Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2017 - 4 StR 78/17


Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 22. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Von der Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB hat es abgesehen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, soweit das sachverständig beratene Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen hat.
- 3
- a) Nach den Feststellungen begann der Angeklagte im Jahr 2009 mit dem gelegentlichen Konsum von Cannabis. In der Folgezeit konsumierte er regelmäßig bis zu zwei Gramm am Tag. Einhergehend damit zeigte er Verhaltensauffälligkeiten. Der Konsum von THC führte bei ihm zu lang anhaltenden psychischen Störungen. Ab 2016 nahm er gelegentlich auch Kokain und trank in geringen Mengen Alkohol. Wenn er, was regelmäßig vorkam, wegen fehlender finanzieller Mittel oder aus anderen Gründen einige Zeit weder Alkohol noch Drogen zu sich nahm, hatte er keine Entzugserscheinungen. Bis zu seiner Festnahme hielt sich der Angeklagte „im Umfeld anderer Drogenkonsumenten auf“ und finanzierte seinen Lebensunterhalt unter anderem durch Diebstähle.
- 4
- Das Landgericht hat die Anordnung einer Unterbringung gemäß § 64 StGB abgelehnt, weil bei dem Angeklagten kein Hang im Sinne dieser Vorschrift vorliege. Trotz des festgestellten langjährigen Konsumverhaltens sei eine psychische Abhängigkeit zu verneinen. Dies werde daran deutlich, dass der Angeklagte während der Zeiträume, in denen er abstinent gewesen sei, weder ein erhöhtes Konsumverlangen gehabt, noch Entzugssymptome gezeigt habe. Drogen konsumiere er nur, wenn diese verfügbar seien. Der Drogenkonsum sei lediglich eine Begleiterscheinung seines Lebensstils, nicht aber ein wesentlicher , ihn antreibender Lebensbestandteil.
- 5
- b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer ihrer Maßregelentscheidung einen zu engen Begriff des Hangs und damit einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat.
- 6
- Für einen Hang gemäß § 64 StGB ausreichend ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung , immer wieder Rauschmittel zu konsumieren. Dass diese Neigung bereits den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht hat, ist dabei nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – 4 StR 408/16, Rn. 6; Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113; Beschluss vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12, RuP 2013, 34 f. mwN). Auch stehen das Fehlen von ausgeprägten Entzugserscheinungen und Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht notwendig entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271 mwN).
- 7
- Von diesem Maßstab ist das Landgericht zwar ausgegangen, seine Ausführungen zu dessen Ausfüllung lassen aber besorgen, dass es dem Umstand, dass der Sachverständige eine „psychische Abhängigkeit“ verneint hat und Abstinenzintervalle ohne Entzugserscheinungen möglich waren, eine diesen Vorgaben nicht entsprechende Bedeutung beigemessen hat.
- 8
- 2. Angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte die am 10. Februar 2016 begangene Raubtat unter dem Einfluss von Cannabis beging (Fall III. 1 der Urteilsgründe) und er den Erlös aus dem Verkauf der Diebesbeute im Fall III. 2 der Urteilsgründe sowohl zum Erwerb von Kokain als auch von Cannabis verwandte, liegt die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs sowie einer hangbedingten Gefährlichkeit nicht fern. Schließlich erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass dem Angeklagten – trotz der festgestellten psychischen Auffälligkeiten – eine positive Behandlungsprognose im Sinne des § 64 Satz 2 StGB gestellt werden kann. Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9).
Bender Quentin


Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.