vorgehend
Verwaltungsgericht München, M 10 K 18.1011, 02.05.2019

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die am 31. August 1979 geborene Klägerin ungarischer Staatsangehörigkeit ihren in erster Instanz erfolglos gebliebenen Antrag weiter, ihr für die Klage gegen die von der Beklagten ausgesprochene Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten zu gewähren.

Gegenstand der Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 2018, mit dem der Verlust des Rechts auf Freizügigkeit festgestellt (Nr. 1), die Einreise und der Aufenthalt für sieben Jahre untersagt (Nr. 2) sowie die Klägerin zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland binnen einer Frist von einem Monat nach Bestandskraft des Bescheids aufgefordert und ihr für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Ungarn angedroht wurde (Nr. 3). Die Klägerin beantragte für die hiergegen erhobene Klage Prozesskostenhilfe, was das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. Mai 2019 mangels hinreichender Erfolgsaussichten ablehnte.

Die hiergegen am 15. Mai 2019 erhobene Beschwerde der Klägerin ist zulässig aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen dafür nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorlagen.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, hier nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2019 - 10 C 18.2522 - juris Rn. 17; B.v. 8.2.2019 - 10 C 18.1641 - juris Rn. 4 m.w.N.), hat die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die im angegriffenen Bescheid der Beklagten getroffene Verlustfeststellung des Rechts auf Freizügigkeit bei summarischer Prüfung rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

Die Verlustfeststellung findet ihre Rechtsgrundlage in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU. Danach kann die zuständige Behörde den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit feststellen. Bei einer strafrechtlichen Verurteilung muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Entscheidung sind die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten Belange zu berücksichtigen.

Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass bei der Klägerin prognostisch von einer Wiederholungsgefahr auszugehen sei, begegnet auch unter Berücksichtigung ihres Beschwerdevorbringens keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Gerade bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 7.3.2019 - 10 ZB 18.2272 - juris Rn. 7; B.v. 8.4.2019 - 10 ZB 18.2284 - juris Rn. 12). Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würden (BayVGH, B.v. 13.10.2017 - 10 ZB 17.1469 - juris Rn. 12; B.v. 18.4.2019 - 10 ZB 18.2660 - juris Rn. 4). Das Verwaltungsgericht hat insofern zu Recht darauf verwiesen, dass die Klägerin trotz begonnener Therapiemaßnahmen ihre Suchtproblematik noch nicht abschließend (erfolgreich) bearbeitet hat. Insofern räumt die Klägerin selbst ein, dass sie eine nach Haftentlassung begonnene Therapie aus Kostengründen wieder habe abbrechen müssen. Ausweislich einer Stellungnahme der die Klägerin behandelnden Ärzte sei diese „noch abstinent, dies kann sie jedoch außerhalb eines geschützten Kliniksettings nach unserer Einschätzung kaum aufrechterhalten“ (Stellungnahme v. 27.2.2018, Bl. 278 der Behördenakten). Entsprechendes gilt, soweit sich die Klägerin darauf beruft, „dabei zu sein“, ihre Schuldensituation, welche die Begehung weiterer Straftaten möglicherweise begünstigt, zu regeln. Es ist nach Aktenlage nichts dafür ersichtlich, dass ihr dies mittlerweile mit Erfolg gelungen wäre. Nach den im Prozesskostenhilfeverfahren vorgelegten Unterlagen übt die Klägerin derzeit keine Erwerbstätigkeit aus, sondern bezieht Arbeitslosengeld II.

Zutreffend hat das Erstgericht im Rahmen der vorläufigen Prüfung ferner festgestellt, dass zugunsten der Klägerin die Einschränkung des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU mangels Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts im Sinne des § 4a FreizügG/EU nicht greift. Bei dieser Prüfung ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass Zeiträume, in denen der Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat eine Freiheitsstrafe verbüßt (hat), nicht für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden können, weil der Unionsgesetzgeber die Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EU von der Integration des Unionsbürgers in den Aufnahmemitgliedstaat abhängig macht, diese Integration nicht nur auf territorialen und zeitlichen Faktoren, sondern auch auf qualitativen Elementen im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat beruht, und die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung durch ein nationales Gericht dazu angetan ist, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaates in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet, so dass die Berücksichtigung von Zeiträumen der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts dem mit der Einführung dieses Aufenthaltsrechts verfolgten Ziel eindeutig zuwider laufen würde (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 - Onuokwere, C-378/12 - juris Rn. 25 und 26; BayVGH, B.v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris Rn. 23). Gemessen an diesen Kriterien erfüllen die Aufenthaltszeiten der Klägerin im Bundesgebiet nicht die Kriterien eines rechtmäßigen Aufenthalts i.S. von Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EU. Die Klägerin reiste am 18. September 2011 nach Deutschland ein, befand sich aber ab 13. April 2016 und damit vor Ablauf des Fünfjahreszeitraums in Haft.

Schließlich ist auch die von der Beklagten nach § 6 Abs. 1 und Abs. 3 FreizügG/EU zu treffende Ermessensentscheidung (vgl. BayVGH, U.v. 29.1.2019 - 10 B 18.1094 - juris Rn. 46; B.v. 27.3.8.2019 - 10 ZB 19.68 - juris Rn. 13) nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat erkannt, dass die Entscheidung über die Verlustfeststellung in ihrem Ermessen liegt, und die tatbezogenen Umstände eingehend gewürdigt. Sie hat auch hinreichend die gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU zu berücksichtigenden Belange abgewogen und dabei insbesondere die Dauer des Aufenthalts, den Integrationsstand und die familiäre Situation bewertet. Die Beklagte hat die spezielle Situation der Klägerin hinreichend in den Blick genommen und angemessen gewürdigt. Auch die familiären Bindungen sowie der gesundheitliche Aspekt wurden ausreichend berücksichtigt.

Die Nrn. 2 und 3 des angefochtenen Bescheids sind voraussichtlich ebenso wenig zu beanstanden. Die Ausreisepflicht ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU; danach sind Unionsbürger ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Die hierfür gesetzte Frist ist angemessen. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 FreizügG/EU soll in dem Bescheid die Abschiebung angedroht und eine Ausreisefrist von mindestens einem Monat gesetzt werden. Nachdem das Freizügigkeitsgesetz/EU keine eigenen Regelungen zur Durchsetzung der Ausreise enthält, ist gemäß § 11 Abs. 2 FreizügG/EU das Aufenthaltsgesetz anwendbar. Dem Erlass einer Abschiebungsandrohung unter Bestimmung einer Ausreisefrist stand nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG das Vorliegen von Abschiebungsverboten nicht entgegen (BayVGH, B.v. 16.10.2017 - 19 C 16.1719 - juris Rn. 23).

Ungeachtet dessen wird, soweit die Klägerin insofern rügt, dass bei Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage insbesondere im Hinblick auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbots „keine überspannten Anforderungen gestellt werden“ dürften, verkannt, dass das Verwaltungsgericht zu Recht (lediglich) auf die gesetzlichen Anforderungen aus § 60a Abs. 2c AufenthG abgestellt hat, welche an ein ärztliches Attest zu stellen sind, mit denen eine krankheitsbedingte Unmöglichkeit einer Abschiebung glaubhaft gemacht werden soll. Diesen Anforderungen werden die vorgelegten ärztlichen Unterlagen, auch das zuletzt im Klageverfahren eingereichte fachärztliche Attest vom 22. Mai 2019, nicht gerecht. Ohnehin liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es muss sich um „äußerst gravierende“, insbesondere lebensbedrohliche Erkrankungen handeln (BVerwG, B.v. 12.7.2016 - 1 B 85.16 - juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 19.3.2019 - 10 ZB 18.33190 - juris Rn. 10; OVG NW, U.v. 27.1.2015 - 13 A 1201/12.A - juris Rn. 28 ff.; Koch in BeckOK Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Stand 15.8.2016, § 60 Rn. 40 m.w.N.). Zwar gelangt das Attest vom 22. Mai 2019 zu dem Ergebnis, dass im Falle einer Abschiebung nach Ungarn „unmittelbare Suizidalität“ drohe. Allerdings wird unterstellt, dass „eine adäquate fachärztliche psychiatrische Versorgung in Ungarn nicht gewährleistet“ sei. Diese nicht weiter belegte Annahme entspricht aber nicht der vorliegenden Erkenntnislage, wonach die Versorgung in Ungarn auch im Krankheitsfall gesichert ist, ungarische Staatsbürger im Bedarfsfall Anspruch auf Kostenübernahme hierfür haben und lebensrettende Versorgung sowie Notfallversorgung in Ungarn gewährleistet werden (vgl. VG Cottbus, B.v. 7.5.2019 - 5 L 658/18.A - juris Rn. 17 f.; VG Berlin, B.v. 19.12.2018 - 23 L 708.18A - juris Rn. 16). Nicht verlangt werden kann jedoch, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG); ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung in seinem Heimatland verweisen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2016 - 10 ZB 15.677 - juris Rn. 13 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

Zivilprozessordnung - ZPO | § 114 Voraussetzungen


(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Re

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 166


(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmäc

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 3 Höhe der Kosten


(1) Die Gebühren richten sich nach dem Wert des Streitgegenstands (Streitwert), soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Kosten werden nach dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz erhoben.

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Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000, - Euro festgesetzt. Gründe

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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.

(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.

(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Herausgabe von vier mit polizeilicher Verfügung vom 23. November 2016 sichergestellten Reifensätzen (16 Alufelgen mit Sommerreifen) weiter.

Der Kläger wurde am 23. November 2016 in der Nähe von P. einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen. Er war mit einen Lieferwagen IVECO samt Anhänger unterwegs, auf dem drei Pkws transportiert wurden. In zwei der Pkws fanden die Polizeibeamten die streitgegenständlichen Reifensätze. Zu ihrer Herkunft befragt, gab der Kläger an, dass er sie in L. in der Nähe der französischen Grenze für 1.200,- Euro erworben habe. Er konnte weder den Namen des Verkäufers (ein Autohaus) nennen noch einen Kaufbeleg vorlegen. Da die Reifensätze nach Auffassung der Polizeibeamten einen bedeutend höheren Wiederverkaufswert als den angeblich bezahlten Betrag hatten, verfügten sie eine Sicherstellung nach Art. 25 Nr. 2 PAG a.F.

Mit Schreiben vom 5. Dezember 2016 forderte die Polizeiinspektion F. den Kläger auf, bis spätestens 7. Januar 2017 eine Rechnung über den Erwerb der Reifen mit Angabe der Verkäufers und des Verkaufspreises vorzulegen.

Der Kläger erhob am 11. Januar 2017 „Beschwerde“ gegen die Sicherstellung. Zur Begründung wurde mit Schreiben vom 23. Januar 2017 ausgeführt, die Voraussetzungen des Art. 25 Nr. 2 PAG lägen nicht vor. Die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB sei nicht erschüttert. Die Reifen seinen gemäß Art. 28 PAG herauszugeben, weil die Voraussetzungen für eine Verwertung nicht gegeben seien.

Der Beklagte verwies in seinem Schreiben vom 6. Februar 2017 darauf, dass die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB widerlegt sei. Es lägen hinreichende Indizien dafür vor, dass es sich bei den sichergestellten Reifen um Hehlerware handle. Es gebe keine Kaufbelege, die Anzahl der Reifen gehe über den eigenen Bedarf hinaus, die Angaben des Klägers zum Erwerb und zur Herkunft der Reifen seien zweifelhaft. Es sei noch zu klären, ob sich der Kläger der Hehlerei schuldig gemacht habe.

Mit Verfügung vom 21. Februar 2017 stellte die Staatsanwaltschaft P. das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Hehlerei nach § 170 Abs. 2 StPO ein.

Am 5. April 2017 erhob der Kläger Klage auf Herausgabe der sichergestellten Reifen und beantragte zugleich, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Er verwies auf die Einstellung des Strafverfahrens und darauf, dass er nicht mit einem tschechischen Pkw, wie von der Polizeiinspektion behauptet, unterwegs gewesen sei. Die Voraussetzungen für eine Sicherstellung seien entfallen. Dafür spreche der Zeitablauf und dass keine der durch Art. 25 Nr. 2 PAG geschützten Personen ihre Rechte geltend gemacht habe. Indizien, die die Beweislastregel des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB erschüttern könnten, seien durch den Beklagten nicht vorgetragen und lägen nicht vor.

Mit Beschluss vom 20. November 2018 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg den Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe ab. Die Voraussetzungen eines Herausgabeanspruchs nach Art. 28 PAG seien nicht gegeben. Die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB sei widerlegt. Der Kläger könne keinen Erwerbsbeleg für die Reifen vorlegen. Die geschilderte Ankaufssituation erscheine schon wegen der steuerlichen Auswirkungen fraglich. Zudem habe der Kläger keine weiteren Schritte zur Klärung der Eigentumsfrage unternommen. Die geschilderte Konstellation lege vielmehr den Schluss nahe, dass die Reifen dem tatsächlichen Eigentümer abhandengekommen seien und der Kläger kein Eigentum erworben habe. Daran ändere auch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nichts. Die Voraussetzungen für die Sicherstellung seien auch nicht deshalb entfallen, weil sich bislang keine Berechtigten gemeldet hätten. Der vorliegende Rechtsstreit werfe auch keine schwierigen oder ungeklärten Fragen auf. Die im Verfahren M 7 K 13.3043 thematisierte Frage sei inzwischen durch das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren 10 BV 15.1049 geklärt.

Im Beschwerdeverfahren bringt der Kläger vor, dass der Rechtsstreit nicht einfach sei. Dies gelte sowohl für die Aufklärung des Sachverhalts als auch für die Rechtsfolgen. Der Kläger sei der deutschen Sprache nicht mächtig. Das Verwaltungsgericht überspanne die Anforderungen an eine Prüfung im summarischen Verfahren. Völlig aus der Luft gegriffen sei die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, es sei fernliegend, dass der Betriebsinhaber Gegenstände aus dem Betriebsvermögen entnommen und dann privat veräußert habe. Es dürfe auch nicht zu Lasten des Klägers gewertet werden, dass er aus seiner Sicht keinen Beleg für den Kauf gebraucht habe. Falsch sei auch, dass er den Verkäufer nicht genannt habe. Wären die sicherstellenden Beamten den Hinweisen des Klägers nachgegangen, wäre der Verkäufer zeitnah zu ermitteln gewesen. Der Kläger sei auch bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Zudem habe sich der „tatsächliche Eigentümer“ der Reifen nicht gemeldet. Dass der Kläger es unterlassen habe, sein Eigentum zu beweisen, führe nicht dazu, dass die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB widerlegt sei. Anhand der sichergestellten Reifen müsste es auch möglich sein, den ursprünglichen Eigentümer zu ermitteln.

Der Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Dem Anspruch auf Herausgabe der sichergestellten Reifen stehe entgegen, dass die Voraussetzungen der Sicherstellung erneut eintreten würden und der Kläger nicht als Berechtigter anzusehen sei. Die Eigentumsvermutung sei widerlegt, da der Vortrag des Klägers, er habe die Reifen von einem Autohaus an der französischen Grenze ohne Beleg erworben, weil ihm bei einem Kauf ohne Beleg ein niedrigerer Preis angeboten worden sei, nicht nachgewiesen sei. Insbesondere habe er das Autohaus nicht benannt. Eine private Veräußerung der Reifen durch den Autohausinhaber scheide schon deshalb aus, weil dem Kläger angeboten worden sei, die Reifen mit oder ohne Beleg zu erwerben. Bezüglich der Einstellung des Strafverfahrens habe das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Anwendung der wesentlich strengeren strafrechtlichen Beweiserfordernisse durch die Strafverfolgungsbehörden keinen Rückschluss darauf zulasse, ob der für die Eigentumsvermutung erforderliche Grad an Gewissheit erreicht sei. Der Aufrechterhaltung der Sicherstellung stehe auch nicht entgegen, dass der wahre Eigentümer bislang nicht habe ermittelt werden können. Eine Herausgabepflicht bestehe nur gegenüber einem Berechtigten. Die Berechtigung habe der Kläger nicht nachgewiesen. Er werde nicht dadurch zum Berechtigten, dass die Polizei trotz entsprechender Bemühungen keinen Berechtigten habe ausfindig machen können.

Der Kläger ergänzte sein Vorbringen mit Schriftsatz vom 7. Januar 2019 dahingehend, dass geprüft werden müsse, ob die Sicherstellungsmaßnahme nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung überhaupt zulässig gewesen sei. Zum damaligen Zeitpunkt seien die Polizeibeamten möglicherweise von der Annahme ausgegangen, dass es sich beim Kläger nicht um einen unbescholtenen Bürger handle, weil damals noch ein Strafbefehl eingetragenen gewesen sei. Ein Protokoll über die Sicherstellung liege nicht vor. Es werde nochmals darauf hingewiesen, dass der Kläger der deutschen Sprache nicht mächtig sei und die Sicherstellung auf sprachlichen Missverständnissen beruhe. Es sei jedenfalls erforderlich, den Kläger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers nochmals zum Erwerbsvorgang zu befragen und sich von seiner Glaubwürdigkeit zu überzeugen. Die Polizei sei nicht einmal in der Lage gewesen, die Länderkennung des Kennzeichens richtig wiederzugeben. Der Kläger habe den Beamten angeboten, sie zu dem Autohaus in der Nähe der französischen Grenze zu fahren, er habe lediglich das Autohaus nicht mehr namentlich benennen können.

Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage auf Herausgabe der sichergestellten Reifen an den Kläger keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, kein weiterer Sachaufklärungsbedarf besteht und die Rechtssache auch keine ungeklärten schwierigen Rechtsfragen aufwirft.

Es ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf zwar nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung in einem Verfahren, in dem sie anwaltlich vertreten sind, zugeführt werden können. Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht als „schwierig“ erscheint (BVerfG, B.v. 15.11.2017 - 2 BvR 902/17 - juris Rn. 12; B.v. 20.6.2016 - 2 BvR 748/13 - juris Rn. 12). Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gerecht.

Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage besteht der geltend gemachte Herausgabeanspruch nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 PAG a.F. nicht. Zugrunde zu legen ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, die regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme eintritt (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 - 10 C 18.1641 - Rn. 4 m.w.N.), hier im Juni 2017. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtslage ist daher noch das Polizeiaufgabengesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (GVBl S. 397), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. November 2015 (GVBl S. 410) - PAG a.F.

Nicht entscheidungserheblich ist entgegen der Auffassung des Klägers, ob die polizeiliche verdachtsunabhängige Kontrolle zulässig war und die Sicherstellung nach Art. 25 Nr. 2 PAG a.F. zu Recht erfolgt ist. Der Kläger hat mit seiner Klage ausschließlich einen Herausgabeanspruch nach Art. 28 Abs. 1 PAG a.F. (und nicht im Wege der Folgenbeseitigung nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 25 Nr. 2 PAG a.F.) geltend gemacht, weil es aus seiner Sicht keiner weiteren Prüfung bedürfe, ob die Sicherstellung rechtmäßig gewesen sei, weil zumindest im Zeitpunkt der Klageerhebung die Voraussetzungen dafür weggefallen seien (Klageschrift Seite 5). Prüfungsgegenstand für den geltend gemachten Herausgabeanspruch ist demnach ausschließlich, ob die Voraussetzungen für die inzwischen bestandskräftig gewordene Sicherstellung entfallen sind und der Kläger Berechtigter i.S.d. Art. 28 Abs. 1 PAG a.F. ist.

Die Sicherstellung der Reifen am 23. November 2016 erfolgte auf der Grundlage von Art. 25 Nr. 2 PAG a.F., um deren Eigentümer oder rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor deren Verlust zu schützen. Die zuständige Polizeiinspektion hat dabei die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB als widerlegt und den Kläger somit nicht als Eigentümer oder rechtmäßigen Besitzer der Reifen angesehen. Als Indizien für die Widerlegung der Eigentumsvermutung haben die Polizeibeamten im Zeitpunkt der Sicherstellung die nicht nachgewiesene Herkunft der Reifen, einen fehlenden Kaufbeleg und den Unterschied zwischen dem bezahlten Preis und dem angenommenen Wert herangezogen.

Insoweit sind seither keine Änderungen des Sachverhalts eingetreten, die die bestandskräftige Sicherstellung infrage stellen und den nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen für die Sicherstellung begründen würden. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt keines der die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB widerlegenden Indizien ausgeräumt. Insbesondere hat er keine weiteren Angaben zum Verkäufer gemacht oder nachträglich einen Beleg vorgelegt, der bestätigen würde, dass er die Reifen gegen Zahlung eines Geldbetrages von dem Autohaus erworben hat. Er beschränkt sich auf umfangreiche Ausführungen dazu, weshalb von ihm die Vorlage eines Kaufbelegs bzw. die Angabe des Verkäufers nicht verlangt werden könne und die Nichtvorlage eines Belegs gerade für seine Redlichkeit spreche. Auch die Mutmaßung des Klägers, der Verkäufer könne die Reifen vor dem Verkauf dem Betriebsvermögen entnommen haben und sie sodann als Privatmann verkauft haben, geht ins Leere, weil dem Kläger nach seinen eigenen Angaben die Reifen ja wahlweise zu einem höheren Preis mit Beleg angeboten wurden. Einen Nachweis für sein Vorbringen, er habe die Reifen zu einem günstigen Preis ohne Beleg bei einem Autohaus erworben, stellen die Ausführungen zur Entbehrlichkeit eines Kaufbelegs jedenfalls nicht dar. Auch etwaige Verständigungsprobleme zwischen dem Kläger und den Polizeibeamten bei der Sicherstellung erklären nicht, weshalb er nach der Sicherstellung keinerlei Nachweise für die Richtigkeit seiner Angaben erbracht hat. Er ist inzwischen anwaltlich vertreten, sodass er unter Einschaltung eines Dolmetschers weitere sachdienliche Angaben zur Ermittlung des Autohauses hätte machen bzw. sich selbst um einen entsprechenden Nachweis über den Kauf der Reifen hätte bemühen können. Soweit er sich darauf beruft, dass es wegen der Sprachbarriere bei der Sicherstellung zu Missverständnissen darüber gekommen sei, dass er die genaue Anschrift des Verkäufers nicht gewusst habe (Schriftsatz vom 10.1.2019), setzt sich der Kläger damit in Widerspruch zu seinem eigenen Vorbringen, wonach er das Autohaus namentlich nicht mehr habe benennen können, weil dies nach dem abgeschlossenen Erwerbsvorgang für ihn unerheblich gewesen sei (Schriftsatz vom 7.1.2019). Sein Vorbringen, er habe angeboten, die Polizeibeamten zu dem Autohaus nahe der französischen Grenze zu fahren, ist angesichts einer Entfernung von fast 600 km vom Ort der Sicherstellung, nicht glaubhaft. Auch lässt der Kläger offen, welche Hinweise er den Polizeibeamten angeblich gegeben haben will, aufgrund derer sie das Autohaus hätten ermitteln können. Die Tatsache, dass im Schreiben der Polizeiinspektion F. vom 23. Januar 2017 angegeben wird, der Kläger habe einen tschechischen Lkw mit einem tschechischen Kennzeichen gefahren, obwohl sich aus den Behördenakten (Bl. 3 und 7) eindeutig ergibt, dass es sich um Fahrzeug mit CH-Kennzeichen mit einem Anhänger mit belgischen Kennzeichen gehandelt hat, belegt weder die Richtigkeit der Angaben des Klägers zum Erwerb der Reifen noch sagt sie etwas über etwaige Verständigungsprobleme zwischen ihm und den Polizeibeamten aus. Die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO wegen besonders schweren Diebstahls durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 8. Februar 2017 führt ebenfalls nicht zu einem nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen für die Sicherstellung, weil das im Zeitpunkt der Sicherstellung noch anhängige Strafverfahren ausweislich der Akten ohnehin nicht als Indiz für eine Widerlegung der Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB gewertet worden war. Auch die Einstellung des Strafverfahrens wegen Hehlerei nach § 170 Abs. 2 StPO sagt nichts darüber aus, ob der Kläger tatsächlich Eigentum an den Reifen erworben hat. Die Anklage wird gemäß § 170 Abs. 1 StPO nur erhoben, wenn gegen den Beschuldigten ein hinreichender Tatverdacht besteht, eine Verurteilung also wahrscheinlich ist (Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl. 2019, § 170 Rn. 3). Demgegenüber reicht es für die Widerlegung der Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB bereits aus, wenn Indizien oder Erfahrungssätze vorliegen, die mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit das Eigentum des gegenwärtigen Besitzers weniger wahrscheinlich erscheinen lassen als das Eigentum eines Dritten (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2018 - 10 ZB 18.3 - juris Rn. 9; B.v. 19.11.2010 - 10 ZB 10.1707 - juris Rn. 11 m.w.N.). Im Übrigen ist selbst die Staatsanwaltschaft in der Begründung der Einstellungsverfügung aufgrund der Angaben des Klägers davon ausgegangen, dass die Reifen aus einer rechtswidrigen Vortat stammen. Allein der Zeitablauf von fast zweieinhalb Jahren, ohne dass die Polizei seither die Eigentümer oder rechtmäßigen Besitzer der Reifen ausfindig machen konnte, rechtfertigt es nicht, nunmehr den Kläger trotz fortbestehender gegensätzlicher Indizienlage unter Heranziehung von § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgrund seiner bloßen Behauptung als Eigentümer anzusehen. Es ist insbesondere nicht ausgeschlossen, auch nach längerer Zeit noch die Eigentümer oder rechtmäßigen Besitzer ausfindig zu machen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 15.11.2016 - 10 BV 15.1049 - juris Rn. 42 ff.). Dies gilt vor allem mit Blick darauf, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Diebstahl bzw. die Hehlerei in Frankreich begangen wurde (es handelt sich überwiegend um Reifensätze eines französischen Automobilherstellers) und die Geschädigten dort zu suchen sind.

Solange somit die Eigentumsfrage nicht geklärt und der wahre Berechtigte gefunden ist, sind die Voraussetzungen der auf Art. 25 Nr. 2 PAG a.F. gestützten Sicherstellung nicht weggefallen, sie würden vielmehr bei einer Herausgabe an den Kläger wieder eintreten (BayVGH, B.v. 11.2.2009 - 10 CE 08.3393 - BayVBl 2009, 569; ähnlich BayVGH, B.v. 19.11.2010 - 10 ZB 10.1707 - juris Rn. 18; Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, Kommentar, 4. Auflage 2014, Art. 28 Rn. 7). Dem steht nicht entgegen, dass die Polizei nach Art. 25 Nr. 2 PAG a.F. zum Schutz privater Rechte tätig wurde und ihr nach Art. 2 Abs. 2 PAG der Schutz privater Rechte nur dann obliegt, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. Die Sicherstellung ist danach (weiterhin) zulässig, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Berechtigten entspricht. Dies ist dann der Fall, wenn die Sicherstellung bei der maßgeblichen objektiven Betrachtung in dessen Interesse erfolgt. Dem mutmaßlichen Willen des Eigentümers einer Sache entspricht es regelmäßig, einen zu seinem Nachteil eingetretenen und andauernden Verstoß gegen die Eigentumsordnung weiterhin im Wege der Sicherstellung zu unterbinden, auch wenn er bisher nicht als Berechtigter ermittelt worden ist bzw. ermittelt werden konnte (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2016 - 10 BV 15.1049 - juris Rn. 43; OVG NW, B.v. 13.9.2016 - 5 A 667/16 - juris Rn. 38 ff.; OVG NW, B.v. 12.2.2007 - 5 A 1056/06 - juris Rn. 7).

Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass die Sicherstellungsvoraussetzungen inzwischen weggefallen sind, weil kein Eigentümer oder rechtmäßiger Inhaber der tatsächlichen Gewalt, zu dessen Schutz gemäß Art. 25 Nr. 2 PAG a.F. die Sicherstellung erfolgt ist, mehr ermittelt werden kann, kann jedenfalls der Kläger die Herausgabe der sichergestellten Gegenstände nicht an sich verlangen.

Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 PAG a.F. sind die sichergestellten Sachen zwar grundsätzlich „an denjenigen herauszugeben, bei dem sie sichergestellt worden sind“. Jedoch besteht die Herausgabepflicht der Polizei nach richtigem Verständnis dieser Bestimmung nur gegenüber einem Berechtigten; eine Herausgabe abhanden gekommener Sachen an den Dieb oder Hehler oder sonst unrechtmäßigen Besitzer ist somit ausgeschlossen. Art. 28 Abs. 1 PAG a.F. regelt die Herausgabe der sichergestellten Sache an den Betroffenen, dessen Rechte durch den hoheitlichen Eingriff der Sicherstellung beeinträchtigt wurden bzw. werden. Wie sich insbesondere aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 PAG a.F., aber auch aus dem systematischen Zusammenhang dieser Bestimmung mit Art. 27 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 sowie Abs. 2 PAG a.F. ergibt, muss dem von der Sicherstellung Betroffenen für einen Herausgabeanspruch nach Art. 28 Abs. 1 PAG a.F. ein Recht an der Sache zustehen, er muss „Berechtigter“ sein, also Eigentümer oder berechtigter Besitzer. Die Herausgabe an jemanden, der den Besitz an der Sache durch eine Straftat wie Diebstahl oder Hehlerei erlangt hat, kann nach dieser Rechtsgrundlage nicht gefordert werden (BayVGH, B.v. 15.11.2016 - 10 BV 15.1049 - juris Rn. 45 unter Verweis auf B.v. 19.11.2010 - 10 ZB 10.1707 - juris Rn. 20; ähnlich OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.6.2016 - OVG 1 S 21.16 - juris Rn. 14; Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, Kommentar, 4. Auflage 2014, Art. 28 Rn. 12; Senftl in Möstl/Schwabenbauer, Beck’scher Online-Kommentar Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand: 1.4.2018, Art. 28 Rn. 9). Insofern ist die vom Verwaltungsgericht München im Urteil vom 14. Januar 2015 (M 7 K 13.3043) vertretene Auffassung durch die zitierte Rechtsprechung überholt. Zudem konnte in dem vom Verwaltungsgericht München entschiedenen Fall der Kläger Eigentum an den fraglichen Gegenständen erwerben, weil § 935 BGB - anders als vorliegend - dem Eigentumserwerb nicht entgegen stand.

Der Umstand, dass die Polizei bisher trotz entsprechender Bemühungen keinen „Berechtigten“ für die streitgegenständlichen Reifensätze ausfindig machen konnte und dass dies (möglicherweise) endgültig nicht mehr möglich ist, führt nicht dazu, dass der Kläger allein aus diesem Grund zum „Berechtigten“ wird. Dass der Berechtigte (noch) nicht bekannt ist, steht einer Sicherstellung und deren Aufrechterhaltung grundsätzlich nicht entgegen (BayVGH, B.v. 6.2.2014 - 10 CS 14.47 - NVwZ-RR 2014, 522 - Rn. 17; BayVGH, B.v. 19.11.2010 - 10 ZB 10.1707 - juris Rn. 15; teilw. noch offen lassend: BayVGH, B.v. 17.3.2010 - 10 C 09.3011, 10 C 0910 C 09.3012 - juris, Rn. 15; BayVGH, B.v. 6.2.2014 - 10 CS 14.47 - NVwZ-RR 2014, 522 - Rn. 17).

Im Übrigen wäre das Herausgabeverlangen des Klägers auch rechtsmissbräuchlich. Da mangels Vorlage entsprechender Nachweise oder Angaben zum Verkäufer weiterhin nicht davon ausgegangen werden kann, dass er Eigentümer oder berechtigter Besitzer der sichergestellten Reifen ist, kann er sich zur Begründung seines Herausgabeverlangens nicht darauf berufen, dass ein Berechtigter bislang nicht ermittelt worden ist (vgl. OVG NW, B.v. 13.9.2016 - 5 A 667/16 - juris Rn. 46 ff.; OVG NW, B.v. 11.8.2010 - 5 A 298/09 - juris Rn. 45; OVG NW, B.v. 12.2.2007 - 5 A 1056/06 - juris Rn. 9).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 12. Juli 2018 ist zulässig, aber unbegründet.

Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. An dieser Voraussetzung fehlt es hier.

1. Soweit der Kläger im Wege einer Anfechtungsklage die Aufhebung des mit Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2018 verfügten Widerrufs der ihm am 9. Mai 2017 erteilten und bis 15. August 2018 gültigen Duldung begehrt, ist das Verwaltungsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für den Widerruf der Duldung nach § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG aufgrund des Entfallens der Passlosigkeit des Klägers und mangels Vorliegens anderweitiger Duldungsgründe gegeben sind.

Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist insofern grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr; vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 16.11.2018 - 10 C 18.2094 - juris Rn. 9; B.v. 10.1.2016 - 10 C 15.724 - juris Rn. 14 m.w.N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme oder Abgabe einer Stellungnahme ein (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007- 10 C 39.07 u.a. - juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 10.1.2016 - 10 C 15.724 - juris Rn. 14). Etwas anderes in Bezug auf den maßgeblichen Zeitpunkt ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass ausnahmsweise dann nicht der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über diesen Antrag für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten maßgeblich ist, wenn sich nach dem Eintritt der Bewilligungsreife die Sach- und Rechtslage zugunsten des Klägers geändert hat und die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung infolge dieser Änderung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2018 - 10 C 17.322 - juris Rn. 6 m.w.N.). Denn beim Widerruf einer zeitlich befristeten Duldung ist wie im Falle eines Widerrufs oder einer Rücknahme eines zeitlich befristeten Aufenthaltstitels für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt des Ablaufs der ursprünglichen Geltungsdauer des (befristeten) Aufenthaltstitels bzw. hier der (befristeten) Duldung abzustellen (zum maßgeblichen Zeitpunkt für die gerichtlichen Überprüfung des Widerrufs einer befristeten Aufenthaltserlaubnis vgl. bereits BayVGH, U.v. 29.11.2016 - 10 B 14.2060 - juris Rn. 18 m.w.N.; B.v. 16.8.2011 - 10 CS 11.432 - juris Rn. 30; BVerwG, B.v. 22.5.2013 - 1 B 25.12 - juris Rn. 6). Einer Einbeziehung tatsächlicher Entwicklungen nach Erlass des angegriffenen Verwaltungsaktes bedarf es nicht, wenn die nachträglich eingetretenen Tatsachen sich auf den angegriffenen Verwaltungsakt nicht mehr auswirken können, sondern Bedeutung lediglich für die Neuerteilung oder Verlängerung der abgelaufenen Duldung haben (zum Fall einer nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer eines Aufenthaltstitels vgl. BVerwG, B.v. 22.5.2013 - 1 B 25.12 - juris --Ls-; Rn. 6 m.w.N.).

So liegt der Fall hier: Nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der Duldung am 15. August 2018 eingetretene Umstände - wie hier die Geburt eines weiteren Kindes deutscher Staatsangehörigkeit am 23. September 2018 - können keine Berücksichtigung mehr finden. Mit Ablauf der Geltungsdauer trat Erledigung ein (vgl. Bruns in NK-Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 60a Rn. 47). Ausgehend hiervon hat das Verwaltungsgericht zutreffend befunden, dass keine sonstigen Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG gegeben sind. Zwar ist nach Lage der Akten vom Bestehen einer familiären Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinem minderjährigen Kind sowie seiner Verlobten auszugehen. Auch hat der Kläger am 24. Mai 2018 eine Sorgerechtserklärung für das erstgeborene Kind abgegeben. Dennoch ist er auf die Durchführung des Visumverfahrens zu verweisen, wozu er als erfolgloser Asylbewerber grundsätzlich verpflichtet ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2018 - 10 CE 18.2177 - juris Rn. 26 m.w.N.). Allein der Umstand, dass Familienangehörige eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssten, würde für eine Unzumutbarkeit auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Familie durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK noch nicht ausreichen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 19.6.2018 - 10 CE 18.993, 10 C10 C 18.994 - juris Rn. 5; B.v. 21.7.2015 - 10 CS 15.859 u.a. - juris Rn. 67; zum Ehegattennachzug BVerwG, Vorlagebeschluss v. 26.1.2017 - 1 C 1.16 - juris Rn. 36).

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall weder die Dauer des Visumverfahrens von Pakistan aus noch die vorübergehende Trennung des Klägers von seinem minderjährigen Kind und seiner Verlobten als besondere Umstände des Einzelfalls zu werten sind, die die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar machten. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es im Verantwortungsbereich des Klägers liege, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Die Beklagte hat insofern eine entsprechende Hilfestellung in Aussicht gestellt. Bezüglich der Dauer des Visumverfahrens und der Wartezeiten beispielsweise für eine Terminbestätigung der deutschen Botschaft in Pakistan befindet sich der Kläger im Übrigen in keiner anderen Situation als andere Betroffene, die in Fällen der Familienzusammenführung das Visumverfahren ordnungsgemäß vom Ausland aus durchführen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 - 10 CE 18.993, 10 C10 C 18.944 - juris Rn. 5), wobei nach dem Vortrag der Beklagten eine relativ kurzfristige Terminvereinbarung zur Vorsprache bei der deutschen Auslandsvertretung in Pakistan (hier: zwei Monate) realistisch erscheint. Demzufolge kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, dass die Trennungszeit für die Durchführung des Visumverfahrens nicht absehbar sei bzw. über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum hinausginge.

2. Die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat ebenfalls keine hinreichenden Erfolgsaussichten.

a) Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge für einen minderjährigen ledigen Deutschen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG steht die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag - wie im Falle des Klägers - unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnittes 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden. Dem Kläger kommt vorliegend auch nicht die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG zugute, wonach im Falle eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG keine Anwendung findet. Denn ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in diesem Sinne setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben muss. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 27 m.w.N.).

Ein solcher strikter Rechtsanspruch steht dem Kläger aber nicht zur Seite, da er ohne das erforderliche Visum eingereist ist und demzufolge die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2018 - 10 C 18.1497 - juris Rn. 19). Zwar kann hiervon gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Da diese Entscheidung aber im Ermessenswege zu treffen ist, liegt kein gebundener Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vor.

Darüber hinaus spricht vorliegend auch viel dafür, dass in der Person des Klägers ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 i.V.m. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG besteht. Er hat unrichtige Personalangaben zur Erlangung einer Duldung sowie wahrheitswidrige Angaben bezüglich des (Nicht-) Vorliegens eines Passes zum Abwenden des Erlöschens, hier des Widerrufs, seiner Duldung gemacht (vgl. BGH, B.v. 2.9.2009 - 5 StR 266/09 - juris Rn. 19, 22; Hohoff in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.11.2018, Rn. 91; Hörich in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Auflage 2016, § 95 Rn. 235). Auf die Passpflicht wurde der Kläger nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens mit Schreiben der Ausländerbehörde vom 16. November 2012 hingewiesen (Bl. 121 der Behördenakte). Er hat die Beklagte aber erst, nachdem er sie am 2. Dezember 2016 über seine wahre Identität in Kenntnis gesetzt hatte, mit Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 27. Januar 2017 darüber informiert, dass er einen mittlerweile „abgelaufenen“ pakistanischen Pass gehabt hätte, den er Verwandten vor seiner Ausreise aus Griechenland zur Verwahrung überlassen habe. Ausgehend von einer absoluten Verjährungsfrist von zehn Jahren gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4, § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB bestehen im Hinblick auf das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung von Verstößen gegen die Vorlage- und Aushändigungspflichten in asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahren (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 28.12.2018 - 10 ZB 18.1154 - juris 9) keine durchgreifenden Zweifel an der Aktualität des Ausweisungsinteresses.

b) Nachdem, wie dargelegt, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht gegeben sind, scheidet die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG ebenfalls aus (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 - 10 C 18.1782 - juris Rn. 7; B.v. 24.1.2019 - 10 CE 18.1871, 10 C 1810 C 18.1874 - Rn. 25; Maaßen/Kluth in BeckOK, Ausländerrecht, Kluth/ Heusch, Stand 1.11.2018, § 25 Rn. 148), und zwar unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 - 10 C 18.1782 - juris Rn. 7; NdsOVG, U.v. 8.2.2018 - 13 LB 43/17 - ZAR 2018, 176; OVG Bremen, U.v. 16.3.2017 - 1 B 21/17 - BeckRS 2017, 105559; VGH BW, U.v. 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - InfAuslR 2011, 250).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

IV. Der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2016 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sieben Jahre befristet und seine Abschiebung aus der Haft in den Irak für den Fall des rechtskräftigen Widerrufs des vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellten Abschiebungsverbots angedroht wurde. Weiter begehrt er die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für dieses Zulassungsverfahren.

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers gemäß §§ 53 ff. AufenthG als rechtmäßig angesehen. Sie sei nach § 53 Abs. 3 AufenthG zulässig, weil das persönliche Verhalten des Klägers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland berühre und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses nach der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Abwägung unerlässlich sei. Der Kläger habe schwere Straftaten begangen und es bestehe bis heute eine erhebliche Wiederholungsgefahr. Der arbeitslose Kläger konsumiere seit seinem frühen Jugendalter Rauschgift, seine Drogenabhängigkeit habe sich mit der Zeit zunehmend verfestigt. Er sei seit 2005 sechsmal u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt worden, zuletzt wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten. Das Ausweisungsinteresse überwiege das Bleibeinteresse des Klägers, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei und über die Hälfte seiner Lebenszeit im Bundesgebiet verbracht habe. Aufgrund seiner wiederholten Straffälligkeit, der fehlenden wirtschaftlichen Integration und der weiterhin bestehenden Bindungen zu seinem Heimatland könne dem Kläger der Status eines faktischen Inländers nicht zugebilligt werden. Die Ausweisung sei aber auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK angemessen.

Die vom Kläger in der Zulassungsbegründung dagegen vorgebrachten Einwendungen begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.

Soweit der Kläger geltend macht, entgegen der Darstellung im Urteil des Verwaltungsgerichts durchaus therapiewillig zu sein, inzwischen eine Zusage für eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme bei einer Drogenberatung erhalten zu haben und zum Beleg hierfür entsprechende, auch aktuelle Stellungnahmen bzw. Bestätigungen vorlegt, sind diese Rügen nicht geeignet, die Richtigkeit der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts und damit des erstinstanzlichen Urteils ernstlich in Zweifel zu ziehen.

Denn in ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 12 mit Nachweisen der Rspr. des EuGH und des EGMR). Nach diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass das persönliche Verhalten des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Insbesondere hat es die Gefahr der Wiederholung weiterer schwerwiegender Straftaten des Klägers im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität zu Recht bejaht. Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. BayVGH B.v. 2.1.2019 - 10 ZB 18.1638 - juris Rn. 6; B.v. 14.6.2018 - 10 ZB 18.794 - juris Rn. 6; B.v. 20.3.2018 - 10 ZB 17.2512 - Rn. 5; B.v. 20.10.2017 - 10 ZB 17.993 - juris Rn. 6) zutreffend davon ausgegangen, dass von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann, solange der Kläger nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Hiervon kann beim Kläger trotz Therapiemotivation und (nunmehriger) Zusage für eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme nicht ausgegangen werden. Denn er hat weder eine Drogentherapie begonnen noch diese erfolgreich abgeschlossen noch konnte er sich bislang eine ausreichend lange Zeit außerhalb des Maßregelvollzugs bewähren.

Daneben hat das Verwaltungsgericht bei seiner Gefährdungsprognose auch darauf abgestellt, dass der Kläger schon seit langer Zeit seinen Lebensunterhalt nicht mehr durch eigene Erwerbstätigkeit sichergestellt hat, seit seinem Jugendalter wiederholt straffällig geworden ist, im Strafvollzug mehrfach disziplinarrechtlich geahndet worden ist und laut Führungsbericht eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht habe befürwortet werden können. Es hat den Kläger zu Recht als mehrfachen Bewährungsversager mit einer extrem hohen Rückfallgeschwindigkeit eingestuft. Vor diesem Hintergrund ist es unabhängig davon, weshalb beim Kläger eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG unterblieben ist, und auch unter Berücksichtigung dessen, dass er sich seit Ende März 2018 im offenen Vollzug befindet, dabei seine Arbeitsleistung nach eigenen Angaben beanstandungsfrei sei und die Möglichkeit der Beschäftigung in Gestalt eines Ausbildungsverhältnisses bestehe, hinsichtlich der längerfristig angelegten ausländerrechtlichen Gefahrenprognose (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 14.1.2019 - 10 ZB 18.1413 - juris Rn. 10) und des Schutzes besonders wichtiger Rechtsgüter hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger erneut Straftaten im Bereich der Drogenkriminalität begehen wird.

Weiter wendet der Kläger ein, dass das Verwaltungsgericht die noch bestehende Flüchtlingseigenschaft und seine familiären Bindungen im Bundesgebiet wesentlich „stärker“ hätte berücksichtigen müssen. Hieraus lassen sich ebenfalls keine ernstlichen Richtigkeitszweifel ableiten. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht wegen der noch nicht bestandskräftig widerrufenen Flüchtlingseigenschaft die Ausweisung am Maßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG geprüft. Auch hat das Verwaltungsgericht die familiäre Situation richtig erfasst. Soweit der Kläger nunmehr vorträgt, keine familiären Bindungen im Irak zu haben, überzeugt dies schon angesichts der Angaben seiner Mutter in ihrem Asylverfahren, wonach noch „Mutter, Brüder, Schwestern, Onkel, Tanten“ im Heimatland lebten (Bl. 29 der Behördenakte), nicht.

Schließlich hat das Verwaltungsgericht dem Kläger zu Recht nicht den Status eines „faktischen Inländers“ zugebilligt. Das Gericht hat dabei entgegen dem Vortrag in der Zulassungsbegründung nicht verkannt, dass der Kläger mehr als die Hälfte seiner Lebenszeit im Bundesgebiet verbracht und sich gute deutsche Sprachkenntnisse angeeignet hat. Allerdings handelt es sich bei dem im Alter von 14 Jahren eingereisten Kläger nicht um einen faktischen Inländer (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 - 19 CE 17.2454 - juris Rn. 24 zu einem im Alter von fast 13 Jahren eingereisten Ausländer mit über fünfjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet), zumal ihm die Integration weder in wirtschaftlicher Hinsicht gelungen, noch er sozial-familiär in die hiesige Gesellschaft eingebunden ist. Auch wurden die Beziehungen zur Heimat und seine Sprachkenntnisse ausreichend berücksichtigt. Das Verwaltungsgericht hat insbesondere nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, weshalb keine völlige Entwurzelung anzunehmen ist und der Kläger entgegen seiner Einlassung über ausreichende turkmenische Sprachkenntnisse verfügt, um sich in seiner Heimat sprachlich zurechtzufinden, auch wenn er diese teilweise erst wieder auffrischen muss. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht selbst bei Annahme der Stellung eines faktischen Inländers die Ausweisung angesichts der abgeurteilten Straftaten und der Gefahr der Begehung weiterer Straftaten als angemessen erachtet (s. UA S. 18 2. Absatz). Zu dieser selbständig tragenden Begründung verhält sich das Zulassungsvorbringen indes nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

2. Der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren, der gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht dem Vertretungszwang unterliegt, ist abzulehnen, weil der Zulassungsantrag aus den oben dargestellten Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein griechischer Staatsangehöriger, seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 3. Juli 2017 in der Fassung vom 7. Juni 2018 weiter, mit dem festgestellt wurde, dass er sein Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren hat, ihm die Einreise und der Aufenthalt im Bundesgebiet für (zuletzt) vier Jahre untersagt und ihm unter Bestimmung einer Ausreisefrist die Abschiebung nach Griechenland angedroht wurde. Anlass der behördlichen Entscheidung war die Verurteilung des selbst betäubungsmittelabhängigen Klägers vom 9. März 2017 wegen Handeltreibens mit und Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht, wie geltend gemacht, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Die von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (siehe dazu Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2019, § 124a Rn. 72 f.; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 62 ff.).

Der Kläger wendet sich in erster Linie gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass von ihm im Sinn von § 6 Abs. 1, Abs. 2 FreizügG/EU eine gegenwärtige tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht auf die sich aus den Umständen der abgeurteilten Straftat ergebende kriminelle Energie abgestellt; diese sei bereits vom Strafgericht berücksichtigt worden. Es sei zwar nicht ganz fernliegend, dass diese Umstände ein gewisses Indiz dafür liefern könnten, das vom Kläger wieder Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen könnte. Das allein reiche hierfür aber nicht aus; diese Vermutung müsse durch bestimmte Anhaltspunkte gestärkt werden, die hier nicht vorlägen.

Völlig neben der Realität seien die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger drogensüchtig und nicht austherapiert sei und anhaltende finanzielle Probleme habe. Seit seiner Inhaftierung nehme er keine Drogen mehr zu sich. In einer Urkunde vom 27. Juni 2018 habe ihm die Fachklinik den erfolgreichen Abschluss der Rehabilitation bescheinigt; darin liege ein erfolgreicher Therapieabschluss, der nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats die Wiederholungsgefahr entfallen lasse.

Weiter sei darauf hinzuweisen, dass mit Beschluss des Amtsgerichts vom 10. September 2018 die weitere Vollstreckung der gegen den Kläger verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden sei. Das Amtsgericht habe bei seiner günstigen Prognose darauf hingewiesen, dass die Behandlung des Verurteilten seitens der Therapieeinrichtung als planmäßig abgeschlossen beurteilt worden sei. In Verbindungen mit den erteilten Weisungen, insbesondere der Unterstellung unter die Aufsicht eines Bewährungshelfers, sei vom Kläger keine Gefahr mehr zu erwarten.

Ebenso seien die Bedenken des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger nach seiner Entlassung aus der Therapieeinrichtung einer Erwerbstätigkeit nachgehen werde, widerlegt, da er sofort nach seiner Entlassung eine unbefristete, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen habe. Bei seinen Schulden handele es sich zu einem großen Teil um Forderungen des Freistaats Bayern aufgrund des Unterhaltsvorschussgesetzes, die nach seiner Ansicht bereits verjährt seien. Eine Wiederholungsgefahr könne daraus nicht abgeleitet werden.

Damit hat der Kläger die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts jedoch nicht ernsthaft im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats (z.B. B.v. 7.2.2018 - 10 ZB 17.1386 - juris Rn. 9 ff.; B.v. 8.11.2017 - 10 ZB 16.2199 - juris Rn. 6 f.; B.v. 3.5.2017 - 10 ZB 15.2310 - juris Rn. 14) haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung und ebenso bei der Prüfung, ob im Sinn des § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch ein persönliches Verhalten des Betroffenen zu erkennen ist, eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer - und gegebenenfalls den dieser zugrunde liegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt oder der Therapieeinrichtung - kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte sind für die Frage der Beurteilung der Wiederholungsgefahr daran aber nicht gebunden; dabei bedarf es jedoch einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 21). Hier ist zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung bzw. Verlustfeststellung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen (zur Prognoseentscheidung vgl. Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 57 Rn. 9 ff.). Auch im Rahmen der Entscheidung nach § 36 Abs. 1 BtMG ist neben dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit das Resozialisierungsinteresse des Verurteilten maßgebend (vgl. Ganter in BeckOK StPO, Stand 1.1.2019, § 36 BtMG Rn. 5). Als Zukunftsprognose reicht eine berechtigte Chance, dass der Verurteilte ausreichend vorbereitet ist, in Freiheit ohne Drogen zu leben und seine Nachbehandlung (Nachsorge) selbst zu steuern. Es genügt demnach, dass der Verurteilte ernsthafte Schritte unternommen hat, sich von seiner Drogensucht zu befreien, und dadurch die Chance besteht, später in Freiheit ohne Drogen zu leben (Fabricius in Kröner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 36 Rn. 70 f. m.w.N.). Demgegenüber geht es bei der Ausweisung und der Verlustfeststellung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 10 C 10/12 - juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 22.3.2019 - 10 ZB 18.2598 - juris Rn. 11; B.v. 6.6.2017 - 10 ZB 17.588 - juris Rn. 5; B.v. 4.4.2017 - 10 ZB 15.2062 - juris Rn. 20 f.).

Gerade bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 7.3.2019 - 10 ZB 18.2272 - juris Rn. 7; B.v. 7.11.2016 - 10 ZB 16.1437 - juris Rn. 7). Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BavVGH, B.v. 13.10.2017 - 10ZB 17.1469 - juris Rn. 12; B.v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 11).

Im vorliegenden Fall wurde die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe mit Beschluss des Amtsgerichts vom 10. September 2018 zur Bewährung ausgesetzt. Die Dauer der Bewährungszeit wurde auf drei Jahre ab Rechtskraft des Bewährungsbeschlusses festgesetzt. Die seither verstrichene Zeit ist damit allein noch nicht geeignet, eine künftige straffreie Lebensführung glaubhaft zu machen. Vor allem liegt gegen den Kläger inzwischen eine weitere Anklageschrift wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis vor, da er am 16. September 2018 - also nur wenige Tage nach dem Bewährungsbeschluss - mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,45 ‰ am Steuer eines Pkw angetroffen wurde. Auch wenn der Ausgang dieses Strafverfahrens noch nicht feststeht, belegt der Vorfall jedenfalls, dass die beim Kläger bestehende Suchtproblematik offensichtlich noch nicht nachhaltig aufgearbeitet worden ist und dass eine Prognose, dass vom Kläger nunmehr keine konkrete Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten im Sinne des § 6 Abs. 1, Abs. 2 FreizügG/EU mehr ausgeht, derzeit nicht getroffen werden kann.

Auch sonst bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts. Soweit das Verwaltungsgericht aus den Umständen der abgeurteilten Straftat, nämlich aus der Menge des beim Kläger gefundenen Heroins und Kokains sowie deren hohem Wirkstoffgehalt, eine hohe kriminelle Energie abgeleitet hat, liegt darin nicht eine unzulässige Doppelverwertung von Umständen, die bereits in die Strafzumessung des Strafurteils eingeflossen sind. Vielmehr handelt es sich gerade bei der Schwere der begangenen Straftat und den Tatumständen um Kriterien, die in die Prognose der Wiederholungsgefahr einzustellen sind. Das Verwaltungsgericht hat seine Prognose auch keineswegs allein auf den Gesichtspunkt der „kriminellen Energie“ gestützt, sondern alle Umstände des Einzelfalls eingestellt und geprüft.

In die Umstände des Einzelfalls sind zu Recht auch die wirtschaftlichen Perspektiven des Klägers eingestellt worden. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger jedenfalls noch Schulden in erheblicher Höhe hat, unabhängig davon, wie hoch der Betrag im Einzelnen ist, weil der Kläger staatliche Zahlungsforderungen von erbrachten Unterhaltsvorschuss-Leistungen für verjährt hält, und dies als Risikofaktor gesehen, dass der Kläger zukünftig wieder Straftaten zur Gewinnerzielung begehen könnte. Gleiches gilt auch für den Umstand, dass er zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (noch) keine Anstellung in Aussicht hatte. Die Entwicklung der Lebensumstände eines Ausländers nach der Straftat und nach einer erfolgten oder bevorstehenden Haftentlassung sind wesentliche Umstände, die in die Prognose einer Wiederholungsgefahr einzustellen und abzuwägen sind. Ein Rechtsfehler ist nicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht hat weder einen für den Kläger sprechenden Gesichtspunkt vernachlässigt noch einen zu seinen Lasten sprechenden überbewertet. Dass der Kläger nach der dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugrunde liegenden mündlichen Verhandlung eine Arbeitsstelle als Küchenhelfer angetreten hat, stellt angesichts der eher geringen Vergütung die Feststellung, dass der Kläger anhaltende finanzielle Probleme hat, und in der Folge die Prognose einer Wiederholungsgefahr, nicht nachträglich durchgreifend in Frage.

Auch die Rüge, dass die Ermessensausübung der Beklagten „nicht fehlerfrei“ sei, führt nicht auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Der Kläger meint, es sei „eine offensichtlich in Betracht kommende und konkrete Kindeswohlgefährdung durch [die] bevorstehende Abschiebung des Klägers nach Griechenland hinter absolut konturlose und abstrakte Gefahren zurückgedrängt“ worden, begründet dies aber nicht weiter; eine konkrete Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts im Sinn des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO liegt darin nicht. Davon abgesehen hat das Verwaltungsgericht durchaus auch die Belange der beiden Kinder des Klägers geprüft und als gewichtig angesehen, jedoch in der Gesamtabwägung angesichts der fortdauernden, vom Kläger ausgehenden erheblichen Gefahr - die, wie dargelegt, keineswegs lediglich „konturlos“ und „abstrakt“ ist - die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs und damit die fehlerfreie Ermessensausübung bejaht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren war abzulehnen, weil der Antrag auf Zulassung der Berufung aus den dargelegten Gründen keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im Übrigen liegt auch keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor; sie wurde entgegen der Ankündigung in der Beschwerdeschrift nicht nachgereicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000, - Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 16. November 2016 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Abschiebung in die Türkei angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht und die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung auf vier bzw. drei Jahre befristet wurden. Nicht Gegenstand des Zulassungsverfahrens ist der mit Urteil vom 27. Juni 2017 ebenfalls abgewiesene Hilfsantrag des Klägers, ihm eine Duldung nach § 60a AufenthG zu erteilen.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (2.). Die im Zulassungsantrag erwähnten Zulassungsgründe der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache, der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Abweichung des Urteils von höchstrichterlichen Entscheidungen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 4 VwGO) sind bereits nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 S. 4 VwGO; 1).

1. Der Kläger führt im Zulassungsantrag aus, dass die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Juni 2017 zuzulassen sei, weil die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 4 VwGO vorlägen, in der Begründung des Zulassungsantrags fehlen jedoch jegliche Darlegungen zu den genannten Zulassungsgründen. Dem Vorbringen im Zulassungsantrag lässt sich auch nicht entnehmen, worin die besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache liegen sollen, welche Frage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären ist und von welchen Entscheidungen der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017 abweicht.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B.v.10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/ 12 – juris Rn. 16). Seine Ausführungen vermögen jedoch keine ernstlichen Zweifel in diesem Sinne zu begründen.

Das Verwaltungsgericht hat die Abweisung der Klage gegen die Ausweisungsverfügung vom 16. November 2016 darauf gestützt, dass das persönliche Verhalten des Klägers auch gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre und seine Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich sei (§ 53 Abs. 3 AufenthG). Der weitere Aufenthalt des Klägers gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung, weil er schwere Straftaten begangen habe. Das Verwaltungsgericht bezog sich dabei auf die der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg vom 10. Dezember 2014 zugrunde liegenden Delikte. Der Kläger hatte seine damalige Freundin wiederholt geschlagen und dabei erheblich verletzt, sie vergewaltigt und war wiederholt ohne Fahrerlaubnis Auto gefahren. Die vom Kläger ausgehende Gefahr dauere bis heute an, weil eine Tatwiederholung konkret zu befürchten sei. Bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung, wie der körperlichen Unversehrtheit und der sexuellen Selbstbestimmung, seien im Rahmen der tatrichterlichen Prognose der Wiederholungsgefahr umso geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden sei. Zu berücksichtigen seien die vom Kläger auch in der Vergangenheit begangenen Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit. Der Kläger neige in jeder beliebigen Lebenssituation aus nichtigen Anlässen dazu, Straftaten zu begehen. Auffällig sei seine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit. Aus dem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt bzw. seiner Teilnahme an einer Sozialtherapie ergebe sich nichts anderes. Auch der Therapeut gebe an, dass die Therapie noch während der gesamten Inhaftierung fortzuführen und selbst nach der Entlassung des Klägers eine therapeutische Nachsorge für einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren notwendig sei. Bei der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmenden Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit dessen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet sei zu berücksichtigen, dass das Vorliegen eines in § 54 AufenthG normierten Ausweisungsinteresses, dem ein gleichwertiges Bleibeinteresse gegenüberstehe, nicht ohne weiteres zur Ausweisung des Betroffenen führe. Für den Kläger spreche, dass er im Bundesgebiet geboren sei und seine sozialen Beziehungen und Bindungen an die Türkei gering seien. Er habe auch vereinzelte Kontakte zu seiner deutschen Tochter. Massiv gegen den Kläger spreche, dass er sich weder wirtschaftlich noch sozial integriert habe und vielfach straffällig geworden sei. Er habe die Schule erst im Rahmen einer Praxisklasse abgeschlossen, eine Lehre habe er weder vor der Haft noch während der Zeit in der Justizvollzugsanstalt abgeschlossen. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen Art. 6 oder Art. 8 EMRK. Zwischen ihm und seiner Tochter bestehe keine tatsächliche Verbundenheit im Sinne einer familiären Lebensgemeinschaft, die unter den Schutz des Art. 6 GG falle. Dem volljährigen Kläger sei es möglich und zumutbar, sich sprachlich und kulturell in der Türkei zu integrieren.

Der Kläger bringt insoweit zunächst vor, dass die Feststellung des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen einer Wiederholungsgefahr den gesetzlichen und höchstrichterlichen Grundsätzen widerspreche. Die Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen könne nämlich nicht bereits dann erfolgen, wenn eine irgendwie geartete Wiederholungsgefahr bestehe. Vielmehr müsse zu erwarten sein, dass der Kläger schwere Straftaten begehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührten. Zu solchen Straftaten gehöre u.a. der illegale Drogenhandel. Die von ihm begangenen Körperverletzungsdelikte stellten zwar erhebliche und schwerwiegende Straftaten dar, es sei jedoch fraglich, ob durch deren Begehung eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft vorliege. Die Aufzählung der Straftaten reiche hierfür nicht aus. Gänzlich unbeachtet geblieben sei der Umstand, dass sich der Kläger erstmalig in Haft befinde. Auch habe sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem forensisch psychiatrischen Gutachten vom 17. September 2014 auseinandergesetzt. Es bleibe unerwähnt, dass es sich bei der vorliegenden Tat um eine Beziehungstat gehandelt habe und die damalige Geschädigte unmittelbar nach der von ihr angezeigten Vergewaltigung die Beziehung zum Kläger fortgesetzt habe. Auch der Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 13. April 2017 sei bei der Beurteilung der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr nicht berücksichtigt worden. Das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 27. Januar 2014 habe eine Bewährungsentscheidung zu seinen Gunsten enthalten. Dies habe das Verwaltungsgericht ebenso wenig beachtet wie die in der Justizvollzugsanstalt besuchten Therapien. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht die Vater-Kind-Beziehung und die hiermit verbundene Reifung des inzwischen 25 Jahre alten Klägers in die Beurteilung der Wiederholungsgefahr miteinbezogen. Die richterliche Überzeugungsbildung sei mangelhaft, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei und die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweise.

Der Kläger hat mit seinem Vorbringen in der Zulassungsbegründung die Bewertung des Verwaltungsgerichts, wonach von ihm auch weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen sind, wenn dem Ausländer – wie hier – ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zusteht. Denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. BayVGH, U.v. 28.3.2017 – 10 BV 16.1601 – juris Rn. 31).

Weiterhin hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats (z.B. B.v. 3.5.2017 – 10 ZB 15.2310 – juris Rn. 14) die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen haben. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.

Bei dieser tatrichterlichen Prognose handelt es sich – entgegen der Auffassung des Klägers – um keine Beweiswürdigung, sondern um eine Prognoseentscheidung. Die Ausführungen des Klägers zur Beweiserhebung und Beweiswürdigung gehen daher bereits an der Sache vorbei. Die Prognose des Verwaltungsgerichts zur Wiederholungsgefahr hat der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt. Die Verurteilung des Klägers wegen mehrerer vorsätzlicher Körperverletzungsdelikte und der Vergewaltigung seiner damaligen Freundin stellen gravierende Verstöße gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung dar und bilden einen hinreichend schweren Ausweisungsanlass, der über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung deutlich hinausgeht und ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. BayVGH, U.v. 28.3.2017 – 10 BV 16.1601 – juris Rn. 34). Entgegen dem Vorbringen des Klägers hat das Gericht das hinreichende Gewicht der vom Kläger begangenen Straftaten nicht alleine in ihrer Anzahl, sondern auch in der Schwere der Delikte gesehen. Es hat sich ausdrücklich auf das Sexualdelikt und die Gewalttaten, die der Kläger aus nichtigem Anlass begangen hat, bezogen. Dass der Kläger die Straftaten überwiegend gegenüber seiner damaligen Freundin begangen hat, mindert die Schwere der konkreten Straftaten nicht. Die Straffälligkeit des Klägers lässt sich auch ausschließlich als sog. „Beziehungstat“ einordnen, weil er im Vorfeld der Straftaten gegenüber seiner damaligen Freundin auch andere Personen verletzt hat. Anzuführen sind insoweit die Verurteilungen des Amtsgerichts Augsburg vom 26. Mai 2011 und vom 23. Oktober 2012 sowie das Körperverletzungsdelikt vom 7. April 2013.

Das vom Kläger in der Haft gezeigte Wohlverhalten, das auch im Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt vom 18. April 2017 zum Ausdruck kommt, hat nur begrenzte Aussagekraft für sein Verhalten nach der Haftentlassung, weil er unter der Kontrolle des Strafvollzugs und unter dem Druck des Ausweisungsverfahrens stand. Ein Wohlverhalten in der Haft lässt nach ständiger Rechtsprechung des Senats noch nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2015 – 10 ZB 15.331 – juris Rn. 7 m.w.N.).

Auch bedurfte es nicht, wie vom Kläger im Zulassungsverfahren beantragt, der Einholung eines Prognosegutachtens zur konkreten Gefahr der Begehung weiterer Straftaten. Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Die inmitten stehende Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (BayVGH, B.v. 18.3.2015 – 1 C 14.2655 –juris Rn. 22 m.w.N.). Ein Sachverständigengutachten kann die eigene Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern nur eine Hilfestellung bieten (BVerwG, B.v. 13.3.2009 – 1 B 20.08 – juris Rn. 5). Der Zuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände – etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen – nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 11). Ein solcher Sonderfall liegt beim Kläger nicht vor.

Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen im Gutachten vom 17. September 2014 musste das Verwaltungsgericht bei seiner Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr nicht berücksichtigen. Dieses Gutachten hat das Strafgericht eingeholt, um festzustellen, ob der Kläger die Vergewaltigung im Zustand der Schuldunfähigkeit bzw. verminderten Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20 und 21 StGB begangen hat und ob gegebenenfalls seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlich ist (§ 63 StGB). Die bei einer Ausweisungsentscheidung unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose, ob vom Kläger eine Wiederholungsgefahr ausgeht, unterscheidet sich nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich von einer Maßnahme nach § 63 StGB, so dass vom Fehlen einer Devianz in soziologischer und psychologischer Hinsicht nicht darauf geschlossen werden kann, dass der Kläger, rein ordnungsrechtlich betrachtet, auch nach seiner Haftentlassung keine Straftaten im Bereich der Körperverletzungs- und Sexualdelikte mehr begehen werde.

Die Strafaussetzung zur Bewährung im Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 27. Januar 2014 vermag die Einschätzung des Erstgerichts, dass vom Kläger auch künftig die Gefahr der Begehung schwerwiegender Straftaten ausgehe, nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Dieser Verurteilung lagen lediglich die am 7. April 2013 gegenüber einem Dritten und am 29. und 30. Juni 2013 gegenüber seiner ehemaligen Freundin begangenen Körperverletzungsdelikte zugrunde. Zudem ist dieses Urteil in die Entscheidung des Amtsgerichts Augsburg vom 10. Dezember 2014 einbezogen worden und damit sowohl hinsichtlich des Strafausspruchs als auch der Bewährungsentscheidung nicht mehr relevant.

Soweit der Kläger meint, es bestehe keine Wiederholungsgefahr mehr, weil er aufgrund seiner Vaterstellung und durch die Verbüßung der Freiheitsstrafe inzwischen in seiner Persönlichkeit gereift sei, bleibt er jeglichen Nachweis dafür schuldig. Bezüglich der familiären Beziehung zu seiner inzwischen bald dreijährigen Tochter ist lediglich bekannt, dass sie ihn zweimal in der Haftanstalt besucht hat. Eine Persönlichkeitsreifung wird dem Kläger weder im Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt vom 18. April 2017 noch in der Stellungnahme der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt vom 13. April 2017 bescheinigt.

Auch die Teilnahme an einer Therapie für Sexualstraftäter und die Bereitschaft zur Aufarbeitung des Tatgeschehens lassen die Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag hat sich das Verwaltungsgericht mit der Stellungnahme des Therapeuten vom 13. April 2017 in den Entscheidungsgründen auseinandergesetzt (UA S. 11). Es nimmt ausdrücklich Bezug auf die Stellungnahme, in der der Therapeut ausführt, dass die Therapie während der gesamten Haftdauer fortzuführen sei und eine therapeutische Nachsorge nach der Entlassung über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren ebenfalls notwendig sei. Alleine die Teilnahme an einer Therapiemaßnahme reicht nicht aus, um ein Verhaltensmuster – hier die bereits bei nichtigen Anlässen bestehende Gewaltbereitschaft, die sich auch in einem sexuellen Übergriff manifestiert hat – zu durchbrechen. Erforderlich sind vielmehr der Nachweis des erfolgreichen Abschlusses der Therapie und eine Bewährung über einen gewissen Zeitraum nach der Haftentlassung. Dies gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund Bedeutung, dass es sich beim Kläger um eine „Persönlichkeit mit dissozialen und hyperthym-narzistischen Zügen“ (Strafurteil vom 14.12.2014, S. 11) handelt.

Die Tatsache, dass der Kläger erstmals eine längere Haftstrafe verbüßt, spricht ebenfalls nicht entscheidend gegen das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr. Zwar gehen die Straf- und Verwaltungsgerichte davon aus, dass die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördert und die Gefahr, erneut straffällig zu werden, mindern kann (vgl. BayVGH, B.v. 1.9.2016 – 10 ZB 16.901 – juris Rn. 10). Selbst wenn der Kläger inzwischen laut der Stellungnahme vom 13. April 2014 „die ihm im Urteil zur Last gelegte Tat gestand“, reicht dies nicht als Beleg für einen dauerhaften Einstellungswandel aus. Die Strafhaft hat beim Kläger allenfalls dazu geführt, dass er, nachdem er laut Gutachten vom 17. September 2014 anfangs die Tatbegehung leugnete, nun zumindest bereit ist, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen und seine Persönlichkeitsdefizite therapeutisch aufzuarbeiten.

Soweit sich der Kläger auf ein positives Nachtatverhalten beruft, ist hierzu nichts Konkretes vorgetragen. Es ist zwar richtig, dass das Opfer der Straftaten die Beziehung mit dem Kläger auch nach der Vergewaltigung fortgeführt hat. Er hat sich jedoch weder bei dem Opfer entschuldigt noch sich um eine „Wiedergutmachung“ bemüht. Die Tatsache, dass die Geschädigte die Beziehung fortgesetzt hat, spricht jedenfalls nicht für den Kläger. Offensichtlich hatte seine damalige Freundin Angst vor den Gewalttätigkeiten des Klägers und wurde von seiner Familie unter Druck gesetzt, die Strafanzeige zurückzunehmen. Dies lässt sich den Entscheidungsgründen des Strafurteils vom 10. Dezember 2014 entnehmen.

Weiterhin bringt der Kläger im Zulassungsverfahren vor, dass er den Abwägungsvorgang des Erstgerichts für fehlerhaft halte. Er führt aus, dass eine Gewichtung der persönlichen Belange im Sinne des Gesetzes nicht deren kumulative Aufzählung, sondern eine tatsächliche inhaltliche Würdigung der einzelnen Belange bedeute. Das Gericht hätte in die Gesamtabwägung nicht nur die Straftaten des Klägers, sondern auch dessen Auseinandersetzung mit der Tat, seine Deliktaufarbeitung und sein Nachtatverhalten, sein Verhältnis zum Opfer, ebenso die bislang erlittene Strafhaft als möglicher positiver Einfluss auf seine Persönlichkeitsentwicklung sowie den Grad der Gefahr der Begehung neuer Straftaten berücksichtigen müssen. Dies fehle vollständig. Die Beurteilung der angeblich nicht gelungenen nachhaltigen Integration sei anmaßend, weil sie ohne Rücksicht auf die körperlichen oder geistigen Möglichkeiten erfolgt sei.

Diese Ausführungen begründen aber ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Denn sie stellen weder einen einzelnen tragenden Rechtssatz noch eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Das Ergebnis der Abwägungsentscheidung des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden. Es hat deutlich gemacht, dass der Kläger aufgrund der seit Jahren bestehenden Straffälligkeit, der Schwere der Straftaten sowie der Tatausführung immer noch eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, so dass seine aufgrund seiner Stellung als faktischer Inländer bestehenden Bleibeinteressen hinter das öffentliche Interesse an seiner Ausreise zurücktreten müssen. Die Bindungen zu seiner Familie sind zwar zu berücksichtigen, aber geringer zu gewichten, weil der Kläger als erwachsener junger Mann nicht mehr auf die (Lebens-)Hilfe seiner Familie angewiesen ist. Der Tatsache, dass er Vater einer Tochter mit deutscher Staatsangehörigkeit ist, kommt ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil er zu seiner Tochter bis zum Oktober 2016 keinerlei Kontakt hatte und sich nach Aussagen der Kindesmutter auch nicht um einen Kontakt bemüht hat. Bislang fanden nur zwei Besuche der Tochter beim Kläger in der Justizvollzugsanstalt statt. Der wirtschaftlichen und sozialen Integration des Klägers ins Bundesgebiet ist ebenfalls kein besonderes Gewicht beizumessen, weil sie sich auf einem Niveau bewegt, das der Kläger auch in der Türkei erreichen kann. Er hat in der Bundesrepublik lediglich Hilfsarbeitertätigkeiten ausgeübt. Eine derartige Beschäftigung steht ihm auch in der Türkei offen. Demgegenüber hat trotz seiner Stellung als faktischer Inländer keine absolute Entfremdung vom Land seiner Staatsangehörigkeit stattgefunden. Im Rahmen der biographischen Anamnese hat der Kläger im Gutachten vom 17. September 2014 angegeben, dass seine Eltern Gastarbeiter der ersten Generation seien und er mit seinem Vater überwiegend Türkisch gesprochen habe, mit der Mutter gemischt Deutsch und Türkisch. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger, auch wenn er die Türkei nur von Urlaubsaufenthalten kennt, jedenfalls soweit mit der Sprache und Kultur dieses Landes vertraut ist, dass er sich dort integrieren kann.

Die Abwägungsentscheidung ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil, wie der Kläger meint, das Verwaltungsgericht nicht nochmals ausdrücklich auf die Umstände der Tatbegehung, die persönliche Entwicklung des Klägers sowie den Grad der Wiederholungsgefahr eingegangen ist. Denn die Abwägungsentscheidung im Rahmen des § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG stellt keine Ermessensentscheidung dar, bei der das Gericht lediglich in den Grenzen des § 114 Satz 1 VwGO überprüfen kann, ob die Behörde alle maßgeblichen Gesichtspunkte in die Entscheidung eingestellt und richtig gewichtet hat. Es handelt sich vielmehr um eine gerichtlich voll überprüfbare Entscheidung, bei der es nur auf die Ergebnisrichtigkeit ankommt (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 13.9.2017 – 10 C 17.1783 – Rn. 6).

Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen die mit Bescheid der Beklagten vom 8. März 2018 verfügte Ausweisung und das auf sieben bzw. fünf Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot weiterverfolgt, ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die der Sache nach geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, noch ist die Berufung wegen der gerügten Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) oder einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig angesehen und beim Kläger aufgrund seiner nicht abschließend bearbeiteten Gewalt- und Suchtproblematik eine hinreichende Wiederholungsgefahr insbesondere erneuter Gewaltdelikte angenommen. Im Hinblick auf die vom Kläger begangenen Straftaten, insbesondere Körperverletzungsdelikte und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, hat es zudem generalpräventive Gründe für die Ausweisung bejaht.

Hiergegen macht der Kläger geltend, infolge seiner zwar noch nicht beendeten Teilnahme an einem Anti-Aggressionstraining und einer Drogentherapie habe er alles für eine straffreie Zukunft getan, weshalb bei ihm ein Gefährdungspotential nicht mehr vorliege. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils ernstlich in Zweifel zu ziehen. Denn zum einen setzt sich die Zulassungsbegründung mit den vom Erstgericht bejahten generalpräventiven Gründen für die Ausweisung nicht auseinander. Zum anderen wird auch die Richtigkeit der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts bezüglich der Wiederholung vergleichbarer Straftaten nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Dieses hat bei seiner Prognose zutreffend auf die vom Kläger begangenen zahlreichen Straftaten, die hohe Rückfallgeschwindigkeit, das mehrfache Bewährungsversagen, die fehlende Selbstkontrolle und das selbst in der Haft fortgesetzte aggressive Verhalten abgestellt und zu Recht darauf verwiesen, dass der Kläger trotz begonnener Therapiemaßnahmen seine Gewalt- und Suchtproblematik noch nicht abschließend (erfolgreich) bearbeitet hat. Vor diesem Hintergrund kann noch nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung des Klägers geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (stRspr, vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 8.4.2019 - 10 ZB 18.2284 - Rn. 12 m.w.N.).

Bezüglich der Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse wendet der Kläger ein, das Erstgericht habe keine ergebnisoffene Abwägung vorgenommen und seine Entwurzelung ermessensfehlerhaft nicht hinreichend berücksichtigt. Insbesondere sei es zu Unrecht davon ausgegangen, dass es für ihn zumutbar sei, seine Sprachkenntnisse des Herkunftslandes erst auszubauen und zu erweitern, um im Serbien wieder Fuß fassen zu können. Daneben habe das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Abwägung nicht ausreichend gewürdigt, dass er als faktischer Inländer noch nie in Serbien gelebt habe und alle berücksichtigungsfähigen familiären Bindungen in Deutschland bestünden.

Auch damit vermag er die vom Erstgericht vorgenommene Bewertung, dass das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiege und sich die Ausweisung auch mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht als unverhältnismäßig erweise, nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Denn das Verwaltungsgericht hat das dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse (§ 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG) gegenüberstehende besonders schwerwiegende Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesehen und bei der nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG durchzuführenden Gesamtabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ohne Rechtsfehler ein Überwiegen des Interesses an der Ausweisung des Klägers festgestellt. Es hat dabei seinen Status als „faktischer Inländer“ zutreffend gewürdigt, gleichzeitig jedoch rechtsfehlerfrei angenommen, dass dem Kläger ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit zumutbar sei, weil er Grundkenntnisse der serbischen Sprache habe und diese weiter ausbauen könne, er sich in Deutschland wirtschaftlich und beruflich nicht integriert habe, als erwachsener Mann nicht mehr auf die Unterstützung seiner Eltern bzw. seiner Familie angewiesen sei und sich mit der gebotenen Anstrengung auch in seinem Herkunftsland eine neue Existenz aufbauen können werde.

Schließlich greift auch die Rüge, das Verwaltungsgericht habe die Sperrfrist nach § 11 Abs. 3 AufenthG fehlerhaft beurteilt, ohne ausreichende Begründung eine Überschreitung der Regelfrist von fünf Jahren gebilligt und dabei die persönlichen, insbesondere familiären, Bindungen im Bundesgebiet nicht ausreichend berücksichtigt, nicht durch. Die in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannte Frist von fünf Jahren durfte überschritten werden, weil der Kläger - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - zum einen aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist und zum anderen von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Das Verwaltungsgericht dürfte dabei auf das hohe Gefahrenpotential des Klägers und die Bedeutung der bedrohten Rechtsgüter, insbesondere der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), abstellen.

2. Auch die Divergenzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) hat keinen Erfolg.

Eine Divergenz in diesem Sinn ist gegeben, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 - 6 PB 15/03 - NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten tragenden Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand September 2018, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 73 m.w.N.).

Soweit zur Begründung des Zulassungsantrags geltend gemacht wird, das angefochtene Urteil verstoße gegen die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts in dessen Entscheidung vom 21. März 1985 (2 BvR 1642/83), fehlt es an der Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), mit welchem entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz das Erstgericht von einem durch das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung (zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Sofortvollzuges eine Ausweisungsverfügung) aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz abgewichen sein soll. Die Rüge eines Verstoßes gegen „Bundesverwaltungsgericht, 2007, 2005“ bezüglich der Bedeutung des Art. 8 EMRK für die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung ist schon nicht nachvollziehbar.

Auch der vermeintliche Widerspruch der erstinstanzlichen Entscheidung gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. März 2006 (24 ZB 05.3191 - NVwZ-RR 2006, 507) ist nicht schlüssig dargelegt, da es nach dieser Entscheidung auch unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK nicht unzumutbar ist, wenn von einem Ausländer erwartet wird, dass er seine - wenn auch nur geringen - Sprachkenntnisse seines Heimatlandes ausbaut und erweitert, um in seinem Heimatland wieder Fuß fassen zu können (Ls. 2 des Beschlusses).

3. Der Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) wird ebenfalls nicht hinreichend im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.

Der Kläger macht insoweit geltend, das angefochtene Urteil setze sich nicht damit auseinander, welche Frist nach § 11 Abs. 3 AufenthG beim Kläger zur Gefahrenabwehr ausreichend sei und weshalb nach sieben Jahren ohne Nachweis der Drogenfreiheit die Gefahr entfallen sein sollte. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist aber von vornherein nicht geeignet, eine vermeintlich unzutreffende Bewertung des Sachverhalts sowie seine rechtliche Würdigung zu beanstanden (stRspr, BayVGH, B.v. 29.1.2018 - 10 ZB 17.31788 - juris Rn. 2 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Der Kläger wurde am 27. April 1981 in München geboren und ist kroatischer Staatsangehöriger. Seine Kindheit verbrachte er teilweise in Kroatien, teilweise in München. Seinen Volksschulabschluss legte er 1996 in Kroatien ab.

Am 29. Juni 1996 beantragte der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seiner hier lebenden Mutter, die im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels war. Dem Kläger wurde zunächst eine bis 8. September 1998 gültige befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die zuletzt bis 6. September 2000 verlängert wurde.

Mit Bescheid vom 21. Mai 2001 wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Ausschlaggebend hierfür war die Verurteilung des Klägers zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten durch das Jugendschöffengericht des Amtsgerichts München vom 5. März 2001. Vor dieser Verurteilung war der Kläger jedoch bereits kontinuierlich strafrechtlich in Erscheinung getreten und am 20. Mai 1999 zu einer zehnmonatigen Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, sowie am 21. Oktober 1999 zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Einbeziehung der Verurteilung vom 20. Mai 1999 verurteilt worden. Ab dem 15. November 2000 verbüßte der Kläger seine Jugendstrafe. Am 18. September 2001 wurde er nach Kroatien abgeschoben.

Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt im Laufe des Jahres 2002 reiste der Kläger illegal nach Deutschland ein. Am 19. August 2003 wurde er festgenommen. Gegen ihn lag ein Haftbefehl wegen unerlaubter Einreise nach Abschiebung und räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung vor.

Das Landgericht München I verurteilte den Kläger mit Urteil vom 22. November 2004 wegen schwerer räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung in Tatmehrheit mit Diebstahl in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Zudem wurde die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt angeordnet, weil ein Hang des Klägers, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, festgestellt worden war und die Verurteilung wegen Taten erfolgt war, die in symptomatischer Weise zu einem wesentlichen Teil auf diesen Hang zurückgingen. Am 24. Juni 2009 erfolgte eine weitere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, weil der Kläger in einer Beschuldigtenvernehmung zwei Polizisten mehrfach beleidigt hatte. Mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 20. Dezember 2012 wurde der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit versuchtem unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln verurteilt. Der Kläger hatte in der Justizvollzugsanstalt Kaisheim an einen Mitgefangenen Teile einer Subutextablette veräußert und Amphetamin, Haschisch und Marihuana in die JVA bestellt und teilweise weiter veräußert. Im Rahmen der Hauptverhandlung wurde ein Sachverständigengutachten zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Klägers und dem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Unterbringung im Maßregelvollzug nach § 64 StGB eingeholt. Die Sachverständige diagnostizierte eine Polytoxikomanie, wobei sich bis zuletzt keine relevanten negativen Auswirkungen auf die soziale Situation des Klägers und seine Leistungsfähigkeit hätten feststellen lassen und sich das tatsächliche Ausmaß der Abhängigkeit als geringgradig darstelle.

Mit Bescheid vom 22. Juli 2013 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger sein Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren habe und untersagte die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet. Die Beklagte stützte die Verlustfeststellung auf § 6 Abs. 1 FreizügG/EU. Die Straftaten des Täters seien im Bereich der Schwerkriminalität anzusiedeln. Aus der Eigenart der Straftaten ergebe sich eine konkrete Wiederholungsgefahr. Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK stünde der Beendigung des Aufenthalts entgegen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage und beantragte zugleich, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Der Kläger habe ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU inne. Er habe keinerlei Beziehungen mehr nach Kroatien. Seine Mutter mit Familie und seine Tante lebten in München. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit gemäß § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU seien nicht gegeben.

Mit Beschluss vom 5. November 2014 bewilligte das Bayerische Verwaltungsgericht München dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten, soweit die Beklagte keine Befristungsentscheidung getroffen habe. Im Übrigen wurde der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es stehe der Verlustfeststellung nicht entgegen, dass gegen den Kläger bereits eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung vorliege. Es könne offen bleiben, ob der Kläger aufgrund seiner Arbeitslosigkeit überhaupt freizügigkeitsberechtigt sei, jedenfalls lägen die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU vor. Auf den höheren Schutz nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU könne sich der Kläger nicht berufen. Er habe kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben. Nach zutreffender Einschätzung der Beklagten überwiege das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das private Interesse des Klägers am Verbleib im Bundesgebiet deutlich, da der Kläger mehrfach erheblich straffällig geworden sei. Es bestehe auch Wiederholungsgefahr. Die Schwere der Delikte habe sich kontinuierlich gesteigert. Weder die Ausweisung noch der Strafvollzug hätten den Kläger davon abgehalten, weitere Straftaten im Bundesgebiet zu begehen. Neben der hohen Rückfallgeschwindigkeit spreche auch die nicht therapierte Drogensucht des Klägers für eine Wiederholungsgefahr. Einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK und Art. 6 GG habe die Beklagte zu Recht verneint. Dieser Beschluss wurde der Bevollmächtigten des Klägers am 12. November 2014 zugestellt.

Am 26. November 2014 ging ein Schreiben des Klägers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München ein, mit dem er „den Antrag auf Zulassung der Berufung“ begründete. Es lägen keine zwingenden Gründe i. S. des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU vor. Die Straftaten, die seiner Verurteilung zugrunde lägen, seien nicht mit dem der Entscheidung des EuGH zugrunde liegenden bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln vergleichbar. Ein grenzüberschreitender Bezug sei bei ihm nicht erkennbar. Zudem verstoße die Ausweisung gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Er sei faktischer Inländer. Auch sei er nicht heroin- und subutexsüchtig. Die Unterbringung nach § 64 StGB habe er nach Absprache mit dem Therapeuten selbst beendet, da er nicht in dieses Umfeld gepasst habe.

Auf richterlichen Hinweis erklärte der Kläger mit Schreiben vom 1. Dezember 2014, dass er sein Schreiben vom 26. November 2014 als Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 5. November 2014 verstanden haben wolle.

Die Beklagte beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Landesanwaltschaft Bayern beteiligte sich als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren. Sie hält die Auffassung des Erstgerichts, dass dem Kläger nicht der erhöhte Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zukomme, für zutreffend.

Mit Urteil vom 16. Dezember 2014 wies das Bayerische Verwaltungsgericht München die auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 22. Juli 2013 gerichtete Klage ab. Das Urteil ist rechtskräftig (M 4 K 13.3733).

Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.

II.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2013 weiter, soweit ihm das Verwaltungsgericht keine Prozesskostenhilfe bewilligte.

Die Beschwerde ist zulässig. Der Kläger hat zwar nicht ausdrücklich innerhalb der Beschwerdefrist des § 147 Abs. 1 VwGO Beschwerde gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts München vom 5. November 2014 eingelegt, sein Schreiben vom 26. November 2014 kann jedoch als Beschwerde i. S. v. § 146 Abs. 1 VwGO ausgelegt werden (§ 88 VwGO). Der Beschluss vom 5. November 2014 wurde der Bevollmächtigten des Klägers am 12. November 2014 zugestellt. Am 26. November 2014, dem letzten Tag der Beschwerdefrist, ging beim Bayerischen Verwaltungsgericht München ein vom Kläger selbst gefertigter Schriftsatz, den er als Antrag auf Zulassung der Berufung bezeichnete, ein. Auf ein entsprechendes Hinweisschreiben des Gerichts vom 26. November 2014 teilte der Kläger mit Schreiben vom 1. Dezember 2014 mit, dass er den Antrag auf Zulassung der Berufung als Beschwerde gegen den Beschluss vom 5. November 2014 verstanden haben wolle. Nach einem entsprechenden Nichtabhilfebeschluss legte das Verwaltungsgericht den Vorgang dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung vor. Da zum Zeitpunkt des Eingangs des „Antrags auf Zulassung der Berufung“ das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München in der Hauptsache noch nicht ergangen war und somit außer dem Beschluss vom 5. November 2014 keine rechtsmittelfähige Entscheidung eines Gerichts vorlag, gegen die sich der Kläger mit seinem eindeutig als Rechtsmittel bezeichneten Schreiben hätte wenden können, liegt nach dem von Amts wegen zu ermittelnden wirklichen Rechtsschutzziel eine statthafte Beschwerde des Klägers vor.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht ist im Beschluss vom 5. November 2014 zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage gegen die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Der Kläger ist zwar ausweislich der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage, die Kosten für die von ihm beabsichtigte Prozessführung aufzubringen, die Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 22. Juli 2013 bietet aber abgesehen von der bereits vom Erstgericht festgestellten Verpflichtung der Beklagten, die Wirkung der Verlustfeststellung zu befristen, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG FreizügG/EU liegen in der Person des Klägers vor (1.). Die vorangegangene Ausweisung hindert die Verlustfeststellung nicht (a.). Der Kläger kann sich trotz seiner Inhaftierung auf sein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht berufen (b.). Die den strafrechtlichen Verurteilungen zugrunde liegenden Umstände lassen ein persönliches Verhalten des Klägers erkennen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Diese Gefährdung ist auch hinreichend schwer und berührt ein Grundinteresse der Gesellschaft (c.). Der Kläger kann sich hingegen nicht auf § 6 Abs. 4 und Abs. 5 FreizügG/EU berufen (2.). Art. 8 EMRK steht der Verlustfeststellung nicht entgegen (3.).

1. a. Zunächst ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die mit Bescheid vom 21. Mai 2001 verfügte Ausweisung des Klägers und die Abschiebung nach Kroatien die spätere Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU nicht ausschließen. Zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung im Jahr 2001 war Kroatien noch nicht Mitglied der Europäischen Union (EU). Der Beitritt Kroatiens zur EU erfolgte erst mit Wirkung zum 1. Juli 2013. Eine bestandskräftige Ausweisung eines kroatischen Staatsbürgers vor dem Beitrittstermin Kroatiens hindert das Entstehen des Freizügigkeitsrechts für den Betreffenden zum Beitrittstermin jedoch nicht (Epe in Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, FreizügG/EU, § 1 Rn. 10). Dies hat seinen Grund darin, dass eine Ausweisungsverfügung, die gegen einen Staatsangehörigen eines Staates gerichtet war, der nicht der EU angehört, von ihrem Regelungsgegenstand und ihrer Rechtsfolge nicht auf eine Beschränkung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts gerichtet sein kann. Sie unterscheidet sich darin von einer Ausweisungsverfügung, die vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 1. Januar 2005 gegenüber einem Unionsbürger erlassen worden ist (Epe in Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, FreizügG/EU, § 1 Rn. 24). Diese sog. Altausweisungen gegenüber Unionsbürgern sind mit Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes nicht gegenstandslos geworden und gelten fort (vgl. Kurzidem in Beck’scher Online-Kommentar, AuslR, Stand 1.9.2014, FreizügG/EU, § 11 Rn. 7).

b. Die Beklagte hat die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt zu Recht auf § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU gestützt, weil der Kläger zumindest nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt ist. Eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU setzt den Bestand des Rechts auf Einreise und Aufenthalt voraus. Ist dagegen fraglich, ob der betreffende Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt i. S. des § 2 FreizügG/EU ist, ist diese Feststellung im Verfahren nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU zu treffen (Alexy in Hoffmann/Hoffmann, AuslR, FreizügG/EU, § 6 Rn. 8). Eine Freizügigkeitsberechtigung des Klägers nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU besteht offensichtlich nicht. Insbesondere hat der Kläger kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben (hierzu siehe 2.a.). Jedoch stellt auch das nur an den Besitz eines gültigen Ausweises oder Passes gebundene Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU ein Recht auf Einreise und Aufenthalt i. S. des § 2 Abs. 1 FreizügG/EU dar, dessen Verlust aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden kann. Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (RL 2004/38/EU) definiert als Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers sowohl das Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten (Art. 6 RL 2004/38/EG) als auch das Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate (Art. 7 RL 2004/38/EG). Die Regelungen über die Verlustfeststellung finden daher auch auf Unionsbürger Anwendung, die lediglich unter Art. 6 RL 2008/38/EU, dessen Umsetzung durch § 2 Abs. 5 FreizügG/EU erfolgt ist, fallen (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, FreizügG/EU, § 2 Rn. 109; Epe in Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, FreizügG/EU, § 2 Rn. 143). Unschädlich ist insoweit, dass sich der Kläger derzeit im Strafvollzug befindet und daher sein Recht auf Aufenthalt als Unionsbürger erst nach seiner Haftentlassung Bedeutung erlangt. Andernfalls müsste die Ausländerbehörde zunächst abwarten, ob der Kläger nach der Haftentlassung von seinem Recht nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU Gebrauch machen will, bevor sie die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU aussprechen könnte.

c. Jede „Ausweisungsverfügung“ gegenüber einem Unionsbürger setzt voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EuGH, U. v. 22.5.2012 - C-348/09 - juris Ls. 2; s. § 6 Abs. 2 FreizügG/EU). Die Umstände, die den vom Kläger seit seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet im Jahr 2002 begangenen Straftaten zugrunde liegen, rechtfertigen eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU. Der Verurteilung vom 22. November 2004 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten lagen zahlreiche Straftaten zugrunde. Neben den Straftaten gegen Sachwerte stellen insbesondere die Körperverletzung mit einem Baseballschläger sowie die Bedrohung von zwei Personen, „ihnen beim nächsten Mal die Köpfe einzuhauen“, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dasselbe gilt für die der Verurteilung vom 13. Juni 2012 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten zugrunde liegenden Betäubungsmittelstraftaten. Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass der Kläger aus der Justizvollzugsanstalt heraus einen Handel mit Betäubungsmitteln begonnen hat. Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein (EuGH, U. v. 23.11.2010 - Tsakouridis, C-145/09 - juris; BVerwG, U. v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 -juris Rn. 19).

Ebenso besteht die Gefahr, dass der Kläger sein strafbares Verhalten wiederholt. Vom Bestehen einer Wiederholungsgefahr ist auch dann auszugehen, wenn der Kläger, wie er vorbringt, nicht drogenabhängig wäre. Die inmitten stehende Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann grundsätzlich von den Gerichten regelmäßig ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden, denn die Gerichte bewegen sich mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die den Richtern allgemein zugänglich sind (BayVGH, B.v. 10.12.2014 - 19 ZB 13.2013 - juris Rn. 13 m. w. N.). Der Kläger ist seit seinem 16. Lebensjahr kontinuierlich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Dies führte letztlich zu seiner Ausweisung mit Bescheid vom 21. Mai 2001. Auch nach seiner illegalen Wiedereinreise beging der Kläger fortwährend gravierende Straftaten, die zur Verurteilung vom 22. November 2004 führten, und setzte seine kriminelle Karriere auch in der Justizvollzugsanstalt fort. Der im Strafverfahren, das zur Verurteilung vom 22. November 2004 führte, eingeschaltete Sachverständige wies bereits darauf hin, dass neben dem Hang zu übermäßigem Rauschmittelkonsum die Gefahr der erneuten Begehung erheblicher rechtswidriger Taten auch deshalb bestehe, weil beim Kläger eine dissoziale Fehlentwicklung vorhanden sei. Es kommt für die Annahme einer derzeit noch bestehenden Wiederholungsgefahr folglich nicht mehr darauf an, in welchem Umfang der Kläger derzeit Drogen zu sich nimmt oder ob er (noch) drogensüchtig ist. Umstände, die darauf schließen ließen, dass der Kläger, auch wenn er nicht drogensüchtig sein sollte, nach seiner Haftentlassung keine weiteren schwerwiegenden Straftaten, die gegen das Leben und die Gesundheit anderer Personen sowie gegen erhebliche Sachwerte gerichtet sind, mehr begehen werde, wurden vom Kläger nicht vorgetragen und liegen aufgrund der kontinuierlichen Begehung von Straftaten - auch in der JVA - nicht auf der Hand.

2. Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen, unter denen eine Verlustfeststellung nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen (§ 6 Abs. 4 FreizügG) (a.) oder nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit (§ 6 Abs. 5 FreizügG) (b.) getroffen werden kann, in der Person des Klägers nicht vorliegen.

a. Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EG bzw. nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EG setzt einen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren im Bundesgebiet voraus. Inzwischen ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass unter dem Begriff des „rechtmäßigen Aufenthalts“ in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 RL 2004/38/EG, der durch § 4a FreizügG/EU in nationales Recht umgesetzt wurde, nur ein Aufenthalt zu verstehen ist, der im Einklang mit den in der RL 2004/38/EG vorgesehenen, insbesondere mit den in Art. 7 Richtlinie 2004/38/EG aufgeführten Voraussetzungen steht. Der Betroffene muss also während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG erfüllt haben. Die Zeitspanne, in der zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts fünf Jahre lang ununterbrochen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG vorgelegen haben müssen, braucht aber nicht der Zeitraum unmittelbar vor der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu sein (BVerwG, U. v. 31.5.2012 - 10 C 8.12 - juris Rn. 16 und 21; EuGH, U. v. 21.12.2011 - Ziolkowski, C-424/10 - juris Rn. 46). Insoweit ist eine hypothetische Prüfung vorzunehmen, ob auch die vor dem Beitritt liegenden Aufenthaltszeiten in Einklang mit den Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG zurückgelegt worden sind. Bei dieser Prüfung ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass Zeiträume, in denen der Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat eine Freiheitsstrafe verbüßt (hat), nicht für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden können, weil der Unionsgesetzgeber die Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EU von der Integration des Unionsbürgers in den Aufnahmemitgliedstaat abhängig macht, diese Integration nicht nur auf territorialen und zeitlichen Faktoren, sondern auch auf qualitativen Elementen im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat beruht, und die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung durch ein nationales Gericht dazu angetan ist, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaates in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet, so dass die Berücksichtigung von Zeiträumen der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts dem mit der Einführung dieses Aufenthaltsrechts verfolgten Ziel eindeutig zuwider laufen würde (vgl. EuGH, U. v. 16.1.2014 - Onuokwere, C-378/12 - juris Rn. 25 und 26). Gemessen an diesen Kriterien erfüllen die Aufenthaltszeiten des Klägers im Bundesgebiet nicht die Kriterien eines rechtmäßigen Aufenthalts i. S. von Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EU. Der Kläger reiste am 27. Februar 1996 im Alter von 15 Jahren nach Deutschland ein und erhielt am 9. September 1996 eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seiner hier lebenden Mutter, die zuletzt bis 6. September 2000 verlängert worden war. Vom 25. September 2000 bis 15. November 2000 befand sich der Kläger in Untersuchungshaft, ab dem 15. November verbüßte er seine Jugendstrafe. Die Abschiebung nach Kroatien erfolgte am 18. September 2001. Somit lag spätestens ab dem 15. November 2000 kein rechtmäßiger Aufenthalt des Klägers mehr vor. Nach der illegalen Wiedereinreise in das Bundesgebiet erfüllte der Kläger nicht die Kriterien eines rechtmäßigen Aufenthalts nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a oder Art. 7 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/38/EU, ab dem 19. August 2003 befand sich der Kläger ohne Unterbrechung in Haft.

b. Der Kläger kann sich auch nicht auf § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen, wonach eine Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden kann, wenn der Unionsbürger in den letzten zehn Jahren seinen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Anders als für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU i.V. mit Art. 16 RL 2004/38/EU ist für den Erwerb des erhöhten Schutzniveaus des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nach dem Wortlaut der genannten Bestimmungen ein rechtmäßiger Aufenthalt nicht erforderlich. Ob aber wegen des Systems aufeinander aufbauender und sich verfestigender Aufenthaltsrechte für Unionsbürger (Art. 6, Art. 7 und Art. 16 RL 2004/38/EU, vgl. BayVGH, U. v. 21.12.2011 - 10 B 11.182 - juris Rn. 37 ff.) ein zehnjähriger rechtmäßiger Aufenthalt oder zumindest der Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU erforderlich ist, damit der Unionsbürger den erhöhten Ausweisungsschutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU für sich in Anspruch nehmen kann, ist in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur nicht abschließend geklärt (vgl. Kurzidem in Beck’scher Online-Kommentar, AuslR, Stand 1.1.2015, FreizügG/EU, § 6 Rn. 23). Der Senat hat insoweit die Rechtsauffassung vertreten, dass die Vorschrift des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nur dann einschlägig ist, wenn der betreffende Ausländer zuvor zumindest ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU bzw. Art. 16 RL 2004/38/EU erworben hat (BayVGH, U. v. 21.12.2011 - 10 B 11.182 - juris Rn. 31 ff.; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, 2013, FreizügG/EU § 6 Rn. 55). Auch wenn diese Rechtsfrage noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt ist, ergeben sich daraus keine hinreichenden Erfolgsaussichten für die Klage des Klägers auf Aufhebung der Feststellung des Verlusts auf Einreise und Aufenthalt im Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2013. Ausgehend von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (U. v. 16.1.2014 - M. G., C-400/12 - juris Ls. 1 und 2), wonach der Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren i. S. des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EG, der durch die Bestimmung des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU umgesetzt wurde, ununterbrochen gewesen sein muss, vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung des Betroffenen an zurückzurechnen ist und der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen grundsätzlich geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung zu unterbrechen, liegt im Falle des Klägers kein zehnjähriger Aufenthalt i. S. des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EU vor. Die wesentliche Grundlage für den Schutz vor Ausweisungsmaßnahmen in Art. 28 RL 2004/38/EU ist der Grad der Integration des Betroffenen. Deshalb finden die Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe auch bei der Auslegung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EU Berücksichtigung und unterbrechen die Kontinuität des Aufenthalts i. S. des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EU. Die letzten zehn Jahre vor Erlass des Bescheides vom 22. Juli 2013, mit dem der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt festgestellt wurde, befand sich der Kläger ununterbrochen in Haft. Auch wenn nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union allein die Diskontinuität des Aufenthalts in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung den Betroffenen nicht in jedem Fall daran hindert, in den Genuss des verstärkten Schutzes des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EU zu kommen, und die nationalen Behörden auch weitere Anhaltspunkte bei der gebotenen umfassenden Beurteilung zu berücksichtigen haben, um festzustellen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind (vgl. EuGH, a. a. O., Rn. 36), ändert sich für den Kläger insoweit nichts. Bereits vor seiner Inhaftierung im August 2003 waren die ursprünglich mit seiner Geburt in der Bundesrepublik und dem teilweisen Aufenthalt in der Bundesrepublik während seiner Kindheit entstandenen Verbindungen durch die Verbüßung seiner Jugendstrafe, die Ausweisung und Abschiebung abgerissen.

Hat sich der Kläger in den letzten zehn Jahren vor der Verlustfeststellung nicht kontinuierlich im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. Januar 2014 im Bundesgebiet aufgehalten, kommt es folglich nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob das den strafrechtlichen Verurteilungen zugrunde liegende Verhalten des Klägers einen zwingenden Grund der öffentlichen Sicherheit im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 23. November 2010 (C-145/09 - juris) und 22. Mai 2012 (C-348/09 - juris) darstellt.

3. Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass die Beklagte bei der Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten Belange des Klägers berücksichtigt und zutreffend gewichtet hat. Insbesondere erweist sich die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt als notwendig i. S. von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Der Kläger ist kein faktischer Inländer, weil er sich bis zu seinem 16. Lebensjahr teilweise in seinem Heimatland aufgehalten, dort die Schule besucht und einen Schulabschluss erreicht hat. Nach seiner Wiedereinreise ins Bundesgebiet konnte er beruflich nicht Fuß fassen und wurde kontinuierlich straffällig. Auf die familiären Bindungen zu seiner Mutter, seinem Stiefvater und seinen Stiefgeschwistern kommt es aufgrund des Alters des Klägers nicht entscheidungserheblich an. Der über zehnjährige Aufenthalt in der JVA ist nicht geeignet, eine Integrationsleistung des Klägers, die über die rein zeitliche Anwesenheit hinausgeht, zu belegen. Demgegenüber stellen sich die Schwierigkeiten, die dem Kläger bei einer Rückkehr nach Kroatien begegnen werden, nicht als unüberwindbar dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 4. Februar 1963 geborene Kläger italienischer Staatsangehörigkeit wendet sich gegen die Feststellung, dass er das Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren hat, und begehrt eine Verkürzung der Sperrfirst.

Er reiste am 1. Oktober 1986 zur Aufnahme einer Beschäftigung in das Bundesgebiet ein, wo er am 6. Oktober 1989 eine deutsche Staatsangehörige heiratete. Aus der Ehe sind zwei am 31. Dezember 1991 (Sohn) und am 23. September 1997 (Tochter) geborene Kinder hervorgegangen. Am 9. Januar 1992 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für EG-Angehörige. Nach der Trennung von seiner Ehefrau wurde dieser mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 6. November 2003 die gemeinsame eheliche Wohnung zugewiesen und eine Kontaktsperre verhängt. Die Ehe wurde mit Urteil vom 8. November 2005, rechtskräftig seit 10. Januar 2006, geschieden. Die Tochter lebt bei der Mutter und der Sohn lebte seit dem Jahr 2010 bis zur Festnahme des Klägers im Januar 2012 bei diesem.

Der Kläger ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:

1. Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Körperverletzung nach § 153 Abs. 1 StPO mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 3. Dezember 2003; Geschädigte waren die getrennte lebende Ehefrau und die Schwiegermutter.

2. Urteil des Amtsgerichts München vom 2. März 2005 wegen Körperverletzung in Tatmehrheit mit Bedrohung; Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20,- EUR; Geschädigte war die getrennt lebende Ehefrau des Klägers.

3. Urteil des Amtsgerichts München vom 23. Januar 2007 wegen Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz; Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10,- EUR; Geschädigte war die geschiedene Ehefrau des Klägers.

4. Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Betrugs nach § 153 Abs. 1 StPO mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 22. Oktober 2007.

5. Urteil des Landgerichts München I vom 2. September 2008 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung in Tatmehrheit mit Körperverletzung in Tatmehrheit mit versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und Nötigung; Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung bis zum 1. September 2012 ausgesetzt und inzwischen widerrufen wurde; Geschädigte war die damalige Lebensgefährtin des Klägers.

6. Urteil des Landgerichts München I vom 1. August 2013 wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß insofern rechtskräftigem Schuldspruch im Urteil des Landgerichts München I vom 8. Oktober 2012 wegen gefährlicher Körperverletzung; Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten.

Wegen seiner Straftaten wurde der Kläger am 14. März 2007 sowie am 22. November 2008 ausländerrechtlich verwarnt.

Nach erfolgter Anhörung hat die Beklagte mit Bescheid vom 25. August 2014 festgestellt, dass der Kläger sein Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren hat (Ziffer 1), die Einreise und der Aufenthalt im Bundesgebiet untersagt sind (Ziffer 2), und den Kläger zum Verlassen des Bundesgebietes innerhalb eines Monats nach Bestandskraft des Bescheids (Ziffer 3) aufgefordert. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass zu Gunsten des Klägers von einem über zehnjährigen Aufenthalt ausgegangen werde, obwohl nach den vorliegenden Meldedaten eine Unterbrechung vom 28. Oktober 2003 bis 14. Dezember 2005 vorliege. Allerdings sei der Zeitraum der Inhaftierung grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthalts zu unterbrechen; diese Diskontinuität führe zum Wegfall des gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU verstärkten Schutzes vor Verlustfeststellung. Die nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU erforderlichen schwerwiegenden Gründe seien vorliegend erfüllt. Die in der Anlasstat gezeigte massive kriminelle Energie rechtfertige die Annahme der Gefahr der Begehung weiterer Straftaten. Im Rahmen der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger wirtschaftlich, wenn auch zuletzt nur in der Form von Aushilfs- und Gelegenheitsjobs, integriert und eine Kernfamilie gegründet habe. Jedoch seien die Kinder nunmehr volljährig und nicht mehr auf seinen Beistand angewiesen. Die Ehe sei geschieden. Kontakte in die Heimat bestünden fort. Die Verbindung zur derzeitigen Lebensgefährtin eröffne nicht den Schutzbereich des Art. 6 GG. Aufgrund der drohenden Wiederholungsgefahr und der Schwere der Straftaten müssten die privaten Belange zurückstehen.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben.

Mit Urteil vom 21. April 2015 hat das Bayerische Verwaltungsgericht München die Beklagte verpflichtet, die Wirkungen der Verlustfeststellung auf fünf Jahre ab der Ausreise zu befristen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die nach pflichtgemäßem Ermessen ausgesprochene Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erweise sich im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als rechtmäßig. Schwerwiegende Gründe im Sinne des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU i.V.m. Ziff. 6.4.1 VV-FreizügG/EU lägen vor. Auf den höheren Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU könne sich der Kläger nicht berufen, da er sich im Zeitpunkt des Bescheidserlasses bereits zweieinhalb Jahre in Haft befunden habe und sich weiterhin in Haft befinde. Die Kontinuität des Aufenthalts sei dadurch unterbrochen. Jedenfalls führe die geforderte Einzelfallprüfung dazu, dass aufgrund der wiederholten Straffälligkeit und der langanhaltenden Freiheitsentziehung die geknüpften Integrationsverbindungen im Bundesgebiet abgerissen seien. Zu den Kindern bestehe nahezu kein Kontakt, die Ehe sei geschieden. Arbeitsmäßig habe keine Integration stattgefunden, die hätte abreißen können. Die Entscheidung der Beklagten sei ermessensfehlerfrei ergangen. Die regelmäßigen Besuche der Lebensgefährtin seien berücksichtigt und angemessen gewichtet worden. Die Kontakte zu den Kindern seien ebenfalls hinreichend gewürdigt worden. Telefonisch bzw. postalisch könne der Kontakt in dieser Form auch von der Heimat aus aufrechterhalten werden.

Im Berufungszulassungsverfahren wurde eine Auskunft des Jobcenters München vom 13. August 2015 zu den Beschäftigungszeiten des Klägers vorgelegt. Der Kläger war demnach zuletzt ab Mitte Juli 2009 mit geringen Unterbrechungen versicherungspflichtig beschäftigt. Seit August 2010 bestand keine Hilfebedürftigkeit mehr und aufstockende Leistungen wurden nicht mehr gewährt. Gemäß Beschluss des Landgerichts Augsburg - auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech - vom 21. Februar 2016 wurde die Vollstreckung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe aus dem Urteil vom 1. August 2013 und der Hälfte aus dem Urteil vom 2. September 2008 nicht zur Bewährung ausgesetzt. Ausweislich einer Telefonnotiz der Beklagten vom 27. August 2015 über ein Gespräch mit der geschiedenen Ehefrau des Klägers habe dieser nach der Trennung vorübergehend Unterkunft in der Wohnung ihrer Mutter gefunden, sei allerdings dort nicht mehr freiwillig ausgezogen und nur mit Hilfe der Polizei „entfernt“ worden. Der Kläger habe insgesamt sieben Geschwister, ein Bruder sei zwischenzeitlich verstorben, die anderen Geschwister lebten in Sizilien oder Mailand, wo sich auch seine Mutter befinde. Die gemeinsamen Kinder lebten bei der geschiedenen Ehefrau.

Mit Beschluss vom 25. Januar 2017 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen. Mit weiterem Beschluss vom 31. Mai 2017 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren bewilligt und dieses bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Hinblick auf die Frage der Unterbrechung der Kontinuität des Aufenthalts durch Verbüßung einer Haftstrafe eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren ausgesetzt.

Im Berufungsverfahren bringt der Kläger vor, dass insbesondere aufgrund der Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet, der Familiengründung und der nach wie vor bestehenden Beziehungen eine starke Integrationsverbindung anzunehmen sei. Der Briefverkehr zu den Kindern bestehe fort. Die deutsche Lebensgefährtin habe den Kläger regelmäßig monatlich in der Haft besucht. Bei ihr könne er nach dem Haftende aufgenommen werden. Das Verhalten während des Strafvollzugs sei von dem Bemühen einer Aufarbeitung der Tat und der Gewaltproblematik geprägt gewesen. Auf den Vollzugsplan der Justizvollzugsanstalt werde verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 21. April 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. August 2014 aufzuheben, hilfsweise eine kürzere Sperrfrist festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie entgegnet, dass nach dem Beschluss des Landgerichts Augsburg - auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech - vom 20. Juni 2018 eine Führungsaufsicht für die Höchstdauer von fünf Jahren angeordnet worden sei. Ferner habe sich der Kläger nach den Weisungen einer Psychotherapie wegen der Gewalt- und Persönlichkeitsproblematik zu unterziehen und eine ambulante Drogenberatung in Anspruch zu nehmen. Schließlich seien in dem Beschluss Weisungen in Bezug auf Kontaktverbote zu den Tatopfern, das Mitführen von Waffen und Alkohol- und Drogenabstinenz enthalten. Dem Kläger würden ein erhöhtes Aggressionspotential und wenig Opferempathie bescheinigt. Eine ausreichende Deliktaufarbeitung sei nicht erkennbar. Es sei zu gravierenden Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug gekommen. Im Ergebnis habe sich die in der Tat zum Ausdruck kommende Gefährlichkeit nicht attenuiert. Fehlende Problemeinsicht und Veränderungsmotivation sowie die Impulsivität des Klägers ließen eine positive Sozialprognose nicht zu. Der Kläger sei nach der Besuchsliste zuletzt am 1. Februar 2017 von seiner Lebensgefährtin besucht worden.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses stellt keinen Antrag, schließt sich jedoch der Rechtsauffassung der Beklagten an.

Der Kläger wurde am 24. August 2018 aus der Haft entlassen.

Auf Anfrage des Gerichts teilte der Kläger unter dem 18. Januar 2019 mit, mit seiner Lebensgefährtin in München zusammenzuleben. Er sei aufgrund einer am 28. November 2018 erfolgten Herzoperation bis Anfang 2019 arbeitsunfähig gewesen und aktuell eingeschränkt arbeitsfähig. Ab dem 1. Februar 2019 sei die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung beabsichtigt.

Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2019 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die auf Aufhebung des streitbefangenen Bescheids gerichtete Klage im Wesentlichen abgewiesen und die Sperrfrist auf fünf Jahre festgesetzt.

I.

Streitgegenstand des vorliegenden Klage- und Berufungsverfahrens bilden die von der Beklagten mit Bescheid vom 25. August 2014 getroffene Verlustfeststellung (1.) sowie das hilfsweise Begehren des Klägers auf Verkürzung der ihm gegenüber festgesetzten fünfjährigen Sperrfrist (2.).

1. Rechtsgrundlage für die von der Beklagten getroffene Verlustfeststellung sowie die Untersagung der Einreise und des Aufenthalts ist § 6 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 4 FreizügG/EU. Danach kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 unbeschadet des § 2 Abs. 7 und des § 5 Abs. 4 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Artikel 45 Abs. 3, Artikel 52 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) festgestellt und die Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht oder die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte eingezogen werden. Aus den in § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU genannten Gründen kann auch die Einreise verweigert werden. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden.

Zu dem hier für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblicher Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. EuGH, U.v. - 17.4.2018 - C-316/16 und C-424/17 - juris Rn. 91 ff.; BayVGH, U.v. 21.12.2011 - 10 B 11.182 - juris Rn. 18, B.v. 10.10.2013 - 10 ZB 11.607 - juris; BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30.02 - juris -Ls 2.-) liegen die Voraussetzungen für die von der Beklagten gemäß § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AufenthG verfügte Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt beim Kläger vor (1.1). Den durch § 6 Abs. 5 FreizügG/EU bewirkten erhöhten oder verstärkten Schutz vor einer Verlustfeststellung kann er nicht für sich in Anspruch nehmen (1.2). Die von der Beklagten nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU vorzunehmende Abwägungsentscheidung erweist sich als rechtsfehlerfrei (1.3).

1.1 Der Kläger ist als italienischer Staatsangehöriger freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht im Sinne des § 4a FreizügG/EU erworben hat und demzufolge gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU nur aus schwerwiegenden Gründen eine Verlustfeststellung getroffen werden kann.

Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EG bzw. nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EG setzt einen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren im Bundesgebiet voraus. Inzwischen ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass unter dem Begriff des „rechtmäßigen Aufenthalts“ in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 RL 2004/38/EG, der durch § 4a FreizügG/EU in nationales Recht umgesetzt wurde, nur ein Aufenthalt zu verstehen ist, der im Einklang mit den in der RL 2004/38/EG vorgesehenen, insbesondere mit den in Art. 7 Richtlinie 2004/38/EG aufgeführten Voraussetzungen steht. Der Betroffene muss also während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG erfüllt haben. Die Zeitspanne, in der zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts fünf Jahre lang ununterbrochen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG vorgelegen haben müssen, braucht aber nicht der Zeitraum unmittelbar vor der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu sein (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - Ziolkowski, C-424/10 - juris Rn. 46; BVerwG, U.v. 31.5.2012 - 10 C 8.12 - juris Rn. 16 und 21; BayVGH, B.v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris Rn. 24). Da der Kläger nach Lage der Akten und eigenem Vortrag ab seiner Einreise zunächst als Kurierfahrer und dann von 1989 bis 2006 bei der Firma IKEA beschäftigt gewesen war, hat er schon deswegen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 200/38/EG erfüllt.

Die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts darf nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden, wobei dieser Begriff weder in der Freizügigkeits-Richtlinie noch im FreizügG/EU erläutert wird; nach 6.4.1 AVV liegen „schwerwiegende Gründe“ vor insbesondere bei drohender Wiederholung von Verbrechen und besonders schweren Vergehen, wenn der Betroffene wegen eines einzelnen Delikts rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt und die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Durch das Tatbestandsmerkmal „schwerwiegend“ wird an das geschützte Rechtsgut angeknüpft, so dass gesteigerte Anforderungen an das berührte Grundinteresse der Gesellschaft zu stellen sind. Ausreichend ist insoweit eine konkrete Wiederholungsgefahr. Dies ist insbesondere bei drohender Wiederholung von Verbrechen und besonders schweren Vergehen anzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2016 - 19 C 15.2217 - juris Rn. 3; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 6 FreizügG/EU Rn. 51; Kurzidem in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.2.2018, § 6 FreizügG/EU Rn. 18; Björn Cziersky-Reis in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 6 FreizügG/EU Rn. 33).

Die vom Kläger begangene (Anlass-)Straftat rechtfertigt die Verlustfeststellung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung (§ 6 Abs. 4 FreizügG/EU). Die der Verurteilung des Klägers vom 18. Oktober 2012 bzw. hinsichtlich des Strafausspruches vom 1. August 2013 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten zugrunde liegenden Umstände lassen ein persönliches Verhalten erkennen, das eine schwerwiegende gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt. Nach den Feststellungen des Landgerichts München I war die Wohnung des Klägers, nachdem im Jahr 2010 sein Sohn zu ihm gezogen war und sich dieser schnell mit gleichaltrigen Jugendlichen des Viertels angefreundet hatte, ein beliebter Treffpunkt zum Konsum von Betäubungsmitteln. Der Kläger hat dies geduldet bzw. sich daran auch beteiligt. Auch am Tattag hatte der Kläger Alkohol getrunken und Betäubungsmittel zu sich genommen. Nachdem es in seiner Wohnung zu einer verbalen und anschließend tätlichen Auseinandersetzung mit „Bekannten“ gekommen war und der Kläger diese der Wohnung verwiesen hatte, hat sich der Kläger rund fünfzehn Minuten später zu einer nahe gelegenen Bushaltestelle begeben. Auf den Weg dorthin ist er aufgrund einer verbalen Provokation auf einen dieser Bekannten zugegangen. Im Zuge der körperlichen Auseinandersetzung hat der Kläger dann einen zehn Zentimeter langen, spitzen Gegenstand in einer wuchtig geführten Bewegung dem Tatopfer in den Unterbauch gerammt. Laut Strafurteil drang dieser Gegenstand sieben Zentimeter in den Bauchbereich ein und führte zur Durchtrennung der Haut sowie des darunter liegenden Fettgewebes. Nur aufgrund glücklicher Umstände und der adipösen Konstitution des Opfers kam es nicht zur Verletzung innerer Organe, Öffnung der Bauchhöhle oder Durchtrennung wichtiger Blutgefäße. Es bestand allerdings abstrakte Lebensgefahr. Nach der strafgerichtlichen Bewertung hat der Kläger bei seinem Vorgehen die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs erkannt und billigend in Kauf genommen. Der Kläger hat demnach versucht, den Geschädigten zu töten, ist aber strafbefreiend von diesem Versuch zurückgetreten.

Die körperliche Unversehrtheit des Menschen ist ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und das Ausmaß der vom Kläger bei seiner Tat zu Tage getretenen Gewaltbereitschaft wiegt besonders schwer. Hinzu kommen seine Vorstrafen, insbesondere im Bereich der Gewaltdelikte. Den dort abgeurteilten Taten lag ebenfalls deutlich ein besonders impulsives und gewalttätiges Verhalten zugrunde. Der Kläger beging die letzte Straftat zudem in offener, einschlägiger Bewährung.

Das persönliche Verhalten des Klägers stellt auch eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Nach den Feststellungen im Strafurteil zeigt die Persönlichkeit des Klägers deutliche Auffälligkeiten in Richtung psychopathischer und histrionischer Züge bei gleichzeitig mangelhafter Selbstkontrolle, Impulsivität und erhöhtem Aggressionspotential. Im Beschluss vom 21. Februar 2016 führte das Landgericht Augsburg - auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech - (LG Augsburg) u.a. aus, dass sich der Kläger zwar in der Haft überwiegend beanstandungsfrei geführt, eine gute Arbeitsleistung erbracht und sich mit seinem Tatunrecht auseinandergesetzt habe. Andererseits sei er mehrfach vorbestraft, eine eingeräumte Bewährung habe er nicht durchgestanden und die Rückfallgeschwindigkeit sei hoch. Nach dem von der Strafvollstreckungskammer eingeholten kriminalprognostischen Gutachten vom 19. Januar 2016 zeige der Kläger zwar Schuld- und Unrechtsbewusstsein, jedoch auch häufig Externalisierung, wenig Opferempathie und Bagatellisierung, so dass im Ergebnis eine ausreichende Deliktbearbeitung nicht zu erkennen sei. Der Kläger sei nach wie vor impulsiv und leicht erregbar bei jedoch überwiegend prosozialer Grundeinstellung angepasst und ohne Neigung zur Querulanz. Infolge unzureichender Auseinandersetzung mit den Delikten habe er kaum Bewältigungsstrategien in künftigen Konflikt- und Belastungssituationen entwickelt. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen, dass die in der Tat zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit sich nicht attenuiert habe und somit Gründe der öffentlichen Sicherheit einer Reststrafaussetzung entgegenstünden. Das LG Augsburg hat demzufolge die Reststrafaussetzung mit Beschluss vom 21. Februar 2016 abgelehnt.

Im Beschluss vom 20. Juni 2018 gelangte das LG Augsburg schließlich zu dem Ergebnis, dass die Höchstdauer der Führungsaufsicht beim Kläger nicht entfalle und sich hinsichtlich der Situation und Prognose im Vergleich zum letzten Reststrafenablehnungsbeschluss außer dem weiteren Haftverlauf, jedoch ohne nennenswerten(r) Eindruck oder Änderungsbereitschaft, keine Änderungen ergeben hätten. Nachdem es zwischenzeitlich zu einer gravierenden Disziplinarmaßnahme im Zusammenhang mit Drogenverdacht gekommen sei und eine Aufarbeitung der Defizite mangels Problemeinsicht und Veränderungsmotivation weiterhin nicht stattgefunden habe, könne eine positive Sozialprognose nicht gestellt werden.

Diese vom Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens geteilten strafgerichtlichen Prognoseeinschätzungen hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht bzw. nicht substantiiert in Frage gestellt. Allein der Umstand, dass der Kläger seit seiner Haftentlassung strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, bringt die bestehende erhebliche Wiederholungsgefahr nicht in Wegfall. Nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist davon auszugehen, dass eine Aufarbeitung der fachpsychologisch festgestellten Defizite auch weiterhin nicht erfolgt ist, vielmehr negiert er, ein Drogen- bzw. Suchtproblem zu haben. Sonstige für die Prüfung und Beurteilung der Wiederholungsgefahr bedeutsame, für den Kläger günstige Umstände sind von ihm auch im Übrigen weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich.

1.2 Entgegen der Auffassung des Klägers haben die Beklagte und das Verwaltungsgericht im Ergebnis auch zutreffend festgestellt, dass ihm der besondere Schutz vor Verlustfeststellung aus § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU nicht zusteht.

Nach dieser Vorschrift darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, und bei Minderjährigen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für die Frage, ob eine Person die Voraussetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EG, den „Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat“ gehabt zu haben, erfüllt, auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die ursprüngliche Ausweisungsverfügung ergeht (EuGH, U.v. 17.4.2018 - C-316/16 und C-424/17 - juris Rn. 88).

Zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verlustfeststellung am 29. August 2014 erfüllt der bereits seit Januar 2012 inhaftierte Kläger die Voraussetzung eines ununterbrochenen zehnjährigen Aufenthalts nicht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union können Zeiträume der Verbüßung einer Haftstrafe grundsätzlich die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der RL 2004/38/EG unterbrechen (EuGH, U.v. 16.1.2014 - C-400/12 - juris Rn. 33 und 36; s. auch BayVGH, B.v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris Rn. 25). Allerdings ist zum „Zwecke der Feststellung, ob sie damit zu einem Abreißen des zuvor geknüpften Bandes der Integration zum Aufnahmemitgliedstaat dergestalt geführt haben, dass der Betroffene nicht mehr in den Genuss des durch diese Bestimmung verbürgten verstärkten Schutzes kommen kann, (…) aber gleichwohl eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt. Im Rahmen dieser umfassenden Beurteilung sind die Zeiträume der Verbüßung einer Haftstrafe zusammen mit allen anderen Anhaltspunkten zu berücksichtigen, die die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Gesichtspunkte ausmachen (…); zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere die Stärke der vor der Inhaftierung des Betroffenen zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsbande, die Art der die verhängte Haft begründenden Straftat und die Umstände ihrer Begehung sowie das Verhalten des Betroffenen während des Vollzugs“ (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 - C-316/16 und C-424/17 - juris Rn. 70, 83). Dabei geht der Gerichtshof der Europäischen Union davon aus, „dass, je fester diese Integrationsbande zu dem besagten Staat insbesondere in gesellschaftlicher, kultureller und familiärer Hinsicht sind - in einem Maße beispielsweise, dass sie zu einer echten Verwurzelung in der Gesellschaft dieses Staates geführt haben, (…) -, umso geringer die Wahrscheinlichkeit sein wird, dass eine Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu einem Abreißen der Integrationsbande und damit zu einer Diskontinuität des Aufenthalts von zehn Jahren im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EG geführt haben kann“ (EuGH, a.a.O. Rn. 72).

Gemessen hieran ist bei Würdigung sämtlicher vorgenannter Aspekte im Falle des Klägers davon auszugehen, dass die zuvor geknüpften Integrationsverbindungen (spätestens) durch die Verbüßung seiner Freiheitsstrafe von über sechseinhalb Jahren abgerissen sind mit der Folge, dass kein ununterbrochener Aufenthalt von zehn Jahren im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/387EG vorliegt und damit kein besonderer Schutz vor Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU besteht.

Insofern sind zwar zugunsten des Klägers sein langjähriger Aufenthalt und seine zu Beginn erfolgreiche wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet einzustellen. Er ist im Oktober 1986 im Alter von 23 Jahren in das Bundesgebiet eingereist, ist dort zunächst einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgegangen und hat eine Familie gegründet, aus der zwei am 31. Dezember 1991 (Sohn) und am 23. September 1997 (Tochter) geborene Kinder hervorgegangen sind. Auch geht der Senat mit der Beklagten zugunsten des Klägers davon aus, dass er nach der Trennung von seiner damaligen Ehefrau im Oktober 2003 bis Mitte Dezember 2005 zwar nicht im Bundesgebiet gemeldet war, jedoch eine längerfristige zusammenhängende Abwesenheit vom Bundesgebiet, die seine Aufenthaltsdauer unterbrechen könnte (vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2011 - 10 B 11.182 - juris Rn. 48), nicht festgestellt werden kann. So sagte die damalige Ehefrau in einer Zeugenvernehmung am 24. Juli 2004 aus, dass sie ihren Mann seit Oktober 2003 aus der gemeinsamen Wohnung abgemeldet habe und dieser zeitweise in der Wohnung ihrer Mutter übernachte. Im Rahmen einer Aufenthaltsermittlung gab der Kläger am 18. August 2004 gegenüber den Polizeibehörden an, über seine Arbeitsstelle in München postalisch erreichbar zu sein. Auch im Übrigen lassen sich dem Akteninhalt diverse polizeiliche Mitteilungen entnehmen, wonach gegen den Kläger bspw. im Zeitraum Juni/August 2004 wiederholt wegen Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz, Bedrohung, Hausfriedensbruch und Körperverletzung ermittelt wurde, was seine Anwesenheit im Bundesgebiet voraussetzt. Lediglich anlässlich einer weiteren Zeugenvernehmung gab die damals getrenntlebende Ehefrau am 7. November 2005 an, dass sie annehme, dass der Kläger wegen des Scheidungstermins kurz vorher aus Italien angereist sei, wo er bei seinen Eltern in Mailand wohne.

Allerdings hat der Kläger dann wohl auch im Zuge der familiären Probleme, die letztlich zur Scheidung Ende 2005 geführt haben, im Jahr 2006/2007 seine langjährige Beschäftigung bei der Fa. IKEA verloren und war im Anschluss daran nach einjähriger Arbeitslosigkeit jeweils nur für begrenzte Zeiträume in verschiedenen Bereichen beruflich tätig, bevor er zuletzt befristet für das Jahr 2011 über eine Zeitarbeitsfirma in einem Kaufhaus gearbeitet hat. Die gemeinsam in München erworbene Wohnung ist im Zuge der Scheidung verkauft worden. Über das Vermögen des Klägers wurde am 11. Juni 2014 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Aktuell bezieht der Kläger nach eigenen Angaben Arbeitslosengeld I, ist postalisch unter einer Adresse der Inneren Mission gemeldet und lebt abwechselnd bei seinen Kindern, seiner Lebensgefährtin oder einem Freund. Demzufolge kann zum maßgeblichen Zeitpunkt von einer nennenswerten wirtschaftlich-beruflichen Integration des Klägers, die hätte abreißen können, nicht (mehr) gesprochen werden. Auch in familiärer Hinsicht lag vor Haftantritt keine feste Bindung im Bundesgebiet (mehr) vor. Zu seiner geschiedenen Ehefrau bestand und besteht keinerlei Kontakt und von seinen Kindern wurde der Kläger während seiner sechseinhalbjährigen Haft nur sehr selten, ausweislich der Besuchsliste der JVA Landsberg am Lech insgesamt sechs Mal, besucht. Allein zur Lebensgefährtin E. wurde nach der Haftentlassung wieder ein regelmäßiger Kontakt aufgenommen, wobei sich der Kläger bei ihr auch aufgrund der beengten Wohnverhältnisse nur gelegentlich aufhält. Er erhält von ihr Unterstützung insbesondere bei Behördengängen. Eine feste Integrationsverbindung lässt sich hieraus aber nicht ableiten.

Die Art der Straftat und die Umstände ihrer Begehung lassen erkennen, in welchem Maß sich der Kläger der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats entfremdet hat. Der Kläger nahm eine äußerst gefährliche Gewaltanwendung vor. Nach den Feststellungen des Strafgerichts hat der Kläger vorsätzlich gehandelt und die hohe Hemmschwelle zur bedingt vorsätzlichen Tötung eines anderen Menschen überschritten, auch wenn er letztlich vom Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten ist. Seine Entfremdung zeigt sich ferner in den zahlreichen, auch im Gewaltbereich einschlägigen Vorstrafen, bei denen seine Aggressivität und Impulsivität bereits deutlich zu Tage traten. Zudem stand er zum Zeitpunkt der Anlassstraftat unter offener, einschlägiger Bewährung. Sein Verhalten während seines Strafvollzugs gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass im Hinblick auf die Wiedereingliederung seine (ursprünglich) zum Aufnahmestaat geknüpfte Integrationsverbindung wiederhergestellt werden wird. Eine Aufarbeitung des Drogen- und Alkoholproblems sowie der psychischen Auffälligkeiten erfolgte nicht. Vielmehr kam es nach den Feststellungen des LG Augsburg (s. Beschluss v. 20.6.2018) im Zusammenhang mit Drogenverdacht Ende Oktober 2016 zu einer „gravierenden Disziplinarmaßnahme“. Ende November 2017 wurde der Kläger erneut disziplinarisch belangt (s. Stellungnahme JVA Landsberg am Lech v. 1.2.2018). Ein einziges Gespräch mit einer Psychologin im Januar 2017 sei an offensichtlich mangelnder Problemeinsicht und Veränderungsmotivation gescheitert. Nur mit seinem Sohn hat der Kläger nach seiner Haftentlassung nach eigenen Angaben wieder regelmäßigen Kontakt. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass gerade der gesellschaftliche Umgang, den sein Sohn pflegte, mit Auslöser der der Straftat zugrundeliegenden Auseinandersetzung war. Mit Einzug seines Sohnes beim ihm habe sich seine Wohnung zu einem „beliebten Treffpunkt“ u.a. zum Konsum von Betäubungsmitteln entwickelt. Nach Angaben des Klägers sei sein Sohn ebenfalls kurz inhaftiert gewesen.

In der Gesamtschau lässt sich feststellen, dass bereits vor seiner Inhaftierung mit Scheitern der Ehe (Oktober 2003), Beginn des regelmäßigen Konsums von Betäubungsmitteln (2005), Verlust des langjährigen Arbeitsplatzes (2006/2007) und wiederholter Straffälligkeit (2005, 2007 und 2008) die ursprünglich vorhandenen Integrationsverbindungen zunächst sukzessive und mit Verbüßung der langjährigen Strafhaft ab Mitte Januar 2012 nahezu vollständig abgerissen sind.

1.3 Schließlich ist auch die von der Beklagten nach § 6 Abs. 1 und Abs. 3 FreizügG/EU zu treffende Ermessensentscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2012 - 10 ZB 11.2751 - juris Rn. 4) nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat erkannt, dass die Entscheidung über die Verlustfeststellung in ihrem Ermessen liegt (vgl. S. 10 des Bescheids), und die tatbezogenen Umstände eingehend gewürdigt (vgl. Seiten 10-13 des Bescheids). Sie hat auch hinreichend die gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU zu berücksichtigenden Belange abgewogen und dabei insbesondere die Dauer des Aufenthalts, den Integrationsstand und die familiäre Situation bewertet. Eine Fehlgewichtung ist darin nicht zu sehen. Die Beklagte ist hinreichend auf die noch bestehenden (familiären) Bindungen zu den volljährigen Kindern sowie zu der derzeitigen Lebensgefährtin eingegangen. Auch ist die Einschätzung zutreffend, dass der Kläger in Deutschland wirtschaftlich zuletzt nur bedingt Fuß fassen konnte, weil er nach dem Verlust seiner festen Arbeitsstelle bei der Fa. IKEA nur noch Gelegenheitsjobs und über Zeitarbeitsfirmen Beschäftigung fand.

Einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK hat die Beklagte ebenfalls zu Recht verneint. Art. 8 Abs. 1 EMRK bestimmt, dass jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens hat. Der Eingriff einer Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Der Eingriff in die Schutzgüter des Art. 8 EMRK kommt namentlich dann in Betracht, wenn der Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügt. Insbesondere bei Ausländern, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist, ist ein Eingriff in Art. 8 EMRK denkbar (BVerwG v. 29.9.1998 - 1 C 8.96 - juris). Zu diesem Personenkreis zählen vor allem im Bundesgebiet geborene Ausländer der zweiten Generation (vgl. BayVGH B.v. 11.7.2007 - 24 ZB 07.743 - juris; B.v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris Rn. 27). Hierunter fällt der Kläger aber nicht. Er kam im Alter von 23 Jahren in das Bundesgebiet. Eine (nennenswerte) wirtschaftliche Integration besteht aktuell nicht. Der Kläger verfügt auch über keine eigene Wohnung. Der überwiegend telefonische bzw. postalische Kontakt zur Tochter kann ohne weiteres auch von Italien aus aufrechterhalten werden. Ebenso wenig ist erkennbar, dass sein Sohn, zu dem der Kläger nach der Haftentlassung wieder regelmäßigen Kontakt pflegt, in besonderem Maße auf den Kläger angewiesen wäre. Insofern besteht die Möglichkeit gegenseitiger Besuche etwa im Rahmen von Betretenserlaubnissen. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Verbindung zur derzeitigen Lebensgefährtin des Klägers. Diese nichteheliche Beziehung eröffnet nicht den Schutzbereich aus Art. 6 Abs. 1 GG. Andererseits hat der Kläger in Italien mehrere Familienangehörige.

Die Abwägungsentscheidung der Beklagten, dem Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unter Berücksichtigung der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr den Vorrang zukommen zu lassen, begegnet daher keinen rechtlichen Bedenken.

2. Soweit der Kläger mit seinem Hilfsantrag die Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist als die mit Urteil des Verwaltungsgerichts München ausgesprochenen fünf Jahre begehrt, dringt er damit ebenfalls nicht durch.

Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU, wonach das durch die Verlustfeststellung ausgelöste Verbot der Einreise und des Aufenthalts von Amts wegen befristet wird. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU ist die Frist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf fünf Jahre nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Entscheidung über die Befristung einschließlich der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU eine gerichtlich voll kontrollierbare, gebundene Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2015 - 1 C 20.14 - juris Rn. 22 ff.; U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 22 ff.). Die Neufassung des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 dahingehend, dass über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden wird, gibt angesichts dessen, dass der Wortlaut des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU unverändert gelassen wurde, keinen Anlass für die Annahme, dies wirke sich auf ein nach dem FreizügG/EU zu beurteilendes Einreise- und Aufenthaltsverbot aus (vgl. VGH BW, U.v. 24.3.2016 - 11 S 992/15 - juris Rn. 23; U.v. 15.2.2017 - 11 S 983/16 - juris Rn. 34).

Die Befristungsentscheidung ist auf der Grundlage der aktuellen Tatsachengrundlage und unter Würdigung des Verhaltens des Betroffenen nach der Verlustfeststellung zu treffen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 31 m.w.N.). Dabei ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU zu tragen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 35; VGH BW, U.v. 15.2.2017 - 11 S 983/16 - juris Rn. 36). Die im Hinblick auf die zur Gefahrenabwehr als erforderlich angesehene Sperrfrist ist einem zweiten Schritt unter Berücksichtigung schützenswerter Interessen des Klägers zu ermitteln und zu gewichten (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 37). Maßgebend ist die aktuelle Situation des Betroffenen (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2016 - 10 ZB 14.2448 - juris Rn. 5; Kurzidem in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.2.2018, § 7 FreizügG/EU Rn. 11; Geyer in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 12; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 7 FreizügG/EU Rn. 65 ff.).

Dies zugrunde gelegt begegnet die auf fünf Jahre bestimmte Dauer der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot auch unter Berücksichtigung der Entwicklungen bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen rechtlichen Bedenken. Ausgehend von der Strafbiographie des Klägers, der Einschätzung und Beurteilung der Wiederholungsgefahr sowie unter Berücksichtigung des oben dargelegten Persönlichkeitsbildes des Klägers erscheint ein an dem mit der Verlustfeststellung verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierter langfristiger, jedenfalls über den Fünfjahreszeitraum nach § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU hinausgehender Ausschluss der Wiederreinreise angemessen und sachgerecht. Hinweise auf positive Änderungen des Persönlichkeitsbildes lassen sich weder den fachlichen Stellungnahmen noch den einschlägigen strafgerichtlichen Entscheidungen entnehmen. Vielmehr ist weder während des Strafvollzugs noch im Anschluss daran die erforderliche Aufarbeitung der Persönlichkeitsdefizite sowie der Suchtproblematik erfolgt. Zugunsten des Klägers ist aber einzustellen, dass er seit der Haftentlassung nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten und um eine Befolgung der Weisungen der Führungsaufsicht bemüht ist. Möglichkeiten der sozialen Reintegration in Deutschland erscheinen ebenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. So konnte der Kläger einen befristeten Arbeitsvertrag über eine geringfügig entlohnte Beschäftigung für den Zeitraum ab den 1. Februar 2019 vorlegen. Zudem hat der Kläger soziale Anknüpfungspunkte bei seiner Lebensgefährtin und bei seinem Sohn, auch wenn eine familiäre Lebensgemeinschaft mit diesen nicht besteht. Nach eigenen Angaben pflegt er auch (wieder) Kontakt zu seiner Tochter. Für den Kläger spricht schließlich auch, dass er sich fast zwei Jahrzehnte lang straffrei im Bundesgebiet aufgehalten hat, bevor es im Zusammenhang mit der Trennung und Scheidung von seiner Ehefrau und den damit einhergegangenen wirtschaftlichen sowie persönlichen Problemen zur (wiederholten) Straffälligkeit gekommen ist. In der Gesamtschau erweist sich daher eine an der Dauer der Führungsaufsicht orientierte Sperrfrist von fünf Jahren als angemessen und sachgerecht.

Im Übrigen bleibt es dem Kläger unbenommen, einen (neuen) Antrag auf Verkürzung oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes zu stellen, wenn sich die Gefährdungssituation günstiger als erwartet entwickeln oder neue persönliche Umstände eintreten sollten, die eine andere, für ihn günstigere Entscheidung gebieten würden.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff., § 711 ZPO.

III.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Klägerin ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, ihr für die Klage gegen die Feststellung des Verlusts ihres Freizügigkeitsrechts durch Bescheid der Beklagten vom 3. Juni 2016 Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Die im Jahr 1992 in der Bundesrepublik geborene, wegen einer geistigen Behinderung unter gesetzlicher Betreuung stehende Klägerin ist rumänische Staatsangehörige, reiste am 9. Juni 2013 aus Spanien in die Bundesrepublik ein und lebt seit dem 17. August 2014 im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Als Aufenthaltszweck wurde „Schule“ angegeben. Ausweislich vorgelegter Nachweise wurde mit Bescheid des Versorgungsamtes vom 20. Oktober 2014 ein Grad der Behinderung von 50 ab dem Jahr 2002 festgestellt. Gemäß einem Bewilligungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 17. Dezember 2014 bezog die Klägerin im Zeitraum vom 1. Dezember 2014 bis zum 8. Februar 2015 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 112 SBG III i.V.m. §§ 33, 44 ff SGB IX. Die Klägerin nahm vom 1. Dezember 2014 bis zum 28. Februar 2017 an einer berufsfördernden Maßnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen mit einem Ausbildungsgeld der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von monatlich 63 Euro (1.12.2014 bis 30.11.2015) bzw. 75 Euro (1.12.2015 bis 31.7.2017) bzw. 80 Euro (1.8.2016 bis 28.2.2017) teil. Die Klägerin bezieht seit Dezember 2015 laufend Leistungen der Grundsicherung nach SGB XII in Höhe von 503 Euro monatlich.

Mit Bescheid vom 3. Juni 2016 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin nicht freizügigkeitsberechtigt sei (Nr. 1), und forderte sie unter Fristsetzung von einem Monat ab Bestandskraft (Nr. 2) und Abschiebungsandrohung (Nr. 3) zur Ausreise in die Republik Rumänien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat auf. Die Klägerin sei nicht freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, da sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehe und Grundsicherungsleistungen in voller Höhe vom Sozialamt erhalte. Sie absolviere keine Berufsausbildung, sondern eine berufsfördernde Maßnahme im Berufsausbildungsbereich. § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU sei nicht erfüllt, weil die Klägerin nicht über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfüge. Eine Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehörige sei weder ersichtlich noch geltend gemacht. Die Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU entspreche pflichtgemäßem Ermessen, da das Allgemeininteresse, die öffentliche Hand vor übermäßiger Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu bewahren, die persönlichen Interessen der Klägerin überwiegten. Schützenswerte Bindungen nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK seien nicht ersichtlich, da – trotz Berücksichtigung entsprechender Pflegeleistungen der Mutter – auch die Eltern der Klägerin nicht freizügigkeitsberechtigt seien.

Gegen den Bescheid vom 3. Juni 2016 hat die Klägerin Klage erhoben und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin absolviere eine Ausbildung und verfüge über ausreichenden Krankenversicherungsschutz.

Mit Beschluss vom 18. August 2016 hat das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Die Klägerin sei freizügigkeitsberechtigt und die angegriffene Entscheidung ermessensfehlerhaft. Der ausreichende Krankenversicherungsschutz ergebe sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 7 SGB V. Leistungen der Ausbildungsförderung nach SGB III und der durch die Arbeitsagentur gewährleistete Krankenversicherungsschutz gälten nicht als Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Das Aufenthaltsgesetz finde Anwendung, da hierdurch eine günstigere Rechtsposition vermittelt werde als durch das Freizügigkeitsgesetz. Wegen der humanitären Lage für geistig behinderte Menschen in Rumänien seien die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung rechtswidrig.

II.

Die zulässige Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für die Klage gegen die Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vorliegen, weil die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten besitzt.

Tritt nach einem Antrag auf Prozesskostenhilfe eine Änderung der Sach- und Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers ein, so ist hinsichtlich der Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht – wie sonst – bei der rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe der Zeitpunkt der Entscheidungsreife maßgebend. Vielmehr ist die Änderung der Sach- und Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers zu berücksichtigen, denn für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage und damit auch für den Beurteilungszeitpunkt bleibt einzig und allein das materielle Recht bestimmend (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2009 – 19 C 09.2958 – juris Rn. 4). Eine Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten der Klägerin ist vorliegend aber nicht eingetreten.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU vorlagen, weil die Klägerin zu diesem Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt weder nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU (1.) noch nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU (2.) war. Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht ersichtlich (3.). Auch die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden (4.).

Nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage liegen die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU vor. Danach kann der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind oder (von Anfang an) nicht vorlagen, mithin zu keinem Zeitpunkt bestanden haben (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – juris Rn. 15). Die Möglichkeit zur Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU erlischt mit dem Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU, weil sodann ein Recht auf Einreise und Aufenthalt gerade unabhängig vom weiteren Vorliegen einer Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU besteht. Mangels einer ununterbrochenen Erfüllung der Freizügigkeitsberechtigung für die Dauer von fünf Jahren steht der Klägerin kein Daueraufenthaltsrecht nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU zu. Die Klägerin kann sich nach summarischer Überprüfung weder zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags noch zu dem für die rechtliche Beurteilung der Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts – wie für andere aufenthaltsbeendenden Entscheidungen – maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2015, a.a.O., juris Rn. 11) auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU berufen.

1. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass die Klägerin, die sich bis zum 28. Februar 2017 in einer berufsfördernden Maßnahme im Berufsbildungsbereich in einer Werkstatt für Behinderte befand, weder als Arbeitnehmerin noch als Auszubildende nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt ist.

Der Begriff des „Arbeitnehmers“ ist unionsrechtlich auszulegen. Er ist weit zu verstehen und nach objektiven Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis in Ansehung der Rechte und Pflichten der betreffenden Personen charakterisieren. Das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Der bloße Umstand, dass eine unselbständige Tätigkeit nur von kurzer Dauer ist, steht der Annahme der Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen. Als Arbeitnehmer kann jedoch nur angesehen werden, wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Geboten ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen (vgl. EuGH, U.v. 6.11.2003 – Ninni-Orasche, C-413/01 – juris Rn. 23 ff., U.v. 4.2.2010 – Genc, C-14/09 – juris Rn. 9 und 23 ff., U.v. 9.6.2014 – Saint-Prix, C-507/12 – juris Rn. 33 ff.; BayVGH, U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – juris Rn. 47).

In Anlehnung an den Arbeitnehmerbegriff sind Personen, die Ausbildungsverhältnisse, Praktika, Volontariate und ähnliches absolvieren, dann Arbeitnehmer, sofern sie eine echte Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis ausüben (vgl. Tewocht in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, FreizügG/EU § 2, Rn. 23). In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist anerkannt, dass jemand, der im Rahmen einer Berufsausbildung ein Praktikum ableistet, als Arbeitnehmer anzusehen ist, wenn das Praktikum unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis durchgeführt wird (vgl. EuGH, U.v. 21.02.2013 – C-46/12 – juris; U.v. 3.7.1986 – Lawrie-Blum, Rs 66/85 – NVwZ 1987, 41).

Als Entgelt für die ausgeübte Beschäftigung reicht es aber nicht aus, wenn eine Person im Rahmen einer geförderten Maßnahme zur Erhaltung, Wiederherstellung oder Förderung der Arbeitsfähigkeit eingesetzt wird (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, FreizügG/EU, § 2 Rn. 55). In der Rechtssache Bettray hat der Europäische Gerichtshof entscheidend darauf abgestellt, dass die im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgeübten Tätigkeiten nicht als tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeiten angesehen werden könnten, da sie nur ein Mittel der Rehabilitation oder der Wiedereingliederung der Arbeitnehmer in das Arbeitsleben darstellen (vgl. EuGH, U.v. 31.5.1989 – Bettray, C-344/87 – juris). Gegenleistungen sind dann nicht als Arbeitsentgelt anzusehen, wenn sie im Rahmen von Maßnahmen gewährt werden, die lediglich als Instrument zur Integration von Personen mit persönlichen Unzulänglichkeiten dienen, und die nicht das für den Arbeitnehmerbegriff wesentliche Austauschverhältnis wiederspiegeln (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 2 Rn. 56).

Die Klägerin nahm vom 1. Dezember 2014 bis zum 28. Februar 2017 an einer berufsfördernden Maßnahme nach §§ 112 SGB III i.V.m. § 33 SGB IX teil. Gemäß §§ 112 SGB III, 33 SGB IX können für behinderte Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst zu sichern, soweit Art oder Schwere der Behinderung dies erfordern. Entsprechend dieser Zielrichtung überwiegen bei der absolvierten Maßnahme der Integrations- und Förderaspekt, zumal seitens des Einrichtungsträgers keine Vergütung geleistet wird. Die Teilnahme an der geförderten Maßnahme stellt sich nicht als eine Berufsausbildung unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis dar.

2. Die Klägerin ist auch nicht freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU.

Voraussetzung des Freizügigkeitsrechts für nicht erwerbstätige Unionsbürger sind eigenständige Existenzsicherung und hinreichender Krankenversicherungsschutz. Bei gesteigertem Bedarf z.B. wegen Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit sind zusätzliche Existenzmittel nachzuweisen, um sicherzustellen, dass die Inanspruchnahme der Sozialhilfe ausgeschlossen wird (vgl. BT-Drs. 15/42, S. 104).

Dahinstehen kann, ob die Klägerin mit dem durch den Sozialleistungsträger gewährleisteten Krankenversicherungsschutz über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz im Sinne von § 4 FreizügG/EU verfügt, oder ob nach der Gesetzesintention eine (zumindest überwiegend) eigenständige Sicherung des Krankenversicherungsschutzes verlangt werden kann. Denn die Klägerin, die nach Mitteilung des Beklagten vom 7. August 2017 weiterhin Sozialhilfeleistungen in voller Höhe bezieht, verfügt nicht über ausreichende Existenzmittel nach § 4 Satz 1 FreizügG/EU.

§ 4 Satz 1 FreizügigG/EU verlangt über ausreichenden Krankenversicherungsschutz hinaus, dass der Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass er während seines Aufenthalts keine Sozialleistungen des Aufnahmemitgliedsstaats in Anspruch nehmen muss. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG sind ausreichende Existenzmittel solche, die sicherstellen, dass der Freizügigkeitsberechtigte die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats nicht in Anspruch nehmen muss. Existenzmittel sind alle gesetzlich zulässigen Einkommen und Vermögen in Geld oder Geldeswert und sonstige eigene Mittel, insbesondere Unterhaltsleistungen von Familienangehörigen oder Dritten (vgl. Epe in GK-AufenthG, Stand: 7/2013, § 4 FreizügigG/EU, Rn. 20). Die Herkunft der Mittel, die zur Existenzsicherung genutzt werden, ist gleichgültig (vgl. EuGH, U.v. 19.10.2004 – Chen, C-200/02 – InfAuslR 2004, 413). Als grundsätzlich schädlich erweist sich – abgesehen von den in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG geregelten Ausnahmen – der Bezug von nicht auf einer Beitragsleistung beruhenden öffentlichen Mitteln, insbesondere Sozialhilfeleistungen nach SGB XII. Die vollumfängliche Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen indiziert das Nichtvorhandensein ausreichender Existenzmittel (vgl. Epe in GK-AufenthG, a.a.O., § 2 FreizügG, Rn. 20, 23).

Zu berücksichtigen ist hierbei, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nicht automatisch einen Verlust des Freizügigkeitsrechts zu begründen vermag. Da auch insoweit mit Blick auf die sich der Verlustfeststellung anschließenden Pflicht, die Bundesrepublik zu verlassen, die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit zu wahren sind, ist vielmehr eine unangemessene Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen erforderlich (vgl. Art. 14 Abs. 1 RL 2004/38/EG). Der Umstand, dass ein nicht erwerbstätiger Unionsbürger zum Bezug von Sozialhilfeleistungen berechtigt ist, kann einen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (EuGH, U.v. 19.9.2013 – Brey, C-140/12 – juris, Rn. 63). Insbesondere dem 10. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38/EG ist zu entnehmen, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG genannte Voraussetzung vor allem verhindern soll, dass die hierin genannten Personen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nehmen (EuGH , U.v. 21.12.2011 – C-424/10 und C-425/10 – Rn. 40; EuGH, U.v. 19.9.2013, a.a.O., Rn. 54). Zur Beurteilung der Frage, ob ein Ausländer Sozialhilfeleistungen in unangemessener Weise in Anspruch nimmt, ist, wie aus dem 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38/EG hervorgeht, zu prüfen, ob der Betreffende vorübergehende Schwierigkeiten hat, und sind die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände des Betreffenden und der ihm gewährte Sozialhilfebetrag zu berücksichtigen. Von einer unangemessenen Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen kann zudem nicht ohne eine umfassende Beurteilung der Frage ausgegangen werden, „welche Belastung dem nationalen Sozialhilfesystem in seiner Gesamtheit aus der Gewährung dieser Leistung nach Maßgabe der individuellen Umstände, die für die Lage des Betroffenen kennzeichnend sind, konkret entstünde“ (EuGH, U.v. 19.9.2013, a.a.O., Rn. 64; BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – juris Rn. 21). Bei dieser Berücksichtigung kann es nicht darauf ankommen, die der Klägerin gewährten Sozialleistungen ins Verhältnis zur Gesamtheit der Sozialleistungen der Bundesrepublik Deutschland zu setzen. Vielmehr ist die für den Betroffenen kennzeichnende Lage zu abstrahieren und die Belastung für das nationale Sozialhilfesystem in seiner Gesamtheit zu bewerten, die entstünde, wenn jeder Unionsbürger in einer so gekennzeichneten Lage eine ausreichende Existenzsicherung und damit (mittelbar) weiterhin den Bezug der zu untersuchenden Sozialleistungen für sich beanspruchen könnte. Nur bei dieser Betrachtung zeigen sich die (drohenden) Belastungen für das nationale Sozialhilfesystem in seiner Gesamtheit (vgl. OVG RhPf, B.v. 20.9.2016 – 7 B 10406/16 – juris Rn. 46).

Im vorliegenden Fall bezieht die Klägerin seit Dezember 2015 fortlaufend Leistungen der Grundsicherung nach SGB XII in voller Höhe. Unter Berücksichtigung der langjährigen, vollumfänglichen Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen würde es eine unangemessene Belastung für das nationale Sozialhilfesystem in seiner Gesamtheit bedeuten, wenn es gleichermaßen für sämtliche Unionsbürger in der Lage der Klägerin und ihrer Familie geöffnet und damit faktisch so etwas wie eine „Sozialleistungsfreizügigkeit“ begründet würde (vgl. OVG RhPf, B.v. 20.9.2016, a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs soll Art. 7 Abs. 1 lit. bder RL 2004/38/EG nicht erwerbstätige Unionsbürger gerade daran hindern, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zu nehmen (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2014 – Dano, Rs. C-333/13 – juris, Rn. 76). Die Notwendigkeit, die Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats zu schützen, reicht grundsätzlich aus, um die Möglichkeit zu rechtfertigen, zum Zeitpunkt der Gewährung einer Sozialleistung insbesondere an Personen anderer Mitgliedstaaten, die wirtschaftlich nicht aktiv sind, eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts durchzuführen, da diese Gewährung geeignet ist, sich auf das gesamte Niveau der Beihilfe auszuwirken, die dieser Staat gewähren kann (vgl. EuGH, U.v. 14.6.2016 – Kommission/Vereinigtes Königreich, C-308/14 – juris Rn. 80 m.w.N.).

3. Bei der Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der die Ausländerbehörde eine umfassende Abwägung unter Einstellung aller für und gegen die Verlustfeststellung sprechenden Umstände sowie unter Einhaltung der gemäß Art. 15 RL 2004/38/EG zu beachtenden Verfahrensgrundsätze der Art. 30 und 31 RL 2004/38/EG vorzunehmen hat (vgl. HessVGH, B.v. 24.10.2016 – 3 B 2352/16 – juris). Die Richtlinie 2004/38, die ein abgestuftes System für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft schafft, das das Aufenthaltsrecht und den Zugang zu Sozialleistungen sichern soll, berücksichtigt selbst verschiedene Faktoren, die die jeweiligen persönlichen Umstände der eine Sozialleistung beantragenden Person kennzeichnen, insbesondere die Dauer der Ausübung einer Erwerbstätigkeit (vgl. EuGH , U.v. 15.9.2015 – Alimanovic, C-67/14 – juris Rn. 60). Gleichwohl müssen in die Ermessensentscheidung alle für und gegen die Klägerin sprechenden Gesichtspunkte eingestellt werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte Ermessenserwägungen angestellt und dabei insbesondere die Dauer des Aufenthaltes der Klägerin im Bundesgebiet, mithin den Grad ihrer Aufenthaltsverfestigung, eingestellt und erforderliche Pflegeleistungen der Mutter der Klägerin berücksichtigt. Im Hinblick darauf, dass die gesamte Familie – abgesehen vom erwerbstätigen Bruder – im Sozialleistungsbezug steht und auch für die anderen Familienmitglieder die Verlustfeststellung der Freizügigkeit ausgesprochen wurde, weist die Ermessensentscheidung der Beklagten, wonach auch unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer und der Pflegebedürftigkeit der Klägerin das öffentliche Interesse vor einer übermäßigen Belastung der öffentlichen Hand das persönliche Interesse an einer Aufrechterhaltung des Aufenthalts überwiegt, keine vom Gericht zu prüfenden Ermessensfehler auf (§ 114 Satz 1 VwGO).

4. Erweist sich somit die Verlustfeststellung aller Voraussicht nach als rechtmäßig, gilt dies auch für die Ausreiseaufforderung unter Fristsetzung und die Abschiebungsandrohung, weil gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU Unionsbürger ausreisepflichtig sind, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sind Unionsbürger ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Nach § 7 Abs. 1 Satz 3 und 4 FreizügG/EU soll in dem Bescheid die Abschiebung angedroht und eine Ausreisefrist von mindestens einem Monat gesetzt werden. Nachdem das Freizügigkeitsgesetz/EU keine eigenen Regelungen zur Durchsetzung der Ausreise enthält, ist gemäß § 11 Abs. 2 FreizügG/EU das Aufenthaltsgesetz anwendbar. Dem Erlass einer Abschiebungsandrohung unter Bestimmung einer Ausreisefrist steht nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG das Vorliegen von Abschiebungsverboten nicht entgegen. Abgesehen davon ist das pauschale Vorbringen der Klägerin hinsichtlich der unzureichenden staatlichen Unterstützung für behinderte Menschen in Rumänien insbesondere unter Berücksichtigung dessen, dass die behinderte Klägerin vorliegend in einen betreuenden Familienverband eingebettet ist, nicht geeignet, eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben der Klägerin in Rumänien nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu belegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 161 Abs. 1 VwGO, wobei die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet werden (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO). Einer Streitwertfestsetzung bedarf es im Hinblick auf § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG nicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO).

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), der Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) und des Vorliegens eines Verfahrensfehlers (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) nicht hinreichend dargelegt sind (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) bzw. nicht vorliegen.

1. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Seeger in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.11.2018, § 78 AsylG Rn. 18 ff; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 78 AsylG Rn. 11 ff.). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Sept. 2018, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand Nov. 2018, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2018 - 10 ZB 16.30735 - juris Rn. 2 ff.; OVG NW, B.v. 9.10.2017 - 13 A 1807/17.A - juris Rn. 5; B.v. 12.12.2016 - 4 A 2939/15.A - juris Rn. 7 m.w.N.; Berlit, a.a.O., § 78 Rn. 609 ff.)

a) Die Klägerinnen möchten zum einen grundsätzlich geklärt haben, „ob ihnen als nigerianischen Staatsangehörigen mit christlicher Glaubenszugehörigkeit im gesamten Staatsgebiet von Nigeria Verfolgungsmaßnahmen von Seiten radikaler Muslime drohen, die von Seiten des nigerianischen Staates nicht unterbunden werden“.

Soweit die Klägerinnen damit, wie in der Begründung des Zulassungsantrags weiter angesprochen, auf die Frage einer Gruppenverfolgung für nigerianische Staatsangehörige christlicher Religionszugehörigkeit im gesamten Staatsgebiet abstellen, ist die Grundsatzfrage nicht in erforderlichem Umfang dargelegt. Dass Christen - die etwa die Hälfte der knapp 200 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung Nigerias ausmachen - im ganzen Land einer Gruppenverfolgung (zum Begriff vgl. BVerwG, U.v. 18.7.2006 - 1 C 15.05 - juris Rn. 20) durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt sein sollten, ohne dass staatliche oder andere Akteure im Sinn der § 3c Nr. 3, § 3d AsylG Schutz bieten, ist keinen Erkenntnisquellen zu entnehmen (vgl. z.B. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 10.12.2018, S. 12 f.). Auch dem Vortrag der Klägerinnen fehlt insoweit jeder Tatsachenvortrag.

Der Vortrag der Klägerinnen kann auch dahin verstanden werden, dass sie sich gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts wenden wollen, dass sie sich auch in einem anderen Landesteil Nigerias niederlassen könnten als in dem Bundesstaat Kaduna, aus dem die Klägerin zu 1 stammt, um den dortigen Konflikten zu entgehen. Jedoch ist die Beurteilung, ob von einer Person vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich in einem für sie fremden, jedoch sicheren Landesteil niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG), eine nicht nur nach den dortigen allgemeinen Gegebenheiten, sondern insbesondere nach den persönlichen Umständen der jeweiligen Person einzelfallbezogen zu beantwortende Frage (§ 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG, Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU; stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.1.2019 - 10 ZB 18.32478 - Rn. 5 m.w.N.) und daher einer Grundsatzrüge nicht zugänglich. Es ist vielmehr eine individualbezogene Betrachtungsweise geboten, bei der die individuelle Lage und die persönlichen Umstände einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter zu berücksichtigen sind (Art. 8 Abs. 2 Satz 1, Art. 4 Abs. 3 RL 2011/95/EU; vgl. dazu Kluth in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.11.2018, § 3e AsylG Rn. 6 f.).

b) Die Klägerinnen formulieren als weitere rechtsgrundsätzlich zu klärende Frage, „ob die Abschiebung eines Kindes, welches an frühkindlichem Autismus starker Ausprägung F84.0 und ADHS leidet und mit hoher Wahrscheinlichkeit geistig behindert ist, trotz bestehender medizinischer Versorgung in Nigeria ein Abschiebungsverbot anzunehmen ist, weil in Nigeria es bei dieser Krankheit unmöglich sei, ein menschenwürdiges Leben zu führen und das Kind in Nigeria mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht das Erwachsenenalter erreichen wird und mithin bei einer Rückkehr nach Nigeria einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre in Form des sicheren Todes oder schwerster Verletzungen“.

Eine grundsätzlich zu klärende Rechts- oder Tatsachenfrage ist mit dieser Frage, die sich speziell auf die Situation der Klägerin zu 2 bezieht und außerdem Unterstellungen der Klägerinnen hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen enthält, jedoch nicht dargelegt. Ob den Klägerinnen (bzw. der Klägerin zu 2) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzuerkennen ist, wie die Zulassungsbegründung weiter geltend macht, ist einer grundsätzlichen Klärung im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich.

In der Rechtsprechung des EGMR ist geklärt, dass unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten schwierige Lebensverhältnisse nur ausnahmsweise dann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen können, wenn die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen. Die Bestimmung dieses Mindestmaßes an Schwere ist relativ und hängt von allen Umständen des Falls ab, insbesondere von der Dauer der unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlung, den daraus erwachsenen körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen. Das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere kann erreicht sein, wenn ein Betroffener im Zielstaat der Abschiebung seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreicht sein muss, nicht zugänglich, vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles (siehe BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9 ff. m.w.N.). Eine solche Einzelfallwürdigung ist einer Grundsatzentscheidung nicht zugänglich.

Gleiches gilt für eine sog. Extremgefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer kann im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (vgl. zuletzt BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 13 m.w.N.). Ob ein solcher Ausnahmefall aufgrund einer Extremgefahr gegeben ist, muss individuell auf die Person des Betroffen bezogen untersucht und ggf. festgestellt werden und kann nicht Gegenstand einer Grundsatzrüge sein.

Hinsichtlich der Erkrankung der Klägerin zu 2 sind die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots aus gesundheitlichen Gründen in der Rechtsprechung und durch die Neufassung des § 60 Abs. 7 Satz 1 bis 4 AufenthG durch das Gesetz vom 11. März 2016 geklärt. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung und die mit einer Erkrankung verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen (als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten) im Abschiebezielstaat verschlimmern, ist in der Regel als am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfende individuelle Gefahr einzustufen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 - juris Rn. 15). Die Gesundheitsgefahr muss erheblich sein; die Verhältnisse im Abschiebezielstaat müssen eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes, erwarten lassen. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) mit Wirkung vom 17. März 2016 geänderten Fassung nachgezeichnet (vgl. NdsOVG, B.v. 19.8.2016 - 8 ME 87.16 - juris Rn. 4). Nach dieser Bestimmung liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Außerdem sind in die Beurteilung der Gefahrenlage sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, mit einzubeziehen. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann, wenn also die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, U. v. 29.10.2002 - 1 C 1.02 - juris Rn. 9), wobei allerdings die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichwertig oder überall gewährleistet sein muss (§ 60 Abs. 7 Satz 3 und 4 AufenthG). Die Prüfung dieser Fragen und der daraus zu ziehenden Folgerungen ist damit jedoch eine Frage des konkreten Einzelfalls, die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.

Im Grunde wenden sich die Klägerinnen mit den umfangreichen Ausführungen zur Erkrankung der Klägerin zu 2 und zu ihren persönlichen Lebensumständen gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das insoweit die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG versagt hat. Damit können sie jedoch die Zulassung der Berufung nicht erreichen, denn den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils wie in § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gibt es im Rahmen des § 78 Abs. 3 AsylG nicht.

2. Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ist gegeben, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 - 6 PB 15.03 - juris) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Sept. 2018, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 - 2 B 52.14 - juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 - 6 B 35.16 - juris Rn. 12 m.w.N.; Happ, a.a.O.; Rudisile, a.a.O.).

Die Klägerinnen verweisen hierzu - allerdings ohne nähere Darlegung - auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. August 2010 (11 B 08.30320 - juris), in dem dieser bei einem frühkindlichen Autismus ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bejaht habe.

In diesem Urteil hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof jedoch keinen abstrakten Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz aufgestellt. Die Zuerkennung des Abschiebungsverbots (bezüglich der Türkei) ergab sich nach einer eingehenden Beweisaufnahme zu der Erkrankung des dortigen Klägers und den in der Türkei bestehenden Behandlungsmöglichkeiten; ein wesentlicher Aspekt war, dass der dortige Kläger kein Türkisch sprach und schon aus diesem Grund eine angemessene Behandlung nicht möglich war (BayVGH a.a.O., Rn. 32). Es handelte sich um die Anwendung der Rechtsgrundsätze des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auf den konkreten Einzelfall, ohne dass damit „abstrakt“ festgestellt worden wäre, dass im Falle von frühkindlichem Autismus generell ein Abschiebungsverbot festzustellen ist.

3. Auch ein Verfahrensmangel im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG liegt nicht vor.

Die Klägerinnen bringen hierzu vor, nach der Vorlage entsprechender fachärztlicher Atteste sei das Verwaltungsgericht im Rahmen der ihm gemäß § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht verpflichtet gewesen, hierzu Beweis zu erheben; insoweit liege ein Verfahrensmangel vor.

Angebliche Fehler bei der Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind jedoch nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können daher nicht zur Zulassung der Berufung führen. Die im einfachen Prozessrecht verankerten Aufklärungs- und Erörterungspflichten des Gerichts (§ 86 Abs. 1 VwGO) sind, soweit sie über die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen hinausgehen, auch nicht von der Schutzwirkung des Rechts auf Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) umfasst (BayVerfGH, E.v. 29.1.2014 - Vf. 18-VI-12 - juris Rn. 15; Berlit in GK AsylG, Stand Nov. 2018, § 78 Rn. 262).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

IV.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren unter Beiordnung des Bevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die 1963 geborene Klägerin, eine georgische Staatsangehörige, ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG oder § 25 Abs. 5 AufenthG unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides des Landratsamts Günzburg vom 22. August 2014 weiter. Zudem beantragt sie, ihr für das Zulassungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig (1.). Unabhängig hiervon würde auch das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 3 VwGO) keine Zulassung der Berufung rechtfertigen (2.). Weder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 2.1) noch weist die Rechtssache die behaupteten tatsächlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; 2.2). Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schon nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt (2.3).

1. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels sind in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Der Klägerin fehlt für einen Antrag auf Zulassung der Berufung das Rechtsschutzbedürfnis, denn sie hat entgegen § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach ihrer am 18. September 2015 erfolgten Ausreise nach Georgien keine aktuelle ladungsfähige Anschrift angegeben. Selbst wenn also die geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegen würden, erwiese sich das Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als richtig, weil die auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage unzulässig geworden ist (BayVGH, B. v. 3.2.2016 - 10 ZB 15.1413 - juris).

Zur Bezeichnung eines Klägers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 130 Nr. 1 ZPO auch die Angabe seines Wohnortes (Aulehner in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 82 Rn. 8 m. w. N.). Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, unter der die Klägerin tatsächlich zu erreichen ist, ist erforderlich, um sie zu individualisieren und ihre Erreichbarkeit für das Gericht sicherzustellen. Es soll dadurch darüber hinaus auch gewährleistet werden, dass die Klägerin nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden und sich im Fall des Unterliegens ihrer Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Dies gilt auch für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren unter Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten (BVerwG, B. v. 14.2.2012 - 9 B 79.11 - juris Rn. 11) oder wenn sich - wie hier - während des Verfahrens die ladungsfähige Anschrift ändert. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur, wenn deren Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Solches wird nur dann angenommen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse entgegenstehen (vgl. BayVGH, B. v. 5.12.2007 - 19 ZB 06.2329 - juris Rn. 6). Hierfür reicht der Vortrag des Bevollmächtigten nicht aus, die Klägerin habe derzeit in ihrer Heimat keine eigene Wohnung, sondern müsse „notgedrungen bei Freunden und Bekannten wohnen“. Die Klägerin ist jedenfalls im für die Zulässigkeit des Rechtsmittels maßgeblichen Zeitpunkt dieses Beschlusses weder für das Gericht noch offenbar für ihren Prozessbevollmächtigten tatsächlich erreichbar.

Entspricht die Klage oder das Rechtsmittel nicht (mehr) den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO, ist der Klägerin gemäß § 82 Abs. 2 VwGO eine Frist zur Ergänzung ihrer Angaben zu setzen. Im vorliegenden Fall wurde der Bevollmächtigte der Klägerin daher mit gerichtlichem Schreiben vom 23. September 2015 aufgefordert, ihre aktuelle ladungsfähige Anschrift mitzuteilen; dies ist bis zum heutigen Tage nicht geschehen, weshalb das Rechtsmittel unzulässig geworden ist.

2. Selbst wenn man den Antrag auf Zulassung der Berufung als zulässig ansehen wollte, bliebe er in der Sache ohne Erfolg.

2.1 Aus dem allein maßgeblichen Vorbringen der Klägerin im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne bestünden nur dann, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt worden wäre (BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11); dies ist hier jedoch nicht der Fall.

2.1.1 Die Klägerin wendet sich zum einen gegen die Ablehnung eines Anspruchs auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1, 2 Satz 1 und 2 AufenthG. Sie trägt vor, wegen ihrer Eheschließung und Übersiedelung in das Bundesgebiet ihre Existenzgrundlage in Georgien verloren zu haben; dort habe sie eine gehobene Position in einem Hotel inne gehabt und damit Lebensunterhalt und Wohnung gesichert. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, sie könne sich nach ihrer Rückkehr auch als bereits 52-jährige Frau erneut eine Existenz in Georgien aufbauen, treffe angesichts der hohen Arbeitslosigkeit nicht zu. Sie könne auch nicht auf die Unterstützung ihrer inzwischen aus Georgien ausgewanderten Tochter zurückgreifen. Im Übrigen sei die Trennung der Eheleute allein vom Ehemann ausgegangen, von dem sie weitestgehend abhängig gewesen sei und der außereheliche Beziehungen geführt habe.

Mit diesem Vorbringen wird die im angefochtenen Urteil verneinte besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, zu deren Vermeidung der Klägerin ein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen sei, nicht dargetan. Eine solche besondere Härte erfordert eine Beeinträchtigung der schutzwürdigen Belange des ausländischen Ehegatten, die entweder wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung droht oder die das weitere Festhalten der Ausländerin an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar macht, weil sie beispielsweise Opfer häuslicher Gewalt geworden ist. Der Umstand, dass die Klägerin wegen der Heirat und der Übersiedlung in das Bundesgebiet ihre Arbeitsstelle, ihre Wohnung und die bestehenden sozialen Kontakte in Georgien aufgegeben hat, stellt jedoch keine sich aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft ergebende Folge dar, die eine besondere Härte begründet. Vielmehr ist die Aufgabe des bisherigen Lebens in der Heimat unabdingbare Folge der Aufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet gewesen. Dass die Klägerin nach mehr als vierjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet bei Rückkehr in das Heimatland zunächst gewissen Schwierigkeiten (z. B. bei der Suche einer Wohnung und Arbeitsstelle) ausgesetzt ist, erscheint zwar ohne weiteres nachvollziehbar, vermag aber schon deswegen nicht den Begriff der besonderen Härte zu erfüllen, weil mit derartigen Schwierigkeiten alle nach einigen Jahren in ihre Heimat zurückkehrenden Ausländer konfrontiert sind und Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Herkunftsstaats als typisch anzusehen sind; es ist nicht erkennbar, warum die Klägerin hiervon härter als andere, in einer vergleichbaren Situation befindliche Ausländer getroffen werden könnte. Vor allem aber sind die geltend gemachten, aus der Rückkehrverpflichtung resultierenden Beeinträchtigungen nicht ehebedingter Natur. Beeinträchtigungen durch etwa eine Erkrankung oder die allgemeinen Lebensverhältnisse im Heimatland vermögen in der Regel keine besondere Härte im Sinn von § 31 Abs. 2 AufenthG zu begründen, weil sie nicht mit der Ehe und ihrer Auflösung in zumindest mittelbarem Zusammenhang stehen (z. B. BayVGH, B. v. 3.7.2014 - 10 CS 14.687 - juris Rn. 13; allgemein zum Begriff der besonderen Härte: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, A1 § 31 Rn. 17 ff.) Auch das Alter der Klägerin vermag der Senat nicht als einen härtebegründenden Umstand anzusehen; im Gegenteil ist die Darstellung im angefochtenen Urteil überzeugend, wonach die Klägerin, die sich in der mündlichen Verhandlung als selbstständige Frau präsentiert habe, auf „soziale und berufliche Kontakte“ in Georgien zurückgreifen könne und dadurch eine Wiedereingliederung erleichtert werde. Keine Rolle spielt im vorliegenden Zusammenhang schließlich, ob die Klägerin tatsächlich unter teilweise falschen Versprechungen durch ihren Ehemann zur Übersiedlung in das Bundesgebiet veranlasst wurde, sowie der Umstand, dass er sich offenbar nicht „ehetreu“ verhalten hat.

2.1.2 Das angefochtene Urteil ist auch nicht insoweit ernstlich zweifelhaft, als es einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG verneint.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über den Zulassungsantrag. Demnach ist eine nachträgliche Änderung der Sachlage - wie hier die Rückkehr der Klägerin nach Georgien im September 2015 - bis zum Zeitpunkt der Entscheidung zu berücksichtigen (Seibert in Sodan/Ziekow, a. a. O., § 124a Rn.57; BayVGH, B. v. 16.3.2016 - 10 ZB 15.2109 - juris). Zum Zeitpunkt dieses Beschlusses ist die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG jedoch schon deswegen nicht zu beanstanden, weil das für diese Bestimmung erforderliche Tatbestandsmerkmal der vollziehbaren Ausreisepflicht nicht (mehr) gegeben ist, nachdem die Klägerin ihrer Ausreisepflicht nachgekommen und diese damit entfallen ist. Unabhängig hiervon war ihre Ausreise auch nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich, wie dies § 25 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verlangt.

Zur Begründung ihres Zulassungsantrags trägt sie insoweit vor, die erstmals im Bundesgebiet festgestellte Erkrankung (Mammakarzinom) sei zwar erfolgreich behandelt worden, notwendig bleibe jedoch eine permanente Nachsorge, die aber entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts in Georgien wegen der dort unzureichenden medizinischen Versorgung nicht gewährleistet sei. Die notwendigen Medikamente seien sehr beschränkt nur in wenigen Krankenhäusern zugänglich und auch für normale Bürger wie die Klägerin unerschwinglich. Die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Länderanalyse des georgischen Gesundheitswesens vom Juni 2011 sei unzutreffend und nicht ausreichend. Das dortige Gesundheitswesen entspreche bei weitem nicht deutschen Standards; dabei gehe es nicht um eine optimale Behandlung, sondern um die Frage, ob sich die Klägerin eine Behandlung überhaupt leisten könne. Nicht ausreichend sei, ihr einen gewissen Vorrat der benötigten Medikamente nach Georgien mitzugeben.

Mit diesem Vorbringen, mit dem die Klägerin keine Reiseunfähigkeit im engeren oder weiteren Sinne (vgl. hierzu: BayVGH, B. v. 23.10.2015 - 10 CS 15.2330 - juris Rn. 8; B. v. 23.10.2007 - 24 CE 07.484 - juris Rn. 15), sondern ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis rechtlicher Natur nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geltend macht, vermag sie ernstliche Zweifel am angefochtenen Urteil nicht zu begründen. Es wird schon nicht ausgeführt, warum die Analyse des georgischen Gesundheitswesens vom Juni 2011, nach der eine Versorgung der Bevölkerung mit den gängigen Medikamenten grundsätzlich sichergestellt ist, nicht mehr hätte zugrunde gelegt werden dürfen. Auch die von der Klägerin benötigten Medikamente stehen nach den insoweit nicht angegriffenen Ausführungen im Heimatland grundsätzlich zur Verfügung. Selbst wenn man die in der Zulassungsbegründung aufgezeigten Mängel der Gesundheitsversorgung (insbesondere fehlende Bezahlbarkeit und weitverbreitete Korruption) als gegeben ansieht, folgt hieraus noch nicht ohne weiteres eine der Klägerin drohende wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands, wie dies § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verlangt. Insbesondere der Umstand, dass nach erfolgreichem Abschluss der Primärbehandlung des Karzinoms das Landratsamt Günzburg mit Schreiben vom 25. Juni 2015 (S. 3) zugesichert hat, die Kosten der für das von der Klägerin benötigte Präparat für einen Gesamtzeitraum von fünf Jahren (ab der am 21. Januar 2015 begonnenen antihormonellen Therapie) zu übernehmen, widerlegt die Behauptung einer drohenden Gesundheitsgefährdung. Infolge der Zusicherung kommt der Frage der Finanzierbarkeit der notwendigen Medikamente in Georgien keine Relevanz mehr zu. Soweit die Klägerin darauf hinweist, die ärztliche Versorgung im Bundesgebiet sei qualitativ hochwertiger als diejenige in Georgien, ist auf § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG (in der ab 17. März 2016 gültigen Fassung) hinzuweisen. Danach kann nicht verlangt werden, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist; ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung in seinem Heimatland verweisen lassen (OVG NW, B. v. 27.7.2006 -18 B 586/06 - juris).

2.2 Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Dies wäre dann der Fall, wenn die Angriffe der Rechtsmittelführerin begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geben, die sich nicht ohne weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern (Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 106). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, wie die vorstehenden Ausführungen (2.1) zeigen.

2.3 Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist schon nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend in ausreichender Weise dargelegt.

Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen, von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, „wie weit allgemeine Begründungen des Gerichts in einem solchen Fall…gehen müssen und ob eine mehrere Jahre alte Analyse ... für eine Entscheidung mit dieser Bedeutung … ausreichend“ sei, schon deswegen nicht gerecht, weil hiermit keine konkrete verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage mit entscheidungserheblicher Bedeutung aufgeworfen wird.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten war abzulehnen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Da der Antrag auf Zulassung der Berufung nach den vorstehenden Ausführungen abzulehnen war, bot die Rechtsverfolgung der Klägerin auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 114, 121 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Die Gebühren richten sich nach dem Wert des Streitgegenstands (Streitwert), soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Kosten werden nach dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz erhoben.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.