Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2003 - 4 StR 316/03

bei uns veröffentlicht am25.09.2003

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 316/03
vom
25. September 2003
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. September 2003 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 28. April 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen einer im Zustand der zumindest verminderten Schuldfähigkeit begangenen Körperverletzung und Bedrohung (§§ 223 Abs. 1, 241 Abs.1, 52, 21 StGB) angeordnet. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer suchte der seit einigen Monaten depressiv gestimmte Beschuldigte aufgrund eines tags zuvor gefaßten Tatplans seine Bekannte J. auf, um sie mit einem Beil zu töten, da er sich in sie verliebt hatte und sie, die seine Gefühle nicht erwiderte, „in wahnhafter Verkennung der Realität für seinen Zustand verantwortlich machte“ (UA 6). Nachdem er sie mit den Worten „Na du Schlampe, hast du Lust zu sterben?“ angesprochen und ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte,
ging er mit erhobenem Beil auf sie zu, woraufhin sie in Todesangst flüchtete. Der Beschuldigte folgte ihr noch kurz, gab jedoch sein Vorhaben auf, da er dies „doch nicht übers Herz bracht(e)“ (UA 9).
Das Landgericht ist – sachverständig beraten – davon ausgegangen, daß beim Beschuldigten eine überdauernde Persönlichkeitsstörung vom schizoid -antisozialen Typ als schwere andere seelische Abartigkeit und zudem im Tatzeitraum eine hierauf gründende wahnhaft-depressive Psychose (UA 14) in der Form eines „sensitiven Beziehungswahns“ (UA 12) als krankhafte seelische Störung bestand. Davon ausgehend, hat die Strafkammer – auch darin dem Sachverständigen folgend – gemeint, daß durch das Zusammenwirken beider geistig-seelischen Störungen „die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten in das Unrecht seines Handelns möglicherweise aufgehoben“, zumindest aber erheblich vermindert gewesen sei (UA 13, ebenso UA 8).
2. Damit sind die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB unbeschadet der Gefährlichkeitsprognose durch das Landgericht nicht hinreichend belegt. Die Anordnung nach § 63 StGB setzt die positive Feststellung eines länger andauernden geistig-seelischen Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.). Davon ist das Landgericht zwar ausgegangen. Es hat jedoch nicht bedacht, daß nach ständiger Rechtsprechung eine lediglich verminderte Einsichtsfähigkeit strafrechtlich erst dann von Bedeutung ist, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. nur BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 21 Rdn. 3 m.w.N.). Der Täter, der trotz generell verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in
das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist – sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert ist – voll schuldfähig (BGHSt 21, 27, 28; 34, 22, 25 f.). Fehlt dagegen bei der Tat die Unrechtseinsicht infolge generell verminderter Einsichtsfähigkeit, so ist für § 21 StGB nur Raum, wenn dies dem Täter vorzuwerfen ist; ohne Schuld (§ 20 StGB) handelt der Täter unter diesen Umständen nur dann, wenn ihm das Fehlen der Unrechtseinsicht nicht vorzuwerfen ist (st. Rspr.; BGHSt 40, 341, 349; 42, 385, 389; BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 2, 3; § 21 Einsichtsfähigkeit 1 bis 5; § 63 Tat 4). Hiermit hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Ob hiernach die Strafkammer die Anwendung des § 21 StGB zu Recht bejaht hat, kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden, weil sich das Urteil nur zur Einsichts-, nicht aber auch zur Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten verhält. Der Senat vermag dem Urteil auch nicht zu entnehmen, daß sich das Landgericht lediglich im Ausdruck vergriffen und die Steuerungsfähigkeit als zumindest erheblich vermindert angesehen hat. Dagegen spricht nicht nur die wiederholte Bezugnahme auf die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht, sondern auch der Zusammenhang mit der vom Landgericht mit dem Sachverständigen in den Vordergrund gestellten Wahnproblematik , die in erster Linie die Einsichtsfähigkeit berührt, während das Landgericht die vor allem die Steuerungsfähigkeit berührende alkoholische Beeinträchtigung beim Beschuldigten gerade als „nicht ... wesentlich“ (UA 13) angesehen hat.
Eine nicht ausschließbar lediglich erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit bei der Tat genügt aber – wie dargelegt – für die sichere Annahme von § 21 StGB nicht und ebensowenig für eine Anordnung nach § 63 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 207). Anders verhielte es sich, wenn sich das Landgericht
von einem vollständigen Fehlen der Unrechtseinsicht überzeugt hätte. Das ist indes entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht der Fall. Gegen eine fehlende Unrechtseinsicht bei der Tat sprechen hier zudem auch die Umstände, die das Landgericht zutreffend als freiwilligen Rücktritt vom Totschlagsversuch gewertet hat. Über die Maßregelanordnung ist deshalb neu zu entscheiden.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß die Schuldfähigkeitsbeurteilung durch den neuen Tatrichter – tunlichst unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen – eingehenderer Prüfung als bisher bedarf. Insbesondere wird sich der neue Tatrichter um eine eindeutige Zuordnung des Zustands des Beschuldigten zu den Eingangsmerkmalen des § 20 StGB zu bemühen haben. Eine nähere Darlegung war hier schon deshalb geboten, weil depressive wie auch wahnhafte Elemente einer Persönlichkeitsstörung anhaften können, ohne zugleich eine krankhafte seelische Störung i.S.d. §§ 20, 21 StGB zu begründen (vgl. BGHR § 20 Seelische Abartigkeit 2 und 3 m.w.N. und mit Anm. Winckler/Foerster NStZ 1998, 297 und Blau JR 1998, 207; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 38 f.; ferner aus psychiatrischer Sicht: Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl., S. 122; Venzlaff in Venzlaff /Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl., S. 116 f., 128 f., 130). Zudem sind die Grundlagen für die Annahme einer rechtlich erheblichen tatauslösenden Wahnstörung beim Beschuldigten (vgl. zum Liebes- oder sensitiven Beziehungswahn Marneros MschrKrim 1997, 300 ff. und Tölle, Psychiatrie, 11. Aufl., S. 172 f., 180, 182 f.) nicht ausreichend dargetan. Insoweit ist insbesondere nicht ersichtlich, inwieweit das objektive Verhalten der Geschädigten vom Beschuldigten im Rahmen ihrer Beziehung falsch wahrgenommen wurde. Vielmehr empfand er ihre – richtig erkannte – Ablehnung als „Demütigung“ und
ungerechtfertigte Behandlung und machte sie daher für seinen unglücklichen Zustand verantwortlich (UA 6). Hinsichtlich der von der Strafkammer weiter angenommenen Persönlichkeitsstörung vom schizoid-antisozialen Typ bedarf es einer erkennbaren Abgrenzung gegenüber solchen Eigenschaften und Verhaltensweisen , die sich noch innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen und Ursache für strafbares Tun sein können, ohne daß sie die Schuldfähigkeit „erheblich“ im Sinne des § 21 StGB berühren (vgl. BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB § 21 Psychose 1, Seelische Abartigkeit 25, 35, 36; § 63 Zustand 26, 29, 34; BGH, Beschl. v. 20. Mai 2003 – 4 StR 174/03). Sofern die neue Hauptverhandlung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 StGB nicht schon – wie bisher angenommen – allein aufgrund einer überdauernden geistig-seelischen Störung des Beschuldigten ergibt, wird der neue Tatrichter die Frage einer Maßregelanordnung (§§ 63, 64 StGB) schließlich auch mit Blick auf die nicht unerhebliche Alkoholisierung des Beschuldigten zur Tatzeit und seinen mehrjährigen, bereits früher mit Körperverletzungsdelikten in Verbindung stehenden Alkoholmißbrauch zu prüfen haben (vgl. BGHSt 44, 338 ff.; 369 ff.; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 18, Konkurrenzen 1, Tat 5; § 64 Zusammenhang , symptomatischer 1, 2; § 21 Blutalkoholkonzentration 27; BGH NStZ-RR 1997, 231 f.; BGH, Beschl. v. 16. Juli 2002 – 4 StR 179/02).
Maatz Kuckein Athing Ernemann Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible ist urlaubsbedingt verhindert zu unterschreiben. Maatz

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Mai 2003 - 4 StR 174/03

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 174/03 vom 20. Mai 2003 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. Mai 2003 gemäß § 349 Abs. 2 und
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Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2012 - 4 StR 494/12

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 494/12 vom 19. Dezember 2012 in der Strafsache gegen wegen Raubes u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2012 gemäß § 349

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2004 - 4 StR 539/03

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 539/03 vom 8. Januar 2004 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Januar 2004 gemäß § 3

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(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 174/03
vom
20. Mai 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. Mai 2003 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 1. November 2002 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Maßregelausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 17. April 2003.
2. Dagegen hat der Maßregelausspruch keinen Bestand. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) kommt nur bei solchen Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen positiv festgestellten länger bestehenden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen ist (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 27). Daß bei dem Angeklagten ein solcher Zustand vorliegt, ist nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.

a) Der vom Landgericht hinzugezogene psychiatrische Sachverständige hat ausgeführt, dem Angeklagten sei eine "emotionale instabile Persönlichkeitsstörung" im Sinne F 60.30 der ICD-10 (impulsiver Typus) zu "attestieren", wobei bei ihm auch Elemente des "Borderline-Typus" vorlägen. Daneben sei eine "dissoziale Persönlichkeitsstörung" im Sinne F 60.2 der ICD-10 zu diagnostizieren (UA 39/40). Das Landgericht hat die Ausführungen des Sachverständigen "für überzeugend gehalten und diese nach kritischer Würdigung für sich übernommen.“ Es hat die Schuldfähigkeit des Angeklagten trotz dieser Störungen, die nach seiner Auffassung das Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 erfüllen, mit - insoweit rechtsfehlerfreien Erwägungen – bejaht und ausgeführt, "gleichwohl“ gehe „die Kammer von dem Vorliegen einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB des Angeklagten zum Tatzeitpunkt aus" (UA 41).

b) Der Senat stellt die Diagnose einer Borderline- und dissozialen Per- sönlichkeitsstörung durch den Sachverständigen nicht in Frage. Diese Diagnose belegt aber für sich allein den für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB vorausgesetzten Zustand zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit noch nicht (BGHSt 42, 385, 388; BGH NStZ 2002, 142). Die mitgeteilten Persönlichkeitsmerkmale reichen für die sichere Feststellung einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht aus. Die bei dem Angeklagten festgestellten Charakter- und Verhaltensauffälligkeiten liegen bei Straftätern häufig vor und lassen für sich genommen eine generalisierende Aussage zur Frage der Schuldfähigkeit nicht zu. Die von dem Sachverständigen beschriebenen Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des Angeklagten sind deshalb von Eigenschaften und Verhaltensweisen abzugrenzen, die sich noch innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen und Ursache für strafbares Tun sein können, ohne daß sie die Schuldfähigkeit "erheblich" im Sinne des § 21 StGB berühren (BGHSt 42, 385, 388; BGH StV 1997, 630). In einer Gesamtschau muß der Tatrichter ohne Bindung an die Auffassung des Sachverständigen (BGHSt 43, 66, 77) klären, ob die nicht pathologisch bestimmten Störungen in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen entsprechen und Symptome aufweisen, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 28; 37, 397, 401). Daran fehlt es.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten begegnet schließlich auch deshalb durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht, obwohl nicht aufzuklären war, was den Angeklagten veranlaßt hat, das Tatopfer in dessen Wohnung aufzusuchen, zu seinen Gunsten von einem auf seiner Perönlichkeitsstörung beruhenden Impulsdurchbruch ausgegangen ist. Diese
Anwendung des Zweifelsgrundsatzes ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden, soweit sie zur Milderung des Strafrahmens wegen einer erheblichen Verminde- rung der Schuldfähigkeit nach §§ 21, 49 StGB geführt hat. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB wirkt sie sich aber zu Ungunsten des Angeklagten aus. Insoweit hätte sich das Landgericht deshalb in Anwendung Zweifelsgrundsatzes mit der nach seiner Auffassung naheliegenden Möglichkeit auseinandersetzen müssen, daß der Angeklagte aus einem rational nachvollziehbaren Motiv handelte, nämlich um sich von dem Tatopfer, das ihm bereits mehrfach Geldbeträge zugewendet hatte, Geld zu beschaffen (UA 30), und deshalb bei Begehung der Tat möglicherweise voll schuldfähig war.
Die Sache bedarf daher, soweit es die Frage der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB betrifft, neuer Verhandlung und Entscheidung.
RiBGH Maatz ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Tepperwien Tepperwien Athing
RiBGH Dr. Ernemann ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Tepperwien

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.