Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 03. Dez. 2014 - L 20 R 322/14

bei uns veröffentlicht am03.12.2014

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 04.03.2014 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Klägerin auf Witwenrente bzw. um die Frage, ob der Anspruch gemäß § 46 Abs. 2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ausgeschlossen ist.

Die 1962 geborene Klägerin heiratete am 17.05.2010 den Versicherten M. D. A., geboren 1942. Der Ehemann verstarb am 26.07.2010. Der Versicherte bezog seit 01.08.2007 Regelaltersrente von der Beklagten, zuletzt in Höhe von 977,16 Euro.

Die Klägerin beantragte am 27.12.2010 Witwenrente nach dem verstorbenen Versicherten. Beigefügt war ein Bericht des Hausarztes Dr. Ö. vom 20.08.2010. Laut diesem Bericht wurde der Versicherte von Mai 2007 bis zu seinem Tod am 26.07.2010 in der Hausarztklinik Dr. Ö. beobachtet und behandelt. In der Zeit von Ende 2008 bis Mitte 2009 erfolgte keine Behandlung in der Klinik, da sich der Versicherte in einem Altersheim aufgehalten habe. Es folgten auch noch medikamentöse Behandlungen in anderen Kliniken. Als Diagnosen wurden gestellt: Koronare Arterienkrankheit, Hypertonie, Prostatahyperplasie, cerebrovaskuläre Krankheit, antidepressive Behandlung. Am 20.04.2010 habe der Versicherte morgens früh zu Hause Kraftlosigkeit in der rechten Hand, Sprachstörung und rechtsseitig hängenden Mundwinkel bemerkt. Er wurde in der neurologischen Klinik bei Diagnose eines rechten mittelgradigen Arterieninfarktes 10 Tage stationär behandelt. Danach habe der Versicherte im Großen und Ganzen Sprachfähigkeit erlangen können, die motorische Kraft und die Funktionen hätten sich teilweise gebessert. Am 20.07.2010 habe sich der Versicherte wegen Beschwerden und Schmerzen im Brustbereich und Atemnot in der Notaufnahme vorgestellt. Nach Behandlungen in 2 Krankenhäusern wurde er am 23.07.2010 entlassen. Am 26.07.2010 wurde er in die Notaufnahme eingeliefert. Auf die ärztlichen Bemühungen habe er nicht angesprochen und sei verstorben.

Im Antrag gab die Klägerin weiter an, über keinerlei Einkommen (auch nicht Vermögenseinkommen) zu verfügen.

Mit Bescheid vom 01.03.2012 lehnte die Beklagte die Bewilligung einer Witwenrente ab. Die Vermutung einer Versorgungsehe sei nicht widerlegt. Der Versicherte sei bei der Eheschließung 20 Jahre älter als seine Ehefrau gewesen, schwer krank und offenbar in einem Heim untergebracht gewesen. Ein anderer Zweck für die Eheschließung erschließe sich nicht.

Dagegen hat die Klägerin am 23.04.2012 Widerspruch erhoben. Im Wesentlichen gab sie an, sie sei schon seit 9/2009 auf die Adresse des Versicherten gemeldet. Seit diesem Datum hätten beide in einem eheähnlichen Verhältnis gelebt. Dass der Versicherte ernsthaft erkrankt gewesen sei, sei ihm erst im April 2010 durch die Universitätsklinik in E. mitgeteilt worden. Beigelegt war ein Ehefähigkeitszeugnis des Standesamtes E. vom 09.04.2010.

Die Beklagte hat weitere Entlassungsberichte verschiedener Krankenhäuser in der Türkei beigezogen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.11.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dem Entlassungsbericht der medizinischen Fakultät der E.-Universität vom 30.04.2010 sei zu entnehmen, dass eine insulinpflichtige Blutzuckererkrankung, Bluthochdruck sowie Durchblutungsstörungen vorgelegen hätten. Zur Aufnahme habe ein Schlaganfall mit Lähmungserscheinung geführt, der Patient sei bewegungsunfähig gewesen. Die Tatsache, dass die Ehe nur 2 Wochen später geschlossen worden sei, lasse nur den Schluss zu, dass die Eheschließung aufgrund der Verschlechterung des Gesundheitszustandes erfolgt sei.

Dagegen hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth am 19.12.2012 Klage erheben lassen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie habe mit dem Versicherten seit 23.09.2009 zusammengelebt. Darüber hinaus sei der Tod des Versicherten binnen eines Jahres am 17.05.2010 nicht absehbar gewesen. Die Eheleute hätten seit längerem vorgehabt zu heiraten, hätten aber sehr lange auf das Ehefähigkeitszeugnis der Stadt E. warten müssen. Der Klägerbevollmächtigte hat Unterlagen der Gemeinde E. vorgelegt. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten Herrn G., wohnhaft in A. mit der Beschaffung der notwendigen Unterlagen in Deutschland beauftragt.

Die Gemeinde E. hat ein Merkblatt vom 20.11.2009 vorgelegt, worin die Unterlagen bezeichnet sind, die für die Eheschließung in der Türkei erforderlich seien. Dieses Merkblatt sei am 20.11.2009 angelegt worden, als der Bevollmächtigte sich erstmals erkundigt habe, welche Unterlagen benötigt würden. Weiter enthalten sind 2 Prüfungsergebnisse der Standesamtsaufsicht vom 19.03.2010 sowie ein Anschreiben an den Bevollmächtigten mit der Übersendung eines Ehefähigkeitszeugnisses vom 09.04.2010.

Nach Anhörung hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 04.03.2014 die Klage abgewiesen. Die rechtliche Vermutung einer Versorgungsehe sei nicht entkräftet worden. Für das Vorliegen einer Versorgungsehe spreche die Ehedauer zwischen dem Versicherten und der Klägerin, diese habe lediglich wenige Wochen gedauert. Wenige Tage vor der Eheschließung habe der verstorbene Versicherte zum 2. Mal einen Arterieninfarkt erlitten. Danach sei die Sprachfähigkeit des verstorbenen Versicherten erheblich beeinträchtigt gewesen, ebenso die motorische Kraft und Funktion. Die Tatsache, dass die Klägerin und der verstorbene Versicherte seit Jahren in eheähnlicher Gemeinschaft gelebt hätten, führe nicht zu einer Widerlegung. Es könne als wahr unterstellt werden, dass die Klägerin seit 2009 unter derselben Adresse wie der verstorbene Versicherte gelebt habe. Allein die Tatsache, dass wohl im Jahre 2009 bei der Gemeinde E. Unterlagen für ein Ehefähigkeitszeugnis beantragt worden seien, spreche gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe. Andererseits sei der verstorbene Versicherte bereits zu dieser Zeit erheblich erkrankt gewesen, zum anderen folge aus der Einholung eines Ehefähigkeitszeugnisses noch kein unbedingter Heiratswille. Im Rahmen der Gesamtschau sei der Klägerin die Widerlegung einer Versorgungsehe nicht gelungen.

Dagegen hat die Klägerin am 07.04.2014 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Im Wesentlichen hat sie erneut vorgetragen, bei Eheschließung sei der Tod des Versicherten nicht absehbar gewesen.

Die Beklagte hat dargelegt, da die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert habe, greife die gesetzliche Vermutung ein. Besondere Umstände seien nicht ersichtlich. Von einem ernsten Willen zur Eheschließung könne weder im November 2009 noch zu einem früheren Zeitpunkt ausgegangen werden.

Der Senat hat ein medizinisches Sachverständigengutachten nach Aktenlage durch den Internisten und Arbeitsmediziner Dr. C. einholen lassen. Dr. C. hat am 29.09.2014 zu der Frage Stellung genommen, ob der Tod des Ehemanns der Klägerin aufgrund seines Gesundheitszustandes binnen eines Jahres nach Schließung der Ehe am 17.05.2010 absehbar gewesen sei. Dr. C. hat dargelegt, Grund für den Tod des Versicherten sei eine koronare Herzkrankheit gewesen. Bei dem Versicherten habe eine arteriosklerotische Allgemeinerkrankung mit durchblutungsbedingten Komplikationen im Bereich des Gehirns und des Herzens bestanden. Die weiteren Erkrankungen wie künstliches Hüftgelenk links, Oberschenkelbruch, Zustand nach Prostataoperation, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, depressive Störung seien nicht maßgeblich gewesen.

Der Versicherte habe schon seit den 90er Jahren an einer koronaren Herzkrankheit gelitten und einen Herzinfarkt durchgemacht. Bis zur Zeit der Eheschließung im Mai 2010 sei die Herzerkrankung nicht durch eine massive Symptomatik in Erscheinung getreten oder habe eine Herzleistungsschwäche höheren Grades vorgelegen, die die Befürchtung eines baldigen Todes hätten nähren können. Aus der Zeit von April 2010 liege ein Befund einer echokardiografischen Untersuchung vor. Dort würden eine diastolische Dysfunktion und eine regionale Wandbeweglichkeitsstörung des linken Ventrikels beschrieben, eine klinisch relevante Einschränkung der Pumpfunktion des linken Herzens sei nicht erwähnt. Am 20.07.2010 sei ein Lungenödem aufgetreten aufgrund eines frischen Herzinfarktes bei multiplen massiven Herzkranzgefäßeinengungen bis zum vollständigen Verschluss eines Gefäßes. Daneben hätten bei dem Versicherten eine Hirndurchblutungsstörung und Schlaganfälle vorgelegen. Zuerst habe sich 2003 ein Schlaganfall ereignet. Aus dem Jahr 2007 liege ein Bericht vor, in dem von arteriosklerotischen Veränderungen am Augenhintergrund und von einer mittelgradig ausgeprägten Paraparese die Rede sei. Der Versicherte habe am 20.04.2010 einen 2. Schlaganfall erlitten. Neben einer Sprachstörung habe eine armbetonte Halbseitenlähmung (Hemiparese) rechtsseitig vorgelegen, wobei in erster Linie wohl die Sprachstörung eine gewisse Besserung erfahren habe. Von Juni und Juli 2010 lägen neurologische Untersuchungsbefunde vor, die eine Fortdauer der nach dem 2. Schlaganfall aufgetretenen psychomotorischen Unruhezustände und eine mehr oder weniger ausgeprägte Halbseitenlähmung rechtsseitig belegten mit der Notwendigkeit einer Rollstuhlbenutzung bei der Fortbewegung im häuslichen Bereich. Der Versicherte habe also ca. 4 Wochen vor der Eheschließung erneut einen Schlaganfall gehabt mit einer Halbseitenlähmung und einer zumindest teilweise reversiblen Sprachstörung. Allerdings berechtige dies nicht zu der Annahme, dass die zerebrovaskuläre Erkrankung in absehbarer Zeit zumindest innerhalb Jahresfrist zum Tode führen würde. Weder die allgemeine klinische Erfahrung noch die besonderen Umstände im Falle des Versicherten legten rückblickend eine solche Vermutung nahe.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 20.10.2014 mitgeteilt, dass mit dem Gutachten von Dr. C. davon auszugehen sei, dass der Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nicht absehbar gewesen sei. Allerdings ergäben sich aus dem Antrag auf Ausstellung eines Ehefähigkeitszeugnisses keine Anhaltspunkte, die eine Versorgungsehe entkräften könnten.

Mit Schreiben vom 31.10.2014 hat der Senat erneut die Klägerin um Mitteilung gebeten, aus welchen Gründen die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann am 17.05.2010 geheiratet hätten. Die Klägerin hat durch ihren Bevollmächtigten vortragen lassen, sie und ihr Ehemann hätten sich bereits im Juni 2009 verständigt zu heiraten und seien dann bereits am 23.09.2009 zusammengezogen. Es habe ca. sechs Monate gedauert, bis das Ehefähigkeitszeugnis erteilt worden sei. Die Heirat sei am 17.05.2010 erfolgt, weil es länger gedauert habe, die notwendigen Papiere zu beschaffen. Die Klägerin habe auch bei ihrer Tochter Überzeugungsarbeit leisten müssen. Diese habe nicht gewollt, dass die Mutter geheiratet habe. In der mündlichen Verhandlung des Senats am 03.12.2014 hat der Bevollmächtigte weiter angegeben, dass die Eheleute schlichtweg aus Liebe geheiratet hätten.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 04.03.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 01.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin auf ihren Antrag vom 27.12.2010 hin die gesetzlichen Leistungen einer Hinterbliebenenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 04.03.2014 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Beklagtenakte und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, aber nicht begründet. Der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente ist gemäß § 46 Abs. 2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ausgeschlossen.

Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI haben Hinterbliebene keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Als besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles anzusehen, die auf von der Versorgungsabsicht verschiedene Beweggründe für die Heirat schließen lassen (BSG, Urteil vom 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, m. w. N., veröffentlicht in juris). Die Annahme des Anspruchs ausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalles zu bewerten (BSG, Urteil vom 06.05.2010, B 13 R 134/08 R; BSG Urteil vom 05.05.2009, B 13 R 55/08 R m. w. N.). Die Umstände sind nachzuweisen, die Beweislast trägt der Antragsteller. Bei abschließender Gesamtbewertung müssen diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist. Demgemäß steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Erkrankung und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme (Vermutung) einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden (BSG Urteile vom 05.05.2009 und vom 06.05.2010 a. a. O.).

Im vorliegenden Falle konnte die Klägerin eine Versorgungsehe nicht entkräften.

Festzustellen ist zunächst, dass die Ehe der Klägerin lediglich etwa 8 Wochen gedauert hat, nämlich vom 17.05. bis 26.07.2010.

Allerdings war zum Zeitpunkt der Eheschließung sowohl nach den Aussagen des beratungsärztlichen Dienstes der Beklagten durch Dr. P. wie auch nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. C. nicht absehbar, dass der Tod innerhalb eines Jahres eintreten werde. Zum Zeitpunkt der Eheschließung litt der Versicherte zwar schon an einer koronaren Herzerkrankung, die jedoch nicht durch eine massive Symptomatik in Erscheinung getreten war und auch keine Herzleistungsschwäche höheren Grades verursacht hatte. Aus der Zeit von April 2010 liegt vielmehr der Befund einer echokardiografischen Untersuchung vor. Dort wurden eine diastolische Dysfunktion und eine regionale Wandbeweglichkeitsstörung des linken Ventrikels beschrieben, eine klinisch relevante Einschränkung der Pumpfunktion des linken Herzens ist nicht erwähnt geworden.

Vielmehr erfolgte der Tod des Versicherten dann am 26.07.2010, vorangegangen waren ein erneuter Herzinfarkt und ein Lungenödem am 20.07.2010. Nach diesem Ereignis war mit seinem Tod jederzeit zu rechnen gewesen, zum Zeitpunkt der Eheschließung im Mai 2010 war dies jedoch nicht absehbar gewesen.

Es ist jedoch ebenfalls festzustellen, dass sich der zum Zeitpunkt der Eheschließung knapp 69-jährige Versicherte in einem schlechten Gesundheitszustand befunden hat. Nach einem ersten Schlaganfall im Jahre 2003 hat er am 20.04.2010 einen zweiten Schlaganfall erlitten. Neben einer Sprachstörung hat eine armbetonte Halbseitenlähmung rechtsseitig vorgelegen, wobei die Sprachstörung eine gewisse Besserung erfahren hatte. Als Folge der zerebralen Durchblutungsstörung hat auch eine gesteigerte psychomotorische Unruhe vorgelegen. Neurologische Untersuchungsbefunde von Juni und Juli 2010 legen dar, dass nach dem 2. Schlaganfall psychomotorische Unruhezustände und eine mehr oder weniger ausgeprägte Halbseitenlähmung rechtsseitig mit der Notwendigkeit einer Rollstuhlbenutzung bei der Fortbewegung im häuslichen Bereich erforderlich waren.

Bei der Würdigung der Gesamtumstände ist zu berücksichtigen, dass ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer Umstand im Sinne des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI insbesondere dann anzunehmen ist, wenn der Tod des Versicherten unvermittelt (plötzlich und unerwartet) eingetreten ist. In diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. In der Gesetzesbegründung wird als Beispiel hierfür der „Unfalltod“ genannt (BT-Drs. 14/4595 S. 44). Unvermittelt eingetreten in diesem Sinne ist der Tod aber auch bei einem Verbrechen oder bei einer Erkrankung, die plötzlich aufgetreten ist und schnell zum Tode geführt hat, z. B. Infektionskrankheit oder Herzinfarkt bei unbekannter Herzerkrankung (BSG, Urteil vom 05.05.2009 a. a. O.).

Ein solch unvermittelter Tod hat jedoch nicht vorgelegen, vielmehr waren bei dem Versicherten relevante Vorerkrankungen bekannt. Dies mag auch erklären, warum trotz des schlechten Gesundheitszustandes des Versicherten am 17.05.2015 die Eheschließung erfolgt ist. Nach neurologischen Untersuchungsbefunden vom Juni und Juli 2010 lagen beim Versicherten psychomotorische Unruhezustände und eine mehr oder weniger ausgeprägte Halbseitenlähmung rechtsseitig vor mit der Notwendigkeit einer Rollstuhlbenutzung bei der Fortbewegung im häuslichen Bereich. Daneben hat noch eine Sprachstörung vorgelegen, wobei die Sprachstörung eine gewisse Besserung erfahren hatte. Angesichts dieses schlechten Gesundheitszustandes hätte es eher nahe gelegen, die Trauung zeitlich noch etwas zu verschieben, bis der Versicherte in einem besseren Gesundheitszustand gewesen wäre.

Der Senat sieht durchaus auch, dass bei der Klägerin und dem Versicherten schon ab November 2009 ernsthafte Heiratsabsichten bestanden haben. Die Klägerin hat seit September 2009 mit dem Versicherten zusammengelebt. Ihr Bevollmächtigter hat jedenfalls erstmals im November 2009 mit dem Standesamt E. Kontakt aufgenommen, welche Unterlagen für eine Eheschließung erforderlich seien. Übersandt wurde dann schließlich das Ehefähigkeitszeugnis vom 24.03.2010 am 09.04.2010 an den Bevollmächtigten der Klägerin in Deutschland. Fakt ist jedenfalls, dass zumindest erste Überlegungen im November 2009 realisiert worden sind, die auf Heiratsabsichten schließen lassen. Insbesondere wurden dann schließlich auch die erforderlichen Unterlagen, die kostenpflichtig waren, auch angefordert und übersandt, und zwar am 09.04.2010. Damit ist für den Senat nachgewiesen, dass jedenfalls vor dem zweiten Schlaganfall, der sich am 20.04.2010 ereignet hat und nochmals eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten hervorgerufen hat, konkrete Heiratsvorbereitungen eingeleitet worden sind. Ein besonderer Umstand, der die Versorgungsehe entkräften könnte, ist darin jedoch nicht zu sehen. Es ist es durchaus üblich, dass zwischen dem Entschluss zu heiraten und der Verwirklichung schon aus organisatorischen Gründen mehrere Wochen oder Monate liegen.

Als Motiv für die Eheschließung trägt die Klägerin vor, sie habe aus Liebe geheiratet.

Der Senat sieht darin jedoch keinen besonderen Umstand. Besondere Umstände, die die Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen vermögen, können nur solche sein, die eindeutig darauf schließen lassen, dass die Ehe nicht zumindest überwiegend aus Gründen der Versorgung geschlossen wurde. Die Darlegung allgemeiner, bei einer Heirat regelmäßig mit entscheidenden Gesichtspunkten, wie der Wunsch, nicht mehr allein sein zu wollen und die Absicht, eine Lebensgemeinschaft auf Dauer zu begründen und zwar aus Liebe, rechtfertigt nicht die Annahme besonderer Umstände im Sinne des Gesetzes (vgl. Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 08.08.2012, L 13 R 555/10).

Daneben ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Klägerin nach eigenen Angaben über keinerlei eigenes Einkommen oder Vermögen verfügt und verfügt hat, der Versicherte jedoch eine Altersrente bezogen hat. Damit hat die Ehe gerade der Versorgung gedient.

Nach alledem ist es der Klägerin nicht gelungen, die Annahme einer Versorgungsehe zu entkräften. Die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 03. Dez. 2014 - L 20 R 322/14

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 03. Dez. 2014 - L 20 R 322/14

Referenzen - Gesetze

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 03. Dez. 2014 - L 20 R 322/14 zitiert 6 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 46 Witwenrente und Witwerrente


(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 03. Dez. 2014 - L 20 R 322/14 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 03. Dez. 2014 - L 20 R 322/14 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 06. Mai 2010 - B 13 R 134/08 R

bei uns veröffentlicht am 06.05.2010

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Ger

Referenzen

(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer großen Witwenrente.

2

Die 1950 geborene Klägerin lebte seit 1978 mit dem 1946 geborenen und am 27.7.2004 verstorbenen Versicherten in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Sie heirateten am 2.7.2004. Aus der ersten Ehe der Klägerin waren ein Sohn und eine Tochter hervorgegangen, aus der ersten Ehe des Versicherten eine Tochter. Die Klägerin hatte in den Jahren 2003 und 2004 ein monatliches Bruttoeinkommen von ca 2.400 Euro aus ihrer Beschäftigung als Apothekenhelferin.

3

Im Oktober 2002 erkrankte der Versicherte an einem Blasenkarzinom, das operativ entfernt wurde. Im Februar 2004 wurde eine fortschreitende Metastasierung diagnostiziert. Die ab 1.6.2004 durchgeführte Chemotherapie diente lediglich palliativen Zwecken. Der Versicherte wurde in den Zeiträumen vom 24.5. bis 3.6.2004 und vom 8.6. bis 10.6.2004 stationär behandelt, danach aufgrund einer deutlichen Verschlechterung erneut vom 14.6. bis 10.7.2004, wobei die Chemotherapie abgebrochen und die Behandlung mit Morphin fortgesetzt wurde. Unter dieser Medikation war der Versicherte mit Hilfe eines Stützrollators zeitweise gehfähig. Die Eheschließung erfolgte am 2.7.2004 auf der Krankenstation. Zur Entlassung des Versicherten wurde eine sog Homecare-Betreuung eingerichtet. Am 27.7.2004 wurde der Versicherte notfallmäßig erneut stationär aufgenommen; er verstarb noch am selben Tag.

4

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente lehnte die Beklagte ab, da sie von einer sog Versorgungsehe gemäß § 46 Abs 2a SGB VI ausging(Bescheid vom 13.6.2005, Widerspruchsbescheid vom 28.10.2005).

5

Das SG Berlin hat - nach Vernehmung der Schwester, des Sohnes und der Tochter der Klägerin sowie nach deren persönlicher Anhörung - die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids verurteilt, der Klägerin ab 27.7.2004 Witwenrente aus der Versicherung des Verstorbenen zu gewähren. Dem Anspruch stehe der Ausschlussgrund gemäß § 46 Abs 2a SGB VI nicht entgegen.

6

Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 31.1.2007 die Berufung der Beklagten nach persönlicher Anhörung der Klägerin zurückgewiesen unter Neufassung des Tenors, dass der Klägerin ab 27.7.2004 große Witwenrente zu gewähren sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs 2a SGB VI sei nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens widerlegt, weil zur Überzeugung des Senats trotz der sehr kurzen Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass die Versorgung der Klägerin der alleinige oder überwiegende Zweck der Eheschließung gewesen sei. Hierbei stütze sich der Senat auf die glaubhaften Einlassungen der Klägerin in ihren vorbereitenden Schriftsätzen, im Termin zur mündlichen Verhandlung und auf die Aussagen ihrer vom SG als Zeugen vernommenen Kinder. Danach stehe fest, dass - neben Versorgungserwägungen - zumindest gleichgewichtiger Zweck der Eheschließung gewesen sei, der beiderseitigen Liebesbeziehung nach langjährigem Zusammenleben durch den Akt der Eheschließung den - nach Wortwahl der Klägerin - "offiziellen Segen" zu geben und so eine Rechtsposition zu erlangen. Die Klägerin habe überzeugend ausgeführt, dass der Heiratswunsch schon viele Jahre vor der Krebserkrankung bestanden habe, jedoch aus finanziellen Gründen und familiären Erwägungen nicht eher realisiert habe werden können. Die mit dem Versicherten im Familienverbund lebenden Kinder der Klägerin, die ihn als "Vater" angesehen hätten, hätten die langjährige Heiratsabsicht ebenfalls bestätigt.

7

Der Umstand der seit 1978 gelebten langjährigen Liebesbeziehung stehe einem überwiegenden Versorgungsgedanken entgegen. Die Liebesbeziehung sei ohnehin nicht auf gegenseitige Versorgungsansprüche ausgerichtet gewesen, weil die Klägerin einer vollschichtigen Berufstätigkeit nachgegangen sei, mit der sie ohne Weiteres ihren eigenen Lebensunterhalt habe sichern können. Dies habe die Klägerin vor dem Senat eindrucksvoll dargelegt.

8

Ebenso wenig spreche der Krankheitsverlauf des Versicherten gegen diese Einschätzung. Die Klägerin habe glaubhaft ausgeführt, dass sie trotz palliativer Behandlung des Versicherten nicht davon ausgegangen sei, dass "mein Mann so bald würde sterben müssen". Doch auch wenn die Klägerin im Zeitpunkt der Eheschließung gewusst haben sollte, dass der Tod des Versicherten in naher Zukunft bevorstehe, verbliebe es bei dem vorrangigen Motiv der Eheschließung, der beiderseitigen Liebesbeziehung den "offiziellen Segen" zu geben. Daher habe für den Senat keine Veranlassung bestanden, den von der Beklagten hilfsweise gestellten Beweisanträgen zu folgen. Selbst wenn eine Nottrauung gemäß § 7 Personenstandsgesetz (PStG) vorgelegen hätte, änderte dies nichts an der zur Überzeugung des Senats feststehenden Motivationslage für die Heirat.

9

Mit ihrer vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 46 Abs 2a SGB VI und von §§ 103, 128 SGG. Die Klägerin habe den Nachweis des Vorliegens "besonderer Umstände", die die Rechtsvermutung des § 46 Abs 2a SGB VI widerlegen könnten, nicht erbracht. Die Verrechtlichung einer Liebesbeziehung durch Eheschließung sei kein von der Versorgungsabsicht verschiedener Beweggrund. Die zuvor seit 26 Jahren geführte eheähnliche Lebensgemeinschaft unterstreiche den Versorgungscharakter der Ehe. Im Fall der lebensbedrohlichen Erkrankung eines Partners sei die wirtschaftliche Absicherung des Überlebenden das maßgebliche Motiv für die Heirat. Konkrete Heiratspläne seien erst nach Bekanntwerden der weit fortgeschrittenen Krebserkrankung gefasst und realisiert worden. Die Hoffnung oder Erwartung, eine lebensbedrohliche Erkrankung zu überleben, könne kein besonderer Umstand im Sinne der Norm sein. Das LSG hätte sich zudem gedrängt fühlen müssen, dem hilfsweise gestellten Beweisantrag, den Standesbeamten zu den Umständen der Eheschließung bei der Nottrauung zu befragen, nachzukommen.

10

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2007 sowie des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2007 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

11

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das angefochtene Urteil beruht - wie die Beklagte zutreffend rügt - auf einer Verletzung der Pflicht des Berufungsgerichts zur Sachaufklärung (§ 103 SGG). Auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG kann der Senat nicht entscheiden, ob die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf große Witwenrente zu Recht abgelehnt hat.

14

1. Gemäß § 46 Abs 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ua dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 27.7.2004 verstorbenen Versicherten, der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs 1 SGB VI erfüllt hatte. Zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten hatte sie auch das 45. Lebensjahr vollendet.

15

Nach § 46 Abs 2a SGB VI, der mit Wirkung vom 1.1.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (vom 21.3.2001, BGBl I 403) eingeführt worden ist und für alle seit dem 1.1.2002 geschlossenen Ehen gilt (vgl § 242a Abs 3 SGB VI), ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat weniger als ein Jahr gedauert (vom 2.7. bis 27.7.2004); damit ist der Tatbestand des § 46 Abs 2a Halbs 1 SGB VI erfüllt. Ob jedoch "besondere Umstände" iS von § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI vorliegen, die den Eintritt der entsprechenden Rechtsfolge - Ausschluss des Anspruchs auf Witwenrente - hindern, kann der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden.

16

2. Entgegen dem Vorbringen der Revision ist der vom Berufungsgericht als maßgeblich zugrunde gelegte Beweggrund der Klägerin für die Eheschließung, nämlich der Wunsch, nach langjährigem eheähnlichem Zusammenleben mit dem Versicherten der beiderseitigen Liebesbeziehung den "offiziellen Segen" zu geben und sie damit auch formal und rechtlich zu manifestieren, nicht von vornherein - losgelöst von den Umständen des konkreten Einzelfalls - ungeeignet, einen besonderen Umstand iS von § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI zu begründen.

17

Der Senat hat im Urteil vom 5.5.2009 (B 13 R 55/08 R - BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6 mwN)zur Auslegung und Anwendung des Ausnahmetatbestands des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI bereits entschieden, dass eine abschließende Typisierung und Bewertung einzelner von den Tatsacheninstanzen festgestellter Ehemotive durch das Revisionsgericht nicht möglich ist. Daran hält er in Kenntnis hiergegen vorgebrachter Bedenken (vgl Pötter, RVaktuell 2010, 15, 21) nach erneuter Prüfung fest. Wie in dem genannten Urteil näher dargelegt ist, sind nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI als "besondere Umstände des Falles" alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls zu prüfen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Die vom Gesetzgeber selbst intendierte Einzelfallprüfung lässt eine abschließende abstrakt-generelle (normgleiche) Einordnung einzelner denkbarer Ehemotive durch das Revisionsgericht nicht zu. Vielmehr kommt es nach dem Gesetz auf die - gegebenenfalls auch voneinander abweichenden - Beweggründe beider Ehegatten im konkreten Einzelfall an (Senatsurteil aaO, RdNr 20). Dabei sind die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in eine Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Falls zu bewerten (aaO RdNr 24). Diese Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Würdigung nach Maßgabe des § 46 Abs 2a SGB VI wird nicht dadurch entbehrlich, dass die damit verbundenen Anforderungen den Wunsch der Verwaltung nach "überprüfbaren … objektiven Kriterien"(vgl Pötter, aaO) nicht erfüllen können.

18

In diesem Zusammenhang kann es zwar nicht als Verletzung von Bundesrecht angesehen werden, wenn die Tatsacheninstanz annimmt, dass bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI nicht erfüllt sein wird. Gleichwohl darf dabei nicht von vornherein der Nachweis ausgeschlossen werden, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgesichtspunkten geheiratet wurde. Bei der abschließenden Gesamtbewertung darf wiederum gefordert werden, dass diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sind, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist (BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6, RdNr 27).

19

Der Frage, ob besondere Umstände iS des Ausnahmetatbestands vorliegen, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechen, ist vorrangig anhand aller vorhandenen objektiven Ermittlungsmöglichkeiten (§ 103 SGG) nachzugehen (aaO RdNr 29 mwN). Sie ist in erster Linie auf tatsächlicher Ebene zu beantworten (BSG vom 15.9.2009 - B 5 R 282/09 B - BeckRS 2009, 72520 RdNr 7). Somit obliegt es zuvörderst den Tatsacheninstanzen, sich nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen und unter Würdigung aller Indizien eine Überzeugung davon zu verschaffen, ob im Einzelfall die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass die Erlangung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war (vgl auch BSG vom 27.8.2009 - B 13 R 101/08 R - Juris RdNr 14 f). Ein Rentenversicherungsträger, der vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit seine Annahme, dass eine Versorgungsehe vorliege, verteidigen will, kann deshalb durch das Stellen von Beweisanträgen darauf hinwirken, dass alle Umstände - auch die für eine Versorgungsehe sprechenden Indizien - in die Beweiswürdigung des Gerichts einbezogen werden.

20

3. Vorliegend hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG einen solchen Beweisantrag zur Entscheidung des Gerichts gestellt; sie hat verlangt, den zuständigen Standesbeamten zu den Umständen der Eheschließung zu vernehmen. Diesem Beweisantrag hätte das LSG nachkommen müssen; seine Ablehnung unter Berufung darauf, dass unabhängig von den konkreten Umständen der Trauung die volle Überzeugung des Senats zur Motivationslage für die Heirat bereits feststehe, verletzt Bundesrecht (§ 103 SGG).

21

Einer der Ausnahmefälle, der es erlaubt hätte, auf die Vernehmung des von der Beklagten mit der Bezeichnung "den zuständigen Standesbeamten" hinreichend konkret benannten Zeugen zu verzichten, ist nicht gegeben. Solche Ausnahmefälle sind dann anzunehmen, wenn es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht ankommt, diese bereits erwiesen sind oder das Beweismittel ungeeignet oder unerreichbar ist (vgl Senatsurteil vom 23.8.2001 - B 13 RJ 59/00 R - SozR 3-2200 § 1248 Nr 17 S 72 f; BSG vom 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 B - Juris RdNr 10; BSG vom 28.5.2008 - B 12 KR 2/07 B - Juris RdNr 11; s auch BVerwG vom 12.3.2010 - 8 B 90/09 - Juris RdNr 25 f). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.

22

Auf die von der Beklagten unter Beweis gestellten tatsächlichen Umstände der Eheschließung kommt es schon deshalb entscheidungserheblich an, weil das LSG alle Umstände des Einzelfalls, die für oder gegen eine Versorgungsabsicht sprechen könnten, aufzuklären und in einer abschließenden Gesamtbewertung zu würdigen hat. Zur Klärung dieser tatsächlichen Voraussetzungen war der benannte Zeuge auch ein geeignetes und erreichbares Beweismittel. Als Standesbeamter, der die Eheschließung auf der Station im Krankenhaus vollzogen hat, hätte er zu den näheren Umständen der Heirat, wie etwa ihm gegenüber geäußerte Eheschließungsmotive der Eheleute, Zeugnis geben können. Bislang sind im gerichtlichen Verfahren nur Personen vernommen worden, die (als Kinder und Schwester) der Sphäre der Klägerin zugehörig sind. Nicht zuletzt beruht die Beweiswürdigung des LSG im Wesentlichen auf den Angaben der Klägerin zu ihren eigenen Beweggründen. Die Zeugenaussage des Standesbeamten könnte aber nicht nur Anhaltspunkte zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ergeben, sondern darüber hinaus weitere Erkenntnisse zu den inneren Motiven beider Eheleute für die Heirat erbringen. Solche Ermittlungen waren auch deshalb angezeigt, weil sich die Klägerin zum Beweis des Vorliegens der besonderen Umstände iS von § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI gerade auf ihre innere Motivation für die Heirat berufen und hierzu vor dem SG und dem LSG bereitwillig Auskunft gegeben hat. Eine unzulässige Ausforschung im Bereich der privaten Lebensführung (vgl dazu Senatsurteil vom 5.5.2009 - BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6, RdNr 22, 29 mwN) stand daher nicht zu befürchten.

23

Das LSG hätte sich somit - ausgehend von seiner materiellen Rechtsansicht - zur Zeugenvernehmung des Standesbeamten zu den näheren Umständen der Trauung gedrängt fühlen müssen. Wenn es anstelle dessen ausgeführt hat, dass selbst im Fall einer sog Nottrauung aus Anlass einer lebensbedrohlichen Erkrankung (§ 7 PStG idF des bis zum 31.12.2008 gültigen Gesetzes vom 4.5.1998, BGBl I 833) "dies nichts an der dargelegten, zur vollen Überzeugung des Senats feststehenden Motivationslage für die Heirat" ändere, so handelt es sich um eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung. Einer der besonders gelagerten Ausnahmefälle, für die diskutiert wird, ob ein Beweisantrag auf Zeugenvernehmung dann abgelehnt werden darf, wenn aufgrund der Fülle und Güte bereits erhobener Beweise die entscheidungserheblichen Tatsachen mit einer solchen Gewissheit feststehen, dass die Überzeugung des Gerichts durch die beantragte weitere Beweiserhebung - ihr Erfolg unterstellt - nicht mehr erschüttert werden kann (vgl BVerwG vom 11.4.1991 - 3 C 73.89 - Buchholz 310 § 86 Abs 1 Nr 229 S 55 f mwN; BVerwG vom 12.3.2010 - 8 B 90/09 - Juris RdNr 25 f mwN; s auch BSG vom 31.8.1987 - 4a BJ 117/87 - Juris RdNr 5 - zu den beim Zeugenbeweis im Vergleich zum Sachverständigenbeweis strengeren Anforderungen), liegt hier nicht vor. Insbesondere zeigt das Urteil des LSG plausible Gründe für das Bestehen einer für jedermann nachvollziehbaren, unerschütterlichen Überzeugung des Berufungsgerichts nicht auf. Eine solche Überzeugung ist auch kaum denkbar, solange ausschließlich Personen aus dem Umfeld der Klägerin gehört und darauf verzichtet wurde, auch andere in Frage kommende Auskunftspersonen (vgl zB SG Düsseldorf vom 14.12.2009 - S 52 (10) R 22/09 - Juris) zu den Beweggründen der Nottrauung im Krankenhaus zu befragen.

24

Auf diesem Verstoß gegen § 103 SGG beruht die Entscheidung des LSG. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach den beantragten weiteren Ermittlungen zu einem für die Beklagte günstigen Ergebnis gekommen wäre.

25

Das LSG wird die unterlassene Beweisaufnahme zu den näheren Umständen der Trauung nachzuholen und auf dieser Grundlage eine neue Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen haben. Es wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.