Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Feb. 2011 - 4 StR 488/10

bei uns veröffentlicht am24.02.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 488/10
vom
24. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. Februar 2011 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 18. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen besonders schwerer Vergewaltigung, wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; im Hinblick auf eine der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung hat es drei Monate für vollstreckt erklärt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und hinsichtlich des Falles II. 4 der Urteilsgründe das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung behauptet.
2
Das Rechtsmittel führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils im Umfang der Verurteilung; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
3
1. Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es im Fall II. 4 der Urteilsgründe nicht an der Verfahrensvoraussetzung der Erhebung einer ordnungsgemäßen Anklage; insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift Bezug.
4
2. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
Das Landgericht stützt die Verurteilung des Angeklagten, der die ihm zur Last gelegten Taten zum Nachteil der Zeugin M. bestreitet, auf die Bekundungen dieser Zeugin. Diese unterhielt im Zeitraum von Juni/Juli 2006 bis März 2007 eine sexuelle Beziehung mit dem Angeklagten. Obwohl die Zeugin Dritten - wie ihrem damaligen Arbeitgeber (UA 31) und ihrer Ärztin (UA 26) - von Misshandlungen durch den Angeklagten berichtete, hielt sie an der Beziehung fest und brachte dies mehrfach in an den Angeklagten gerichteten SMSNachrichten zum Ausdruck. Erst nachdem es am 29. März 2007 zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen war, an der mehrere Personen beteiligt waren (UA 8), erstattete sie Anzeige wegen mehrerer körperlicher und sexueller Übergriffe des Angeklagten. Wegen vier der angeklagten acht Taten wurde der bestreitende Angeklagte verurteilt; im Übrigen wurde er freigesprochen.
6
a) In einem solchen Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, muss sich der Tatrichter bewusst sein, dass die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen besitzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dies gilt besonders, wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält oder der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird (vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158/159; Beschluss vom 16. Mai 2002 - 5 StR 136/02; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 261 Rn. 11a; jeweils m.w.N.).
7
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht.
8
aa) Die Zeugin M. ist in der Hauptverhandlung in mehreren wesentlichen Punkten von ihrer polizeilichen Aussage abgewichen. So hat sie sich im Fall II. 1 der Urteilsgründe - anders als bei ihrer polizeilichen Vernehmung vom 24. Januar 2008 - nicht mehr daran erinnern können, von dem Angeklagten nach den ihr zugefügten Misshandlungen zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden zu sein. Auch im Fall II. 2 der Urteilsgründe hat die Zeugin in der Hauptverhandlung zunächst nicht angeben können, ob sie vom Angeklagten, nachdem ihr dieser eine tiefe Schnittverletzung am Oberschenkel zugefügt hatte , zum Oralverkehr gezwungen wurde (UA 12). Erst auf Nachfrage hat sie diesen wesentlichen Geschehensteil wie in ihrer polizeilichen Vernehmung bestätigt.
9
Die mangelnde Konstanz hat das Landgericht zwar erkannt; es hat diese aber nicht nur mit natürlichen Vergessens- und Verdrängungsprozessen zu erklären versucht, sondern auch damit, dass für die Geschädigte die erlittenen Gewalttätigkeiten das weitaus größere Übel waren als der erzwungene Geschlechtsverkehr (UA 20-22). Letzteres steht im Widerspruch dazu, dass die Zeugin zu Fall 8 der Anklageschrift ebenfalls nicht konstant ausgesagt hat: In ihrer polizeilichen Vernehmung hatte sie eine massive Bedrohungssituation in einem Wald geschildert (UA 20), in der Hauptverhandlung konnte sie sich an eine Bedrohung mit einem Messer nicht mehr erinnern, sodass der Angeklagte von diesem Vorwurf freigesprochen wurde.
10
Darüber hinaus bestehen - worauf auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat - durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die vom Landgericht bei der Konstanzanalyse vorgenommene Trennung zwischen körperlichen Misshandlungen und sexuellen Übergriffen, wenn - wie hier in den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe - dem Angeklagten Taten zur Last gelegt werden, die von Misshandlungen und sexueller Gewalt gleichermaßen geprägt sind.
11
bb) Die Beweiswürdigung zu Fall II. 4 der Urteilsgründe erweist sich als widersprüchlich und lückenhaft.
12
Das Landgericht hat es als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte der Zeugin M. im September 2006 durch einen Faustschlag ein Hämatom am rechten Augapfel beigebracht hat. Es stützt sich auf die Aussage der Zeugin , wonach sie auf Grund von Schlägen des Angeklagten dreimal ein "blaues Auge" gehabt habe (UA 12). Diese Aussage sieht es bestätigt durch die Zeugenaussage der behandelnden Ärztin, diese habe bekundet, "dass die Geschädigte von sich aus, spontan und unter Tränen offenbart hat, dass das blaue Auge von ihrem Freund stammt" (UA 27). Auf UA 26 ist die Aussage der sachverständigen Zeugin zu dem von dieser am 18. September 2006 festgestellten Monokel-Hämatom anders wiedergegeben. Dort heißt es, dass die Geschädigte , auch auf Nachfrage, zu der Verletzung nichts gesagt habe. Diesen Widerspruch löst das Landgericht nicht auf.
13
Die Beweiswürdigung ist zudem auch lückenhaft. Das Landgericht hält die Bekundungen zweier Zeugen für glaubhaft, die angegeben haben, die Zeugin M. habe ihnen gegenüber in Gegenwart des Angeklagten ihren Bruder als Verursacher des "blauen Auges" benannt; es meint jedoch, dass die Zeugin zu jenem Zeitpunkt unter großem Druck gestanden und deshalb einen falschen Verursacher benannt habe (UA 28). Im Urteil wird nicht mitgeteilt, was die Zeugin selbst dazu bekundet hat.
14
cc) Lückenhaft sind schließlich auch die Feststellungen zur Aussageentstehung. Das Landgericht teilt nur mit, dass die Anzeige nach einer tätlichen Auseinandersetzung erfolgte, an der die Zeugin M. , ihr Bruder und der Zeuge W. auf der einen sowie der Angeklagte und sein Vater auf der anderen Seite beteiligt waren. Nähere Umstände zum Kampfgeschehen und zu etwaigen Verletzten enthält das Urteil nicht, allerdings ist ihm zu entnehmen, dass sich der Angeklagte dabei nicht ausschließbar in einer Notwehrsituation befunden hat (UA 38/39). Für eine mögliche Falschbelastungsmotivation ist eine eingehende Auseinandersetzung mit den Umständen und Folgen der Schlägerei erforderlich.
15
3. Die Sache bedarf daher erneuter tatrichterlicher Prüfung, da nicht auszuschließen ist, dass sich ergänzende Feststellungen treffen lassen, die eine Verurteilung des Angeklagten tragen.
16
a) Der neu entscheidende Tatrichter wird sich bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugin M. auch mit den Anklagevorwürfen zu befassen haben, von denen der Angeklagte freigesprochen worden ist. Zwar sind die in dem angefochtenen Urteil dazu getroffenen Feststellungen bindend, es be- steht aber keine Bindung an die vom Landgericht vorgenommene Bewertung der Bekundungen der Zeugin.
17
b) Sollte sich im Fall II. 3 der Urteilsgründe eine Körperverletzungshandlung feststellen lassen, wird das Gericht genauere Feststellungen zu dem dabei benutzten Gegenstand zu treffen haben. Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt nur dann vor, wenn der Gegenstand nach seiner Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 224 Rn. 9 m.w.N.).
18
c) Mit Blick auf die Ausführungen UA 43 bemerkt der Senat, dass ein Härteausgleich nicht veranlasst ist, wenn eine Geldstrafe wegen vollständiger Bezahlung nicht mehr in eine Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2003 - 2 StR 328/03, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 13).
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe


(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

5 StR 136/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 16. Mai 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Mai 2002

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 28. September 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung verurteilt wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
1. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter und vollendeter Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Schuldspruchs, soweit er wegen Vergewaltigung verurteilt wurde. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat be- merkt insoweit ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts, daß Verfolgungsverjährung gemäß Art. 315 Abs. 4 EGStGB, § 7 Abs. 2 Ziffer 1 2. Alternative StGB, § 78 Abs. 3 Ziffer 2 StGB (vgl. BGHSt 39, 317, 320; Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 2 Rdn. 27) und § 78b Abs. 1 Ziffer 1 StGB nicht eingetreten ist.
1. Die Revision erzielt mit der Sachrüge einen Teilerfolg. Auf die Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht an.
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings beschränkt sich, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist, die revisionsgerichtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlichrechtlicher Fehler liegt aber u.a. dann vor, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (st. Rspr. BGHSt 29, 18, 20; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 49 m. w. N.) und der Tatrichter in einem Fall, in dem die Entscheidung allein davon abhängt, welcher Person das Gericht Glauben schenkt, nicht erkennen läßt, daß er alle Umstände , die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHSt 44, 153, 159; 256, 257; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23; BGH NStZ 2000, 496, 497).
Diesen hohen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Aussage der Stieftochter des Angeklagten, der die Tatbegehung bestreitet, nicht gerecht.
Die einzige Zeugin hatte im Juni 1998 im Rahmen einer polizeilichen und richterlichen Vernehmung – eher detailarm – über eine Vergewaltigung mit vaginalem Geschlechtsverkehr durch den Angeklagten als Sechzehnjährige im Sommer 1990 (richtig 1989) berichtet (UA S. 14 f.). In der über drei Jahre später stattgefundenen Hauptverhandlung schilderte sie die gleichen Begleitumstände, aber als Tathandlungen lediglich Anfassen am Busen und an der Scheide, und verneinte auch auf Nachfrage jede Penetration durch den Angeklagten (UA S. 20). Ohne eine ins Einzelne gehende Erinnerung schloû sie sich dann dem Inhalt ihrer früheren richterlichen Vernehmung an, auf deren Grundlage die Verurteilung erfolgte. Sie erklärte, sich an das Geschehen 1989 nicht mehr hundertprozentig erinnern zu können, aber 1998 über eine bessere Erinnerung verfügt zu haben (UA S. 20).
Bei dieser Sachlage wäre das Landgericht verpflichtet gewesen, die Erkenntnisquellen zur Aussageentstehung auszuschöpfen und die Umstände der Aussagen der Zeugin, die die weitergehende Belastung enthalten, darzustellen und in die Würdigung mit einzubeziehen (vgl. BGHSt 45, 164, 169; BGH NStZ 2000, 496, 497; Nack StraFo 2001, 1, 4 m. w. N.). Dies ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Es begegnet ferner durchgreifenden Bedenken, daû das Landgericht den Erinnerungsverlust der Zeugin ohne kritische Würdigung der von ihr dafür abgegebenen Erklärungen und weiterer Umstände nachvollzogen hat. Deshalb ist zu besorgen, daû es der Aussage in der Hauptverhandlung eine zu geringe und den früheren Aussagen eine zu groûe Bedeutung beigemessen hat.
Der Wegfall der Einsatzstrafe führt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Der neue Tatrichter wird im Falle eines Schuldspruchs auch Gelegenheit haben, die Zeiten der unterlassenen Förderung des Verfahrens beim Landgericht von der Anklageerhebung bis zum Beginn der Hauptverhandlung unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (vgl. BGHSt 45, 308, 309 m. w. N.) zu würdigen.
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(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 328/03
vom
8. Oktober 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. Oktober 2003 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 27. Januar 2003, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch dahin geändert, daß er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, fünf Monaten und einer Woche verurteilt ist. Die weitergehende Revision wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und angeordnet, daß "die bezahlte Geldstrafe aus der Verurteilung des Amtsgerichts Ingolstadt vom 23.05.2001 (Aktenzeichen : 7 Cs 23 Js 7949/01) mit drei Wochen Freiheitsstrafe auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird." Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechtes rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, daß der vom Tatrichter ersichtlich gewollte Härteausgleich dafür, daß die Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 30 DM aus dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Ingolstadt vom 23. Mai 2001 wegen vollständiger Bezahlung nicht mehr zu einer Gesamtstrafenbildung herangezogen werden konnte, rechtsfehlerhaft vorgenommen wurde. Die Gewährung eines Härteausgleichs ist nicht durch eine die Strafvollstreckung verkürzende Anrechnung auf die verhängte Freiheitsstrafe vorzunehmen , wie z. B. der gebotene Ausgleich für die Nichterstattung von Geldleistungen , die in Erfüllung einer Auflage nach § 56 b Abs. 2 Nr. 2 StGB erbracht worden sind, zu bewirken ist (vgl. hierzu BGHSt 36, 378 f.), sondern durch eine entsprechende Milderung im Rahmen der Strafzumessung. Im vorliegenden Fall war daher entweder eine fiktive Gesamtstrafe zu bilden und diese um die vollstreckte Strafe zu mildern oder der Nachteil unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe zu berücksichtigen (vgl. BGHSt 31, 102, 103; 33, 131, 132). In Fällen, in denen eine Strafe nicht mehr zur Bildung einer Gesamtstrafe herangezogen werden kann, weil sie bereits vollstreckt ist, kann - entgegen der Regel des § 39 StGB - der erforderliche Härteausgleich dazu führen, eine Strafe nach Jahren, Monaten und Wochen zu bemessen (vgl. u.a. BGH NJW 1989, 236, 237; BGH, Beschl. vom 16. März 1999 - 4 StR 83/99). Gemäß dem Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat selbst (entsprechend § 354 Abs. 1 StPO) die verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten um die "anzurechnenden" drei Wochen auf zwei Jahre, fünf Monate und eine Woche ermäßigt. Daß dem Angeklagten für eine bezahlte
Geldstrafe von 20 Tagessätzen (zu je 30 DM) ein Härteausgleich von drei Wochen gewährt wird, beschwert ihn nicht. Der - gemessen am verfolgten Ziel - geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels gibt keinen Anlaß, den Angeklagten auch nur teilweise von den Kosten seines Rechtsmittels freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO). Bode Detter Otten RiBGH Prof. Dr. Fischer ist aufgrund Urlaubs verhindert zu unterschreiben. Bode Rothfuß

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.