Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Nov. 2019 - 1 StR 415/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 12. November 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen sowie wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, im Übrigen freigesprochen und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Der Gesamtstrafenausspruch von fünf Jahren hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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- a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Bildung der Gesamtstrafe ein eigenständiger und zu begründender Strafzumessungsakt , der gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB durch die Erhöhung der höchsten Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe) erfolgt und sich nicht an der Summe der Einzelstrafen oder an rechnerischen Grundsätzen zu orientieren hat, sondern an gesamtstrafenspezifischen Kriterien (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Oktober 2018 – 1 StR 140/18 Rn. 6; vom 5. August 2010 – 2 StR 340/10 Rn. 1 und vom 13. November 2008 – 3 StR 485/08 Rn. 3). Dabei sind bei der erforderlichen Gesamtschau der Taten namentlich das Verhältnis der einzelnen Straftaten zueinander , insbesondere ihr Zusammenhang, ihre größere oder geringere Selbständigkeit , ferner die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweise sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen. Ferner ist in einer Würdigung der Person des Täters seine Strafempfindlichkeit, seine größere oder geringere Schuld im Hinblick auf das Gesamtgeschehen und seine innere Einstellung zu den Taten zu erörtern.
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- b) Diesen Anforderungen wird das Landgericht nicht gerecht.
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- Das Landgericht hat für die vier Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, die der Angeklagte zu nicht näher bestimmten Zeitpunkten in dem Zeitraum zwischen Anfang Juni bis Mitte September 2018 beging und die allesamt den Verkauf von Haschisch an denselben Abnehmer zum Gegenstand hatten, in drei Fällen Einzelstrafen von zwei Jahren und in einem Fall eine Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Frei- heitsstrafe verhängt. Für die von dem Angeklagten im November 2018 begangene Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat das Landgericht eine Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt.
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- Die daraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren hat das Landgericht lediglich unter Bezugnahme auf die Zumessungserwägungen hinsichtlich der Einzelstrafen begründet. Diese „Begründung“ lässt die gebotene Auseinandersetzung mit den gesamtstrafenspezifischen Umständen vermissen, wie zum Beispiel den gesamten Tatzeitraum, den in vier Fällen identischen Abnehmer und die Gesamtmenge des in Rede stehenden Rauschgifts. Vor diesem Hintergrund ist die erhebliche Erhöhung der Einsatzstrafe von zwei Jahren bei der Gesamtstrafenbildung nicht nachvollziehbar. Angesichts des engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs zwischen den vier Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge dürfte insoweit vielmehr ein straffer Zusammenzug der Einzelstrafen naheliegen.
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- 2. Die Feststellungen werden durch den aufgezeigten Wertungsfehler nicht berührt. Sie können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen kann das neue Tatgericht treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen. Raum Cirener Hohoff Leplow Pernice
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.
(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.
(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.