Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 14. Nov. 2017 - L 11 AS 650/17

published on 14/11/2017 00:00
Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 14. Nov. 2017 - L 11 AS 650/17
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Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 31.07.2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.03.2016 bis 30.09.2016 und die (zukünftige) Unterlassung von Sanktionen bzw. deren Androhung.

Auf Antrag der Klägerin lehnte der Beklagte die Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 01.03.2016 bis 31.03.2016 wegen Einkommens mit Bescheid vom 28.04.2016 ab und bewilligte für die Zeit vom 01.04.2016 bis 30.09.2016 vorläufig Alg II mit weiterem Bescheid vom 28.04.2016. Die gegen beide Bescheide eingelegten Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2017 - zugestellt an die Klägerin durch Einwurf in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten am 21.03.2017 - zurück.

Mit Bescheid vom 19.12.2016 stellte der Beklagte den Eintritt einer Minderung wegen Nichterscheinens zum Meldetermin vom 15.11.2016 fest und hob die mit Bescheid vom 20.09.2016 vorläufig bewilligten Leistungen für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.03.2017 in Höhe von 40,90 EUR monatlich auf. Dagegen legte die Klägerin per Email Widerspruch am 12.05.2017 ein, den sie telefonisch am 01.02.2017 angekündigt hatte. Den Widerspruch verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2017 als unzulässig. Der Widerspruch sei weder formnoch fristgerecht erhoben worden.

Am 01.06.2017 hat die Klägerin gegen die Bescheide vom 28.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2017 Klage zum Sozialgericht Köln erhoben, weil sie Hausverbot beim Sozialgericht Bayreuth (SG) habe. Zugleich hat sie beantragt, dass Sanktionen und Androhung von Sanktionen gegen sie unterlassen bzw. eingestellt würden. Das Sozialgericht Köln hat die Klage an das SG weitergeleitet. Dieses hat nach Hinweis des Beklagten auf die mögliche Verfristung und nach Anhörung der Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 31.07.2017 die Klage gegen die Bescheide vom 28.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2017 abgewiesen und den Antrag auf Unterlassung abgelehnt. Die Klage gegen die Bescheide vom 28.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2017 sei verfristet erhoben worden. Die Klagefrist habe nach Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2017 am 21.03.2017 gemäß §§ 87 Abs. 1 und 2, 64 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 21.04.2017 geendet. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme mangels entsprechenden Vortrages der Klägerin nicht in Betracht. Die erhobene vorbeugende Unterlassungsklage sei ebenfalls unzulässig, denn diese sei nur ausnahmsweise statthaft. Hierfür sei ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse erforderlich, das nicht gegeben sei. Die Klägerin sei durch den (nachträglichen) Rechtsschutz gegen einen entsprechenden Minderungsbescheid zumutbar geschützt.

Dagegen hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Sie weise den Gerichtsbescheid unwiderruflich zurück. Seit 08.05.1945 gebe es keine Staatsgerichte mehr.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 31.07.2017 aufzuheben und unter Abänderung der Bescheide vom 28.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2017 Alg II für die Zeit vom 01.03.2016 bis 30.09.2016 in Höhe von monatlich 774,00 EUR ohne Einkommensanrechnung zu gewähren sowie Sanktionen und Androhung von Sanktionen zu unterlassen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig.

Bezüglich der trennbaren Streitgegenstände (Anfechtungsklage und Unterlassungsklage) wird jeweils der Wert des Beschwerdegegenstandes erreicht, wobei hinsichtlich der vorbeugenden Unterlassungsklage nicht auf die jeweils einzelnen (zukünftigen) Sanktionen abzustellen ist (vgl. Beschluss des Senats vom 16.10.2017 - L 11 AS 591/17-).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das SG die Klage gegen die Bescheide vom 28.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2017 als unzulässig abgewiesen. Der Widerspruchsbescheid vom 17.03.2017 ist der Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunde am 21.03.2017 zugestellt worden. Die Frist zur Erhebung der Klage (§ 87 SGG) endet damit am 21.04.2017 (§ 64 Abs. 2 SGG). Die Klage hat die Klägerin aber erst am 01.06.2017 beim Sozialgericht Köln erhoben. Anhaltspunkte für eine Säumnis der Klagefrist ohne Verschulden werden von der Klägerin nicht vorgetragen und sind für den Senat auch nicht ersichtlich. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des SG hierzu Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ebenfalls zu Recht hat das SG die vorbeugende Unterlassungsklage als unzulässig „abgelehnt“. Es handelte sich dabei nicht um eine gegen den Bescheid vom 19.12.2016 erhobene Anfechtungsklage, zumal der festgestellte Eintritt einer Minderung vom Beklagten tatsächlich nicht vollzogen worden ist. Den telefonisch am 01.02.2017 angekündigten und per Email am 12.05.2017erhobenen Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.12.2016 hat der Beklagte erst nach der Klageerhebung mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2017 als unzulässig verworfen. Mit ihrer am 01.06.2017 eingereichten Klageschrift begehrt die Klägerin vielmehr - soweit ihr Begehren dahingehend auszulegen ist - die (zukünftige) Unterlassung von Sanktionen bzw. deren Androhung. Für eine solche vorbeugende Unterlassungsklage ist die Durchführung eines Vorverfahrens nicht erforderlich. Allerdings muss ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse gegeben sein, woran es vorliegend jedoch fehlt, denn die Klägerin kann jeweils auf den nachträglichen Rechtsschutz gegen die Feststellung des Eintritts einer Minderung verwiesen werden. Auch diesbezüglich wird auf die Ausführungen des SG gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Selbst wenn jedoch die Anträge der Klägerin dahingehend ausgelegt werden müssten, dass sie sich gegen den Minderungsbescheid vom 19.12.2016 wendet und das Widerspruchsverfahren mit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2017 nunmehr nachgeholt wäre, wäre die Abweisung der Klage durch das SG rechtmäßig, denn die dann zwar zulässige Klage wäre unbegründet. Der Beklagte hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.12.2016 nämlich zu Recht als unzulässig verworfen. Der Widerspruch ist per Email und damit nicht formgerecht im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG erhoben worden (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 84 Rn. 3). Zudem ist er verfristet erhoben worden, denn den Bescheid vom 19.12.2016 hat die Klägerin laut Telefonat vom 01.02.2017 spätestens an diesem Tag bereits erhalten, so dass die Monatsfrist gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG mit der Email vom 12.05.2017 unabhängig von der nicht formgerechten Einlegung nicht gewahrt ist. Bei dem Telefonat vom 01.02.2017 selbst handelte es sich nicht um einen zur Niederschrift erklärten Widerspruch, denn die Klägerin hat darin lediglich eine Widerspruchseinlegung angekündigt.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Annotations

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Die Klage ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Die Frist beträgt bei Bekanntgabe im Ausland drei Monate. Bei einer öffentlichen Bekanntgabe nach § 85 Abs. 4 beträgt die Frist ein Jahr. Die Frist beginnt mit dem Tag zu laufen, an dem seit dem Tag der letzten Veröffentlichung zwei Wochen verstrichen sind.

(2) Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids.

(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung.

(2) Eine nach Tagen bestimmte Frist endet mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fehlt dem letzten Monat der entsprechende Tag, so endet die Frist mit dem Monat.

(3) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Der Widerspruch ist binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Absatz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist beträgt bei Bekanntgabe im Ausland drei Monate.

(2) Die Frist zur Erhebung des Widerspruchs gilt auch dann als gewahrt, wenn die Widerspruchsschrift bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder bei einer deutschen Konsularbehörde oder, soweit es sich um die Versicherung von Seeleuten handelt, auch bei einem deutschen Seemannsamt eingegangen ist. Die Widerspruchsschrift ist unverzüglich der zuständigen Behörde oder dem zuständigen Versicherungsträger zuzuleiten, der sie der für die Entscheidung zuständigen Stelle vorzulegen hat. Im übrigen gelten die §§ 66 und 67 entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.