Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Aug. 2009 - 1 StR 338/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat „im Sicherungsverfahren“ die Unterbringung „der Beschuldigten“ in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Angeklagten, die neben der allgemeinen Sachrüge verfahrensrechtliche Beanstandungen erhebt. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht; denn die von Amts wegen zu beachtenden Voraussetzungen für eine Entscheidung im Sicherungsverfahren lagen nicht vor.
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- Dem Urteil des Landgerichts ging folgendes Verfahrensgeschehen voraus :
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- Die Staatsanwaltschaft hatte gegen die Angeklagte zunächst wegen mehrerer Taten der Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruchs, der Körperverletzung und der Beleidigung den Erlass eines Strafbefehls beantragt. Nach Erlass des Strafbefehls und Einspruchseinlegung wurde die Angeklagte vom Amtsgericht zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. In der nachfolgenden Berufungsverhandlung ergaben sich für das Landgericht Zweifel an der Schuldfähigkeit der Angeklagten. Auf der Grundlage einer psychiatrischen Begutachtung hob die kleine Strafkammer des Landgerichts die Entscheidung des Amtsgerichts gemäß § 328 Abs. 2 StPO durch Urteil auf und verwies die Sache an die große Strafkammer des Landgerichts (§ 270 StPO), da die der Angeklagten zur Last liegenden Straftaten nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen worden seien und die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorlägen. Die Strafakten wurden sodann über die Staatsanwaltschaft an die große Strafkammer weitergeleitet. Diese verhandelte und entschied dann ohne weitere Zwischenentscheidungen „im Sicherungsverfahren“.
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- Dieser Verfahrensablauf erlaubte eine Entscheidung im Sicherungsverfahren nicht. Hierzu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt: „1. Die Verweisung der kleinen Strafkammer an die große Strafkammer (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 328 Rn. 9, § 331 Rn. 22) hat nichts daran geändert, dass im Strafverfahren zu verhandeln und zu entscheiden war. Eine ausdrückliche Überleitung vom Strafverfahren in das Sicherungsverfahren ist nicht erfolgt. Sie wäre nach Eröffnung des Hauptverfahrens auch nicht zulässig gewesen (BGHSt 46, 345; 47, 52; Meyer-Goßner aaO § 416 Rn. 1 KK-StPO/Fischer 6. Aufl. § 413 Rn. 7, § 416 Rn. 9 f.). Es kann daher offen bleiben, ob es darüber hinaus an dem nach § 413 StPO notwendigen Antrag der Staatsanwaltschaft gefehlt hätte (vgl. BGHSt 46, 345; 47, 52).
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- Dem kann sich der Senat nicht verschließen. Zwar ergibt sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, dass vor der großen Strafkammer die „Anklageschrift“ und nicht eine Antragsschrift im Sinne von § 414 Abs. 2 Satz 2 StPO verlesen worden ist. Angesichts der ausdrücklichen Bezeichnung des Verfahrens in Protokoll und Urteil als Sicherungsverfahren, der Benennung der Angeklagten als „Beschuldigte“ und des Umstandes, dass das Landgericht im Urteilstenor keine Entscheidung über die angeklagten Taten getroffen hat, bestehen letztlich auch für den Senat keine Zweifel, dass das Landgericht bewusst eine Entscheidung im Sicherungsverfahren nach den §§ 413 ff. StPO getroffen hat. Nack Wahl Elf Graf Jäger
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Soweit die Berufung für begründet befunden wird, hat das Berufungsgericht unter Aufhebung des Urteils in der Sache selbst zu erkennen.
(2) Hat das Gericht des ersten Rechtszuges mit Unrecht seine Zuständigkeit angenommen, so hat das Berufungsgericht unter Aufhebung des Urteils die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen.
(1) Hält ein Gericht nach Beginn einer Hauptverhandlung die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung für begründet, so verweist es die Sache durch Beschluß an das zuständige Gericht; § 209a Nr. 2 Buchstabe a gilt entsprechend. Ebenso ist zu verfahren, wenn das Gericht einen rechtzeitig geltend gemachten Einwand des Angeklagten nach § 6a für begründet hält.
(2) In dem Beschluß bezeichnet das Gericht den Angeklagten und die Tat gemäß § 200 Abs. 1 Satz 1.
(3) Der Beschluß hat die Wirkung eines das Hauptverfahren eröffnenden Beschlusses. Seine Anfechtbarkeit bestimmt sich nach § 210.
(4) Ist der Verweisungsbeschluß von einem Strafrichter oder einem Schöffengericht ergangen, so kann der Angeklagte innerhalb einer bei der Bekanntmachung des Beschlusses zu bestimmenden Frist die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung beantragen. Über den Antrag entscheidet der Vorsitzende des Gerichts, an das die Sache verwiesen worden ist.
Führt die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren wegen Schuldunfähigkeit oder Verhandlungsunfähigkeit des Täters nicht durch, so kann sie den Antrag stellen, Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie als Nebenfolge die Einziehung selbständig anzuordnen, wenn dies gesetzlich zulässig ist und die Anordnung nach dem Ergebnis der Ermittlungen zu erwarten ist (Sicherungsverfahren).
(1) Die Strafkammern sind mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen (große Strafkammer), in Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des Strafrichters oder des Schöffengerichts mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen (kleine Strafkammer) besetzt. Bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung wirken die Schöffen nicht mit.
(2) Bei der Eröffnung des Hauptverfahrens beschließt die große Strafkammer über ihre Besetzung in der Hauptverhandlung. Ist das Hauptverfahren bereits eröffnet, beschließt sie hierüber bei der Anberaumung des Termins zur Hauptverhandlung. Sie beschließt eine Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen, wenn
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sie als Schwurgericht zuständig ist, - 2.
die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist oder - 3.
nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint.
(3) Die Mitwirkung eines dritten Richters nach Absatz 2 Satz 3 Nummer 3 ist in der Regel notwendig, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird oder die große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer zuständig ist.
(4) Hat die Strafkammer eine Besetzung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen beschlossen und ergeben sich vor Beginn der Hauptverhandlung neue Umstände, die nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 eine Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen erforderlich machen, beschließt sie eine solche Besetzung.
(5) Ist eine Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen oder ist die Hauptverhandlung ausgesetzt worden, kann die jeweils zuständige Strafkammer erneut nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 über ihre Besetzung beschließen.
(6) In Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des erweiterten Schöffengerichts (§ 29 Abs. 2) ist ein zweiter Richter hinzuzuziehen. Außerhalb der Hauptverhandlung entscheidet der Vorsitzende allein.
(1) Für das Sicherungsverfahren gelten sinngemäß die Vorschriften über das Strafverfahren, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(2) Der Antrag steht der öffentlichen Klage gleich. An die Stelle der Anklageschrift tritt eine Antragsschrift, die den Erfordernissen der Anklageschrift entsprechen muß. In der Antragsschrift ist die Maßregel der Besserung und Sicherung zu bezeichnen, deren Anordnung die Staatsanwaltschaft beantragt. Wird im Urteil eine Maßregel der Besserung und Sicherung nicht angeordnet, so ist auf Ablehnung des Antrages zu erkennen.
(3) Im Vorverfahren soll einem Sachverständigen Gelegenheit zur Vorbereitung des in der Hauptverhandlung zu erstattenden Gutachtens gegeben werden.