Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 08. Okt. 2014 - L 20 R 1141/11

bei uns veröffentlicht am08.10.2014

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 06.09.2011 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2010 verurteilt, der Klägerin auf ihren Antrag vom 10.02.2010 hin die gesetzlichen Leistungen einer Witwenrente gemäß § 46 SGB VI zu gewähren.

II.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Klägerin auf Witwenrente bzw. um die Frage, ob der Anspruch gemäß § 46 Abs. 2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ausgeschlossen ist.

Die 1972 geborene Klägerin heiratete am ... 2009 den 1967 geborenen und am ... 2010 verstorbenen Versicherten H. A. Aus der Ehe stammt ein gemeinschaftliches Kind, geb. am 21.07.2003.

Der Ehemann war als Reisebusfahrer tätig, die Klägerin ist als Erzieherin versicherungspflichtig beschäftigt. Für das Jahr 2009 wurde der Klägerin ein Brutto-Arbeitsverdienst in Höhe von 30.218,83 € bescheinigt.

Bei dem Ehemann der Klägerin wurde im Januar 2009 die Erstdiagnose eines myelodysplastischen Syndroms RAEB II gestellt. Ebenso im Januar wurde eine Familienspendersuche eingeleitet und am 26.02.2009 eine familiär-allogene periphere Blutstammzelltransplantation durchgeführt. Anschließend erfolgte eine Rehabilitationsmaßnahme vom 18.03.2009 bis 08.04.2009 in der A.-Klinik T. In der sozialmedizinischen Beurteilung lt. Reha-Entlassungsbericht vom 15.04.2009 heißt es, unter Voraussetzung der anhaltenden kompletten Remission und der weiteren zeitgerechten Rekonvaleszenz sei langfristig die Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit ohne wesentliche Einschränkungen denkbar. Die bisherige Tätigkeit als Busfahrer könne jedoch erst nach Erreichen einer stabilen Immunkompetenz begonnen werden. Eine Wiederbeurteilung werde gegen Ende 2009 empfohlen. Der Patient werde als arbeitsunfähig entlassen.

Weiter liegt ein Bericht der Universitätsklinik H-Stadt vom 10.09.2009 vor, wonach sich der Versicherte vom 03.09.2009 bis zum 22.09.2009 in stationärer Behandlung befand. Aktuell sei eine Trizytopenie diagnostiziert worden. Die Zuweisung des Patienten sei aus der hiesigen Knochenmarkstransplantationsambulanz erfolgt, da laborchemisch eine Trizytopenie aufgefallen sei. Zum Zeitpunkt der Aufnahme seien offensichtliche Infekt- oder Blutungszeichen verneint worden. Der Patient fühle sich subjektiv nicht schlecht. Bei Aufnahme am 03.09.2009 sei eine Knochenmarkpunktion erfolgt. Der Patient sei bei subjektiv gutem Allgemeinbefinden entlassen worden. Die Blutwerte hätten sich nach Gabe von Erythrozytenkonzentraten und Thrombozytenkonzentraten stabilisiert. Ebenso liegt ein Verlaufsbericht des Hausarztes vom 16.11.2009 vor, wonach für die Daten 28.08.2009 und 02.09.2009 angegeben ist: „Patient fühlt sich soweit gut, kein Fieber. Kein Durchfall ... Wiedervorstellung 09.09.“ Als nächster Eintrag 25.09.2009: „erste Wiedervorstellung nach stationärem Aufenthalt. Kein Fieber, kein Durchfall. Mundschleimhaut reizlos. Wiedervorstellung 28.09... Bei weiteren Vorstellungen bis 26.10.2009 kein Fieber, kein Durchfall.“

Lt. Bericht der Universitätsklinik H-Stadt vom 21.01.2010 erfolgte eine weitere stationäre Behandlung vom 22.11.2009 bis zum Tod des Versicherten am 20.01.2010. Der Tod erfolgte bei Sepsis mit Multiorganversagen. Die stationäre Aufnahme sei über die Notaufnahme erfolgt mit synkopalen Beschwerden sowie Übelkeit nach familiär-allogener Stammzelltransplantation. Der Patient habe über das Auftreten abdomineller Krämpfe seit ca. 3 Wochen berichtet. Der Versicherte verstarb dann am 20.01.2010.

Die Klägerin beantragte am 10.02.2010 Witwenrente.

Mit Bescheid vom 10.03.2010 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Witwenrente ab. Nach den Feststellungen habe sich ergeben, dass im September 2009 eine Trizytopenie diagnostiziert worden sei. Die tödlichen Folgen der Krankheit des Versicherten seien damit zum Zeitpunkt der Eheschließung absehbar gewesen.

Dagegen erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch und gab an, sie und ihr Ehemann hätten bereits seit 1990 in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gelebt. Es habe sich daher um eine gefestigte und stabile Beziehung seit über 20 Jahren gehandelt. Sie hätten fast den gesamten Zeitraum in einer gemeinsamen Wohnung gelebt und hätten einen gemeinsamen Haushalt geführt. Die Klägerin verfüge über ein eigenes Einkommen in Höhe von brutto ca. 2.500 €. Die Trizytopenie sei keine Krankheit sondern lediglich ein Symptom mit den Folgen einer erhöhten Infektionsgefahr, körperlicher Schwäche und Blutungsneigung. Durch die Feststellung der Trizytopenie sei der Tod des Ehemannes keineswegs vorprogrammiert gewesen. Im Febr. 2009 sei eine Stammzellentransplantation durchgeführt worden. Bei der Diagnose des myelodysplastischen Syndroms bestünden die Heilungschancen einer solchen Behandlung zwischen 30 und 50%. Die Therapie sei erfolgreich verlaufen. Eine drastische Verschlechterung des Zustandes sei erst im Laufe des Monats November und dem anschließenden Aufenthalt in der Uni-Klinik ab dem 22.11.2009 erfolgt. Bei Eheschließung am 03.09.2009 hätten die Eheleute nicht damit rechnen müssen, dass der Ehemann bereits knapp 5 Monate später nicht mehr am Leben sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Wegen der Dokumentation der Trizytopenie im Sept. 2009 sei davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung mit dem Ableben des Versicherten in absehbarer Zeit zu rechnen gewesen sei.

Dagegen hat der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 16.07.2010, eingegangen am Sozialgericht (SG) Würzburg am 19.07.2010, Klage erhoben. Im Wesentlichen hat er den Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und darüber hinaus vorgetragen, zu Beginn der Beziehung sei eine Heirat nicht so wichtig gewesen. Nach Geburt der Tochter hätten geordnete Verhältnisse geschaffen werden sollen, dem habe jedoch der vom Ehemann der Klägerin ausgeübte Beruf als Reisebusfahrer im Wege gestanden. Deshalb seien die Heiratsabsichten immer wieder hinausgeschoben worden. Darüber hinaus seien zur Versorgung der Ehefrau (neben dem eigenen Bruttoeinkommen von monatlich 2.500 €) mehrere Lebensversicherungen abgeschlossen worden, bei denen die Klägerin als Begünstigte eingesetzt gewesen sei. Eine ausreichende Versorgung der Klägerin bestehe also.

Mit Urteil vom 06.09.2011 hat das SG die Klage abgewiesen.

Die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2a SGB VI lägen vor. Danach sei ein Anspruch auf Witwenrente und Witwerrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert habe, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohenden Krankheit leidenden Versicherten sei in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbs.2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch sei auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten dennoch nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet worden sei. Allerdings müssten die bei der abschließenden Gesamtbewertung besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprächen, um so gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen sei. Die Klägerin habe nicht besondere Umstände darlegen können, dass Zweck der Heirat ein überwiegend oder gleichgewichtiger anderer Grund als die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gewesen sei. Die Klägerin trage die Beweislast hierfür. Der Versicherte habe zum Zeitpunkt der Eheschließung am 03.09.2009 an einer lebensbedrohlichen Krankheit gelitten. Zwar habe eine Aussicht auf Überwindung der Erkrankung bestanden. Der ursprünglich positive Verlauf der Stammzellentransplantation sei jedoch mit dem Auftreten der Trizytopenie unterbrochen worden. Dieses sei vor der Eheschließung aufgefallen. Weiter sei nicht nachvollziehbar, dass nach der Geburt der gemeinsamen Tochter am 21.07.2003 trotz gewollter Schaffung „geordneter Verhältnisse“ eine Ehe erst nach Diagnose des Rückschlags - der Trizytopenie - geschlossen worden sei. Das Argument, die Tätigkeit des Mannes als Reisebusfahrer habe entgegengestanden, sei nicht nachvollziehbar. Auch der Umstand, dass die Klägerin seit 01.04.2005 Bezugsberechtigte einer auf das Leben des Versicherten abgeschlossenen Risikoversicherung in Höhe von 75.000 € gewesen sei und sie auch über Brutto-Einnahmen in Höhe von 2.500 € monatlich verfüge, könne die Vermutung des Vorliegens einer Versorgungsehe nicht entkräften.

Dagegen hat der Klägerbevollmächtigte am 16.12.2011 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht erhoben und angegeben, dass entgegen dem erstinstanzlichen Verlauf die Trizytopenie nicht vor der Eheschließung diagnostiziert worden sei. Vielmehr sei eine Routinekontrolle mit Blutabnahme am 02.09.2009 der Poliklinik II H. erfolgt und eine Knochenmarkspunktion am 03.09.2009 ebenfalls in der KMTA durchgeführt worden. Während sich der Ehemann bei dieser Kontrolle befunden habe, habe die Klägerin im Rathaus vorgesprochen und kurzfristig das Aufgebot bestellt. Nachdem ihr Ehemann sie bereits vorher mehrfach gefragt habe, ob sie heiraten wollten, sei die Klägerin nun einer inneren Eingebung gefolgt und habe den Termin für die standesamtliche Trauung vereinbart. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Ehemann noch bei der Routinekontrolle befunden. Nachdem er diese verlassen habe, habe der Versicherte telefonisch erfahren, dass er noch heute heiraten werde und sei über diesen Umstand überglücklich gewesen. Ein Ergebnis der Knochenmarkspunktion habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen. Die Eheschließung habe dann am ... 2009 um 15.00 Uhr im Standesamt in A-Stadt stattgefunden. Zugegen seien lediglich die Mutter des Verstorbenen und die Mutter der Klägerin, Frau G., gewesen. Danach seien die Eheleute und die beiden Mütter noch ins Altstadt-Café gegangen, um dort noch gemeinsam Kaffee zu trinken. Dort habe den Versicherten dann ein Anruf der Uni-Klinik erreicht, dass die Laborergebnisse aus der Blutuntersuchung vom 02.09.2009 und der am Morgen des 03.09.2009 erfolgten Knochenmarkspunktion eingetroffen seien. Ihm wurde mitgeteilt, die Leukozytenwerte seien stark abgefallen und er müsse sich sofort in stationäre Behandlung bei der Uni-Klinik H-Stadt begeben. Während des folgenden Krankenhausaufenthaltes hätten sich die Blutwerte des Ehemannes wieder stabilisiert. Die Klägerin habe gehofft, dass ihr Ehemann durch ihr Ja zur Heirat einen positiven Schub bekomme und sich so seine Heilungschancen weiter verbesserten.

In der mündlichen Verhandlung am 19.11.2013 hat die Klägerin angegeben, sie habe etwa eine Woche vor dem ... 2009 beim Standesamt angerufen. Dort habe ein Angestellter, Herr R., darauf hingewiesen, dass eine Trauung jederzeit möglich sei, weil beide Eheleute den Wohnsitz in A-Stadt hätten. Am 03.09.2009 sei ihr Ehemann mit seinem Vater ins Krankenhaus gefahren. Sie selbst habe sich entschlossen zum Standesamt zu fahren und die Trauung für den ... 2009 zu organisieren. Zuvor sei sie von Ende Juli bis etwa zur dritten Woche im August 2009 gemeinsam mit ihrer Tochter auf einer stationären Reha-Behandlung an der Ostsee gewesen. Im August sei noch überlegt worden, ob ihr Ehemann an der Einschulung der Tochter im September teilnehmen könne. Nachdem sie beim Standesamt vorgesprochen habe, sei sie noch zum Juwelier und dann nach Hause gefahren. Dies sei etwa mittags gewesen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrer Schwiegermutter sei besprochen worden, um 15.00 Uhr zur Trauung zu erscheinen. Sie habe ihre Mutter, die noch gearbeitet habe, auch hinzu gebeten. Ihr eigener Vater und der Schwiegervater sollten nicht teilnehmen. Nach der Trauung seien sie im Altstadt-Café gewesen. Bis zum Anruf der Klinik habe es nicht lange gedauert. Ihr Ehemann habe mit der Klinik gesprochen. Danach habe ihr Ehemann berichtet, dass sie sofort nach Hause müssten, denn er müsse stationär aufgenommen werden. Nach dem gesundheitlichen Zustand ihres Ehemannes im Jahr 2009 befragt hat sie erklärt, sie habe den Eindruck gehabt, es gehe bergauf. Ihr Ehemann habe im Sommer noch im Garten gearbeitet. Auch am 03.09.2009 nach der Knochenmarkpunktion habe ihr Ehemann normal ausgeschaut. Irgendwelche negative Anzeichen habe sie nicht erkennen können.

In der mündlichen Verhandlung hat die Zeugin G. (Mutter der Klägerin) folgendes ausgesagt: Nach der Trauung seien sie im Altstadt-Café gewesen. Nachdem sie Kaffee und Kuchen bestellt hätten, habe das Handy des Ehemanns geläutet. Der Ehemann habe den Anruf angenommen und sich dann dahin geäußert, dass er nochmals in die Klinik müsse. Danach sei man auseinander gegangen. Sie selbst sei wieder zum Geschäft gegangen. Bei der Trauung seien sie, die Klägerin, der verstorbene Ehemann und die Mutter des Ehemannes mit dabei gewesen. Sie hat weiter angegeben, sie sei an diesem Tag in der Früh, vormittags von ihrer Tochter angerufen worden, dass die Trauung um 15.00 Uhr stattfinde. Der Anruf habe sie überrascht, sie habe aber nicht weiter darüber nachgedacht, sondern sich schon darauf gefreut. Nach dem Handy-Anruf im Café habe der Ehemann der Klägerin nicht erläutert, warum er in die Klinik müsse. Einen Grund habe er nicht genannt, es sei auch nicht weiter darüber gesprochen worden. Im Jahr davor habe sie keine konkrete Planung einer Hochzeit mitbekommen. Man habe sich aber in der Vergangenheit schon über eine Hochzeit unterhalten.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 12.12.2013 beantragt, den Oberarzt Dr. L., tätig an der Universitätsklinik H-Stadt zu befragen, ob zum Zeitpunkt der Eheschließung die Lebenserwartung noch größer als 12 Monate angenommen werden konnte.

Im Erörterungstermin am 11.06.2014 hat der sachverständige Zeuge Dr. L. auf Befragen der Vorsitzenden, was sich im Hinblick auf die Erkrankung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin und die Lebenserwartung im Hinblick auf die am 03.09.2009 diagnostizierte Trizytopenie sagen lasse, Folgendes erklärt: Bei der Trizytopenie handele es sich darum, dass die Anzahl der weißen und roten Blutkörperchen und der -plättchen verringert sei. Bei der Erkrankung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin trete als Folge der Stammzelltransplantation des Öfteren eine Trizytopenie auf, sie müsse dann entsprechend behandelt werden. Im Hinblick auf die Lebenserwartung ließen sich daraus keine Schlüsse ziehen. Es wäre keine gravierende Komplikation. Bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin sei eine Komplikation aufgetreten, und zwar eine Graft-versus-Host-Reaktion, erstmals im Juli 2009, dann noch einmal im August 2009. Diese sei aber behandelt worden und habe keine konkrete Auswirkung auf die Lebenserwartung gehabt. Komplikationen würden lediglich die Anfälligkeit für Infektionserkrankungen steigern, hätten aber keine direkte Auswirkung auf die Lebenserwartung. Dies treffe jedenfalls dann zu, wenn die Graft-versus-Host-Reaktion auf die Behandlung anspreche. Dies sei hier der Fall gewesen. Der Zeuge hat dargelegt, dass die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Erstdiagnose sehr viel schlechter gewesen sei als nach der Stammzelltransplantation. Danach bestünde eine Heilungschance von ca. 80%. Bezüglich der Therapie hat der Zeuge erklärt, zunächst erfolge ein stationärer Aufenthalt von vier bis sechs Wochen. Circa ein Jahr nach Beendigung der Therapie könne abgesehen werden, ob der Erfolg dauerhaft eingetreten sei. Unsicherheit bestünde für ca. ein Jahr. Das Auftreten von Komplikationen innerhalb dieses Jahres sei vollkommen üblich.

Hinsichtlich der Abläufe am 02./03.09. gibt der Zeuge Folgendes an: In der Knochenmarktransplantationsambulanz seien die Blutwerte am 02.09. festgestellt worden. Er vermute, dass diese Blutwerte noch am gleichen Tag dem Stammzellzentrum mitgeteilt worden seien, da am 03.09. die stationäre Aufnahme erfolgt sei. Für diesen Fall könne er nicht das exakte Vorgehen schildern, die übliche Vorgehensweise sei, dass die Blutwerte beim Patienten ermittelt würden. Mache der Patient soweit einen gesunden Eindruck, werde er noch vor Mitteilung der Blutwerte nach Hause geschickt. Fielen bei der Prüfung der Blutwerte Auffälligkeiten auf, würde das Stammzellzentrum telefonisch oder per Email mit dem Patienten Kontakt über das weitere Vorgehen, eventuell auch einer stationären Aufnahme, aufnehmen und klären. Er könne nicht genau sagen, wann der Ehemann der Klägerin vom Stammzellzentrum informiert worden sei. Normalerweise erfolge die Information telefonisch, oft werde aber auch noch eine E-Mail versandt. Wegen der Vielzahl der Patienten würden diese E-Mails aber regelmäßig gelöscht, so dass er davon ausgehe, dass eine solche E-Mail nicht mehr in den Unterlagen vorhanden sei. Auf Frage, woran der Ehemann verstorben sei, hat der Zeuge erklärt, es sei zunächst eine weitere Graft-versus-Host-Reaktion erfolgt. Im Ergebnis sei der Ehemann dann an einem schweren bakteriellen Infekt verstorben. Aus Sicht der behandelnden Ärzte habe es sich um einen ungewöhnlich schweren Verlauf gehandelt. Auf weitere Nachfrage, ob bei dem Ehemann der Klägerin am 03.09. eine Knochenmarkpunktion erfolgt sei, hat der Zeuge erklärt, ja. Normalerweise erfolge ein solcher Eingriff am Nachmittag. Die ersten Ergebnisse einer solchen Punktion seien am Folgetag zu erwarten, die weiteren Ergebnisse dauerten bis zu 10 Tagen. Bezüglich des psychischen Zustands des Ehemannes hat der Zeuge erklärt, nach fünf Jahren könne er sich selbstverständlich nicht mehr genau erinnern. Soweit er sich erinnere, sei Herr A. mit der Erkrankung und der Transplantation sogar recht locker umgegangen, er habe sich in einem guten psychischen Zustand befunden. Möglicherweise befänden sich noch Unterlagen über den psychischen Zustand von Herrn A. bei der Psychoonkologie. Der Ehemann sei über die Lebenserwartung bzw. der Sterberisiken informiert gewesen, sowohl das Ausmaß der Erkrankung, Lebenserwartung, Sterberisiko und Bedeutung von Komplikationen würden jeweils ausführlich kommuniziert.

Auf Antrag des Beklagtenvertreters hat der Senat bei der Universitätsklinik H-Stadt angefragt, ob bei der Unterlagen über den verstorbenen Ehemann der Klägerin vorhanden seien. Mit Schreiben vom 02.07.2014 hat diese geantwortet, es seien keine Unterlagen vorhanden. In einer Stellungnahme vom 10.07.2014 durch Dr. H. am 17.07.2014 hat die Beklagte folgendermaßen Stellung genommen: Nach der Aktenlage wie auch nach den Ausführungen des Dr. L. sei der Verlauf der allogenen Stammzelltransplantation bis ca. Anfang Juli 2009 unauffällig gewesen. Im Laufe des Juli 2009 habe sich die persönliche Situation des Versicherten mit behandlungsbedürftiger Graft-versus-Host-Reaktion geändert. Zum einen sei also abzuklären, wann genau der Entschluss der Eheschließung gefasst worden sei, zum anderen müsse Dr. L. noch einmal genauer befragt werden, welche Auswirkungen die Graft-versus-Host-Reaktion konkret auf die Lebenserwartung gehabt habe und inwieweit der Patient genau darüber aufgeklärt worden sei.

In der mündlichen Verhandlung am 08.10.2014 hat der Senat den Schwiegervater der Klägerin, A. vernommen. Der Zeuge hat angegeben, dass er an dem Tag der Trauung, dem 03.09.2009 nicht mit seinem Sohn ins Krankenhaus gefahren sei. Es könne sein, dass er am Tag zuvor mit dem Sohn in der Klinik gewesen sei. Der Sohn habe ihn über die anstehende Trauung informiert, er sei dort nicht hingegangen. Der Sohn habe gesagt, dass in einer Stunde geheiratet werde, und sie könnten kommen oder auch nicht. Er sei überrascht gewesen, als man ihm die Trauung mitgeteilt habe. Von Hochzeit sei auch zuvor nicht die Rede gewesen. Der Sohn sei ja schwer krank gewesen. Das Verhältnis zur Klägerin sei vor der Trauung nicht besonders gewesen. Er glaube nicht, dass sein Sohn ihm die Heiratsabsichten verschwiegen habe. Seine Ehefrau habe ihm nach der Trauung erzählt, dass beim Kaffeetrinken nach der Trauung das Telefon geläutet habe und der Sohn dann ins Krankenhaus gemusst habe.

Der Senat hat weiter A., die Schwiegermutter der Klägerin vernommen. Zu den Vorgängen am 03.09.2009 befragt, hat die Zeugin erklärt, ihr Sohn sei an dem Tag der Trauung nicht in der Klinik gewesen. Sie hätten gemeinsam Mittag gegessen, danach sei die Schwiegertochter dazugekommen. Sie habe gemerkt, dass die Schwiegertochter glücklich gewesen sei. Ihr Sohn habe dann gesagt, dass sie in einer Stunde heiraten und sie mitkommen könnten oder auch nicht. Die Trauung sei dann um 14.00 Uhr gewesen und zwar im Rathaus von A-Stadt. Nach der Trauung im Rathaus sei man ins Cafe gegangen. Sie hätten sich draußen hingesetzt und hätten Kaffee getrunken. Es sei dann ein Anruf gekommen, ihr Sohn habe hierzu gesagt, dies sei das Krankenhaus gewesen. Es müsse sofort wieder rein. Nach dem Anruf sei dann die Schwiegertochter mit ihrem Sohn ins Krankenhaus gefahren. Sie selbst sei nach Hause gegangen. Ihr Sohn sei zum Mittagessen gekommen, er sei von zuhause gekommen. Sie wisse nicht, was das Krankenhaus zu ihrem Sohn gesagt habe. Sie sei überrascht gewesen, als sie über die anstehende Trauung informiert worden sei. Von einer Heirat vorher sei nie die Rede gewesen. Sie habe zu ihrer Schwiegertochter schlecht Zugang gefunden.

Der Senat hat weiter R. A., den Bruder des Verstorbenen vernommen. Der Zeuge hat angegeben, er wisse nicht, ob sein Bruder am ..., dem Tag der Trauung vor der Trauung in der Klinik gewesen sei. Die Heirat sei wohl ein plötzlicher Entschluss gewesen. Er habe davon nichts gewusst. Er habe von der Trauung erst nach der Trauung von seinen Eltern erfahren.

Die Klägerin hat weiter erklärt, sie sei der Meinung gewesen, ihr Ehemann sei am Morgen des 03.09.2009 in die Klinik gefahren. Er habe einen Termin zur Knochenmarkspunktion gehabt. Sie habe ihn auf dem Handy angerufen um zu klären, ob er bis 15.00 Uhr wieder da sei. Zu den konkreten Heiratsabsichten hat die Klägerin erklärt, dass es aus ihrer Sicht keine Hochzeitsfeier gegeben hätte, sie habe in der Vergangenheit Schwierigkeiten gehabt zu heiraten und zwar in Hinblick auf den damit zu tragenden Familiennamen. Ihr Mann habe ihr Briefe geschrieben. Dies habe sie dann auch dazu bewogen zu heiraten. Die Klägerin hat einen Brief ihres Ehemanns, datiert vom 19.08.2009 überreicht. Darin heißt es u. a.: „Haben überlegt L. ein Geschwisterchen zu geben - zu heiraten nun, wenn du dir mal Gedanken machst ...“

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 06.09.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin auf ihren Antrag vom 10.02.2010 hin die gesetzlichen Leistungen einer Witwenrente gemäß § 46 SGB VI zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 06.09.2011 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Beklagtenakte und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Witwenrente gemäß § 46 SGB VI, der Anspruch ist nicht gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen.

Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI haben Hinterbliebene keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Als besondere Umstände i. S. des § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles anzusehen, die auf von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe für die Heirat schließen lassen (BSG, Urteil vom 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, m. w. N., veröffentl. in juris). Die Annahme des Anspruchs ausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens 1 Jahr ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalles zu bewerten (BSG, Urteil vom 06.05.2010, B 13 R 134/08 R, BSG vom 05.05.2009 a. a. O., veröffentl. in juris). Die Umstände sind nachzuweisen, die Beweislast trägt der Antragsteller. Im Rahmen der Gewichtung ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbs.2 SGB VI nicht erfüllt. Doch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei abschließender Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, um so gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist. Demgemäß steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme (Vermutung) einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden (BSG vom 05.05.2009 und vom 06.05.2010 a. a. O.).

Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass Beweggrund der Eheschließung der Klägerin mit dem Versicherten war, sich nach langjährigem Zusammenleben nunmehr doch „offiziell“ zueinander und auch im Hinblick auf die gemeinsame Tochter L. und mögliche weitere Kinder als Familie zu bekennen. Nicht im Vordergrund stand eine Versorgungabsicht, basierend auf einem bald zu erwartenden Tod des Versicherten.

Dies beruht auf Folgendem:

Festzustellen ist, dass die Ehe der Klägerin weniger als 1 Jahr gedauert hat, nämlich vom 03.09.2009 bis zum Versterben des Ehemannes am 20.01.2010. Zum Zeitpunkt der Eheschließung litt der Ehemann der Klägerin auch an einer lebensbedrohlichen Krankheit. Bei ihm wurde im Januar 2009 Jahres ein myelodysplastisches Syndrom festgestellt, mit folgender Stammzelltransplantation im Februar 2009. Allerdings ist weiter zu berücksichtigen, dass zunächst die Blutstammzelltransplantation zu einer Remission geführt hatte. Lt. Reha-Entlassungsbericht wurde unter der Voraussetzung der anhaltenden kompletten Remission und der weiteren zeitgerechten Rekonvaleszenz langfristig die Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit als denkbar angesehen. Eine Wiederbeurteilung solle gegen Ende 2009 erfolgen. Daraus ist zu entnehmen, dass auch der dortige Arzt von einem möglichen positiven Verlauf der Krankheit ausgegangen ist.

Der Zeuge Dr. L. hat ebenfalls erklärt, dass die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Erstdiagnose sehr viel schlechter gewesen sei als nach der Stammzelltransplantation. Danach bestünde eine Heilungschance von ca. 80%. Ca. 1 Jahr nach Beendigung der Therapie könne abgesehen werden, ob der Erfolg dauerhaft eingetreten sei. Unsicherheit bestünde für ca. 1 Jahr. Das Auftreten von Komplikationen innerhalb dieses Jahres sei vollkommen üblich. Bei dem verstorbenen Versicherten sei eine Komplikation aufgetreten, und zwar eine Graft-versus-Host-Reaktion, erstmals im Juli 2009 und dann noch einmal im August 2009. Diese sei aber behandelt worden und habe keine konkrete Auswirkung auf die Lebenserwartung gehabt. Komplikationen würden lediglich die Anfälligkeit für Infektionserkrankungen steigern, hätten aber keine direkte Auswirkung auf die Lebenserwartung. Dies treffe jedenfalls dann zu, wenn die Graft-versus-Host-Reaktion auf die Behandlung anspreche. Damit war am Tag der Eheschließung 03.09.2009 nach wie vor von einer lebensbedrohenden Erkrankung mit jedoch guten Heilungschancen auszugehen. Der Senat ist auch davon überzeugt, dass sowohl die Klägerin wie auch der Versicherte davon wussten. Zum einen wusste der Versicherte von der lebensbedrohlichen Erkrankung. Dies ergibt sich zum einen aus dem Reha-Entlassungsbericht vom 15.04.2009, wonach im Rahmen eines fachpsychologischen Einzelgespräches der Verstorbene offen von der dramatischen Entwicklung seiner Erkrankung berichtet habe und sich dessen auch bewusst gewesen sei. Auch Dr. L. hat angegeben, der Versicherte sei über seine Erkrankung aufgeklärt gewesen. Auch der Klägerin war die nach wie vor ungewisse Lage bewusst. Gleichwohl hat der Versicherte gehofft, dass sich die durchaus realistischen Heilungschancen verwirklichen. Dies ist auch dem Brief vom 19.08.2009 zu entnehmen worin es heißt „Ja M., weiß nicht genau, wie immer was ich sagen soll, meine Hand zittert, habe Angst, würde gerne noch ein paar Jahre hier mit euch verbringen, vielleicht klappt es“. Auch die Klägerin hat angegeben, der Gesundheitszustand des Mannes im Sommer 2009 sei zufriedenstellend gewesen. Dies ist auch so dem Bericht des Hausarztes vom 16.11.2009 zu entnehmen, wonach für Daten 28.08.2009 und 02.09.2009 angegeben ist „Patient fühlt sich soweit gut, kein Fieber, kein Durchfall“. Auch durch die Diagnose der Trizytopenie am 03.09.2009 ist - jedenfalls bis zur Eheschließung um 15.00 Uhr an diesem Nachmittag - kein maßgeblicher neuer Gesichtspunkt aufgetaucht, der bei den Beteiligten Anlass zur Sorge gegeben hätte.

Nach Würdigung der Zeugeneinvernahmen wie auch den schriftlichen Aufzeichnungen der Universitätsklinik H-Stadt geht der Senat von folgendem Geschehensablauf vor und am Tag der Eheschließung aus: Nach den Befundunterlagen und der Aussage von Dr. L. wurden am 02.09.2009 in der Knochenmarktransplantationsambulanz die Blutwerte des Versicherten festgestellt. Diese Blutwerte wurden entweder noch am gleichen Tag, spätestens am 03.09.2009 dem Stammzellzentrum mitgeteilt. Ob der Versicherte schon vormittags die Universitätsklinik aufgesucht hat, kann nicht aufgeklärt werden. Die Klägerin gibt an, der Versicherte sei vormittags in die Universitätsklinik gefahren. Die Eltern des Versicherten geben an, er sei nicht in der Universitätsklinik gewesen. Normalerweise habe sein Vater ihn immer gefahren. Der Vater konnte sich nicht daran erinnern, ihn am 03.09. in die Universitätsklinik gefahren zu haben. Dr. L. gibt an, aus den Unterlagen sei nicht zu entnehmen, ob der Versicherte sich schon vormittags in der Klinik befunden habe. Sicher sei, dass eine Knochenmarkspunktion an diesem Tag erfolgt sei, diese erfolge jedoch normalerweise nachmittags. Aus den Unterlagen der Klinik sind ebenfalls keine genauen Daten zu entnehmen. Nach der Auskunft der Uni-Klinik Hämatologie ist der Versicherte am 03.09. um 15.05 Uhr aufgenommen worden. Dies kann jedoch nicht stimmen, da nach den Unterlagen des Standesamtes wie auch den Angaben der Klägerin sowie der Mutter der Klägerin die Trauung um 15.00 Uhr erfolgt ist. Möglicherweise ist die Auskunft der Uni-Klinik so zu erklären, dass datentechnisch die Aufnahme um 15.05 Uhr erfolgt ist.

Jedenfalls steht für den Senat aufgrund der übereinstimmenden Zeugenaussagen der Schwiegereltern der Klägerin sowie ihrer Mutter fest, dass der Versicherte wie auch seine Ehefrau erst nach der Trauung um 15.00 Uhr erfahren haben, dass ein Befund aufgetreten ist, der eine sofortige stationäre Aufnahme in die Universitätsklinik erfordert, nämlich die Diagnose der Trizytopenie. Übereinstimmend haben die Zeugen wie auch die Klägerin ausgesagt, erst nach der Trauung sei der Anruf der Universitätsklinik gekommen und aufgrund dieses Anrufs sei der Versicherte noch am gleichen Nachmittag in die Universitätsklinik zur stationären Aufnahme gegangen.

Für den Senat kann es deshalb dahingestellt bleiben, ob die Diagnose einer Trizytopenie eine Komplikation darstellt, die nun eine ungünstigere Verlaufsprognose ausgelöst hat. Für den Senat steht jedenfalls fest, dass das Wissen um diese Komplikation erst nach der standesamtlichen Trauung den Beteiligten zugänglich war, so dass dieses Wissen nicht Motiv für die plötzliche Eheschließung gewesen sein kann. Darüber hinaus ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der sachverständige Zeuge Dr. L. angegeben hat, dass als Folge der Stammzelltransplantation des Öfteren eine Trizytopenie auftrete, sie müsse dann entsprechend behandelt werden. Im Hinblick auf die Lebenserwartung ließen sich daraus keine Schlüsse ziehen. Es sei keine gravierende Komplikation.

Bei diesem Geschehensablauf ist auch der von der Klägerin dargestellte Ablauf für den Senat glaubhaft und nachvollziehbar, dass sie sich etwa eine Woche vor dem 03.09. beim Standesamt in A-Stadt erkundigt habe, welche Unterlagen erforderlich seien und dass sie am 03.09.2009 den Versicherten damit überrascht habe, heute heiraten zu wollen. Anhaltspunkte dafür sind aus den Zeugenaussagen zu entnehmen. Der Schwiegervater der Klägerin hat erklärt, sein Sohn habe ihm mittags am 03.09.2009 erklärt, dass in einer Stunde geheiratet werde. Er sei überrascht gewesen, als ihm die Trauung mitgeteilt worden sei. Von Hochzeit sei zuvor nicht die Rede gewesen. Eine ähnliche Aussage hat die Zeugin A., Schwiegermutter der Klägerin getan. Sie hat angegeben, sie hätte gemeinsam mit ihrem Ehemann und dem Sohn zu Mittag gegessen, dann sei die Schwiegertochter dazugekommen. Sie habe gemerkt, dass die Schwiegertochter glücklich gewesen sei. Ihr Sohn habe dann gesagt, dass sie in einer Stunde heiraten würden und sie mitkommen könnten oder auch nicht. Sie sei überrascht gewesen, als sie über die anstehende Trauung informiert worden sei. Von einer Heirat sei vorher nie die Rede gewesen. Auch der Schwager der Klägerin hat erklärt, er gehe davon aus, dass die Heirat ein plötzlicher Entschluss gewesen sei. Er habe zuvor davon nichts gewusst. Die Klägerin hat plausibel dargetan, dass der Entschluss zur Heirat von ihr spontan gefasst worden ist und zwar im August 2009. Eine Rolle gespielt hat dabei auch der Brief des Versicherten vom 19.08.2009, in dem es heißt „Wir kennen uns 20 Jahre unglaublich mit allen Höhen und Tiefen und haben unser bestes Werk L. gezeugt, Bäume gepflanzt, Haus renoviert. Ich glaub ein kleines Paradies geschaffen. Haben überlegt L. ein Geschwisterchen zu geben - zu heiraten. Nun wenn du dir mal Gedanken machst ...“. Dem Senat ist insoweit auch plausibel, dass der Entschluss der Klägerin nunmehr doch nach langjährigem Zusammenleben „ohne Trauschein“ zu heiraten, gerade in der Hoffnung begründet war, mit dem Versicherten noch weitere Jahre zu erleben und ihrem Kind, auch im Hinblick auf mögliche weitere Kinder - eine formale Familie zu bieten. Bei einem langjährigen Zusammenleben „ohne Trauschein“ liegt die langjährige bewusste Entscheidung zugrunde, eben nicht zu heiraten um damit nicht den vielfältigen gesetzlichen Regelungen, die für Eheleute gelten, zu unterliegen. Insoweit ergibt sich hier eher der alleinige oder überwiegende Zweck der Eheschließung, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt vom 20.02.2014 - L 3 R 337/12 - juris, m. w. N.). Allerdings kann es je nach Dauer und Ausgestaltung der eheähnlichen Beziehung und nach den Umständen des Einzelfalles die Annahme nicht gerechtfertigt sein, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (BSG vom 02.02.2001, B 2 U 379/00 B - juris).

Ebenso liegt es in diesem Fall. Der Gesundheitszustand des Versicherten war zum Zeitpunkt des 03.09. um 15.00 Uhr so, dass durchaus berechtigte Hoffnung bestand, endgültig geheilt zu werden. Dem Versicherten war daran gelegen, nunmehr einen formellen Familienstatus zu erlangen, die Klägerin hatte diesem Drängen dann nachgegeben, auch um ihn soweit bei seiner Erkrankung zu unterstützen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 46 Witwenrente und Witwerrente


(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht

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Bundessozialgericht Urteil, 06. Mai 2010 - B 13 R 134/08 R

bei uns veröffentlicht am 06.05.2010

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Ger

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(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer großen Witwenrente.

2

Die 1950 geborene Klägerin lebte seit 1978 mit dem 1946 geborenen und am 27.7.2004 verstorbenen Versicherten in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Sie heirateten am 2.7.2004. Aus der ersten Ehe der Klägerin waren ein Sohn und eine Tochter hervorgegangen, aus der ersten Ehe des Versicherten eine Tochter. Die Klägerin hatte in den Jahren 2003 und 2004 ein monatliches Bruttoeinkommen von ca 2.400 Euro aus ihrer Beschäftigung als Apothekenhelferin.

3

Im Oktober 2002 erkrankte der Versicherte an einem Blasenkarzinom, das operativ entfernt wurde. Im Februar 2004 wurde eine fortschreitende Metastasierung diagnostiziert. Die ab 1.6.2004 durchgeführte Chemotherapie diente lediglich palliativen Zwecken. Der Versicherte wurde in den Zeiträumen vom 24.5. bis 3.6.2004 und vom 8.6. bis 10.6.2004 stationär behandelt, danach aufgrund einer deutlichen Verschlechterung erneut vom 14.6. bis 10.7.2004, wobei die Chemotherapie abgebrochen und die Behandlung mit Morphin fortgesetzt wurde. Unter dieser Medikation war der Versicherte mit Hilfe eines Stützrollators zeitweise gehfähig. Die Eheschließung erfolgte am 2.7.2004 auf der Krankenstation. Zur Entlassung des Versicherten wurde eine sog Homecare-Betreuung eingerichtet. Am 27.7.2004 wurde der Versicherte notfallmäßig erneut stationär aufgenommen; er verstarb noch am selben Tag.

4

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente lehnte die Beklagte ab, da sie von einer sog Versorgungsehe gemäß § 46 Abs 2a SGB VI ausging(Bescheid vom 13.6.2005, Widerspruchsbescheid vom 28.10.2005).

5

Das SG Berlin hat - nach Vernehmung der Schwester, des Sohnes und der Tochter der Klägerin sowie nach deren persönlicher Anhörung - die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids verurteilt, der Klägerin ab 27.7.2004 Witwenrente aus der Versicherung des Verstorbenen zu gewähren. Dem Anspruch stehe der Ausschlussgrund gemäß § 46 Abs 2a SGB VI nicht entgegen.

6

Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 31.1.2007 die Berufung der Beklagten nach persönlicher Anhörung der Klägerin zurückgewiesen unter Neufassung des Tenors, dass der Klägerin ab 27.7.2004 große Witwenrente zu gewähren sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs 2a SGB VI sei nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens widerlegt, weil zur Überzeugung des Senats trotz der sehr kurzen Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass die Versorgung der Klägerin der alleinige oder überwiegende Zweck der Eheschließung gewesen sei. Hierbei stütze sich der Senat auf die glaubhaften Einlassungen der Klägerin in ihren vorbereitenden Schriftsätzen, im Termin zur mündlichen Verhandlung und auf die Aussagen ihrer vom SG als Zeugen vernommenen Kinder. Danach stehe fest, dass - neben Versorgungserwägungen - zumindest gleichgewichtiger Zweck der Eheschließung gewesen sei, der beiderseitigen Liebesbeziehung nach langjährigem Zusammenleben durch den Akt der Eheschließung den - nach Wortwahl der Klägerin - "offiziellen Segen" zu geben und so eine Rechtsposition zu erlangen. Die Klägerin habe überzeugend ausgeführt, dass der Heiratswunsch schon viele Jahre vor der Krebserkrankung bestanden habe, jedoch aus finanziellen Gründen und familiären Erwägungen nicht eher realisiert habe werden können. Die mit dem Versicherten im Familienverbund lebenden Kinder der Klägerin, die ihn als "Vater" angesehen hätten, hätten die langjährige Heiratsabsicht ebenfalls bestätigt.

7

Der Umstand der seit 1978 gelebten langjährigen Liebesbeziehung stehe einem überwiegenden Versorgungsgedanken entgegen. Die Liebesbeziehung sei ohnehin nicht auf gegenseitige Versorgungsansprüche ausgerichtet gewesen, weil die Klägerin einer vollschichtigen Berufstätigkeit nachgegangen sei, mit der sie ohne Weiteres ihren eigenen Lebensunterhalt habe sichern können. Dies habe die Klägerin vor dem Senat eindrucksvoll dargelegt.

8

Ebenso wenig spreche der Krankheitsverlauf des Versicherten gegen diese Einschätzung. Die Klägerin habe glaubhaft ausgeführt, dass sie trotz palliativer Behandlung des Versicherten nicht davon ausgegangen sei, dass "mein Mann so bald würde sterben müssen". Doch auch wenn die Klägerin im Zeitpunkt der Eheschließung gewusst haben sollte, dass der Tod des Versicherten in naher Zukunft bevorstehe, verbliebe es bei dem vorrangigen Motiv der Eheschließung, der beiderseitigen Liebesbeziehung den "offiziellen Segen" zu geben. Daher habe für den Senat keine Veranlassung bestanden, den von der Beklagten hilfsweise gestellten Beweisanträgen zu folgen. Selbst wenn eine Nottrauung gemäß § 7 Personenstandsgesetz (PStG) vorgelegen hätte, änderte dies nichts an der zur Überzeugung des Senats feststehenden Motivationslage für die Heirat.

9

Mit ihrer vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 46 Abs 2a SGB VI und von §§ 103, 128 SGG. Die Klägerin habe den Nachweis des Vorliegens "besonderer Umstände", die die Rechtsvermutung des § 46 Abs 2a SGB VI widerlegen könnten, nicht erbracht. Die Verrechtlichung einer Liebesbeziehung durch Eheschließung sei kein von der Versorgungsabsicht verschiedener Beweggrund. Die zuvor seit 26 Jahren geführte eheähnliche Lebensgemeinschaft unterstreiche den Versorgungscharakter der Ehe. Im Fall der lebensbedrohlichen Erkrankung eines Partners sei die wirtschaftliche Absicherung des Überlebenden das maßgebliche Motiv für die Heirat. Konkrete Heiratspläne seien erst nach Bekanntwerden der weit fortgeschrittenen Krebserkrankung gefasst und realisiert worden. Die Hoffnung oder Erwartung, eine lebensbedrohliche Erkrankung zu überleben, könne kein besonderer Umstand im Sinne der Norm sein. Das LSG hätte sich zudem gedrängt fühlen müssen, dem hilfsweise gestellten Beweisantrag, den Standesbeamten zu den Umständen der Eheschließung bei der Nottrauung zu befragen, nachzukommen.

10

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2007 sowie des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2007 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

11

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das angefochtene Urteil beruht - wie die Beklagte zutreffend rügt - auf einer Verletzung der Pflicht des Berufungsgerichts zur Sachaufklärung (§ 103 SGG). Auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG kann der Senat nicht entscheiden, ob die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf große Witwenrente zu Recht abgelehnt hat.

14

1. Gemäß § 46 Abs 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ua dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 27.7.2004 verstorbenen Versicherten, der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs 1 SGB VI erfüllt hatte. Zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten hatte sie auch das 45. Lebensjahr vollendet.

15

Nach § 46 Abs 2a SGB VI, der mit Wirkung vom 1.1.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (vom 21.3.2001, BGBl I 403) eingeführt worden ist und für alle seit dem 1.1.2002 geschlossenen Ehen gilt (vgl § 242a Abs 3 SGB VI), ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat weniger als ein Jahr gedauert (vom 2.7. bis 27.7.2004); damit ist der Tatbestand des § 46 Abs 2a Halbs 1 SGB VI erfüllt. Ob jedoch "besondere Umstände" iS von § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI vorliegen, die den Eintritt der entsprechenden Rechtsfolge - Ausschluss des Anspruchs auf Witwenrente - hindern, kann der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden.

16

2. Entgegen dem Vorbringen der Revision ist der vom Berufungsgericht als maßgeblich zugrunde gelegte Beweggrund der Klägerin für die Eheschließung, nämlich der Wunsch, nach langjährigem eheähnlichem Zusammenleben mit dem Versicherten der beiderseitigen Liebesbeziehung den "offiziellen Segen" zu geben und sie damit auch formal und rechtlich zu manifestieren, nicht von vornherein - losgelöst von den Umständen des konkreten Einzelfalls - ungeeignet, einen besonderen Umstand iS von § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI zu begründen.

17

Der Senat hat im Urteil vom 5.5.2009 (B 13 R 55/08 R - BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6 mwN)zur Auslegung und Anwendung des Ausnahmetatbestands des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI bereits entschieden, dass eine abschließende Typisierung und Bewertung einzelner von den Tatsacheninstanzen festgestellter Ehemotive durch das Revisionsgericht nicht möglich ist. Daran hält er in Kenntnis hiergegen vorgebrachter Bedenken (vgl Pötter, RVaktuell 2010, 15, 21) nach erneuter Prüfung fest. Wie in dem genannten Urteil näher dargelegt ist, sind nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI als "besondere Umstände des Falles" alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls zu prüfen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Die vom Gesetzgeber selbst intendierte Einzelfallprüfung lässt eine abschließende abstrakt-generelle (normgleiche) Einordnung einzelner denkbarer Ehemotive durch das Revisionsgericht nicht zu. Vielmehr kommt es nach dem Gesetz auf die - gegebenenfalls auch voneinander abweichenden - Beweggründe beider Ehegatten im konkreten Einzelfall an (Senatsurteil aaO, RdNr 20). Dabei sind die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in eine Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Falls zu bewerten (aaO RdNr 24). Diese Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Würdigung nach Maßgabe des § 46 Abs 2a SGB VI wird nicht dadurch entbehrlich, dass die damit verbundenen Anforderungen den Wunsch der Verwaltung nach "überprüfbaren … objektiven Kriterien"(vgl Pötter, aaO) nicht erfüllen können.

18

In diesem Zusammenhang kann es zwar nicht als Verletzung von Bundesrecht angesehen werden, wenn die Tatsacheninstanz annimmt, dass bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI nicht erfüllt sein wird. Gleichwohl darf dabei nicht von vornherein der Nachweis ausgeschlossen werden, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgesichtspunkten geheiratet wurde. Bei der abschließenden Gesamtbewertung darf wiederum gefordert werden, dass diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sind, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist (BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6, RdNr 27).

19

Der Frage, ob besondere Umstände iS des Ausnahmetatbestands vorliegen, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechen, ist vorrangig anhand aller vorhandenen objektiven Ermittlungsmöglichkeiten (§ 103 SGG) nachzugehen (aaO RdNr 29 mwN). Sie ist in erster Linie auf tatsächlicher Ebene zu beantworten (BSG vom 15.9.2009 - B 5 R 282/09 B - BeckRS 2009, 72520 RdNr 7). Somit obliegt es zuvörderst den Tatsacheninstanzen, sich nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen und unter Würdigung aller Indizien eine Überzeugung davon zu verschaffen, ob im Einzelfall die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass die Erlangung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war (vgl auch BSG vom 27.8.2009 - B 13 R 101/08 R - Juris RdNr 14 f). Ein Rentenversicherungsträger, der vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit seine Annahme, dass eine Versorgungsehe vorliege, verteidigen will, kann deshalb durch das Stellen von Beweisanträgen darauf hinwirken, dass alle Umstände - auch die für eine Versorgungsehe sprechenden Indizien - in die Beweiswürdigung des Gerichts einbezogen werden.

20

3. Vorliegend hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG einen solchen Beweisantrag zur Entscheidung des Gerichts gestellt; sie hat verlangt, den zuständigen Standesbeamten zu den Umständen der Eheschließung zu vernehmen. Diesem Beweisantrag hätte das LSG nachkommen müssen; seine Ablehnung unter Berufung darauf, dass unabhängig von den konkreten Umständen der Trauung die volle Überzeugung des Senats zur Motivationslage für die Heirat bereits feststehe, verletzt Bundesrecht (§ 103 SGG).

21

Einer der Ausnahmefälle, der es erlaubt hätte, auf die Vernehmung des von der Beklagten mit der Bezeichnung "den zuständigen Standesbeamten" hinreichend konkret benannten Zeugen zu verzichten, ist nicht gegeben. Solche Ausnahmefälle sind dann anzunehmen, wenn es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht ankommt, diese bereits erwiesen sind oder das Beweismittel ungeeignet oder unerreichbar ist (vgl Senatsurteil vom 23.8.2001 - B 13 RJ 59/00 R - SozR 3-2200 § 1248 Nr 17 S 72 f; BSG vom 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 B - Juris RdNr 10; BSG vom 28.5.2008 - B 12 KR 2/07 B - Juris RdNr 11; s auch BVerwG vom 12.3.2010 - 8 B 90/09 - Juris RdNr 25 f). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.

22

Auf die von der Beklagten unter Beweis gestellten tatsächlichen Umstände der Eheschließung kommt es schon deshalb entscheidungserheblich an, weil das LSG alle Umstände des Einzelfalls, die für oder gegen eine Versorgungsabsicht sprechen könnten, aufzuklären und in einer abschließenden Gesamtbewertung zu würdigen hat. Zur Klärung dieser tatsächlichen Voraussetzungen war der benannte Zeuge auch ein geeignetes und erreichbares Beweismittel. Als Standesbeamter, der die Eheschließung auf der Station im Krankenhaus vollzogen hat, hätte er zu den näheren Umständen der Heirat, wie etwa ihm gegenüber geäußerte Eheschließungsmotive der Eheleute, Zeugnis geben können. Bislang sind im gerichtlichen Verfahren nur Personen vernommen worden, die (als Kinder und Schwester) der Sphäre der Klägerin zugehörig sind. Nicht zuletzt beruht die Beweiswürdigung des LSG im Wesentlichen auf den Angaben der Klägerin zu ihren eigenen Beweggründen. Die Zeugenaussage des Standesbeamten könnte aber nicht nur Anhaltspunkte zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ergeben, sondern darüber hinaus weitere Erkenntnisse zu den inneren Motiven beider Eheleute für die Heirat erbringen. Solche Ermittlungen waren auch deshalb angezeigt, weil sich die Klägerin zum Beweis des Vorliegens der besonderen Umstände iS von § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI gerade auf ihre innere Motivation für die Heirat berufen und hierzu vor dem SG und dem LSG bereitwillig Auskunft gegeben hat. Eine unzulässige Ausforschung im Bereich der privaten Lebensführung (vgl dazu Senatsurteil vom 5.5.2009 - BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6, RdNr 22, 29 mwN) stand daher nicht zu befürchten.

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Das LSG hätte sich somit - ausgehend von seiner materiellen Rechtsansicht - zur Zeugenvernehmung des Standesbeamten zu den näheren Umständen der Trauung gedrängt fühlen müssen. Wenn es anstelle dessen ausgeführt hat, dass selbst im Fall einer sog Nottrauung aus Anlass einer lebensbedrohlichen Erkrankung (§ 7 PStG idF des bis zum 31.12.2008 gültigen Gesetzes vom 4.5.1998, BGBl I 833) "dies nichts an der dargelegten, zur vollen Überzeugung des Senats feststehenden Motivationslage für die Heirat" ändere, so handelt es sich um eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung. Einer der besonders gelagerten Ausnahmefälle, für die diskutiert wird, ob ein Beweisantrag auf Zeugenvernehmung dann abgelehnt werden darf, wenn aufgrund der Fülle und Güte bereits erhobener Beweise die entscheidungserheblichen Tatsachen mit einer solchen Gewissheit feststehen, dass die Überzeugung des Gerichts durch die beantragte weitere Beweiserhebung - ihr Erfolg unterstellt - nicht mehr erschüttert werden kann (vgl BVerwG vom 11.4.1991 - 3 C 73.89 - Buchholz 310 § 86 Abs 1 Nr 229 S 55 f mwN; BVerwG vom 12.3.2010 - 8 B 90/09 - Juris RdNr 25 f mwN; s auch BSG vom 31.8.1987 - 4a BJ 117/87 - Juris RdNr 5 - zu den beim Zeugenbeweis im Vergleich zum Sachverständigenbeweis strengeren Anforderungen), liegt hier nicht vor. Insbesondere zeigt das Urteil des LSG plausible Gründe für das Bestehen einer für jedermann nachvollziehbaren, unerschütterlichen Überzeugung des Berufungsgerichts nicht auf. Eine solche Überzeugung ist auch kaum denkbar, solange ausschließlich Personen aus dem Umfeld der Klägerin gehört und darauf verzichtet wurde, auch andere in Frage kommende Auskunftspersonen (vgl zB SG Düsseldorf vom 14.12.2009 - S 52 (10) R 22/09 - Juris) zu den Beweggründen der Nottrauung im Krankenhaus zu befragen.

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Auf diesem Verstoß gegen § 103 SGG beruht die Entscheidung des LSG. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach den beantragten weiteren Ermittlungen zu einem für die Beklagte günstigen Ergebnis gekommen wäre.

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Das LSG wird die unterlassene Beweisaufnahme zu den näheren Umständen der Trauung nachzuholen und auf dieser Grundlage eine neue Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen haben. Es wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.