Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2004 - 4 StR 539/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt; ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt, daß dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Jahren keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen
Rechts rügt. Das Urteil hat zum Maßregelausspruch nach § 63 StGB Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und zum Strafausspruch sowie zum Maßregelausspruch nach § 69 a StGB keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 8. Dezember 2003.
2. Dagegen hält der Maßregelausspruch über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Diese - unbefristete und für den Betroffenen schon deshalb in besonderem Maße belastende – Maßregelanordnung setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385 f.), ferner, daß der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begangen hat, die mit diesem Defekt in einem kausalen, symptomatischen Zusammenhang steht. Daß diese Voraussetzungen gegeben sind, ist im angefochtenen Urteil nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
a) Das Landgericht hat sich zur Schuldfähigkeit des Angeklagten den Ausführungen des gehörten psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. L. angeschlossen, der bei dem Angeklagten ein "polyvalentes Verwahrlosungssyndrom mit langjähriger Heroinsucht" diagnostiziert und die Auffassung vertreten hat, aufgrund dieser von ihm als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB qualifizierten Persönlichkeitsstörung sei „eine erhebli-
che Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit beim Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeiten festzustellen". Zur Begründung ist dazu u.a. ausgeführt:
"Dieses Erscheinungsbild einer Persönlichkeitsstörung sei auf schwere frühkindliche Milieuschäden zurückzuführen. Im Rahmen dieser Persönlichkeitsstörung bestehe bei dem Angeklagten eine Unfähigkeit zu einer normalen Beziehung, die sich in fehlender gemütsmäßiger Stetigkeit, Alles-oder-NichtsDenken und mangelnder echter Einfühlung in die Erfordernisse einer Partnerschaft manifestiere. Der vor dem Hintergrund dieser Situation bestehende Beziehungskonflikt mit der Nebenklägerin habe dazu geführt, daß die Bindung an die Geschädigte bei dem Angeklagten sich im Sinne einer fixen Idee entwickelte. Die Überwertigkeit dieser Idee habe auf das gesamte Verhalten des Angeklagten einen determinierenden Einfluß gehabt." (UA 19)
b) Diese Ausführungen der Strafkammer zur Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und zu der das Gutachten des Sachverständigen tragenden fachlichen Begründung sind so allgemein gehalten, daß sich nicht zuverlässig beurteilen läßt, ob die festgestellte Störung den vom Landgericht mit dem Sachverständigen angenommenen Schweregrad erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) erreicht. So bleibt schon offen, ob das im Urteil als schwere seelische Abartigkeit gewertete "polyvalente Verwahrlosungssyndrom" überhaupt einer in psychiatrischen Fachkreisen allgemein anerkannten Kategorie psychischer Störungen entspricht. Jedenfalls aber bedurfte es bei der so beschriebenen Persönlichkeitsstörung einer erkennbaren Abgrenzung gegenüber solchen Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich noch innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen und Ursache für strafbares Tun sein können, ohne daß sie die Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB "erheblich" - eine vom Richter ohne Bindung an die Auffassung des Sachverständigen
zu beantwortende Rechtsfrage (BGHSt 43, 66, 77) - berühren (BGHSt 42, 385, 387; BGH StV 1997, 630; NStZ-RR 2003, 165 f.). Dazu bedarf es einer Gesamtschau , ob die nicht pathologisch bestimmten Störungen in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen entsprechen und Symptome aufweisen, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 28; 37, 397, 401; speziell zur Schuldfähigkeitsbeurteilung bei „Verwahrlosungstendenzen“ , „dissozialer Entwicklung“ und „Polytoxikomanie“ vgl. Senatsbeschluß vom 20. Dezember 2001 - 4 StR 540/01; ferner BGH NStZ-RR 2000, 298). Daran fehlt es.
c) Eine nähere Erörterung war insoweit auch nicht mit Blick auf die Annahme des Sachverständigen entbehrlich, bei dem Angeklagten habe sich die Bindung an die Geschädigte im Sinne einer "fixen Idee" entwickelt, deren "Überwertigkeit" auf das gesamte Verhalten des Angeklagten einen determinierenden Einfluß gehabt habe (UA 19). Denn auch die Feststellung einer "fixen" oder "überwertigen" Idee sagt noch nichts über die rechtliche "Erheblichkeit" eines solchen Zustandes, der fließende Übergänge von einer unterhalb der forensischen Erheblichkeitsschwelle liegenden seelischen Störung bis hin zu einer expansiv paranoischen Entwicklung aufweisen kann (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 25). Eine eingehende Auseinandersetzung mit dieser Frage drängte sich hier zumal deshalb auf, weil die Taten, soweit sie sich gegen die Nebenklägerin und deren jetzigen Ehemann richteten, sich auch normal-psychologisch aus Enttäuschung des Angeklagten über die gescheiterte Liebesbeziehung zu der Nebenklägerin erklären lassen (vgl. zur Schuldfähigkeitsbeurteilung in solchen Fällen vgl. BGH NStZ 1998, 296 m. Anm. Winckler/Foerster; Senatsbeschluß vom 25. September 2003 - 4 StR 316/03).
Dies hat auch das Landgericht letztlich nicht verkannt, denn im Rahmen der Strafzumessung wertet es allgemein strafmildernd, daß der Angeklagte sämtliche Taten "aus einer nicht völlig unverständlich erscheinenden Motivation" und "aus einer momentanen Erregung heraus" begangen habe (UA 23/24). Damit ist aber die Annahme, die Taten seien symptomatischer Ausdruck einer überdauernden , in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen vergleichbaren schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung mit einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang zur Tatbegehung, wie sie die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetzt (BGHSt 42, 385, 388), nicht ohne weiteres vereinbar.
3. Über den Maßregelausspruch ist deshalb - tunlichst unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen - umfassend neu zu befinden. Der Senat hebt deshalb auch die „zugehörigen“ Feststellungen auf. Mit aufgehoben sind damit auch die auf die bisherige psychiatrische Begutachtung gestützten tatsächlichen Feststellungen zum Zustand des Angeklagten, die der Schuldfähigkeitsbeurteilung durch das Landgericht zugrunde liegen. Der Schuld- und der Strafausspruch des angefochtenen Urteils bleiben hiervon jedoch unberührt. Denn eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit scheidet hier nach
Lage der Dinge von vornherein aus; durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB ist der Angeklagte bei der Strafzumessung nicht beschwert.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible
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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.