Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Nov. 2005 - 1 StR 474/05

bei uns veröffentlicht am23.11.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 474/05
vom
23. November 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Geiselnahme u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. November 2005 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Offenburg vom 29. Juni 2005 wird

a) das Verfahren im Fall II. A. 2. (Nötigung) der Urteilsgründe
gemäß § 206a StPO eingestellt,

b) ausgesprochen, dass im Fall II. A. 1. die Verurteilung wegen
tateinheitlich begangener Körperverletzung entfällt,

c) der Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben,

d) die weitergehende Revision verworfen.
Der Angeklagte ist demnach wegen Geiselnahme in Tateinheit
mit Vergewaltigung zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und
fünf Monaten verurteilt.
2. Soweit das Verfahren eingestellt worden ist, trägt die Staatskasse
die Kosten und die notwendigen Auslagen des Angeklagten
; im Übrigen hat der Beschwerdeführer die Kosten seines
Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Vergewaltigung und mit Körperverletzung sowie wegen versuchter Nötigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 4. November 2005 unter anderem ausgeführt:
"Die Verurteilung wegen (tateinheitlich mit Geiselnahme und Vergewaltigung begangener) Körperverletzung sowie wegen versuchter Nötigung kann nicht bestehen bleiben, weil beide Delikte, für die gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB jeweils eine fünfjährige Verjährungsfrist gilt, zum Zeitpunkt der ersten verjährungsunterbrechenden Handlung bereits verjährt waren. Das wegen der genannten Delikte - Tatzeit: 8. März 1997 - eingeleitete , gegen Unbekannt geführte Ermittlungsverfahren wurde laut Schreiben der Staatsanwaltschaft Offenburg vom 14. November 1997 (Bl. 195 Bd. I d.A.) gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte. Es wurde erst aufgrund Schreibens der Polizeidirektion Offenburg vom 24. September 2004 (Bl. 243 Bd. I d.A.) wieder aufgenommen und richtete sich nunmehr gegen den Angeklagten (s. Bl. 229 Bd. I d.A.). Gegen ihn erließ das Amtsgericht Offenburg auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 24. September 2004 Haftbefehl (Bl. 231 Bd. I d.A.). Zu diesem Zeitpunkt war die Verjährungsfrist von fünf Jahren abgelaufen. Vor Erlass des Haftbefehls vom 24. September 2004 konnte keine die Verjährung unterbrechende Handlung erfolgen. Die Verjährung der am 8. März 1997 begangenen Körperverletzung ist ungeach-
tet dessen eingetreten, dass das Landgericht Tateinheit zwischen diesem Delikt und den Straftaten nach §§ 177, 239b StGB angenommen hat. Die Verjährungsprüfung ist bei tateinheitlichem Zusammentreffen mehrerer Tatbestände für jeden Tatbestand gesondert vorzunehmen."
Dem tritt der Senat bei.
Die weitergehende Revision ist aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Aufgrund der Änderung des Schuldspruchs entfallen zwar die wegen versuchter Nötigung ausgesprochene Einzelstrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe und die Gesamtstrafe. Wie der Generalbundesanwalt auch insoweit zutreffend ausführt, wird der Bestand der Freiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten wegen der tateinheitlichen Delikte nach §§ 177, 239b durch den Wegfall der Straftat nach § 223 nicht in Frage gestellt. Die Strafe ist angemessen, zumal verjährte Delikte, wenngleich mit geringerem Gewicht, bei der Bemessung der Sanktion zu Lasten des Täters ins Gewicht fallen können.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Dass die Feststellung verminderter Schuldfähigkeit wegen nicht unerheblich verminderter Steuerungsfähigkeit rechtsfehlerhaft ist, beschwert den Angeklagten nicht. Nack Wahl Kolz Hebenstreit Elf

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Referenzen - Gesetze

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

Strafprozeßordnung - StPO | § 170 Entscheidung über eine Anklageerhebung


(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht. (2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren

Strafgesetzbuch - StGB | § 78 Verjährungsfrist


(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht. (3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjäh

Strafprozeßordnung - StPO | § 206a Einstellung des Verfahrens bei Verfahrenshindernis


(1) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen. (2) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 239b Geiselnahme


(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu ein

Referenzen

(1) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen.

(2) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.

(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht.

(3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjährungsfrist

1.
dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind,
2.
zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind,
3.
zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind,
4.
fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind,
5.
drei Jahre bei den übrigen Taten.

(4) Die Frist richtet sich nach der Strafdrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) § 239a Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.