Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Okt. 2019 - 4 StR 488/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 23. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung der Geldstrafen aus Entscheidungen des Amtsgerichts Halle vom 15. November 2018, 19. November 2018 und 18. Dezember 2018 unter Auflösung der mit Beschluss des Amtsgerichts Halle vom 26. März 2019 gebildeten (nachträglichen) Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und die in diesem Beschluss „genannte Einziehung der durch die Tat erlangten und beschlagnahmten Gegenstände“ auf- recht erhalten. Seine hiergegen gerichtete Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
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- 1. Die Überprüfung des Schuldspruchs, des Ausspruchs über die Einzelstrafen und der Nichtanordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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- 2. Die Gesamtstrafenbildung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Urteilsgründe nicht ergeben, dass in Bezug auf die einbezogene Geldstrafe aus der Entscheidung des Amtsgerichts Halle vom 18. Dezember 2018 die nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Voraussetzungen vorliegen.
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- a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Strafe aus der Entscheidung des Amtsgerichts Halle vom 15. November 2018 als erster noch nicht erledigter Vorverurteilung nach den am 25. Juni 2018 begangenen verfahrensgegenständlichen Taten eine Gesamtstrafe zu bilden ist und dieser Entscheidung eine Zäsurwirkung zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2019 – 4 StR 40/19, Rn. 8 und 11; Beschluss vom 14. November 2003 – 2 StR 394/03, NStZ-RR 2004, 137, 138; Beschluss vom 27. April 1993 – 1 StR 131/93, MDR 1993, 1039 bei Holtz; Urteil vom 6. Juli 1956 – 2 StR 87/55, BGHSt 9, 370, 383 f.; von Heintschel-Heinegg in: MünchKomm – StGB, 3. Aufl., § 55 Rn. 13). Es hat danach – insoweit entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts – auch zurecht die Geldstrafe aus der ebenfalls noch nicht erledigten Entscheidung des Amtsgerichts Halle vom 19. November 2018 für einbeziehungsfähig erachtet, denn die dort festgestellte Tat wurde am 9. Oktober 2018 und damit ebenfalls vor dem 15. November 2018 begangen, sodass auch insoweit die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2012 – 4 StR 444/12; Beschluss vom 13. Oktober 1995 – 3 StR 431/95, NJW 1996, 668).
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b) Dass – wie geschehen – auch die Geldstrafe aus der Entscheidung des Amtsgerichts Halle vom 18. Dezember 2018 einzubeziehen war, ergeben die Urteilsgründe dagegen nicht. Denn insoweit wird lediglich mitgeteilt, dass die zugrunde liegende Tat am 15. November 2018 begangen wurde. Da dies auch der Tag ist, an dem die Zäsur bildende Entscheidung ergangen ist, hätte es an dieser Stelle ausnahmsweise näherer Angaben (Uhrzeit) sowohl zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung als auch zum Tatzeitpunkt bedurft (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 – 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369), um überprüfen zu können, ob die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB tatsächlich vorliegen.
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- c) Durch eine möglicherweise zu Unrecht erfolgte Einbeziehung der Geldstrafe in eine zu vollstreckende Freiheitsstrafe kann der Angeklagte auch beschwert sein, denn der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer ohne die Einbeziehung dieser Strafe auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt und der Angeklagte die Geldstrafe durch Bezahlung erledigt hätte. Die Gesamtstrafe kann daher nicht bestehen bleiben. Damit verliert auch die – in den Urteilsgründen nicht näher dargelegte – Entscheidung nach § 55 Abs. 2 StGB ihre Grundlage.
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- d) Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass im Fall der Unaufklärbarkeit der für § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB bedeutsamen zeitlichen Verhältnisse nach dem Zweifelsgrundsatz zu entscheiden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 1993 – 1 StR 131/93, MDR 1993, 1038, 1039 bei Holtz; SternbergLieben /Bosch in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 55 Rn. 13). Dabei wird es darauf ankommen, was für den Täter in der konkreten Situation günstiger ist (vgl. von Heintschel-Heinegg in: MünchKomm – StGB, 3. Aufl., § 55 Rn. 9). Zudem wird auch das Schlechterstellungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) in den Blick zu nehmen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2012 – 3 StR 220/12, NStZ-RR 2013, 6; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Februar 1993 – 2 Ss 389/92, NJW 1994, 1016).
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- 3. Der Senat verweist die Sache gemäß § 354 Abs. 3 StPO an das Amtsgericht – Strafrichter – Halle.
Sost-Scheible Bender Quentin
Feilcke Bartel
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.