Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Aug. 2019 - 1 StR 194/19

22.08.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 194/19
vom
22. August 2019
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2019:220819B1STR194.19.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 22. August 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten P. wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26. November 2018, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht (Schwurgericht) hat den Angeklagten P. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es nicht zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) ist frei von Rechtsfehlern. Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hat ebenfalls Bestand; das sachverständig beratene Landgericht hat für den Angeklagten tragfähig das Vorliegen eines Hangs, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, verneint.
3
2. Dagegen hält der den Angeklagten betreffende Strafausspruch sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat sowohl bei der Verneinung eines minder schweren Falls der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1, 2. Halbsatz StGB) als auch – über eine Verweisung auf die hierfür vorgenommene Gesamtwürdigung – bei der Strafzumessung im engeren Sinne die erhebliche kriminelle Energie des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt ; eine solche ist indes nicht tragfähig belegt.
4
Als Gründe für die Annahme einer erheblichen kriminellen Energie hat das Landgericht ein brutales Vorgehen des Angeklagten mit einer Vielzahl von Schlägen auf ein zunächst stehendes und dann am Boden liegendes – alkoholbedingt – geschwächtes Opfer angeführt (UA S. 69). Es hat dabei aber versäumt, diese Umstände in Beziehung zu der geistig-seelischen Verfassung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 11. Oktober 1984 – 1 StR 554/84 Rn. 5) des Angeklagten zu setzen. Dies stellt einen Wertungsfehler dar.
5
Nach den Feststellungen war der Angeklagte gemeinsam mit dem Mitangeklagten D. gegen den Geschädigten vorgegangen, um diesen abzustrafen , nachdem der Angeklagte aus einiger Entfernung beobachtet hatte, dass seine Lebensgefährtin vom erkennbar erheblich alkoholisierten Geschädigten sexuell provoziert worden war und sie dies mit Schlägen und Kniestößen in die Genitalien des Geschädigten beantwortet hatte. Zwar hat das Landgericht ausgehend von den getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei sowohl ein Handeln aus Notwehr (Nothilfe) gemäß § 32 StGB (UA S. 59) als auch eine alkohol - oder affektbedingte erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklag- ten (UA S. 50 ff.) als auch eine Tatprovokation im Sinne von § 213 Alternative 1 StGB (vgl. dazu BGH, Urteil vom 4. Mai 1995 – 5 StR 213/95 Rn. 7) verneint (UA S. 68). Es durfte gleichwohl nicht von einer „erheblichen kriminellen Ener- gie“ des Angeklagten ausgehen, ohne die Tat in Beziehung zum Vorgeschehen und zu der sich hieraus ergebenden geistig-seelischen Verfassung des Angeklagten zu setzen. Nach der Wertung des Landgerichts handelte es sich um eine „Spontantat“ (UA S. 69) des alkoholbedingt enthemmten Angeklagten, dessen Lebensgefährtin zuvor vom Geschädigten sexuell provoziert worden war. Es genügt nicht, dass das Landgericht diese Umstände an anderer Stelle isoliert „zugunsten“ des Angeklagten berücksichtigt und den Geschädigten bereits durch dessen Lebensgefährtin als „massiv abgestraft“ angesehen hat.
6
Auch bei der Bewertung der „mit Händen und Fäusten“ ausgeführten Schläge des Angeklagten (UA S. 21) als „brutales Vorgehen“ (UA S. 69) hätte das Landgericht das Vorgeschehen, das den erheblich alkoholisierten Angeklagten spontan zu der Tat veranlasst hatte, in den Blick nehmen müssen; die Fußtritte des Mitangeklagten D. mit einem Sicherheitsschuh gegen den Kopf des am Boden liegenden Geschädigten hat das Landgericht als Exzess allein dem Mitangeklagten zugerechnet (UA S. 58).
7
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht die Strafe ohne den Wertungsfehler niedriger bemessen hätte (§ 337 Abs. 1 StPO), und hebt deshalb den Strafausspruch auf. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststel- lungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, soweit sie den bisherigen nichtwidersprechen. Im Umfang der Aufhebung verweist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück.
Jäger Bellay Hohoff Leplow Pernice

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafprozeßordnung - StPO | § 337 Revisionsgründe


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.