Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Okt. 2007 - 4 StR 419/07
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 2 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist; insoweit werden die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt;
b) das genannte Urteil im Schuldspruch dahin abgeändert , dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexueller Nötigung, und des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen schuldig ist. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die übrigen Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in elf Fällen, davon in zwei Fällen tateinheitlich mit sexueller Nötigung, und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- Der Generalbundesanwalt hat ausgeführt: "Die Revision weist zu Recht auf die Verjährung des Falles II. 2. hin. Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zum Nachteil der Zeugin Michaela H. (Fall II. Ziffer
2) muss entfallen, weil insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Verjährungsfrist für § 176 Abs. 5 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 2. Januar 1975 oder der gleichlautenden Fassung vom 10. März 1987, der Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsieht, beträgt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre. Die Tat wurde im Jahre 1986 bzw. 1987 begangen und ist damit spätestens 1992 verjährt (...), so dass die verjährungsunterbrechenden Maßnahmen (Anordnung der ersten verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten am 15. November 2006, § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, Haftbefehl vom 6. Dezember 2006, § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StGB, und Erhebung der öffentlichen Klage am 31. Januar 2007, § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) nicht mehr greifen konnten.
lung eine mildere Gesamtstrafe festgesetzt hätte (vgl. hierzu BGH, [Beschluss] vom 5. Juni 2007 - 4 StR 53/07). Im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten in 13 Fällen zu Einzelfreiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr und sechs Monaten fällt der Wegfall einer Einzelstrafe von drei Monaten nicht ins Gewicht.
Zudem hindert das Verfahrenshindernis der Verjährung den Tatrichter nicht, das im Urteil festgestellte Gesamtverhalten eines Angeklagten zu berücksichtigen und die zu verhängende Strafe dem so ermittelten Unrechtsgehalt anzupassen (vgl. BGH, [Beschluss] vom 28. September 1993 - 1 StR 576/93; BGH, [Beschluss] vom 21. November 1996 - 1 StR 613/96). Im Übrigen können ausreichend festgestellte verjährte Taten straferschwerend berücksichtigt werden, wenn auch mit geringerem Gewicht (st. Rspr.; vgl. BGH, [Beschluss] vom 8. Oktober 1996 - 1 StR 584/96; BGH, [Beschluss] vom 8. März 2006 -1 StR 67/06; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 19 und 24 m.w.N.). Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist auszuschließen , dass das Landgericht auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs eine geringere Gesamtstrafe festgesetzt hätte".
Dem tritt der Senat bei.
Tepperwien Maatz Kuckein
Athing Ernemann
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt.
(2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht.
(3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjährungsfrist
- 1.
dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, - 2.
zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind, - 3.
zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind, - 4.
fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind, - 5.
drei Jahre bei den übrigen Taten.
(4) Die Frist richtet sich nach der Strafdrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 152 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
- 2
- Aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen hat das Rechtsmittel insoweit Erfolg, als es die Bewertung des Konkurrenzverhältnisses betrifft. Im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 3
- Die konkurrenzrechtliche Beurteilung fasst einerseits die Tathandlungen der Fälle 7, 16-19, 28, 31, 35, 37-45, 75-77, 79, 82, 84, 88, 98, 99-120, 122123 , 127-129, 133-135, 148-150, 155-156, 158, 160, 168-170, 173-176 und 180 (Unterlassenstat) sowie andererseits der Fälle 3, 5, 8, 9, 13, 22, 26, 29-30, 50, 52-53, 56, 58-59, 61-63, 72, 80, 83, 85-86, 90, 92-94, 96 und 97 (Abrechnung des Pauschalbetrags) jeweils zu einer Tat zusammen. Der Senat setzt für diese beiden Taten die jeweils höchste vom Landgericht im jeweiligen Tatkomplex verhängte Einzelstrafe, also im Komplex der Unterlassungstat ein Jahr Freiheitsstrafe (Fall 84) und im Komplex der Abrechnung auf der Grundlage eines Pauschalbetrags neun Monate Freiheitsstrafe (Fall 86) als Einzelstrafen fest.
- 4
- Der teilweise Wegfall der Einzelstrafen lässt die Gesamtstrafe unberührt, da der Senat angesichts der Vielzahl und Höhe der verbleibenden Einzelstrafen ausschließen kann, dass das Landgericht bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Wertung eine mildere Gesamtstrafe festgesetzt hätte.
Solin-Stojanović Sost-Scheible
BUNDESGERICHTSHOF
a) sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen,
b) schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen , davon in fünf Fällen tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und
c) sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in fünf Fällen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe:
- 1
- Hinsichtlich der Fälle II. 1.1, 1.2, 1.4 (zwei Taten), 1.6 (zwei Taten) und 2.1 der Urteilsgründe hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt: "Die Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichten sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen muss in diesen Fällen entfallen, weil insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Verjährungsfrist für § 174 Abs. 1 StGB beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Nach den Feststellungen beging der Angeklagte die Tat unter II. 1.1 im Jahr 1997, die Tat unter II. 1.2 zwischen Mitte September 1997 und dem 20. März 1998. Die erste verjährungsunterbrechende Handlung - die erste Vernehmung des Beschuldigten (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) - erfolgte am 14. Mai 2004. Da in den Fällen II. 1.4, 1.6 und 2.1 nach dem Zweifelssatz von der jeweils zeitlich frühesten denkbaren Tatbegehung ausgegangen werden muss, waren auch insoweit die Verstöße gegen § 174 StGB im Zeitpunkt der verjährungsunterbrechenden Handlung verjährt. Durch den mit dem Sexualdelikts-ÄndG vom 27. Dezember 2003 neu gefassten § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB, in welchem nunmehr bestimmt ist, dass auch bei Straftaten nach § 174 StGB die Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers ruht, hat sich an dieser Rechtslage für den vorliegenden Fall nichts geändert, weil zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 1. April 2004 bereits Strafverfolgungsverjährung eingetreten war (BGH NStZ 2005, 89)." Dementsprechend hat der Senat den Schuldspruch geändert.
- 2
- Die Schuldspruchänderung führt nicht zu einer Aufhebung des Strafausspruchs. Insoweit hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt: "Die getroffenen Einzelstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe werden durch den Wegfall des jeweils tateinheitlich verwirklichten Vergehens nicht in Frage gestellt. Die Schuldspruchänderung lässt den Unrechts- und Schuldgehalt der Taten unberührt , zumal das Landgericht die Verwirklichung des Tatbestandes des § 174 StGB nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat. Im Übrigen können auch verjährte Taten straferschwerend berücksichtigt werden, wenn auch mit geringerem Gewicht (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 19 und 24 m.w.N.)." Dem schließt sich der Senat an; denn es ist auszuschließen, dass das Landgericht geringere Freiheitsstrafen ausgesprochen hätte, wenn es sich der Verjährung des jeweils tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen bewusst gewesen wäre.
- 3
- Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund des Revisionsvorbringens keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. VRiBGH Nack ist urlaubsabwesend und daher an der Unterschrift gehindert. Wahl Wahl Kolz Elf Graf
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.