Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Feb. 2001 - 2 StR 458/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und hinsichtlich des sichergestellten Geldes in Höhe von 3.200,-- DM den Verfall angeordnet.Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Insbesondere macht er bezüglich der ersten Tat das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs geltend. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Soweit der Angeklagte im ersten Fall der Urteilsgründe (Tatzeit: 1993) verurteilt worden ist, ist das angefochtene Urteil aufzuheben, da insoweit Strafklageverbrauch in Betracht kommt. Die Sache ist zur Klärung dieser Frage an das Landgericht zurückzuverweisen, da dem Senat im Freibeweisverfahren eine abschließende Entscheidung nicht möglich ist.
II.
Nach den Feststellungen zum ersten Fall der Urteilsgründe brachte der Angeklagte am 16. April 1993 488,06 Gramm Kokainzubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von 202,36 Gramm Kokainhydrochlorid aus den Niederlanden nach Deutschland, wo er es an den Zeugen M. übergab, der auf den vereinbarten Kaufpreis von 42.500,-- DM eine Anzahlung von 21.500,-- DM leistete. Am 16. November 1993 wurde der Angeklagte durch eine mit "Widerspruch" bezeichnete Entscheidung des Amtsgerichts Maastricht/Niederlande - nach einer Ä nderung der Anklage - von dem Vorwurf, in der Zeit vom 20. Februar 1993 bis zum 2. Juli 1993 ungefähr 500 Gramm kokainhaltiges Material aus den Niederlanden ausgeführt zu haben, freigesprochen.1. Durch die Entscheidung des Amtsgerichts Maastricht vom 16. November 1993 kann bezüglich der vom Landgericht abgeurteilten ersten Tat gemäß Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) Strafklageverbrauch eingetreten sein. Nach dieser Vorschrift darf derjenige, der durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, daß im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann. Das Übereinkommen ist seit dem 26. März 1995 für Deutschland und die Niederlande in Kraft gesetzt. Der von Deutschland gemäß Artikel 55 Abs. 1 a) 1. Halbsatz SDÜ erklärte Vorbehalt steht der Anwendung von Artikel 54 SDÜ im vorliegenden Fall nicht entgegen. Denn nach dem 2. Halbsatz der Regelung greift der Vorbehalt dann nicht ein, wenn die Tat - wie hier - auch in dem Hoheitsgebiet der Vertragspartei begangen wurde, in dem das Urteil ergangen ist (vgl. BGH, Beschluß vom 13. Mai 1997 - 5 StR 596/96, insoweit nicht abgedruckt in NStZ 1998, 149 ff.). Auch ein rechtskräftiger Freispruch bewirkt Strafklageverbrauch nach Artikel 54 SDÜ (so nicht tragend bereits BGH NStZ 1999, 579, 580; Schomburg NJW 2000, 1833, 1834). Anderenfalls wäre die Wendung "im Fall der Verurteilung" sowie die Differenzierung zwischen Ab- und Verurteilung in Artikel 54 SDÜ nicht verständlich (Schomburg StV 1997, 383, 384). Diese Auslegung ergibt sich auch aus der Denkschrift der Bundesregierung zum gleichlautenden Artikel 1 des EG-ne bis in idem-Übk. vom 25. Mai 1987 (BR-Drucks. 283/97 S. 10). Danach soll der Grundsatz "ne bis in idem" auch auf ausländische Urteile erstreckt werden, durch die ein Angeklagter freigesprochen worden ist.
Das EG-ne bis in idem-Übk. ist zwar mangels Ratifikation durch alle Mitgliedsstaaten bislang noch nicht in Kraft getreten. Es ist jedoch gemäß Artikel 6 Abs. 3 des Übk. für Deutschland bereits vorzeitig im Verhältnis zu den Staaten anwendbar, die dieselbe Erklärung abgegeben haben. Dazu gehören auch die Niederlande (vgl. Schomburg, Anm. zu BGH StV 1999, 244 ff., StV 1999, 246, 247, Fußn.11; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl., Einl. Rdn. 177 aE). 2. Entscheidend für die Frage des Strafklageverbrauchs ist hier demnach zunächst, ob es sich bei dem im ersten Fall vom Landgericht abgeurteilten und dem der Entscheidung des Amtsgerichts Maastricht zugrunde liegenden Sachverhalt um dieselbe Tat im verfahrensrechtlichen Sinne handelt. Dies liegt hier - worauf auch der Generalbundesanwalt hinweist - im Hinblick auf die Ä hnlichkeit der Tatzeiten und Rauschgiftmengen nahe. Gleichwohl hat der Tatrichter die Frage des Strafklageverbrauchs nicht erkennbar geprüft; die Urteilsgründe äußern sich hierzu nicht. Das angefochtene Urteil war demgemäß aufzuheben, da der Senat Strafklageverbrauch nicht ausschließen kann. Dies ist vom Tatrichter näher aufzuklären. Zwar prüft das Revisionsgericht das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen in der Regel selbständig aufgrund eigener Sachuntersuchung unter Benutzung aller verfügbaren Erkenntnisquellen im Freibeweisverfahren. Macht aber die Ermittlung der maßgebenden Tatsachen eine Beweisaufnahme wie in der Hauptverhandlung vor dem Tatrichter erforderlich, so ist es dem Senat nicht verwehrt, das Urteil aufzuheben und die Sache an den Tatrichter zurückzuverweisen (vgl. Senatsbeschluß vom 11. März 1998 - 2 StR 22/98; BGHSt 16, 399, 403). Dies liegt hier schon deshalb nahe, weil nicht nur durch Beiziehung der niederländischen Akten und/oder Einholung entsprechender Auskünfte der zuständigen Stellen zu ermitteln ist, was dem Angeklagten durch die ursprüngli-
che und die geänderte niederländische Anklageschrift vorgeworfen worden ist. Vielmehr kommt hier auch die Vernehmung des dortigen Richters oder Staatsanwalts sowie des Zeugen M. in Betracht. Zudem wird das Landgericht aufzuklären haben, ob es sich bei der Entscheidung des Amtsgerichts Maastricht vom 16. November 1993 tatsächlich um ein rechtskräftiges freisprechendes Urteil handelt.
III.
Die Verfallsanordnung hat trotz der teilweisen Aufhebung des Urteils Bestand, da sie sich ausschließlich auf das im zweiten Fall sichergestellte Geld bezieht. Bode Detter Otten Rothfuß FischerAnnotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.