Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 493/18
vom
18. Dezember 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:181218B4STR493.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. Dezember 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 25. Juni 2018 mit den Feststellungen – abgesehen von den Feststellungen zum äußeren Tatge- schehen, die aufrecht erhalten bleiben – aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der nicht näher ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat ganz überwiegend Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Feststellungen kam es in der im ersten Obergeschoss gelegenen Wohnung des Angeklagten zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger , die beide aufgrund vorangegangenen Alkohol- und Cannabiskonsums stark enthemmt waren, im Gefolge zunächst nicht ernst gemeinter, wechselseitiger Provokationen und Beleidigungen zu einer tätlichen Auseinandersetzung, die von einem ebenfalls in der Wohnung anwesenden Bekannten beendet wurde. Der Angeklagte forderte den Nebenkläger daraufhin nachdrücklich auf, seine Wohnung zu verlassen. Als der Nebenkläger dieser Aufforderung nicht Folge leistete, bedrohte der Angeklagte den Nebenkläger mehrfach mit dem Tode und erklärte, er werde den Nebenkläger mit Gewalt aus der Wohnung werfen und über den Balkon stürzen, wenn er nicht gehe. Schließlich nahm der Angeklagte den körperlich deutlich unterlegenen Nebenkläger in den Schwitzkasten und schubste ihn auf den Balkon, wo sich der Nebenkläger mit beiden Händen am Balkongeländer festhielt.
3
Als der dem Wohnbereich seitlich zugewandte Nebenkläger rief, er werde die Wohnung auf keinen Fall verlassen, und den Angeklagten mit der Äuße- rung „Komm doch, du Hurensohn“ herausforderte, lief der Angeklagte auf den Balkon, stürzte sich von hinten auf den Nebenkläger, umklammerte mit beiden Armen dessen Beine und warf ihn mit den Worten „Jetzt bringe ich dich um“, kopfüber über die 0,85 m hohe Balkonbrüstung. Dabei nahm er den Tod des Nebenklägers billigend in Kauf. Der Nebenkläger fiel 3,80 m in die Tiefe und schlug mit dem Kopf voran auf den Waschbetonplatten des Innenhofes auf, wodurch er das Bewusstsein verlor.
4
Nachdem der Bekannte unmittelbar darauf vom Balkon aus den Nebenkläger reglos im Innenhof liegen gesehen hatte, lief er – gefolgt vom Angeklagten – hinunter und verbrachte den Nebenkläger in stabile Seitenlage. Zeitgleich forderte er den Angeklagten auf, sofort einen Krankenwagen zu alarmieren, worauf der Angeklagte, dem die Folgen des Sturzes für den Nebenkläger völlig egal waren, erklärte, er wolle „den Türken verrecken lassen“. Schließlich setzte er auf Drängen des Bekannten mit seinem Mobiltelefon einen Notruf ab und teilte dabei mit, dass eine Person „durch einen Streit vom Balkon gefallen sei“.
5
Der Nebenkläger, der beim Eintreffen des Krankenwagens ansprechbar und in der Lage war, selbständig zu gehen, erlitt infolge des Sturzes unter anderem einen Deckplatteneinbruch eines Brustwirbelkörpers, eine Gehirnerschütterung sowie eine Kopfplatzwunde und mehrere Hämatome, die jeweils komplikationslos verheilten.

II.


6
Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags hat keinen Bestand, weil die Erwägungen des Schwurgerichts zur Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten.
7
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 6. November 2018 hierzu zutreffend dargelegt: „DieWertung des Landgerichts, es handele sich um einen fehlgeschlagenen Versuch, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Hierzu führte das Landgericht Folgendes aus:
‚Der Angeklagte ist auch nicht gemäß § 24 Abs. 1 StGB strafbefreiend von dem Versuch, den Geschädigten M. zu töten, zurückgetreten;für einen strafbefreienden Rücktritt ist vielmehr kein Raum, da der Versuch fehlgeschlagen ist. Der – kurzfristig gefasste – Tatentschluss des Angeklagten war ausschließlich darauf gerichtet, den Geschädigten M. mit Gewalt kopfüber von seinem 3,80m hohen Balkon in die Tiefe zu stürzen; andere Gewaltalternativen lagen von vorneherein nicht in seiner Tätervorstellung. Um Tatvollendung – die Tötung des M. – zu errei- chen, hätte es zunächst eines Wechsels der Vorsatzform – vom zum Tatzeitpunkt vorliegenden bedingten hin zum unbedingten Vorsatz –, sodann eines zweiten Angriffs mit einem anderen Tatmittel an einem anderen Ort bedurft. Ein unmittelbarer Fortgang des Geschehens ohne erforderliche wesentliche Änderung des ursprünglichen Tatplans, mithin ohne erforderliche Zäsur, ist hier nach alledem ausgeschlossen.‘
Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht dem Tatplan des Angeklagten für die Beurteilung der Rücktrittsfrage eine Bedeutung zugemessen hat, die diesem nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht mehr zukommt (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93). Die frühere Rechtsprechung hatte – entsprechend der Auffassung des Landgerichts – einen fehlgeschlagenen Versuch angenommen, wenn der Täter ein Ausweichen auf eine andere Tathandlung nicht bereits vor der Tat in seinen Planungshorizont aufgenommen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 1967 – 2 StR 506/67 –, juris). Nach der neueren Rechtsprechung ist jedoch alleine entscheidend, wie sich der Täter den Versuchsverlauf nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung vorstellte. Kann die Tat nach der Vorstellung des Täters mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln nicht mehr ausgeführt werden und nur noch mit zeitlicher Verzögerung nach dem Ingangsetzen einer neuen Kausalkette vollendet werden, liegt ein fehlgeschlagener Versuch vor (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2015 – 4 StR 262/15 – und Urteil vom 25. November 2004 – 4 StR 326/04 –, juris; BGH, Urteil vom 8. Februar 2007 – 3 StR 470/06 –, juris). Könnte der Täter demgegenüber, wie er weiß, ohne zeitliche Zäsur sofort ein neues bereitstehendes Mittel einsetzen, liegt in der Verwendung des neuen Mittels – auch wenn der Täter daran bei der gedanklichen Vorbereitung der Tat nicht gedacht hat – lediglich die Festi-
gung des Tatentschlusses, den er mit nacheinander zum Einsatz gebrachten Mitteln verwirklicht (so BGH, Urteil vom 10. April 1986 – 4 StR 89/86 –, juris). Unschädlich ist auch der Übergang von bedingtem zu direktem Vorsatz, solange hierdurch die Einheitlichkeit des Gesamtgeschehens weder in zeitlicher noch örtlicher Hinsicht beseitigt wird (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2007 – 3 StR 470/06 –, juris; auch BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93 – für die sog. ‚Denkzettelfälle‘, bei denen sogar das eigentliche außertatbestandliche Ziel bereits erreicht wurde). Anderenfalls würde auch der nur mit dolus eventualis handelnde Täter schlechter gestellt als derjenige Täter, der mit dolus directus handelt (so auch MüKo StGB, Hoffmann-Holland, 3. Aufl. 2017, § 24 Rn. 86).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze wird die Annahme des Landgerichts , der Angeklagte habe schon deshalb nicht strafbefreiend vom Versuch des Totschlags zurücktreten können, weil dieser fehlgeschlagen sei, von den Urteilsgründen nicht getragen. Feststellungen dazu, dass dem Angeklagten zur Verwirklichung des Taterfolgs keine weiteren Mittel zur Verfügung standen, derer er sich ohne relevante zeitliche oder örtliche Zäsur hätte bedienen können, finden sich nicht.
Indem das Landgericht unter Zugrundelegung des falschen rechtlichen Maßstabs einen fehlgeschlagenen Versuch angenommen hat, hat es in Folge nicht in den Blick genommen, ob die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts gemäß § 24 Abs. 1 StGB vorliegen. Nachdem der Angeklagte selbst den Notruf absetzte (UA S. 9), erscheint – selbst wenn von einem beendeten Versuch auszugehen wäre – ein Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen, da alleine der Umstand, dass der äußere Anstoß zur Absetzung des Notrufs vom Zeugen B. kam, während es dem Angeklagten selbst ‚völlig egal‘ war, ob der Nebenkläger M. an den Folgen des Sturzes verstirbt (UA S. 9), nicht dazu führt, dass der Rücktritt bereits als unfreiwillig anzusehen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2017 – 1 StR 393/17 –, juris).
Der Darlegungs- und Erörterungsmangel nötigt insgesamt zur Aufhebung des Urteils, wenngleich die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB
rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Der Aufhebung der Urteilsfeststellungen zum äußeren Tatgeschehen bedarf es nicht; sie können bestehen bleiben.“
8
Dem schließt sich der Senat an.
Sost-Scheible Roggenbuck Bender
RiBGH Dr. Feilcke ist im Urlaub und daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible Bartel

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Dez. 2018 - 4 StR 493/18

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Dez. 2018 - 4 StR 493/18

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Dez. 2018 - 4 StR 493/18 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 24 Rücktritt


(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft be

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Dez. 2018 - 4 StR 493/18 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Dez. 2018 - 4 StR 493/18 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Nov. 2004 - 4 StR 326/04

bei uns veröffentlicht am 25.11.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 326/04 vom 25. November 2004 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. November 2004, an der te

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Okt. 2017 - 1 StR 393/17

bei uns veröffentlicht am 24.10.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 393/17 vom 24. Oktober 2017 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. ECLI:DE:BGH:2017:241017B1STR393.17.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Okt. 2015 - 4 StR 262/15

bei uns veröffentlicht am 22.10.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 262/15 vom 22. Oktober 2015 in der Strafsache gegen wegen Totschlags u.a. ECLI:DE:BGH:2015:221015B4STR262.15.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwe
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Dez. 2018 - 4 StR 493/18.

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2020 - 2 StR 284/19

bei uns veröffentlicht am 14.01.2020

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 284/19 vom 14. Januar 2020 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u. a. ECLI:DE:BGH:2020:140120B2STR284.19.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach An

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 262/15
vom
22. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:221015B4STR262.15.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 22. Oktober 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 2. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag und gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Chemnitz zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag und gefährlicher Körperverletzung sowie wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Es hat ferner Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB ange- ordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen hat, ihm vor Ablauf von einem Jahr und sechs Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen, hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht ergeben.

II.


3
Die Verurteilung wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag sowie mit gefährlicher Körperverletzung begegnet jedoch in zweifacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4
Insoweit hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
5
1. Vor dem Hintergrund erheblicher Beziehungsprobleme entschloss sich die Ehefrau des Angeklagten, das spätere Tatopfer K. W. , im Mai 2014, ihren Mann zu verlassen und mit der gemeinsamen Tochter zu ihren Eltern zu ziehen. Daraufhin bedrohte der Angeklagte, der sich mit der Trennung nicht abfinden wollte, seine Ehefrau in Telefongesprächen und per SMS mehrfach mit dem Tode, was ein polizeiliches Annäherungs- und Kontaktverbot zur Folge hatte. Zwei Tage später erschien der Angeklagte, der in seiner Wohnung einen an seine Ehefrau und seine Tochter gerichteten Abschiedsbrief mit einer Suizidankündigung hinterlassen hatte, gegen 19.00 Uhr mit einer scharfen Langwaffe vom Kaliber .22 Long Rifle 284 auf dem Anwesen seiner Schwiegereltern, wohin sich seine Ehefrau mit der gemeinsamen Tochter in der Zwischenzeit geflüchtet hatte.
6
Mit den Worten: „Jetzt hab‘ ich euch alle und wo ist K. , wo ist K. “ durchsuchte der Angeklagte, der das Haus seiner Schwiegereltern mit der Waffe in der Hand durch die Terrassentür betreten hatte, verschiedene Räume nach seiner Ehefrau. Den Versuch seiner Schwiegermutter M. W. , mit dem Festnetztelefon einen Notruf abzusetzen, verhinderte der Angeklagte durch Herausreißen des Telefonkabels, begleitet von dem Ausruf: „Ich knall dich nieder, wo ist K. , wo ist K. ?“ Der Angeklagte fand schließlich im Haus seine Ehefrau; diese flüchtete, verfolgt vom Angeklagten, hilfeschreiend auf eine angrenzende Wiese. Als der Angeklagte sie erreichte und das Gewehr auf sie richtete, ging sie vor ihm zu Boden. Er trat ihr in den Rücken und in die Seite und schrie sie mit den Worten an: „Ich knall dich ab“. M. W. trat dazwischen , ergriff kurzzeitig das Gewehr des Angeklagten, konnte es diesem jedoch nicht entwinden. Aus Angst, vom Angeklagten erschossen zu werden, der während des Gerangels um das Gewehr gerufen hatte: „Hau ab, ich knall‘ dich nieder“, lief M. W. zum Hauseingang zurück, von wo aus sie dem Angeklagten zurief, er solle ihre Tochter nicht erschießen. Hierauf reagierte der Angeklagte, indem er mit dem Gewehr aus der Hüfte schießend zweimal in Richtung seiner Schwiegermutter feuerte, die dadurch einen Einschuss im linken Oberschenkel erlitt. Nach dem Treffer begab sie sich unverzüglich ins Haus, um die blutende Schusswunde zu versorgen. Nunmehr richtete der Angeklagte das Gewehr erneut auf die im Gras vor ihm kauernde K. W. und trat mehrfach auf diese ein. Aufforderungen der inzwischen eingetroffenen und hinter ihrem Einsatzfahrzeug in Deckung gegangenen Polizeibeamten, das Gewehr fallen zu lassen, leistete der Angeklagte keine Folge. Nachdem seine Ehefrau in der Hoffnung auf Hilfe durch die Polizeibeamten aufgesprungen und in deren Richtung gelaufen war, erhob sich der Angeklagte und schoss seiner flüchtenden Ehefrau aus einer Entfernung von fünf bis maximal zehn Metern in den Rücken, woraufhin diese zu Boden ging. Der Angeklagte lud sein Gewehr sofort wieder, begab sich hinter einem Betonmast in Deckung und gab aus einer Entfernung von etwa 80 Metern mindestens einen gezielten Schuss auf das Polizeifahrzeug ab. Das Projektil traf die Beifahrertür des Fahrzeugs und blieb dort stecken. Der Angeklagte zog sich zum Haus seiner Schwiegereltern zurück; ein von da abgegebener weiterer Schuss aus seiner Waffe in Richtung des Polizeifahrzeugs blieb ohne Wirkung. Daraufhin setzte sich der Angeklagte in seinen auf einem Nachbargrundstück abgestellten Pkw und entfernte sich. Während seiner Flucht kündigte er Arbeitskollegen gegenüber telefonisch an, er werde sich nunmehr erschießen.
7
K. W. verstarb noch am Tatort an den Folgen der Schussverletzung. Die Schusswunde ihrer Mutter musste operativ versorgt werden.
8
2. Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte sei vom Versuch des Totschlags (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) zum Nachteil der Geschädigten M. W. nicht strafbefreiend zurückgetreten. Ein strafbefreiender Rücktritt komme schon deswegen nicht in Betracht, weil der Versuch des Totschlags fehlgeschlagen sei. Nachdem die Geschädigte unmittelbar nach dem Schuss des Angeklagten in das Haus gegangen und sich somit aus dem Schussfeld des Angeklagten entfernt habe, habe der Angeklagte den Taterfolg mit den eingesetzten und zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreichen können, ohne eine ganz neue Handlungskette in Gang setzen zu müssen. Das Mordmerkmal des Ermöglichens einer Straftat (§ 211 StGB) sei zu verneinen , da das bewusstseinsdominante Motiv des Angeklagten nicht die Tötung seiner Schwiegermutter beinhaltet habe, sondern lediglich ihre Ausschaltung als Störfaktor seines eigentlichen Tatplans, seine Ehefrau und dann sich selbst zu töten. Hinsichtlich der Schüsse des Angeklagten auf seine Ehefrau, seine Schwiegermutter und die Polizeibeamten ist die Strafkammer von Tateinheit (§ 52 StGB) ausgegangen, weil das Handeln des Angeklagten insgesamt von seinem Tatplan getragen gewesen sei, seine Ehefrau und danach sich selbst zu töten. Nachdem der Angeklagte unter Ausschaltung seiner Schwiegermutter seine Ehefrau getötet habe, habe er sich nicht ergeben, sondern die Flucht angetreten. Sein Fluchtverhalten sei bis zur Festnahme von suizidalen Gedanken gestaltet gewesen.

II.


9
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe schon deshalb nicht strafbefreiend vom Versuch zurücktreten können, weil dieser fehlgeschlagen sei, wird von den Feststellungen und der Beweiswürdigung nicht getragen.
10
a) Ein fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt. Erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt oder hat er eine entsprechende subjektive Vorstellung dahin, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263, 264; Urteil vom 8. Februar 2007 – 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399). Ob – anderenfalls – der strafbefreiende Rücktritt allein schon durch das Unterlassen weiterer Tathandlungen (unbeendeter Versuch) oder durch Verhinderung der Tatvollendung (beendeter Versuch) erreicht werden kann, bestimmt sich ebenfalls allein nach der subjektiven Sicht des Täters nach Abschluss seiner letzten Ausführungshandlung, also danach, ob er nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält oder sich – namentlich nach besonders gefährlichen Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben – keine Vorstellung über die Folgen seines Handelns macht (BGH, Urteil vom 8. Februar 2007 aaO; vgl. auch Senatsurteil vom 22. Oktober 2015 – 4 StR 133/15; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 24 Rn. 15, 15a mwN).
11
b) Die Strafkammer hat festgestellt, dass sich das Tatopfer M. W. in das Haus begeben und somit aus dem Schussfeld des Angeklagten entfernt hatte. Sie hat daher angenommen, dass dieser den Taterfolg mit den eingesetzten und zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreichen konnte, ohne eine ganz neue Handlungskette in Gang setzen zu müssen. Die Urteilsgründe lassen indes nicht erkennen, dass das Landgericht insoweit auf die – allein maßgebliche – Sicht des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung abgestellt hat. Vielmehr trifft das Landgericht zur Vorstellung des Angeklagten nach Abschluss der Ausführungshandlung, also nach Schussabgabe , keinerlei Feststellungen. Ob der Angeklagte mitbekam, dass die durch seinen Schuss Verletzte handlungsfähig geblieben war, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob und gegebenenfalls welche Schlüsse der Angeklagte hieraus hinsichtlich des möglichen Todes seines Opfers gezogen und ob er den Tötungsvorsatz endgültig aufgegeben hatte.
12
2. Auch die Annahme von Tateinheit zwischen dem vollendeten Tötungsdelikt zum Nachteil der Ehefrau des Angeklagten sowie dem versuchten Tötungsverbrechen zum Nachteil seiner Schwiegermutter begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
13
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen und deren Verletzung einer additiven Betrachtungsweise, wie sie etwa der natürlichen Handlungseinheit zugrunde liegt, nur ausnahmsweise zugänglich. Greift daher der Täter einzelne Menschen nacheinander an, um jeden von ihnen in seiner Individualität zu beeinträchtigen , so besteht sowohl bei natürlicher als auch bei rechtsethisch wertender Betrachtungsweise selbst bei einheitlichem Tatentschluss und engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang regelmäßig kein Anlass, diese Vorgänge rechtlich als eine Tat zusammenzufassen (vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 – 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284 mwN). Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs, etwa bei Messerstichen innerhalb weniger Sekunden oder bei einem gegen eine aus der Sicht des Täters nicht individualisierte Personenmehrheit gerichteten Angriff willkürlich und gekünstelt erschiene (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 aaO; vgl. auch Beschluss vom 24. Oktober 2000 – 5 StR 323/00, NStZ-RR 2001, 82). So liegt der Fall hier jedoch nicht.
14
b) Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil lag zwischen dem Schuss auf M. W. und dem auf ihre Tochter eine Zeitspanne von acht Minuten. Während das erste Opfer des Angeklagten, die Geschädigte M. W. , nach dem ersten Schuss aus dem Sichtfeld des Angeklagten verschwunden war, kauerte die Ehefrau des Angeklagten weiterhin vor ihm im Gras, während er sie durch Tritte misshandelte. Der Angeklagte bemerkte ferner , dass die alarmierten Polizeibeamten hinter ihrem Dienstfahrzeug in Stellung gingen. Er wurde von ihnen mehrfach aufgefordert, seine Waffe wegzulegen. Das Aufspringen und Weglaufen seiner Ehefrau in Richtung der Polizeibeamten geschah für den Angeklagten plötzlich und unerwartet unmittelbar vor der Schussabgabe. Danach liegt ein außergewöhnlich enger zeitlicher und situativer Zusammenhang, wie ihn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausnahmsweise zur Begründung einer natürlichen Handlungseinheit in Fällen der vorliegenden Art heranzieht, eher fern.
15
c) Der Senat kann auch nicht ausschließen, dass der Angeklagte im vorliegenden Fall durch die rechtsfehlerhafte Annahme von Tateinheit ausnahmsweise beschwert ist.
16
Die Strafkammer hat für ihre Bewertung der Tat zum Nachteil derK. W. als besonders schwerer Fall des Totschlags im Sinne des § 212 Abs. 2 StGB maßgeblich auf den besonders engen Zusammenhang zwischen beiden Handlungen abgestellt, der dem Gesamtgeschehen ein besonderes Gepräge verleihe und das Verschulden des Angeklagten als außergewöhnlich groß erscheinen lasse. Das Zurückbleiben der Tat hinter den Mordmerkmalen des § 211 StGB werde durch ein Mehr an Verwerflichkeit ausgeglichen, weil der Angeklagte „sich durch nichts und niemanden“ vonseinem Vorhaben habe ab- bringen lassen und die Tötung von M. W. – und die eines Polizei- beamten – in Kauf genommen habe, um diese als Hindernis bei der Verwirk- lichung seines Tötungsvorhabens hinsichtlich seiner Ehefrau „aus dem Weg zu räumen“.

III.


17
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
18
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Annahme eines besonders schweren Falles des Totschlags im Sinne des § 212 Abs. 2 StGB, was das Landgericht im Ansatz zutreffend erkannt hat, voraus, dass das in der Tat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters außergewöhnlich groß ist. Es muss ebenso schwer wiegen wie das eines Mörders. Hierfür genügt nicht schon die bloße Nähe der die Tat kennzeichnenden Umstände zu einem gesetzlichen Mordmerkmal. Es müssen vielmehr schulderhöhende Momente hinzutreten, die besonders gewichtig sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 19. Mai 1982 – 1 StR 77/82, NJW 1982, 2264, 2265; Urteil vom 3. Dezember 1980 – 3 StR 403/80, NStZ 1981, 258, 259).
19
Für den Fall, dass nach dem Ergebnis der neuen Verhandlung ein strafbefreiender Rücktritt vom versuchten Tötungsdelikt zum Nachteil der M. W. zu bejahen sein sollte, wird in diesem Zusammenhang aber zu bedenken sein, dass der auf die versuchte Tat gerichtete Vorsatz sowie ausschließlich darauf bezogene Tatbestandsverwirklichungen nicht strafschärfend berücksichtigt werden dürfen. Diese Einschränkung gilt indes nicht für Umstände, die sich auf das Tatgeschehen insgesamt beziehen und den Unrechts- und Schuldgehalt auch des vollendeten Delikts charakterisieren (BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 45 f. mwN).
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Bender

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 326/04
vom
25. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25.
November 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 5. April 2004 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Geiselnahme zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Nebenklägerin mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Sie beanstandet die Verurteilung des Angeklagten wegen einer zu ihrem Nachteil begangenen gefährlichen Körperverletzung und erstrebt insoweit eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in zwei Fällen.
Das entgegen dem auf Aufhebung des gesamten Urteils gerichteten Revisionsantrag nach der Revisionsbegründung auf die Anfechtung der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung beschränkte (vgl. BGHR StPO § 344
Abs. 1 Antrag 3; Kuckein in KK-StPO 5. Aufl. § 344 Rdn. 5 m.w.N.) und demgemäß zulässige Rechtsmittel (§ 400 Abs. 1 StPO) hat Erfolg.

I.


1. Der Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung liegen folgende Feststellungen zugrunde:
Der Angeklagte wollte mit Hilfe des Zeugen R. seine persönlichen Sachen aus der Wohnung der Nebenklägerin, seiner früheren Lebensgefährtin , holen. Hierbei kam es zum Streit mit der Nebenklägerin. Als sie erklärte , sie habe eine sexuelle Beziehung zu einem anderen Mann, wurde der Angeklagte "ausbruchartig zunehmend aggressiver". Er zerstörte Einrichtungsgegenstände und bedrohte die Nebenklägerin mit einem Messer. Nach einer Rangelei mit dem Zeugen R. , der versuchte, den Angeklagten zurückzuhalten , verfolgte der Angeklagte die in das Schlafzimmer geflüchtete Nebenklägerin. Dort würgte er sie „mindestens 6 oder 7 Sekunden“ lang, um sie zu töten. Der Zeuge R. riß den Angeklagten schließlich von der Nebenklägerin weg.
Nachdem der Zeuge den Angeklagten von der Nebenklägerin getrennt hatte, machte der Angeklagte den Festnetzanschluß der Nebenklägerin unbrauchbar , nahm das Mobiltelefon an sich, um zu verhindern, daß die Nebenklägerin die Polizei anrief, und verließ mit dem Zeugen R. die im 7. Stockwerk des Hauses gelegene Wohnung. Im Hausflur kniete der Angeklagte einige Minuten zusammengekauert und weinend auf dem Boden. Der ZeugeR. und der Angeklagte fuhren dann mit dem Fahrstuhl ins Erd-
geschoß. Dort erklärte der Angeklagte dem Zeugen, er brauche seine Ruhe und wolle für sich allein sein.
Sodann ging der Angeklagte in den Keller des Hauses, holte aus einem Kellerraum ein Messer mit 20 cm Klingenlänge, fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf in den 7. Stock und trat die Tür zur Wohnung der Nebenklägerin ein. Die Nebenklägerin war inzwischen in eine ein Halbgeschoß tiefer gelegene Wohnung geflüchtet und hatte mit der Mutter des Angeklagten und der Polizei telefoniert. Der Angeklagte, der möglicherweise im Flur die Stimme der Nebenklägerin gehört hatte, drang in die Wohnung ein und griff die Nebenklägerin - "immer noch" in Tötungsabsicht - mit dem Messer an. Er versetzte ihr einen mehrere Zentimeter tiefen Stich in den linken Brustkorb, der die Lunge verletzte und zu starken inneren Blutungen führte. Der Angeklagte entriß der Nebenklägerin den gemeinsamen Sohn Leon, den diese noch auf ihrem rechten Arm trug, warf ihn auf ein Sofa und versetzte der Nebenklägerin einen Stich in die linke Unterbauchseite , der zu einer 5 bis 6 cm großen äußeren Verletzung und einer zweifachen Durchtrennung des Dünndarms führte. Ohne notärztliche Versorgung wäre die Nebenklägerin binnen weniger Stunden an den Folgen der beiden Stichverletzungen durch Verbluten verstorben.
Dem Zeugen R. , der dem Angeklagten nachgeeilt war, gelang es, diesen nach einem Gerangel, in dessen Verlauf die Nebenklägerin weitere, geringfügigere Verletzungen erlitt, vorübergehend zu Boden zu bringen. Die Nebenklägerin flüchtete aus der Wohnung, ging über die Treppe zwei Stockwerke tiefer. Dort setzte sie sich, durch die Verletzungen geschwächt, zu Boden und bat eine vorbeikommende Hausbewohnerin um Hilfe. Als der Angeklagte , der sich inzwischen von dem Zeugen R. hatte losreißen können,
mit dem Messer in der Hand hinzukam, bat die Nebenklägerin ihn flehentlich, er möge doch endlich aufhören, es sei genug. Dabei zeigte sie ihm ihre Bauchwunde , aus der Darmschlingen hervorquollen. Der Angeklagte gab nunmehr sein Vorhaben, die Nebenklägerin zu töten, auf, flüchtete mit seinem Sohn Leon , den er der Nebenklägerin entriß, in das 7. Stockwerk, von dort auf das vor dem Haus stehende Baugerüst und drohte, mit seinem Sohn hinunterzuspringen , falls die Polizei eingreife.
2. Nach Auffassung des Landgerichts hat sich der Angeklagte durch die mit Tötungsvorsatz ausgeführten Verletzungshandlungen einer „tateinheitlich begangenen“ gefährlichen Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB) schuldig gemacht. Zwar liege ein „deutlicher zeitlicher Abstand“ zwischen dem Würgen und dem Messerangriff auf die Nebenklägerin. Es sei aber nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, daß der Angeklagte den einmal gefaßten Tötungsvorsatz zwischenzeitlich aufgegeben und einen neuen Tatentschluß für den Angriff mit dem Messer gefasst habe. Da der Angeklagte sich schließlich entfernt habe, obwohl es für ihn ein leichtes gewesen sei, weitere Verletzungshandlungen mit Tötungsvorsatz auszuführen, sei er mit strafbefreiender Wirkung von dem versuchten Totschlag zurückgetreten. Zu seinen Gunsten sei von einem unbeendeten Versuch auszugehen, weil nicht aufklärbar sei, ob der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt habe erkennen können, daß er zur Vollendung der Tat alles Erforderliche getan hatte, mithin die Verletzungen der Nebenklägerin "sicher zum Tode geführt hätten".

II.


Sowohl die Annahme nur einer Tat im Rechtssinne zum Nachteil der Nebenklägerin als auch die Annahme eines unbeendeten Totschlagsversuchs begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Daß der Angeklagte seinen einmal gefaßten Tötungsvorsatz während des mehraktigen Tatgeschehens nicht aufgegeben hat, vermag auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen die Annahme nur einer Tat im Rechtssinne nicht zu rechtfertigen.

a) Eine natürliche Handlungseinheit und damit eine Tat im materiellrechtlichen Sinne liegt bei einer Mehrheit gleichartiger strafrechtlich erheblicher Verhaltensweisen nach der Rechtsprechung vielmehr nur dann vor, wenn die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind und zwischen ihnen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, daß das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint (vgl. BGHSt 41, 368; BGHSt 43, 381, 387; BGH NStE Nr. 39 zu § 24 StGB, jeweils m. w. N.). Auch für die Beurteilung einzelner Versuchshandlungen als eine natürliche Handlungseinheit ist eine solche Gesamtbetrachtung vorzunehmen (st. Rspr., vgl. BGHSt 40, 75, 76). Dabei begründet der Wechsel eines Angriffsmittels nicht ohne weiteres eine die Annahme einer Handlungseinheit ausschließende Zäsur (vgl. BGHSt 40, 75, 77; 41, 368, 369). Eine tatbestandliche Handlungseinheit endet jedoch mit dem Fehlschlagen des Versuchs (vgl. BGHSt 41, 268, 269; 44, 91, 94). Ein solcher Fehlschlag, der nach der Rechtsprechung einen Rücktritt aussschließt (vgl. BGHSt 34, 53, 56; 35, 90, 94; 39, 221, 228), liegt vor, wenn der Täter die Tat, wie er weiß, mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr ohne zeitliche Zäsur
vollenden kann (vgl. BGHSt 39, 221, 228; BGHSt 41, 368, 369; BGH NStZ-RR 2002, 168), so daß ein erneutes Ansetzen notwendig ist, um zu dem gewünschten Ziel zu gelangen (vgl. BGHSt 39, 221, 232; 41, 368, 369).

b) Nach diesen Grundsätzen legen die bisherigen Feststellungen - unbeschadet des fortbestehenden Tötungsvorsatzes - die Annahme zweier Taten im Rechtssinne nahe, durch die sich der Angeklagte jeweils des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gemacht hat:
Objektiv hat der Geschehensablauf durch das massive Eingreifen des Zeugen R. , das schließlich zur Beendigung des für die Nebenklägerin lebensgefährdenden Würgens und dazu führte, daß der Angeklagte die Wohnung der Nebenklägerin mit dem Zeugen verließ, eine Zäsur erfahren. War der Angeklagte durch das Eingreifen des Zeugen gehindert, die Nebenklägerin weiter zu würgen oder den angestrebten Taterfolg ohne zeitliche Zäsur mit anderen bereitstehenden Mitteln - etwa dem zuvor zur Drohung eingesetzten Messer - herbeizuführen, so war der Versuch, die Nebenklägerin in deren Wohnung zu töten, fehlgeschlagen. War der Versuch, die Nebenklägerin durch Würgen zu töten, fehlgeschlagen, kommt ein strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 StGB nur hinsichtlich des zweiten, mittels eines Messers begangenen Totschlagsversuchs in Betracht.
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht insoweit die Annahme eines unbeendeten, durch bloße Aufgabe der weiteren Tatausführung rücktrittsfähigen Versuchs im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB begründet
hat, beruhen jedoch auf einem unzutreffenden Ansatz zur Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch.
Ein beendeter Versuch im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB, der für die Straffreiheit Gegenmaßnahmen des Täters zur Erfolgsabwendung verlangt , liegt entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht erst bei Kenntnis vom sicheren Todesverlauf (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 4), sondern schon dann vor, wenn der Täter die naheliegende Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt, selbst wenn er ihn nunmehr weder will noch billigt (BGHSt 31, 170, 177; 33, 295, 300). Die Kenntnis der tatsächlichen Umstände , die den Erfolgseintritt nach der Lebenserfahrung nahe legen, reicht aus. Sie liegt bei gefährlichen Gewalthandlungen und schweren Verletzungen, insbesondere bei tief in den Brust- oder Bauchraum eingedrungenen Messerstichen , deren Wirkungen der Täter, wie hier, wahrgenommen hat, auf der Hand (BGHSt 39, 221, 231 m.w.N.; vgl. auch BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 8; BGHR aaO Versuch, unbeendeter 13; BGH NStZ 1993, 279 f.; BGH, Urt. vom 2. Juli 1997 - 2 StR 248/97). Dies gilt auch dann, wenn der Täter bei unverändert fortbestehender Handlungsmöglichkeit mit einem tödlichen Ausgang zunächst noch nicht gerechnet hat, unmittelbar darauf jedoch erkennt, daß er sich insoweit geirrt hat (BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 12). Unbeachtlich ist deshalb, ob der Angeklagte, weil die Nebenklägerin flüchten konnte, zunächst weitere Verletzungshandlungen für erforderlich gehalten hat und er eine umfassende Kenntnis der Umstände, die nach der Lebenserfahrung den Erfolgseintritt nahe legen, erst erlangte, als ihm die nunmehr am Boden sitzende Nebenklägerin ihre Bauchverletzung zeigte, aus der Darmschlingen hervorquollen.
Ein beendeter Versuch wäre im übrigen auch dann anzunehmen, wenn sich der Angeklagte bei Aufgabe der weiteren Tatausführung keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns gemacht hätte (vgl. BGHSt 40, 304, 306). Auch hiermit hätte sich das Landgericht vor einer Anwendung des Zweifelssatzes auseinandersetzen müssen, denn dieser greift erst nach abgeschlossener Würdigung aller Umstände ein (vgl. BGH, Urt. vom 2. Februar 1997- 2 StR 248/97).
3. Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung hat daher keinen Bestand. Die insoweit gebotene Aufhebung des Urteils hat die Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.
Da die Sache in diesem Umfang neu zu verhandeln und entscheiden ist, bedürfen die weiteren von der Revision gegen das Urteil erhobenen Einwendungen keiner Erörterung, zumal die Ausführungen der Revision zu den Mordmerkmalen der Heimtücke, der Mordlust und der Grausamkeit in den Urteilsgründen keine Stütze finden und nach den bisherigen Feststellungen die Annahme niedriger Beweggründe fern liegt.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 393/17
vom
24. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:241017B1STR393.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Oktober 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 27. März 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit rechtlich zusammentreffender gefährlicher Körperverletzung, versuchter Körperverletzung, Sachbeschädigung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die mit der Sachrüge Erfolg hat (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Der Angeklagte begehrte nach dem Ende der kurzen Beziehung zu der späteren Geschädigten einen finanziellen Ausgleich für Investitionen in die ehemals gemeinsame Wohnung. Nachdem seine ehemalige Lebensgefährtin dies erneut abgelehnt hatte und sich weigerte, die Haustür zu öffnen und mit ihm zu sprechen, trat er die Tür ein und kündigte an, sie nun umzubringen. Die Geschädigte flüchtete in den Garten. Der Angeklagte warf sie zu Boden und würgte sie mit beiden Händen. Sie wurde bewusstlos. Eine herbeigeeilte Nachbarin schubste den Angeklagten von der Geschädigten herunter. Der Angeklagte stieß die Nachbarin zur Seite, packte die Geschädigte an den Haaren und schwang sie durch die Luft. Sie schlug auf dem Boden auf. Der Angeklagte setzte sich wieder auf ihren Oberkörper und würgte sie erneut mit beiden Händen am Hals. Die Nachbarin stieß ihn erneut von der Geschädigten herunter und rief um Hilfe. Der Angeklagte ging jedoch wieder auf die Nachbarin und die Geschädigte zu. In diesem Augenblick riefen vom zweiten und dritten Stock des Hauses zwei Zeuginnen, sie hätten bereits die Polizei verständigt bzw. sie würden die Polizei holen und fragten, ob ein Krankenwagen erforderlich sei. Der Angeklagte sah nun keine Möglichkeit zur Tatrealisierung mehr, drehte sich um, ging zu seinem Auto, fuhr zu einem Arbeitskollegen, erzählte ihm, dass er seine ehemalige Lebensgefährtin hatte umbringen wollen und fuhr dann zur Polizei.
4
Die Geschädigte erlitt insbesondere eine Einblutung in den Kehlkopf, Schwellungen, Schürfwunden, Hautrötungen, andere kleinere Hautdefekte und Einblutungen. Ein Krankenhausaufenthalt war nicht erforderlich.
5
2. Das Landgericht wertete dieses Geschehen tateinheitlich als versuchten Totschlag, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, versuchte Körperverletzung und Nötigung, letztere zum Nachteil der Nachbarin. Einen Rücktritt vom Tötungsversuch schloss das Landgericht aus, da der Angeklagte die weitere Ausführung der Tat nicht freiwillig aufgegeben habe.

II.


6
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen lässt (vgl. hierzu z.B. BGH, Urteile vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273 und vom 13. August 2015 – 4 StR 99/15, StraFo 2015, 470, jeweils mwN).
7
Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont. Ein unbeendeter Versuch eines Tötungsdelikts, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, liegt vor, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich ist. Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn er den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.
8
Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Auch dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Hält er die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsvorgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (vgl. hierzu z.B. BGH, Beschluss vom 22. April 2015 – 2 StR 383/14, StV 2015, 687). Scheidet ein Fehlschlag aus, kommt es auf die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2015 – 2 StR 383/14, StV 2015, 687).
9
Allen Fällen aber ist gemeinsam, dass das Vorstellungsbild des Täters im entscheidungserheblichen Zeitpunkt von maßgebender Bedeutung ist. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten , das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273 und vom 13. August 2015 – 4 StR 99/15, StraFo 2015, 470, jeweils mwN). So liegt der Fall hier.
10
Den Urteilsausführungen ist bereits nicht zu entnehmen, ob der Angeklagte davon ausging, bereits die beigefügten Verletzungen und das Würgen seien dazu geeignet gewesen, den Tod des Opfers herbeizuführen, oder ob er der Ansicht war, dazu seien weitere Maßnahmen erforderlich gewesen.
11
Die Urteilsfeststellungen schließen auch einen freiwilligen Rücktritt vom Tötungsversuch nicht aus. Die Strafkammer ist zwar davon ausgegangen, dass dem Angeklagten durch die Rufe der Nachbarinnen im zweiten und dritten Stockwerk bewusst geworden sei, dass er bei weiterer Fortsetzung seines Angriffs Gefahr laufen würde, von der Polizei angetroffen zu werden. Allein der Umstand der Entdeckung und die sich anschließende Flucht können die Annahme unfreiwilliger Tataufgabe jedoch nicht tragen.
12
Freiwilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der Täter "Herr seiner Entschlüsse" geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich gehalten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon. Der Annahme von Freiwilligkeit steht es dabei nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder das Abstandnehmen von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt. Entscheidend für die Annahme von Freiwilligkeit ist, dass der Täter die Tatvollendung aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will (BGH, Beschluss vom 22. April 2015 – 2 StR 383/14, StV 2015, 687, 688 Rn. 9 mwN).
13
Ob der Angeklagte die Tötung des Opfers noch für möglich gehalten oder ob er sich nach den Rufen der Nachbarn außerstande gesehen hat, sein Ziel noch zu erreichen, hätte das Landgericht näher erörtern müssen. Es lag nicht auf der Hand, dass sich der Angeklagte in dieser Situation ohne Weiteres gehindert sah, den Tod des Opfers noch herbeizuführen. Die der Geschädigten zur Hilfe kommende Nachbarin hatte ihn bis dahin nicht an weiteren Angriffen auf die Geschädigte hindern können, die Bewohnerinnen des zweiten und dritten Stockwerks hatten die Verständigung der Polizei gerade erst mitgeteilt, der Angeklagte hatte zumindest einmal das Tatmittel gewechselt und es verblieb noch eine gewisse Zeit bis zum Eintreffen der Polizei.
14
Zu der Vorstellung des Angeklagten nach den Rufen aus dem zweiten und dritten Stockwerk enthält das Urteil keine konkreten Feststellungen. Der Senat kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen , dass der Angeklagte in seinem Rücktrittshorizont eine Vollendung der Tat mit gleichen oder anderen Mitteln nicht mehr für möglich hielt. Der Senat hält es daher nicht für fernliegend, dass der Angeklagte seinen Tötungsvorsatz noch hätte weiterverfolgen können, wenn er dies noch gewollt hätte.
15
Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags; erfasst werden auch die an sich rechtsfehlerfreien tateinheitlichen Verurteilungen. Dies entzieht ohne Weiteres dem Strafausspruch die Grundlage.
16
Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass die Strafkammer fälschlich (und ohne Begründung) der Auffassung war, der über § 21 StGB und § 23 StGB doppelt gemilderte Strafrahmen des § 212 StGB sei günstiger als der des § 213 StGB; denn bei einem sonst minder schweren Fall im Sinne von § 213 2. Alt. StGB hätte sich ein minder schwerer Fall aus den allgemeinen Milderungsgründen , gegebenenfalls zusammen mit einem vertypten Strafmilderungsgrund , ergeben können. Dann wäre über den zweiten Strafmilderungsgrund eine weitere Verschiebung des Strafrahmens möglich gewesen. Dies wäre für den Angeklagten günstiger gewesen. Nur, wenn die tatrichterliche Beurteilung zu dem Ergebnis geführt hätte, dass beide vertypten Strafmilderungsgründe zur Begründung eines sonst minder schweren Falls im Sinne von § 213 StGB erforderlich seien, wäre der doppelt gemilderte Strafrahmen des § 212 StGB günstiger gewesen.
17
Der Senat hat sämtliche Feststellungen aufgehoben. Dies ermöglicht dem neuen Tatrichter, widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen, auch im Hinblick auf die Dauer der Bewusstlosigkeit der Geschädigten unter Berücksichtigung ihrer eigenen Angaben und der der Zeuginnen.

III.


18
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass angesichts des Verzichts des Angeklagten auf eigene Ansprüche gegen die Geschädigte aus der Finanzierung und Einrichtung der ehemals gemeinsamen Wohnung und seiner Verpflichtung, Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro nebst Zinsen zu zahlen, auch eine Prüfung der Voraussetzungen eines TäterOpfer -Ausgleichs nach § 46a StGB veranlasst ist.
Raum Bellay Fischer Bär Hohoff

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.