Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Sept. 2010 - 4 StR 342/10

bei uns veröffentlicht am07.09.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 342/10
vom
7. September 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 7. September 2010 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 19. März 2010
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen , in zwei Fällen in weiterer Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, sowie des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten schuldig ist,
b) im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten "der Vergewaltigung in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und Beischlaf unter Verwandten und des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Beischlaf unter Verwandten" schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung einer anderweit verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich auch im Fall II. 4 der Urteilsgründe tateinheitlich des Beischlafs zwischen Verwandten schuldig gemacht, ist rechtsfehlerhaft. Der Tatbestand des § 173 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter mit einem leiblichen Abkömmling den "Beischlaf" vollzieht; beischlafähnliche Handlungen werden von § 173 StGB nicht erfasst (vgl. Lenckner/Bosch in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 173 Rn. 3 m.N.). Im Fall II. 4 der Urteilsgründe hat der Angeklagte die Geschädigte jedoch ausschließlich gezwungen, an ihm den Oralverkehr auszuüben; dies genügt für den Tatbestand des Beischlafs zwischen Verwandten nicht.
3
Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.
4
2. Dies führt zur Aufhebung der für den Fall II. 4 der Urteilsgründe verhängten Einsatzstrafe von fünf Jahren; denn das Landgericht hat ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte auch das von § 173 Abs. 1 StGB geschützte Rechtsgut verletzt habe (UA 18). Der Senat hat den Strafausspruch insgesamt aufgehoben, um dem neuen Tatrichter eine in sich ausgewogene Strafzumessung zu ermöglichen.
5
3. Der neue Tatrichter wird zu prüfen haben, ob die mit Strafbefehl vom 16. Mai 2007 verhängte Geldstrafe im Zeitpunkt der ersten Hauptverhandlung (vgl. BGH, Beschl. vom 03. November 2009 - 3 StR 427/09) bereits erledigt war; anderenfalls kommt ihr zäsurbildende Kraft zu.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Eschelbach

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 173 Beischlaf zwischen Verwandten


(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstra

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Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Nov. 2009 - 3 StR 427/09

bei uns veröffentlicht am 03.11.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 427/09 vom 3. November 2009 in der Strafsache gegen wegen Brandstiftung u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antra
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Sept. 2010 - 4 StR 342/10.

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2018 - 3 StR 226/18

bei uns veröffentlicht am 12.06.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 226/18 vom 12. Juni 2018 in der Strafsache gegen wegen schwerer Vergewaltigung u.a. ECLI:DE:BGH:2018:120618B3STR226.18.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

(3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 427/09
vom
3. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Brandstiftung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 3. November
2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 b StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 23. Juni 2009 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben , dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO und eine Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels zu treffen sind. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten am 30. Mai 2008 wegen Diebstahls und Brandstiftung unter Einbeziehung einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 19. März 2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat unter Verwerfung des Rechtsmittels im Übrigen dieses Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf und verwies die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Das Landgericht hat für die in der Nacht vom 13./14. Oktober 2007 begangenen verfahrensgegenständlichen Taten (erneut) auf Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und drei Jahren acht Monaten erkannt und hieraus die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten gebildet. An einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB unter Einbeziehung der sechsmonatigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 19. März 2007 in Verbindung mit dem Berufungsurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 2008 hat sich das Landgericht gehindert gesehen, weil diese Strafe seit dem 5. November 2008 vollständig vollstreckt und deshalb erledigt sei. Insoweit hat das Landgericht bei Bemessung der Gesamtstrafe einen Härteausgleich vorgenommen.
3
Die Nachprüfung des Urteils hat zu den Einzelstrafaussprüchen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers ergeben. Insoweit ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Gesamtstrafe hält indessen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
Das Landgericht hat verkannt, dass bei Aufhebung einer Gesamtstrafe durch das Revisionsgericht und Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht in der neuen Verhandlung die Gesamtstrafenbildung nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung vorzunehmen ist, weil dem Beschwerdeführer ein früher erlangter Rechtsvorteil nicht durch sein Rechtsmittel genommen werden darf (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ-RR 2008, 72; Fischer, StGB 56. Aufl. § 55 Rdn. 37 m. w. N.). Danach hätte das Landgericht der Gesamtstrafenbildung die Vollstreckungslage am 30. Mai 2008 zu Grunde legen müssen. Zu diesem Zeitpunkt war zwar die Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 16. Mai 2007 durch Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe vollständig erledigt, so dass diese Entscheidung keine Zäsurwirkung mehr entfalten konnte. Nicht erledigt war jedoch im Zeitpunkt des Erlasses des ersten tatrichterlichen Urteils in vorliegender Sache die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 19. März 2007. Da für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung der Zeitpunkt des in jener Sache ergangenen Berufungsurteils als letzte tatrichterliche (Sach-)Entscheidung maßgeblich ist (vgl. Fischer aaO Rdn. 7) und die verfahrensgegenständlichen Taten vor diesem Urteil begangen wurden, hätte das Landgericht aus den im vorliegenden Fall verhängten Einzelstrafen und der sechsmonatigen Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 19. März 2007 (i. V. m. dem Berufungsurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 2008) eine nachträgliche Gesamtstrafe bilden müssen.
5
Dieser Rechtsfehler kann sich trotz des vorgenommenen Härteausgleichs zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben und nötigt abermals zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
6
Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1 b Satz 1 StPO Gebrauch gemacht.
7
Die Kosten- und Auslagenentscheidung war dem Verfahren gemäß §§ 460, 462 StPO vorzubehalten.
Becker von Lienen Sost-Scheible
Hubert Schäfer