Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 583/10
vom
8. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 8. Februar 2011 beschlossen
:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 29. Juni 2010 wird als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr sowie mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat der Angeklagten ferner die Fahrerlaubnis entzogen , ihren Führerschein eingezogen und eine Sperre von drei Jahren für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis verhängt. Dagegen richtet sich die Revision der Angeklagten mit der Sachrüge und einer Verfahrensrüge. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Ohne Erfolg bleibt auch die Beanstandung, das Landgericht habe gegen § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO verstoßen.
3
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Am ersten Verhandlungstag verlas der Vorsitzende während der Vernehmung der sach- verständigen Zeugin Dr. G. im allseitigen Einverständnis den Arztbrief des Prof. Dr. W. K. vom 5. September 2008. Die Revision macht geltend, dass der Arztbrief der Kammer zum Nachweis der Folgen des versuchten Totschlags und der konkreten Lebensgefahr beim Geschädigten gedient habe, so dass er nicht nach § 256 StPO habe verlesen werden können. Ein Beschluss der Strafkammer nach § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO sei daher unverzichtbar gewesen.
4
2. Grundsätzlich begründet es allerdings die Revision, wenn der nach § 251 Abs. 4 StPO geforderte Gerichtsbeschluss nicht ergangen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 1988 - 4 StR 51/88, NStZ 1988, 283; vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 446/92, NStZ 1993, 144 und vom 10. Juni 2010 - 2 StR 78/10, NStZ 2010, 649). Der Beschluss dient der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten über den Grund der Verlesung und der eindeutigen Bestimmung des Umfangs der Verlesung. Bei Kollegialgerichten – wie hier – soll er zudem unter Beachtung der Aufklärungspflicht die Meinungsbildung des gesamten Gerichts und nicht nur des Vorsitzenden über das einzuschlagende Verfahren sicherstellen und insbesondere den Schöffen im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit den Ausnahmecharakter der Verlesung deutlich machen. Entscheidend ist insoweit, ob die persönliche Vernehmung des Zeugen zur weiteren Aufklärung erforderlich ist oder ob die Verlesung der Niederschrift genügt (vgl. BGH, Urteile vom 21. September 2000 - 1 StR 634/99, NStZ-RR 2001, 261 und vom 20. April 2006 - 4 StR 604/05, NStZ-RR 2007, 52).
5
Das Urteil kann auf dem nicht ergangenen Gerichtsbeschluss beruhen, wenn sich den Verfahrensbeteiligten der Grund der Verlesung nicht erschlossen hat und damit die der Anordnung der Verlesung zu Grunde liegenden Erwägungen rechtlich nicht überprüfbar sind bzw. das Gericht die Verlesungsvorausset- zungen (im Gegensatz zum Vorsitzenden) möglicherweise verneint hätte (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 2006 – 4 StR 604/05, NStZ-RR 2007, 52, 53).
6
Soweit die Unterrichtungs- und Überprüfungsfunktion des § 251 Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO betroffen ist, beruht das Urteil hier ersichtlich nicht auf dem fehlenden Beschluss; der Grund und der Umfang der Verlesung waren klar – nämlich die Einführung des Arztberichtes in die Hauptverhandlung während der Vernehmung der sachverständigen Zeugin mit allgemeinem Einverständnis (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO).
7
Ob es daneben geboten war, den Verfasser des Arztbriefes als sachverständigen Zeugen zu hören, war eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht. Der Senat kann hier ausschließen, dass die persönliche Vernehmung des Verfassers des mehrseitigen Arztbriefes eine weitergehende Aufklärung des Falles ermöglicht hätte als die erfolgte Verlesung desselben. Anhaltspunkte dafür, dass der Verfasser als Zeuge weitere Gesichtspunkte oder Umstände hätte bekunden können, die über die Angaben in dem Arztbrief hinausgehen und zu einer anderen Beurteilung der Lebensgefahr für den Geschädigten hätten führen können, sind nicht ersichtlich und werden auch von der Revision nicht vorgetragen. Deshalb kann auch ausgeschlossen werden, dass das Gericht unter Beachtung von Aufklärungsgesichtspunkten anders entschieden hätte als der Vorsitzende allein (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Juni 2010 - 2 StR 78/10, NStZ 2010, 649).
8
3. Der Senat kann schließlich auch ausschließen, dass die Urteilsfeststellungen zu den Tatfolgen auf der Verlesung des Arztbriefes beruhen. Ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 60) beruhen sie vielmehr auf den eigenen Angaben des Geschädigten und der Aussage der sachverständigen Zeugin Dr. G. , die den Geschädigten wiederholt untersucht und dabei auch Ein- sicht in seine Krankenakten genommen hat. In den Angaben im verlesenen Arztbrief hat die Strafkammer lediglich eine Bestätigung dieser übereinstimmenden Aussagen gefunden. Dies gilt auch hinsichtlich der konkreten Lebensgefahr durch die erlittenen Verletzungen (UA S. 61). Auch hierzu haben die sachverständige Zeugin Dr. G. und der Zeuge Dr. F. , der die Erstversorgung des Geschädigten am Unfallort übernommen hatte, ausgesagt. Ernemann Roggenbuck Cierniak Mutzbauer Bender

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 251 Urkundenbeweis durch Verlesung von Protokollen


(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden, 1. wenn der Angeklagte einen Vert

Strafprozeßordnung - StPO | § 256 Verlesung der Erklärungen von Behörden und Sachverständigen


(1) Verlesen werden können 1. die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen a) öffentlicher Behörden,b) der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowiec) der Ärzte eines ge

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 634/99
vom
21. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. September
2000, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Maul,
Nack,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 11. Mai 1999 wird verworfen. Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub mit Todesfolge zugleich mit Urkundenfälschung zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die auf die Sachrüge und eine Anzahl von Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.


Nach den Feststellungen traf der Angeklagte am 20. März 1998 gegen 16.45 Uhr zusammen mit einem derzeit in der Ukraine untergetauchten Tatgenossen und dem Mitangeklagten, der sogleich weiterfuhr, am späteren Tatort, einem Autohandelsplatz am Stadtrand von N. , ein. Einige Minuten später erschossen sie dort in seinem Büro entsprechend dem gemeinsamen Tatplan mit einer Maschinenpistole den Gebrauchtwagenhändler G. . Sie nahmen Schmuck, Bargeld und zwei Pkw des Opfers an sich und fuhren mit den entwendeten Wagen davon. Gegen 17.15 Uhr traf sich der Angeklagte am
Bahnhof mit seiner Freundin. Etwa um 20.25 Uhr wurde die Leiche aufgefunden. Am folgenden Tag konnte der entwendete Pkw Mercedes-Benz vor der Wohnung der Freundin sichergestellt und der Angeklagte festgenommen werden. An dem Wagen wurden - ebenso wie an der Hand und Lederjacke des Angeklagten - Schmauchspuren festgestellt.

II.


Die Verfahrensrügen bleiben erfolglos.
1. Die Rüge, entgegen § 251 Abs. 4 StPO sei das polizeiliche Protokoll von der Vernehmung des Notarztes ohne entsprechenden Gerichtsbeschluß verlesen worden, greift nicht durch.
Zwar fehlt der gemäß § 251 Abs. 4 StPO für die Ersetzung einer Zeugenvernehmung durch die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls erforderliche begründete Gerichtsbeschluß. Der Senat schließt jedoch aus, daß das Urteil auf diesem Mangel beruht (vgl. BGHR StPO § 251 IV 1 Anordnung 1; BGH NStZ 1986, 325; BGH StV 1983, 319, 320 sowie andererseits BGH NStZ 1988, 283; BGH, Urt. vom 5. August 1975 - 1 StR 376/75; Brandenburgisches OLG NStZ 1996, 300, 301).
Dies folgt allerdings (zumindest bei polizeilichen Vernehmungsprotokollen ) nicht bereits daraus, daß der Angeklagte, sein Verteidiger und der Staatsanwalt der Verlesung zugestimmt haben und der Verlesungsgrund ihnen - wie hier durch die Anordnung des Vorsitzenden - bekannt war (so jedoch Gollwitzer in LR 25. Aufl. § 251 Rdn. 98). Der Beschluß dient nämlich nicht nur der Unter-
richtung der Verfahrensbeteiligten über den Grund der Verlesung und der eindeutigen Bestimmung des Umfangs der Verlesung. Er soll bei Kollegialgerichten unter Beachtung der Aufklärungspflicht auch eine Meinungsbildung des gesamten Gerichts und nicht nur des Vorsitzenden über das einzuschlagende Verfahren sicherstellen (BGH NStZ 1988, 283; Diemer in KK-StPO 4. Aufl. § 251 Rdn. 30 m.w.N.) und insbesondere den Schöffen im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit den Ausnahmecharakter der Verlesung deutlich machen. Auch die Unterscheidung zwischen richterlichen und polizeilichen Vernehmungsprotokollen ist in diesem Zusammenhang nicht von wesentlicher Bedeutung. Entscheidend muß vielmehr darauf abgehoben werden, ob die persönliche Vernehmung des Zeugen zur weiteren Aufklärung hätte beitragen können.
Weitere Angaben des Notarztes wären hier eventuell zu der Frage zu erwarten gewesen, ob die von ihm festgestellten Leichen- bzw. Totenflecken bereits "fixiert" oder noch "verschieblich" (wegdrückbar) waren. Insoweit stützt sich die Revision aber auf einen unzutreffenden Ausgangspunkt. Entgegen ihrer Ansicht kann von noch wegdrückbaren Totenflecken nicht darauf geschlossen werden, daß der Tod erst 20-60 Minuten vor der Untersuchung durch den Notarzt (ca. 20.30 Uhr) und mithin nicht zum von der Strafkammer festgestellten Zeitpunkt (durch sofort tödliche Schüsse kurz nach 16.45 Uhr) eingetreten ist. Nach etwa 20 bis 60 Minuten treten Totenflecken überhaupt erst auf. Sie sind dann anschließend zumindest 5 1/2 Stunden (nach anderen Beobachtungen sogar bis zu 36 Stunden) lang noch vollständig wegdrückbar (Pohl, Handbuch der Naturwissenschaftlichen Kriminalistik, 1981, S. 366-369; Forster, Praxis der Rechtsmedizin, 1986, S. 18-21; Arbab-Zadeh/Prokop/ Reimann, Rechtsmedizin, 1977, S. 3 f.).

Auch im übrigen kann ausgeschlossen werden, daß der Notarzt bei einer Vernehmung in der Hauptverhandlung des Landgerichts Angaben hätte machen können, die über die Darlegungen in der verlesenen Vernehmungsniederschrift hinausgehen und durch die das Gericht bzw. ein medizinischer Sachverständiger den anhand von Zeugenaussagen festgestellten Todeszeitpunkt (etwa 16.45 Uhr) als unwahrscheinlich oder unmöglich beurteilt hätte. Insoweit folgt der Senat den in sich widerspruchsfreien und überzeugenden Ausführungen des vom Senat eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Eisenmenger. Demnach hätten auch weitergehende Angaben des Notarztes zur Ausprägung und Qualität der Totenflecken, zu ihrer Lage und zu dem bei ihrem "Wegdrücken" erforderlichen Druck keine genauere Schätzung des Todeszeitpunktes als "zwischen 16.15 und 19.45 Uhr" ermöglicht. Selbst für den erfahrenen Rechtsmediziner ist es schwer, aufgrund dieser Todeszeichen eine Einschätzung des Todeszeitpunktes vorzunehmen, die den Anspruch erhebt, auch nur auf wenige Stunden exakt zu sein. Die bei dieser Art der Todeszeitbestimmung gegebene "enorme Variationsbreite" beruht u.a. darauf , daß der untersuchende Arzt den mit seinen Fingern entfalteten Druck nicht exakt dosieren und wiedergeben kann. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Totenstarre. Die in dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll enthaltenen diesbezüglichen Angaben des Notarztes lassen einen Todeszeitpunkt zwischen 13.30 und 20.00 Uhr zu. Exaktere Schätzungen hätten sich auch nicht treffen lassen, wenn der Notarzt zusätzliche Angaben zur subjektiv empfundenen Graduierung der Starre oder zur Umgebungstemperatur gemacht hätte (vgl. zur großen Variationsbreite bei der Feststellung des Todeszeitpunktes anhand der Graduierung der Totenstarre Henßge/Madea, Methoden zur Bestimmung der Todeszeit an Leichen, 1988, S. 106 ff.). Eine zusätzliche Aussage des Notarz-
tes zu sogenannten supravitalen Reaktionen und Augenhintergrundveränderungen wäre u.a. wegen der subjektiv getönten Befunderhebung und der schwierigen meßtechnischen Erfassung der Kriterien zu einer genaueren Leichenaltersbestimmung ungeeignet (vgl. Henßge/Madea aaO. S. 23 ff., 126131 ).
2. Das Sektionsprotokoll des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Ulm konnte gemäß § 256 StPO verlesen werden. Institute für Gerichtsmedizin der Universitäten stellen Behörden im Sinne dieser Vorschrift dar (BGH NJW 1967, 299). Handelt es sich um ärztliche Befunde und ihre Begutachtung in dem Protokoll einer Leichenöffnung, so kommt unter Beachtung der Aufklärungspflicht eine Verlesung nach § 256 StPO in Betracht, wenn - wie hier - die beiden nach § 87 StPO erforderlichen Ä rzte der Behörde angehören und es unterzeichnet haben (Senge in KK 4. Aufl. § 87 Rdn. 7; Kleinknecht/MeyerGoßner 44. Aufl. § 87 Rdn. 16; HK-Lemke 2. Aufl. § 87 Rdn. 10; Neubeck in KMR 20. Lfg. 1999, § 87 Rdn. 15). Zweck des § 256 StPO ist die Verfahrensbeschleunigung und Vermeidung unnötiger Kosten; die Verlesung soll in Fällen zulässig sein, bei denen ohne Nachteil für die Wahrheitsermittlung auf eine unmittelbare Vernehmung des Verfassers verzichtet werden kann (Diemer in KK 4. Aufl. § 256 Rdn. 1). Eine besondere Verläßlichkeit des Sektionsprotokolls ist bereits durch die Mitwirkung zweier Ä rzte (§ 87 StPO) gewährleistet. Jedenfalls hinsichtlich der bloßen Befundmitteilung kommt hinzu, daß das kurz nach der Sektion angefertigte Protokoll regelmäßig zuverlässiger sein dürfte als die viel später erfolgenden mündlichen Ausführungen des Arztes in der Hauptverhandlung. Gegenstand der Rüge sind hier lediglich solche Befundtatsachen bzgl. Mageninhalt und Verdauungszustand, die der dazu gehörte Sachverständige Dr. Höhmer für die Berechnung des Todeszeitpunktes heran-
zog. Unschädlich ist daher auch der von der Revision angeführte Umstand, daß im Sektionsprotokoll (bzgl. des Gutachtenteils) von einem "vorläufigen Gutachten" unter Vorbehalt eines abschließenden Gutachtens die Rede ist.
Ein die Angaben der Obduzenten wiedergebendes richterliches Vernehmungsprotokoll , das nur unter den Voraussetzungen der §§ 251, 253 StPO verlesen werden könnte (vgl. Dahs in LR-StPO 24. Aufl. § 87 Rdn. 25; Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag 5. Aufl. Seite 257; Eb. Schmidt StPO § 87 Rdn. 6) liegt hier nicht vor, da die Leichenöffnung nicht nach § 87 Abs. 2 Satz 6 StPO im Beisein eines Richters stattfand.
3. Auch soweit die Revision mit der Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) geltend macht, die Strafkammer habe zur Ermittlung des Todeszeitpunktes einen weiteren medizinischen Sachverständigen anhören müssen, hat sie keinen Erfolg. Die Revision ist insoweit der Auffassung, der festgestellte Mageninhalt des Tatopfers weise auf eine Nahrungsaufnahme hin, die - anders als vom gehörten Sachverständigen dargelegt - allenfalls zwei Stunden vor dem Todeseintritt erfolgt sein könne. Der Sachverständige Dr. Höhmer habe als Landgerichtsarzt nicht die Sachkunde eines rechtsmedizinischen Sachverständigen. Gründe, allgemein an der Sachkunde des gehörten Sachverständigen Dr. Höhmer zu zweifeln, sind nicht ersichtlich, da er der Kammer seit vielen Jahren als Landgerichtsarzt aus zahlreichen Verfahren als "äußerst gründlicher und erfahrener Sachverständiger" bekannt war. Allein der Umstand, daß es sich bei dem Sachverständigen um einen Landgerichtsarzt handelt, bedeutet nicht, daß dieser keine gerichtsmedizinische Ausbildung hatte. Insoweit trägt auch die Revision nichts vor (vgl. BGH, Urt. vom 21.4.1998 - 1 StR 132/98). Anlaß zu Zweifeln an der Sachkunde eines Sachverständigen muß ein Tatge-
richt haben, wenn der Sachverständige von anerkannten wissenschaftlichen Kriterien abweicht (BGH, Beschluß vom 7.7.1999 - 1 StR 207/99 = NStZ 1999, 630, 631). Hierzu führt die Revision unter Bezugnahme auf medizinische Literatur an, der festgestellte Mageninhalt deute auf eine Nahrungsaufnahme maximal zwei Stunden vor Todeseintritt hin. Dies könnte mit dem verlesenen Sektionsprotokoll übereinstimmen, wonach die starke Füllung des Magens darauf hindeute, daß die letzte Mahlzeit "nicht lange" zurückgelegen habe. Die "großzügigeren" Angaben des angehörten Sachverständigen, die Streubreite für die beginnende Verdauung könne zwischen zwei und 14 Stunden betragen, führen jedoch nicht dazu, daß sich die Beauftragung eines - damals von der Verteidigung nicht beantragten - weiteren Sachverständigen dem Gericht hätte aufdrängen müssen. Während der Hauptverhandlung wurde - soweit ersichtlich - die Sachkunde des Sachverständigen nicht angezweifelt. Zum anderen werden auch in dem von der Revision angeführten Werk ArbabZadeh /Prokop/Reimann (aaO S. 16 f.; vgl. auch Henßge/Madea aaO Seite 221) in einer "Verdaulichkeitstabelle" lediglich als "Richtwerte" geltende Zeiten zwischen einer und 8 1/2 Stunden genannt und hinzugefügt, daß die Verweildauer der Nahrung im Magen auch bei gesunden Personen und sogar bei derselben Person verschieden und keine genaue Schätzung möglich sei.
4. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) im Zusammenhang mit der nicht erfolgten Vernehmung der in den Hilfsbeweisanträgen Nr. 1 bis 3 genannten Zeugen D. , S. und St. greift nicht durch.
Die Rüge ist unzulässig. Eine zulässige Aufklärungsrüge erfordert gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die Darlegung aller Umstände und Vorgänge, die für die Beurteilung der Frage, ob sich dem Gericht die vermißte Beweiser-
hebung aufdrängen mußte, bedeutsam sein konnten. Wird gerügt, daß das Gericht bestimmte Zeugen nicht vernommen hat, ist insbesondere der Inhalt etwaiger früherer Aussagen mitzuteilen (BGH NJW 2000, 370, 371 m.w.N.). Das hat die Revision unterlassen.
Die Rüge ist zudem unbegründet, weil nicht erkennbar ist, daß sich die Vernehmung der Zeugen dem Tatrichter aufdrängen mußte. Beim Zeugen D. ergibt sich aus seinen zwei polizeilichen Vernehmungen, daß er sich entgegen dem Vortrag der Revision erst über eine Stunde nach der festgestellten Tatzeit, nämlich ab 18.00 Uhr für 15 Minuten in der Nähe des Tatortes aufhielt. Daß er und die Zeugin S. , die etwa eine viertel Stunde nach dem festgestellten Tatzeitpunkt als Fahrgast eines Busses den Tatort passierte, auf dem Autohandelsplatz nichts Ungewöhnliches beobachtet haben, widerspricht den Feststellungen nicht, da die Leiche von außen kaum sichtbar auf dem Boden hinter dem Schreibtisch lag und das Büro - zumindest im Zeitpunkt der Tatentdekkung - verschlossen war. Daß die Zeugin St. bei ihrer polizeilichen Vernehmung angab, gegen 16.40 Uhr vor dem Büro einen Pkw mit laufendem Motor gesehen zu haben, führt nicht dazu, daß sich ihre Vernehmung in der Hauptverhandlung aufdrängen mußte. Der laufende Motor läßt darauf schließen, daß der Fahrer bald wieder wegfahren wollte. Die Täter trafen nach den Feststellungen erst einige Minuten später am Tatort ein und führten die Tat erst aus, nachdem sich alle dort anwesenden Kunden entfernt hatten.
5. Die Rüge, das Landgericht habe das Gebot des fairen Verfahrens verletzt, weil die Verteidiger nicht auf einen während der Hauptverhandlung zu
den Akten gelangten Brief des Mitangeklagten hingewiesen wurden, greift jedenfalls im Ergebnis nicht durch.
Dem Tatgericht, das während, aber außerhalb der Hauptverhandlung verfahrensbezogene Ermittlungen anstellt, erwächst aus dem Gebot der Verfahrensfairneß (Art. 6 MRK in Verbindung mit § 147 StPO) die Pflicht, dem Angeklagten , der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft durch eine entsprechende Unterrichtung Gelegenheit zu geben, sich Kenntnis von den Ergebnissen dieser Ermittlungen zu verschaffen. Der Pflicht zur Erteilung eines solchen Hinweises ist das Tatgericht auch dann nicht enthoben, wenn es die Ergebnisse der Ermittlungen selbst für nicht entscheidungserheblich erachtet; denn es muß den übrigen Verfahrensbeteiligten überlassen bleiben, selbst zu beurteilen , ob es sich um relevante Umstände handelt (BGHSt 36, 305, 308 ff.; vgl. auch BGH, Beschluß vom 17. November 1999 - 1 StR 290/99, insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2000, 216). Entsprechendes muß auch gelten, wenn während der Hauptverhandlung Urkunden oder andere Beweismittel, deren Erheblichkeit nicht ausgeschlossen ist, ohne Veranlassung durch das Gericht zu den Akten gelangen. Ansonsten wären die Verfahrensbeteiligten bei mehrmonatigen Hauptverhandlungen zu hunderten von Nachfragen gezwungen, die (auch) den gerichtlichen Geschäftsbetrieb unnötig belasten würden.
Hier kann jedoch ein Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensfehler (vgl. BGHSt 42, 71, 73) ausgeschlossen werden. Der fragliche Brief war ausweislich der eingeholten dienstlichen Ä ußerungen nicht Gegenstand der Beratung ; ihm wurde von den Tatrichtern keine Relevanz beigemessen. Ein "überlegenes Wissen" erwuchs der Strafkammer aus dem Schriftstück nicht. Der Brief ist eines von mehreren Schreiben des Mitangeklagten an den Vorsitzen-
den. Er enthält Ausführungen des Mitangeklagten über dessen persönliche Situation und seine Gefühle während der Hauptverhandlung sowie die Zusammenfassung von Zeugenaussagen; eine geschlossene Darstellung des Tatgeschehens enthält er dagegen nicht. Entgegen der Ansicht der Revision beinhaltet die kurze Passage über den angeblichen Tatbeteiligten Go. auch keinen Widerspruch zur Einlassung des Mitangeklagten, der für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung erheblich sein könnte. In der Hauptverhandlung berichtete der Mitangeklagte von dem geplanten Tatbeitrag des Go. , der nicht mit dem tatsächlichen Tatbeitrag, von dem in dem Brief die Rede ist, identisch sein muß. Für die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Mitangeklagten, deren zentrale Bedeutung offensichtlich war, enthält die angeführte Passage daher keine Anhaltspunkte, zumal die Strafkammer aufgrund rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Mitangeklagte den Go. lediglich "hinzuerfunden" hat.
Aus diesen Gründen ist auch nicht ersichtlich, daß die Verteidigung bei Kenntnis dieses Briefes weitere Verteidigungsbemühungen hatte entfalten können.
6. Die Aufklärungsrüge im Zusammenhang mit der nicht erfolgten Vernehmung des nach Osteuropa abgereisten Zeugen K. ist gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig. Die Aufklärungspflicht geht grundsätzlich nicht weiter als das Tatgericht gehalten ist, entsprechenden Beweisanträgen stattzugeben ; Gründe, die zur Ablehnung eines Beweisantrages berechtigen, lassen auch die Aufklärungspflicht entfallen (BGH NStZ 1991, 399, 400; Herdegen in KK-StPO 4. Aufl. § 244 Rdn. 22). Hier wäre die Ablehnung eines entsprechenden Beweisantrages wegen Unerreichbarkeit in Betracht gekommen. Ein
Zeuge, dessen Erscheinen nicht erzwungen werden kann, weil er sich im Ausland aufhält, muß zwar vor Annahme seiner Unerreichbarkeit in der Regel förmlich geladen werden. Auf die Ladung kann jedoch verzichtet werden, wenn sie zwecklos erscheint (BGH NStZ 1991, 143). Ob das hier der Fall war, kann nur beurteilt werden, wenn die diesbezüglichen Umstände und Bemühungen der Kammer vollständig dargelegt werden. Dies hat die Revision nicht getan. Sie verschweigt die im Hauptverhandlungsprotokoll vom 31. März 1999 enthaltene Mitteilung des Vorsitzenden, die in den Sachakten enthaltene Gesprächsnotiz vom 26. März 1999, das dortige Schreiben des Vorsitzenden an die Deutsche Botschaft in Kiew und die Übersetzung eines Telefongesprächs, die sämtlich die Erreichbarkeit des fraglichen Zeugen betreffen.
7. Die Rüge, die Beweiswürdigung im Zusammenhang mit dem Fasergutachten enthalte eine unzulässige Wertung der Einlassung des Angeklagten als ein ihn belastendes Teilschweigen, ist unbegründet. Insoweit führt die Strafkammer aus, daß die vom Angeklagten bei seiner Festnahme am Tag nach der Tat getragene Hose in dem beim Opfer gestohlenen Mercedes keine Faserspuren hinterlassen hat. Die anderen Hosen in der Wohnung des Angeklagten seien gewaschen gewesen. Der folgende, von der Revision angegriffene Satz lautet sodann: "Es steht daher, zumal sich der Angeklagte Gor. dazu ebenfalls nicht einläßt, nicht einmal fest, welche Hose er am Tattag getragen hat". Dieser Satz enthält keine Wertung des Teilschweigens zum Nachteil des Angeklagten, so daß dahingestellt bleiben kann, ob trotz der Bereitschaft des Angeklagten, Fragen des Gerichts schriftlich zu beantworten, ein Teilschweigen vorliegt (vgl. dazu BGH StV 1994, 521, 524, insoweit in BGHSt 40, 211 nicht abgedruckt; BGH NStZ 2000, 494).
8. Auch die weiteren Verfahrensrügen greifen aus den Gründen, die der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 24. Februar 2000 dargelegt hat, nicht durch.

III.


Die Sachrüge bleibt erfolglos, da die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
Schäfer Maul Nack Boetticher Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 604/05
vom
20. April 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. April
2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hagen vom 22. Juni 2005 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im Übrigen - wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

A.


2
1. Nach den der Verurteilung zu Grunde liegenden Feststellungen der Strafkammer besuchte der Angeklagte während eines Hafturlaubs seine Ehefrau , die ihm bereits vor Monaten mitgeteilt hatte, dass sie sich von ihm trennen wolle. Sie hielt trotzdem weiter Kontakt zu dem Angeklagten, obwohl sie sich inzwischen einem anderen Mann zugewandt, die gemeinsame Wohnung aufgegeben und eine neue Wohnung bezogen hatte. Beide verabredeten, eine Kirmes zu besuchen. Zuvor wollte die Ehefrau jedoch noch duschen und sich umziehen. Der Angeklagte nutzte diese Gelegenheit, sie in ihrer Wohnung zu bedrängen und unter Anwendung körperlicher Kraft u.a. den Geschlechtsverkehr mit ihr zu erzwingen.
3
2. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegte Tat bestritten und sich dahin eingelassen, dass es zwischen seiner Ehefrau und ihm zu einverständlichen sexuellen Handlungen gekommen sei. Die Strafkammer hat der Geschädigten geglaubt, die das Geschehen wie festgestellt geschildert hat.

B.


4
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
5
I. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
6
1. Die Aufklärungsrüge (Anhörung eines weiteren Sachverständigen, der bekundet hätte, dass auf Grund der - wie festgestellt - "massiven sexuellen Übergriffe" bei der Geschädigten hätten Verletzungen vorliegen müssen) ist unzulässig erhoben, weil das "schriftliche Gutachten" der gehörten Sachverständigen (RB S. IV – Bd. I Bl. 46 bis 53 d.A.: Ärztlicher Untersuchungsbericht) nicht vollständig mitgeteilt wurde. Die insoweit von der Revision in Bezug genommenen Urteilsstellen reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob sich das Landgericht hätte gedrängt sehen müssen, einen weiteren Sachverständigen anzuhören (vgl. dazu BGH NStZ 1999, 45; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 244 Rdn. 81).
7
2. Ohne Erfolg bleibt auch die Beanstandung, das Landgericht habe durch die Verlesung von Teilen der Ermittlungsakte betreffend den Zeugen Peter K. jun. gegen die §§ 250, 251 StPO verstoßen.
8
a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
9
Der Angeklagte hatte behauptet, die Geschädigte habe nicht nur ihn zu Unrecht belastet, sondern früher auch gegen ihren ehemaligen Freund Peter K. jun. unwahre Vorwürfe erhoben. So habe sie Peter K. jun. u.a. in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu Unrecht belastet.
10
Peter K. jun. wurde im Hauptverhandlungstermin vom 22. Juni 2005 als Zeuge gehört. Nach seiner Entlassung wurde die Geschädigte vernommen und "im Zuge (ihrer) Vernehmung ... wurden die Ermittlungsakten 200 Js 2384/01 erörtert" (Bd. II Bl. 247 d.A.). Weiter heißt es in der Sitzungsniederschrift : "Nach Anhörung und mit Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten auf Anordnung des Vorsitzenden: Die Beschuldigtenvernehmung des Peter K. vom 10.12.2001 Bl. 13-16 aus der Beiakte 200 Js 2384/01 soll verlesen werden, § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO.
Die Anordnung wurde ausgeführt."
11
Danach ordnete der Vorsitzende an, dass die Geschädigte unvereidigt bleibt. Sie wurde im allseitigen Einverständnis entlassen und die Beweisaufnahme wurde geschlossen.
12
Im Urteil ist ausgeführt, dass eine im Rahmen der Hauptverhandlung erfolgte Verlesung von Vernehmungsprotokollen aus der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hagen 22 [gemeint ist: 200] Js 2384/01 die Behauptung des Angeklagten, die Geschädigte habe Peter K. jun. in diesem Verfahren zu Un- recht belastet, nicht bestätigt, sondern widerlegt habe, “da alle wesentlichen Angaben der (Geschädigten) in diesem Verfahren von Peter K. jun. bestätigt worden (seien)“.
13
b) Die Revision macht geltend:
14
aa) Die Voraussetzungen der vom Landgericht herangezogenen Verlesungsvorschrift (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO) hätten nicht vorgelegen, weil nach dieser Bestimmung die Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung der Niederschrift über seine frühere richterliche Vernehmung nur ersetzt werden dürfe, wenn der Zeuge verstorben oder in Geisteskrankheit verfallen oder wenn sein Aufenthalt nicht zu ermitteln sei. Der Strafkammer sei aber die ladungsfähige Anschrift des zuvor vernommenen Zeugen K. jun. bekannt gewesen. Er hätte daher gemäß § 250 StPO erneut persönlich gehört werden müssen.
15
bb) Die ursprüngliche Fassung des Protokolls habe den Zusatz, "dass alle Prozessangehörigen zugestimmt haben sollen", nicht enthalten; die Sitzungsniederschrift sei vielmehr insoweit handschriftlich ergänzt worden. Eine Genehmigung dieser Protokollergänzung bzw. –berichtigung fehle. Eine Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten könne daher "nicht festgestellt" werden.
16
cc) Verlesbare Protokolle nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO seien nur richterliche Vernehmungsprotokolle. Verlesen worden sei aber eine polizeiliche Vernehmung des Zeugen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens.
17
dd) Die Verlesung sei nicht durch einen Gerichtsbeschluss, sondern auf Grund einer Anordnung des Vorsitzenden erfolgt. Der Beschluss müsse im Üb- rigen so genau begründet sein, dass eine rechtliche Nachprüfbarkeit möglich ist. Dies sei bei der Anordnung des Vorsitzenden nicht der Fall gewesen.
18
ee) Das Gericht hätte - trotz der Verlesung - im Rahmen seiner Aufklärungspflicht die Beweisperson persönlich hören müssen, und zwar selbst dann, “wenn die Prozessbeteiligten mit der Verlesung … einverstanden (waren) …, insbesondere wenn die Vernehmungsschrift ersichtlich ungenau oder unklar oder die Beweisperson das alleinige Beweismittel ist“. Hier habe die Strafkammer "trotz der kurzfristigen Kenntnis der Akte von einer eingehenden Prüfung und ggf. erneuten Ladung oder Vernehmung des bekannten Zeugen K. jun. abgesehen".
19
Das Urteil beruhe auf den Verfahrensfehlern, weil die fehlerhaft verlesene Beschuldigtenvernehmung zu Lasten des Angeklagten verwendet worden sei und “die erneute Vernehmung des Zeugen K. jun. den Inhalt der Beschuldigtenvernehmung bzw. deren Feststellungen aus dem Verfahren widerlegt hätte“.
20
c) Die Einwendungen der Revision greifen nicht durch:
21
aa) Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO beziehe sich nur auf frühere richterliche Vernehmungen, die zudem nur verlesen werden dürften, wenn der Zeuge verstorben oder in Geisteskrankheit verfallen oder wenn sein Aufenthalt nicht zu ermitteln ist (Rügen B I 2 b aa, cc), beruft er sich auf die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr aktuelle Gesetzeslage vor dem 1. September 2004. Durch Art. 3 Nr. 12 des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom 24. August 2004 (BGBl I 2198) wurde die Vorschrift mit Wirkung vom 1. September 2004 dahingehend neu gefasst, dass die Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung einer (auch polizeilichen) Niederschrift über eine Vernehmung ersetzt werden kann, wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind. Diese Voraussetzungen lagen hier vor.
22
bb) Die Rüge B I 2 b bb (eine Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten könne nach dem Protokoll "nicht festgestellt" werden) ist unzulässig; denn die Revision kann nicht auf einen möglichen Mangel des Protokolls – hier: dessen nicht genehmigte Berichtigung - gestützt werden (vgl. Meyer-Goßner aaO § 273 Rdn. 36, § 344 Rdn. 26 m.w.N.). Auf einem Fehler des Protokolls kann das Urteil nicht beruhen (BGHSt 7, 162, 163). Die Revision behauptet nicht, dass die Zustimmung nicht erteilt worden ist.
23
cc) Die Beanstandungen B I 2 b dd und ee (es sei kein begründeter Gerichtsbeschluss ergangen; die Aufklärungspflicht habe eine erneute Vernehmung des Zeugen geboten) haben ebenfalls keinen Erfolg:
24
Grundsätzlich begründet es allerdings die Revision, wenn der nach § 251 Abs. 4 StPO geforderte Gerichtsbeschluss nicht ergangen ist (vgl. BGH NStZ 1988, 283; 1993, 144). Der Beschluss dient der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten über den Grund der Verlesung und der eindeutigen Bestimmung des Umfangs der Verlesung. Bei Kollegialgerichten - wie hier – soll er zudem unter Beachtung der Aufklärungspflicht die Meinungsbildung des gesamten Gerichts, und nicht nur des Vorsitzenden, über das einzuschlagende Verfahren sicherstellen und insbesondere den Schöffen im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit den Ausnahmecharakter der Verlesung deutlich machen. Entscheidend ist insoweit, ob die (erneute) persönliche Vernehmung des Zeugen zur weiteren Aufklärung erforderlich ist oder ob die Verlesung der Niederschrift genügt (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 261).
25
Das Urteil kann auf dem nicht ergangenen Gerichtsbeschluss beruhen, wenn sich den Verfahrensbeteiligten der Grund der Verlesung nicht erschlossen hat und damit die der Anordnung der Verlesung zu Grunde liegenden Erwägungen rechtlich nicht überprüfbar sind (vgl. BGHR StPO § 251 Abs. 4 Gerichtsbeschluss 1, 3, 4; § 251 Abs. 4 S. 1 Anordnung 1) bzw. das Gericht die Verlesungsvoraussetzungen (im Gegensatz zum Vorsitzenden) möglicherweise verneint hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 1979 – 5 StR 531/79).
26
(1) Soweit die Unterrichtungs- und Überprüfungsfunktion des § 251 Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO betroffen ist, beruht das Urteil ersichtlich nicht auf dem fehlenden Beschluss; denn der Grund und der Umfang der Verlesung waren klar – nämlich die Einführung der Beschuldigtenvernehmung des Zeugen K. jun. in dem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung mit allgemeinem Einverständnis (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Ob es (daneben) geboten war, den Vernehmungsbeamten und/oder den damaligen Beschuldigten K. jun. dazu als Zeugen zu hören, war eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht (vgl. dazu BGH NStZ 1988, 283; BGHR StPO § 251 Abs. 4 Gerichtsbeschluss

4).


27
(2) Zur Prüfung der Frage, ob ein Beruhen des Urteils auf dem fehlenden Gerichtsbeschluss nicht auszuschließen ist, weil das Gericht unter Beachtung von Aufklärungsgesichtspunkten anders entschieden hätte als der Vorsitzende allein – es insbesondere statt der Verlesung der Beschuldigtenvernehmung den Zeugen K. jun. (nochmals) gehört hätte, ist die Kenntnis des Inhalts der verlesenen Niederschrift sowie der vorangegangenen Aussage des Zeugen K. jun. erforderlich; denn daraus kann sich ohne weiteres erschließen , dass die (nochmalige) Vernehmung des Zeugen fern lag. Da die Revision den Wortlaut oder zumindest den wesentlichen Inhalt der verlesenen Niederschrift und den Inhalt der Zeugenaussage nicht mitteilt, kann der Senat die Beruhensfrage nicht prüfen. Das gilt auch, wenn die Rüge in eine Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) umgedeutet würde. Die Rüge ist insoweit nicht zulässig erhoben (vgl. BGH NStZ 1998, 369 [zu § 338 Nr. 8 StPO], Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 251 Rdn. 103).
28
II. Auch die Sachrüge bleibt erfolglos.
29
Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch und den Strafausspruch.
30
Soweit die Revision geltend macht, die Beweiswürdigung sei widersprüchlich , "zu pauschal" und lückenhaft, setzt sie ihre eigenen Wertungen an die Stelle der Würdigung durch den Tatrichter. Damit kann sie im Revisionsverfahren nicht gehört werden. Entsprechendes gilt für die vom Beschwerdeführer erhobenen Beanstandungen zur Strafzumessung. Das Landgericht musste nicht sämtliche Strafzumessungsgründe, sondern nur die für die Strafe bestimmenden Umstände angeben (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); das hat es getan. Dass es im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen zu Lasten des Angeklagten gewertet habe, er habe bereits vor oder bei Betreten der Wohnung der Geschädigten einen Vergewaltigungsvorsatz gehabt, ist dem Urteil - entgegen der Auffassung der Revision - nicht zu entnehmen. In den Strafzumessungsgründen ist lediglich zu Lasten des Angeklagten gewertet worden, dass er die Tat während einer Strafhaft begangen und er das Vertrauen des Tatopfers, das ihn arglos in die Wohnung mitgenommen hatte, grob missbraucht und für sich ausgenutzt hat. Das entspricht den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Ernemann

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.