Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 12. Apr. 2016 - L 15 VU 2/13

bei uns veröffentlicht am12.04.2016

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 13. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Versorgung nach dem Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG).

Der 1947 geborene Kläger, für den ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt worden ist für eine Funktionsbehinderung der Hals- und Lendenwirbelsäule, degenerative Veränderungen, Nervenwurzelreizerscheinungen, Wirbelgleiten, chronisches Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 30), für Funktionsbehinderung beider Handgelenke, Daumensattelgelenksarthrose bds. (Einzel-GdB 20) sowie für Knorpelschäden am Kniegelenk links, arthroskopisch behandelt (Einzel-GdB 20), war in der DDR mehrfach inhaftiert. Nach seinen Angaben bzw. den vorliegenden Unterlagen war dieser erstmals 1964 in I. inhaftiert. Auch in den Jahren 1965 bis 1966 war der Kläger dort in Haft sowie von 1967 bis 1970 in M.. Von 1971 bis 1972 war der Kläger in der Strafvollzugseinrichtung B. inhaftiert, von 1973 bis 1976 in der Strafvollzugseinrichtung B.. Vom 06.05. bis 25.08.1980 und vom 14.01.1983 bis 13.01.1984 war der Kläger in der Strafvollzugseinrichtung T. inhaftiert. Vom 14.06.1984 bis 13.02.1986 war der Kläger in L. in Haft.

Mit Beschluss vom 06.05.2009 hob das Landgericht M. (LG) den Beschluss des Kreisgerichts S. vom 25.08.1980 auf und setzte die Dauer des insoweit zu Unrecht erlittenen Freiheitsentzugs auf die Zeit vom 06.05.1980 bis 25.08.1980 fest. Zudem hob es das Urteil des Kreisgerichts S. vom 30.06.1982 auf. Mit Beschluss vom 29.08.2011 setzte das LG die Dauer des hinsichtlich des genannten Urteils zu Unrecht erlittenen Freiheitsentzugs auf die Zeit vom 14.01.1983 bis 12.01.1984 fest.

Weitere Rehabilitierungen fanden nicht statt. Mit Beschluss vom 19.04.2010 lehnte es das LG ab, den Kläger wegen des Urteils des Kreisgerichts S. vom 01.07.1971 zu rehabilitieren (Verurteilung wegen Rowdytum). Mit Beschluss vom 05.05.2011 lehnte es das LG ab, den Kläger hinsichtlich der Urteile des Kreisgerichts S. vom 20.11.1978 und 23.06.1980 zu rehabilitieren (Verurteilung wegen Verkehrsgefährdung durch Trunkenheit im schweren Fall bzw. wegen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten; im letzteren Fall war der Kläger durch das Urteil des Kreisgerichts S. vom 25.08.1980 freigesprochen worden).

Am 09.06.2009 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG. Als Schädigungsfolgen machte er eine deformierte Wirbelsäule, eine Funktionsstörung im rechten Zeigefinger sowie Narben am rechten Oberschenkel und an der linken Bauchseite geltend. Die Wirbelsäulenbeschwerden führte der Kläger auf die schwere körperliche Arbeit zurück, die er bei seiner ersten Inhaftierung 1963 verrichten habe müssen. Als Ursache der Zeigefingerverletzung nannte der Kläger (zunächst) einen Unfall an der Drehbank während der Inhaftierung zwischen 1967 und 1970; er sei mit der Hand ins Backenfutter geraten. Die sofortige Unfalluntersuchung habe kein Selbstverschulden des Klägers ergeben; es sei keine Schutzvorrichtung vorhanden gewesen. Seit diesem Unfall bestehe keine volle Funktion mehr. Die angegebenen Narben seien entstanden, als seine Tätowierungen zwischen 1978 und 1980 ohne seine Zustimmung entfernt worden seien.

Im Rahmen der Ermittlungen durch den Beklagten wurde u. a. eine ärztliche Bescheinigung des Hausarztes Dr. B. vom 16.07.2009 eingeholt. Darin sind u. a. Wirbelsäulenbeschwerden dokumentiert; mittlerweile habe sich eine ausgeprägte Spondylolisthesis L 5/S 1 entwickelt sowie eine Osteochondrose der gesamten Wirbelsäule, wobei man, so der Arzt, von einem chronischen Schmerzpatienten sprechen könne. Mitursächlich sei sicherlich die Schwerstarbeit im Wachstumsalter gewesen. Aus der Bescheinigung geht hervor, dass der Kläger bei Dr. B. angegeben hat, dass ihm durch das Wachpersonal eine Fraktur der Metacarpale rechts distal mit Knochendefektheilung zugefügt worden sei; seitdem sei das Fingergrundgelenk versteift, ebenso das Mittelglied D II. Auch habe der Kläger, so Dr. B., angegeben, dass ihm im Alter von 23 Jahren die Epidermis am gesamten Oberschenkel wegen einer „nicht DDR-konformen“ Tätowierung ohne Narkose entfernt worden sei. Dr. B. stellte Narben sowie weitere - „nicht im ursächlichen Zusammenhang mit den Gefängnisaufenthalten“ stehende - Gesundheitsstörungen fest. In weiteren (orthopädischen) Unterlagen wurden u. a. die Diagnosen Luboischialgie rechts und Wirbelgleiten L 4/L 5/S 1 gestellt.

In einem Telefongespräch am 29.07.2011 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er sich hinsichtlich des Zeitpunkts der Detätowierungen geirrt habe. Es habe sich damals um die Inhaftierung vom 14.01.1983 bis 13.01.1984 in der Strafvollzugseinrichtung L. gehandelt. Am 11.10.2011 teilte der Kläger dem Beklagten gegenüber telefonisch mit, dass er sich etwa 1980 während einer Schlägerei in Freiheit (nicht in Haft) die Hand gebrochen habe; der Zeigefinger der rechten Hand sei dabei nicht betroffen gewesen.

Im Verwaltungsverfahren wertete der Beklagte weiter die noch vorhandenen Haftunterlagen aus. Mit Schreiben vom 17.11.2011 teilte die Justizvollzugsanstalt B. dem Beklagten mit, dass aufgrund der Erkenntnisse in einem ähnlich gelagerten Fall bekannt sei, dass eine Entfernung von Tätowierungen in der DDR ohne ausdrückliche, schriftliche Genehmigung des Gefangenen nicht möglich gewesen sei. Aus dem Abschlussbericht der Krankenabteilung der Strafvollzugseinrichtung L. vom 13.01.1986 ist ersichtlich, dass sich der Kläger dort am 13.11.1985 zur Detätowierung aufgehalten hat. Es seien, so der Bericht, das großflächige Symbol „Henkerfigur“ am rechten Oberschenkel, Streckseite, sowie die Symbole „EK I“ und „1812“ am linken Rippenbogenrand und die Schrift „Untreue“ am rechten Oberschenkel, Streckseite, entfernt worden.

Zudem zog der Beklagte Unterlagen des Bundesarchivs Berlin und des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik heran.

Mit Bescheid vom 18.04.2012 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab. Hinsichtlich der Wirbelsäulenbeschwerden stützte der Beklagte die Ablehnung darauf, dass hinsichtlich der ersten Inhaftierung im Jahr 1963, auf deren Haftbedingungen der Kläger die Beschwerden zurückführe, keine Rehabilitierungsentscheidung vorliege. Im Übrigen sei es „wohl nicht mehr möglich“, heute bestehende Wirbelsäulenbeschwerden ursächlich auf schwere körperliche Tätigkeiten vor über 40 Jahren zurückzuführen. Hinsichtlich der Verletzung am Zeigefinger der rechten Hand verwies der Beklagte auf die fehlenden Gesundheitsunterlagen, die die geltend gemachten Verletzungen bei der Arbeit an einer Drehbank im Zeitraum zwischen 1967 und 1970 belegen würden. Zudem fehle es auch hier an der erforderlichen Rehabilitierungsentscheidung. Gleiches gelte hinsichtlich der Detätowierung, die nach den vorliegenden Unterlagen am 13.11.1985 erfolgt sei.

Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 14.05.2012 Widerspruch, der nicht begründet wurde. Der Kläger verweist lediglich darauf, dass ihm durch die Entfernung der Tätowierung Unrecht geschehen sei und dass es unerheblich sei, ob dies während einer rehabilitierten Inhaftierung geschehen sei. Diesbezüglich habe er sich bereits an die Bundeskanzlerin gewandt. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2012 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 31.10.2012 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Der Widerspruchsbescheid beziehe sich nur auf die Detätowierung, obwohl auch weitere Schädigungsfolgen geltend gemacht worden seien. Die Detätowierung, so der Kläger, sei nicht freiwillig geschehen. In der Begründung der Klage hat der Kläger auch auf „die in einer Demokratie geltenden“ Menschenrechte hingewiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.12.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und sich die Begründung des Beklagten in den angefochtenen Bescheiden gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu eigen gemacht. Das SG hat hervorgehoben, dass die Schädigungen nicht während rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen erfolgt seien, die entsprechenden Haftzeiträume seien nicht von der Rehabilitierung umfasst. Aus Sicht des SG sei auch nicht wahrscheinlich, dass kurzzeitige schwere körperliche Tätigkeiten zu Schäden an der Wirbelsäule führen würden. Insoweit könne auf die Grundsätze aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu den Berufskrankheiten nach Nrn. 2108, 2109 und 2110 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV), zurückgegriffen werden, welche langjährige - regelmäßig zehn Jahre andauernde - Einwirkungen auf die Wirbelsäule voraussetzen würden. Zudem hat das SG darauf hingewiesen, dass auch bei Anerkennung von Narben und einer Bewegungseinschränkung „des linken Zeigefingers“ als Schädigungsfolge kein finanzieller Ausgleich in Form einer Grundrente nach § 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Betracht komme, da die Bewegungseinschränkung keinen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 30 im Hinblick auf die maßgeblichen Regelungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Anlage 1 zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VG), in Teil B Nr. 18.13 bedinge.

Am 16.01.2013 hat der Kläger gegen den Gerichtsbescheid Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) erhoben. In der Begründung der Berufung hat er darauf hingewiesen, dass die Schädigungen zweifelsfrei während der Inhaftierungszeiten erlitten worden seien. Insoweit hat der Kläger auf alle Inhaftierungen verwiesen. Der Unfall der rechten Hand sei nicht selbst verschuldet. Die Tätowierungen seien unter unmenschlichen Umständen entfernt worden. Bei Betrachtung aller Schädigungsfolgen ergebe sich ein GdS von mindestens 30. Der Kläger hat zudem eine ärztliche Bescheinigung des Hausarztes Dr. B. vom 11.01.2013 vorgelegt. Darin ist bestätigt worden, dass der Kläger entsprechend seinen eigenen Angaben in den „16 Jahren“ der Inhaftierung in der DDR ausschließlich schwere Arbeiten verrichten habe müssen. Während dieser Zeit und auch im Anschluss habe der Kläger unter chronischen anhaltenden Rückenschmerzen gelitten. Der Kläger führe, so Dr. B., diese auf die Tätigkeiten zurück. Seit 1992 werde der Kläger von ihm hausärztlich betreut, u. a. auch wegen erheblicher Schmerzzustände, bedingt durch eine ausgeprägte Osteochondrose.

Mit Schreiben vom 01.02.2016 hat der Kläger auf gerichtliche Nachfrage bestätigt, dass keine neuen Rehabilitierungsentscheidungen ergangen seien. Der Senat hat die Behindertenakte des Beklagten beigezogen.

Am 23.02.2016 hat ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage des Senats stattgefunden. Dabei ist der Kläger im Einzelnen zu den von ihm während der verschiedenen Inhaftierungen zu verrichtenden körperlichen Arbeiten befragt worden. Der Kläger hat nähere Angaben zu den verschiedenen Haftzeiten sowie zu einzelnen dieser Tätigkeiten gemacht. Zudem hat er hervorgehoben, dass er auch verschärfte Haftbedingungen erleiden habe müssen (z. B. Einzelhaft). Die Detätowierung sei menschenverachtend gewesen. Die schweren Arbeiten, die er verrichten habe müssen, seien solche gewesen, zu denen außerhalb des Strafvollzugs niemand bereit gewesen sei.

In dem Termin haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG erklärt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG vom 13.12.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2012 zu verurteilen, als Schädigungsfolgen im Sinne des StrRehaG Wirbelsäulenschäden, Funktionsstörung des rechten Zeigefingers sowie Narben am rechten Oberschenkel und an der linken Bauchseite festzustellen und Versorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.

Gründe

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 SGG. Hieran war er auch nicht im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention gehindert (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 153, Rdnr. 13a), weil das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Denn für den Kläger bestand im Berufungsverfahren die Möglichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung; er hat hierauf jedoch verzichtet. Der Kläger hat sich im o.g. Termin ausführlich geäußert.

Mit Beschluss gemäß § 153 Abs. 5 SGG vom 19.02.2016 ist die Berufung dem Berichterstatter übertragen worden, so dass dieser zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden hat.

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid vom 18.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2012 ist rechtmäßig. Wie das SG zu Recht entschieden hat, steht dem Kläger eine Beschädigtenversorgung gemäß § 21 StrRehaG nicht zu. Die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen der Wirbelsäule, des rechten Zeigefingers und der Haut (am rechten Oberschenkel und an der linken Bauchseite) sind nicht als Schädigungsfolgen infolge der Freiheitsentziehung durch DDR-Behörden anzuerkennen.

Ein Entschädigungsanspruch nach dem StrRehaG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale von § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG gegeben sind.

Für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge und damit die Berücksichtigung im Rahmen eines Versorgungsanspruchs nach § 1 Abs. 1 BVG ist gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG ein wahrscheinlicher Zusammenhang der Freiheitsentziehung als schädigender Vorgang und der geltend gemachten Gesundheitsstörung erforderlich.

Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Eine Freiheitsentziehung (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (3. Glied) bedingt.

Die drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Dies bedeutet, dass kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteile vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R, und vom 17.04.2013, Az.: B 9 V 1/12 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat -; vgl. auch jüngst BSG, Urteile vom 17.04.2013, z. B. Az.: B 9 V 1/12 R) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Beurteilung des Zusammenhangs folgt, wie ansonsten im Versorgungsrecht auch, der Theorie der wesentlichen Bedingung (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Urteile vom 23.11.1977, Az.: 9 RV 12/77, vom 08.05.1981, Az.: 9 RV 24/80, vom 20.07.2005, Az.: B 9a V 1/05 R, und vom 18.05.2006, Az.: B 9a V 6/05 R). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie: Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Als rechtserheblich werden allerdings nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, a. a. O., § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66). Haben mehrere Ursachen zu einem Schaden beigetragen, ist eine vom Schutzbereich des BVG umfasste Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R). Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen. Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. a. a. O.).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall weder für die Gesundheitsschäden an der Haut (rechter Oberschenkel und linke Bauchseite) noch des rechten Zeigefingers oder der Wirbelsäule des Klägers gegeben.

1. Hinsichtlich der durch die Detätowierung bedingten Narben des Klägers fehlt es bereits an den allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen von § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG. Denn nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist davon auszugehen, dass die Detätowierung am 13.11.1985 erfolgt ist, also während einer Inhaftierung des Klägers, für die keine Rehabilitierungsentscheidung vorliegt. Dies ergibt sich aus der o.g. Unterlage vom 13.01.1986; der Senat kann hier keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die Bestätigung falsche Tatsachen wiedergeben würde. Jedenfalls - wenn insoweit auf Klägerseite dennoch Bedenken bestehen sollten - wäre die Durchführung der Detätowierung zum „richtigen“ Zeitpunkt, also während einer Haft, für die eine Rehabilitierungsentscheidung vorliegt, nicht nachgewiesen.

Freiheitsentziehung in § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG ist nur die zu Unrecht erlittene, deren Dauer in dem Beschluss des Landgerichts anzugeben ist; eine Gesundheitsstörung, die Folge einer unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstandenden Freiheitsentziehung ist, kann keinen Versorgungsanspruch nach § 21 StrRehaG begründen (vgl. z. B. auch Rademacker, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 21 StrRehaG, Rdnr. 4, m. w. N.). Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die weiteren Inhaftierungen des Klägers in der DDR bzw. deren einzelne Bedingungen - wie z. B. die Haft zwischen dem 14.06.1984 und 13.02.1986 - unter rechtsstaatlichen und humanitären Aspekten fragwürdig etc. gewesen sind. Hiervon geht der Senat sogar aus, denn es ist eine offenkundige Tatsache, dass die Haftbedingungen in Strafvollzugseinrichtungen des Unrechtsstaates DDR grundsätzlich inakzeptabel gewesen sind. Darauf kommt es jedoch nicht an. Denn maßgeblich ist für Ansprüche nach § 21 StrRehaG ausschließlich, ob für die betreffenden Haftzeiten eine Rehabilitierungsentscheidung ergangen ist. Wie der Senat für das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) bereits ausdrücklich entschieden hat, kommt eine Erweiterung des Rehabilitierungsgrundes nicht in Betracht. Abzustellen ist vielmehr ausschließlich auf die konkreten Maßnahmen, die wegen ihrer Rechtsstaatswidrigkeit gemäß § 1 VwRehaG aufgehoben werden, bzw. auf die konkreten von der Aufhebung rechtsstaatswidriger Entscheidungen betroffenen Freiheitsentziehungen gemäß §§ 1 ff. StrRehaG (vgl. das Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VU 1/10). Dies ergibt sich ohne Weiteres aus Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck der Rehabilitierungsgesetze, die ausdrücklich die einzelne Aufhebung konkreter hoheitlicher Maßnahmen des DDR-Regimes und gerade keinen allgemeinen Unrechtsausgleich ohne konkrete Prüfung von Einzelereignissen vorsehen; nicht zuletzt folgt dies auch aus dem Bestimmtheitsgebot des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (vgl. das Urteil des Senats, a. a. O., m. w. N.; hierin ist auch dargelegt, dass dem Betroffenen durch diese Rechtsprechung keine Nachteile entstehen).

2. Auch die Funktionsstörung am rechten Zeigefinger des Klägers kann nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden. Denn es steht aus Sicht des Senats in keiner Weise fest, dass sie aufgrund einer Schädigung im Zusammenhang mit einer Freiheitsentziehung, für die eine Rehabilitationsentscheidung vorliegen würde, entstanden wäre. Nach dem Verfahren kann der Senat nur feststellen, dass die Ursache der Funktionsstörung weitgehend im Dunkeln liegt. Aufgrund der vorliegenden Angaben des Klägers könnte der rechte Zeigefinger durch Wachpersonal in DDR-Strafvollzugseinrichtungen, 1980 bei einer Schlägerei oder 1970 - ggf. auch zu einem anderen Zeitpunkt - bei einem Unfall an der Drehbank (während der Haft) verletzt worden sein. Im Hinblick auf die detaillierten Angaben des Klägers spricht viel dafür, dass vorliegend ein Unfall während einer Haft etwa 1970 maßgeblich gewesen ist. In diesem Fall würde es sich jedoch nicht um eine Haft handeln, für die eine Rehabilitierungsentscheidung vorliegt. Insoweit würden die Darlegungen unter Ziffer 1 gelten.

3. Schließlich lässt sich auch ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen den Inhaftierungen, für die eine Rehabilitationsentscheidung vorliegt - also lediglich für die Zeiträume vom 06.05. bis 25.08.1980 und vom 14.01.1983 bis 13.01.1984 -, und den geltend gemachten Gesundheitsschäden an der Wirbelsäule nicht nachweisen und auch nicht wahrscheinlich machen.

a. Wie der Kläger nachvollziehbar darauf hingewiesen hat, waren seine Haftbedingungen - vereinfacht ausgedrückt - problematisch (vgl. oben); der Senat geht auch davon aus, dass der Kläger zu solchen körperlichen Arbeiten gezwungen war. Es steht jedoch nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger während der rehabilitierten Haftzeiträume zu körperlichen Tätigkeiten gezwungen war und diese ausgeübt hat, die grundsätzlich geeignet gewesen wären, Wirbelsäulenschäden hervorzurufen. Trotz intensiver Nachfrage des Gerichts konnte nicht geklärt werden, welche Tätigkeiten der Kläger in den beiden genannten Zeiträumen genau ausgeübt hat. Die näheren Arbeitsbedingungen des Klägers können heute nicht mehr nachvollzogen werden. Auch aus den beigezogenen Unterlagen ergibt sich kein Nachweis für die vom Kläger zwischen dem 06.05. und 25.08.1980 sowie 14.01.1983 und 13.01.1984 konkret ausgeübten Arbeiten.

b. Auch der Beweismaßstab von § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) verhilft dem Kläger nicht zum Erfolg. Nach dieser Vorschrift sind die Angaben des Klägers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen, „wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind“. Die Beweiserleichterung kann prinzipiell auch im Hinblick auf solche Tatsachen anwendbar sein, die im Zusammenhang mit einer Schädigung stehen, welche vom StrRehaG erfasst wird. Somit könnten hiervon auch Angaben des Klägers bezüglich der Arbeitsbedingungen in den DDR-Gefängnissen erfasst sein.

Die Anwendung von § 15 KOVVfG hilft dem Kläger jedoch vorliegend nicht weiter. Dies ergibt sich bereits daraus, dass er zu den konkreten Arbeitsbedingungen während der Haftzeiträume, für die Rehabilitationsentscheidungen vorliegen, gerade keine näheren Angaben machen konnte. Zudem könnten solche Aussagen des Klägers, die bezüglich der betreffenden Zeiträume besonders belastende Tätigkeiten mit grundsätzlicher Eignung, schwere und noch heute anhaltende Wirbelsäulenschäden hervorzurufen, behaupten würden, auch nicht als glaubhaft angesehen werden. Denn nach Auffassung des Senats kann nicht davon ausgegangen werden, dass nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für die Möglichkeit sprechen würde, dass der Kläger (gerade) in den beiden Inhaftierungszeiten besonders schwere Tätigkeiten verrichtet hätte, die einen wesentlichen Mitverursachungsbeitrag dargestellt hätten (siehe hierzu auch Ziff. 3.c). Aus Sicht des Senats besteht hierfür allenfalls eine sehr geringe Möglichkeit.

c. Zu dem fehlenden Nachweis geeigneter, (zwangsweise) ausgeübter körperlicher Tätigkeiten kommt, dass - gerade auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG zur Mitursächlichkeit (vgl. d. Urteil vom 16.12.2014, a. a. O.) - ein kausaler Zusammenhang zwischen in den genannten Zeiträumen ausgeübten Arbeiten und den heutigen Wirbelsäulenbeschwerden sehr unwahrscheinlich ist. Im Hinblick auf den Gesamtzeitraum von Haftzeiten des über lange Lebensjahre hinweg inhaftierten Klägers erscheint es kaum möglich, dass die in den kurzen Zeiträumen der rehabilitierten Haftzeiten ausgeübten Tätigkeiten für den Eintritt der Wirbelsäulenbeschwerden im Sinne eines relevanten Mitverursachungsbeitrags annähernd gleichwertig sein könnten. Etwas anderes wäre also nur dann denkbar, wenn die in den beiden Haftzeiträumen ausgeübten Tätigkeiten in ihrer Bedeutung und Tragweite, d. h. wegen ihrer schweren körperlichen Belastung, für den Eintritt der Wirbelsäulenschäden allein mindestens so viel Gewicht hätten wie die übrigen (langjährigen) Tätigkeiten zusammen. Dies erscheint aus Sicht des Senats bei realistischer Betrachtung nahezu ausgeschlossen. Letztlich lässt sich jedoch auch dies nicht mehr im Einzelnen nachvollziehen, da - wie oben dargelegt - die näheren Arbeitsbedingungen in den beiden genannten Haftzeiträumen nicht mehr aufgeklärt werden können. Weitere Ermittlungen, insbesondere die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, waren somit nicht veranlasst.

Wie das SG zutreffend angemerkt hat, ist aufgrund medizinischer Erfahrungssätze zudem unwahrscheinlich, dass kurzzeitige schwere körperliche Tätigkeiten generell geeignet sein könnten, zu Schäden an der Wirbelsäule zu führen (siehe oben).

Weitere Ermittlungen sind nicht veranlasst. Erst recht besteht hierzu keine verfahrensrechtliche Pflicht. Es ist nicht ersichtlich, wohin Anfragen, die zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts führen könnten, gerichtet werden könnten. Insbesondere haben auch die Beteiligten im Erörterungstermin vom 23.02.2016 solche zielführenden Ermittlungsansätze nicht aufzeigen können.

Der Senat verkennt nicht, dass dem Kläger - ungeachtet der rechtsstaatlichen Unbedenklichkeit der weiteren Verurteilungen - aufgrund der DDR-Haftbedingungen Unrecht geschehen ist, worauf der Kläger im Verfahren wiederholt hingewiesen hat. Aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung des sozialen Entschädigungsrechts stehen dem Kläger diesbezüglich Ansprüche jedoch nicht zu, solange nicht die Rechtsstaatswidrigkeit weiterer strafrechtlicher Verurteilungen o.ä. festgestellt ist.

Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die Prüfung sonstiger Ansprüche wie nach dem Häftlingshilfegesetz oder dem Opferentschädigungsrecht nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen ist.

Die Berufung kann damit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 12. Apr. 2016 - L 15 VU 2/13

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 12. Apr. 2016 - L 15 VU 2/13

Referenzen - Gesetze

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 12. Apr. 2016 - L 15 VU 2/13 zitiert 16 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 153


(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 124


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. (3) Entscheidungen des Gerichts, d

Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 1


(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädig

Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz - VwRehaG | § 1 Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen


(1) Die hoheitliche Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle zur Regelung eines Einzelfalls in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990 (Verwaltungsentscheidun

Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - KOVVfG | § 15


Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verl

Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG | § 21 Beschädigtenversorgung


(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorg

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 12. Apr. 2016 - L 15 VU 2/13 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 12. Apr. 2016 - L 15 VU 2/13 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 19. Nov. 2014 - L 15 VU 1/10

bei uns veröffentlicht am 19.11.2014

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 1. Juli 2010 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Bundessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2014 - B 9 V 6/13 R

bei uns veröffentlicht am 16.12.2014

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 17. Apr. 2013 - B 9 V 1/12 R

bei uns veröffentlicht am 17.04.2013

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen

Referenzen

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht eine gesundheitliche Schädigung gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist.

(3) Wer als Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 dieser Vorschrift oder § 22 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, als Pflegeperson oder als Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Beschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes eine gesundheitliche Schädigung erleidet, erhält Versorgung nach Absatz 1.

(4) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(5) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch

a)
eine unmittelbare Kriegseinwirkung,
b)
eine Kriegsgefangenschaft,
c)
eine Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit,
d)
eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist,
e)
einen Unfall, den der Beschädigte auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 durchzuführen oder um auf Verlangen eines zuständigen Leistungsträgers oder eines Gerichts wegen der Schädigung persönlich zu erscheinen,
f)
einen Unfall, den der Beschädigte bei der Durchführung einer der unter Buchstabe e aufgeführten Maßnahmen erleidet.

(3) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(4) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gilt nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes.

(5) Ist der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben, so erhalten seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung. Absatz 3 gilt entsprechend.

(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht eine gesundheitliche Schädigung gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist.

(3) Wer als Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 dieser Vorschrift oder § 22 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, als Pflegeperson oder als Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Beschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes eine gesundheitliche Schädigung erleidet, erhält Versorgung nach Absatz 1.

(4) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(5) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

24

2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung.

2

Der 1941 geborene Kläger war von November 1963 bis April 1968 als Zugschaffner und Zugfertigsteller bei der Deutschen Reichsbahn am Bahnhof G. beschäftigt. In den Jahren 1966 bis 1968 wurde er nach den Feststellungen des LSG durch Mitarbeiter der Staatssicherheit bedroht und unter Druck gesetzt und als inoffizieller Mitarbeiter geworben. Im April 1968 löste der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit dem Bahnhof G. Danach war er als Reinigungsmüller bei den M., anschließend als Koch und Küchenleiter zunächst im R.-Heim und nach dortigen Verwerfungen ab 1976 im N. Krankenhaus in G. tätig.

3

Seit 1976 befand sich der Kläger nach seinen Angaben in nervenärztlicher Behandlung. In den Sozialversicherungsausweisen sind seit dieser Zeit Psychosen, Neurosen und paranoide Zustände dokumentiert. Seit 1980 bezog der Kläger eine Invalidenrente, seit 1992 als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ab dem 1.1.1991 erkannte das Land Brandenburg - Landesversorgungsamt - bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 80 wegen psychovegetativer Störungen an und stellte das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" fest (Bescheide vom 11.7.1995 und 7.9.1995). Das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg hat nach dem Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz - VwRehaG) später festgestellt, dass der Kläger durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren; diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Kläger Verfolgter iS des § 1 Abs 1 Nr 3 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) ist. Als berufliche Verfolgungszeit wurde der Zeitraum von 1968 bis 1990 angegeben (Bescheid vom 23.11.1999). Den Antrag des Klägers auf "Entschädigung aufgrund staatlicher Willkür aus der DDR-Zeit" nach dem VwRehaG lehnte das beklagte Land hingegen ua nach Einholung eines nervenärztlichen Kausalitätsgutachtens bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie und Sozialmediziner Dr. T. vom 29.5.2000 ab, nachdem dieser aufgrund einer ambulanten Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war, dass die bei dem Kläger vorliegende schwere Zwangsneurose nicht ursächlich auf Verfolgungsmaßnahmen in den Jahren 1966 bis 1968 zurückgeführt werden könne (Bescheid vom 22.6.2000). Das Widerspruchsverfahren wurde auf Wunsch des Klägers vorläufig eingestellt (Schreiben vom 25.8.2000). Im Februar 2005 beantragte der Kläger erfolglos die Überprüfung seiner Versorgungsleistungen nach dem VwRehaG (Bescheid vom 1.7.2005; Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005).

4

Das SG hat im anschließenden Klageverfahren auf Antrag des Klägers ein Gutachten bei dem Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten Tr. eingeholt. Dieser hat nach ambulanten Untersuchungen des Klägers eine gemischte Angst-Zwangsstörung diagnostiziert, die chronifiziert und mit Wahrscheinlichkeit durch Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit in der - vom Sachverständigen angenommenen - Verfolgungszeit von 1968 bis 1990 hervorgerufen worden sei. Der Grad der schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 70 vH. Das SG hat weiter Beweis erhoben ua durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. G. Dieser ist nach ambulanter Untersuchung zur Einschätzung gelangt, bei dem Kläger liege ua eine chronifizierte schwere Zwangsstörung mit Begleitphänomenen vor. Die Zwangsstörung weise entstehungsmäßig neben neurologisch relevanten Belastungsfaktoren insbesondere psychosoziale Belastungsfaktoren auf, nämlich Belastungen in Kindheit und Jugend (ua Vergewaltigung der Mutter im Krieg, Verachtung durch den Vater, Schläge durch den Bruder), die von April 1966 bis Juni 1968 erlittenen Verfolgungsmaßnahmen (ua mit der Drohung von Verfehlungen am Arbeitsplatz und Unterstellung von Straftaten) und die Vorkommnisse bei seinem späteren Arbeitgeber im R. Heim (ua Vorwurf der Gefährdung einer ordnungsgemäßen Essensversorgung der Heimbewohner). Diese psychosozial relevanten Belastungsfaktoren, die wesentlich für die Entstehung und Aufrechterhaltung der schweren Zwangsstörung des Klägers seien, seien von ihrer Bedeutung her etwa gleichwertig. Eine etwaig genauere und prozentuale Aussage sei nicht möglich. Wollte man die Kausalität bejahen, läge bei dem Kläger seit Oktober 1998 ein schädigungsbedingter Grad einer MdE von 70 vH vor. Das SG hat die Klage hierauf abgewiesen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die von dem Kläger geltend gemachte Angst- und Zwangsstörung Folge der rechtsstaatswidrigen Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit der ehemaligen DDR sei (Urteil vom 13.1.2009).

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Feststellung einer Schädigungsfolge und Versorgungsleistungen, auch wenn ein schädigendes Ereignis iS von § 1 VwRehaG für die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 vorliege. Die im Kern von allen Gutachtern gestellte Diagnose einer chronifizierten schweren Zwangsstörung sei nicht wesentlich ursächlich auf das schädigende Ereignis zurückzuführen. Das in Bezug auf den richtigen Verfolgungszeitraum allein nachvollziehbare Gutachten des Sachverständigen Dr. G.
komme zu dem Ergebnis, dass die Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen auf drei gleichwertigen Ursachen beruhe. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG bedeute dies, dass die streitigen Verfolgungsmaßnahmen innerhalb des Ursachenkomplexes mit ca einem Drittel eine untergeordnete Rolle einnehmen. Die Rechtsprechung des 2. Senats des BSG, nach der auch eine rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache rechtlich wesentlich sein könne, komme im Versorgungsrecht nicht zum Tragen (Urteil vom 22.11.2012).

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung der Kausalitätsnorm der (Theorie der) wesentlichen Bedingung und der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Das Berufungsgericht habe gegen Denkgesetze verstoßen, indem es aus drei nebeneinander bestehenden Einzelursachen geschlossen habe, dass keine dieser Ursachen wesentlich sein könne. Das LSG habe zudem Beweisanträge übergangen und das Fragerecht aus § 116 S 2 SGG verletzt.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Januar 2009 sowie die Bescheide des Beklagten vom 22. Juni 2000 sowie vom 1. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz eine Angst- und Zwangsstörung als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger ab dem 1. Oktober 1998 eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit/einem Grad der Schädigungsfolgen von 70 vH zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

8

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Die Klage ist zwar zulässig (dazu 1.) Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Schädigungsfolgen und Gewährung von Beschädigtenversorgung (dazu 2.). Insbesondere ist das LSG bei der Prüfung des Anspruchs von einem zutreffenden rechtlichen Prüfmaßstab der Kausalität ausgegangen (dazu 3.).

10

1. Statthafte Klage ist die zutreffend vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 16 Abs 2 VwRehaG) erhobene kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 5 SGG; vgl BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 31). Gegenstand des Rechtsstreits ist die Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide vom 22.6.2000, 1.7.2005 und 28.9.2005, die Anerkennung von Schädigungsfolgen sowie die Gewährung einer Beschädigtenversorgung. Zu Recht ist das LSG deshalb auch nicht von einem auf Rücknahme des Bescheides vom 22.6.2000 gerichteten Überprüfungsbegehren iS des § 44 SGB X ausgegangen, auch wenn der Bescheid vom 1.7.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.2005 diese Rechtsgrundlage benennt. Wenn Unanfechtbarkeit noch nicht eingetreten ist, wird das Verfahren nach § 44 SGB X im Regelfall nicht benötigt(BSG SozR 4-4300 § 330 Nr 2 Juris RdNr 17; BVerwGE 115, 302; hierzu Merten in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, K § 44 RdNr 51). So verhält es sich hier. Denn in der Sache war der Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005 auf den noch ausstehenden Abschluss des Verfahrens über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.6.2000 gerichtet (vgl § 78 SGG).

11

2. Die Voraussetzungen der für den geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung einer Schädigungsfolge sowie auf Gewährung einer Versorgung allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 3 VwRehaG liegen nicht vollständig vor. Nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Maßnahme nach § 1 VwRehaG eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des BVG oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, erhält (§ 3 Abs 1 S 2 VwRehaG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges (§ 3 Abs 5 S 1 RehaG).

12

a) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist eine von mehreren Folgemaßnahmen im Rahmen der SED-Unrechtsbereinigung. Das VwRehaG ist zum 1.7.1994 zusammen mit dem BerRehaG als Art 1 und 2 des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 23.6.1994 (BGBl I 1311) mit dem Ziel eingeführt worden, neben der strafrechtlichen Rehabilitierung durch das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), welches bereits Gegenstand des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 29.10.1992 (BGBl I 1814) war, eine Rehabilitierung durch Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine hoheitliche Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle zur Regelung eines Einzelfalls in dem in Art 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8.5.1945 bis zum 2.10.1990 (Verwaltungsentscheidung), die zu einer gesundheitlichen Schädigung (§ 3), einem Eingriff in Vermögenswerte (§ 7) oder einer beruflichen Benachteiligung (§ 8) geführt hat, auf Antrag aufzuheben, soweit sie mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar ist und ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken (§ 1 Abs 1 S 1 VwRehaG). Für eine hoheitliche Maßnahme, die nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend. An die Stelle der Aufhebung der Maßnahme tritt die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit (§ 1 Abs 5 S 1 und 2 VwRehaG). Die Aufhebung oder die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit einer Maßnahme nach § 1 begründet Ansprüche nach Maßgabe dieses Gesetzes(§ 2 Abs 1 VwRehaG). Die Rehabilitierungsentscheidung ist danach von der Entscheidung über die - hier streitgegenständlichen - Folgeansprüche zu unterscheiden. Die Entscheidung über die Rehabilitierung obliegt der Rehabilitierungsbehörde (§ 12 VwRehaG), diejenige über den Ausgleich fortwirkender Folgen (vgl § 2 Abs 1 VwRehaG) je nach der Art des Primärschadens - wie hier bei Gesundheitsschädigung - der Versorgungsverwaltung (§ 12 Abs 4 VwRehaG), der nach dem Vermögensgesetz zuständigen Behörde bei Eingriffen in Vermögenswerte (§ 7 VwRehaG iVm dem Vermögensgesetz) und verschiedenen Sozialleistungsträgern bei beruflicher Benachteiligung (§ 8 VwRehaG iVm § 1 Abs 1 Nr 3 BerRehaG).

13

b) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist nicht wegen konkurrierender Sozialleistungen ausgeschlossen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)kann davon ausgegangen werden, dass anderweitige Versorgungsleistungen, die den Anspruch nach § 3 Abs 1 S 2 VwRehaG ausschließen, nicht bezogen werden.

14

c) Der Kläger ist Betroffener iS von § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG. Er gehört zu dem nach § 1 VwRehaG berechtigten Personenkreis. Der Kläger war durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren. Diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Die entsprechenden Feststellungen der Rehabilitierungsbehörde im Bescheid vom 23.11.1999 sind für die nachgeschalteten Fachbehörden bindend (§ 12 Abs 1 S 3 VwRehaG; zur fehlenden Verbindlichkeit von Tatsachenfeststellungen der Behörden der ehemaligen DDR vgl BVerfG Beschluss vom 24.9.2014 - 2 BvR 2782/10). Dies betrifft zum einen die genaue Bezeichnung der hoheitlichen Maßnahme, die den Anknüpfungspunkt für mögliche Folgeansprüche bildet. Und es betrifft zum anderen die Qualifizierung dieser Maßnahme als rechtsstaatswidrig. Jedenfalls bei Eingriffen in das Rechtsgut Gesundheit hat die Rehabilitierungsbehörde sich jedoch im Übrigen auf eine bloße Schlüssigkeitsprüfung zu beschränken. Die gilt insoweit - anders als beim Rechtsgut Beruf - auch für die Bestimmung der Verfolgungszeit (BVerwGE 119, 102 Juris RdNr 10 ff). Nach dem beschriebenen zweistufigen Prüfsystem entfaltet der Rehabilitierungsbescheid deshalb lediglich eine auf die Verfügungssätze beschränkte Tatbestandswirkung (hierzu allgemein Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, vor § 39 RdNr 4 ff). Hiervon hat sich das LSG in der Sache leiten lassen und die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale im Übrigen einer eigenständigen Prüfung unterzogen. Nach den bindenden - mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen - Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) steht danach fest, dass sich die Dauer der Verfolgungszeit im Hinblick auf das Rechtsgut Gesundheit entgegen den berufsbezogenen Ausführungen im Rehabilitierungsbescheid auf die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 beschränkte.

15

d) Der Kläger leidet auch an einer gesundheitlichen Störung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Tatsacheninstanzen besteht kein Zweifel, dass der Kläger an einer chronifizierten schweren Zwangsstörung leidet, auch wenn das LSG insoweit von einer exakten Klassifizierung nach ICD 10 abgesehen hat (ggf F42; zur Notwendigkeit einer solchen Feststellung im Unfallversicherungsrecht vgl BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17). Das LSG hat auch keine klare Differenzierung nach Primär- und Folgeschaden getroffen, sondern insoweit einheitlich auf den Beginn der nervenärztlichen Behandlung des Klägers im Jahr 1976 abgestellt. Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an, da es jedenfalls am nötigen Zurechnungszusammenhang fehlt (dazu sogleich unter 3.).

16

3. Der Anspruch des Klägers scheitert daran, dass sich der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis der Verfolgung und der gesundheitlichen Erstschädigung (haftungsbegründende Kausalität) bzw den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen (haftungsausfüllende Kausalität; § 3 Abs 5 S 1 VwRehaG) nicht herstellen lässt. Das LSG hat die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität über den Bedingungszusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne hinaus zutreffend an der Theorie der wesentlichen Bedingung orientiert und frei von Rechtsfehlern verneint. Wie sonst im sozialen Entschädigungsrecht (vgl zB parallel § 1 Abs 1 StrRehaG, § 4 Abs 1 S 1 HHG, § 1 Abs 1 S 1 OEG) gilt trotz des Verweises auf das BVG nur wegen der Folgen der Schädigung (§ 3 Abs 1 S 1 VwRehaG) gleichwohl die Kausalnorm der wesentlichen Bedingung (BT-Drucks 12/4994 S 32 zu § 3; vgl Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, VwRehaG, §§ 1 bis 18 RdNr 9; allgemein BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9).

17

a) Bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs hat das LSG der versorgungsrechtlich relevanten Teilursache der Verfolgungsmaßnahmen mit etwa einem Drittel rechtsfehlerfrei eine untergeordnete und für den Ursachenzusammenhang unwesentliche Bedeutung beigemessen, in dem es die Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung in der spezifisch versorgungsrechtlichen Ausprägung zugrunde gelegt hat wie sie im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA - AN 1912, 930) in ständiger Rechtsprechung seit BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 durch den 9. Senat vertreten wird (zuletzt BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1.10.1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1.1.2009 durch die Anlage zu § 2 VersMedV vom 10.12.2008 inhaltgleich ersetzt worden ist (Teil C Nr 1 b der Anl zu § 2 VersMedV; vgl BR-Drucks 767/1/08 S 3, 4).

18

Danach gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Das ist der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges als annähernd gleichwertig anzusehen sind. Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen (vgl zB BSG SozR Nr 23 zu § 30 BVG Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 20.7.2005 - B 9a V 1/05 R RdNr 38). Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen (vgl in diesem Zusammenhang insbesondere BSGE 16, 216, 218 = SozR Nr 58 zu § 1 BVG). Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (BSGE 1, 72 = SozR BVG § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9 Juris RdNr 32).

19

b) Das LSG hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Anschluss an das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. G. unangegriffen und verbindlich festgestellt, dass - ohne abgrenzbare Vorschäden oder Verschlimmerungsanteile - für die Entstehung wie Aufrechterhaltung der Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen drei Ursachen gleichermaßen in Betracht kommen: Belastungen in Kindheit und Jugend, die streitgegenständlichen Verfolgungsmaßnahmen zwischen 1966 und 1968 und die Vorkommnisse im R.-Heim. Durchgreifende Verfahrensrügen hat der Kläger hiergegen nicht erhoben. Die Rüge der unterlassenen Aufklärung (§ 103 SGG) geht fehl. Der beantragten weiteren Beweiserhebung durch Befragung des Sachverständigen Dr. G. zu den Kausalfaktoren aus der Zeit vor der Verfolgung musste das LSG nicht nachkommen, nachdem der Sachverständige die Frage nach dem Ursachenanteil von Kindheit und Jugend bereits eindeutig beantwortet hat. Insbesondere besagen die Ursachen nichts über den Zeitpunkt der Entstehung der streitbefangenen Erkrankung und steht deshalb die Aussage des Gutachters Dr. T. zur Fixierung von Neurosen an unbewusste Konfliktsituationen der Kindheit in keinem noch aufzulösenden Widerspruch zur Aussage des Gutachters Dr. G., dass die Zwangsstörung des Klägers mangels entsprechender Symptomatik vor der Verfolgungszeit nicht bestanden habe (Revisionsbegründung S 18). Objektiv sachdienliche Fragen, deren Beantwortung das LSG entgegen § 116 S 2 SGG unterbunden haben könnte, macht die Revision nicht geltend(vgl BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7 ff im Anschluss an BVerfG NJW 1998, 2273). Hiervon ausgehend hat das LSG frei von Rechtsfehlern im Wege wertender Betrachtung nach der Formel der "annähernden Gleichwertigkeit" eine untergeordnete Bedeutung des schädigenden Ereignisses für die geltend gemachten Schädigungsfolgen angenommen. Die schädigungsunabhängigen Faktoren einer belasteten Kindheit und Jugend sowie die Arbeitssituation im R.-Heim haben danach auch in rechtlicher Hinsicht den überwiegenden Anteil am Eintritt und der Aufrechterhaltung der jetzt festgestellten Angststörung oder anders formuliert letztlich rechtlich überragende Bedeutung. Ein von der Revision behaupteter logisch ungültiger Schluss liegt nicht vor (vgl im Übrigen AHP Nr 70, wonach Erkrankungen mit neurotischen Anteilen - wie hier sachverständigerseits angenommen und vom LSG unangegriffen festgestellt - nur dann mit schädigenden Ereignissen in ursächlichem Zusammenhang stehen, wenn diese in früher Kindheit über längere Zeit und in erheblichem Umfang wirksam waren; zur fortdauernden Gültigkeit der AHP als antizipierte Sachverständigengutachten, auch wenn die Kausalitätsbeurteilungen zu einzelnen Krankheitsbildern in der VersMedV nicht mehr enthalten sind, BR-Drucks 767/1/08 S 4; Rundschreiben des BMAS vom 15.12.2008 - IVc 3-48021 - 6).

20

c) Die Revision verweist allerdings mit Recht darauf, dass der im Unfallversicherungsrecht zuständige 2. Senat des BSG für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache "wesentlich" nicht gleichsetzt mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann danach für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Diese Rechtsprechung, die ihren Ausgangspunkt ebenfalls in der Rechtsprechung des RVA (AN 1912, 930) und den frühen Entscheidungen des BSG in BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 nimmt, schließt die Wesentlichkeit einer von drei ungefähr gleichwertigen Teilursachen nicht bereits deshalb aus, weil die allein maßgebliche Teilursache nur zu einem Drittel Berücksichtigung finden kann (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO im Anschluss an BSGE 13, 175 = SozR Nr 32 zu § 542 RVO). In die Bewertung einfließen muss vielmehr auch, ob den verbleibenden sozialrechtlich nicht maßgeblichen Teilursachen überragende Bedeutung zukommt. Erst wenn angenommen werden kann, dass diesen eine überragende Bedeutung beizumessen ist, folgt daraus, dass die nicht annähernd gleichwertige sozialrechtlich relevante Teilursache unwesentlich ist. Es werden insoweit wohl etwas niedrigere Anforderungen an die Stärke der Mitwirkung angelegt (vgl Krasney in Becker/ Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, Bd 1, Stand Oktober 2013, § 8 RdNr 314; vgl auch Knickrehm, SGb 2010, 381, 384). Der erkennende Senat lässt offen, ob diese etwas andere Ausrichtung im Ansatz bei der nötigen Abwägung im Einzelfall die von der Revision gewünschten Ergebnisse ergäbe. Selbst wenn die behaupteten Unterschiede bestünden, sähe sich der Senat weder veranlasst, mit Blick auf eine etwaig besondere Ausrichtung der Theorie der wesentlichen Bedingung im Unfallversicherungsrecht seine langjährige Rechtsprechung zur "annähernden Gleichwertigkeit" im sozialen Entschädigungsrecht aufzugeben (dazu d) noch bestünde Anlass zu einer Anfrage bei dem mit Unfallversicherungsrecht befassten 2. Senat des BSG (dazu e).

21

d) Der 9. Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Theorie der wesentlichen Bedingung unter Beibehaltung des Merkmals der "annähernden Gleichwertigkeit" fest. Die Rechtsprechung des 2. Senats mag Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung Rechnung tragen, die im sozialen Entschädigungsrecht grundsätzlich nicht von Bedeutung sind. In Betracht kommt insoweit insbesondere der Gesichtspunkt, dass im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung seit jeher eine Ersetzung der zivilrechtlichen Haftung durch die Ansprüche der Unfallversicherung stattfindet (vgl §§ 104 f SGB VII; ferner die Vorläufervorschrift in § 636 Abs 1 RVO; vgl auch schon § 95 des UVG vom 6.7.1884, RGBl 69; §§ 898 f RVO vom 19.7.1911, RGBl 509; grundlegend Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969, S 51 ff). Diese Regelung gehört zum Kernbestand der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl BSG Urteil vom 26.6.2007 - B 2 U 17/06 R - BSGE 98, 285 = SozR 4-2700 § 105 Nr 2, RdNr 16)und legt damit auch wesentliche Umfangmerkmale des Schadensausgleichs fest (BSGE 73, 1 = SozR 3-2200 § 571 Nr 2 Juris RdNr 17). Strukturen dieser Art kennzeichnen das soziale Entschädigungsrecht nicht. Im sozialen Entschädigungsrecht, wo in der Regel die Folgen einer einmaligen schädigenden Einwirkung zu beurteilen sind, hat sich die Bestimmung der Wesentlichkeit nach der "annähernden Gleichwertigkeit" bewährt. Dies gilt unabhängig davon, dass in Einzelfällen auch im sozialen Entschädigungsrecht auf Wertungen etwa der gesetzlichen Unfallversicherung zurückgegriffen wird (vgl im Bereich des SVG bei der Bestimmung unfallunabhängiger Krankheiten BSG Beschluss vom 11.10.1994 - 9 BV 55/94 - HVBG-INFO 1995, 970; hierzu Keller, SGb 2007, 248, 249).

22

e) Eine Abweichung iS des § 41 Abs 2 SGG als Voraussetzung einer Anfrage beim 2. Senat bzw Vorlage an den Großen Senat kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um die unterschiedliche Beantwortung derselben Rechtsfrage handelt, auf der die frühere Entscheidung eines anderen Senats beruht, wenn also eine Identität der Rechtsfrage in der zu entscheidenden Sache und der früheren Entscheidung des anderen Senats besteht (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Insoweit entfiele die Vorlage auch nicht für den Fall der vorangehenden Missachtung der Vorlagepflicht durch einen anderen Senat (Roos in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 41 RdNr 14 mwN). Die genannte Entscheidung des 2. Senats (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15)ist auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 8 Abs 1 SGB VII) ergangen, während hier die Auslegung des § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG Gegenstand der Entscheidung ist. Soweit der erkennende Senat in der Entscheidung vom 11.10.1994 (BSGE 75, 180, 182 mwN = SozR 3-3200 § 81 Nr 12) ausgeführt hat, die Grundentscheidungen des sozialen Unfallversicherungsrechts seien auch im Entschädigungsrecht zu beachten, würde damit die Rechtsfrage gleichwohl nicht zu einer solchen auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern beträfe weiterhin die Auslegung von Normen des sozialen Entschädigungsrechts, für die lediglich bestimmte Grundentscheidungen des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung herangezogen werden (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Der Senat nimmt die Abgrenzung nach Wertungen vor, die sich von den Wertungen des SGB VII unterscheiden. Diese Unterscheidung ist durch das Gesetz und seine unterschiedliche Aufgabenstellung angelegt. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn sich der erkennende wie auch Senate anderer Rechtsgebiete für die Ursachenbewertung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Ansatz maßgeblich auf die Rechtsprechung des 2. Senats beziehen (vgl BSG SozR 4-3200 § 81 Nr 5 RdNr 21 mwN; BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 15 RdNr 25; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 17 RdNr 21, 22).

23

f) Das LSG brauchte deshalb den weiteren Beweisanträgen des Klägers zur bisher noch offengelassenen Brückensymptomatik (Revisionsbegründung S 19, 20; vgl zu Fällen einer möglichen Entbehrlichkeit der Brückensymptomatik BSG Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 V 17/11 B - Juris RdNr 10) nicht nachgehen, da es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht mehr ankam (BSG Beschluss vom 31.1.2008 - B 13 R 53/07 B). Auch im Falle der Existenz der behaupteten Brückensymptome würde sich an der Zurechnung nach Maßgabe der aufgezeigten Theorie der wesentlichen Bedingung nichts ändern. Einen hinreichend klaren Beweisantrag zu einem Primärschaden vor 1976 hat der Kläger im Übrigen nicht gestellt.

24

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht eine gesundheitliche Schädigung gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist.

(3) Wer als Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 dieser Vorschrift oder § 22 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, als Pflegeperson oder als Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Beschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes eine gesundheitliche Schädigung erleidet, erhält Versorgung nach Absatz 1.

(4) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(5) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(1) Die hoheitliche Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle zur Regelung eines Einzelfalls in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990 (Verwaltungsentscheidung), die zu einer gesundheitlichen Schädigung (§ 3), einem Eingriff in Vermögenswerte (§ 7) oder einer beruflichen Benachteiligung (§ 8) geführt hat, ist auf Antrag aufzuheben, soweit sie mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar ist und ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken. Auf Verwaltungsentscheidungen in Steuersachen und auf Maßnahmen, die vom Vermögensgesetz oder vom Entschädigungsrentengesetz erfaßt werden, findet dieses Gesetz keine Anwendung. Dies gilt auch für die in § 1 Abs. 8 des Vermögensgesetzes erwähnten Fallgruppen.

(2) Mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar sind Maßnahmen, die in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstoßen haben und die der politischen Verfolgung gedient oder Willkürakte im Einzelfall dargestellt haben.

(3) Mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar sind die Zwangsaussiedlungen aus dem Grenzgebiet der früheren Deutschen Demokratischen Republik auf der Grundlage der Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands vom 26. Mai 1952 (GBl. Nr. 65 S. 405) oder der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung vom 24. August 1961 (GBl. II Nr. 55 S. 343). Das gleiche gilt für die mit den Zwangsaussiedlungen in Zusammenhang stehenden Eingriffe in Vermögenswerte.

(4) Besteht die Maßnahme nach Absatz 1 in der Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung, so wird die Maßnahme nur aufgehoben, wenn eine Verwaltungsentscheidung gleichen Inhalts erneut erlassen werden könnte. Andernfalls tritt an die Stelle der Aufhebung der Maßnahme die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit. Satz 2 gilt auch für Maßnahmen, die einen Eingriff in ein Ausbildungsverhältnis oder ein Dienstverhältnis bei den bewaffneten Organen zum Gegenstand haben.

(5) Für eine hoheitliche Maßnahme, die nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend. An die Stelle der Aufhebung der Maßnahme tritt die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit.

(6) Für Maßnahmen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands oder der von ihr beherrschten Parteien und gesellschaftlichen Organisationen gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend.

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 1. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des 1930 geborenen und am 31.10.2005 verstorbenen Ehemanns der Klägerin (im Folgenden: Antragsteller) auf Versorgung nach dem Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche - Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG).

Nach den vorliegenden Unterlagen und Angaben des in B. geborenen Antragstellers arbeitete dieser von 1948 bis 1951 dort als Lkw-Fahrer und von 1951 bis 1954 bei der Armee als Panzerfahrer. Von 1954 bis 1960 war der Antragsteller in B. als Schlosser und Lkw-Fahrer tätig. 1960 reiste der Antragsteller in die DDR ein. Ab 25.01.1961 war der Antragsteller dort als Schlosser beschäftigt, ab 03.04.1962 als Arbeiter bei den Bahnbetriebswerken, seit 28.11.1962 wieder als Schlosser und ab 13.08.1963 als Lkw-Fahrer. Vom 06.03.1964 bis 02.07.1974 war der Antragsteller als Kipperfahrer bei der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) W. im Bergbau tätig. Nach eigenen Angaben war er dort im Tagebau eingesetzt, wobei er im Kurzstreckenverkehr tätig gewesen sei und pro Schicht ca. 120 Fuhren über 2,5 km habe befördern müssen. Bei den Fahrten - so der Antragsteller - sei der rechte Arm- und Schulterbereich extrem belastet gewesen. Aufgrund der besonders hohen Belastung seien die gesundheitlichen Beschwerden und körperlichen Abnutzungen auf diese ausgeübte Tätigkeit zurückzuführen.

Am 19.06.1971 erlitt der Antragsteller einen Arbeitsunfall (laterale Malleolusfraktur), der nach Angaben der Klägerseite bis heute nicht anerkannt worden ist, wobei der Antragsteller in der DDR gegen die Nichtanerkennung Klage erhoben hatte (19.12.1972).

Ab 01.07.1974 wurde dem Antragsteller Bergmannsrente wegen Berufsunfähigkeit vom Kreisvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds G., Verwaltung der Sozialversicherung, gewährt (Bergbau-Rentenbescheid vom 02.10.1974).

Am 27.06.1974 schlossen der Antragsteller und sein Arbeitgeber, die SDAG W., einen Aufhebungsvertrag mit Wirkung zum 03.07.1974. Danach war der Antragsteller arbeitslos. Ab 20.09.1974 übte er eine Tätigkeit als Presser beim VEB Altstoffhandel G. aus. Ab 16.01.1975 war der Antragsteller bei der Stadtwirtschaft G. als Kraftfahrer (Pkw und Lkw) beschäftigt, in der Folgezeit sowohl als Schlosser als auch erneut als Kraftfahrer. Ab 01.06.1990 befand er sich im Vorruhestand.

Am 01.09.1970 begann der Antragsteller sein Studium an der Ingenieursschule für Verkehrstechnik in D., Außenstelle E., Fachrichtung Fahrzeugtechnik, Studienrichtung Kraftverkehr, mit dem Studienziel Ingenieur. Während dieses Fernstudiums war der Antragsteller bei der SDAG W. in vollem Umfang weiter beschäftigt und lediglich zu bestimmten Terminen wie z. B. für Klausuren freigestellt. Am 25.06.1973 wurde der Antragsteller von der Ingenieursschule exmatrikuliert.

Mit Bescheid vom 26.04.2000 erklärte das Landesamt für Rehabilitierung und Wiedergutmachung des Freistaats Thüringen auf Antrag des Antragstellers die Exmatrikulation für rechtsstaatswidrig. Ausschlussgründe lägen nicht vor. In den Gründen des Bescheids ist Folgendes ausgeführt: Wie sich aus der Studienakte ergebe, sei „entsprechend dem Ersuchen des Betriebs - der ihn wohlgemerkt nicht zum Studium delegiert hatte - ... für den Fernstudenten ... die vorzeitige Exmatrikulation durchgeführt“ worden. In dem damit in Bezug genommenen Schreiben des damaligen Arbeitgebers [SDAG W., Bergbaubetrieb L.] vom 08.01.1973 heiße es dazu: „Widersprüchlich ist auch, dass seine im Studium erworbenen politischen und fachlichen Kenntnisse in seiner Tätigkeit im Arbeitskollektiv nicht hervortreten ... Aufgrund dieser Tatsachen sind wir der Auffassung, dass K. zurzeit keine Voraussetzungen besitzt, ein sozialistischer Leiter zu werden. Wir bitten, Ihre Entscheidung der Rückstufung des Kollegen A. nochmals zu überprüfen und unseren Vorschlag der Exmatrikulation zu beachten.“

Die Exmatrikulation des Antragstellers durch die Ingenieursschule für Verkehrstechnik D. sei gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 4 VwRehaG für rechtsstaatswidrig zu erklären. Die vorliegende Studienakte belege, dass die Exmatrikulation nicht aus fachlichen, sondern aus politischen Gründen erfolgt sei, wobei im Falle des Antragstellers besonders erschwerend wirke, dass sich die Ingenieursschule von politischen Überlegungen eines Betriebes habe lenken lassen, der den Antragsteller nicht zum Studium delegiert habe.

Dem Antragsteller sei es bis einschließlich 1990 nicht möglich gewesen, dieses oder ein vergleichbares Studium zu beenden.

Mit weiterem Bescheid vom 26.04.2000 stellte das Landesamt gemäß § 17 i. V. m. § 22 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) fest, dass der Antragsteller Verfolgter i. S. v. § 1 Abs. 1 BerRehaG sei und die Verfolgungszeit vom 03.07.1974 bis 02.10.1990 dauere. Der Antragsteller habe unter anderem glaubhaft gemacht, dass er infolge der rechtsstaatswidrigen Exmatrikulation nicht den von ihm durch die Aufnahme der Ausbildung nachgewiesenen angestrebten Beruf habe erlernen können. Außerdem sei er nur wegen der rechtsstaatswidrigen Verurteilung (s. u.) zur Lösung des damaligen Arbeitsverhältnisses gezwungen worden, so dass die Kündigung ebenfalls mit dem Makel der politischen Verfolgung behaftet sei. Für die Dauer der Verfolgungszeit wurde der Antragsteller gemäß § 22 Abs. 1 Ziff. 6b BerRehaG entsprechend den Anlagen 13 und 14 zum Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) eingruppiert. Für die Zeit bis zum regulären Ende seines Studiums (03.07.1974 bis 31.07.1975) wurde er wegen der Ausbildung als Kfz-Schlosser in die Qualifikationsgruppe 4 (Facharbeiter) eingestuft; im Zeitraum vom 01.08.1975 bis 02.10.1990 wurde unterstellt, dass der Antragsteller in seinem dann erlernten Beruf als Ingenieur für Fahrzeugtechnik weiterhin bei seinem früheren Arbeitgeber beschäftigt gewesen wäre (Einstufung als Fachschulabsolvent in Qualifikationsgruppe 2).

Am 28.11.1973 war der Antragsteller zudem durch Urteil des Kreisgerichts S. wegen Staatsverleumdung gemäß § 220 Strafgesetzbuch der DDR zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten (bedingt) verurteilt worden. Durch Beschluss des Bezirksgerichts G. vom 10.09.1992 wurde dieses Urteil im Rehabilitierungsverfahren gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 1 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz aufgehoben.

Am 18.05.2001 stellte der Antragsteller beim Beklagten den hier streitgegenständlichen Antrag auf Versorgung nach dem VwRehaG. Dabei machte er Hals- und Kreuzwirbelschäden (Bandscheibenschäden) sowie Handgelenk- und Ellenbogenschäden als Gesundheitsstörungen geltend, die er infolge einer Tätigkeit als Kraftfahrer im Bergbau bei der SDAG W. erlitten habe. Der Antragsteller wies auf den Berufsunfähigkeitsrentenbezug (ab 01.07.1974) auf der Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 hin. Die Gesundheitsstörungen seien durch die rechtsstaatswidrige Exmatrikulation seitens der Ingenieursschule für Verkehrstechnik D., Außenstelle E., am 25.06.1973 begründet, da er sein 1970 begonnenes Ingenieurstudium nicht habe beenden können. Dieses Studium hätte es ihm ermöglicht, so der Antragsteller, körperlich leichtere Arbeiten zu verrichten. Er habe auch nicht bei jedem Arbeitgeber anfangen können, da er als Staatsfeind nur die „letzten und untersten Arbeiten“ bekommen habe; er sei praktisch „abgestempelt“ worden. Obwohl es eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustands bedeutet habe, habe er später beim Altstoffhandel in der Beladung und bei der Stadtwirtschaft bei der Müllentsorgung sowie als Pkw-Fahrer gearbeitet; aufgrund seines Gesundheitszustands sei ein Wechsel der Tätigkeiten und der Arbeitgeber erforderlich gewesen. Weiter trug der Antragsteller vor, dass der Arbeitsunfall von 1971 der Hauptgrund gewesen sei, weshalb er exmatrikuliert worden sei, da er aufgrund der Nichtanerkennung dieses Unfalls die SDAG W. auf Anerkennung verklagt habe und daher „mundtot“ gemacht werden hätte sollen.

Der Beklagte leitete daraufhin hinsichtlich des beruflichen Werdegangs des Antragstellers und der getroffenen Rehabilitierungsentscheidungen Ermittlungen ein und wertete die zahlreichen vorgelegten Unterlagen, u. a. medizinische Befunde, aus der DDR aus.

Am 28.10.2002 erstellte der Arzt des Beklagten N. ein Gutachten. Bei dem Arzt gab der Antragsteller u. a. an, wegen gesundheitlicher Beschwerden, z. B. wegen der Wirbelsäulenerkrankung und sonstiger Gelenkbeschwerden, die Tätigkeit gewechselt zu haben und dann als Berufskraftfahrer anderweitig eingesetzt worden zu sein. Bei der ärztlichen Untersuchung berichtete der Antragsteller laut den Feststellungen im genannten Gutachten auch, dass die Wirbelsäulenbeschwerden bereits seit Anfang der 70er Jahre bestünden. Daher sei auch ca. 1973 eine Kurmaßnahme und 1974 dann eine Rehabilitation durchgeführt worden. Die Schmerzen im Ellenbogen rechts führe er, der Antragsteller, auf die massenhaften Schaltvorgänge als Lkw-Fahrer zurück. Der Arzt N. kam nach seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Funktionsbehinderung an den Hand- und Ellenbogengelenken mit einem Grad der Behinderung (GdB)/einer MdE von 0, die Behinderung der Wirbelsäule mit einem GdB bzw. einer MdE von weniger als 10 zu bewerten seien. Die Anerkennung im Hinblick auf die Beschädigtenversorgung sei zu versagen, da die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs durch die geltend gemachte zehnjährige Tätigkeit als Kipperfahrer nicht gegeben sei.

Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 05.06.2003 den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab. In der Begründung ist unter anderem ausgeführt, dass der Antragsteller den Antrag gestellt habe, weil er exmatrikuliert worden sei und somit weiterhin bei der SDAG W. habe tätig sein müssen, worauf er die Gesundheitsstörungen Hals- und Kreuzwirbelschäden sowie Hand- und Ellenbogengelenkschäden zurückführe. Die geltend gemachten Hals- und Kreuzwirbelschäden stünden jedoch in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Exmatrikulation und deren Folgen. Die vorgetragenen Handgelenk- und Ellenbogengelenkschäden lägen nicht vor, es seien keine Bewegungseinschränkungen feststellbar.

Am 26.06.2003 legte der Antragsteller Widerspruch ein. Dabei trug er u. a. vor, dass die Exmatrikulation absolut nichts mit seiner Krankheit zu tun habe. Vom Dezember 1972 bis zur Rehabilitierung habe er die meiste Zeit einen Schonarbeitsplatz inne gehabt bzw. sei er arbeitsunfähig gewesen. Er müsse annehmen, dass seine Unterlagen manipuliert seien und der Beklagte deshalb zu dem Ergebnis (der Ablehnung seines Antrags) komme.

Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte weitere Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes ein und wies schließlich mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2004 den Widerspruch als unbegründet zurück. Im Wesentlichen wurde der Bescheid damit begründet, dass die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule nicht auf die Berufstätigkeit als Kraftfahrer zurückgeführt werden könnten, die nach der Exmatrikulation nur noch kurzzeitig ausgeübt worden sei, während der Antragsteller bereits seit 1948 überwiegend als Kraftfahrer (ferner als Panzerfahrer) tätig gewesen sei. An den Hand- und Ellenbogengelenken hätten keine Gesundheitsschäden festgestellt werden können. Die im Verfahren nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) im Bereich der Lunge und des Herzens festgestellten Gesundheitsstörungen, die der Feststellung des Gesamt-GdB von 90 zugrunde lägen, würden ebenfalls schädigungsunabhängige Leiden darstellen.

Hiergegen hat der Antragsteller am 05.03.2004 Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) unter Verweis auf die geleisteten schweren körperlichen Arbeiten erhoben. Insbesondere sei er im Bergbau, ferner als Kraftfahrer eingesetzt gewesen.

Am 31.10.2005 ist der Antragsteller verstorben. Das Verfahren ist durch seine Ehefrau als Rechtsnachfolgerin, die zuletzt mit dem Antragsteller in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, fortgeführt worden. Diese hat vorgetragen, dass der Antragsteller schlussendlich an dem schweren Raubbau an seiner Gesundheit verstorben sei.

Das SG hat zur Sachverhaltsaufklärung zunächst die Akten der unfallversicherungsrechtlichen Auseinandersetzungen des Antragstellers beigezogen. Am 30.06.2009 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, die vertagt worden ist. Anschließend hat das SG ein Auskunftsersuchen an den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) gerichtet. Am 24.09.2009 hat die Behörde mitgeteilt, dass zum Antragsteller Unterlagen in geringem Umfang vorhanden seien; diese sind dem SG sodann zur Verfügung gestellt worden.

Die Klägerseite hat weiter auf den o. g. Arbeitsunfall verweisen, der mit ein Grund für die Exmatrikulation des Antragstellers gewesen sei. Obwohl es eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bedeutet habe, habe der Antragsteller später beim Altstoffhandel und als Lkw-Fahrer bei der Müllentsorgung sowie als Pkw-Fahrer gearbeitet. Daraufhin hat der Beklagte ausgeführt, dass es für den Versorgungsanspruch nach dem VwRehaG nicht darauf ankomme, inwieweit der genannte Arbeitsunfall mit der Exmatrikulation in Zusammenhang stehe, nachdem schädigender Tatbestand im Sinne des genannten Gesetzes die Exmatrikulation sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 01.07.2010 ist die Klage abgewiesen worden. Nach Auffassung des SG habe der Antragsteller - entgegen der Voraussetzung des § 3 VwRehaG - seine gesundheitliche Schädigung nicht durch Exmatrikulation am 25.06.1973 erlitten. Ausweislich des Akteninhalts habe der Antragsteller bereits seit den 1970-er Jahren unter Wirbelsäulenbeschwerden und Schmerzen im rechten Ellenbogengelenk gelitten. Ferner habe der Antragsteller vorgetragen, dass er von 1964 bis 1974 im Tagebau als Kipperfahrer eingesetzt gewesen sei, nach der Exmatrikulation habe er jedoch nur mehr bis 02.07.1974 bei der W. gearbeitet. Angesichts dessen sei das Gericht davon überzeugt, dass die Zeit ab der Exmatrikulation nicht zu einer Schädigung an der Wirbelsäule, den Extremitäten und an der Lunge geführt habe. Darüber hinaus sei die Tätigkeit 1974 im Bergbau auch aufgegeben worden. Ferner habe der Antragsteller selbst vorgetragen, dass er seit 1972 bis zur Exmatrikulation die meiste Zeit einen Schonarbeitsplatz inne gehabt habe, so dass dies auch auf gesundheitliche Einschränkungen bereits vor der Exmatrikulation hindeute. Weiter hat das SG darauf hingewiesen, dass sich bei der Untersuchung durch den Arzt N. im Bereich der Hand- und Ellenbogengelenke keine Funktionseinschränkungen gezeigt hätten, so dass es insoweit schon an einer gesundheitlichen Schädigung mangle.

Soweit die Klägerseite die Rentenzahlung wegen Schädigung der Wirbelsäule hervorhebe, sei dem entgegen zu halten, dass dies G.de zum Ausdruck bringe, dass eine jahrelange Schädigung durch die Tätigkeit bei der W. und G.de keine durch die Exmatrikulation und das knappe Jahr danach vorgelegen habe. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller das Studium regulär zum 31.08.1975 beendet hätte und daher auch bei nicht erfolgter Exmatrikulation erst ab diesem Zeitpunkt körperlich leichtere Arbeiten hätte ausüben können.

Soweit der Antragsteller den o. g. Arbeitsunfall als Hauptgrund für die Exmatrikulation nenne, ändere dies nichts an den getroffenen Feststellungen des SG. Entscheidend sei nur eine gesundheitliche Schädigung infolge der Exmatrikulation, die allerdings G.de nicht vorliege. Aus welchen Gründen die Exmatrikulation erfolgt sei, stelle sich als irrelevant dar.

Hiergegen hat die Klägerin am 14.07.2010 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Diese hat sie u. a. damit begründet, dass aus den bereitgestellten Unterlagen eindeutig hervorgehe, dass der Antragsteller massiv mit der Ausweisung aus der DDR und der Rückführung nach B. bedroht worden und es aus diesem Grund zum Aufhebungsvertrag gekommen sei. Durch die strafrechtliche Verurteilung wegen Staatsverleumdung, die Exmatrikulation, die bestehende Arbeitslosigkeit und die erneute Verurteilung 1975 sei der Antragsteller gezwungen gewesen, jede sich ihm bietende Arbeitsmöglichkeit anzunehmen. Obwohl es eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bedeutet habe, habe der Antragsteller später beim Altstoffhandel in der Beladung, dann als Lkw-Fahrer bei der Stadtwirtschaft und später als Pkw-Fahrer gearbeitet. Ein Wechsel der Tätigkeiten und der Arbeitgeber sei aufgrund des Gesundheitszustands notwendig gewesen. Obwohl der Antragsteller aufgrund des Arbeitsunfalls generell Schwierigkeiten gehabt habe, als Kraftfahrer zu arbeiten, sei er aufgrund der politischen Repressalien gezwungen gewesen, dies in den folgenden Jahren zu tun. Die gesamten aufgezeigten Sachverhalte und die Tatsache des Verschwindens vieler Unterlagen würden deutlich zeigen, so die Klägerseite, wie der Antragsteller schikaniert, benachteiligt und ausgegrenzt worden sei und welch extreme Nachteile er hinnehmen habe müssen. Eine Hinzuziehung weiterer Akten der Staatssicherheit könne die Repressalien weiter belegen und untermauern. Ohne die permanenten Übergriffe auf den Antragsteller und dessen Familie hätte dieser, so der Vortrag, sein Studium beenden, als Diplomingenieur arbeiten und seine Gesundheit sowohl psychischer als auch physischer Art besser schützen können.

Der Beklagte hat im Schriftsatz vom 19.10.2010 erneut darauf hingewiesen, dass schädigender Tatbestand allein die Exmatrikulation am 25.06.1973 sei. Inwieweit der Arbeitsunfall 1971 mit der Exmatrikulation in einem Zusammenhang stehe, sei nach der Rechtsauffassung des Beklagten für einen Versorgungsanspruch nach dem VwRehaG nicht von Relevanz. Gesundheitliche Einschränkungen infolge des Arbeitsunfalls seien nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltend zu machen, was offensichtlich auch erfolgt sei.

Am 23.09.2013 hat ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden. In diesem hat die Klägerseite hervorgehoben, dass nicht ausschließlich auf das singuläre Ereignis der Exmatrikulation abzustellen sei. Denn diese sei „vielmehr Gipfelpunkt eines Prozesses, in dem der Antragsteller vom Staat benachteiligt worden ist“. Das SG habe verkürzt auf die Entgegennahme des Exmatrikulationsverwaltungsakts abgestellt. Die Gesundheitsstörungen des Antragstellers seien jedoch nicht als Reaktion auf die Aushändigung dieses Verwaltungsakts entstanden. Vielmehr sei auf einen Dauertatbestand abzustellen: Die DDR habe das ordnungsgemäße Studium des verstorbenen Antragstellers verhindert. Dies ergebe sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Rehabilitierungsbescheids nach dem VwRehaG. Der Antragsteller sei, weil er nicht zum Studium delegiert worden sei, dauerhaft gehindert gewesen, sein Studium ordnungsgemäß zu absolvieren und sei folglich überproportional lange an die W. gebunden gewesen. Maßgeblich sei somit der Zeitraum ab 01.09.1970. Die ebenfalls anwesende Tochter des Antragstellers, Frau C. M., hat auf Nachfrage erklärt, dass sich der Antragsteller in der Zeit nach der Exmatrikulation durchaus auch um körperlich weniger belastende Tätigkeiten bemüht habe. Er habe diese jedoch nicht bekommen, weil er benachteiligt werden sollte.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG vom 01.07.2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 05.06.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.02.2004 zu verurteilen, dem Kläger Leistungen nach dem VwRehaG in rentenberechtigender Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen, ferner die Akten des SG München der unfallversicherungsrechtlichen Rechtsstreite des Antragstellers der Aktenzeichen S 1 KN 56/01 U sowie S 1 KN 224/00 U. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid vom 05.06.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.02.2004 ist rechtmäßig. Wie das SG zu Recht entschieden hat, stand dem Antragsteller Beschädigtenversorgung gemäß § 3 VwRehaG nicht zu. Die vom Antragsteller geltend gemachten Hals- und Kreuzwirbelsäulen- sowie Handgelenk- und Ellenbogenschäden sind nicht als Schädigungsfolgen des rechtsstaatswidrigen Verwaltungshandelns anzuerkennen.

1. Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen der Exmatrikulation und den geltend gemachten Gesundheitsschäden lässt sich nicht nachweisen und auch nicht wahrscheinlich machen.

Ein Entschädigungsanspruch nach dem VwRehaG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 3 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG gegeben sind. Dies ist vorliegend unstreitig und bedarf daher keiner weiteren Darlegungen.

Für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge und damit die Berücksichtigung im Rahmen eines Versorgungsanspruchs nach § 1 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) ist gemäß § 3 Abs. 5 Satz 1 VwRehaG ein wahrscheinlicher Zusammenhang der hoheitlichen Maßnahme nach § 1 Abs. 1 VwRehaG als schädigender Vorgang, hier der rechtsstaatswidrigen Exmatrikulation, und der geltend gemachten Gesundheitsstörung erforderlich.

Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Eine hoheitlichen Maßnahme nach § 1 Abs. 1 VwRehaG (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (3. Glied) bedingt.

Die drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Dies bedeutet, dass kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteile vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R, und vom 17.04.2013, Az.: B 9 V 1/12 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat -; vgl. auch jüngst BSG, Urteile vom 17.04.2013, z. B. Az.: B 9 V 1/12 R) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Beurteilung des Zusammenhangs folgt, wie ansonsten im Versorgungsrecht auch, der Theorie der wesentlichen Bedingung (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Urteile vom 23.11.1977, Az.: 9 RV 12/77, vom 08.05.1981, Az.: 9 RV 24/80, vom 20.07.2005, Az.: B 9a V 1/05 R, und vom 18.05.2006, Az.: B 9a V 6/05 R). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie: Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Als rechtserheblich werden allerdings nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66). Haben mehrere Ursachen zu einem Schaden beigetragen, ist eine vom Schutzbereich des BVG umfasste Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn nicht die andere(n), nicht dem Schutzbereich des BVG unterfallende(n) Ursache(n) eine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. Urteil des Senats vom 19.07.2011, Az.: L 15 VS 7/10 - m. w. N. zur Rechtsprechung des BSG) und die vom Schutzbereich des BVG umfasste Ursache nicht völlig in den Hintergrund drängt (drängen) (vgl. Urteile des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10, und 20.05.2014, Az.: L 15 VK 13/10).

Im vorliegenden Fall lässt sich ein Zusammenhang im vorgenannten Sinn zwischen der Exmatrikulation, die die einzige im Rehabilitierungsbescheid genannte hoheitliche Maßnahme i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG darstellt und gemäß § 2 Abs. 1 VwRehaG infolge ihrer Aufhebung Ansprüche nach Maßgabe des VwRehaG begründet, und den gesundheitlichen Schäden des Antragstellers nicht wahrscheinlich machen.

Denn die Verpflichtung zur Ausübung der den Antragsteller körperlich belastenden Tätigkeiten als Presser (VEB Altstoffhandel G.), Kraftfahrer und Schlosser ab Juli 1974 war nicht dadurch verursacht, dass der Antragsteller (infolge der Exmatrikulation) an der Ausübung eines akademischen Berufs gehindert war, sondern weil er vom DDR-Unrechtssystem gezielt benachteiligt und schikaniert wurde, indem er - wie die Klägerseite (z. B. zur Begründung des streitgegenständlichen Antrags beim Beklagten) ausdrücklich bestätigt hat - nur die „letzten und untersten Arbeiten“ bekommen hat. Die Exmatrikulation ist also bereits nicht mit Wahrscheinlichkeit conditio-sine-qua-non für die Ausübung der o. g. belastenden Tätigkeiten.

Dass der Antragsteller nur die „letzten und untersten Arbeiten“ bekommen hat, ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den glaubhaften und plausiblen Darlegungen der Klägerseite sowie aus dem gesamten Akteninhalt, der zu diesen Angaben an keiner Stelle im Widerspruch steht. Schließlich halten die Darlegungen und das sich aus den vorliegenden Unterlagen ergebende Bild auch einer Überprüfung anhand allgemeiner historischer Erkenntnisse stand. Das Gesamtergebnis des Verfahrens zeigt einen Antragsteller, der es sich trotz der staatlichen Repressionsmaßnahmen nicht nehmen hat lassen, für seine Rechte einzustehen und der den Mut gezeigt hat, sein Recht auf freie Meinungsäußerung sogar durch verbotene Kontaktaufnahme zu westlichen Medien wahrzunehmen. In Fällen wie diesem sah sich der Herrschaftsapparat der DDR regelmäßig herausgefordert, zumindest im Rahmen einer „Vorfeldkontrolle“ tätig zu werden, die das Netz der Staatssicherheit ergänzte, welche „erst dann Aktivitäten zu entwickeln begann, wenn ´Maßnahmen der gesellschaftlichen Erziehung´ sich dauernd als unwirksam erwiesen“ (so der Historiker Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur - Alltag und Herrschaft in der DDR 1971 bis 1989, 2. Aufl., Berlin 1998, S. 154). Maßnahme der „Vorfeldkontrolle“ war dann u. a. eine permanente gezielte Benachteiligung. „In der Regel wurden kritische und aufsässige Geister an Schulen, Bildungseinrichtungen oder Arbeitsstellen ... ins soziale Abseits geschoben“ (a. a. O.), wie vorliegend der Kläger durch das (staatliche) Vorenthalten von Arbeitsmöglichkeiten, die seiner Person - d. h. seinen intellektuellen und körperlichen Fähigkeiten sowie seinen Neigungen - entsprochen hätten.

Es erscheint dem Senat daher nachvollziehbar, dass der Antragsteller auch bei Beendigung des Studiums aufgrund der erfolgten Benachteiligung zu körperlich belastenden Arbeiten (zumindest faktisch) gezwungen gewesen wäre (vgl. das bekannte Phänomen der in den ehemaligen sozialistischen Staaten aufgrund staatlicher Repressionen in gering geachteten Arbeiterberufen tätigen Akademiker - mit Studienabschluss!). Die Exmatrikulation des Antragstellers ist also nicht Bedingung für die gezielte Benachteiligung (Ins-Soziale-Abseits-Stellen) des Klägers im Sinne der o. g. Grundsätze, sondern vielmehr eine ihrer Erscheinungsformen - so wie die von der Klägerseite vorgetragenen Maßnahmen der strafrechtlichen Verurteilungen, Drohung mit der Rückführung in die Volksrepublik B. sowie Verweisung auf „unterste“ berufliche Tätigkeiten - im System gezielter staatlicher Unterdrückung und Verfolgung des Klägers. Die Annahme, dass erst durch die Exmatrikulation gewissermaßen der Grundstein für eine systematische Benachteiligung des Klägers gelegt worden und diese ohne den Ausschluss vom Studium nicht oder nur schlecht denkbar gewesen wäre, widerspricht nicht nur den Einlassungen der Klägerseite, sondern auch den gesamten dem Senat vorliegenden Unterlagen und erscheint auch lebensfremd. Sie wird denn auch nicht von der Klägerseite vertreten. Augenfällig wird der Unterschied etwa darin, dass sich die „Abstempelung als Staatsfeind“ nicht im bloßen Exmatrikulationsbescheid, sondern wohl in negativen Vermerken in der Kaderakte des Antragstellers bzw. in Unterlagen der Staatssicherheit o. ä. dokumentiert hat.

Der Senat hat im Übrigen keinen Zweifel daran, dass sich der Antragsteller zur Verrichtung von ihm nicht gewollter, körperlich belastender Tätigkeiten ab 1974 tatsächlich gezwungen sehen musste. Denn es ist offenkundig, dass es in der DDR grundsätzlich keine „Nischen“ gegeben hat (vgl. hierzu z. B. Wolle, a. a. O., S. 338); dies gilt erst recht für vom Staat kontrollierte Bereiche wie den Arbeitsmarkt und somit auch für „regimeferne“ Personen wie den Antragsteller. Dass der Antragsteller eine seinen gesundheitlichen Verhältnissen entsprechende Arbeitsmöglichkeit aufgrund eigener Initiative erhalten hätte können, erscheint daher nahezu ausgeschlossen.

Damit ist der auf der tatsächlichen, nicht-medizinischen Ebene liegende Zusammenhang (auch mittelbar) nicht gegeben, anders als wenn etwa der Antragsteller aufgrund der in der Exmatrikulation liegenden Herabwürdigung seiner Person psychischen Schaden genommen hätte. Für Letzteres spricht aber vorliegend nichts.

2. Andere potentiell schädigende Vorgänge als die Exmatrikulation können als Grundlage für einen Versorgungsanspruch nicht herangezogen werden.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stellt die Exmatrikulation als singulärer Akt kein mögliches schädigendes Ereignis mit Blick auf die geltend gemachten Gesundheitsstörungen dar. In Betracht kommt allenfalls die anschließend erfolgte Benachteiligung des Antragstellers durch das (staatliche) Vorenthalten von seiner Person entsprechenden Arbeitsmöglichkeiten, die aber nicht auf die Exmatrikulation zurückgeführt werden kann (s. o.). Ob auch die zeitlich vor der Exmatrikulation erfolgte Nichtdelegierung zum Studium und die dadurch bewirkte Verpflichtung zur weiteren schwereren körperlichen Tätigkeit bei der W., wie die Klägerseite vorgetragen hat, als Ursache für die Gesundheitsstörungen in Frage kommt, kann offen bleiben - in der Tat handelt es sich insoweit jedenfalls um einen längeren Prozess, in dem der Antragsteller benachteiligt worden ist. Schädigendes Ereignis im Rechtssinne ist vorliegend nämlich allein die rechtsstaatswidrige Exmatrikulation. Denn diese ist als einzige im Rehabilitierungsbescheid genannte Maßnahme im Sinn von § 1 Abs. 1, 5 VwRehaG die alleinige schädigende Handlung gemäß § 3 Abs. 1 der Vorschrift.

Eine Erweiterung des Rehabilitierungsgrundes kommt nicht in Betracht. Abzustellen ist vielmehr ausschließlich auf die konkreten Maßnahmen, die wegen ihrer Rechtsstaatswidrigkeit gemäß § 1 VwRehaG aufgehoben werden. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck des VwRehaG, das ausdrücklich die einzelne Aufhebung konkreter hoheitlicher Maßnahmen des DDR-Regimes vorsieht und G.de keinen allgemeinen Unrechtsausgleich ohne konkrete Prüfung der Einzelereignisse vorsieht. Dies folgt nicht zuletzt auch aus dem Bestimmtheitsgebot des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (vgl. BVerfGE 108, 186, 234 ff., BVerfGE 111, 54, 82 sowie BVerfGE 110, 33, 53 ff.).

Hierdurch entstehen den Betroffenen auch keine Nachteile. Denn die Aufhebbarkeit rechtsstaatswidriger hoheitlicher Maßnahmen beschränkt sich nicht auf Rechtsakte des DDR-Regimes. Vielmehr gelten die Vorschriften des VwRehaG für Realakte und insbesondere für Maßnahmen wie jahrelange Drangsalierung und Bespitzelung, die nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet sind, nach § 1 Abs. 5 VwRehaG entsprechend (vgl. Rademacker, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl., §§ 1 bis 18 VwRehaG, Rdnr. 6, m. w. N.; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2014, Az.: L 6 VU 2236/13 ZVW - hier verschiedene Zersetzungsmaßnahmen; s. im Übrigen Urteil des Senats vom 16.11.2010, Az.: L 15 VU 2/09 - permanente Stasi-Überwachung).

Weshalb vorliegend vom Landesamt für Rehabilitierung und Wiedergutmachung des Freistaates Thüringen lediglich die Exmatrikulation für rechtsstaatswidrig erklärt worden ist, entzieht sich der Kenntnis des Senats. Er sieht sich jedoch daran gehindert, über den klaren Wortlaut und die klare Beschränkung, die im Bescheid zum Ausdruck kommen, hinaus weitere Rehabilitierungstatbestände anzunehmen und hierfür gegebenenfalls Versorgung zuzusprechen. Eine solche Feststellung im Bescheid ist aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich und im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz der vollziehenden Gewalt vorbehalten.

Daher kommt es vorliegend also, anders als die Klägerseite meint, nicht auf die Nichtdelegierung zum Studium, nicht auf die Benachteiligung bei der Arbeitsplatzvergabe nach der Exmatrikulation und erst recht nicht auf eine „permanente Benachteiligung“ des Antragstellers an. Gleiches gilt hinsichtlich der Lösung des Arbeitsverhältnisses durch den - wohl erzwungenen - Aufhebungsvertrag. Schließlich ist heute auch ohne Belang, aus welchem Grund die Exmatrikulation des Antragstellers erfolgt ist.

3. Aufgrund der unterschiedlichen Zwecksetzungen des BerRehaG und des VwRehaG kommt es vorliegend auf die im Verfahren der beruflichen Rehabilitierung des Antragstellers ergangenen Entscheidungen nicht an.

4. Offen kann bleiben, ob der Anspruch des Antragstellers im Übrigen auch unter dem Gesichtspunkt der sog. überholenden (oder verdrängenden) Kausalität ausgeschlossen wäre. Es bestehen zwar Anhaltspunkte dafür (vgl. z. B. das Schreiben der Ingenieurschule vom 02.11.1972), dass der Antragsteller das Studium - aus welchen Gründen auch immer, in Betracht kommt auch eine Beeinträchtigung durch „Verfolgungsmaßnahmen“ der DDR - ohnehin nicht bestanden hätte. Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht an, da die geltend gemachten Gesundheitsstörungen, wie dargelegt, nicht auf die Beendigung des Studiums zurückgeführt werden können. Der Senat kann daher dahin stehen lassen, ob das Problem der überholenden Kausalität grundsätzlich überhaupt eine Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen schädigendem Vorgang und Schaden bzw. Schädigungsfolge oder nur eine solche der Schadensberechnung ist und ob immer nur der im Zeitpunkt der Schädigung tatsächlich bestehende Zustand aufgrund einer wirklich abgelaufenen Kausalkette zugrunde gelegt werden darf (vgl. Urteil des BSG vom 28.06.1968, Az.: 9 RV 604/65), weiter, wie im Versorgungsrecht das Problem der überholenden Kausalität in Fällen nicht-medizinischer Verursachungsfragen - wie vorliegend gegeben (wo es G.de nicht um die Frage geht, ob der gesundheitliche Schaden durch ein anderes schädigendes Ereignis eingetreten wäre) - zu behandeln ist.

5. Im Übrigen sind - wie das SG zutreffend dargelegt hat - die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des Antragstellers zur Überzeugung des Senats auch nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die beruflichen Tätigkeiten nach der Exmatrikulation zurückzuführen. Für diese Annahme spricht die gesamte gesundheitliche Situation des Antragstellers, der bereits ab Juli 1974 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erhalten und zuletzt bei der SDAG W. einen Schonarbeitsplatz inne gehabt hat. Vor allem ergibt sich dies im Einzelnen aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen. Hierauf kommt es jedoch im Hinblick auf die obigen Darlegungen letztlich nicht an, da die Verpflichtung zur Ausübung der belastenden Tätigkeiten nicht durch die Exmatrikulation verursacht war.

Weitere Ermittlungen hierzu kamen daher nicht in Betracht.

Entsprechendes gilt auch für Ermittlungen zu den historischen Tatsachen bezüglich der DDR-Repressionsmaßnahmen. Die Angaben der Klägerseite und das sich aus dem Akteninhalt ergebende Bild fügen sich ohne Weiteres in die historisch überlieferten Abläufe ein. Der Senat hat keinen Beweis mit historischen Tatsachen geführt, sondern - in Übereinstimmung mit der Rspr. des BSG (vgl. Urteil vom 24.11.2005, Az.: B 9a-9 V 8/03 R) - lediglich die festgestellten Tatsachen anhand allgemeiner historischer Erkenntnisse überprüft.

Nach alledem ist die Berufung unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.