Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 528/19
vom
24. Oktober 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2019:241019B4STR528.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 13. Juni 2019 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Bielefeld verwiesen

Gründe:


1
Das Landgericht Detmold hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil vom 5. September 2018 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat durch Beschluss vom 16. Januar 2019 das Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen, weil das Landgericht die Voraussetzungen des minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 1. Alternative StGB nicht rechtsfehlerfrei verneint hatte. Das Landgericht hat nunmehr die Voraussetzungen des § 213 1. Alternative StGB bejaht und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Die Begründung, mit der das Landgericht eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB verneint hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
Es stellt einen sachlich-rechtlichen Mangel dar, wenn das Tatgericht, welches nach der Aufhebung eines früheren Urteils mit den Feststellungen zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufen ist, seinem Urteil nicht nur eigene , sondern auch aufgehobene Feststellungen zugrunde legt (BGH, Beschlüsse vom 22. August 2018 – 3 StR 128/18, NStZ-RR 2018, 382 [Ls]; vom 29. Mai 2012 – 3 StR 156/12, wistra 2012, 356; vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07, BGHR StPO § 353 Abs. 2 Tenorierung 1; vom 15. März 1988 – 5 StR 87/88, NStZ 1988, 309). Ein solcher Rechtsfehler ist hier zu besorgen. Bei der Prüfung einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit infolge einer alkoholischen Intoxikation lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, dass das Landgericht eine eigene Beweiserhebung zu den vom Sachverständigen verwerteten Zusatztatsachen vorgenommen hat.
4
a) Bei den Tatsachen, auf denen ein Sachverständiger sein Gutachten aufbaut, den „Anknüpfungstatsachen“, sind zwei Gruppen zu unterscheiden: solche, die nur er auf Grund seiner Sachkunde erkennen kann, und solche, die auch das Gericht mit den ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnis- und Beweismitteln feststellen könnte. Die zur ersten Gruppe gehörenden Tatsachen, z.B. die von einem medizinischen Sachverständigen auf Grund ärztlicher Untersuchung oder ärztlicher Eingriffe gemachten Feststellungen, die sogenannten Befundtatsachen, können durch die gutachtlichen Ausführungen des Sachver- ständigen in die Hauptverhandlung eingeführt und vom Gericht verwertet werden (BGH, Urteil vom 7. Juni 1956 – 3 StR 136/56, BGHSt 9, 292). Wenn aber der Gutachter bei seiner Untersuchung außerdem erhebliche, z.B. das Tatgeschehen betreffende Tatsachen dadurch erfährt, dass er eine Auskunftsperson befragt oder der Vernehmung von Zeugen beiwohnt, so tut er dies nicht auf Grund einer fachkundigen Untersuchung, sondern mit Mitteln, deren sich auch das nicht fachkundige Gericht bedienen kann. Diese letzteren vom Sachverständigen ermittelten Tatsachen (Zusatztatsachen) müssen in zulässiger Weise in die Hauptverhandlung eingeführt werden, etwa durch Vernehmung des Gutachters und (oder) der von ihm Angehörten als Zeugen (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juni 1956 – 3 StR 136/56, BGHSt 9, 292; vom 13. Februar 1959 – 4 StR 470/58, BGHSt 13, 1; vom 26. Oktober 1962 – 4 StR 318/62, BGHSt 18, 107, 108), sofern es für das Gutachten oder aus anderen Gründen auf derartige Tatsachen ankommt. Sind die vom Sachverständigen – nicht auf Grund seiner besonderen Sachkunde – ermittelten Tatsachen offenkundig oder hat sich das Gericht anderweitig von ihrer Richtigkeit überzeugt, so kann der Sachverständige in seinem Gutachten von ihnen ausgehen.
5
b) Das Landgericht hat, dem Sachverständigen Dr. H. folgend, eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt aufgrund alkoholischer Intoxikation verneint. Der Sachverständige hat sich bei seiner Bewertung des Zustands des Angeklagten einerseits auf das Tatgeschehen gestützt, andererseits aber auf die Angaben von zwei Zeugen, die den Angeklagten in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Tatzeitpunkt getroffen und keinerlei Auffälligkeiten an ihm bemerkt haben, und von drei weiteren Zeugen , mit denen der Angeklagte nach der Tat über die Getötete gesprochen hat. Dem angefochtenen Urteil lässt sich nicht entnehmen, wie das Gericht die von den Zeugen bekundeten Zusatztatsachen in die Hauptverhandlung eingeführt bzw. sich von der Richtigkeit der vom Sachverständigen verwerteten Zusatztatsachen überzeugt hat. Das Urteil enthält keine ausdrückliche Beweiswürdigung. Es ist weder erkennbar, dass die Strafkammer die benannten Zeugen vernommen hat, noch dass sie den Gutachter insoweit als Zeugen über die früheren Aussagen gehört hat. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft die aufgehobenen Feststellungen des Urteils vom 5. September 2018 zum Nachtatgeschehen für bindend gehalten hat. Hierfür könnte sprechen , dass sie die Feststellungen dieses Urteils in kursiver Schrift in Anführungszeichen von „1. Vorgeschichte“ bis „6. Das Nachtatgeschehen“ wiedergegeben hat. Hebt aber das Revisionsgericht ein Urteil im Strafausspruch mit den Feststellungen auf, bleiben nur die Feststellungen bestehen, in denen die gesetzlichen Merkmale der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftat gefunden worden sind, und solche Bestandteile der Sachverhaltsschilderung, aus denen der frühere Tatrichter im Rahmen der Beweiswürdigung seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten abgeleitet hat und die das Tatgeschehen im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs näher beschreiben, zum Beispiel die Umstände schildern , die der Tatausführung das entscheidende Gepräge gegeben haben. Hierzu gehört das im Urteil vom 5. September 2018 festgestellte Nachtatgeschehen nicht.
6
2. Der Senat kann ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausschließen. Der Sachverständige hat sich zwar auch auf das Tatgeschehen als solches gestützt, das gegen nennenswerte motorische Einschränkungen des Angeklagten spreche. Insbesondere zur Verneinung einer alkoholbedingten affektiven Beeinträchtigung und einer hirnorganischen Beeinträchtigung hat er jedoch ausdrücklich (nochmals) auf das geordnete Nachtatverhalten verwiesen.
7
Ebenso wenig kann der Senat ausschließen, dass die an sich nicht unangemessene Strafe auf der rechtsfehlerhaften Verneinung einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit beruht.

8
3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 StPO Gebrauch und verweist die Sache an ein anderes Landgericht.
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin
Feilcke Bartel

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

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bei uns veröffentlicht am 29.05.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 156/12 vom 29. Mai 2012 in der Strafsache gegen wegen Betruges u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 29. Mai 2012 gemäß § 349 Abs. 4

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 128/18
vom
22. August 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2018:220818B3STR128.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 22. August 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 29. November 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Hildesheim zurückverwiesen.

Gründe:


1
Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts vom 19. Oktober 2015 von dem Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen worden. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers hatte der Senat dieses Urteil insoweit mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben (3 StR 124/16). Das Landgericht hatte eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung nicht rechtsfehlerfrei verneint, weil es sich bei der rechtlichen Würdigung in Widerspruch zu seinen Feststellungen gesetzt hatte.
2
Danach hatte der Angeklagte die Mitangeklagten K. , L. und O. W. begleitet, als sie ein Geschäft aufsuchten, in dem sie den Bruder des Nebenklägers, A. , vermuteten. Sie wollten A. wegen eines früheren Vorfalls "zur Rede zu stellen", bei dem er K. W. erhebliche körperliche Verletzungen zugefügt hatte. Nachdem sie M. A. nicht angetroffen hatten, entwickelte sich vor dem Geschäft ein heftiger Streit zwischen den Angeklagten und dem Nebenkläger. In dessen Verlauf gab L. W. schließlich mit einer Pistole einen Schuss auf den Nebenkläger ab. Der Nebenkläger wurde am linken Unterarm getroffen und lief durch den Windfang in die Geschäftsräume. Daraufhin nahm K. W. seinem Bruder die Waffe aus der Hand. Er folgte dem Nebenkläger in das Geschäft und schoss seinerseits mehrfach auf ihn, wodurch der Nebenkläger unter anderem einen Bauchschuss erlitt. Bereits während K. W. das erste Mal auf den Nebenkläger anlegte , betrat der Angeklagte den Windfang, drückte die sich schließende gläserne Zwischentür auf und hielt sie mit der rechten Hand offen, "um K. W. den schnellen Rückzug aus dem Geschäft zu ermöglichen und ihm während der Abgabe der Schüsse beizustehen". Nachdem auch L. W. die Geschäftsräume betreten und K. W. zugerufen hatte, dass es reiche , hörte dieser auf, weiter auf den Nebenkläger zu schießen.
3
Im Widerspruch zu diesen Feststellungen hatte das Landgericht im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung ausgeführt, dass der Angeklagte durch das Aufhalten der Zwischentür zwar objektiv Beihilfe zu der von K. W. begangenen gefährlichen Körperverletzung geleistet habe, weil er ihn dadurch psychisch unterstützt habe. Auf den erforderlichen doppelten Gehilfenvorsatz könne allein aus den äußeren Umständen aber nicht geschlossen werden, weil der Angeklagte sich dahin eingelassen habe, dass er über das Vorgehen von K. W. schockiert gewesen und wie angewurzelt stehen geblieben sei; diese Einlassung habe nicht widerlegt werden können.
4
Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten wegen Beihilfe zur Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt ; außerdem hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat sowohl mit der Verfahrensrüge als auch mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
5
1. Mit der Verfahrensrüge beanstandet der Angeklagte, dass die Strafkammer ihre Überzeugung nicht "aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung" und unter Verstoß gegen § 353 Abs. 2 StPO geschöpft habe. Dem liegt Folgendes zugrunde:
6
In der Hauptverhandlung wurde nach der Verlesung des Anklagesatzes das Urteil des Landgerichts vom 19. Oktober 2015 auszugsweise verlesen. Gegenstand der Verlesung waren insbesondere die zur Person des Angeklagten und die zur Sache getroffenen Feststellungen. Anschließend wurde die Entscheidung des Senats, durch die das Urteil vom 19. Oktober 2015 hinsichtlich des Angeklagten mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben worden war, ebenfalls auszugsweise verlesen. Sodann ließ sich der Angeklagte durch eine von seinem Verteidiger vorgelesene schriftliche Erklärung zur Sache ein, bevor das Gericht in die Beweisaufnahme eintrat. Zu Beweiszwecken wurde das Urteil vom 19. Oktober 2015 weder verlesen noch auf anderem Wege in die Beweisaufnahme eingeführt.
7
In den Urteilsgründen hat die Strafkammer unter II. die dem Urteil vom 19. Oktober 2015 zugrunde liegenden Feststellungen zur Sache vollständig wiedergegeben und sodann unter III. "weitere" Feststellungen getroffen. Diese betreffen in erster Linie das Tatgeschehen als solches und entsprechen im Wesentlichen denjenigen, die insoweit im ersten Rechtsgang getroffen worden waren. Außerdem hat das Landgericht Feststellungen zu den Folgen der Tat getroffen , unter denen der Nebenkläger aktuell noch leidet.
8
a) Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer nicht ausdrücklich einen Verstoß gegen § 261 StPO gerügt hat. Dem Revisionsvorbringen lässt sich unschwer entnehmen, dass er diese Vorschrift als verletzt ansieht.
9
b) Die Rüge ist auch begründet.
10
Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, dass das Landgericht die im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen seinem Urteil zugrunde gelegt und nur noch ergänzende Feststellungen getroffen hat.
11
Das ergibt sich nicht nur daraus, dass die Strafkammer die im ersten Rechtsgang zur Sache getroffenen Feststellungen in den Urteilsgründen unter II. vollständig zitiert und im Anschluss daran unter III. nur noch "weitere" Feststellungen getroffen hat, sondern auch daraus, dass sie unter III. sowie in den weiteren Urteilsgründen wiederholt inhaltlich auf die im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen Bezug genommen hat, ohne eigene zu treffen. Das gilt etwa für das Geschehen im Vorfeld der Tat, insbesondere das Ereignis, bei dem der Bruder des Nebenklägers K. W. körperlich verletzt hatte. Gleichermaßen verhält es sich im Hinblick auf die dem Nebenkläger durch die Tat von K. W. zugefügten Verletzungen. So hat das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung und bei der Adhäsionsentscheidung die insoweit dem Urteil vom 19. Oktober 2015 zugrunde liegenden Feststellungen berück- sichtigt; eigene Feststellungen hat es nur zu denjenigen Verletzungsfolgen getroffen , unter denen der Nebenkläger heute noch leidet.
12
Das Landgericht durfte die im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen seinem Urteil jedoch nicht zugrunde legen, weil sie nicht Gegenstand der Beweisaufnahme waren (§ 261 StPO). Die Strafkammer hat verkannt, dass das den Angeklagten freisprechende Urteil mit den Feststellungen aufgehoben worden war (§ 353 Abs. 2 StPO) und es deshalb insgesamt neuer Feststellungen bedurfte.
13
Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil auch (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass die Entscheidung ohne Berücksichtigung der im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen für den Angeklagten günstiger ausgefallen wäre.
14
2. Die Sachrüge ist ebenfalls begründet.
15
Es stellt auch einen sachlich-rechtlichen Mangel dar, wenn das Tatgericht , welches nach der Aufhebung eines früheren Urteils mit den Feststellungen zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufen ist, seinem Urteil - wie hier - nicht nur eigene, sondern auch aufgehobene Feststellungen zugrunde legt (BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2012 - 3 StR 156/12, juris Rn. 6; vom 15. März 1988 - 5 StR 87/88, NStZ 1988, 309; vom 28. März 2007 - 2 StR 62/07, BGHR StPO § 353 Abs. 2 Tenorierung 1).
16
Zudem tragen die Feststellungen, die das Landgericht unter III. selbst getroffen hat, den Schuldspruch wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5, § 27 Abs. 1 StGB) nicht. Danach nahm der Angeklagte wahr, dass K. W. dem Nebenkläger mit der Pistole in der Hand in das Geschäft hinterherlief, und "realisierte", dass K. W. auf den Nebenkläger schießen wollte. Er folgte K. W. in den Windfang des Geschäfts, "um ihm beizustehen". Nachdem K. W. das Geschäft betreten und das erste Mal auf den Nebenkläger angelegt hatte, drückte der Angeklagte mit seiner rechten Hand die sich hinter K. W. schließende Glastür wieder auf. Während er die folgenden Schüsse von K. W. auf den Nebenkläger verfolgte, hielt er die Glastür mit seiner rechten Hand weiter geöffnet, "um K. W. den schnellen Rückzug aus dem Geschäft zu ermöglichen und ihm während der Abgabe der Schüsse beizustehen".
17
Die Strafkammer hat angenommen, dass der Angeklagte durch das Aufhalten der Tür K. W. zu dessen Tat "jedenfalls psychische Beihilfe" geleistet habe. K. W. habe sich dadurch in seinem Tatentschluss bestärkt sehen und ein erhöhtes Gefühl der Sicherheit vermittelt bekommen können.
18
Die Annahme psychischer Beihilfe wird durch die Feststellungen indes nicht belegt. Ihnen lässt sich zwar der Gehilfenvorsatz bezüglich der Haupttat und der Beihilfehandlung entnehmen, nicht jedoch, dass der Angeklagte objektiv Beihilfe geleistet hat. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass K. W. sich durch das Verhalten des Angeklagten tatsächlich in seinem Tatentschluss bestärkt fühlte.
19
3. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein zu demselben Land gehörendes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO).
VRiBGH Becker ist we- Gericke Tiemann gen Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Gericke
Hoch Leplow

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 156/12
vom
29. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 29. Mai 2012 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 22. Dezember 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
I. Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts vom 22. Februar 2011 wegen Betruges in drei Fällen, Untreue in 33 Fällen und Bankrotts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Außerdem hatte das Landgericht festgestellt, dass von der verhängten Freiheitsstrafe neun Monate als vollstreckt gelten.
2
Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat den Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte (neben zwei durch Verwerfung der Revision im Übrigen in Rechtskraft erwachsenen weiteren Fällen) im Tatkomplex II. 3. der Urteilsgründe des Betruges in 18 Fällen sowie des versuchten Betruges in zwei Fällen schuldig sei. Außerdem hatte er das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Untreue in 33 Fällen und Bankrotts verurteilt worden war, im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II. 3. der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
3
Das Landgericht hat nach Einstellung der im ersten Durchgang als Untreue und Bankrott bewerteten Taten nach § 154 Abs. 2 StPO den Angeklagten "wegen Betruges in 22 Fällen, davon in zwei Fällen im Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt" und wieder- holt, dass von der "verhängten Freiheitsstrafe … neun Monate als vollstreckt" gelten.
4
Die dagegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.
5
II. Das Landgericht hat, soweit ihm eine Festsetzung der Einzelstrafen noch oblag, die versuchten und vollendeten Betrugstaten als besonders schwere Fälle (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB) beurteilt. Es hat dazu das Urteil vom 22. Februar 2011 im Anschluss an die Eingangsbemerkung, der "Verurteilung" lägen "damit folgende Feststellungen zu Grunde", wörtlich dahin zitiert, der Angeklagte habe jeweils in der Absicht gehandelt, "sich durch die fortge- setzte Begehung von Betrugstaten … eine nichtnur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen". Eigene, mit einer eigenständigen Beweiswürdigung belegte Feststellungen (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2012 - 2 StR 592/11) zur gewerbsmäßigen Handlungsweise des Angeklagten hat es nicht getroffen.
6
Damit hat das Landgericht seine Beurteilung auf Feststellungen des Urteils vom 22. Februar 2011 gestützt, die - weil die Strafzumessung betreffend (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2008 - 3 StR 52/08, juris Rn. 5) - durch den Beschluss des Senats im ersten Revisionsverfahren mit aufgehoben waren. Dies führt zur Aufhebung der Einzelstrafen sowie des Gesamtstrafausspruchs; denn das Fehlen eigener entscheidungserheblicher Feststellungen des Tatrichters ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der auf die allgemeine Sachrüge hin zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 - 2 StR 62/07, BGHR StPO § 353 Abs. 2 Tenorierung 1).
7
III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der neue Tatrichter eigene - und nicht nur ergänzende - Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten zu treffen haben wird (BGH, Beschluss vom 25. Juni 1999 - 3 StR 239/99, NStZ-RR 2000, 39 mwN; MeyerGoßner , StPO, 54. Aufl., § 353 Rn. 19).
Becker Pfister Hubert Schäfer Menges

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.