Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juli 2002 - 1 StR 140/02

bei uns veröffentlicht am10.07.2002

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 140/02
vom
10. Juli 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Juli 2002 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. Oktober 2001 mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufgehoben. Die weitergehende Revision wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und festgestellt, daß seine Schuld besonders schwer wiegt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht, hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg, weil das Schwurgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.


Der Angeklagte tötete seine frühere, zur Tatzeit neunzehnjährige Freundin , die sich von ihm getrennt hatte, heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen mit mindestens 95 Messerstichen, nachdem er sie mit dem Versprechen , nun endlich seine Schulden bei ihr zu begleichen, nochmals in seine Wohnung gelockt hatte. 1. Die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit verneint hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie leidet an Erörterungsmängeln. Die sachverständig beratene Strafkammer setzt sich bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht vertieft mit der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Werdegang auseinander. Zusammenfassend beurteilt sie den hochintelligenten, aber leistungsunwilligen, zum Zeitpunkt der Tat fünfundzwanzigjährigen Angeklagten wie folgt: Insgesamt habe sich die Persönlichkeit des Angeklagten bei den psychologischen Testversuchen durch unreife Züge ausgezeichnet, die in Richtung einer Persönlichkeitsstörung gehen könnten. Die vorhandene Affekt- und Antriebslage bringe Miûstimmungen und Unbehagen mit sich, weshalb eine Affinität bestehen könne, Abhilfe in toxischer Erleichterung zu suchen. ..." Eine erhebliche Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens des Angeklagten komme letztlich nur beim Hinzutreten einer enthemmend wirkenden Substanz in Betracht....". Letzteres sowie eine Affekthandlung schlieût die Strafkammer für den Zeitpunkt des Beginns der Tat aus. Erst im Zuge der Tatbegehung könne es zu einer Affektentladung gekommen sein. Ob eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB vorliegt, hat der Tatrichter auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten, seiner Entwicklung sowie der Tat und dem
Nachtatgeschehen zu beurteilen (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 26 und 37; BGH NStZ 1994, 75; BGH NStZ 2001, 243; BGH, Urteil vom 27. Juni 2001, 1 StR 179/01; BGH, Beschluû vom 28. November 2001, 5 StR 434/01). Die Darlegungen der Strafkammer zu der Frage, ob der Angeklagte unter einer Persönlichkeitsstörung mit dem Gewicht einer schweren anderen seelischen Abartigkeit leidet, lassen schon diese gebotene Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Tat vermissen. Vor allem aber bleibt die Affinität des Angeklagten zu Gewalt und Tod, wie sie in Handlungen und Äuûerungen zu Tage tritt, völlig auûer Betracht. An verschiedenen Stellen des Urteils finden sich hierzu folgende Feststellungen: Im Jahre 1994 lieû sich der Angeklagte ein Kätzchen schenken und tötete es, nach Meinung einer Freundin, weil ihm das Spaû machte. Später habe er, so eine andere Zeugin, seinen Vogel ohne Grund getötet. Auûerdem liebe er Horrorfilme und realistische Darstellungen von Sterbevorgängen. Weiter brüstete er sich Zeugen gegenüber - wohl weitgehend ohne realen Hintergrund - damit, er habe während eines Urlaubs in der Türkei einen Menschen die Treppe hinabgestürzt und getötet, im Bestattungsunternehmen seines Groûvaters in Amerika mit Leichen gearbeitet, im Kreiskrankenhaus in A. an Sektionen teilgenommen und von 1994 bis 1997 in P. als Obduktionshelfer gearbeitet. Von der US-Army sei er nicht als Wachmann angenommen worden, da er als extrem gewalttätig eingestuft worden sei. Schlieûlich hat der Angeklagte während seiner Tätigkeit in einer Videothek dort Mäuse gefangen, mit einem Teppichmesser aufgeschnitten, gehäutet und zuletzt vielfach mit dem Auto überfahren. Eine umfassende, vertiefte Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Angeklagten hätte möglicherweise zu einer anderen Beurteilung der
Schuldfähigkeit des Angeklagten geführt. Dies zwingt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den Feststellungen hierzu. Da zudem nicht völlig auszuschlieûen ist, daû neue Erkenntnisse zur inneren Verfassung des Angeklagten auch die Bewertung der subjektiven Tatseite des Angeklagten bezüglich der Mordmerkmale "heimtückisch" und "aus niedrigen Beweggründen" beeinflussen können, hat auch der Schuldspruch keinen Bestand. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äuûeren Tatgeschehen bleiben dagegen aufrecht erhalten. Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer aufgrund der neuen Verhandlung - unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen - das sichere Vorliegen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit für feststellbar erachten, so steht das Verschlechterungsverbot der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) - sollten die Voraussetzungen im übrigen gegeben sein - nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). 2. Auf die Rüge der Verletzung des § 265 StPO bzw. eines Verstoûes gegen das Gebot eines fairen Verfahrens durch ein "Überraschungsurteil" mangels tatsächlichen und rechtlichen Hinweises seitens des Gerichts auf die Möglichkeit eines Ausspruchs zur besonderen Schuldschwere im Sinne von § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB kommt es nicht mehr an. Der Senat neigt aber dazu, daû dem Angeklagten mindestens aus dem Gang der Hauptverhandlung klar werden muû, daû das Gericht die Annahme besonders schwerer Schuld erwägt (anders Senat in BGH NJW 1996, 3285).

III.

Im übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Schäfer Nack Boetticher Schluckebier Hebenstreit

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Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juli 2002 - 1 StR 140/02 zitiert 8 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Strafgesetzbuch - StGB | § 57a Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe


(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn 1. fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,2. nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und3

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Bundesgerichtshof Urteil, 27. Juni 2001 - 1 StR 179/01

bei uns veröffentlicht am 27.06.2001

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 179/01 vom 27. Juni 2001 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am 26. Juni 2001 in der Sitzung vom 27. Juni 2001, an denen teil

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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 179/01
vom
27. Juni 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am
26. Juni 2001 in der Sitzung vom 27. Juni 2001, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Schaal,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger in der Verhandlung,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin in der Verhandlung,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 30. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer Revision die Annahme weiterer Mordmerkmale und die Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe; sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der nicht vorbestrafte, zur Tatzeit 36 Jahre alte Angeklagte nach einer Silvesterfeier mit seinem Personenkraftwagen morgens gegen 5.30 Uhr die 16jährige S. als Anhalterin mit. Nach kurzer Fahrtstrecke bog er in einen unbeleuchteten Feld-
weg ein. Ihm war der Gedanke gekommen, er könne mit S. geschlechtlich verkehren. Nach etwa einhundert Metern hielt er an und fragte S. , ob sie auch "bumsen" wolle. Das Mädchen sprang darauf aus dem Auto und rief, es werde den Angeklagten anzeigen. Der Angeklagte folgte ihr. Es kam zu einem Wortwechsel, bei demS. erneut eine Anzeige ankündigte. Der Angeklagte entgegnete: "Warum denn? Ich hab' dich nicht angelangt , es ist nichts passiert! Das kannst du doch nicht machen!" Er ging davon aus, sich durch sein bisheriges Verhalten nicht strafbar gemacht zu haben. Da er Angst vor den Folgen einer Anzeige für seine Ehe hatte und eine "untergeordnete Wut und Enttäuschung über die Zurückweisung seiner sexuellen Annäherung" verspürte, zog er sein regelmäßig mitgeführtes Klappmesser und stieß es S. mit großer Wucht in den Rücken. Diese fiel zu Boden. Der Angeklagte versetzte ihr in Tötungsabsicht weiter mindestens sechs Stiche und Schnitte in den Hals sowie 16 Stiche in den Oberkörper. Sodann fügte er S. v ier Stich- und Schnittverletzungen im Genital- sowie im Analbereich zu und schnitt ihr den Bauch und den Brustkorb auf.
Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen, nicht aber grausam oder zur Verdeckung einer anderen Straftat gehandelt. Aufgrund der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, hinzutretender konstellativer Faktoren und einer Blutalkoholkonzentration von maximal 1,83 Promille sei seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit möglicherweise erheblich vermindert gewesen. Vom sicheren Vorliegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit vermochte sich die Strafkammer nicht zu überzeugen. Deshalb kam für sie auch eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht.

II.


Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung, mit der das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht sicher meinte annehmen zu können, ist mit einem Erörterungsmangel behaftet. Sie wird gerade zu der Frage , ob bei dem Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit vorgelegen hat den an die gebotene Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Tat zu stellenden Anforderungen nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die Strafkammer hat sich in diesem Zusammenhang nicht noch einmal mit Besonderheiten im Täterverhalten gegen Ende des Tatgeschehens und mit einem früheren aggressiven Durchbruch gegenüber seiner damaligen Freundin auseinandergesetzt.
1. Die Strafkammer hat in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen bei dem Angeklagten eine narzißtische Persönlichkeitsstruktur mit einer Selbstwertstörung, Defiziten in den Ich-Funktionen, speziell der Affektverarbeitung und der Affektkontrolle festgestellt, die mit einer Angstund Aggressionsproblematik einhergeht. Gegenüber Frauen ist bei ihm eine gehemmte und unterschwellig feindselige Haltung bemerkbar. Schon bei geringfügigen Anlässen kann es zu impulsiv auftretenden und unvermutet umschlagenden Affekten - vor allem von Aggression und existentieller Angst - mit sich rasch aufbauenden und schlecht toleriertem Spannungsdruck kommen. Da der Angeklagte nicht über stabile Regulations- und Steuerungsmechanismen verfügt, ist er zur Affektkontrolle statt dessen auf Hemmung und Blockade unter großem psychischen Energieaufwand mit der Gefahr affektiver Durchbrüche angewiesen. Dies führt dazu, daß er Kränkungen, Infragestellungen und
Fremdbestimmung sowie aufkommenden Emotionen und Spannungszuständen schlecht gewachsen ist. Lassen die äußeren Umstände dann ein Ausweichen nicht zu, kann es zur Dekompensation der Kontrollfunktionen und dem Ausagieren von Affekten kommen, die er sonst zurückhalten würde.
Die Strafkammer führt weiter aus, die beschriebene Persönlichkeitsstruktur erreiche nicht den Grad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit. Allerdings könne solches im Zusammenspiel mit den in der Tatnacht hinzugetretenen konstellativen Faktoren nicht ausgeschlossen werden. Diese sieht es in der bestehenden Alkoholisierung und der Übermüdung des Angeklagten sowie in dessen Streit mit seiner Ehefrau, der ihn kränkenden Namensänderung seiner Kinder aus der ersten Ehe und einer bevorstehenden, ihn beunruhigenden Umstellung in der Datenverarbeitung an seiner Arbeitsstelle. Die Kammer hebt hervor, der Sachverständige habe in seinem schriftlichen Gutachten zwischen den Stichen in den Rücken und den Oberschenkel einerseits und den nachfolgenden Stichen in Hals, Oberkörper und Vaginalbereich andererseits differenziert und zur zweiten und dritten Tatphase ausgeführt , es liege nahe, bei einer Zunahme der Intensität der aggressiven Affekte eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit positiv festzustellen und die medizinischen Voraussetzungen des § 21 StGB zu bejahen. In der Hauptverhandlung habe er "hierzu konkretisiert", daß die erhebliche Steuerungsminderung nicht sicher festgestellt werden könne.
Die Kammer meint, gegen das sichere Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit spreche auch das sehr gut erhaltene Beobachtungsund Erinnerungsvermögen des Angeklagten zu den einzelnen Tatabschnitten.
Trotz der Stärke der aggressiven Impulse sei er noch zu absichtsvollem, in gewissem Umfang geordnetem und zielorientiertem Handeln fähig gewesen.
2. Diese Begründung läßt im konkreten Zusammenhang ein Eingehen auf die Besonderheiten der Tat vermissen. Das Landgericht hat zwar bei der Erörterung der Tatmotivation ausgeführt, die Tat weise durchaus sexuelle Bezüge auf, insbesondere die Entblößung des Oberkörpers vor Beibringung der Brustverletzungen, das Herunterziehen der Hose und das Aufreißen der Unterhose sowie die Verletzungen im Vaginal- und Analbereich deuteten in diese Richtung. Im bisherigen Leben des Angeklagten hätten sich indessen keine erheblichen Hinweise auf eine sexuelle, insbesondere sadomasochistische Perversion gefunden. Auf diese Umstände hätte das Landgericht aber auch bei der Prüfung der Frage des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit und der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit zurückkommen müssen. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß die Persönlichkeit eines Täters zutreffend nur in einer Ganzheitsbetrachtung zu erfassen ist. Seine Entwicklung und sein Charakterbild sowie die Tat in ihren konkreten Zusammenhängen sind dabei untrennbar miteinander verbunden (BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4, 16). Dies wäre hier um so mehr erforderlich gewesen, als der Angeklagte das Opfer eben nicht nur mit erheblichem Kraftaufwand vom Schambein aufwärts an Bauch und Brustkorb aufgeschnitten und ihm Stichverletzungen im Genital- und Analbereich beigebracht hat, nachdem er die Oberbekleidung des Opfers - Bluse, Unterhemd und BH - aufgerissen oder aufgeschnitten sowie die Hose bis unter die Knie heruntergezogen und den Slip auf der linken Seite ebenfalls aufgerissen hatte. Er hat das Opfer überdies am Rande des Feldweges in einer obszönen, sexualorientierten Weise zurückgelassen: Die Arme waren seitlich abgespreizt und nach oben
abgewinkelt, die Beine im Kniebereich auseinandergespreizt (UA S. 15). Schließlich wäre auch auf einen vom Landgericht festgestellten früheren Vorfall einzugehen gewesen, bei dem der Angeklagte gegenüber seiner damaligen Freundin "ausgerastet" war und mit einem kleinen Schraubenzieher etwa dreibis viermal gegen deren bekleidetes Geschlechtsteil gestoßen hatte (UA S. 5).
Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht bei einer solchermaßen vertieften Erörterung, die hier angesichts der Besonderheiten des Tatbildes und der Täterpersönlichkeit geboten war, das sichere Vorliegen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit für feststellbar erachtet hätte und dies dann zur Folge hätte haben können, den Angeklagten auch in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Bei alledem ist zu beachten, daß es sich bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit erheblich i.S.d. § 21 StGB ist, um eine Rechtsfrage handelt, die der Tatrichter ohne Bindung an Ä ußerungen von Sachverständigen zu beantworten hat (vgl. BGHR StGB § 21 Erheblichkeit 2).
3. Da die gesamte Entwicklung des Angeklagten und auch der Tatverlauf im einzelnen Einfluß auf die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten haben können, hat der Senat das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben. Auf der Grundlage dieser aufgehobenen Feststellungen wäre allerdings - darauf weist der Senat hin - die Annahme des Landgerichts, es liege weder
ein Verdeckungsmord noch grausames Handeln des Angeklagten im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB vor, rechtlich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht zu beanstanden gewesen.
Schäfer Nack Schluckebier Kolz Schaal

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2.
nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
3.
die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
§ 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 gilt entsprechend.

(2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.

(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56b bis 56g, 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 gelten entsprechend.

(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.