Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Feb. 2019 - L 11 AS 899/18

bei uns veröffentlicht am26.02.2019

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen Ziffer I. des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.08.2018 wird zurückgewiesen.

II. Mit Ausnahme des Berufungsverfahrens haben der Beklagte und die Beigeladene unter Abänderung von Ziffer II. des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.08.2018 die außergerichtlichen Kosten des Klägers je zur Hälfte zu erstatten. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren hat der Beklagte zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von Dezember 2017 bis Juni 2018.

Der 1959 geborene Kläger ist kroatischer Staatsangehöriger. Im März 2014 reiste er zur Arbeitssuche in die Bundesrepublik Deutschland ein und meldete sich am 14.03.2014 beim Einwohnermeldeamt in A-Stadt an. Nach der Anmeldung seines Gewerbes am 22.04.2014 übte er eine selbständige Tätigkeit als Fliesen-Platten-Mosaikleger, Bodenleger, Betonstein- und Terrazzohersteller aus. Infolge einer Knieverletzung war er ab 26.05.2015 arbeitsunfähig. Sein Gewerbe meldete er am 06.08.2015 zum 30.06.2015 ab. Am 23.07.2015 erlitt er infolge eines Unfalls eine Schulterdistorsion links (Schulterläsion). Die Schulter wurde am 24.09.2015 operiert. In der Folgezeit erlitt er einen Herzinfarkt und befand sich vom 27.05.2016 bis 10.06.2016 auf einer Reha. Nach dem Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS) vom 19.07.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2018 besteht bei ihm ein Grad der Behinderung von 40. Es liege eine dauernden Einbuße seiner körperlichen Beweglichkeit vor sowie eine seelische Störung, eine Funktionsbehinderung des Schultergelenks beidseits, Durchblutungsstörungen des Herzens, ein abgelaufener Herzinfarkt, eine Coronardilatation, eine Stentimplantation, eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, eine Funktionsstörung durch Fußfehlform beidseits, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Osteoporose und eine Wirbelsäulenverformung. Nach einem Attest des Klinikums A-Stadt vom 06.12.2017 befinde er sich wegen einer schweren Depression in ambulanter psychiatrischer Behandlung und sei bis auf weiteres arbeitsunfähig.

Der Beklagte bewilligte dem Kläger von Juni 2015 bis November 2017 Alg II (zuletzt Bescheid vom 26.10.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26.11.2016). Den Weiterbewilligungsantrag vom 17.10.2017 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15.11.2017 ab. Die Selbständigkeit sei zum 30.06.2015 aufgegeben worden und der für einen Leistungsanspruch notwendige Arbeitnehmerstatus wirke nur für zwei Jahre nach Beginn der unverschuldeten Arbeitslosigkeit nach. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Nach einem Vermerk des Beklagten vom 08.12.2017 habe der Kläger die selbständige Tätigkeit nach mehr als einem Jahr unfreiwillig aufgegeben. Laut Arbeitsvermittlung liege Erwerbsfähigkeit vor. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2018 zurückgewiesen. Nach Erlass eines Beschlusses des Sozialgerichts Nürnberg (SG) vom 28.02.2018 im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes (S 13 AS 29/18 ER) bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 17.04.2018 „nach § 41a Abs. 1 SGB II“ vorläufig Alg II für die Zeit vom 12.01.2018 bis 30.06.2018. Unter Umsetzung des Beschlusses werde Alg II vorläufig, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gewährt. Auf einen vom Kläger im Juni 2018 gestellten Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Beklagte vorläufig Leistungen für die Monate Juli 2018 bis Dezember 2018 (Bescheid vom 06.07.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.12.2018).

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 17.01.2018 hat der Kläger beim SG Klage erhoben. Es gebe keine zeitliche Einschränkung des privilegierten Freizügigkeitsrechts beim unfreiwilligen Verlust einer Beschäftigung oder Aufgabe einer selbständigen Tätigkeit. Auch ergebe sich das Fortbestehen des Freizügigkeitsrechts aus der nur vorübergehenden Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall. Eine negative Prognose hinsichtlich der Wiederherstellung einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit liege nicht vor. Das SG hat die Stadt A. als Sozialhilfeträger beigeladen und den Beklagten mit Urteil vom 28.08.2018 unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids zur (endgültigen) Zahlung von Alg II für die Zeit von Dezember 2017 bis Juni 2018 verurteilt. Ein Leistungsausschluss liege nicht vor. Mangels ausdrücklicher Regelung im Gesetz sei das Fortbestehen des Arbeitnehmerstatus bzw Selbständigenstatus nicht auf zwei Jahre begrenzt. Eine restriktive Auslegung unter Berücksichtigung veralteten EWG-Rechts scheide aus.

Dagegen hat der Beklagte Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Zwar habe der Kläger zunächst über einen Selbständigenstatus verfügt, dieser bestehe aber zeitlich begrenzt nur für zwei Jahre. Der Aufenthalt des Klägers in Deutschland erfolge alleine zur Arbeitssuche. Es werde auf die Entscheidung des 16. Senats des LSG (L 16 AS 284/16 B ER) verwiesen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.08.2018 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 15.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2018 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Er habe mit der selbständigen Tätigkeit am Tag nach der Gewerbeanmeldung begonnen. Diese habe er bis zu seiner Schulterverletzung - diese habe zu gesundheitlichen Beschwerden in der linken Hand geführt, so dass er dann nicht mehr selbständig habe arbeiten können - im Juli 2015 ausgeübt und danach das Gewerbe abgemeldet.

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt. Sie hat ebenfalls auf die zeitliche Begrenzung des Selbständigenstatus des Klägers und die Entscheidung des 16. Senats verwiesen. Es sei dem Kläger zudem zumutbar, nach Kroatien zurückzukehren, da er in Deutschland kein Aufenthaltsrecht mehr besitze.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat den Beklagten zu Recht dem Grunde nach zur Zahlung von Alg II für Dezember 2017 bis Juni 2018 verurteilt. Der Bescheid des Beklagten vom 15.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 15.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2018, mit dem der Beklagte die Zahlung von Alg II ab Dezember 2017 abgelehnt hat. Dagegen wendet sich der Kläger zulässigerweise mit der von ihm erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG). Zeitlich ist der Streitgegenstand auf Leistungen für die Zeit von Dezember 2017 bis Juni 2018 beschränkt. Der Kläger hat im Juni 2018 - im Hinblick auf ihm vorläufig bewilligte Leistungen bis lediglich einschließlich Juni 2018 im Bescheid vom 17.04.2018 - für die Zeit ab Juli 2018 einen Weiterbewilligungsantrag gestellt, auf den hin der Beklagte mit Bescheid vom 06.07.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.12.2018 vorläufig Alg II für die Zeit von Juli bis Dezember 2018 bewilligt hat. Jedenfalls mit der Entscheidung über den Folgeantrag ab Juli 2018, in der der Beklagte auch über die Möglichkeit eines Widerspruchs gegen den Bescheid hingewiesen hat, ist der von dieser Entscheidung betroffene Zeitraum nicht mehr Gegenstand des Verfahrens gegen den vorliegend streitigen Ablehnungsbescheid. Der neue Bescheid wird auch nicht nach § 96 SGG Gegenstand des bereits anhängigen Verfahrens (vgl dazu BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R - und Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 62/08 R - beide zitiert nach juris). Im Übrigen hat alleine der Beklagte Berufung gegen das Urteil des SG eingelegt und eine Verurteilung zur Leistungserbringung ab Juli 2018 ist nicht erfolgt. Soweit der Beklagte mit Bescheid vom 17.04.2018 „nach § 41a Abs. 1 SGB II“ vorläufig Alg II für die Zeit vom 12.01.2018 bis 30.06.2018 bewilligt hat, sind diese Leistungen auf die endgültigen Leistungen anzurechnen, wobei offen bleiben kann, ob es sich bei dem Bescheid nach Auslegung seines Inhalts entgegen dem ausdrücklichen Verweis auf § 41a Abs. 1 SGB II um einen bloßen Ausführungsbescheid hinsichtlich der vorläufigen Verpflichtung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens durch das SG im Beschluss vom 28.02.2018 (S 13 AS 29/18 ER) oder tatsächlich um eine vorläufige Leistungsbewilligung iSv § 41a Abs. 1 SGB II gehandelt hat.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Alg II für die Zeit von Dezember 2017 bis Juni 2018.

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Alg II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigen Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Der Kläger erfüllt die Leistungsvoraussetzungen. Er war im streitgegenständlichen Zeitraum 58 Jahre alt, erwerbsfähig - zumindest gibt es bislang keine hinreichenden Feststellungen des Beklagten, dass dies im Hinblick auf die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen nicht der Fall ist -, hilfebedürftig - Anhaltspunkte für verfügbares Einkommen iSv § 11 SGB II oder einzusetzendes Vermögen iSv § 12 SGB II liegen nicht vor - und er hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in A-Stadt. Zudem hat er an 17.10.2017 die Weiterbewilligung seines Alg II ab Dezember 2017 beantragt.

Er war auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Danach sind ua ausgeschlossen, Ausländer, (a) die kein Aufenthaltsrecht haben, (b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder (c) die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl L 141 vom 27.05.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl L 107 vom 22.04.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten.

Als Kroate ist der Kläger Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union und damit Unionsbürger iSv § 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Er fällt somit in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes. Ihm steht im streitgegenständlichen Zeitraum ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU, mithin nicht alleine zum Zweck der Arbeitssuche iSv § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a FreizügG/EU, zu. Danach bleibt das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland für selbständig Erwerbstätige unberührt bei Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit.

Die selbständige Tätigkeit hat der Kläger nach seinen glaubhaften Ausführungen für mehr als ein Jahr ausgeübt. Er hat diese am Tag nach der Gewerbeanmeldung, folglich am 23.04.2014 aufgenommen und bis zumindest 25.05.2015 ausgeübt. Dies hat der Beklagte auch nicht bestritten, vielmehr selbst stets darauf hingewiesen, der Kläger habe mehr als ein Jahr seine selbständige Tätigkeit ausgeübt. Die tatsächliche Ausübung ergibt sich auch aus vom Kläger beim Beklagten vorgelegten Kontoauszügen, in denen verschiedene Geldeingänge von Kunden für erledigte Aufträge verbucht sind. Danach bestehen für den Senat auch keine Zweifel, dass der Kläger aus den Einkünften aus seinem Gewerbebetrieb seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte. Das ihm während dieser Zeit zustehende Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU (niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger) bestand auch nach der Einstellung der selbständigen Tätigkeit im Mai 2015 - oder auch später, sollte der Kläger nach seiner Knieverletzung nochmals bis zu seiner Schulterverletzung im Juli 2015 selbständig tätig gewesen sein, wie er es im Erörterungstermin angegeben hat - fort.

Die aufgrund der Kniebeschwerden bzw der Schulterverletzung aufgetretenen gesundheitlichen Einschränkungen führten dazu, dass der Kläger die selbständige Tätigkeit nach mehr als einem Jahr infolge von Umständen einstellen musste, auf die er keinen Einfluss hatte (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU).

Zur Überzeugung des Senats war der Kläger infolge der Knie- bzw Schulterbeschwerden nicht mehr in der Lage, seine Fliesenlegertätigkeit auszuüben. Auch im Hinblick auf die später hinzutretenden gesundheitlichen Beschwerden wegen des Herzinfarktes und der Depressionen gibt es keinen Zweifel, dass der Kläger seine selbständige Tätigkeit einstellen musste, wenngleich er jedoch nach Auffassung des Beklagten noch erwerbsfähig war. Die unfreiwillige Einstellung der selbständigen Tätigkeit aufgrund von Umständen, auf die der Kläger keinen Einfluss hatte, hat der Beklagte selbst im Rahmen eines Vermerks vom 08.12.2017 innerhalb des Widerspruchsverfahrens vermerkt. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass der Kläger auf seine gesundheitlichen Probleme hätte Einfluss nehmen können. Auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU (AVV zum FreizügG/EU) vom 03.02.2016 (GMBl S. 86) sieht in Nr. 2.3.1.2 als Fall der unfreiwilligen Einstellung der selbständigen Tätigkeit eine Geschäftsaufgabe aus gesundheitlichen Gründen an.

Die Fortgeltung des Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 iVm Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU unterlag auch keiner zeitlichen Befristung, die ihm in der Zeit von Dezember 2017 bis Juni 2018 entgegengestanden wäre. Die Dauer der Tätigkeit des Klägers betrug mehr als ein Jahr, so dass eine Befristung der Fortgeltung dieses Rechts auf sechs Monate nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU nicht in Betracht kommt.

Auch aus anderen Gründen ergibt sich keine zeitliche Einschränkung des Aufenthaltsrechts. Das BSG hat hierzu im Urteil vom 13.07.2017 (B 4 AS 17/16 R - juris) unter Verweis auf den Beschluss des BayLSG vom 20.06.2016 (L 16 AS 284/16 B ER - juris) und auf Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU Rn 107 ff, einerseits sowie auf Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU Rn 38, andererseits die Frage offen gelassen, ob die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft einer festen zeitlichen Grenze unterliege und diese nach einem Zeitraum von zwei Jahren zu ziehen sei, wie dies teilweise unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl Nr L 158 S. 77 - RL 2004/38/EG) vertreten werde.

Der Wortlaut der Vorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU sieht keine zeitliche Befristung der Fortgeltung des Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU vor. Eine solche kann auch durch Auslegung der Norm nicht vorgenommen werden. So sieht das FreizügG/EU im Falle einer unfreiwilligen, durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigten Arbeitslosigkeit bei einer Beschäftigung von weniger als einem Jahr eine Befristung des Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU auf sechs Monate vor (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU). Im Falle des § 2 Abs. 3 Satz 1 FreizügG/EU ist von einer solchen zeitlichen Beschränkung gerade keine Rede, was dafür spricht, dass folglich bei einer Beschäftigung bzw selbständigen Tätigkeit von mehr als einem Jahr - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU - eine Befristung nicht erfolgt. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber eine zeitliche Beschränkung im Falle des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU trotz der fehlenden Festschreibung in dieser Regelung gewollt hat, wenn gerade im nächsten Satz ausdrücklich für einen anderen Fall eine solche in das Gesetz aufgenommen wird. Von einem Versehen des Gesetzgebers kann daher nicht ausgegangen werden. So geht auch Ziffer 2.3.1.2 AVV zum FreizügG/EU davon aus, dass nach einer durchgängigen Beschäftigung von mindestens einem Jahr das Freizügigkeitsrecht im Falle des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU, zB bei der unverschuldeten Geschäftsaufgabe aus gesundheitlichen Gründen, grundsätzlich unbefristet fortbesteht.

Auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU vermag der Senat keine einschränkende Auslegung vorzunehmen. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 7 Abs. 3 RL 2004/38/EG und regelt den Erhalt der Erwerbstätigeneigenschaft (vgl Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 2 FreizügG/EU Rn 103; siehe auch BT-Drs 16/5065, S. 208). Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst a) RL 2004/38/EG hat jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist. Für die Zwecke des Abs. 1 Buchst a) bleibt nach Art. 7 Abs. 3 RL 2004/38/EG die Erwerbstätigeneigenschaft dem Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig (Buchst a), er sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt (Buchst b), sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt - in diesem Fall bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten - (Buchst c) oder er eine Berufsausbildung beginnt, wobei dabei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren (Buchst d). Art. 7 Abs. 3 Buchst b) RL 2004/38/EG ist dabei dahingehend auszulegen, dass dieser sowohl Arbeitnehmer als auch Selbständige erfasst. Da auch ein selbständig Erwerbstätiger gezwungen sein kann, seine Tätigkeit aufzugeben, ist dieser Fall mit einem unfreiwilligen Arbeitsplatzverlust eines Arbeitnehmers vergleichbar, denn er befindet sich dann in einer ebenso schwierigen Situation, die mit der eines entlassenen Arbeitnehmers vergleichbar ist. Zudem hat der, der eine Erwerbstätigkeit als Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt hat, zum Sozialversicherungs- und Steuersystem dieses Mitgliedstaats durch die Entrichtung von Steuern, Abgaben und die Tragung von anderen seine Einkünfte mindernden Kosten beigetragen (vgl zum Ganzen: EuGH, Urteil vom 20.12.2017 - C-442/16 - juris). Eine zeitliche Begrenzung, wie lange die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten bleiben soll, ist in Art. 7 Abs. 3 RL 2004/38/EG nicht vorgesehen.

Wenn in der Begründung zu Art. 8 Abs. 7 des Vorschlages der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten - KOM(2001) 257 endg - 2001/0111(COD) - darauf verwiesen wird, dass in diesem Absatz das Wesentliche einiger Bestimmungen der Richtlinie 68/360/EWG des Rates vom 15.10.1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft (ABl Nr L 257 S. 13 - RL 68/360/EWG) übernommen und präzisiert, sowie dabei auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Arbeitnehmereigenschaft beim Ausscheiden aus der abhängigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit aufgenommen worden sei (Nr. 7 der Erläuterung zu Art. 8), kann daraus ebenfalls keine zeitliche Beschränkung entnommen werden. So sah Art. 7 Abs. 1 der RL 68/360/EWG vor, dass einem Arbeitnehmer eine gültige Aufenthaltserlaubnis nicht allein deshalb entzogen werden konnte, weil er keine Beschäftigung mehr hat, sei es, weil er infolge Krankheit oder Unfall vorübergehend arbeitsunfähig ist, sei es, weil er unfreiwillig arbeitslos geworden ist, wenn letzterer Fall vom zuständigen Arbeitsamt ordnungsgemäß bestätigt wird. Bei der ersten Verlängerung konnte nach Art. 7 Abs. 2 der RL 68/360/EWG die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis, wenn der Arbeitnehmer im Aufnahmestaat länger als zwölf aufeinanderfolgende Monate unfreiwillig arbeitslos ist, beschränkt werden, wobei sie jedoch zwölf Monate nicht unterschreiten durfte. Eine Beschränkung des Erhalts der Erwerbstätigeneigenschaft auf maximal zwei Jahre kann daraus nicht abgeleitet werden. Diese erschien zwar nach der alten Rechtslage im Falle der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit möglich, stellte aber die untere Grenze des möglichen Fortbestandes der Aufenthaltserlaubnis dar. Eine entsprechende Regelung des nationalen Rechts war im Gesetz über die Einreise und Aufenthalts von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG) nicht enthalten. Vielmehr war eine Aufenthaltserlaubnis-EG auf Antrag Verbleibeberechtigten, bei denen nach § 6a Abs. 7 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz/EWG Zeiten der Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, als Erwerbstätigkeit angesehen worden sind, für mindestens fünf Jahre erteilt, sofern sie nicht für eine kürzere Zeit beantragt wurde (§ 6a Abs. 9 Satz 1 Aufenthaltsgesetz/EWG). Zwar war die Möglichkeit einer nachträglichen zeitlichen Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis in § 6a Abs. 10 Aufenthaltsgesetz/EWG vorgesehen, die aber nur dann möglich war, wenn die für die Erteilung der Erlaubnis erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr vorlagen.

Auch aus der Richtlinie des Rates vom 17.12.1974 über das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, nach Beendigung der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu verbleiben (RL 75/34/EWG) ergibt sich kein Anhaltspunkt, der eine zeitliche Beschränkung des Fortbestandes des Aufenthaltsrechts des Klägers indizieren würde. Eine entsprechende Regelung, wie sie § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU vorsieht, hat es dort nicht gegeben.

Sofern im Vorschlag der Kommission für die RL 2004/38/EG in Art. 8 Abs. 7 Buchst c) festgehalten war, dass bei einem Anspruch auf Arbeitslosenleistung die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten bleibt, bis der Anspruch erlischt, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Vielmehr bezog sich diese Begrenzung auf Fälle der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit infolge des Ablaufs eines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages. Auf den in Art. 8 Abs. 7 Buchst b) des Vorschlages geregelten Fall der ordnungsgemäß bestätigten unfreiwilligen Arbeitslosigkeit und des Zurverfügungstellens beim zuständigen Arbeitsamt bezog sich die Beschränkung nicht.

Unabhängig davon wäre aber auch zu berücksichtigen, dass nach dem Erwägungsgrund 3 der RL 2004/38/EG nicht nur die bisherigen Rechte auf Freizügigkeit und Aufenthalt vereinfacht, sondern auch verstärkt werden sollten. Dies schließt die Erweiterung zuvor bestehender Aufenthaltsrechte daher nicht aus. Zudem bleiben durch die RL 2004/38/EG günstigere nationale Rechtsvorschriften unberührt (Art. 37 RL 2004/38/EWG). Auch in der Begründung zum FreizügG/EU ist ausgeführt, dass ein über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben noch weiter als bisher hinausgehender Schutz vor Aufenthaltsbeendigung für einen erweiterten Personenkreis sichergestellt werden sollte sowie dass bereits das Aufenthaltsgesetz/EWG die Gewährung eines gegen Aufenthaltsbeendigung besonders geschützten Aufenthaltsstatus für Erwerbstätige, Verbleibeberechtigte und die jeweiligen Familienangehörigen vorgesehen habe, der über den damaligen Stand des Gemeinschaftsrecht hinausgegangen sei (BT-Drs 15/420, S. 101). Hieraus wird ebenfalls deutlich, dass eine einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU gegen seinen Wortlaut alleine mit Blick auf die Entstehungsgeschichte nicht angezeigt ist.

Soweit eingewandt wird, dass bei Annahme eines fortgeltenden Aufenthaltsrechts im vorliegenden Fall schon vor Ablauf von fünf Jahren faktisch ein Daueraufenthaltsrecht geschaffen werde, ist zu berücksichtigen, dass dies auch in anderen Fällen, wie sie in § 4a Abs. 2 FreizügG/EU genannt werden, eintritt. Im Unterschied zu den dort genannten Fallgruppen ist in § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU zwar kein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wegen eines (Vor-)Ruhestandes oder infolge einer vollen Erwerbsminderung erforderlich, jedoch wird anders als in § 4a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU eine selbständige Tätigkeit von mindestens einem Jahr vorausgesetzt. Auch im Vergleich zu § 4a Abs. 1 FreizügG/EU, der nicht auf eine Erwerbstätigkeit abstellt, liegt gerade die besondere Fallgestaltung vor, dass der Unionsbürger sich zwar noch keine fünf Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat, er aber bereits mehr als ein Jahr hier gearbeitet hat und seine Tätigkeit unfreiwillig aufgeben musste. Im Übrigen sieht Erwägungsgrund 19 der RL 2004/38/EG ausdrücklich vor, dass abhängig oder selbständig erwerbstätige Unionsbürger in bestimmten Fällen bereits ein Daueraufenthaltsrecht erwerben können sollten, bevor sie einen Aufenthalt von fünf Jahren im Aufnahmemitgliedstaat vollendet haben.

Da sich die Voraussetzung einer Bescheinigung der zuständigen Agentur für Arbeit in Bezug auf die unfreiwillige Arbeitslosigkeit in § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU nur auf die 1. Alt, nicht aber auf die der Einstellung der selbständigen Tätigkeit bezieht (so auch Dienelt aaO Rn 109), kann es vorliegend dahinstehen, ob der Kläger über eine solche verfügt. Dass sich der Kläger arbeitslos melden bzw Nachweise zur Arbeitssuche erbringen muss, ist keine Tatbestandsvoraussetzung des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU (so aber aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift folgernd: Dienelt aaO Rn 110). Unabhängig davon hat sich der Kläger an den Beklagten gewandt und dort Leistungen beantragt. Auch Pflichtverletzungen in Bezug auf Eingliederungsbemühungen sind nicht erkennbar. Damit hat er einen Nachweis zur Arbeitssuche erbracht (vgl dazu auch BayLSG, Beschluss vom 20.06.2016 - L 16 AS 284/16 B ER - juris).

Es kann damit dahinstehen, dass dem Kläger für den Zeitraum vom 12.01.2018 bis 30.06.2018 bereits deshalb Alg II zusteht, weil der Beklagte insoweit mit Bescheid vom 17.04.2018 vorläufig Alg II nach § 41a Abs. 1 SGB II bewilligt hat. Die Voraussetzungen des § 41a Abs. 1 SGB II für eine vorläufige Leistungsbewilligung haben nicht vorgelegen. Es kann aber im Hinblick auf obige Ausführungen offen bleiben, ob die Auslegung des Hinweises am Ende des Bescheides, die Gewährung der Leistungen erfolge unter Umsetzung des Beschlusses des SG, dazu führt, dass lediglich ein Ausführungsbescheid anzunehmen wäre, oder eine Rücknahme des Bescheides nicht in Betracht kommen und dieser einen Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen der Leistungen darstellen könnte (vgl zu dieser Problematik: Beschluss des Senats vom 19.07.2018 - L 11 AS 329/18 B ER mit Hinweis auf LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 12.09.2013 - L 8 AS 378/12 B ER - juris).

Nach alledem hat die Berufung des Beklagten keinen Erfolg und war daher zurückzuweisen. Der Senat belässt es insofern auch bei der Verurteilung des Beklagten dem Grunde nach durch das SG, denn - wie der Bescheid vom 17.04.2018 zeigt - besteht auch der Höhe nach ein Anspruch des Klägers.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Im Hinblick auf die Kostenentscheidung bezüglich der ersten Instanz war zu berücksichtigen, dass die Beigeladene einen Antrag vor dem SG gestellt hat, weshalb sie am Kostenrisiko für das Verfahren vor dem SG zu beteiligen war.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Feb. 2019 - L 11 AS 899/18 zitiert 17 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

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(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die1.das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,2.erwerbsfähig sind,3.hilfebedürftig sind und4.ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschla

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 11 Zu berücksichtigendes Einkommen


(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dies

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 9 Hilfebedürftigkeit


(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer So

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 96


(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. (2) Eine Abschrift des neuen Ver

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 12 Zu berücksichtigendes Vermögen


(1) Alle verwertbaren Vermögensgegenstände sind vorbehaltlich des Satzes 2 als Vermögen zu berücksichtigen. Nicht zu berücksichtigen sind1.angemessener Hausrat; für die Beurteilung der Angemessenheit sind die Lebensumstände während des Bezugs von Bür

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 19 Bürgergeld und Leistungen für Bildung und Teilhabe


(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Bürgergeld. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Bürgergeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach

Verordnung über das Europäische Abfallverzeichnis


Abfallverzeichnis-Verordnung - AVV

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 7a Altersgrenze


Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichen die Altersgrenze mit Ablauf des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden. Für Personen, die nach dem 31. Dezember 1946 geboren sind, wird die Altersgrenze wie folgt angehoben: für de

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 41a Vorläufige Entscheidung


(1) Über die Erbringung von Geld- und Sachleistungen ist vorläufig zu entscheiden, wenn1.zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Geld- und Sachleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist und die Voraussetzungen für den Ans

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Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. März 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwi

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Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 12.01.2018 vorläufig, längstens bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren Alg II zu gewähren.

II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I.

Streitig ist die Gewährung von Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Wege der einstweiligen Anordnung.

Der Antragsteller, ein kroatischer Staatsangehöriger, reiste am 14.03.2914 in der BRD ein und führte hier die Tätigkeit eines selbständigen Fliesenlegers aus. Die Gewerbeanmeldung datiert vom 22.04.2014.

Ende Mai 2015 konnte der Kläger seine selbständige Tätigkeit wegen Erkrankung nicht mehr ausüben. Am 30.06.2015 erfolgte die Gewerbeabmeldung. Seither ist er arbeitsunfähig. Am 10.05.2016 hatte er darüber hinaus einen Herzinfarkt.

Die Antragsgegnerin bewilligte ab Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und lehnte mit Bescheid vom 15.11.2017 einen Weiterbewilligungsantrag ab, weil der Antragsteller nach mehr als einjähriger beruflicher Tätigkeit zwar maximal für 2 Jahre einen Selbständigen-Status habe, danach sich jedoch sein Aufenthaltsrecht aus der Arbeitssuche begründe und der Antragsteller demzufolge dem Leistungsausschuss nach § 7 SGB II unterfällt.

Gegen diese Entscheidung legte der Antragsteller am 08.12.2017 Widerspruch ein, der durch Bescheid vom 17.01.2018 zurückgewiesen wurde. Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid wandte sich der Antragsteller mit der am 24.01.2018 erhobenen Klage.

Am 12.01.2018 beantragte er bereits,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 12.01.2016 zu verpflichten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen und verweist auf die Entscheidung des Landessozialgerichts München L 16 AS 284/16 B ER vom 20.06.2016 wonach der Selbständigen-Status nur zwei Jahre aufrecht erhalten bleibt.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag des Antragstellers an.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Vornahme-Sachen ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des gegebenen Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine solche Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Vorliegend handelt es sich um eine Regelungsanordnung, denn der Antragsteller begehrt die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz ab Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, dass heißt ab 12.01.2018.

Die Regelung von § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt sowohl einen Anordnungsgrund (die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, wenn ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist), als auch ein Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das ein solcher Rechtsschutz geltend gemacht wird) voraus, wobei zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch eine Wechselbeziehung bestehen muss. An das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlich ist bzw. wäre. Ist die in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit unbegründet, ist wegen des Fehlens des Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen sind, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. In diesem Fall ist unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers einerseits sowie des öffentlichen Intereses andererseits zu überprüfen, ob dem Antragsteller zuzumuten ist, die Hauptsache-Entscheidung abzuwarten.

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, denn er ist zwar arbeitsunfähig jedoch erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Er ist unstreitig auch hilfebedürftig. Nach Überzeugung des Gerichts ist der Antragsteller nicht vom Leistungsbezug nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug lediglich Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Das Aufenthaltsrecht des Antragstellers ergibt sich jedoch auch nach § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz EU, falls sein Selbständigen-Status fortbesteht. Nach dieser Vorschrift bleibt das Recht auf Einreise und Aufenthalt des Arbeitnehmers und selbständig Erwerbstätigen unberührt, bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder infolge bei unfreiwilliger durch die zuständige Bundesagentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit, oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen auf die der Selbständige keinen Einfluss hat, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit.

Unstreitig hat der Antragsteller mehr als ein Jahr gearbeitet, so dass sein Selbständigen-Status bzw. Arbeitnehmer-Status fortbesteht. Zwar hat das LSG in seiner Entscheidung vom 20.06.2016 L 16 AS 284/16 B ER aufgeführt, dass das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU nur solange besteht wie die Arbeitnehmereigenschaft fortbesteht. Diese könne jedoch nur 2 Jahre fortbestehen. Das LSG schließt dies aus der Entstehungsgeschichte des Art. 7 Abs. 3 RL 2004/38/EWG. Zur Begründung des Kommissionsentwurfs der Richtlinie war ausgeführt worden, dass die wesentlichen Bestimmungen der R L 68/360 EWG übernommen wurden. In Art. 7 Abs. 2 RL 68/360/EWG konnte die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis beschränkt werden, nachdem der Arbeitnehmer länger als 12 Monate unfreiwillig arbeitslos war. Die Beschränkung durfte jedoch 12 Monate nicht unterschreiten. Somit blieb bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach EWG-Recht das Aufenthaltsrecht für 2 Jahre erhalten. Das LSG überträgt diese alten Regelungen auf § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU und schließt daraus, dass die Arbeitnehmereigenschaft für längstens 2 Jahre erhalten bleibt.

Dem kann das erkennende Gericht nicht folgen. Art. 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU enthält eben gerade keine Begrenzung des Arbeitsnehmer-Status bzw. Selbständigen-Status. Eine restriktive Auslegung dergestalt, wie sie vom LSG vorgenommen wird, hält das erkennende Gericht nicht für möglich. Hätte der Gesetzgeber den Arbeitnehmer-Status auf 2 Jahre begrenzen wollen, hätte er dies in § 2 Freizügigkeitsgesetz regeln müssen. Eine Anspruchsbegrenzung ohne gesetzliche Grundlage erscheint verfassungswidrig. Möglicherweise wäre es wünschenswert eine Begrenzung des Arbeitnehmer-Status einzuführen, sie würde sich auch in das Freizügigkeitsgesetz im Hinblick auf § 4 a Abs. 1 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz gut einordnen. Eine solche Begrenzung gibt es aber nicht. Das BSG hat es bislang offen gelassen, ob eine Begrenzung des Arbeitsnehmer-Status möglich ist. Für Einschränkungen von grundsätzlich bestehenden Ansprüchen bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. Die Begrenzung kann nicht durch Auslegung veralteten EWG-Rechts ermittelt werden.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte, hat die in der Hauptsache erhobene Klage hat Aussicht auf Erfolg. Ein Anordnungsanspruch ist daher gegeben, so dass die Antragsgegnerin zu verpflichten war, vorläufig längstens bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 12.01.2018 zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.

(2) Eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts ist dem Gericht mitzuteilen, bei dem das Verfahren anhängig ist.

(1) Über die Erbringung von Geld- und Sachleistungen ist vorläufig zu entscheiden, wenn

1.
zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Geld- und Sachleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist und die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen oder
2.
ein Anspruch auf Geld- und Sachleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist.
Besteht eine Bedarfsgemeinschaft aus mehreren Personen, ist unter den Voraussetzungen des Satzes 1 über den Leistungsanspruch aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vorläufig zu entscheiden. Eine vorläufige Entscheidung ergeht nicht, wenn Leistungsberechtigte die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, zu vertreten haben.

(2) Der Grund der Vorläufigkeit ist anzugeben. Die vorläufige Leistung ist so zu bemessen, dass der monatliche Bedarf der Leistungsberechtigten zur Sicherung des Lebensunterhalts gedeckt ist; davon ist auszugehen, wenn das vorläufig berücksichtigte Einkommen voraussichtlich höchstens in Höhe des Absetzbetrages nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 von dem nach Satz 3 zugrunde zu legenden Einkommen abweicht. Hierbei sind die im Zeitpunkt der Entscheidung bekannten und prognostizierten Verhältnisse zugrunde zu legen. Soweit die vorläufige Entscheidung nach Absatz 1 rechtswidrig ist, ist sie für die Zukunft zurückzunehmen. § 45 Absatz 2 des Zehnten Buches findet keine Anwendung.

(3) Die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheiden abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt. Die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sind nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verpflichtet, die von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen; die §§ 60, 61, 65 und 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- oder Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach, setzen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden. Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand.

(4) Die abschließende Entscheidung nach Absatz 3 soll nach Ablauf des Bewilligungszeitraums erfolgen.

(5) Ergeht innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums keine abschließende Entscheidung nach Absatz 3, gelten die vorläufig bewilligten Leistungen als abschließend festgesetzt. Dies gilt nicht, wenn

1.
die leistungsberechtigte Person innerhalb der Frist nach Satz 1 eine abschließende Entscheidung beantragt oder
2.
der Leistungsanspruch aus einem anderen als dem nach Absatz 2 Satz 1 anzugebenden Grund nicht oder nur in geringerer Höhe als die vorläufigen Leistungen besteht und der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende über den Leistungsanspruch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis von diesen Tatsachen, spätestens aber nach Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der vorläufigen Entscheidung, abschließend entscheidet.

(6) Die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen sind auf die abschließend festgestellten Leistungen anzurechnen. Soweit im Bewilligungszeitraum in einzelnen Kalendermonaten vorläufig zu hohe Leistungen erbracht wurden, sind die sich daraus ergebenden Überzahlungen auf die abschließend bewilligten Leistungen anzurechnen, die für andere Kalendermonate dieses Bewilligungszeitraums nachzuzahlen wären. Überzahlungen, die nach der Anrechnung fortbestehen, sind zu erstatten, sofern sie insgesamt mindestens 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft betragen. Das gilt auch im Fall des Absatzes 3 Satz 3 und 4.

(7) Über die Erbringung von Geld- und Sachleistungen kann vorläufig entschieden werden, wenn

1.
die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Union ist oder
2.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht ist.
Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 2 bis 4 sowie Absatz 6 gelten entsprechend.

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 12.01.2018 vorläufig, längstens bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren Alg II zu gewähren.

II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I.

Streitig ist die Gewährung von Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Wege der einstweiligen Anordnung.

Der Antragsteller, ein kroatischer Staatsangehöriger, reiste am 14.03.2914 in der BRD ein und führte hier die Tätigkeit eines selbständigen Fliesenlegers aus. Die Gewerbeanmeldung datiert vom 22.04.2014.

Ende Mai 2015 konnte der Kläger seine selbständige Tätigkeit wegen Erkrankung nicht mehr ausüben. Am 30.06.2015 erfolgte die Gewerbeabmeldung. Seither ist er arbeitsunfähig. Am 10.05.2016 hatte er darüber hinaus einen Herzinfarkt.

Die Antragsgegnerin bewilligte ab Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und lehnte mit Bescheid vom 15.11.2017 einen Weiterbewilligungsantrag ab, weil der Antragsteller nach mehr als einjähriger beruflicher Tätigkeit zwar maximal für 2 Jahre einen Selbständigen-Status habe, danach sich jedoch sein Aufenthaltsrecht aus der Arbeitssuche begründe und der Antragsteller demzufolge dem Leistungsausschuss nach § 7 SGB II unterfällt.

Gegen diese Entscheidung legte der Antragsteller am 08.12.2017 Widerspruch ein, der durch Bescheid vom 17.01.2018 zurückgewiesen wurde. Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid wandte sich der Antragsteller mit der am 24.01.2018 erhobenen Klage.

Am 12.01.2018 beantragte er bereits,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 12.01.2016 zu verpflichten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen und verweist auf die Entscheidung des Landessozialgerichts München L 16 AS 284/16 B ER vom 20.06.2016 wonach der Selbständigen-Status nur zwei Jahre aufrecht erhalten bleibt.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag des Antragstellers an.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Vornahme-Sachen ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des gegebenen Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine solche Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Vorliegend handelt es sich um eine Regelungsanordnung, denn der Antragsteller begehrt die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz ab Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, dass heißt ab 12.01.2018.

Die Regelung von § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt sowohl einen Anordnungsgrund (die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, wenn ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist), als auch ein Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das ein solcher Rechtsschutz geltend gemacht wird) voraus, wobei zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch eine Wechselbeziehung bestehen muss. An das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlich ist bzw. wäre. Ist die in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit unbegründet, ist wegen des Fehlens des Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen sind, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. In diesem Fall ist unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers einerseits sowie des öffentlichen Intereses andererseits zu überprüfen, ob dem Antragsteller zuzumuten ist, die Hauptsache-Entscheidung abzuwarten.

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, denn er ist zwar arbeitsunfähig jedoch erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Er ist unstreitig auch hilfebedürftig. Nach Überzeugung des Gerichts ist der Antragsteller nicht vom Leistungsbezug nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug lediglich Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Das Aufenthaltsrecht des Antragstellers ergibt sich jedoch auch nach § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz EU, falls sein Selbständigen-Status fortbesteht. Nach dieser Vorschrift bleibt das Recht auf Einreise und Aufenthalt des Arbeitnehmers und selbständig Erwerbstätigen unberührt, bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder infolge bei unfreiwilliger durch die zuständige Bundesagentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit, oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen auf die der Selbständige keinen Einfluss hat, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit.

Unstreitig hat der Antragsteller mehr als ein Jahr gearbeitet, so dass sein Selbständigen-Status bzw. Arbeitnehmer-Status fortbesteht. Zwar hat das LSG in seiner Entscheidung vom 20.06.2016 L 16 AS 284/16 B ER aufgeführt, dass das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU nur solange besteht wie die Arbeitnehmereigenschaft fortbesteht. Diese könne jedoch nur 2 Jahre fortbestehen. Das LSG schließt dies aus der Entstehungsgeschichte des Art. 7 Abs. 3 RL 2004/38/EWG. Zur Begründung des Kommissionsentwurfs der Richtlinie war ausgeführt worden, dass die wesentlichen Bestimmungen der R L 68/360 EWG übernommen wurden. In Art. 7 Abs. 2 RL 68/360/EWG konnte die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis beschränkt werden, nachdem der Arbeitnehmer länger als 12 Monate unfreiwillig arbeitslos war. Die Beschränkung durfte jedoch 12 Monate nicht unterschreiten. Somit blieb bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach EWG-Recht das Aufenthaltsrecht für 2 Jahre erhalten. Das LSG überträgt diese alten Regelungen auf § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU und schließt daraus, dass die Arbeitnehmereigenschaft für längstens 2 Jahre erhalten bleibt.

Dem kann das erkennende Gericht nicht folgen. Art. 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU enthält eben gerade keine Begrenzung des Arbeitsnehmer-Status bzw. Selbständigen-Status. Eine restriktive Auslegung dergestalt, wie sie vom LSG vorgenommen wird, hält das erkennende Gericht nicht für möglich. Hätte der Gesetzgeber den Arbeitnehmer-Status auf 2 Jahre begrenzen wollen, hätte er dies in § 2 Freizügigkeitsgesetz regeln müssen. Eine Anspruchsbegrenzung ohne gesetzliche Grundlage erscheint verfassungswidrig. Möglicherweise wäre es wünschenswert eine Begrenzung des Arbeitnehmer-Status einzuführen, sie würde sich auch in das Freizügigkeitsgesetz im Hinblick auf § 4 a Abs. 1 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz gut einordnen. Eine solche Begrenzung gibt es aber nicht. Das BSG hat es bislang offen gelassen, ob eine Begrenzung des Arbeitsnehmer-Status möglich ist. Für Einschränkungen von grundsätzlich bestehenden Ansprüchen bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. Die Begrenzung kann nicht durch Auslegung veralteten EWG-Rechts ermittelt werden.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte, hat die in der Hauptsache erhobene Klage hat Aussicht auf Erfolg. Ein Anordnungsanspruch ist daher gegeben, so dass die Antragsgegnerin zu verpflichten war, vorläufig längstens bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 12.01.2018 zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Über die Erbringung von Geld- und Sachleistungen ist vorläufig zu entscheiden, wenn

1.
zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Geld- und Sachleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist und die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen oder
2.
ein Anspruch auf Geld- und Sachleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist.
Besteht eine Bedarfsgemeinschaft aus mehreren Personen, ist unter den Voraussetzungen des Satzes 1 über den Leistungsanspruch aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vorläufig zu entscheiden. Eine vorläufige Entscheidung ergeht nicht, wenn Leistungsberechtigte die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, zu vertreten haben.

(2) Der Grund der Vorläufigkeit ist anzugeben. Die vorläufige Leistung ist so zu bemessen, dass der monatliche Bedarf der Leistungsberechtigten zur Sicherung des Lebensunterhalts gedeckt ist; davon ist auszugehen, wenn das vorläufig berücksichtigte Einkommen voraussichtlich höchstens in Höhe des Absetzbetrages nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 von dem nach Satz 3 zugrunde zu legenden Einkommen abweicht. Hierbei sind die im Zeitpunkt der Entscheidung bekannten und prognostizierten Verhältnisse zugrunde zu legen. Soweit die vorläufige Entscheidung nach Absatz 1 rechtswidrig ist, ist sie für die Zukunft zurückzunehmen. § 45 Absatz 2 des Zehnten Buches findet keine Anwendung.

(3) Die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheiden abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt. Die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sind nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verpflichtet, die von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen; die §§ 60, 61, 65 und 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- oder Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach, setzen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden. Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand.

(4) Die abschließende Entscheidung nach Absatz 3 soll nach Ablauf des Bewilligungszeitraums erfolgen.

(5) Ergeht innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums keine abschließende Entscheidung nach Absatz 3, gelten die vorläufig bewilligten Leistungen als abschließend festgesetzt. Dies gilt nicht, wenn

1.
die leistungsberechtigte Person innerhalb der Frist nach Satz 1 eine abschließende Entscheidung beantragt oder
2.
der Leistungsanspruch aus einem anderen als dem nach Absatz 2 Satz 1 anzugebenden Grund nicht oder nur in geringerer Höhe als die vorläufigen Leistungen besteht und der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende über den Leistungsanspruch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis von diesen Tatsachen, spätestens aber nach Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der vorläufigen Entscheidung, abschließend entscheidet.

(6) Die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen sind auf die abschließend festgestellten Leistungen anzurechnen. Soweit im Bewilligungszeitraum in einzelnen Kalendermonaten vorläufig zu hohe Leistungen erbracht wurden, sind die sich daraus ergebenden Überzahlungen auf die abschließend bewilligten Leistungen anzurechnen, die für andere Kalendermonate dieses Bewilligungszeitraums nachzuzahlen wären. Überzahlungen, die nach der Anrechnung fortbestehen, sind zu erstatten, sofern sie insgesamt mindestens 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft betragen. Das gilt auch im Fall des Absatzes 3 Satz 3 und 4.

(7) Über die Erbringung von Geld- und Sachleistungen kann vorläufig entschieden werden, wenn

1.
die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Union ist oder
2.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht ist.
Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 2 bis 4 sowie Absatz 6 gelten entsprechend.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichen die Altersgrenze mit Ablauf des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden. Für Personen, die nach dem 31. Dezember 1946 geboren sind, wird die Altersgrenze wie folgt angehoben:

für den
Geburtsjahrgang
erfolgt eine
Anhebung
um Monate
auf den Ablauf des Monats,
in dem ein Lebensalter
vollendet wird von
1947165 Jahren und 1 Monat
1948265 Jahren und 2 Monaten
1949365 Jahren und 3 Monaten
1950465 Jahren und 4 Monaten
1951565 Jahren und 5 Monaten
1952665 Jahren und 6 Monaten
1953765 Jahren und 7 Monaten
1954865 Jahren und 8 Monaten
1955965 Jahren und 9 Monaten
19561065 Jahren und 10 Monaten
19571165 Jahren und 11 Monaten
19581266 Jahren
19591466 Jahren und 2 Monaten
19601666 Jahren und 4 Monaten
19611866 Jahren und 6 Monaten
19622066 Jahren und 8 Monaten
19632266 Jahren und 10 Monaten
ab 19642467 Jahren.

(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, dabei bleiben die Bedarfe nach § 28 außer Betracht. In den Fällen des § 7 Absatz 2 Satz 3 ist Einkommen und Vermögen, soweit es die nach Satz 3 zu berücksichtigenden Bedarfe übersteigt, im Verhältnis mehrerer Leistungsberechtigter zueinander zu gleichen Teilen zu berücksichtigen.

(3) Absatz 2 Satz 2 findet keine Anwendung auf ein Kind, das schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut.

(4) Hilfebedürftig ist auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde.

(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dieses Buches zu berücksichtigen sind. Dies gilt auch für Einnahmen in Geldeswert, die im Rahmen einer Erwerbstätigkeit, des Bundesfreiwilligendienstes oder eines Jugendfreiwilligendienstes zufließen. Als Einkommen zu berücksichtigen sind auch Zuflüsse aus darlehensweise gewährten Sozialleistungen, soweit sie dem Lebensunterhalt dienen. Der Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Dies gilt auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28, benötigt wird.

(2) Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Dies gilt auch für Einnahmen, die an einzelnen Tagen eines Monats aufgrund von kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnissen erzielt werden.

(3) Würde der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung einer als Nachzahlung zufließenden Einnahme, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht wird, in diesem Monat entfallen, so ist diese Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich ab dem Monat des Zuflusses mit einem entsprechenden monatlichen Teilbetrag zu berücksichtigen.

(1) Alle verwertbaren Vermögensgegenstände sind vorbehaltlich des Satzes 2 als Vermögen zu berücksichtigen. Nicht zu berücksichtigen sind

1.
angemessener Hausrat; für die Beurteilung der Angemessenheit sind die Lebensumstände während des Bezugs von Bürgergeld maßgebend,
2.
ein angemessenes Kraftfahrzeug für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende erwerbsfähige Person; die Angemessenheit wird vermutet, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt,
3.
für die Altersvorsorge bestimmte Versicherungsverträge; zudem andere Formen der Altersvorsorge, wenn sie nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge gefördert werden,
4.
weitere Vermögensgegenstände, die unabhängig von der Anlageform als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnet werden; hierbei ist für jedes angefangene Jahr einer hauptberuflich selbständigen Tätigkeit, in dem keine Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung, an eine öffentlich-rechtliche Versicherungseinrichtung oder an eine Versorgungseinrichtung einer Berufsgruppe entrichtet wurden, höchstens der Betrag nicht zu berücksichtigen, der sich ergibt, wenn der zum Zeitpunkt der Antragstellung geltende Beitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung nach § 158 des Sechsten Buches mit dem zuletzt festgestellten endgültigen Durchschnittsentgelt gemäß Anlage 1 des Sechsten Buches multipliziert und anschließend auf den nächsten durch 500 teilbaren Betrag aufgerundet wird,
5.
ein selbst genutztes Hausgrundstück mit einer Wohnfläche von bis zu 140 Quadratmetern oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung von bis zu 130 Quadratmetern; bewohnen mehr als vier Personen das Hausgrundstück beziehungsweise die Eigentumswohnung, erhöht sich die maßgebende Wohnfläche um jeweils 20 Quadratmeter für jede weitere Person; höhere Wohnflächen sind anzuerkennen, sofern die Berücksichtigung als Vermögen eine besondere Härte bedeuten würde,
6.
Vermögen, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks oder einer Eigentumswohnung von angemessener Größe bestimmt ist, und das Hausgrundstück oder die Eigentumswohnung Menschen mit Behinderungen oder pflegebedürftigen Menschen zu Wohnzwecken dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde sowie
7.
Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung für die betroffene Person eine besondere Härte bedeuten würde.

(2) Von dem zu berücksichtigenden Vermögen ist für jede Person in der Bedarfsgemeinschaft ein Betrag in Höhe von 15 000 Euro abzusetzen. Übersteigt das Vermögen einer Person in der Bedarfsgemeinschaft den Betrag nach Satz 1, sind nicht ausgeschöpfte Freibeträge der anderen Personen in der Bedarfsgemeinschaft auf diese Person zu übertragen.

(3) Für die Berücksichtigung von Vermögen gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit wird Vermögen nur berücksichtigt, wenn es erheblich ist. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind.

(4) Vermögen ist im Sinne von Absatz 3 Satz 2 erheblich, wenn es in der Summe 40 000 Euro für die leistungsberechtigte Person sowie 15 000 Euro für jede weitere mit dieser in Bedarfsgemeinschaft lebende Person übersteigt; Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. Bei der Berechnung des erheblichen Vermögens ist ein selbst genutztes Hausgrundstück oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung abweichend von Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 nicht zu berücksichtigen. Es wird vermutet, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt. Liegt erhebliches Vermögen vor, sind während der Karenzzeit Beträge nach Satz 1 an Stelle der Freibeträge nach Absatz 2 abzusetzen. Der Erklärung ist eine Selbstauskunft beizufügen; Nachweise zum vorhandenen Vermögen sind nur auf Aufforderung des Jobcenters vorzulegen.

(5) Das Vermögen ist mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen. Für die Bewertung ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Antrag auf Bewilligung oder erneute Bewilligung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt wird, bei späterem Erwerb von Vermögen der Zeitpunkt des Erwerbs.

(6) Ist Bürgergeld unter Berücksichtigung des Einkommens nur für einen Monat zu erbringen, gilt keine Karenzzeit. Es wird vermutet, dass kein zu berücksichtigendes Vermögen vorhanden ist, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt. Absatz 4 Satz 4 gilt entsprechend.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. März 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab 5.9.2015.

2

Der während des Revisionsverfahrens verstorbene frühere Kläger G (G), griechischer Staatsangehöriger, reiste im Dezember 2013 nach Deutschland ein und war im Zeitraum vom 1.12.2013 bis 15.10.2014 und vom 1.11.2014 bis 28.2.2015 jeweils in G beschäftigt, bevor er nach D verzog.

3

Der Beklagte gewährte G für die Zeit vom 1.3. bis 31.8.2015 Leistungen nach dem SGB II. Seinen Weiterbewilligungsantrag lehnte er mit der Begründung ab, dass G ein alleiniges Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche habe und damit der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II eingreife(Bescheid vom 28.7.2015). Auf den Widerspruch des G bewilligte der Beklagte aufgrund einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung SGB II-Leistungen noch für die Zeit vom 1.9. bis 4.9.2015 (Bescheid vom 4.11.2015) und wies im Übrigen den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.10.2015).

4

Das SG hat den Beklagten verurteilt, "dem Kläger Leistungen nach dem SGB II ab Antragstellung zu gewähren", und den Bescheid vom 28.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.10.2015 "entsprechend geändert" (Urteil vom 31.3.2016). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, G sei nicht gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, sondern nach § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 1 iVm § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) weiterhin freizügigkeitsberechtigt, weil er in jüngerer Vergangenheit zwei Beschäftigungsverhältnisse innegehabt habe, die zusammen länger als ein Jahr angedauert hätten. Dem stehe nicht entgegen, dass G nicht ununterbrochen mehr als ein Jahr tätig gewesen sei. Er habe seine Arbeitsstelle auch unfreiwillig verloren, was zwischen den Beteiligten unstreitig sei.

5

Mit der vom SG zugelassenen und mit Zustimmung der Klägerseite eingelegten Sprungrevision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II iVm § 2 Abs 3 FreizügG/EU. G habe sich als Ausländer iS des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II für die Zeit ab dem 5.9.2015 nicht mehr auf das Vorliegen eines Arbeitnehmerstatus berufen können. Bei zutreffendem Verständnis des § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU erfordere eine Tätigkeit von "mehr als einem Jahr" eine ununterbrochene Beschäftigungsdauer, die hier nicht vorliege. Eine Kumulierung kurzfristiger Beschäftigungen werde der Zielsetzung des Gesetzes, nämlich einem hinreichend integrierten Arbeitnehmer die Freizügigkeit zu erhalten, nicht gerecht.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. März 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Prozessbevollmächtigte des früheren Klägers beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Entscheidungsgründe

9

Die statthafte (§ 161 Abs 2 Satz 2 SGG)und zulässige Sprungrevision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das SG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

10

Mit dem Tod des G im Revisionsverfahren hat auf Klägerseite zwar ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden. Eine Unterbrechung des Verfahrens (vgl § 202 SGG iVm § 239 ZPO) ist jedoch nicht eingetreten, weil G durch seine Prozessbevollmächtigte vertreten war (§ 246 ZPO). Diese führt den Rechtsstreit für die noch unbekannten Rechtsnachfolger fort (vgl BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R - BSGE 116, 210 = SozR 4-3500 § 28 Nr 9, RdNr 10 mwN).

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des SG vom 31.3.2016, mit dem dieses G unter Abänderung des angefochtenen Bescheides vom 28.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zugesprochen hat. Die missverständliche Formulierung "ab Antragstellung" im Tenor des SG ist dahingehend auszulegen, dass sich die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von SGB II-Leistungen auf den Zeitraum ab 5.9.2015 bezieht. Was mit der Wendung "ab Antragstellung" zum Ausdruck kommen sollte, ergibt sich aus der Zusammenschau von Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründen (vgl BSG vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/05 R - juris RdNr 14; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 136 RdNr 5c). Das SG wollte die Bewilligung von Leistungen erkennbar nicht "ab Antragstellung" - einem Zeitpunkt, der vom Vordergericht weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen näher bestimmt worden ist -, sondern ab 5.9.2015 zusprechen; denn wie das SG selbst ausführt, wurden G mit Bescheid vom 4.11.2015 SGB II-Leistungen bis einschließlich 4.9.2015 bewilligt.

12

Gegen die vorbezeichneten Bescheide wendet sich die Klägerseite zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG). Dem Leistungsantrag steht nicht entgegen, dass G für den streitigen Zeitraum bereits aufgrund stattgebender Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufige Leistungen erhalten hat (vgl BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 47 RdNr 17).

13

Im Rahmen des § 161 Abs 2 Satz 1 iVm § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die unbeschränkte Sachprüfung durch das BSG innerhalb der Grenzen des durch den Antrag bestimmten Streitgegenstands eröffnet. Dieses hat deshalb auch jene rechtlichen Gesichtspunkte zu würdigen, die das SG hier - im Gegensatz zur umfangreicheren Prüfung der Sach- und Rechtslage im Beschluss der 19. Kammer des SG Düsseldorf über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 1.10.2015 - unerörtert gelassen hat (vgl BSG vom 28.03.2000 - B 8 KN 3/98 U R - BSGE 86, 78 = SozR 3-1300 § 111 Nr 8, RdNr 13; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 170 RdNr 14). Wegen des in zeitlicher Hinsicht unbegrenzt gestellten Antrags und der vollständigen Leistungsablehnung hatte das SG über den geltend gemachten Anspruch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (stRspr, vgl BSG vom 1.6.2010 - B 4 AS 67/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 28 RdNr 13; BSG vom 17.10.2013 - B 14 AS 58/12 R - BSGE 114, 249-257 = SozR 4-4200 § 11 Nr 65, RdNr 11); allein der Weiterbewilligungsantrag vom 5.1.2016 begründet keine zusätzliche Zäsur in zeitlicher Hinsicht, da der Beklagte diesen nicht verbeschieden hat (vgl auch BSG vom 1.6.2010 - B 4 AS 67/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 28 RdNr 13; BSG vom 25.8.2011 - B 8 SO 19/10 R - juris RdNr 9).

14

Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen vermag der Senat allerdings nicht zu entscheiden, ob den Rechtsnachfolgern des G unter Berücksichtig von § 58 SGB I ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe des § 7 Abs 1 SGB II(in der bis zum 31.7.2016 geltenden Neufassung vom 13.5.2011, BGBl I 850, im folgenden: aF) über den 4.9.2015 hinaus zusteht.

15

Zwar erfüllte G nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG im streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht, war hilfebedürftig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ist, soweit - wie hier - kein Feststellungsverfahren (vgl § 44a SGB II) eingeleitet worden ist, bereits aus rechtlichen Gründen anzunehmen (stRspr, vgl BSG vom 2.4.2014 - B 4 AS 26/13 R - BSGE 115, 210 = SozR 4-4200 § 15 Nr 3, RdNr 49; BSG vom 5.8.2015 - B 4 AS 9/15 R - juris RdNr 14).

16

Noch nicht abschließend kann aber darüber befunden werden, ob G dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II aF unterlegen hat. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II sind danach ua Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts(Nr 1) und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr 2). Das Gleichbehandlungsgebot des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) steht dem Leistungsausschluss wegen des von der Bundesregierung im Dezember 2011 erklärten Vorbehalts nicht entgegen (stRspr seit BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - BSGE 120, 139 = SozR 4-4200 § 7 Nr 46, RdNr 18 ff).

17

Die Anwendbarkeit der hier allein in Betracht kommenden Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF erfordert nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG stets eine Prüfung des Grundes bzw der Gründe für eine im streitigen Leistungszeitraum (weiterhin) bestehende materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht nach den - im Wege eines Günstigkeitsvergleichs - anwendbaren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes(vgl § 11 Abs 1 Satz 11 FreizügG/EU; siehe hierzu BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 ff). Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein mögliches anderes bzw bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche hindert sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF bzw lässt den Leistungsausschluss "von vornherein" entfallen(stRspr, vgl BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 20 f; BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - BSGE 120, 139 = SozR 4-4200 § 7 Nr 46, RdNr 27). Über den Wortlaut der genannten Regelung hinaus sind auch diejenigen Unionsbürger "erst-recht" von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgenommen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen. Die Vorschrift des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II aF ist insoweit planwidrig lückenhaft(stRspr seit BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff; vgl BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 47 RdNr 24; BSG vom 17.2.2016 - B 4 AS 24/14 R - juris RdNr 14).

18

Ob sich G auf ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU berufen konnte, vermag der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des SG nicht abschließend zu entscheiden.

19

Nach § 2 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU sind ua Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt, die sich im Bundesgebiet als Arbeitnehmer iS von Art 45 AEUV aufhalten wollen(vgl Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 4. Aufl 2016, RdNr 1434 ff; Epe in GK zum Aufenthaltsgesetz, § 2 RdNr 23 ff, Stand Oktober 2010). Arbeitnehmer ist danach jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (vgl EuGH vom 10.9.2014 - Rs C-270/13 - NVwZ 2014, 1508 ff, juris RdNr 28; EuGH vom 26.3.2015 - Rs C-316/13 - NZA 2015, 1444 ff, juris RdNr 27; BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 18; BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 26 mwN). Der Umstand, dass eine Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur sehr wenige Arbeitsstunden leistet, kann ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die ausgeübten Tätigkeiten nur untergeordnet und unwesentlich sind; unabhängig von der begrenzten Höhe des aus einer Berufstätigkeit bezogenen Entgelts und des begrenzten Umfangs der insoweit aufgewendeten Arbeitszeit ist indes nicht auszuschließen, dass die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses als tatsächlich und echt angesehen werden kann (vgl EuGH vom 4.2.2010 - Rs C-14/09 - Slg 2010, I-931 ff, juris RdNr 26; EuGH vom 1.10.2015 - Rs C-432/14 - ZESAR 2016, 222 ff, juris RdNr 24).

20

Insoweit fehlen tatsächliche Feststellungen des SG zu den Tätigkeiten des G in Deutschland, die es erlauben würden zu beurteilen, ob diese Tätigkeiten eine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts begründen konnten. Diese wird das SG im wiedereröffneten Ausgangsverfahren nachzuholen haben.

21

Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, dass G als Arbeitnehmer anzusehen war, käme - entgegen der Auffassung der Beklagten - ein fortbestehendes Aufenthaltsrecht in Betracht. Denn das Recht zum Aufenthalt - im Sinne einer nachwirkenden Freizügigkeitsberechtigung - bleibt unberührt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (vgl § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU). In nationales Recht umgesetzt worden sind hiermit Vorgaben des Art 7 Abs 1 Buchst a) und Abs 3 Buchst b) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog "Unionsbürgerrichtlinie", ABl EU Nr L 158, 77, berichtigt ABl EU Nr L 229, 35).

22

§ 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU setzt keine ununterbrochene Tätigkeit von mehr als einem Jahr voraus. Auch durch Arbeitslosigkeit unterbrochene Tätigkeiten können das gesetzliche Erfordernis erfüllen (vgl SG Chemnitz vom 14.3.2017 - S 26 AS 405/17 ER - juris RdNr 7 ff; Leopold in jurisPK-SGB II, § 7 RdNr 99.12, Stand 8.6.2017; Brinkmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 49; Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 38; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 52, Stand 1.2.2017; aA OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.5.2015 - 12 B 312/15 - juris; Hailbronner, Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 85, Stand April 2013; Epe in GK-Aufenthaltsgesetz, § 2 FreizügG/EU RdNr 122, Stand Oktober 2010). Dies folgt aus einer an Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte des FreizügG/EU ausgerichteten Gesetzesauslegung.

23

Entgegen der von dem Beklagten vertretenen Meinung steht dieser Auslegung zunächst nicht entgegen, dass die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU (AVV FreizügG/EU) vom 3.2.2016 (GMBl 2016, 86) ebenso wie diejenige vom 26.10.2009 (GMBl 2009, 1270) unter Ziffer 2.3.1.2 davon ausgehen, nur nach einer durchgängigen Beschäftigung von einem Jahr oder länger bestehe das Freizügigkeitsrecht grundsätzlich fort und nur bei unmittelbar aneinander anschließenden Beschäftigungen für verschiedene Arbeitgeber seien die Beschäftigungszeiten zusammenzurechnen. Denn auf der Grundlage von Art 84 Abs 2 GG ergangene Verwaltungsvorschriften bilden im Verhältnis von Hoheitsträger und Bürger keinen rechtlichen Maßstab der gerichtlichen Überprüfung (vgl Kirchof in Maunz-Dürig, GG, Art 84 RdNr 178, Stand Januar 2011). Die Gerichte haben ihren Entscheidungen nur materielles Recht, zu dem Verwaltungsvorschriften nicht gehören, zugrunde zu legen und sind lediglich befugt, sich einer Gesetzesauslegung, die in einer Verwaltungsvorschrift vertreten wird, aus eigener Überzeugung anzuschließen (vgl BSG vom 30.9.2009 - B 9 VS 3/09 R - SozR 4-3200 § 82 Nr 1 RdNr 34 ff; BVerwG vom 26.6.2002 - 8 C 30.01 - BVerwGE 116, 332, 333).

24

Die Annahme, dass ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU erst nach ununterbrochener Tätigkeit von mehr als einem Jahr vorliegt, lässt sich nicht auf den Wortlaut des Gesetzes stützen. Mit der Wendung "nach mehr als einem Jahr Tätigkeit" wird ein deutlich weiterer Sachverhalt erfasst, der nicht auf das Merkmal einer durchgängigen Tätigkeit eingeengt werden kann. Der Gesetzestext hebt in diesem weiteren Sinne auf einen Durchlauf von Beschäftigungsmonaten und nicht auf aneinandergereihte Kalendermonate ab (vgl Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 38). Auch der Wortlaut der entsprechenden Bestimmung in Art 7 Abs 3 Buchst b) der Richtlinie 2004/38/EG, deren Umsetzung § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU dient und in unionsrechtskonformer Übereinstimmung mit dieser nationales Recht auszulegen ist(vgl BSG vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - juris RdNr 58 ff), spricht von lediglich "mehr als einjähriger Beschäftigung", nicht aber von der Dauer einer Beschäftigung von mehr als einem Jahr, die zudem nicht unterbrochen werden darf. Eine richtlinien- und damit unionrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts darf hinter diesem weiten Verständnis nicht zurückbleiben.

25

In dieselbe Richtung weisen systematische Erwägungen. Dass der europäische Gesetzgeber insbesondere auch das alternative Erfordernis ununterbrochener Beschäftigungszeiten im Blick gehabt hat, zeigt die Regelung des Art 17 Abs 1 lit c) der Richtlinie 2004/38/EG, die für den Fall einer dreijährigen "ununterbrochenen Erwerbstätigkeit" die Möglichkeit eines vorzeitigen Rechts auf Daueraufenthalt eröffnet. Zum Daueraufenthaltsrecht bestimmt Art 16 Abs 1 der Richtlinie 2004/38/EG, dass Unionsbürger, die sich rechtmäßig fünf Jahre lang "ununterbrochen" im Aufnahmemitgliedstaat/Bundesgebiet aufgehalten haben, ein Daueraufenthaltsrecht erwerben. Wenn der Gesetzgeber im Übrigen aber im Kontext von Regelungen über Tätigkeitszeiten von einem Erfordernis der "Ununterbrochenheit" absieht, ist davon auszugehen, dass diese (Nicht-)Regelung dem gesetzgeberischen Willen entspricht und es hierbei sein Bewenden hat.

26

Zudem stellt der nationale Gesetzgeber in Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgabe zum Daueraufenthaltsrecht in § 4a Abs 1 FreizügG/EU auf einen ständigen Aufenthalt von fünf Jahren und auch in Ausnahmeregelungen der Abs 2 bis 5 auf einen ständigen Aufenthalt in verkürzten Zeiträumen sowie ständige Tätigkeitszeiten ab(vgl § 4a Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU "während der letzten zwölf Monate im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausgeübt"; § 4a Abs 2Nr 3 FreizügG/EU "drei Jahre ständig im Bundesgebiet tätig"). Als im Rahmen des RL-Umsetzungsgesetzes vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) § 2 FreizügG/EU neu gefasst und § 4a FreizügG/EU in das Gesetz eingefügt worden ist, sah der Gesetzgeber keine Veranlassung das Kriterium einer ständigen oder (unionsrechtlich) ununterbrochenen Dauer einer Tätigkeit entsprechend der im Gesetz enthaltenen Begrifflichkeiten auch in § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU - dessen Wortlaut im Zuge dieser Novellierung gerade eine präzisierende Ausgestaltung erfahren sollte(so ausdrücklich BT-Drucks 16/5065, S 208) - zu übernehmen. Der nationale Gesetzgeber war sich dieses Unterschieds also ersichtlich bewusst. Dies steht einer Korrektur dieser normativen Festlegung im Wege gerichtlicher Auslegung entgegen. Hinzu kommt, dass nur ein solches Normverständnis in Übereinstimmung mit dem allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz steht, wonach Vorschriften über die zu den Grundlagen der Union gehörende Freizügigkeit der Unionsbürger - wozu auch die Richtlinie 2004/38/EG rechnet - weit und Ausnahmen hiervon eng auszulegen sind (vgl hierzu EuGH vom 29.4.2004 - Rs C-482/01 u C-493/01 < Orfanopoulos und Olivieri> - Slg 2004, I-5257 ff, juris RdNr 64; EuGH vom 16.1.2014 - Rs C-423/12 - InfAuslR 2014, 85 ff, juris RdNr 23).

27

Diese Auslegung des § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU steht auch in Einklang mit dessen Satz 2 und nimmt dieser Regelung nicht ihre Bedeutung(so aber Hailbronner, Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 85, Stand April 2013). Denn allein die Sonderregelung des Satzes 2 erfasst Fälle einer unfreiwilligen, durch die Agentur für Arbeit bestätigten Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung und lässt das fortwirkende Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach Abs 1 während der kürzeren Dauer von sechs Monaten unberührt.

28

Teleologische Gesichtspunkte stützen eine solche Auslegung ebenfalls. In gleicher Weise wie die Richtlinie 2004/38/EG dienen auch die Regelungen des FreizügG/EU der Erleichterung der Ausübung der Freizügigkeit, wobei die Maßnahmen der Mitgliederstaaten je nach Grad der Integration in das betreffende Land von der Ausdehnung des Aufenthaltsrechts bis zur Zuerkennung eines Daueraufenthaltsrechts reichen können (vgl Entwurfsbegründung der Kommission zur Unionsbürgerrichtlinie vom 23.5.2001, KOM <2001>257 endg S 2 f; BT-Drucks 15/420, S 103). Hat ein Unionsbürger Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats gefunden, stellt dies neben zeitlichen und territorialen Faktoren ein zu berücksichtigendes qualitatives Element im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat dar (vgl auch EuGH vom 16.1.2014 - Rs C-378/12 - InfAuslR 2014, 81 ff, juris RdNr 25).

29

Der hiernach mit § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU verfolgte Zweck, einem genügend in den Arbeitsmarkt integrierten Arbeitnehmer das Freizügigkeitsrecht bei Eintritt unfreiwilliger Arbeitslosigkeit zu erhalten, erfordert keine ununterbrochene Beschäftigungsdauer von "mehr als einem Jahr", um in der gebotenen Weise sichergestellt zu sein(so aber OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.5.2015 - 12 B 312/15 - juris RdNr 20; Hailbronner, Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 85, Stand April 2013). Strebt etwa ein Freizügigkeitsberechtigter in einem Beschäftigungsverhältnis einen Wechsel des Arbeitgebers an, so kann das Integrationsbestreben des Betroffenen nicht allein wegen dieses Ansinnens in Frage gestellt werden. Im Gegenteil kann ein Wechsel des Arbeitsplatzes trotz einer dadurch ggf entstehenden kürzeren Unterbrechung der Tätigkeit auf ein Integrationsbestreben hindeuten. Der Zwang, für die Dauer eines Jahres durchgehend in einem Arbeitsverhältnis zu verbleiben, kann sich andererseits als kontraproduktiv für die Integration des Unionsbürgers erweisen.

30

Schließlich finden sich weder in der Entstehungsgeschichte der Richtlinie 2004/38/EG noch in der des FreizügG/EU Anhaltspunkte dafür, nur bei einer ununterbrochenen Tätigkeit von mehr als einem Jahr eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung einzuräumen. Die Gesetzesmaterialien zum FreizügG/EU weisen lediglich darauf hin, dass "die Neufassung des Absatzes 3 den Art 7 Abs 3 der Freizügigkeitsrichtlinie umsetzt" (vgl BT-Drucks 16/5065, S 208). Wie aber bereits dargelegt, stellt Art 7 Abs 3 Buchst b) der Richtlinie 2004/38/EG auf den Erhalt der Erwerbstätigeneigenschaft des Unionsbürgers bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach "mehr als einjähriger Beschäftigung" ab, während sich das Unionsrecht allein in Art 17 Abs 1 lit c) der Richtlinie 2004/38/EG auf die Ununterbrochenheit einer Tätigkeit bezieht und letzteres Kriterium eben nicht Eingang in die Regelung eines fortwirkenden Aufenthaltsrechts als Arbeitnehmer gefunden hat. Setzt der nationale Gesetzgeber Art 7 Abs 3 Buchst b) der Richtlinie um, kann hinter dieser zurückbleibend nicht das Erfordernis einer ununterbrochen Tätigkeit von mehr als einem Jahr in die Bestimmung des § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU hineingelesen werden.

31

Der vorliegende Fall einer nur einmaligen, kurzfristigen Unterbrechung von 15 Tagen im Verlauf einer insgesamt 14,5 Monate andauernden evtl Beschäftigung in zwei Tätigkeiten gibt keinen Anlass der weiteren Frage nachzugehen, ob der am Integrationsgedanken orientierten Zielsetzung des Gesetzes in § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU auch dann noch entsprochen wäre, wenn in Addition zahlreicher kurzfristiger oder durch längere Zeiten unterbrochener Beschäftigungsverhältnisse es nur auf längere Sicht und eher zufällig zu einer Tätigkeit von "mehr als einem Jahr" käme.

32

Im wiedereröffneten Ausgangsverfahren wird das SG noch weitere Umstände zu beachten haben, die für den geltend gemachten Anspruch von Bedeutung sind. Im Revisionsverfahren ist zuletzt eine Erwerbsunfähigkeit des G aufgrund seiner schweren Krebserkrankung, die möglicherweise sogar zu seinem Tod geführt hat, deutlich geworden. Das SG wird somit aufzuklären haben, ob und ggf ab wann G möglicherweise nicht nur vorübergehend erkrankt und ob er wegen dieser Krankheit bereits dauerhaft aus dem Arbeitsleben ausgeschieden war. In diesem Fall wäre auch das Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU erloschen, eine rechtliche Folge, die auch schon vor Inkrafttreten des FreizügG/EU bestanden hatte (vgl EuGH vom 26.5.1993 - Rs C-171/91 < Tsiotras> - Slg 1993, I-2925 ff, juris RdNr 16 ff; Hailbronner, Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 81, Stand April 2013; Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 35 und 38; Epe in GK zum Aufenthaltgesetz, § 2 FreizügG/EU RdNr 29 und 121, Stand Oktober 2010; Franzen in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 45 AEUV RdNr 32).

33

Ggf wird das SG auch darüber zu befinden haben, ob die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft einer festen zeitlichen Grenze unterliegt und diese nach einem Zeitraum von zwei Jahren zu ziehen ist, wie dies teilweise unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Art 7 Abs 3 der Richtlinie 2004/38/EG vertreten wird (vgl BayLSG vom 20.6.2016 - L 16 AS 284/16 B ER - juris RdNr 27; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 107 ff; aA Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 38).

34

Des Weiteren enthält das Urteil des SG keine Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal der unfreiwilligen, durch die zuständige Bundesagentur für Arbeit bestätigten Arbeitslosigkeit. Deren Bestätigung über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit ist jedoch Voraussetzung für das Fortbestehen des Freizügigkeitsrechts im Sinne einer konstitutiven Bedingung (vgl Tewocht in Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 51, Stand 1.2.2017; Brinkmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 50). Soweit das SG in diesem Zusammenhang ausführt, die Unfreiwilligkeit des Arbeitsplatzverlustes sei zwischen den Beteiligten "nicht streitig", verbindet sich hiermit keine Tatsachenfeststellung iS von § 163 SGG, die dem Revisionsgericht eine Prüfung des vom Vordergericht gezogenen Subsumtionsschlusses erlauben könnte(vgl BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 109/11 R - juris RdNr 26; Berchtold in Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Aufl 2016, § 6 RdNr 422).

35

Sollte das SG zu dem Ergebnis kommen, dass G ganz oder ggf ab einen bestimmten Zeitpunkt von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen war, wird es unter Berücksichtigung von § 59 SGB I(zur Vererblichkeit von Sozialhilfeansprüchen vgl BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R - BSGE 116, 210-222 = SozR 4-3500 § 28 Nr 9, RdNr 12) über Ansprüche der Rechtsnachfolger auf existenzsichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII iVm dem EFA zu befinden haben (vgl BSG vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R - juris RdNr 20), was eine Beiladung des Sozialhilfeträgers (so genannte unechte Beiladung <§ 75 Abs 2 2. Alt SGG>; vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 244 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 11; BSG vom 25.4.2013 - B 8 SO 16/11 R - juris RdNr 10) erfordern würde.

36

Das SG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

(1) Über die Erbringung von Geld- und Sachleistungen ist vorläufig zu entscheiden, wenn

1.
zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Geld- und Sachleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist und die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen oder
2.
ein Anspruch auf Geld- und Sachleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist.
Besteht eine Bedarfsgemeinschaft aus mehreren Personen, ist unter den Voraussetzungen des Satzes 1 über den Leistungsanspruch aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vorläufig zu entscheiden. Eine vorläufige Entscheidung ergeht nicht, wenn Leistungsberechtigte die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, zu vertreten haben.

(2) Der Grund der Vorläufigkeit ist anzugeben. Die vorläufige Leistung ist so zu bemessen, dass der monatliche Bedarf der Leistungsberechtigten zur Sicherung des Lebensunterhalts gedeckt ist; davon ist auszugehen, wenn das vorläufig berücksichtigte Einkommen voraussichtlich höchstens in Höhe des Absetzbetrages nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 von dem nach Satz 3 zugrunde zu legenden Einkommen abweicht. Hierbei sind die im Zeitpunkt der Entscheidung bekannten und prognostizierten Verhältnisse zugrunde zu legen. Soweit die vorläufige Entscheidung nach Absatz 1 rechtswidrig ist, ist sie für die Zukunft zurückzunehmen. § 45 Absatz 2 des Zehnten Buches findet keine Anwendung.

(3) Die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheiden abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt. Die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sind nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verpflichtet, die von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen; die §§ 60, 61, 65 und 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- oder Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach, setzen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden. Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand.

(4) Die abschließende Entscheidung nach Absatz 3 soll nach Ablauf des Bewilligungszeitraums erfolgen.

(5) Ergeht innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums keine abschließende Entscheidung nach Absatz 3, gelten die vorläufig bewilligten Leistungen als abschließend festgesetzt. Dies gilt nicht, wenn

1.
die leistungsberechtigte Person innerhalb der Frist nach Satz 1 eine abschließende Entscheidung beantragt oder
2.
der Leistungsanspruch aus einem anderen als dem nach Absatz 2 Satz 1 anzugebenden Grund nicht oder nur in geringerer Höhe als die vorläufigen Leistungen besteht und der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende über den Leistungsanspruch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis von diesen Tatsachen, spätestens aber nach Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der vorläufigen Entscheidung, abschließend entscheidet.

(6) Die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen sind auf die abschließend festgestellten Leistungen anzurechnen. Soweit im Bewilligungszeitraum in einzelnen Kalendermonaten vorläufig zu hohe Leistungen erbracht wurden, sind die sich daraus ergebenden Überzahlungen auf die abschließend bewilligten Leistungen anzurechnen, die für andere Kalendermonate dieses Bewilligungszeitraums nachzuzahlen wären. Überzahlungen, die nach der Anrechnung fortbestehen, sind zu erstatten, sofern sie insgesamt mindestens 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft betragen. Das gilt auch im Fall des Absatzes 3 Satz 3 und 4.

(7) Über die Erbringung von Geld- und Sachleistungen kann vorläufig entschieden werden, wenn

1.
die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Union ist oder
2.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht ist.
Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 2 bis 4 sowie Absatz 6 gelten entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.