Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 03. Feb. 2015 - L 20 R 50/13

bei uns veröffentlicht am03.02.2015

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.12.2012 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehegatten hat.

Die 1946 geborene Klägerin stellte mit Schreiben vom 21.11.2011 am 23.11.2011 formlos und am 07.12.2011 formblattmäßig einen Antrag auf Witwenrente aus der Versicherung des 1944 geborenen und am 13.11.2011 verstorbenen Versicherten H. A.

Der Versicherte und die Klägerin waren am 21.12.1991 zum ersten Mal die Ehe miteinander eingegangen und wurden durch ein am 04.08.2009 rechtskräftig gewordenes Scheidungsurteil des Amtsgerichts B-Stadt geschieden, nachdem sie seit Januar 2000 voneinander getrennt gelebt hatten und die Klägerin die Scheidung beantragt hatte. Am 13.09.2011 gingen die Klägerin und der Versicherte ein zweites Mal die Ehe miteinander ein.

Im Hinterbliebenenrentenantrag wurde angekreuzt, dass die Heirat zur Sicherung der erforderlichen Betreuung und Pflege des ständig auf Pflege angewiesenen Ehegatten erfolgt sei und der Tod des Ehegatten bei Eheschließung auf absehbare Zeit nicht zu erwarten gewesen sei. Die Klägerin belegte, dass sie selbst seit 01.09.2011 eine Regelaltersrente von der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern bezieht, wobei die laufende Zahlung monatlich 638,42 Euro betragen hat.

Die Beklagte zog verschiedene ärztliche Unterlagen zum Verfahren bei. Laut einem Arztbrief des Klinikums B-Stadt vom 16.08.2011 hatte sich der Versicherte vom 01.08.2011 bis 16.08.2011 dort in stationärer Behandlung befunden. Als Hauptdiagnose ist von den Ärzten ein fortgeschrittenes Adenokarzinom des Pankreas mit Lymphknotenmetastasen, fortgeschrittener Lebermetastasierung, fortgeschrittener disseminierter pulmonaler Metastasierung sowie ossärer Metastasierung festgehalten. Beim Versicherten habe in der Vergangenheit ein Äthanolabusus bestanden; er sei geschieden und lebe alleine. Die ambulante Weiterbehandlung bestehe in einer palliativen Chemotherapie.

Über eine erneute stationäre Behandlung vom 17.10.2011 bis 29.10.2011 im Onkologischen Zentrum des Klinikums B-Stadt wurde im Arztbrief vom 29.10.2011 berichtet. Der allgemeine Zustand des Klägers wurde dabei als stark reduziert beschrieben und zur Verbesserung der parenteralen Ernährung wurde eine Überleitung für den ambulanten Bereich an die Diakonie S. als Pflegedienst und Versorger vorgesehen. Vom 08.11.2011 bis 12.11.2011 erfolgte eine stationäre Behandlung im H.-Klinikum in L. Hierbei wurde neben den Lungenmetastasen eine frische Lungenarterienembolie festgestellt. Die Entlassung des Versicherten am 12.11.2011 erfolgte auf eigenes Verlangen; am Folgetag verstarb er.

Am 20.12.2011 gab die behandelnde Allgemeinärztin I. S. an, dass beim Kläger seit August 2011 ein Pankreaskarzinom festgestellt worden sei, das mit einer Chemotherapie behandelt worden sei, nachdem keine Operationsmöglichkeit bestanden habe. Es sei eine rasche Befundverschlechterung durch Lungenembolie eingetreten.

Die beratende Ärztin der Beklagten Dr. S. kam am 04.01.2012 zum Ergebnis, dass im Rahmen des stationären Aufenthaltes im August 2011 der Nachweis eines schweren multiplen metastasierenden Krebsleidens erfolgt gewesen sei, das nur noch mit einer palliativen Behandlung zur Linderung der Krankheitsfolgen behandelt habe werden können. Im weiteren Verlauf habe ein stark reduzierter Allgemeinzustand imponiert. Im September 2011 sei bereits mit einem baldigen Tod des Versicherten zu rechnen gewesen.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.01.2012 die Gewährung einer Witwenrente ab, da nach der gesetzlichen Vermutung des § 46 Abs. 2a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) bei einer Ehe, die zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten weniger als ein Jahr gedauert habe, das Vorliegen einer Versorgungsehe vermutet werde. Laut den eingesandten Unterlagen habe zum Zeitpunkt der Eheschließung mit dem baldigen Tod des Ehemannes der Klägerin gerechnet werden müssen.

Daraufhin legte die Klägerin mit Schreiben vom 19.01.2012 Widerspruch ein und trug vor, dass in dem angefochtenen Bescheid die erste Ehe mit dem verstorbenen Versicherten nicht berücksichtigt worden sei. Es sei für die Zeit dieser Ehe kein Versorgungsausgleich durchgeführt worden und es solle geprüft werden, ob ihr für diese Ehejahre eine Witwenrente zustehe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2012 zurück. Auch die frühere Ehe der Klägerin stehe der Annahme einer Versorgungsehe nicht entgegen. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass bei der damaligen Scheidung durch das Familiengericht ein Versorgungsausgleich ausgeschlossen gewesen sei. Das Amtsgericht B-Stadt habe dies mit einer ununterbrochenen Berufstätigkeit beider Ehepartner begründet, weshalb durch die Eheschließung keinerlei Nachteile des beruflichen Fortkommens der Ehepartner eingetreten gewesen seien und deshalb auch kein Ausgleich habe erfolgen müssen. Die Klägerin habe keine anderen, für die Eheschließung in gleichem Maße ausschlaggebenden Gründe beweisen können, so dass weiterhin von der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe auszugehen sei.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 31.05.2012 beim Sozialgericht Bayreuth Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, dass sie und der verstorbene Versicherte auch nach der Scheidung niemals den Kontakt zueinander hätten abreißen lassen. Sie seien sich bereits seit dem Jahr 2010 wieder näher gekommen. Dies habe schließlich dazu geführt, dass die Klägerin im April 2011 wieder in den gemeinsamen Haushalt nach S. eingezogen sei. Eine postalische Ummeldung sei erst im August 2011 erfolgt, nachdem die Klägerin ihr Haus in S. verkauft gehabt habe. Der gemeinsame Haushalt sei sowohl von der Klägerin als auch vom verstorbenen Versicherten finanziert worden. Der Versicherte habe seit dem 01.01.2009 eine Regelaltersrente in Höhe von monatlich rund 820 Euro bezogen. Da in dem gemeinsam bewohnten Eigenheim keine Mietkosten angefallen seien, sei die Klägerin finanziell unabhängig von ihrem Ehemann gewesen. Sie habe aufgrund des Verkaufes ihres eigenen Hauses auch über genügend Rücklagen für eventuelle Notfälle verfügt. Da so die zu erwartende Witwenrente im Verhältnis zu ihrer eigenen Versorgung nur einen geringen Teil beitrage, würden diese Umstände das mögliche Motiv einer Versorgungsehe deutlich in den Hintergrund treten lassen, wie das Sozialgericht Würzburg (im Urteil vom 15.09.2004, Az.: S 8 RJ 697/02) als Ausschlussgrund für eine Versorgungsehe anerkannt habe. Als weiterer besonderer Umstand sei zu bedenken, dass die Ehegatten schon vor der Eheschließung in eheähnlicher Gemeinschaft gelebt hätten, was für die vom Gesetzgeber gewollte gesetzliche Vermutung nur wenig Raum lasse. Erst im August 2011 habe der Versicherte von seiner schwerwiegenden Krebserkrankung erfahren. Im Anschluss daran habe er auf eine Heirat gedrängt, damit für ihn die notwendige Betreuung und Pflege abgesichert werde. Bei der Eheschließung am 13.09.2011 sei noch nicht absehbar gewesen, dass die Erkrankung des Versicherten alsbald zum Tod führen würde. Auch bei einer palliativen Behandlung werde auf die Behandlung der Erkrankung nicht verzichtet. Beide Ehegatten hätten Planungen für die Zukunft unternommen. So habe der Versicherte mit der Klägerin zusammen im Frühjahr 2012 eine Fahrradtour unternehmen wollen und es seien für den Versicherten auch noch umfangreiche Ausrüstungen für seine Hobbywerkstatt angeschafft worden. Der Allgemeinzustand des Versicherten sei zwar bei Aufnahme im Klinikum B-Stadt am 29.10.2011 erheblich reduziert gewesen, bei der Entlassung jedoch als deutlich gebessert beschrieben worden. Dem Versicherten sei die Pflegestufe II zuerkannt worden und er sei von der Klägerin bis zu seinem Versterben gepflegt worden. Es sei hiermit der volle Gegenbeweis dafür erbracht, dass bei der Heirat der Klägerin nicht das Motiv der Begründung eines Versorgungsanspruches im Vordergrund gestanden habe.

Die Beklagte hat hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Anerkennung des Motivs der Sicherung der erforderlichen Pflege auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 03.09.1986 (Az.: 9a RV 8/84) verwiesen und dargelegt, dass dies nur dann Berücksichtigung finden könne, wenn mit einem Ableben des zu Pflegenden auf absehbare Zeit nicht zu rechnen gewesen sei.

Nach Anhörung der Beteiligten in einem Erörterungstermin vom 28.11.2012 hat das Sozialgericht Bayreuth am 11.12.2012 durch Gerichtsbescheid entschieden. Es hat die Klage abgewiesen, da sich aus dem tatsächlichen Geschehensablauf keine Rückschlüsse auf eine überwiegend nicht in Versorgungsabsicht erfolgte Eheschließung hätten ziehen lassen. Auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgetragenen subjektiven Beweggründe habe sich nicht ein mindestens gleichwertiges anderes Motiv für die Eheschließung feststellen lassen. Zu berücksichtigen sei gewesen, dass bei der Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidenden Versicherten in der Regel von einer Versorgungsehe auszugehen sei und bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen inneren und äußeren Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen sollten, umso gewichtiger seien müssten, je offenkundiger und lebensbedrohlicher die Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen sei. Eine palliative Chemotherapie mit Gemzar werde nach den medizinischen Standards (Onkologie 2012.de) nur bei inoperablen lebensbedrohenden Erkrankungen durchgeführt. Auch sei zur Überzeugung des Gerichts die erneute Ehe nicht aufgrund eines langjähren Zusammenlebens geschlossen worden, da die Klägerin und der Versicherte nach dem Scheidungsurteil bereits seit Januar 2000 getrennt gelebt hätten und ein erneutes Zusammenleben nach den Angaben der Klägerin erst seit April 2011 erfolgt sei, wobei selbst dieses nach den Angaben im Arztbericht des Klinikums B-Stadt vom 16.08.2011 zweifelhaft sei. Belegt sei ein Zusammenziehen erst für die Zeit nach dem Klinikaufenthalt im August 2011. Gegen die Vermutung, dass die erneute Ehe nicht zu Versorgungszwecken, sondern zur Absicherung von Betreuung und Pflege erfolgt sei, spreche auch die Tatsache, dass nach Auskunft der zuständigen Pflegekasse die Pflegestufe II erst aufgrund des Befundberichtes des Klinikum B-Stadt vom 29.10.2011, also erst über einen Monat nach der zweiten Eheschließung zuerkannt worden sei, wenn auch rückwirkend zum 01.08.2011.

Am 11.01.2013 hat die Klägerin gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Das konkrete Ausmaß der Schwere der Erkrankung des Versicherten sei der Klägerin in vollem Umfang nicht bewusst gewesen. Auch aus den in den Akten befindlichen Arztberichten lasse sich nicht erkennen, wann mit einem Ableben des Versicherten zu rechnen gewesen sei. So beschreibe beispielweise der Befundbericht des Klinikums B-Stadt vom 29.10.2011 bei der Entlassung einen deutlich gebesserten Allgemeinzustand bei Verbesserung der Ernährung sowie eine Beschwerdefreiheit.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Schwere der Erkrankung für die Beteiligten auch dadurch ersichtlich gewesen sei, dass eine Eheschließung nur in der Wohnung des Versicherten habe durchgeführt werden können. Eine anhaltende durch entsprechende Befunde belegte manifeste Zustandsbesserung habe bei der Erkrankung des Versicherten nicht festgestellt werden können. Eine zwischenzeitliche Besserung des Krankheitsverlaufes im Sinne eines verbesserten Ernährungszustandes und eine subjektive Beschwerdefreiheit seien immer nur für ein zeitlich begrenztes Ereignis anzusehen, welches an der Bewertung des medizinischen Befundes grundsätzlich nichts zu ändern vermöge.

Die Klägerin hat ergänzend vorgetragen, dass sie bereits im März 2011 wieder zu dem Versicherten gezogen sei und ab diesen Zeitpunkt die gemeinsame Hochzeit geplant worden sei. Sie hätte ursprünglich bereits im August 2011 stattfinden sollen, weshalb die Klägerin im Juni 2011 ihr eigenes Haus verkauft habe. Der Wunsch des verstorbenen Versicherten, die Pflege durch seine Ehefrau mittels der Heirat sicher zu stellen, sei auch gegenüber der behandelnden Ärztin geäußert worden, die als Trauzeugin bei der Eheschließung anwesend gewesen sei. Weder der Versicherte noch die Klägerin hätten mit einem kurzfristigen baldigen Ableben des Versicherten gerechnet; so sei für Juni 2012 bereits ein gemeinsamer Österreich-Urlaub geplant gewesen.

Vorgelegt worden ist ein ärztliches Attest der Allgemeinärztin I. S. vom 13.09.2011, wonach sich der Versicherte trotz schwerer Erkrankung im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befunden habe und aus ärztlicher Sicht voll geschäftsfähig gewesen sei.

Der Senat hat ärztliche Unterlagen zur Behandlung des Versicherten beim Onkologen Dr. C. in B-Stadt beigezogen. Dieser hat hierzu ausgeführt, dass sich der Versicherte erstmalig am 23.08.2011 zusammen mit seiner - späteren - Ehefrau in der Praxis vorgestellt habe und an diesem Tag eine ausführliche Beratung und Untersuchung erfolgt sei und eine 25-minütige Beratung dokumentiert sei. Die palliative Chemotherapie sei ebenfalls mit dem Versicherten und der Klägerin besprochen worden. In der Folgezeit sei es zu einer kontinuierlichen Verschlechterung des Allgemeinzustandes gekommen, was auch Ablassen von Wasser aus der Bauchhöhle erforderlich gemacht habe. Eine weitere ausführliche Beratung sei am 04.10.2011 dokumentiert und am 26.10.2011 eine zweimalige telefonische Beratung der Ehefrau über insgesamt 15 Minuten. Die ernste und schlechte Prognose sei besprochen worden. Vorgelegt worden ist ferner eine Patientenaufklärung über die Chemotherapie, die in Anwesenheit der Klägerin erfolgt sei. Ein Arztbrief an die Allgemeinärztin I. S. ist am 11.09.2011 verfasst worden.

In einem Erörterungstermin vom 28.10.2014 hat die Klägerin angegeben, dass Auslöser für den Wegzug aus der früheren Ehewohnung ihre damalige Arbeitslosigkeit gewesen sei. Ein tägliches Pendeln zur neuen Arbeitsstelle sei nicht möglich gewesen. Sie habe sich damals entschlossen, dort ein kleines Haus zu Wohnzwecken zu erwerben. Ihr Ehemann sei seinerzeit nach einer Gehirnoperation in früheren Jahren gesundheitlich eingeschränkt gewesen und habe aus diesem Grund eine Rente bezogen. Der tatsächliche Ablauf des Zusammenlebens in den damaligen Jahren sei so gewesen, dass ihr Ehemann ein Wochenende bei ihr zu Hause gewesen sei und sie am folgenden Wochenende zu ihm gefahren sei, um die Wohnung in Ordnung zu bringen. Sie habe das Haus im Juli 2000 erworben und ihr sei damals gesagt worden, dass sie sich dort auch melderechtlich anmelden müsse. Das Beibehalten eines Nebenwohnsitzes sei nicht thematisiert worden. Sie habe aber nach wie vor einen großen Teil ihrer Sachen in dem Haus ihres Ehemannes gehabt. Einige Monate vor dem Scheidungsantrag im September 2008 sei es zu einem Zerwürfnis mit gegenseitigen Vorwürfen gekommen, das dann dazu geführt habe, dass die Klägerin aus spontaner Erregung den Antrag auf Scheidung gestellt habe. Warum sie das Scheidungsverfahren nicht gestoppt habe, könne sie heute nicht mehr sagen. Möglicherweise habe sie nicht gewusst, dass so etwas möglich sei. Jedenfalls hätten die Klägerin und der Versicherte schon an Weihnachten nach der Scheidung die Tatsache der Scheidung bereut. Ihr Ehemann habe sowohl in der Trennungszeit vor der Scheidung als auch nach der Scheidung ihr bei ihren beiden Krebserkrankungen beigestanden. Auf die Frage warum die Klägerin nicht bereits im Zuge ihrer Berentung im Jahre 2006 wieder mit dem Kläger zusammengezogen sei, gab die Klägerin an, ihr Haus sei noch nicht abbezahlt gewesen und hätte zu diesem Zeitpunkt nicht veräußert werden können. Das Haus sei für ihre Altersvorsorge bzw. für ihre Tochter gedacht gewesen. Sie sei im Februar/März 2011 zunächst für längere Zeit und dann dauerhaft wieder zu ihrem Ehemann umgezogen. Er habe sich seinerzeit einer Operation am Handgelenk unterziehen müssen und es sei ihm gesundheitlich insgesamt nicht besonders gut gegangen. Schon im Frühjahr hätten sie dann über eine erneute Hochzeit nachgedacht. Zum 90. Geburtstag der Tante ihres Ehemannes hätte diese, nachdem sie von seiner Erkrankung erfahren hatte, ihm das Versprechen abgenommen, erneut mit der Klägerin die Ehe einzugehen. Zunächst sei die Eheschließung schon zum 65. Geburtstag der Klägerin im August 2011 geplant gewesen, dann jedoch verschoben worden, nachdem der Versicherte seinerzeit noch in der Klinik gewesen sei. Auf Vorhalt, dass in den Akten bereits im September 2011 eine Verordnung von Krankenbeförderung für den Versicherten erkennbar sei, hat die Klägerin angegeben, dass dies seitens der Ärztin so verordnet worden sei; ihr Ehemann habe tatsächlich jedoch seinerzeit noch mit dem Auto fahren können. Das in den Akten befindliche Attest der Hausärztin zur Geschäftsfähigkeit des Versicherten sei im Hinblick auf eine Testamentserstellung gefertigt worden; diese Testamentserstellung beim Notar sei einen Tag nach der Eheschließung erfolgt. Die Klägerin hat weiter ausgeführt, dass das Testament zur Absicherung eines Wohnrechtes für sie habe dienen sollen; dieses habe sie aber zwischenzeitlich aufgegeben. Der Versicherte habe ausschließlich von ihr gepflegt werden wollen. Der ganz zuletzt miteingeschaltete ambulante Pflegedienst sei notwendig gewesen, weil die Klägerin die zu dieser Zeit erforderliche künstliche Ernährung nicht habe allein durchführen können. Es sei darauf zu verweisen, dass der Versicherte letztlich nicht unmittelbar am Karzinom, sondern an einer Lungenembolie verstorben sei.

Die Klägerin hat noch eine General- und Vorsorgevollmacht hereingereicht, die am 09.03.2011 notariell erstellt worden ist und in der sie ihrem geschiedenen Ehemann umfassende Vollmachten erteilt hat.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin neu vorgetragen, dass sie Anfang des Jahres 2011 im Rathaus E. angerufen haben will, um - ohne bereits einen bestimmten Termin zu nennen - nachzufragen, ob eine Trauung im dortigen Schloss möglich sei; zugleich habe sie eine Abschrift ihrer Abstammungsurkunde angefordert.

Die Klägerin hat den Ausführungen des Dr. C. widersprochen; dieser habe nicht ein baldiges Ableben des Versicherten angekündigt, sondern eine weitere Lebensdauer von einem halben oder Dreiviertel-Jahr und mit Glück auch mehr als einem Jahr für möglich angesehen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.12.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 09.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente in gesetzlicher Höhe aus der Versicherung des H. A. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.12.2012 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der dort enthaltenen ärztlichen Unterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwenrente gemäß § 46 SGB VI; der Anspruch ist vielmehr gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen.

Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI haben Hinterbliebene keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Als besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles anzusehen, die auf von der Versorgungsabsicht verschiedene Beweggründe für die Heirat schließen lassen (BSG, Urteil vom 05.05.2009, B 13 R 55/08 R m. w. N. - nach juris).

Die Annahme eines anspruchsausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind. Dabei sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles zu prüfen, die auf von der Versorgungsabsicht verschiedene Beweggründe für die Heirat schließen lassen. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in eine Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalles zu bewerten (BSG, Urteil vom 06.05.2010, B 13 R 134/08 R; BSG vom 05.05.2009 a. a. O. - nach juris).

Die Umstände sind nachzuweisen; die Beweislast trägt, wer die Hinterbliebenenrente beantragt - hier also die Klägerin. Im Rahmen der Gewichtung ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a HalbsSGB VIB VI nicht erfüllt. Doch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet - überwiegend oder zumindest gleichwertig - aus anderen als Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei abschließender Gesamtbewertung diejenigen besonderen - inneren und äußeren - Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten im Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist. Demgemäß steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme (Vermutung) einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden (BSG vom 05.05.2009 und vom 06.05.2010 a. a. O.).

Das Bemühen der Klägerin, den Eindruck zu erwecken, als wenn sie über lange Jahre durchgängig in einer nur durch äußere Umstände etwas ungewöhnlichen, aber sonst funktionierenden ehelichen bzw. zeitweise eheähnlichen Beziehung gelebt hätte, vermag nicht zu überzeugen. Mag der Erwerb einer eigenen Immobilie in der Nähe einer neuen Arbeitsstelle noch nachvollziehbar sein, so führt dies üblicherweise nicht dazu, die Meldung am Familienwohnsitz aufzugeben. Noch weniger verständlich ist, warum das auswärtige Wohnen auch nach Eintritt der Klägerin in den vorzeitigen Ruhestand nicht verändert worden ist. Dies legt nahe, dass die im Scheidungsverfahren behauptete Trennung der Klägerin von ihrem Ehemann seinerzeit auch tatsächlich vorgelegen hatte, wenn sie vielleicht auch nicht stringent durchgehalten worden sein mag. Die von der Klägerin nach ihren Angaben in spontaner Erregung veranlasste und schon bald bereute Durchführung des Scheidungsverfahrens hat immerhin eine Zeitdauer von mehr als 6 Monaten umfasst. Dass es der anwaltlich beratenen Klägerin unbekannt gewesen sein will, dass sie das Scheidungsverfahren jederzeit noch hätte abbrechen können, erscheint unglaubwürdig und deckt sich nicht mit dem aktenkundigen Vorgehen der Klägerin im Scheidungsverfahren. Der weiter angegebene Grund, dass das erneute Zusammenziehen seinerzeit wegen einer Unveräußerbarkeit der noch nicht schuldenfreien Immobilie unterblieben sei, kann in keiner Weise überzeugen.

Auch die von der Klägerin im Verlauf des Verfahrens vorgetragene Behauptung, dass schon im Februar/März 2011 der Zusammenzug mit dem Versicherten erneut erfolgt sei und dies folgerichtig in die erneute Eheschließung gemündet habe, vermag nicht zu überzeugen. So hat die Klägerin den Zeitpunkt des erneuten Zusammenzugs, d. h. ohne Pendeln zwischen dem Haus der Klägerin und dem des Versicherten, nicht konsistent beschrieben. Gerade durch die aktuell nachgereichten Unterlagen hat sich als weiteres Indiz ergeben, dass sie erstens zu dieser Zeit, d. h. im März 2011, ihre Wohnung noch nicht offiziell beim Kläger gehabt hatte und zweitens für die Regelung zukünftiger Handlungsmöglichkeiten ihres geschiedenen Ehemannes eine notarielle Vereinbarung auf dem damaligen Stand für erforderlich hielt und nicht etwa bereits mit einer alsbaldigen Wiederverheiratung geplant gehabt hatte. Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschilderten Vorgänge im Januar 2011 harmonieren zwar kaum mit dem früheren Vorbringen der Klägerin, in dem sie die verstärkte Wiederannäherung an ihren früheren Ehemann erst für einen späteren Zeitpunkt berichtet hatte. Aber selbst wenn man das neue Vorbringen als zutreffend unterstellt, so stellt sich die Erkundigung nur als unverbindliche Sondierung von Gegebenheiten und Terminen dar und führt nicht dazu, dass bereits ein genau festgesetzter Heiratsplan vorgelegen hätte, der anschließend nur noch so umgesetzt worden wäre. Für den Senat bleibt es dabei, dass nach den objektiven Umständen ein erneutes Zusammenziehen und die konkrete Heiratsvorbereitung erst nach der Kenntnis der Klägerin und des Versicherten von dessen lebensbedrohlicher Erkrankung belegt sind; hierfür sprechen auch die Angaben in den ärztlichen Unterlagen des Klinikums B-Stadt.

Die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung und die begrenzte Lebenserwartung der Versicherten müssen den Beteiligten auch klar gewesen sein. Dies ist aus den ärztlichen Angaben des Dr.C. zu den stattgehabten Aufklärungsgesprächen und dem Vortrag der Klägerin zu dem vom Versicherten auf Drängen seiner Tante abgegebenen Versprechen der Wiederverheiratung zu ersehen. Auch die zeitlich unmittelbar nach der Eheschließung veranlassten testamentarischen Regelungen deuten in diese Richtung. Außerdem macht das Attest der I. S. nur bei einer derart schweren Erkrankung Sinn. Und schließlich spricht selbst der aktuelle Vortrag der Klägerseite, wonach sie die Angaben des Dr. C. damit anzweifeln will, dass jener zur Krankheitsperspektive geäußert haben solle, mit Glück könne der Versicherte auch noch länger als ein Jahr leben, eher für als gegen die Kenntnis von der begrenzten Lebenserwartung des Versicherten in Folge seiner lebensbedrohlichen Erkrankung.

Für die von der Klägerin vorgetragene Zukunftsplanung des Versicherten gab es - die Richtigkeit des Vortrags unterstellt - keinerlei objektive Anknüpfungspunkte; im Umgang mit tödlich Erkrankten wird von psychologischer Seite jedoch oft empfohlen, auch unrealistischen Zukunftswünschen nachzukommen. Soweit die Klägerseite aus dem Arztbrief vom 29.10.2011 eine gesundheitliche Besserung herauslesen will, entspricht dies nicht dem dort ersichtlichen Gesamttenor. Durch die optimierte Gestaltung der künstlichen Ernährung konnte zwar die ernährungsbedingte stationäre Behandlungsbedürftigkeit zunächst wieder beseitigt werden; der Gesamtzustand des Versicherten blieb gleichwohl schlecht.

Dass der Versicherte beim Vorliegen von Lungenmetastasen einer Karzinomerkrankung an einer Lungenembolie verstorben ist, stellt sich nicht als atypischer Verlauf dar, zumal hierdurch kein überraschendes Versterben des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung bedingt war; bei einem fortgeschrittenen, nur noch palliativ behandelbaren Pankreaskarzinom ist die Lebenserwartungsdauer bekanntermaßen äußerst limitiert.

Für die Anwendung von § 46 Abs. 2a SGB VI kommt es nicht darauf an, bei den beteiligten Eheleuten eine tatsächliche Versorgungsabsicht zu belegen, sondern es sind von der Versorgungsabsicht unterschiedliche, zumindest gleichwertige andere Gründe für die Eheschließung nachzuweisen. Insofern kommt dem in Bezug genommenen Urteil des SG Würzburg, das zudem in der Berufungsinstanz aufgehoben worden war (Urteil des BayLSG vom 18.04.2007 Az: L 19 R 603/04), keine Bedeutung zu. Unbeachtlich ist auch, dass für die erste Ehe der Klägerin kein Versorgungsausgleich durchgeführt worden war - für den wohl auch keine zwingende Notwendigkeit bestanden gehabt hatte.

In dem von der Klägerin ebenfalls geltend gemachten und von der Rechtsprechung im Einzelfall anerkannten Grund der Absicherung der künftigen Pflege lässt sich im vorliegenden Fall zur Überzeugung des Senats kein zumindest gleichwertiger Grund mit der gesetzlich unterstellten Versorgungsabsicht ersehen. Einerseits ist der gegenseitige Beistand der Eheleute nach der Einlassung der Klägerin auch in den Zeiten, in denen sie von ihrem Ehemann geschieden gewesen war, auf der Basis der langjährigen Beziehung geleistet worden. Andererseits war bei der objektiv ungünstigen Prognose zur Lebenserwartung auch nicht eine Sicherstellung der Pflege für einen langen, mehrere Jahre umfassenden Zeitraum erforderlich und der Absicherung der zukünftigen Pflege auch für möglicherweise zukünftig geänderte Rahmenbedingungen kam somit weniger Bedeutung zu. Tatsächlich war die Klägerin zur Durchführung der Pflege ohne Hinzuziehung von Fachpflegekräften nach der Eheschließung gerade einmal für rund einen Monat in der Lage gewesen.

Andere Gründe, die die Klägerin anführen könnte, sind nicht ersichtlich.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.12.2012 ist somit im Ergebnis nicht zu beanstanden und die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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1.
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2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer großen Witwenrente.

2

Die 1950 geborene Klägerin lebte seit 1978 mit dem 1946 geborenen und am 27.7.2004 verstorbenen Versicherten in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Sie heirateten am 2.7.2004. Aus der ersten Ehe der Klägerin waren ein Sohn und eine Tochter hervorgegangen, aus der ersten Ehe des Versicherten eine Tochter. Die Klägerin hatte in den Jahren 2003 und 2004 ein monatliches Bruttoeinkommen von ca 2.400 Euro aus ihrer Beschäftigung als Apothekenhelferin.

3

Im Oktober 2002 erkrankte der Versicherte an einem Blasenkarzinom, das operativ entfernt wurde. Im Februar 2004 wurde eine fortschreitende Metastasierung diagnostiziert. Die ab 1.6.2004 durchgeführte Chemotherapie diente lediglich palliativen Zwecken. Der Versicherte wurde in den Zeiträumen vom 24.5. bis 3.6.2004 und vom 8.6. bis 10.6.2004 stationär behandelt, danach aufgrund einer deutlichen Verschlechterung erneut vom 14.6. bis 10.7.2004, wobei die Chemotherapie abgebrochen und die Behandlung mit Morphin fortgesetzt wurde. Unter dieser Medikation war der Versicherte mit Hilfe eines Stützrollators zeitweise gehfähig. Die Eheschließung erfolgte am 2.7.2004 auf der Krankenstation. Zur Entlassung des Versicherten wurde eine sog Homecare-Betreuung eingerichtet. Am 27.7.2004 wurde der Versicherte notfallmäßig erneut stationär aufgenommen; er verstarb noch am selben Tag.

4

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente lehnte die Beklagte ab, da sie von einer sog Versorgungsehe gemäß § 46 Abs 2a SGB VI ausging(Bescheid vom 13.6.2005, Widerspruchsbescheid vom 28.10.2005).

5

Das SG Berlin hat - nach Vernehmung der Schwester, des Sohnes und der Tochter der Klägerin sowie nach deren persönlicher Anhörung - die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids verurteilt, der Klägerin ab 27.7.2004 Witwenrente aus der Versicherung des Verstorbenen zu gewähren. Dem Anspruch stehe der Ausschlussgrund gemäß § 46 Abs 2a SGB VI nicht entgegen.

6

Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 31.1.2007 die Berufung der Beklagten nach persönlicher Anhörung der Klägerin zurückgewiesen unter Neufassung des Tenors, dass der Klägerin ab 27.7.2004 große Witwenrente zu gewähren sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs 2a SGB VI sei nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens widerlegt, weil zur Überzeugung des Senats trotz der sehr kurzen Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass die Versorgung der Klägerin der alleinige oder überwiegende Zweck der Eheschließung gewesen sei. Hierbei stütze sich der Senat auf die glaubhaften Einlassungen der Klägerin in ihren vorbereitenden Schriftsätzen, im Termin zur mündlichen Verhandlung und auf die Aussagen ihrer vom SG als Zeugen vernommenen Kinder. Danach stehe fest, dass - neben Versorgungserwägungen - zumindest gleichgewichtiger Zweck der Eheschließung gewesen sei, der beiderseitigen Liebesbeziehung nach langjährigem Zusammenleben durch den Akt der Eheschließung den - nach Wortwahl der Klägerin - "offiziellen Segen" zu geben und so eine Rechtsposition zu erlangen. Die Klägerin habe überzeugend ausgeführt, dass der Heiratswunsch schon viele Jahre vor der Krebserkrankung bestanden habe, jedoch aus finanziellen Gründen und familiären Erwägungen nicht eher realisiert habe werden können. Die mit dem Versicherten im Familienverbund lebenden Kinder der Klägerin, die ihn als "Vater" angesehen hätten, hätten die langjährige Heiratsabsicht ebenfalls bestätigt.

7

Der Umstand der seit 1978 gelebten langjährigen Liebesbeziehung stehe einem überwiegenden Versorgungsgedanken entgegen. Die Liebesbeziehung sei ohnehin nicht auf gegenseitige Versorgungsansprüche ausgerichtet gewesen, weil die Klägerin einer vollschichtigen Berufstätigkeit nachgegangen sei, mit der sie ohne Weiteres ihren eigenen Lebensunterhalt habe sichern können. Dies habe die Klägerin vor dem Senat eindrucksvoll dargelegt.

8

Ebenso wenig spreche der Krankheitsverlauf des Versicherten gegen diese Einschätzung. Die Klägerin habe glaubhaft ausgeführt, dass sie trotz palliativer Behandlung des Versicherten nicht davon ausgegangen sei, dass "mein Mann so bald würde sterben müssen". Doch auch wenn die Klägerin im Zeitpunkt der Eheschließung gewusst haben sollte, dass der Tod des Versicherten in naher Zukunft bevorstehe, verbliebe es bei dem vorrangigen Motiv der Eheschließung, der beiderseitigen Liebesbeziehung den "offiziellen Segen" zu geben. Daher habe für den Senat keine Veranlassung bestanden, den von der Beklagten hilfsweise gestellten Beweisanträgen zu folgen. Selbst wenn eine Nottrauung gemäß § 7 Personenstandsgesetz (PStG) vorgelegen hätte, änderte dies nichts an der zur Überzeugung des Senats feststehenden Motivationslage für die Heirat.

9

Mit ihrer vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 46 Abs 2a SGB VI und von §§ 103, 128 SGG. Die Klägerin habe den Nachweis des Vorliegens "besonderer Umstände", die die Rechtsvermutung des § 46 Abs 2a SGB VI widerlegen könnten, nicht erbracht. Die Verrechtlichung einer Liebesbeziehung durch Eheschließung sei kein von der Versorgungsabsicht verschiedener Beweggrund. Die zuvor seit 26 Jahren geführte eheähnliche Lebensgemeinschaft unterstreiche den Versorgungscharakter der Ehe. Im Fall der lebensbedrohlichen Erkrankung eines Partners sei die wirtschaftliche Absicherung des Überlebenden das maßgebliche Motiv für die Heirat. Konkrete Heiratspläne seien erst nach Bekanntwerden der weit fortgeschrittenen Krebserkrankung gefasst und realisiert worden. Die Hoffnung oder Erwartung, eine lebensbedrohliche Erkrankung zu überleben, könne kein besonderer Umstand im Sinne der Norm sein. Das LSG hätte sich zudem gedrängt fühlen müssen, dem hilfsweise gestellten Beweisantrag, den Standesbeamten zu den Umständen der Eheschließung bei der Nottrauung zu befragen, nachzukommen.

10

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2007 sowie des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2007 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

11

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das angefochtene Urteil beruht - wie die Beklagte zutreffend rügt - auf einer Verletzung der Pflicht des Berufungsgerichts zur Sachaufklärung (§ 103 SGG). Auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG kann der Senat nicht entscheiden, ob die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf große Witwenrente zu Recht abgelehnt hat.

14

1. Gemäß § 46 Abs 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ua dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 27.7.2004 verstorbenen Versicherten, der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs 1 SGB VI erfüllt hatte. Zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten hatte sie auch das 45. Lebensjahr vollendet.

15

Nach § 46 Abs 2a SGB VI, der mit Wirkung vom 1.1.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (vom 21.3.2001, BGBl I 403) eingeführt worden ist und für alle seit dem 1.1.2002 geschlossenen Ehen gilt (vgl § 242a Abs 3 SGB VI), ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat weniger als ein Jahr gedauert (vom 2.7. bis 27.7.2004); damit ist der Tatbestand des § 46 Abs 2a Halbs 1 SGB VI erfüllt. Ob jedoch "besondere Umstände" iS von § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI vorliegen, die den Eintritt der entsprechenden Rechtsfolge - Ausschluss des Anspruchs auf Witwenrente - hindern, kann der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden.

16

2. Entgegen dem Vorbringen der Revision ist der vom Berufungsgericht als maßgeblich zugrunde gelegte Beweggrund der Klägerin für die Eheschließung, nämlich der Wunsch, nach langjährigem eheähnlichem Zusammenleben mit dem Versicherten der beiderseitigen Liebesbeziehung den "offiziellen Segen" zu geben und sie damit auch formal und rechtlich zu manifestieren, nicht von vornherein - losgelöst von den Umständen des konkreten Einzelfalls - ungeeignet, einen besonderen Umstand iS von § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI zu begründen.

17

Der Senat hat im Urteil vom 5.5.2009 (B 13 R 55/08 R - BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6 mwN)zur Auslegung und Anwendung des Ausnahmetatbestands des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI bereits entschieden, dass eine abschließende Typisierung und Bewertung einzelner von den Tatsacheninstanzen festgestellter Ehemotive durch das Revisionsgericht nicht möglich ist. Daran hält er in Kenntnis hiergegen vorgebrachter Bedenken (vgl Pötter, RVaktuell 2010, 15, 21) nach erneuter Prüfung fest. Wie in dem genannten Urteil näher dargelegt ist, sind nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI als "besondere Umstände des Falles" alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls zu prüfen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Die vom Gesetzgeber selbst intendierte Einzelfallprüfung lässt eine abschließende abstrakt-generelle (normgleiche) Einordnung einzelner denkbarer Ehemotive durch das Revisionsgericht nicht zu. Vielmehr kommt es nach dem Gesetz auf die - gegebenenfalls auch voneinander abweichenden - Beweggründe beider Ehegatten im konkreten Einzelfall an (Senatsurteil aaO, RdNr 20). Dabei sind die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in eine Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Falls zu bewerten (aaO RdNr 24). Diese Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Würdigung nach Maßgabe des § 46 Abs 2a SGB VI wird nicht dadurch entbehrlich, dass die damit verbundenen Anforderungen den Wunsch der Verwaltung nach "überprüfbaren … objektiven Kriterien"(vgl Pötter, aaO) nicht erfüllen können.

18

In diesem Zusammenhang kann es zwar nicht als Verletzung von Bundesrecht angesehen werden, wenn die Tatsacheninstanz annimmt, dass bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI nicht erfüllt sein wird. Gleichwohl darf dabei nicht von vornherein der Nachweis ausgeschlossen werden, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgesichtspunkten geheiratet wurde. Bei der abschließenden Gesamtbewertung darf wiederum gefordert werden, dass diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sind, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist (BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6, RdNr 27).

19

Der Frage, ob besondere Umstände iS des Ausnahmetatbestands vorliegen, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechen, ist vorrangig anhand aller vorhandenen objektiven Ermittlungsmöglichkeiten (§ 103 SGG) nachzugehen (aaO RdNr 29 mwN). Sie ist in erster Linie auf tatsächlicher Ebene zu beantworten (BSG vom 15.9.2009 - B 5 R 282/09 B - BeckRS 2009, 72520 RdNr 7). Somit obliegt es zuvörderst den Tatsacheninstanzen, sich nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen und unter Würdigung aller Indizien eine Überzeugung davon zu verschaffen, ob im Einzelfall die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass die Erlangung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war (vgl auch BSG vom 27.8.2009 - B 13 R 101/08 R - Juris RdNr 14 f). Ein Rentenversicherungsträger, der vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit seine Annahme, dass eine Versorgungsehe vorliege, verteidigen will, kann deshalb durch das Stellen von Beweisanträgen darauf hinwirken, dass alle Umstände - auch die für eine Versorgungsehe sprechenden Indizien - in die Beweiswürdigung des Gerichts einbezogen werden.

20

3. Vorliegend hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG einen solchen Beweisantrag zur Entscheidung des Gerichts gestellt; sie hat verlangt, den zuständigen Standesbeamten zu den Umständen der Eheschließung zu vernehmen. Diesem Beweisantrag hätte das LSG nachkommen müssen; seine Ablehnung unter Berufung darauf, dass unabhängig von den konkreten Umständen der Trauung die volle Überzeugung des Senats zur Motivationslage für die Heirat bereits feststehe, verletzt Bundesrecht (§ 103 SGG).

21

Einer der Ausnahmefälle, der es erlaubt hätte, auf die Vernehmung des von der Beklagten mit der Bezeichnung "den zuständigen Standesbeamten" hinreichend konkret benannten Zeugen zu verzichten, ist nicht gegeben. Solche Ausnahmefälle sind dann anzunehmen, wenn es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht ankommt, diese bereits erwiesen sind oder das Beweismittel ungeeignet oder unerreichbar ist (vgl Senatsurteil vom 23.8.2001 - B 13 RJ 59/00 R - SozR 3-2200 § 1248 Nr 17 S 72 f; BSG vom 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 B - Juris RdNr 10; BSG vom 28.5.2008 - B 12 KR 2/07 B - Juris RdNr 11; s auch BVerwG vom 12.3.2010 - 8 B 90/09 - Juris RdNr 25 f). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.

22

Auf die von der Beklagten unter Beweis gestellten tatsächlichen Umstände der Eheschließung kommt es schon deshalb entscheidungserheblich an, weil das LSG alle Umstände des Einzelfalls, die für oder gegen eine Versorgungsabsicht sprechen könnten, aufzuklären und in einer abschließenden Gesamtbewertung zu würdigen hat. Zur Klärung dieser tatsächlichen Voraussetzungen war der benannte Zeuge auch ein geeignetes und erreichbares Beweismittel. Als Standesbeamter, der die Eheschließung auf der Station im Krankenhaus vollzogen hat, hätte er zu den näheren Umständen der Heirat, wie etwa ihm gegenüber geäußerte Eheschließungsmotive der Eheleute, Zeugnis geben können. Bislang sind im gerichtlichen Verfahren nur Personen vernommen worden, die (als Kinder und Schwester) der Sphäre der Klägerin zugehörig sind. Nicht zuletzt beruht die Beweiswürdigung des LSG im Wesentlichen auf den Angaben der Klägerin zu ihren eigenen Beweggründen. Die Zeugenaussage des Standesbeamten könnte aber nicht nur Anhaltspunkte zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ergeben, sondern darüber hinaus weitere Erkenntnisse zu den inneren Motiven beider Eheleute für die Heirat erbringen. Solche Ermittlungen waren auch deshalb angezeigt, weil sich die Klägerin zum Beweis des Vorliegens der besonderen Umstände iS von § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI gerade auf ihre innere Motivation für die Heirat berufen und hierzu vor dem SG und dem LSG bereitwillig Auskunft gegeben hat. Eine unzulässige Ausforschung im Bereich der privaten Lebensführung (vgl dazu Senatsurteil vom 5.5.2009 - BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6, RdNr 22, 29 mwN) stand daher nicht zu befürchten.

23

Das LSG hätte sich somit - ausgehend von seiner materiellen Rechtsansicht - zur Zeugenvernehmung des Standesbeamten zu den näheren Umständen der Trauung gedrängt fühlen müssen. Wenn es anstelle dessen ausgeführt hat, dass selbst im Fall einer sog Nottrauung aus Anlass einer lebensbedrohlichen Erkrankung (§ 7 PStG idF des bis zum 31.12.2008 gültigen Gesetzes vom 4.5.1998, BGBl I 833) "dies nichts an der dargelegten, zur vollen Überzeugung des Senats feststehenden Motivationslage für die Heirat" ändere, so handelt es sich um eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung. Einer der besonders gelagerten Ausnahmefälle, für die diskutiert wird, ob ein Beweisantrag auf Zeugenvernehmung dann abgelehnt werden darf, wenn aufgrund der Fülle und Güte bereits erhobener Beweise die entscheidungserheblichen Tatsachen mit einer solchen Gewissheit feststehen, dass die Überzeugung des Gerichts durch die beantragte weitere Beweiserhebung - ihr Erfolg unterstellt - nicht mehr erschüttert werden kann (vgl BVerwG vom 11.4.1991 - 3 C 73.89 - Buchholz 310 § 86 Abs 1 Nr 229 S 55 f mwN; BVerwG vom 12.3.2010 - 8 B 90/09 - Juris RdNr 25 f mwN; s auch BSG vom 31.8.1987 - 4a BJ 117/87 - Juris RdNr 5 - zu den beim Zeugenbeweis im Vergleich zum Sachverständigenbeweis strengeren Anforderungen), liegt hier nicht vor. Insbesondere zeigt das Urteil des LSG plausible Gründe für das Bestehen einer für jedermann nachvollziehbaren, unerschütterlichen Überzeugung des Berufungsgerichts nicht auf. Eine solche Überzeugung ist auch kaum denkbar, solange ausschließlich Personen aus dem Umfeld der Klägerin gehört und darauf verzichtet wurde, auch andere in Frage kommende Auskunftspersonen (vgl zB SG Düsseldorf vom 14.12.2009 - S 52 (10) R 22/09 - Juris) zu den Beweggründen der Nottrauung im Krankenhaus zu befragen.

24

Auf diesem Verstoß gegen § 103 SGG beruht die Entscheidung des LSG. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach den beantragten weiteren Ermittlungen zu einem für die Beklagte günstigen Ergebnis gekommen wäre.

25

Das LSG wird die unterlassene Beweisaufnahme zu den näheren Umständen der Trauung nachzuholen und auf dieser Grundlage eine neue Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen haben. Es wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.