Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juni 2008 - 3 StR 169/08

bei uns veröffentlicht am24.06.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 169/08
vom
24. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 24. Juni 2008 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 10. Dezember 2007 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte zu nicht näher bestimmbaren Zeiten zwischen Ende 2004 und Januar 2006 seine damals acht bis neun Jahre alte Stieftochter. Die Taten fanden in der Wohnung statt, in die der Angeklagte nach der Trennung von der Ehefrau gezogen war und in der das Kind den Angeklagten regelmäßig besuchte. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung von der Schuld des die Vorwürfe bestreitenden Angeklagten aufgrund der für glaubhaft erachteten Aussage der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung elf Jahre alten Zeugin gewonnen. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft und hält deshalb rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
Die Zeugin hat bei mehreren Gelegenheiten im Familienkreis, bei drei polizeilichen Vernehmungen, im Rahmen der Exploration durch eine Aussagepsychologin sowie in der Hauptverhandlung Angaben zum Tatgeschehen gemacht und dabei ihre Aussage stets um neue Varianten ergänzt. Bei ihrer dritten Vernehmung durch die Polizei schilderte sie, vom Angeklagten zu einem weit von zuhause entfernten Haus gebracht worden zu sein. Dort seien sie und der Angeklagte von einem auffällig im Gesicht und am Körper tätowierten Mann empfangen worden; man habe ihr die Augen verbunden und ihr einen betäubenden Saft zu trinken gegeben; mehrere Männer hätten mit ihr Sex gehabt, nachdem sie ihr zuvor Kot ins Gesicht und Erbrochenes an den Hals geschmiert hätten; am nächsten Morgen habe sie stark aus der Scheide geblutet, so dass der Angeklagte ihr Binden gegeben habe. Das Landgericht hat einerseits die Richtigkeit der Angaben nicht sicher festzustellen (UA S. 16), ihnen wegen der vielen Details andererseits nicht von vorneherein jeglichen Wahrheitsgehalt abzusprechen vermocht (UA S. 15). Es hat deshalb offen gelassen, ob diese Schilderung eines exzessiven sexuellen Missbrauchs erlebnisbegründet war.
4
Diese Würdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn sie ist lückenhaft. Angesichts der Beweissituation durfte das Landgericht die Richtigkeit oder Unwahrheit der Angaben der Zeugin, die eine gewichtige Hilfstatsache für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage zu den verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfen darstellte, nur dann nicht als feststellbar behandeln und mit dieser Ungewissheit in seine Würdigung des gesamten Beweisergebnisses einstellen, wenn es zuvor alle für und gegen die Glaubhaftigkeit dieser Erzählung der Zeugin sprechenden Umstände berücksichtigt und in seine Überzeugungsbildung einbezogen hätte. Daran fehlt es, denn das Landgericht hat im unmittelbaren Zusammenhang mit der Beurteilung der Bekundungen zu dem exzessiven sexuellen Missbrauch und dessen Folgen ("stark aus der Scheide geblutet") den bei der Zeugin erhobenen gynäkologischen Befund ("intaktes Hymen") nicht erörtert. Dieser Erörterung hätte es umso mehr bedurft, als die Zeugin im Verlauf ihrer Vernehmungen (bei der Sachverständigen sowie in der Hauptverhandlung) geschildert hatte, der Angeklagte habe mehrfach mit ihr auch den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzogen.
5
Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht, hätte es sich von der Unwahrheit der Bekundungen über die Geschehnisse mit dem "tätowierten Mann" überzeugt und eine solche nicht bloß nicht ausschließen können, die Glaubhaftigkeit der übrigen Angaben der Zeugin in ernsthafte Zweifel gezogen hätte. Die Sache muss daher neu verhandelt werden. Becker Miebach Pfister Sost-Scheible Schäfer

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