Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Mai 2002 - 5 StR 136/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
a) soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung verurteilt wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
1. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter und vollendeter Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Schuldspruchs, soweit er wegen Vergewaltigung verurteilt wurde. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat be- merkt insoweit ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts, daß Verfolgungsverjährung gemäß Art. 315 Abs. 4 EGStGB, § 7 Abs. 2 Ziffer 1 2. Alternative StGB, § 78 Abs. 3 Ziffer 2 StGB (vgl. BGHSt 39, 317, 320; Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 2 Rdn. 27) und § 78b Abs. 1 Ziffer 1 StGB nicht eingetreten ist.
1. Die Revision erzielt mit der Sachrüge einen Teilerfolg. Auf die Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht an.
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings beschränkt sich, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist, die revisionsgerichtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlichrechtlicher Fehler liegt aber u.a. dann vor, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (st. Rspr. BGHSt 29, 18, 20; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 49 m. w. N.) und der Tatrichter in einem Fall, in dem die Entscheidung allein davon abhängt, welcher Person das Gericht Glauben schenkt, nicht erkennen läßt, daß er alle Umstände , die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHSt 44, 153, 159; 256, 257; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23; BGH NStZ 2000, 496, 497).
Diesen hohen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Aussage der Stieftochter des Angeklagten, der die Tatbegehung bestreitet, nicht gerecht.
Die einzige Zeugin hatte im Juni 1998 im Rahmen einer polizeilichen und richterlichen Vernehmung – eher detailarm – über eine Vergewaltigung mit vaginalem Geschlechtsverkehr durch den Angeklagten als Sechzehnjährige im Sommer 1990 (richtig 1989) berichtet (UA S. 14 f.). In der über drei Jahre später stattgefundenen Hauptverhandlung schilderte sie die gleichen Begleitumstände, aber als Tathandlungen lediglich Anfassen am Busen und an der Scheide, und verneinte auch auf Nachfrage jede Penetration durch den Angeklagten (UA S. 20). Ohne eine ins Einzelne gehende Erinnerung schloû sie sich dann dem Inhalt ihrer früheren richterlichen Vernehmung an, auf deren Grundlage die Verurteilung erfolgte. Sie erklärte, sich an das Geschehen 1989 nicht mehr hundertprozentig erinnern zu können, aber 1998 über eine bessere Erinnerung verfügt zu haben (UA S. 20).
Bei dieser Sachlage wäre das Landgericht verpflichtet gewesen, die Erkenntnisquellen zur Aussageentstehung auszuschöpfen und die Umstände der Aussagen der Zeugin, die die weitergehende Belastung enthalten, darzustellen und in die Würdigung mit einzubeziehen (vgl. BGHSt 45, 164, 169; BGH NStZ 2000, 496, 497; Nack StraFo 2001, 1, 4 m. w. N.). Dies ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Es begegnet ferner durchgreifenden Bedenken, daû das Landgericht den Erinnerungsverlust der Zeugin ohne kritische Würdigung der von ihr dafür abgegebenen Erklärungen und weiterer Umstände nachvollzogen hat. Deshalb ist zu besorgen, daû es der Aussage in der Hauptverhandlung eine zu geringe und den früheren Aussagen eine zu groûe Bedeutung beigemessen hat.
Der Wegfall der Einsatzstrafe führt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Der neue Tatrichter wird im Falle eines Schuldspruchs auch Gelegenheit haben, die Zeiten der unterlassenen Förderung des Verfahrens beim Landgericht von der Anklageerhebung bis zum Beginn der Hauptverhandlung unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (vgl. BGHSt 45, 308, 309 m. w. N.) zu würdigen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Auf vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten findet § 2 des Strafgesetzbuches mit der Maßgabe Anwendung, daß das Gericht von Strafe absieht, wenn nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht der Deutschen Demokratischen Republik weder eine Freiheitsstrafe noch eine Verurteilung auf Bewährung noch eine Geldstrafe verwirkt gewesen wäre.
(2) Die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Geldstrafe (§§ 40 bis 43) gelten auch für die vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangenen Taten, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist. Die Geldstrafe darf nach Zahl und Höhe der Tagessätze insgesamt das Höchstmaß der bisher angedrohten Geldstrafe nicht übersteigen. Es dürfen höchstens dreihundertsechzig Tagessätze verhängt werden.
(3) Die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Aussetzung eines Strafrestes sowie den Widerruf ausgesetzter Strafen finden auf Verurteilungen auf Bewährung (§ 33 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik) sowie auf Freiheitsstrafen Anwendung, die wegen vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangener Taten verhängt worden sind, soweit sich nicht aus den Grundsätzen des § 2 Abs. 3 des Strafgesetzbuches etwas anderes ergibt.
(4) Die Absätze 1 bis 3 finden keine Anwendung, soweit für die Tat das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland schon vor dem Wirksamwerden des Beitritts gegolten hat.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.