt auf, dass bei der Vernehmung des Angeklagten durch die Ermittlungsrichterin in unzulässiger Weise in dessen Rechte, sich nicht zur Sache äußern zu müssen und vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO), eingegriffen worden ist. Im Einzelnen:
7
a) Nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO ist der Beschuldigte zu Beginn seiner Vernehmung über sein Schweigerecht zu belehren und darauf hinzuweisen, dass er jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen kann. Beide Rechte des Beschuldigten hängen eng zusammen und sichern seine verfahrensmäßige Stellung - als Beteiligter und nicht als Objekt des Verfahrens - in ihren Grundlagen. Die Verteidigerkon- sultation hat dabei insbesondere auch den Zweck, dass sich der Beschuldigte beraten lassen kann, ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch machen will oder nicht (BGH, Urteile vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 und vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).
8
Die Belehrungspflichten des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO schützen mithin die Selbstbelastungsfreiheit, die im Strafverfahren von überragender Bedeutung ist: Der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare), zählt zu den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Er ist verfassungsrechtlich abgesichert durch die gemäß Art. 1, 2 Abs. 1 GG garantierten Grundrechte auf Achtung der Menschenwürde sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1981 - 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37, 43 ff.) und gehört zum Kernbereich des von Art. 6 MRK garantierten Rechts auf ein faires Strafverfahren (EGMR, Urteil vom 5. November 2002 - 48539/99 - Fall Allan v. Großbritannien , StV 2003, 257, 259; BGH, Beschluss vom 31. März 2011 - 3 StR 400/10, NStZ 2011, 596, 597). Aus diesem Grund wiegt ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht schwer (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 221; Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).
9
b) Einen Verfahrensverstoß stellt es aber auch dar, wenn der Beschuldigte vor seiner ersten Vernehmung zwar nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt worden ist, ihm die Rechte, die Gegenstand der Belehrung sind, aber verwehrt werden: Entscheidet sich der Beschuldigte, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen, ist dies von den Ermittlungsbehörden grundsätzlich zu respektieren (BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 StR 104/07, BGHSt 52, 11, 19); stetige Nachfragen ohne zureichenden Grund können das Schweigerecht ent- werten (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1009).
10
Gleiches gilt, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger zu konsultieren wünscht (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372). Insoweit ist anerkannt, dass die Vernehmung sogleich zu unterbrechen ist, um eine Kontaktaufnahme zu einem Verteidiger zu ermöglichen (BGH, Urteile vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 und vom 12. Januar 1996 - 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 18 f.; Geppert in Festschrift Otto, 2007, S. 913, 917 mwN; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 136 Rn. 10 mwN); der Beschuldigte darf nicht bedrängt werden, weitere Angaben zu machen (BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2003 - 1 StR 380/03, NStZ 2004, 450, 451 und vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1009 f.).
11
c) Allerdings kann die Vernehmung auch ohne vorherige Konsultation fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte dem in freier Entscheidung zustimmt (BGH, Urteil vom 21. Mai 1996 - 1 StR 154/96, BGHSt 42, 170; LR/Gleß, StPO, 26. Aufl., § 136 Rn. 101; Geppert, aaO, S. 918), wobei eine solche Zustimmung auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden kann (vgl. Klein, Inhalt und Reichweite der Belehrungsvorschrift des § 136 StPO, 2005, S. 145 f.; LR/Gleß aaO; aA BGH, Urteil vom 12. Januar 1996 - 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15). Dieses kann grundsätzlich etwa darin zu sehen sein, dass sich der Beschuldigte von sich aus spontan zur Sache äußert, obwohl eine Verteidigerkonsultation noch nicht möglich war.
12
Bei der Prüfung, ob in Spontanäußerungen des Beschuldigten zugleich die eigenverantwortliche und von einem freien Willensentschluss getragene Zustimmung zu einer solchen Fortsetzung der Vernehmung zu sehen ist, muss aber der enge Zusammenhang zwischen dem Schweigerecht und dem Recht auf Verteidigerkonsultation in den Blick genommen werden. Dient die Ermöglichung der Beratung durch einen Verteidiger gerade dazu, eine sachgerechte Entscheidung des Beschuldigten über den Umgang mit seinem Schweigerecht zu ermöglichen, sind an das Vorliegen einer - noch dazu konkludent erklärten - Zustimmung zur Fortsetzung der Vernehmung hohe Anforderungen zu stellen. Insoweit ist die bloße Entgegennahme spontaner Äußerungen regelmäßig unbedenklich ; diese und die spätere Verwertung solcher Angaben sind auch bei einem nicht über seine Rechte belehrten Beschuldigten zulässig, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO - und damit letztlich die dadurch geschützten Beschuldigtenrechte - gezielt umgangen werden sollten, um den Betroffenen zu einer Selbstbelastung zu verleiten (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 170/09, NJW 2009, 3589 mwN). Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es indes , dass auch Spontanäußerungen - zumal zum Randgeschehen - nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO die Konsultation durch einen benannten Verteidiger begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.
13
d) Nach diesen Maßgaben erweist sich das Vorgehen der Ermittlungsrichterin als verfahrensfehlerhaft.
14
aa) Zwar unterbrach sie zunächst prozessordnungsgemäß die Vernehmung , um den vom Angeklagten gewünschten Verteidiger zu erreichen und so eine Konsultation durch diesen zu ermöglichen. Angesichts des kurzen Zeitraums , in dem der Verteidiger wegen der Mittagspause seiner Kanzlei unerreichbar war, bestand indes auch unter Berücksichtigung eines Interesses der Ermittlungsbehörden, möglichst frühzeitig Angaben des Beschuldigten zu erhal- ten (vgl. dazu Geppert, aaO, S. 914) - dem hier angesichts der etwa drei Wochen zurückliegenden Tat und des Umstandes, dass bereits ein Haftbefehl ergangen war, allerdings ohnehin keine hohe Bedeutung zukommt - kein nachvollziehbarer Grund, mit der Vernehmung nicht bis nach der Mittagspause zuzuwarten. Es waren in der Zwischenzeit auch weder weitere Erkenntnisse erlangt worden noch war eine neue prozessuale Situation eingetreten, aufgrund derer zu erwarten gewesen wäre, dass sich die Auffassung des Beschuldigten geändert haben könnte (vgl. zu diesen Kriterien bei der Fortsetzung der Vernehmung eines Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1009). Es hätte damit bereits jetzt Veranlassung bestanden, die unterbrochene Vernehmung nicht fortzusetzen.
15
Die Fortführung der Vernehmung ohne vorherige Verteidigerkonsultation war auch nicht deshalb zulässig, weil der Angeklagte dem zugestimmt hätte: Eine ausdrückliche Zustimmung hat er nicht erteilt. Von einer konkludent erklärten kann hier ebenfalls nicht ausgegangen werden, weil er sich nach der Mitteilung über die Versuche, den gewählten Verteidiger zu erreichen, ausdrücklich auf sein Schweigerecht berufen hat. In diesem Moment hätte die Ermittlungsrichterin die Vernehmung nicht fortsetzen dürfen.
16
bb) Dem steht nicht entgegen, dass der Angeklagte im Anschluss an seine Erklärung, er wolle nichts zur Sache sagen, spontan erklärte, er kenne S. , habe mit ihm aber nichts zu tun.
17
Diese Äußerung betraf lediglich seine Beziehung zu einer am Vorgeschehen der Tat beteiligten Person; er machte keine Angaben zu deren Verhalten und keine zum eigentlichen Tatgeschehen. Die zu seiner Überführung verwertete Einlassung gab er erst ab, nachdem die Ermittlungsrichterin ihm - von seiner Äußerung ausgehend - gezielte Nachfragen zum Verhalten von S. und zum Tatgeschehen gestellt hatte. Damit ging die Ermittlungsrichterin über die bloße Entgegennahme seiner Äußerung hinaus; dies stellt nach den dargelegten Maßstäben einen unzulässigen Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten dar.
18
Seine Äußerung kann hier auch nicht dahin verstanden werden, dass er in freier Entscheidung seinen unmittelbar zuvor zum Ausdruck gebrachten Entschluss , sich nicht zur Sache einzulassen, revidiert hätte. Seine Angaben waren inhaltlich vom Tatvorwurf so weit entfernt, dass ihnen nicht die konkludente Erklärung entnommen werden konnte, er wolle entgegen seiner zuvor ausdrücklich geäußerten Absicht doch umfassend aussagen.
19
Jedenfalls hätte es der Ermittlungsrichterin in dieser Situation - wollte sie nicht den Eindruck erwecken, die Berufung des Angeklagten auf sein Schweigerecht zu übergehen - aufgrund ihrer verfahrensrechtlichen Fürsorgepflicht oblegen, durch ausdrückliche Befragung zu klären, ob der Angeklagte nunmehr gleichwohl bereit war, Angaben zur Sache zu machen, gegebenenfalls auch ohne vorherige Verteidigerkonsultation (Geppert, aaO, S. 922). Auch dies ist nicht geschehen.
20
2. Der aufgezeigte Verstoß bei der Vernehmung des Angeklagten führt zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich seiner Angaben anlässlich der Haftbefehlsverkündung.
21
Zwar zieht nach ständiger Rechtsprechung nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne Weiteres auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu ent- scheiden. Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 117/12, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Ein Verwertungsverbot liegt jedoch stets dann nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 219 ff.; Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 f.).
22
So verhält es sich hier. Die von § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geschützten Beschuldigtenrechte gehören - wie dargelegt - zu den wichtigsten verfahrensrechtlichen Prinzipien. Durch sie wird sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte auf dessen Gang und Ergebnis Einfluss nehmen kann (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374). Der Beschuldigte ist bei seiner ersten Vernehmung in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt, sich unbedacht selbst zu belasten. In dieser Situation ist er oft unvorbereitet, ohne Ratgeber und auch sonst von der vertrauten Umgebung abgeschnitten. Nicht selten ist er durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder verängstigt. Seine ersten Angaben entfalten zudem - wie nicht zuletzt der vorliegende Fall zeigt - selbst bei einer späteren Änderung des Aussageverhaltens eine faktische Wirkung, die für den weiteren Verlauf des Verfahrens von erheblicher Bedeutung ist (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 221 f.). Diese zum Schweigerecht des Beschuldigten entwickelten Grundsätze gelten für die Belehrung über das Vertei- digerkonsultationsrecht entsprechend (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).
23
Der Annahme eines nach diesen Maßstäben gegebenen Beweisverwertungsverbotes steht nicht entgegen, dass der Angeklagte aufgrund der eingangs der Vernehmung ordnungsgemäß erteilten Belehrung zunächst Kenntnis sowohl von seinem Schweige- als auch von seinem Verteidigerkonsultationsrecht erlangt hatte (vgl. dazu BGH, aaO und BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2003 - 1 StR 380/03, NStZ 2004, 450, 451). Grundsätzlich mag der Beschuldigte , der in Kenntnis seiner Rechte gleichwohl Angaben zu Sache macht, weniger schutzbedürftig sein. Der aufgezeigte enge Zusammenhang zwischen dem Verteidigerkonsultations- und dem Schweigerecht erfordert hier jedoch die Annahme eines hohen Schutzniveaus: Der Angeklagte hatte mit seinem Wunsch nach Verteidigerkonsultation zum Ausdruck gebracht, dass er der Beratung bedurfte. Als diese nicht möglich war, verweigerte er Angaben zur Sache , was zum Abbruch der Vernehmung hätte führen müssen.
24
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen und dem Revisionsvorbringen zum Gang der Vernehmung ist zudem nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte im Zeitpunkt seiner ihn belastenden Einlassung dieser Belehrung noch bewusst war, etwa weil er differenziert damit umgegangen wäre. Vielmehr befand er sich im Unklaren darüber, ob und gegebenenfalls wann sein Verteidiger erreichbar sein würde, und konnte er die wiederholten Nachfragen der Ermittlungsrichterin dahingehend verstehen, dass seinem geäußerten Wunsch, sich jedenfalls nicht ohne vorherige Befragung seines Verteidigers zur Sache einzulassen, nicht entsprochen werden würde. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn der Angeklagte erneut über seine Rechte belehrt wor- den wäre (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 StR 560/12, NStZ 2013, 299, 300). Das ist indes nicht geschehen.
25
Schließlich sprechen auch die Schwere des Tatvorwurfs und der Grundsatz , dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, nicht gegen die Annahme eines Beweisverwertungsverbots; insoweit ist in die Abwägung auch einzustellen, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden muss (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 220 mwN).
26
3. Das Urteil beruht auf der Verwertung der Angaben des Angeklagten aus seiner Vernehmung anlässlich der Haftbefehlsverkündung. Ausweislich der Urteilsgründe hat keiner der Zeugen bekundet, dass der Angeklagte auf das Opfer eingetreten habe; die Strafkammer hat sich diese Überzeugung vielmehr aufgrund der Verwertung seiner Einlassung im Ermittlungsverfahren gebildet.
27
Der Verteidiger musste in der Hauptverhandlung nicht auch der Vernehmung des Protokollführers und der Verwertung von dessen Aussage widersprechen. Der erhobene Verwertungswiderspruch bezüglich der Aussage der Ermittlungsrichterin bezog sich nach seiner Begründung eindeutig auf das Beweisthema - Angaben des Angeklagten in seiner Beschuldigtenvernehmung -, so dass für die Verfahrensbeteiligten ungeachtet des protokolliertenWortlauts des Widerspruchs kein Zweifel bestehen konnte, dass auch der Verwertung etwaiger Angaben des später vernommenen Protokollführers zu diesem Beweisthema widersprochen werden sollte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2003 - 5 StR 307/03, BGHR StPO § 136 Abs. 1 Verteidigerbefragung

7).


Tolksdorf Hubert Schäfer Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 560/12
vom
10. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2013 beschlossen
:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Tübingen vom 17. April 2012 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und
die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die Rüge eines Verstoßes gegen ein Beweisverwertungsverbot für die
Angaben eines als Zeugen vernommenen Polizeibeamten bleibt erfolglos.
Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Nach ihrer
Festnahme am Morgen war die Angeklagte durch einen Polizeibeamten gemäß
§ 163a Abs. 4, § 136 Abs. 1 StPO belehrt worden und hatte darum gebeten, mit
einer von ihr namentlich genannten Verteidigerin sprechen zu können; dieselbe
Verteidigerin benannte nach Belehrung auch der mitbeschuldigte Ehemann der
Angeklagten. Nachdem vergeblich versucht worden war, die Verteidigerin telefonisch
zu erreichen, hatten die Angeklagte und ihr Ehemann unabhängig voneinander
von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Nachdem die Verteidigerin
sich auch bis zum Mittag desselben Tages nicht zurückgemeldet hatte,
unternahm der Polizeibeamte J. einen weiteren Vernehmungsversuch, bei
dem er die Angeklagte erneut gemäß § 163a StPO belehrte. Die Angeklagte
ließ sich nunmehr zur Sache ein. In der Hauptverhandlung sagte der Zeuge
J. zum Inhalt der Einlassung aus.
Insoweit reklamiert die Revision ein Verwertungsverbot, weil der Zeuge
die Angeklagte in der (zweiten) Belehrung weder ausdrücklich darauf hingewiesen
habe, dass die Verteidigerin noch nicht erreicht worden sei, noch dass sie
nicht dieselbe Verteidigerin wie ihr Ehemann wählen könne; der Zeuge habe es
deshalb versäumt, der Angeklagten die Gelegenheit zur Wahl eines anderen
Verteidigers zu geben.
Die Rüge ist unbegründet. Ein Verwertungsverbot besteht nicht.
Das Vorbringen lässt nicht erkennen, dass die Angeklagte durch den unterbliebenen
Hinweis auf den bis dahin fehlgeschlagenen Kontaktversuch zu
der Verteidigerin in ihrem Recht auf Verteidigerkonsultation beeinträchtigt worden
ist. Die Angeklagte war über dieses Recht am Beginn beider Vernehmungen
belehrt worden; ihren zunächst geäußerten Wunsch auf Verteidigerkonsultation
vor der Vernehmung hatten die Beamten respektiert (vgl. demgegenüber
BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374). Anhaltspunkte
dafür, dass die Angeklagte nach der zu Beginn der zweiten Vernehmung
erfolgten erneuten Belehrung keine frei verantwortliche Entscheidung
über die Ausübung ihres Schweigerechts hätte treffen können (vgl. dazu BGH,
Urteil vom 21. Mai 1996 - 1 StR 154/96, BGHSt 42, 170), sind nicht ersichtlich.
Unbeschadet der Frage, ob nach den Umständen des Einzelfalls eine darüber
hinausgehende Hilfestellung bei der Verteidigersuche überhaupt noch erforderlich
gewesen wäre (zu einem solchen Fall vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1996
- 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 19; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Februar
2002 - 5 StR 588/01, BGHSt 47, 233, 234), hatten sich die Beamten jedenfalls
aktiv und ernstlich um die Kontaktaufnahme zu der von der Angeklagten gewählten
Verteidigerin bemüht.
Auch ein besonderer Hinweis an die Angeklagte, dass sie und ihr Ehemann
um Kontaktaufnahme mit derselben Verteidigerin gebeten hatten, war
nicht erforderlich. Eine Mehrfachverteidigung lag bereits objektiv nicht vor, weil
die Verteidigerin im Zeitpunkt der zweiten polizeilichen Vernehmung der Angeklagten
noch kein konkurrierendes Mandat übernommen hatte. Das Verbot ist
zudem - worauf bereits der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend
hingewiesen hat - an ein förmliches gerichtliches Zurückweisungsverfahren
(§ 146a Abs. 1 StPO) geknüpft. Die Annahme eines Verwertungsverbotes
lag dabei schon wegen der weiteren Wirksamkeit der bis zur Zurückweisung
vorgenommenen Handlungen des Verteidigers (§ 146a Abs. 2 StPO) fern.
2. Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge, ein Antrag
auf (erneute) Vernehmung des Zeugen J. sei unter Verstoß gegen § 244
Abs. 3 StPO abgelehnt worden, ist jedenfalls unbegründet. Das Vorbringen
versagt schon deshalb, weil der Nachweis der behaupteten Tatsachen - die
nicht den Schuld- und Strafausspruch, sondern Verfahrensabläufe betrafen - im
Freibeweisverfahren hätte geführt werden können. Die dortige Beweiserhebung
unterliegt nicht den Anforderungen des § 244 Abs. 3 StPO; ob das Gericht entsprechenden
Anträgen nachkommen muss, beurteilt sich allein nach Maßgabe
der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO, vgl. Bachler in Graf (Hrsg.), StPOOK
, § 244 Rn. 8). Was das Landgericht zu weiteren Beweiserhebungen hätte
drängen sollen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
3. Die Grausamkeit der (versuchten) Tötung steht, jedenfalls in Fällen
der vorliegenden Art, außer Frage und bedarf keiner näheren Erörterung.
Nack Wahl Rothfuß
Sander Radtke

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

5 StR 307/03

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 3. Dezember 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Dezember 2003

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20. Januar 2003 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer Kosten des Revisionsverfahrens aufzuerlegen, er trägt indes die durch seine Revision den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen.

G r ü n d e Die Revision des Angeklagten gegen seine Verurteilung zu zehn Jahren Jugendstrafe wegen Totschlags in zwei Fällen ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Zu den Verfahrensrügen ergänzt der Senat die Ausführungen des Generalbundesanwalts wie folgt: 1. Die Rüge der Verletzung des Verteidigerkonsultationsrechts nach § 137 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO bleibt erfolglos. Die Revision beanstandet die Verwertung von Angaben des Angeklagten im Rahmen einer Beschuldigtenbefragung gegenüber dem Kriminalbeamten B am 2. Mai 2001.

a) An diesem Tag war der Angeklagte nach einer (bedenklicherweise , indes unbeanstandet) noch zeugenschaftlich geführten Vernehmung gegen 14.30 Uhr festgenommen worden. Er wurde über seine Beschuldigten- rechte belehrt, machte – abgesehen von einem pauschalen Bestreiten der Tat – keine weiteren Angaben und begehrte, „seine Familie und seinen Anwalt anrufen zu dürfen“. Wegen einer als vordringlich erachteten Durchsuchung wurde ihm dies zunächst verwehrt. Gegen 19.00 Uhr wurde er erneut vorgeführt, über den gegen ihn bestehenden Tatverdacht unterrichtet, nochmals über sein Schweigerecht und sein Verteidigerkonsultationsrecht belehrt und anschließend befragt. Die Verwertung dieser Befragung ist Gegenstand der verfahrensrechtlichen Beanstandung. Als die Angaben des Angeklagten protokolliert werden sollten, lehnte dieser das ab. Er teilte nunmehr erneut mit, er wolle einen Rechtsanwalt sprechen. Auf die Frage, ob er einen bestimmten Rechtsanwalt oder eine Vermittlung über den anwaltlichen Notdienst wünsche, benannte er Rechtsanwalt A , der gegen 21.30 Uhr nicht mehr erreichbar war. Der Angeklagte wurde daraufhin in die Verwahrzelle zurückgeführt.

b) Zutreffend nimmt der Generalbundesanwalt an, daß die Rüge nicht zulässig ist, weil ein Widerspruch gegen die Zeugenvernehmung des Kriminalbeamten B fehlt (BGHSt 42, 15, 22 ff. m.w.N.). Der Widerspruch , den der Verteidiger in der Hauptverhandlung an einem vorangegangenen Sitzungstag gegen die an jenem Tag durchgeführte Zeugenvernehmung des weiteren Vernehmungsbeamten O zum Inhalt derselben polizeilichen Vernehmung des Angeklagten erhoben hatte, erfaßte jene Beweiserhebung nicht. Grundsätzlich ist jede Zeugenvernehmung eines Vernehmungsbeamten bezüglich ihrer Verwertbarkeit für sich zu betrachten (vgl. BGHSt 39, 349, 352). Aus diesem Grundsatz ist nicht etwa nur abzuleiten, daß der Verteidiger sich den spätestens zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt zu erhebenden Widerspruch nicht bis zum Abschluß des letzten zu einer Beschuldigtenbefragung zeugenschaftlich vernommenen Vernehmungsbeamten aufsparen darf. Auch jenseits davon bedarf es des Widerspruchs bezogen auf jeden einzelnen zeugenschaftlich vernommenen Vernehmungsbeamten.
Freilich kann ein solcher Widerspruch auch umfassend vorab erklärt werden. In diesem Fall muß ihn der Verteidiger dann nicht noch einmal nach Abschluß der Zeugenvernehmung eines weiteren Vernehmungsbeamten ausdrücklich wiederholen. Einen solchen – von der Revision als „beweisthemenbezogenen Verwertungswiderspruch“ bezeichneten – generellen Widerspruch hat der an der Hauptverhandlung mitwirkende Verteidiger Rechtsanwalt A indes nicht erhoben. Da nach dem eindeutigen Wortlaut seiner Erklärung – es werde „der Verwertung der Angaben des Zeugen O zum Inhalt der polizeilichen Vernehmung (Bl. 369 ff. d.A.) des Angeklagten widersprochen“ – lediglich ein „beweismittelbezogener Verwertungswiderspruch“ vorlag, war das Tatgericht auch nicht etwa gehalten, anläßlich der Zeugenvernehmung des Kriminalbeamten B nachzufragen, ob etwa ein weitergehender , auch auf diese Vernehmung bezogener Widerspruch gemeint gewesen sei.
Eine Beschränkung des Widerspruchs lediglich auf die Verwertung der Angaben des erstvernommenen Kriminalbeamten O war auch nicht etwa offensichtlich widersinnig. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands , daß die in Streit stehende Befragung des Angeklagten lediglich in Form eines Vermerks niedergelegt werden konnte. Danach war es möglich, daß der Verteidiger erst der weiteren Vernehmung des Zeugen B als entlastend bewertete Details bei jener Befragung des Angeklagten entnehmen konnte, die er verwertet wissen wollte. Zudem könnte der Verteidiger – worauf das Urteil hindeutet (UA S. 117) – erst durch die Zeugenvernehmung des Kriminalbeamten B Näheres über die dem Angeklagten damals erteilte Beschuldigtenbelehrung erfahren haben, nach denen er möglicherweise keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Verwertung der Befragung mehr hatte. Eine solche Bewertung durch den Instanzverteidiger wäre auch nicht etwa abseitig gewesen: Der Angeklagte hatte seinen vorangegangenen Wunsch nach Verteidigerkonsultation gegenüber einem dritten Kriminalbeamten nicht unmittelbar im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung ausgesprochen. Er hatte dabei auch – anders als erst bei der vorgesehenen Protokollierung der in Streit stehenden späteren Vernehmung , als er freilich erstmals ausdrücklich hiernach gefragt wurde – noch keinen bestimmten Verteidiger benannt, dessen Konsultation er wünschte. Bei dieser Sachlage geht die Wertung der Revision, die Kriminalbeamten hätten mit ihrem Vorgehen „letztlich absichtlich das Verteidigerkonsultationsrecht des Angeklagten ad absurdum“ geführt, überaus weit. Ohne daß die Frage der Verwertbarkeit jener Beschuldigtenbefragung abschließend entschieden werden muß, lag jedenfalls eine Beeinträchtigung des Verteidigerkonsultationsrechts des Angeklagten, die so weitgehend gewesen wäre wie in den Fällen, die den Entscheidungen BGHSt 38, 372 und 42, 15 zugrundelagen , hier nicht vor.

b) Selbst wenn die Rüge als zulässig anzusehen gewesen wäre, hätte der vorliegende Fall keine Möglichkeit geboten, eine Klärung zwischen der vom 5. Strafsenat obiter dictu geäußerten sehr weitgehenden Auffassung zur Unverwertbarkeit von Beschuldigtenvernehmungen wegen Verletzung des Verteidigerkonsultationsrechts (BGHSt 42, 15; vgl. indes auch BGHSt 47, 233) und der zu dieser Frage erheblich restriktiveren, seinerzeit tragenden Auffassung des 1. Strafsenats (BGHSt 42, 170; vgl. demgegenüber BGHSt 47, 172; vgl. aber auch – 4. Strafsenat – BGH NStZ 1998, 265, 266) herbeizuführen. Es ist nämlich sicher auszuschließen, daß das angefochtene Urteil auf einer Verwertung der in Frage stehenden Beschuldigtenbefragung zum Nachteil des Angeklagten beruht: Die im Rahmen der Beweiswürdigung verwerteten maßgeblichen Erkenntnisse zur Bekleidung des Angeklagten bei Tatbegehung waren fraglos auch allein auf als glaubhaft angesehene Zeugenangaben zu stützen (vgl. UA S. 42 f.; vgl. hierzu näher die auf S. 40 f. und 61 der Revisionsbegründung des weiteren Verteidigers, Rechtsanwalt S , zu einer anderen Verfahrensrüge dokumentierten Aussagen des Zeugen C im Ermittlungsverfahren ). Daß es zur Beweisführung, insbesondere zur Widerlegung der Angaben des Zeugen P , der Angaben und Skizzen des Ange- klagten zu Standorten der Beteiligten am Tatort (UA S. 116 ff.) nicht bedurfte, ergibt sich eindeutig aus dem Zusammenhang der Beweiswürdigung, ist vom Tatgericht im Urteil zudem selbst dokumentiert worden (UA S. 118). Jenseits davon ist nichts dafür ersichtlich, daß die Beweiswürdigung des Tatgerichts – so kompliziert sie in Einzelheiten auch gelagert ist – auf dem geltend gemachten Verfahrensverstoß beruhen könnte.
2. Auf der beanstandeten Erledigung eines Hilfsbeweisantrages im Urteil mit Wahrunterstellung beruht die Verurteilung ebenfalls nicht. Die Bedeutungslosigkeit der in das Wissen des Zeugen D gestellten entlastenden Bekundung des Zeugen C , über die der benannte Zeuge – recht verstanden – lediglich durch Hörensagen von C s Vater Kenntnis haben sollte, ist dem Gesamtzusammenhang der Beweiswürdigung, insbesondere betreffend die Bewertung der Angaben des Zeugen C , eindeutig zu entnehmen. Es kann daher dahinstehen, ob die Revision – was nicht fernliegt – zur Vermittlung eines ausreichenden Verständnisses über eine mögliche Bedeutsamkeit der Beweisbehauptung hätte vortragen müssen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), welche Beweiserkenntnisse zu jener Beweisbehauptung dem Tatgericht hinsichtlich des Vaters des Zeugen C als der unmittelbaren Beweisquelle zur Verfügung standen.
Harms Häger Basdorf Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 63/18
vom
7. Juni 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchdiebstahls u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:070618U4STR63.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Juni 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Feilcke, Dr. Paul als beisitzende Richter,
Erster Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 29. August 2017 wird mit der Maßgabe verworfen, dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe des Teilbetrages von 10.000 € als Gesamtschuldner angeordnet wird.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und Diebstahls in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat in Höhe von 11.800 Euro die Einziehung des Wertes von Taterträgen sowie weiterhin die Einziehung einer Reihe im Tenor näher bezeichneter Schmuckstücke angeordnet. Das zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte und vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Ausspruch über die Einziehung beschränkt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg; es führt lediglich zugunsten des Angeklagten zu einer Ergänzung der Entscheidungsformel.

I.


2
Der Verurteilung des Angeklagten liegen drei Einbruchdiebstähle zu Grunde:
3
1. a) In der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember 2015 verschaffte sich der Angeklagte zusammen mit einem unbekannten Mittäter gewaltsam Zutritt zu einem Wohnhaus in L. . Den früheren Mitangeklagten K. und H. kam dabei die Aufgabe zu, sich außerhalb des Anwesens aufzuhalten, um gegebenenfalls den Angeklagten und seinen Mittäter frühzeitig telefonisch warnen zu können.
4
Der Angeklagte und der unbekannte Mittäter erbeuteten einen Bargeldbetrag von über bzw. mindestens 35.000 Euro sowie Schmuck in einem Gesamtwert von mindestens 5.000 Euro. Der Mittäter „sammelte Wertgegenstände ein“ und übergab die gesamte Beute absprachegemäß vollständig an den Angeklagten ; dies geschah ausschließlich zu dem Zweck, dass der Angeklagte die Tatbeute in seine Unterkunft nach B. transportierte, „ohne hierüber jedoch die Verfügungsgewalt zu erlangen“.Vor der Tat hatten sie vereinbart, dass nur der Mittäter berechtigt sein sollte, die Beute aufzuteilen. „Einige Zeit nach der Tat“ teilteder Mittäter diese absprachegemäß im Verhältnis 75 % zu 25 % auf. Er wies dem Angeklagten das diesem danach zustehende Viertel – 10.000 Euro Bargeld und bestimmte Schmuckstücke – zu. Der Beuteanteil konnte bei einer Durchsuchung im Januar 2016 vollständig aufgefunden werden. Insgesamt wurde beim Angeklagten Bargeld in Höhe von 20.000 Euro sichergestellt. Den weiteren Betrag von 10.000 Euro konnte die Strafkammer dem Wohnungseinbruch in L. nicht zuordnen.
5
Die beiden rechtskräftig wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl verurteilten Mitangeklagten H. und K. erhielten keinen Anteil an der Tatbeute.
6
Der Angeklagte erklärte in der Hauptverhandlung gegenüber dem Landgericht „den Verzicht auf die Rückgabe des sichergestellten Geldes und Schmuckes“.
7
b) Am 27. November 2014 drang der Angeklagte zusammen mit einem weiteren, namentlich noch nicht ermittelten Täter gewaltsam in eine Gaststätte in P. ein. Dort erbeuteten sie Bargeld in Höhe von insgesamt mindestens 1.550 Euro sowie Zigaretten. Die Beute teilten sie vor Ort in der Weise, dass der Angeklagte das Bargeld und sein Mittäter die Zigaretten erhielt.
8
c) Anschließend verschaffte sich der Angeklagte mit einem anderen Täter gewaltsam Zutritt zu einem Vereinsheim. Dort stahlen die beiden mindestens 500 Euro. Der Angeklagte teilte die Beute mit seinem Mittäter vor Ort hälftig auf.
9
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB sowie wegen (gemeinschaftlichen) Diebstahls (im besonders schweren Fall) in zwei Fällen nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB verurteilt. Da die Strafkammer hinsichtlich des Wohnungseinbruchdiebstahls nicht aufklären konnte, welche der beim Angeklagten sichergestellten Geldscheine konkret aus dieser Tat stammten, hat es gemäß § 73c StGB insgesamt die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 11.800 Euro angeordnet. Einen darüber hinausgehenden Beuteanteil hat es dem Angeklagten mangels einer Mitverfügungsgewalt nicht zugerechnet.

II.


10
Die gegen die Einziehungsentscheidung gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft bleibt erfolglos.
11
Das Landgericht hat mit Recht § 73c Satz 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) angewendet (Art. 316h Satz 1 EGStGB) und dem Angeklagten die Beuteanteile, die in den drei Fällen an seine jeweiligen Mittäter gelangten, nicht zugerechnet.
12
1. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c Satz 1 StGB knüpft an § 73 Abs. 1 StGB an und setzt voraus, dass der Täter durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt hat. Hierzu ist in Fällen der Beteiligung mehrerer an einer Tat nach der bereits zu § 73a StGB aF ergangenen und unverändert fortgeltenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von folgenden Grundsätzen auszugehen: Erforderlich ist, dass die mehreren Tatbeteiligten faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über die Diebesbeute erlangt haben (BGH, Urteil vom 27. Oktober 2011 – 5 StR 14/11, NJW 2012, 92 f.). Dabei kommt eine Zurechnung nach den Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB nur in Betracht, wenn sich die Beteiligten darüber einig waren, dass dem jeweiligen Mittäter zumindest Mitverfügungsgewalt über die Beute zukommen sollte und er diese auch tatsächlich hatte (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2002 – 1 StR 281/02, NStZ 2003, 198, 199, vom 1. März 2007 – 4 StR 544/06, vom 12. Mai 2009 – 4 StR 102/09, NStZ-RR 2009, 320, vom 27. April 2010 – 3 StR 112/10, NStZ 2010, 568, vom 22. Juli 2014 – 1 StR 53/14 und vom 17. März 2016 – 1 StR 628/15, BGHR StGB § 73 Erlangtes 19). Die bloße Annahme mittäterschaftlichen Handelns vermag die fehlende Darlegung des tatsächlichen Geschehens hierzu nicht zu ersetzen (BGH, Urteil vom 26. März 2009 – 3 StR 579/08, NStZ 2010, 86, 87; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 – 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 44 f.). Eine gemeinsame Mitverfügungsmacht über die gesamte Beute ist daher in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verneint worden, wenn der Angeklagte den Gesamtbetrag nur kurzfristig und transitorisch erhalten und sodann an seine Mittäter deren Beuteanteile weitergeleitet hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2009, aaO; Urteil vom 27. Oktober 2011 – 5 StR 14/11, NJW 2012, 92).
13
2. In den drei abgeurteilten Fällen hat das Landgericht danach eine Zurechnung der den jeweiligen Mittätern zugeflossenen Beuteanteile an den Angeklagten zu Recht verneint:
14
a) Im Fall des Wohnungseinbruchdiebstahls in L. (oben Ziff. I.1.a)) liegt eine solche Einigung über die Mitverfügungsgewalt nicht vor. Im Gegenteil hat die Strafkammer auf Grund rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung festgestellt, dass der Angeklagte über die Beute keine auch nur faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt erlangen sollte. Allein aus der Überlassung der Beute zum Transport und einer zeitlich nicht näher eingegrenzten Aufbewahrung folgt eine solche faktische Mitverfügungsgewalt des Angeklagten nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2009 – 4 StR 102/09, aaO). Dieser kurzfristige und vorübergehende Zustand begründete keinen rechtserheblichen Vermögenszufluss beim Angeklagten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. April 2010 – 3 StR 112/10, NStZ 2010, 568, und vom 8. August 2013 – 3 StR 179/13, NStZ-RR 2014, 44). Der Angeklagte war sich vielmehr mit seinem unbekannt gebliebenen Mittäter einig, dass er nur als Bote und Verwahrer fungierte; er verhielt sich weisungsgemäß und leitete die gesamte Beute an seinen Mittäter weiter. Da somit von einer Einigung über die Einräumung oder Ausübung von Mitverfügungsgewalt des Angeklagten keine Rede sein kann, kommt der von der Strafkammer nicht näher geklärten Zeitspanne bis zur Beuteteilung keine Bedeutung zu. Insoweit liegt der Fall hier anders als derjenige, über den der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 24. Mai 2018 (5 StR 623 und 624/17) entschieden hat.
15
b) Nach den vorgenannten Grundsätzen kommt dem Angeklagten erst recht keine Mitverfügungsgewalt an der jeweiligen Beute aus den beiden Einbrüchen in P. (oben Ziff. I.1.b) und c)) zu. Hier ist schon nicht festgestellt , dass der Angeklagte und sein jeweiliger Mittäter vor der Beuteteilung Mitverfügungsgewalt am jeweils anderen Beuteanteil erlangten. Eine Verfahrensrüge ist nicht erhoben.
16
3. Gemäß § 301 StPO war der Tenor des landgerichtlichen Urteils dahin zu ergänzen, dass der Angeklagte hinsichtlich seines Beuteanteils von 10.000 Euro aus dem Wohnungseinbruchdiebstahl in L. nur als Gesamtschuldner mit seinem unbekannten Mittäter haftet; diesem vermittelte er die faktische Verfügungsgewalt an der gesamten Beute und damit auch an dem ihm schließlich zugewiesenen Beuteanteil von 10.000 Euro (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2013 – 4 StR 144/13, insofern nicht abgedruckt in NStZ 2014, 162). Der Kennzeichnung der Haftung als gesamtschuldnerisch im Urteilstenor bedarf es auch nach neuem Recht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. März 2018 – 4 StR 57/18 und vom 20. Februar 2018 – 2 StR 12/18; zu § 73a StGB aF; BGH, Beschluss vom 23. November 2011 – 4 StR 516/11, wistra 2012, 147 mwN; einschränkend Köhler/Burkhard, NStZ 2017, 665, 668 mN in Fn. 34). Damit wird ermöglicht, dass den Beteiligten das aus der Tat Erlangte entzogen wird, aber zugleich verhindert, dass dies mehrfach erfolgt (BGH, Urteil vom 24. Mai 2018 – 5 StR 623 und 624/17 mwN). Die anteilige gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten hat der Senat im Tenor klargestellt ; hierfür ist die Angabe eines Namens des jeweiligen Gesamtschuldners nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2013 – 4 StR 280/13).
17
4. Zur Frage, ob es angesichts des wirksamen Verzichts des Angeklagten auf die Rückgabe des bei ihm sichergestellten Schmucks einer förmlichen Einziehung gemäß § 73 StGB nF bedurft hätte, verweist der Senat auf das bereits zur Rechtslage nach dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ergangene Urteil des 5. Strafsenats vom 10. April 2018 (5 StR 611/17, NStZ 2018, 333). Zu einer Abänderung der Einziehungsentscheidung , soweit sie Gegenstände erfasst, auf deren Herausgabe der Angeklagte verzichtet hat, sieht sich der Senat indes nicht veranlasst (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2018 – 2 StR 127/17).
Sost-Scheible Cierniak Bender
Feilcke Paul

Ist die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes nach § 73 Absatz 3 oder nach § 73b Absatz 3 abgesehen, so ordnet das Gericht die Einziehung eines Geldbetrages an, der dem Wert des Erlangten entspricht. Eine solche Anordnung trifft das Gericht auch neben der Einziehung eines Gegenstandes, soweit dessen Wert hinter dem Wert des zunächst Erlangten zurückbleibt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 527/18
vom
8. November 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchdiebstahls u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:081118B1STR527.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. November 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 4. Juli 2018 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 120.827 Euro als Gesamtschuldner angeordnet wird. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Wie vom Generalbundesanwalt beantragt, war die Reduzierung des Einziehungsbetrages von 133.142,83 Euro auf 120.827 Euro bei gleichzeitiger Kennzeichnung der Haftung des Angeklagten als Gesamtschuldner vorzunehmen. Nur in Höhe dieses Betrages sind entsprechend den Feststellungen des Landgerichts dem Angeklagten Vermögenswerte zugeflossen, so dass der entsprechende Rechenfehler richtigzustellen war (BGH, Beschluss vom 16. August 2018 – 4 StR 169/18). Da der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen die Taten zumindest mit einem unbekannten Mittäter begangen hat, war gleichzeitig die Haftung des Angeklagten als Gesamtschuldner im Tenor nachzuholen (BGH, Beschluss vom 18. Juli 2018 – 2 StR 245/18 Rn. 9 f.), ohne dass es einer Angabe des/der unbekannt gebliebenen Mittäter bedarf (BGH, Urteil vom 7. Juni 2018 – 4 StR 63/18 Rn. 16).
Der nur geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO). Raum Bellay Bär Hohoff Pernice

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.