Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Feb. 2019 - 2 ARs 21/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Angeklagten am 19. Februar 2019 gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach hat unter dem 26. Oktober 2015 beim Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Bad Kreuznach gegen den zur Tatzeit noch heranwachsenden Angeklagten wegen mehrerer im Zeitraum von Dezember 2014 bis August 2015 in Bad Kreuznach begangener Straftaten (u.a. gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung) Anklage erhoben. Mit weiterer Anklageschrift vom 3. November 2015 hat sie den Angeklagten wegen eines im August 2015 in Bad Kreuznach begangenen Diebstahls ebenfalls beim Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Bad Kreuznach angeklagt (1044 Js 17200/15). Mit Beschluss vom 18. Dezember 2015 hat das Amtsgericht Bad Kreuznach die Verfahren verbunden, mit weiterem Beschluss vom 13. Januar 2016 die Anklagen zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Eine Hauptverhandlung konnte gegen den Angeklagten bislang nicht durchgeführt werden. Der unter gesetzlicher Betreuung ste- hende Angeklagte ist psychisch erkrankt und lebte in der Vergangenheit im Obdachlosenmilieu. Zu einem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. März 2016 wurde er aus der Rheinhessen Fachklinik, in der er zwischenzeitlich untergebracht war, vorgeführt. Eine Verhandlung zur Sache fand jedoch nicht statt, weil der Angeklagte nicht verhandlungsfähig war. Da der Angeklagte nach seiner Entlassung aus der Fachklinik unbekannten Aufenthalts war, wurde das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 1. April 2016 gemäß § 205 StPO vorläufig eingestellt. Zu einem weiteren nach Wiederaufnahme des Verfahrens bestimmten Termin zur Hauptverhandlung am 16. März 2017 erschien der Angeklagte nicht. Mit Beschluss vom 21. April 2017 hat das Amtsgericht Bad Kreuznach das Verfahren erneut auf Antrag der Staatsanwaltschaft wegen unbekannten Aufenthalts des Angeklagten gemäß § 205 StPO eingestellt.
- 2
- Der Angeklagte ist seit dem 6. Juni 2018 jedenfalls noch bis zum 10. Oktober 2019 durch seinen gesetzlichen Betreuer mit Zustimmung des Amtsgerichts Neumarkt i.d. Oberpfalz in der geschlossenen Abteilung der AWO Wohnstätte Mohren für psychisch Kranke in Treuchtlingen untergebracht. Laut Auskunft der Wohnstätte kommt aufgrund des Gesundheitszustands des Angeklagten sowie seiner mangelnden Absprachefähigkeit eine Anreise zu einer Hauptverhandlung am Amtsgericht Bad Kreuznach nicht in Betracht. Mit Beschluss vom 11. September 2018 hat das Amtsgericht Bad Kreuznach das Verfahren daher mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach gemäß § 42 Abs. 3 JGG an das für Treuchtlingen zuständige Amtsgericht Weißenburg abgegeben. Der Vorsitzende des dortigen Jugendschöffengerichts hat die Übernahme des Verfahrens mit Beschluss vom 25. Oktober 2018 als unzweckmäßig abgelehnt. Das Amtsgericht Bad Kreuznach hat das Verfahren daraufhin mit Beschluss vom 16. Dezember 2018 dem Bundesgerichtshof als gemeinschaftlichem oberen Gericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II.
- 3
- Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung des zwischen den Jugendgerichten bestehenden Streits gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG als gemeinschaftliches oberes Gericht berufen, weil die Amtsgerichte Bad Kreuznach und Weißenburg in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte liegen.
- 4
- Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt: „Für die Verhandlung und Entscheidung der Sache ist das Amts- gericht – Jugendschöffengericht – Weißenburg zuständig. Die Voraussetzungen für eine Abgabe nach § 42 Abs. 3 Satz 1 JGG, der hier in Verbindung mit § 108 JGG anwendbar ist, liegen vor, weil der Angeklagte seinen Aufenthaltsort nach Anklageerhebung gewechselt hat. Dass der Angeklagte sich aufgrund richterlicher Anordnung in der Wohnstätte in Treuchtlingen befindet, ist insoweit ohne Belang, da es auf die Freiwilligkeit des Aufenthaltswechsels nicht ankommt (vgl. Eisenberg, JGG 19. Auflage, § 42 Rn. 22 m.w.N.). Die im richterlichen Ermessen stehende Abgabe der Sache erscheint insbesondere im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Angeklagten auch sachgerecht. Zwar hat das Amtsgericht Bad Kreuznach bereits über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und ist mit der Sache vertraut. Auch unter Berücksichtigung dessen sowie des Umstands, dass gegebenenfalls die in den Anklageschriften benannten Zeugen gehört werden und diese überwiegend aus Bad Kreuznach zur Hauptverhandlung nach Weißenburg anreisen müssen, stellt sich die Abgabe des Verfahrens gleichwohl als zweckmäßig dar. Denn beim Amtsgericht Bad Kreuznach kann dem dort nunmehr bereits seit mehr als drei Jahren anhängigen Verfahren während der Unterbringung des Angeklagten in der geschlossenen Abteilung der AWO Wohnstätte in Treuchtlingen bis zum 10. Oktober 2019 kein Fortgang gegeben werden. Zudem droht eine weitere Verzögerung des Verfahrens über diesen Zeitpunkt hinaus nicht nur bei einer möglichen Verlängerung der Unterbringung, sondern auch im Fall einer Beendigung , weil die Gefahr besteht, dass der zuvor obdachlose Angeklagte nach der Entlassung erneut unbekannten Aufenthalts sein wird.
Annotations
(1) Neben dem Richter, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften zuständig ist, sind zuständig
- 1.
der Richter, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen, - 2.
der Richter, in dessen Bezirk sich der auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte zur Zeit der Erhebung der Anklage aufhält, - 3.
solange der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, der Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.
(2) Der Staatsanwalt soll die Anklage nach Möglichkeit vor dem Richter erheben, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben obliegen, solange aber der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, vor dem Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.
(3) Wechselt der Angeklagte seinen Aufenthalt, so kann der Richter das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwalts an den Richter abgeben, in dessen Bezirk sich der Angeklagte aufhält. Hat der Richter, an den das Verfahren abgegeben worden ist, gegen die Übernahme Bedenken, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.
Steht der Hauptverhandlung für längere Zeit die Abwesenheit des Angeschuldigten oder ein anderes in seiner Person liegendes Hindernis entgegen, so kann das Gericht das Verfahren durch Beschluß vorläufig einstellen. Der Vorsitzende sichert, soweit nötig, die Beweise.
(1) Neben dem Richter, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften zuständig ist, sind zuständig
- 1.
der Richter, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen, - 2.
der Richter, in dessen Bezirk sich der auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte zur Zeit der Erhebung der Anklage aufhält, - 3.
solange der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, der Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.
(2) Der Staatsanwalt soll die Anklage nach Möglichkeit vor dem Richter erheben, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben obliegen, solange aber der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, vor dem Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.
(3) Wechselt der Angeklagte seinen Aufenthalt, so kann der Richter das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwalts an den Richter abgeben, in dessen Bezirk sich der Angeklagte aufhält. Hat der Richter, an den das Verfahren abgegeben worden ist, gegen die Übernahme Bedenken, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.
(1) Die Vorschriften über die Zuständigkeit der Jugendgerichte (§§ 39 bis 42) gelten auch bei Verfehlungen Heranwachsender.
(2) Der Jugendrichter ist für Verfehlungen Heranwachsender auch zuständig, wenn die Anwendung des allgemeinen Strafrechts zu erwarten ist und nach § 25 des Gerichtsverfassungsgesetzes der Strafrichter zu entscheiden hätte.
(3) Ist wegen der rechtswidrigen Tat eines Heranwachsenden das allgemeine Strafrecht anzuwenden, so gilt § 24 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Ist im Einzelfall eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe oder die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung (§ 106 Absatz 3, 4, 7) zu erwarten, so ist die Jugendkammer zuständig. Der Beschluss einer verminderten Besetzung in der Hauptverhandlung (§ 33b) ist nicht zulässig, wenn die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist.