Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Aug. 2012 - 2 StR 199/12

bei uns veröffentlicht am21.08.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 199/12
vom
21. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 21. August 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 20. Dezember 2011 wird als unbegründet verworfen; jedoch wird der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der sexuellen Nötigung, des versuchten Totschlags in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall II. 2 der Urteilsgründe) zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt , deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und drei Monate als vollstreckt erklärt. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Schuldspruch bedarf indes der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung.
2
1. Das Landgericht hat das Tatgeschehen im Fall II. 2 der Urteilsgründe als natürliche Handlungseinheit gewertet. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
a) Unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit liegt eine Tat im sachlichrechtlichen Sinne nur dann vor, wenn mehrere, im Wesentlichen gleichartige Handlungen von einem einheitlichen Willen getragen werden und aufgrund ihres engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs so miteinander verbunden sind, dass sich das gesamte Tätigwerden (objektiv) auch für einen Dritten bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches Geschehen darstellt (st. Rspr.; vgl. BGH, StV 1994, 537; BGHR StGB § 52 Abs. 1 Entschluss , einheitlicher 1; vgl. LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., vor § 52 Rn. 10 ff.). Richten sich die Handlungen des Täters gegen höchstpersönliche Rechtsgüter der Opfer, wird die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sie liegt jedoch bereits nicht nahe (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., vor § 52 Rn. 7). Denn höchstpersönliche Rechtsgüter sind einer additiven Betrachtungsweise allenfalls in Ausnahmefällen zugänglich. Deshalb können solche Handlungen, die sich nacheinander gegen mehrere Personen richten, grundsätzlich weder durch ihre enge Aufeinanderfolge noch durch einen einheitlichen Plan oder Vorsatz zu einer natürlichen Handlungseinheit und damit zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden. Ausnahmen kommen nur in Betracht, wenn ein einheitlicher Tatentschluss gegeben ist und die Aufspaltung des Tatgeschehens in Einzelhandlungen wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhanges , etwa bei Messerstichen oder Schüssen ohne jegliche zeitliche Zäsur , willkürlich und gekünstelt erschiene (vgl. BGHR StGB § 232 Konkurrenzen 1; BGH, NStZ-RR 2001, 82 mwN; StraFo 2012, 267; Urteil vom 23. Mai 2012 - 5 StR 54/12; LK/Rissing-van Saan, aaO, Rn. 14).
4
b) Nach diesen Maßstäben können die vorliegend gegen drei Geschädigte gerichteten Verletzungshandlungen des Angeklagten nicht zu einer einheitlichen Tat zusammengefasst werden. Nach den Feststellungen des Landgerichts fühlte sich der Angeklagte zurückgesetzt, nachdem er von seinen Freunden davon abgehalten worden war, ein von ihm beabsichtigtes klärendes Gespräch mit dem Zeugen H. zu führen. Er lief deshalb nach einem Gerangel zwischen seinen Freunden und mehreren Personen um den Zeugen H. , an dem er selbst nicht aktiv beteiligt war, mit vorgehaltener Pistole aus der Gruppe seiner Freunde heraus und schoss in Richtung einer Personengruppe , die um den Geschädigten R. und wenige Meter hinter H. stand. Er traf R. am Oberarm. Anschließend lief der Angeklagte auf H. - zu und schoss diesem zielgerichtet in Bauch und Hals. Als nunmehr der mit einer Eisenstange bewaffnete Zeuge Ha. auf den Angeklagten zurannte, um diesen von weiteren Schüssen auf H. abzuhalten, entschloss sich der Angeklagte zur Flucht. Während des Wegrennens drehte er sich im Laufen um und gab drei Schüsse in Richtung des Oberkörpers des Geschädigten Ha. ab, die diesen an beiden Armen und einem Bein trafen.
5
Auf der Grundlage dieses Geschehensablaufes, der insbesondere durch mehrere Tatentschlüsse des Angeklagten gekennzeichnet ist, liegt keine der von der Rechtsprechung bei Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter mehrerer Personen anerkannten Ausnahmen vor.
6
2. Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst geändert, da ergänzende Feststellungen nicht zu erwarten sind. § 358 Abs. 2 StPO steht der Ergänzung des Schuldspruchs nicht entgegen, da er das Risiko einer Verschlechterung des Schuldspruchs nicht ausschließt (vgl. BGH NStZ 2011, 212, 213). Auch § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen. Der Angeklagte hätte sich insoweit nicht anders verteidigen können.
7
Die Änderung des Schuldspruchs erfordert nicht die Aufhebung des Strafausspruchs. Denn die vom Landgericht bei der Bemessung der Jugendstrafe in den Vordergrund gestellten Belange eines gerechten Schuldausgleichs und erzieherischer Erfordernisse werden von der Schuldspruchänderung nicht berührt.
Fischer Appl Berger Eschelbach Ott

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafgesetzbuch - StGB | § 52 Tateinheit


(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt. (2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie d

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Strafgesetzbuch - StGB | § 232 Menschenhandel


(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden i

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Bundesgerichtshof Urteil, 23. Mai 2012 - 5 StR 54/12

bei uns veröffentlicht am 23.05.2012

5 StR 54/12 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 23. Mai 2012 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Mai 2012, an der teilgenommen haben: Vorsitzender R

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt, wenn

1.
diese Person ausgebeutet werden soll
a)
bei der Ausübung der Prostitution oder bei der Vornahme sexueller Handlungen an oder vor dem Täter oder einer dritten Person oder bei der Duldung sexueller Handlungen an sich selbst durch den Täter oder eine dritte Person,
b)
durch eine Beschäftigung,
c)
bei der Ausübung der Bettelei oder
d)
bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen durch diese Person,
2.
diese Person in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft oder in Verhältnissen, die dem entsprechen oder ähneln, gehalten werden soll oder
3.
dieser Person rechtswidrig ein Organ entnommen werden soll.
Ausbeutung durch eine Beschäftigung im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b liegt vor, wenn die Beschäftigung aus rücksichtslosem Gewinnstreben zu Arbeitsbedingungen erfolgt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen solcher Arbeitnehmer stehen, welche der gleichen oder einer vergleichbaren Beschäftigung nachgehen (ausbeuterische Beschäftigung).

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person, die in der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Weise ausgebeutet werden soll,

1.
mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt oder
2.
entführt oder sich ihrer bemächtigt oder ihrer Bemächtigung durch eine dritte Person Vorschub leistet.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn

1.
das Opfer zur Zeit der Tat unter achtzehn Jahren alt ist,
2.
der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung wenigstens leichtfertig in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3.
der Täter gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.
In den Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn einer der in Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Umstände vorliegt.

(4) In den Fällen der Absätze 1, 2 und 3 Satz 1 ist der Versuch strafbar.

5 StR 54/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 23. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
23. Mai 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. September 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall 5 der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Munition verurteilt worden ist, sowie im Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Teilfreisprechung wegen schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Zuhälterei, wegen vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Munition, wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Zuhälterei und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz einer Schusswaffe unter Einbeziehung der Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Bergedorf vom 7. Dezember 2009 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die Einziehung sichergestellter Waffen und Munition sowie von Betäubungsmitteln angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Schuldspruch im Fall 5 der Urteilsgründe beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Sie führt insoweit zur Urteilsaufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
2
1. Das Landgericht hat zu dem von der Revision der Staatsanwaltschaft allein noch betroffenen Fall 5 der Urteilsgründe folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Die Zeugen Fa. , K. und G. besichtigten Ende Mai 2010 vor dem Wohnhaus des K. einen Unfallschaden am VW Phaeton des G. . Sie standen am Fahrbahnrand an der Fahrerseite des Pkw, Fa. bei der Motorhaube, K. in der Mitte und G. in der Höhe des Kofferraums. In diesem Augenblick stoppte ein schwarzer Geländewagen in Höhe des Phaeton. Der Angeklagte saß auf der Rückbank hinter dem Fahrersitz. Gesteuert wurde das Fahrzeug von einem unbekannten Mittäter. Der Angeklagte gab durch das geöffnete Seitenfenster aus einer Entfernung von einem bis zwei Metern mit einer scharfen Waffe mehrere Schüsse auf die Zeugen ab. Er nahm dabei wenigstens die Tötungvon Fa. und K. zumindest billigend in Kauf.
4
Bei der Schussabgabe oder kurz davor sprang Fa. in geduckter Haltung über die Motorhaube des Phaeton hinweg, lief eine Treppe zum tiefer gelegenen Eingang des Hauses hinunter und brachte sich so vor weiteren Schüssen in Sicherheit. K. und G. verblieben hingegen am Fahrzeug und duckten sich ab oder warfen sich auf den Boden. Ein Schuss traf die Rückleuchte des Phaeton, ein weiterer schlug in einer Höhe von 140 bis 143 cm im Bereich der B-Säule ein. Verletzt wurde niemand.
5
Der Angeklagte bemerkte, dass er nicht getroffen und dass sich K. vor dem Geländewagen abgeduckt hatte. Trotz freier Schussbahn auf kurze Distanz sah er von weiteren Schüssen ab. Unmittelbar nach der Schussabgabe fuhren der Angeklagte und sein Mittäter vom Tatort weg. Der gesamte Vorfall dauerte nur wenige Sekunden.
6
b) Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte vom unbeendeten Versuch des Mordes an den Zeugen K. und Fa. strafbefreiend nach § 24 StGB zurückgetreten sei. Weil sich das Geschehen nicht in Einzeltaten aufgliedern lasse, sei der Sachverhalt auch im Rahmen des Rücktritts einheitlich zu beurteilen; es sei daher nicht möglich, im Hinblick auf K. einen Rücktritt vom Versuch anzunehmen und im Hinblick auf Fa. einen Rücktritt zu verneinen (UA S. 48). Es hat den Angeklagten lediglich wegen Waffendelikten verurteilt.
7
2. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben. Das Landgericht hat einen Rücktritt vom (unbeendeten) Versuch des Mordes auch zum Nachteil des Zeugen Fa. angenommen, ohne insoweit die Rechtsfigur des fehlgeschlagenen Versuchs näher zu erörtern.
8
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme natürlicher Handlungseinheit. Schießt der Täter – wie hier – innerhalb weniger Sekunden ohne jegliche zeitliche Zäsur auf mehrere Personen, so ist trotz der Beeinträchtigung höchstpersönlicher Rechtsgüter eine Tat anzunehmen; denn eine Aufspaltung in selbständige Einzeltaten erschiene wegen des engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2000 – 5 StR 323/00, NStZ-RR 2001, 82 mwN). Jedoch hat die Jugendkammer verkannt, dass dann nicht etwa ein einheitliches (versuchtes) Tötungsdelikt, sondern mehrere tateinheitlich verwirklichte (versuchte) Tötungsdelikte gegeben sind (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 211 Rn. 109 mwN). Es versteht sich von selbst, dass die Voraussetzungen des Rücktritts nach § 24 StGB unter solchen Vorzeichen hinsichtlich jedes im Versuchsstadium stecken gebliebenen Tötungsverbrechens gesondert zu prüfen sind.
9
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zutreffend weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass die Annahme eines unbeendeten Versuchs und einer freiwilligen Aufgabe der Tat zwar hinsichtlich des Zeugen K. auf einer jedenfalls nicht durchgreifend rechtlich fehlerhaften Würdigung beruht, nicht aber hinsichtlich des Zeugen Fa. . Ausweislich der Urteilsfeststellungen hatte Fa. Verdacht geschöpft, war im Augenblick der Schussabgabe oder kurz zuvor über die Motorhaube des Phaeton gesprungen und hatte sich im Eingangsbereich des Wohnhauses in Sicherheit gebracht, weswegen ihn der Angeklagte im Falle weiteren Schießens nicht mehr zu treffen vermochte (UA S. 48). Damit war zwingend zu prüfen, ob hinsichtlich dieses Zeugen ein fehlgeschlagener Versuch gegeben ist, von dem der Angeklagte nicht mehr hätte zurücktreten können (vgl. Fischer, aaO, § 24 Rn. 7 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
10
b) Obwohl die Feststellungen namentlich zum Tötungsvorsatz und zur Heimtücke sowie betreffend die Waffendelikte an sich rechtsfehlerfrei getroffen sind, hebt der Senat das Urteil im allein angefochtenen Fall 5 insgesamt auf. Der durch die rechtsfehlerhafte Annahme umfassenden Rücktritts nicht beschwerte Angeklagte hatte keinen Anlass, mit seiner Revision den bislang getroffenen Feststellungen entgegenzutreten. Die Verteidigerin hat die Möglichkeit abweichender Feststellungen, die auch hinsichtlich des Zeugen Fa. keinen Fehlschlag belegen würden, in den Raum gestellt. Zudem sollen dem neu entscheidenden Tatgericht im Hinblick auf von der Staatsanwaltschaft beanstandete Schwächen und Unschärfen der Urteilsdarlegungen in sich stimmige Feststellungen auf der Grundlage einer neuen Beweiswürdigung ermöglicht werden.
11
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des gesamten auf die Anwendung von Jugendstrafrecht gestützten Strafausspruchs nach sich. Die neu entscheidende Jugendkammer wird eingehend zu prüfen haben, ob auf die Taten des Angeklagten Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Gegen die im angefochtenen Urteil vorgenommene Wertung (UA S. 51 ff.) kann sprechen, dass der Angeklagte, der sich vom Elternhaus gelöst hat, schon seit geraumer Zeit vor den verfahrensgegenständlichen Taten als Zu- hälter tätig gewesen ist und im Rotlichtmilieu offensichtlich durchaus „seinen Mann gestanden hat“.
Basdorf Schaal Schneider König Bellay

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.