Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Juni 2015 - L 10 AL 43/14

bei uns veröffentlicht am11.06.2015

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Gründe

Hauptschlagwort: Arbeitsaufgabe Arbeitslosengeld besondere Härte Sperrzeit

Titel:

Normenkette:

Leitsatz:

in dem Rechtsstreit

A., A-Straße, A-Stadt

- Kläger und Berufungsbeklagter -

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte B., B-Straße, A-Stadt - -

gegen

Bundesagentur für Arbeit,

vertreten durch die Geschäftsführung des Operativen Service der Agentur für Arbeit N., R.-W.-Platz ..., N. - -

- Beklagte und Berufungsklägerin -

Der 10. Senat des Bayer. Landessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz in Schweinfurt

am 11. Juni 2015

durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialgericht Pawlick, den Richter am Bayer. Landessozialgericht Utz und den Richter am Bayer. Landessozialgericht Strnischa sowie die ehrenamtlichen Richter Straus-Saal und Klein

für Recht erkannt:

I.

Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 29.10.2013 wird abgeändert. Der Bescheid vom 04.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2012 wird aufgehoben, soweit das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld über den 06.04.2012 hinaus und die Minderung der Restanspruchsdauer über 42 Tage hinaus festgestellt worden ist. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 04.04.2012 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 07.04.2012 bis 18.05.2012 Arbeitslosengeld zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Eintritt einer Sperrzeit vom 25.02.2012 bis 18.05.2012 wegen Arbeitsaufgabe.

Der Kläger war ab dem 13.02.2012 (Montag) als Lagerhelfer für die Firma P. Personalmanagement (P) im Rahmen eines Zeitarbeitsverhältnisses beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag vom 13.02.2012 handelte es sich um ein bis 10.08.2012 befristetes Arbeitsverhältnis mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden. Für die Regelung der Arbeitszeit war als Grundlage § 4 MTV BZA und die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos vereinbart. Nach einer Übersicht über die Arbeitszeiten in der Woche vom 13.02.2012 bis 19.02.2012 arbeitete der Kläger insgesamt 29,58 Stunden. Für den Zeitraum vom 13.02.2012 bis 24.02.2012 wurden insgesamt 48,08 Stunden abgerechnet.

Am 21.02.2012 (Dienstag) sprach der Kläger bei der Beklagten vor. Er sei mit seinem Beschäftigungsverhältnis nicht zufrieden. Laut Arbeitsvertrag gelte eine 35-Stunden-Woche, bis jetzt habe er aber immer viel weniger Stunden gearbeitet. Insofern seien die Kosten für den weiten Weg für ihn nicht tragbar. Er wolle eine andere Stelle haben. Am 22.02.2012 (Mittwoch) sprach er bei seiner Arbeitsvermittlerin erneut vor. Nach einer selbst angefertigten Liste zu den tatsächlichen Arbeitszeiten komme er auf nur 20 Stunden pro Woche. Dies könne er aus finanziellen Gründen nicht länger durchführen. Es wurde erneut eine Meldung als arbeitssuchend aufgenommen und ihm ein Vermittlungsvorschlag im Lagerbereich ausgehändigt.

Der Kläger meldete sich am 27.02.2012 (Montag) bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg). Ausweislich der Arbeitsbescheinigung von P habe der Kläger am 24.02.2012 das Arbeitsverhältnis selbst beendet. Der Kläger legte ein Schreiben von P vom 24.02.2012 (Freitag) vor, worin eine mündliche Kündigung des Klägers vom 24.02.2012 bestätigt wird. Zu der angeblichen Arbeitsaufgabe führte der Kläger aus, es sei eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 bis 40 Stunden vereinbart gewesen. Er sei aber an jedem Tag nur von 16.00 bis 20.00 Uhr zum Einsatz gekommen. Am Montag sei er dann angerufen worden, er solle seine Kündigung unterschreiben. Diese habe er nicht unterschrieben sondern gesagt, er brauche das nicht, wenn die Firma kündige. Die Beklagte stellte darauf mit Bescheid vom 04.04.2012 den Eintritt einer Sperrzeit vom 25.02.2012 bis 18.05.2012 fest. Der Kläger habe das Beschäftigungsverhältnis bei P durch eigene Kündigung selbst gelöst und hätte voraussehen müssen, dass er dadurch arbeitslos werde. Der Anspruch auf Alg mindere sich um 84 Tage. Mit Bewilligungsbescheid vom 04.04.2012 bewilligte die Beklagte Alg (erst) ab 19.05.2012 i. H. v. 21,97 € täglich. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er habe nicht selbst gekündigt, sondern sei von P angerufen worden, er möge die Kündigung unterschreiben. Vor Zusendung der Kündigung habe er bei der Beklagten vorgesprochen. Es sei ihm gesagt worden, er dürfe die Kündigung nicht selbst unterschreiben. Im Rahmen einer von P eingeholten Stellungnahme führte deren Mitarbeiter M. R. (R) aus, der Kläger habe am 24.02.2012 um ca. 19.45 Uhr seine Schicht verlassen. Die Einsatzfirma habe angegeben, der Kläger kündige und möchte diese Arbeit nicht mehr ausführen. Daraufhin habe man dem Kläger eine Kündigungsbestätigung zugesandt. Dieser habe sich nicht mehr bei der Firma gemeldet. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Mit seiner Äußerung, er kündige und wolle die Arbeit nicht mehr machen, habe der Kläger das Beschäftigungsverhältnis beendet. Mit dieser Erklärung habe er die Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers nicht mehr anerkannt und sei nicht mehr dienstbereit gewesen. Nach Übersendung der Kündigungsbestätigung habe er sich nicht mehr beim Arbeitgeber gemeldet und seine Arbeitsleistung nicht mehr angeboten. Damit sei das Beschäftigungsverhältnis beendet gewesen.

Dagegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Er habe zu keinem Zeitpunkt gekündigt, auch nicht mündlich. Am 24.02.2012 habe er mit dem Arbeitgeber keinen Kontakt gehabt und auch nicht gesagt, dass er nicht mehr kommen wolle oder werde. Er sei davon ausgegangen, am Montag (27.02.2012) wieder um 16.00 Uhr zur Einsatzstelle erscheinen zu müssen. Am Freitag (24.02.2012) sei er gegen 20.30 Uhr nach Hause ins Wochenende geschickt worden. Nach einem Anruf seines Arbeitgebers am Montagvormittag (27.02.2012), dass er ins Büro kommen solle und seine Kündigung unterschreiben möge, habe er nur eine Kündigungsbestätigung erhalten. Die Sachbearbeiterin der Beklagten habe sein Verhalten für in Ordnung gehalten, solange er keine Kündigung ausspreche. Er habe gerade nicht kündigen wollen und deshalb auch nichts geschrieben.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 29.10.2013 hat das SG die Zeugen R und Frau J. S. (S) uneidlich vernommen. R hat dabei angegeben, der Kläger sei nur „kurzfristig“ beschäftigt gewesen, da es sich um einen Einsatz mit hohen körperlichen Anforderungen gehandelt habe. Zu dieser Zeit habe es eine große Fluktuation gegeben. Die Umstände der Arbeitsaufgabe seien ihm nicht mehr erinnerlich. Auch bei nur vier Stunden Arbeit hätte der Kläger Anspruch auf Entgelt für sieben Stunden gehabt, wobei dies über einen Ausgleich geregelt worden wäre. S hat ausgesagt, nach Aktenlage habe man von der Einsatzfirma erfahren, dass der Kläger vorzeitig die Arbeit verlassen und angegeben habe, nicht mehr arbeiten zu wollen. Es sei ihr nicht mehr erinnerlich, ob sie den Kläger angerufen habe, damit dieser die Kündigung unterschreibe. Von der Kündigungsbetätigung habe sie sich überzeugen können. Dass sich der Kläger über kurze Arbeitszeiten beschwert habe, sei ihr nicht erinnerlich.

Mit Urteil vom 29.10.2013 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 04.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2012 aufgehoben. Selbst wenn der Kläger konkludent am 24.02.2012 eine Kündigung ausgesprochen haben sollte, läge ein wichtiger Grund hierfür vor. Die Beklagte hätte spätestens anlässlich des Gesprächs am 22.02.2012 auf die Zumutbarkeit des Beschäftigungsverhältnisses hinweisen müssen. Ausweislich eines Aktenvermerks sei die Verwaltung selbst davon ausgegangen, dass dieses Arbeitsverhältnis für den Kläger nicht zumutbar gewesen sei.

Dagegen hat die Beklagte Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Für eine einseitige Lösung des Beschäftigungsverhältnisses genüge es, wenn mündlich geäußert werde, dass nicht weitergearbeitet werde und man die Arbeitsstelle verlasse. Nach den glaubwürdigen Angaben des Arbeitgebers habe der Kläger die Arbeitsstelle vorzeitig verlassen und zum Ausdruck gebracht, dass er sich nicht mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterwerfe. Der Kläger habe sich auch nicht gegenüber dem Arbeitgeber bemüht, die Beschäftigungsbedingungen zu ändern, sondern er habe ohne vorherige Rücksprache das Arbeitsverhältnis beendet. Ein Rechtsirrtum sei unbeachtlich. Der Kläger sei schon mehrmals arbeitslos gewesen und habe über Sperrzeiten Bescheid gewusst.

Die Beklagte beantragt

neben der Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 29.10.2013 (S 8 AL 206/12), die Abweisung der Klage gegen den Bescheid vom 04.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2012.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er habe keine Kündigung ausgesprochen und sei nach Einsatzende ins Wochenende gegangen. Er habe lediglich zum Ausdruck gebracht, er sei mit der Einsatzstelle im Hinblick auf die Stundenzahl wegen der langen Anfahrt unzufrieden. Ihm sei entgegen der vertraglichen Vereinbarung nur eine geringere Stundenzahl bezahlt worden. Nach der unberechtigten Kündigungsbestätigung habe er sich an die Beklagte gewandt und dort die Information bekommen, es sei in Ordnung, wenn er nicht mehr zur Arbeit gehe. Am Ende seiner Arbeitszeit sei er heimgeschickt worden, weil es keine Arbeit mehr gegeben habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und zum Teil begründet. Das Urteil des SG ist teilweise aufzuheben. Die Bescheide der Beklagten vom 04.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2012 sind (lediglich) insoweit rechtswidrig, als darin eine Sperrzeit von mehr als sechs Wochen und eine Anspruchsminderung von mehr als 42 Tagen festgestellt und kein Alg für die Zeit vom 07.04.2012 bis 18.05.2012 bewilligt wird. Im Übrigen sind sie rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Streitgegenstand sind die Bescheide vom 04.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2012, mit denen die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit vom 25.02.2012 bis 18.05.2012 festgestellt und dem Kläger Alg erst ab 19.05.2012 bewilligt hat.

Die Beklagte hat zu Recht den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl I 2848) ruht der Anspruch auf Alg für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbei geführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe), ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Nach § 144 Abs. 1 Satz 3 SGB III hat der Arbeitnehmer die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese in seiner Sphäre oder in seinem Verantwortungsbereich liegen. Das notwendige arbeitsvertragswidrige Verhalten kann in jeglichem Verstoß gegen geschriebene oder ungeschriebene Haupt- und Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.2005 - B 7a AL 46/05 R - BSGE 96, 22; Urteil des Senats vom 31.07.2007 - L 10 AL 44/04 - juris). Dieses Verhalten muss kausal (im Sinne der Wesentlichkeitstheorie) für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses geworden sein. Unerheblich ist dabei, ob auch das Arbeitsverhältnis beendet worden ist, was vorliegend gegebenenfalls wegen des Verstoßes gegen das Schriftformerfordernis der Kündigung (§ 623 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) fraglich sein könnte (vgl. auch Karmanski in Brand, SGB III, 6. Auflage, § 159 Rn. 16 m. w. N.). Die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses muss - ebenfalls im Sinne ei-ner wesentlichen Bedingung - Ursache für den Eintritt der Beschäftigungslosigkeit sein. Der Kläger ist nach dem 24.02.2012 nicht mehr zur Arbeit bei seinem von P zugewiesenen Einsatzbetrieb erschienen und hat damit sein Beschäftigungsverhältnis jedenfalls konkludent beendet. Er ist auch nicht mehr am Montag, 27.02.2012, zur Arbeit gegangen. Sofern er vorgibt, ihm sei von Mitarbeitern der P gesagt worden, er solle seine Kündigung unterschreiben und brauche nicht mehr bei der Arbeit erscheinen, hätte er - soweit er davon ausgegangen sein sollte, er habe sein Arbeitsverhältnis nicht gekündigt - sich zum Einsatzbetrieb begeben müssen. Nach eigenen Angaben will er selbst nicht gekündigt haben, die Kündigungsbestätigung von P vom 24.02.2012 soll ihm aber auch noch nicht vorgelegen haben. Zudem hat er sich am 27.02.2012 auch bereits vormittags persönlich arbeitslos gemeldet, mithin zum Ausdruck gebracht, beschäftigungslos zu sein. Damit hat er wissentlich - d. h. mehr als grobfahrlässig - die Ursache für die Arbeitslosigkeit ab dem 25.02.2012 gesetzt. Dies war für ihn auch individuell zu erkennen. Ein Irrtum über die Rechtsfolgen seiner Arbeitsaufgabe (vgl. dazu Karmanski a. a. O. Rn. 26) oder das Vorliegen eines wichtigen Grundes (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.1989 - 7 RAr 86/88 - BSGE 66, 94 - SozR 4100 § 119 Nr. 36; Urteil vom 13.03.1997 - 11 RAr 25/96 - SozR 4100 § 119 Nr. 11) ist für den Eintritt einer Sperrzeit unerheblich. Im Übrigen hat auch die Zeugin S in ihrer uneidlichen Aussage vor dem SG angegeben, die Einsatzfirma habe nach ihren Akten mitgeteilt, der Kläger habe die Arbeit vorzeitig verlassen und angegeben, nicht mehr arbeiten zu wollen. Dies hatte auch R bereits im Widerspruchsverfahren gegenüber der Beklagten mitgeteilt. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Angaben unzutreffend sein sollen. Widersprüche sind hier nicht erkennbar und arbeitsrechtliche Ansprüche sind vom Kläger gegenüber P nicht geltend gemacht worden.

Für das Verhalten des Klägers ist kein wichtiger Grund gegeben. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes beurteilt sich unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung. Sie soll die Solidargemeinschaft vor der Inanspruchnahme durch Leistungsberechtigte schützen, die den Eintritt des versicherten Risikos der Arbeitslosigkeit selbst herbeiführen oder zu vertreten haben; eine Sperrzeit soll nur eintreten, wenn einem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen und der Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann. Dabei muss der wichtige Grund nicht durch die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses, sondern gerade auch den konkreten Zeitpunkt der Lösung decken (vgl. so im Einzelnen BSG, Urteil vom 21.10.2003 - B 7 AL 92/02 R - SozR 4-4100 § 119 Nr. 2 m. w. N.).

Vorliegend ergibt sich zwar aus der Übersicht über die Arbeitszeiten und der Lohnabrechnung, dass die vereinbarten 35 Stunden pro Woche nicht erreicht wurden. Dies allein machte aber die Beschäftigung bei P für den Kläger nicht unzumutbar. Zu berücksichtigen ist insofern, dass das Beschäftigungsverhältnis im Zeitpunkt seiner Aufgabe noch nicht einmal zwei Wochen bestanden hat. Eine Lohnabrechnung lag zum Beendigungszeitpunkt noch nicht vor, so dass der Kläger noch gar nicht wissen konnte, inwieweit ihm nur die tatsächlich geleisteten Stunden bezahlt würden bzw. ein Ausgleich erfolge. Der Vortrag des Klägers, ihm seien die Fahrtzeiten zur Arbeit im Hinblick auf die kurzen Arbeitszeiten nicht zuzumuten, überzeugt ebenfalls nicht. Von der O.-Allee in A-Stadt, in der der Kläger wohnte, zur Arbeitsstelle in der D-Straße Straße in N-Stadt sind es rund 27 km (Berechnung nach maps.google.de). Diese Strecke erscheint selbst bei einer vom Kläger im Rahmen seiner Vorsprache bei der Beklagten angegebenen durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit von vier Stunden nicht als unzumutbar. Darüber hinaus hätte sich der Kläger zunächst bei P um Abhilfe und Änderung der Arbeitszeiten bemühen müssen. Ob er dies tatsächlich konkret getan hat, kann hier aber offen bleiben.

Für die Annahme eines wichtigen Grundes reicht es schließlich nicht aus, dass der Kläger bei der Aufgabe seines Beschäftigungsverhältnisses subjektiv glaubte, für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Vielmehr muss ein wichtiger Grund objektiv vorgelegen haben (BSG, Urteil vom 29.11.1989 - 7 RAr 86/88 - BSGE 66, 94 - SozR 4100 § 119 Nr. 36; Urteil vom 13.03.1997 - 11 RAr 25/96 - SozR 4100 § 119 Nr. 11). So kann auch das Verhalten der Beklagten, die nach den Vermerken über die persönlichen Vorsprachen am 21.02.2012 und 22.02.2012 nicht auf das Fehlen eines wichtigen Grundes bei Aufgabe der Beschäftigung durch den Kläger, nur weil die volle Stundenzahl nach dem Arbeitsvertrag nicht erarbeitet wird, hingewiesen hat, keinen wichtigen Grund begründen.

Die Beklagte hat den Beginn zutreffend festgestellt. Die Sperrzeit begann mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet hat (§ 144 Abs. 2 Satz 1 SGB III), somit am 25.02.2012.

Die Dauer der Sperrzeit beträgt nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 SGB III wegen des Vorliegens von Gründe für die Herabsetzung der Sperrzeit allerdings nur sechs Wochen (§ 144 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2b SGB III). Eine Sperrzeit von zwölf Wochen würde für den Kläger nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten. Die Annahme einer besonderen Härte ist gerechtfertigt, wenn nach den Gesamtumständen des Einzelfalles der Eintritt einer Sperrzeit mit der Regeldauer im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 26.03.1998 - B 11 AL 49/97 R - SozR 3-4100 § 119 Nr. 14; SächsLSG, Urteil vom 07.05.2009 - L 3 AL 238/06 - juris; Karmanski in Brand, SGB III, 6. Auflage, § 159 Rn. 159). Die gesetzliche Regelung entzieht sich einer generalisierenden Betrachtung; vielmehr ist eine Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalls vorzunehmen (BSG, Urteil vom 05.06.1997 - 7 RAr 22/96 - SozR 3-1500 § 144 Nr. 12; Urteil vom 02.05.2012 - B 11 AL 18/11 R - SozR 4-4300 § 144 Nr. 24), wobei unverschuldete Rechtsirrtümer zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 13.03.1997 - 11 RAr 25/96 - SozR 3-4100 § 119 Nr. 11; Urteil vom 05.06.1997 - 7 RAr 22/96 - SozR 3-1500 § 144 Nr. 12; Urteil vom 02.05.2012 - B 11 AL 18/11 R - SozR 4-4300 § 144 Nr. 24).

Vorliegend war zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits vor Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses zweimal bei der Beklagten vorgesprochen hat. Dort nahm man dessen - in den Aktenvermerken der Beklagten auch ausdrücklich dokumentierten - Beschwerden über die zu kurzen Arbeitszeiten zur Kenntnis, wies ihn aber nach dem Akteninhalt nicht darauf hin, dass dies keinen wichtigen Grund darstelle und eine Sperrzeit drohe, wenn er seine Beschäftigung aufgibt. Vielmehr hat man am 22.02.2012 den Kläger wieder als arbeitssuchend geführt und mit ihm eine neue Stelle im Lagerbereich besprochen und einen entsprechend Vermittlungsvorschlag ausgehändigt. Ebenso erfolgte ersichtlich kein Hinweis auf eine Sperrzeit, als der Kläger am 27.02.2012 vorsprach. Es ist nicht widerlegbar, dass der Kläger guten Glaubens war, hier pflichtgemäß zu handeln, wenn er nicht mehr auf der Arbeitsstelle erscheint und sich arbeitslos meldet. Er hat sich insofern nach der (fehlenden) Äußerung der Beklagten im Hinblick auf leistungsrechtliche Konsequenzen unverschuldet darüber geirrt, dass bei der Hinnahme der Kündigung bzw. der Aufgabe der Beschäftigung keine Sperrzeit eintreten werde. Eine ungekürzte Sperrzeit wäre demnach im vorliegenden Einzelfall objektiv unverhältnismäßig.

Damit hat der Anspruch auf Alg (nur) für die Zeit vom 25.02.2012 bis 06.04.2012 geruht. Die Minderung der Restanspruchsdauer um 42 Tagen folgt aus § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III.

Nach alledem waren das Urteil des SG und der Bescheid der Beklagten vom 04.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2012 teilweise aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von Alg für die Zeit vom 07.04.2012 bis 18.05.2012 zu verurteilen. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

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(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat auch, wer die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit allein wegen einer nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung nicht erfüllt. (2) Bei einer Arbeitnehmerin oder e

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(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat auch, wer die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit allein wegen einer nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung nicht erfüllt.

(2) Bei einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer, die oder der vor Eintritt in die Maßnahme nicht arbeitslos war, gelten die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit als erfüllt, wenn sie oder er

1.
bei Eintritt in die Maßnahme einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hätte, der weder ausgeschöpft noch erloschen ist, oder
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die Anwartschaftszeit im Fall von Arbeitslosigkeit am Tag des Eintritts in die Maßnahme der beruflichen Weiterbildung erfüllt hätte; insoweit gilt der Tag des Eintritts in die Maßnahme als Tag der Arbeitslosmeldung.

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Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über eine zwölfwöchige Sperrzeit und deren Rechtsfolgen.

2

Die 1961 geborene Klägerin bezog ab 1.8.2001 bis zur Erschöpfung des Anspruchs Arbeitslosengeld (Alg). Danach bewilligte ihr die Beklagte Arbeitslosenhilfe (Alhi) vom 27.7.2002 bis 26.7.2003 (Bescheid vom 15.8.2002).

3

Zum 24.10.2002 erhielt sie von der Beklagten ein Stellenangebot als Produktionshelferin bei der H. GmbH (im Folgenden: Arbeitgeber); der Stundenlohn sollte hiernach 5,37 Euro betragen. Beim Vorstellungsgespräch erklärte sie, dass sie sich statt des angebotenen Stundenlohns 8 bis 9 Euro pro Stunde vorstelle und noch das Ergebnis zweier weiterer Bewerbungen abwarten wolle, weshalb sie sich erst ab dem 18.11.2002 zu einer Arbeitsaufnahme imstande sehe. Daraufhin stellte die Beklagte den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit mit der Folge des Ruhens des Alhi-Anspruchs vom 25.10.2002 bis 16.1.2003 fest, minderte die Anspruchsdauer um 84 Tage, hob die Leistungsbewilligung rückwirkend ab 25.10.2002 auf und forderte zu Unrecht erbrachte Leistungen für den Zeitraum vom 25.10.2002 bis 30.11.2002 in Höhe von insgesamt 825,45 Euro (Alhi in Höhe von 712,99 Euro; Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 112,46 Euro) zurück (Bescheid vom 12.12.2002; Widerspruchsbescheid vom 15.1.2003).

4

Das Sozialgericht (SG) hat den angefochtenen Bescheid dahingehend geändert, dass die Sperrzeit nur drei Wochen betrage und den Erstattungsbetrag entsprechend (auf 468,05 Euro) herabgesetzt; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.12.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG geändert, die Klage in vollem Umfang abgewiesen und die Anschlussberufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin habe die Arbeitsaufnahme ohne wichtigen Grund abgelehnt; deswegen habe die Beklagte noch unter der Geltung alten Rechts zu Recht eine zwölfwöchige Sperrzeit festgestellt mit der Folge, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Alhi um 84 Tage mindere und nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) iVm § 330 Abs 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) die Bewilligung von Alhi zurückzunehmen gewesen sei. Auch die Rückforderung erbrachter Alhi-Leistungen zuzüglich gezahlter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 25.10.2002 bis 16.1.2003 sei rechtmäßig.

5

Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt und zu deren Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Feststellungen einer Sperrzeit (auch) von drei Wochen lägen nicht vor. Das Arbeits- und Vermittlungsangebot der Beklagten habe nicht den Grundsätzen einer sachgerechten Arbeitsvermittlung entsprochen; denn das Lohnangebot von 5,37 bzw 6 Euro brutto pro Stunde bei einer tariflichen 35-Stunden-Woche hätte monatlich nur 814 bzw 910 Euro betragen, sodass bei möglicherweise wechselnden Einsatzorten mit entsprechendem Fahrkostenaufwand der Klägerin das erzielbare monatliche Nettoeinkommen nicht höher gewesen wäre als ihr Anspruch auf Alhi. Selbst wenn aber eine Sperrzeit eingetreten sei, dürfe diese statt 12 nur drei Wochen betragen, weil sonst ein gleichheitswidriger Zustand gegenüber solchen Versicherten bestünde, die den Sperrzeittatbestand (erst) ab 1.1.2003 verwirklichten. Zumindest biete die vorliegende Fallgestaltung ausreichend Argumente für eine von Amts wegen vorzunehmende Prüfung einer besonderen Härte. Als Verfahrensmangel hat die Klägerin außerdem geltend gemacht, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen; die Entscheidung durch den bestellten Berichterstatter sei ermessens- und verfahrensfehlerhaft erfolgt.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen LSG vom 11.2.2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Frankfurt am Main vom 13.12.2006 zurückzuweisen sowie auf ihre Anschlussberufung das Urteil des SG Frankfurt am Main vom 13.12.2006 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 12.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.1.2003 aufzuheben.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 2.5.2012 hat sie den angefochtenen Bescheid dahingehend geändert, dass die darin verfügte Minderung der Dauer des Anspruchs auf Alhi um 84 Tage aufgehoben wird.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz). Das LSG ist zutreffend von der Zulässigkeit der Berufung der Beklagten ausgegangen (zu 1), der gerügte Verfahrensfehler liegt nicht vor (zu 2) und das LSG hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass der angefochtene Bescheid der Beklagten rechtmäßig ist (zu 3).

10

1. Gegenstand der erhobenen Anfechtungsklage ist der Bescheid der Beklagten vom 12.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.1.2003, mit dem die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit von 12 Wochen, beginnend ab 25.10.2002, festgestellt, Leistungen in Höhe von 825,45 Euro zurückgefordert und die rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung durch den Bescheid vom 15.8.2002 verfügt hat. Mit dem Berufungsbegehren der Beklagten, keine Leistungen für weitere neun Wochen erbringen zu müssen, wird der Wert des Beschwerdegegenstands nach § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG in der bis zum 31.3.2008 gültigen Fassung (alte Fassung - aF) iHv 500 Euro (12 Wochen - 3 Wochen = 9 Wochen x 7 Tage x 19,27 Euro täglich = 1214,01 Euro) überschritten.

11

2. Entgegen der Rüge der Klägerin konnte das LSG durch den Berichterstatter entscheiden. Die formellen Voraussetzungen des § 155 Abs 3 und 4 SGG für eine Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats sind erfüllt.

12

Zwar entscheidet das LSG gemäß § 33 S 1 SGG regelmäßig in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern und die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter an der Entscheidung zählt zu den tragenden Grundsätzen des sozialgerichtlichen Verfahrens(BSGE 7, 230, 234 = SozR Nr 1 zu § 108 SGG; BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 14). Gemäß § 155 Abs 3 SGG(in Kraft seit 1.3.1993) kann der Vorsitzende im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats entscheiden; ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet nach Abs 4 der Vorschrift dieser anstelle des Vorsitzenden.

13

Durch die jeweiligen Verfügungen des Vorsitzenden vom 25.6.2007, 2.5.2008, 9.3.2010 und 1.7.2010 war für das Berufungsverfahren ein Berichterstatter bestellt. Mit dessen Entscheidung haben sich die Beteiligten durch schriftliche Erklärungen vom 1. bzw 4.2.2011 ausdrücklich einverstanden erklärt.

14

Das LSG war auch aus materiell-rechtlichen Gründen nicht gehindert, durch den Berichterstatter zu entscheiden. Zwar ist eine Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter nach § 155 Abs 3, 4 SGG in der Weise begrenzt, als es sich um eine Sache ohne besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art handeln muss. Selbst wenn der Einzelrichter die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zulässt, ist aber ein Verfahrensfehler nicht anzunehmen, wenn er der Sache keine nennenswerte Breitenwirkung beimisst und die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung auch für den Fall der Zulassung der Revision erklärt haben (vgl Senatsurteil vom 3.12.2009 - B 11 AL 38/08 R - SozR 4-4300 § 53 Nr 4 RdNr 14; GS SozR 4-1200 § 52 Nr 4 RdNr 7). Erst recht ist die Verlagerung der Entscheidungskompetenz vom Kollegium auf den Berichterstatter jedenfalls in den Fällen zulässig, in denen keine Zulassung der Revision veranlasst ist, weil einer ständigen Rechtsprechung gefolgt werden soll (BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 22; BSG SozR 4-1500 § 105 Nr 1 RdNr 15 ff), oder wenn sich das Urteil des LSG auf eine vorhandene, verfahrensfehlerfrei in vollständiger Senatsbesetzung getroffene Leitentscheidung oder bereits beim Bundessozialgericht (BSG) anhängige Parallelfälle bezieht (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 11 f).

15

So aber liegt der Fall hier. Das LSG verweist in seiner Urteilsbegründung nicht nur auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats im Urteil vom 6.5.2009 (B 11 AL 10/08 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 19), wonach die Anwendung des neuen, ab 1.1.2003 geltenden Rechts, allein vom Eintritt des sperrzeitbegründenden Ereignisses abhängt. Es führt vielmehr zusätzlich aus, dass es seine frühere gegenteilige Rechtsansicht aufgegeben habe, und bezieht sich hierzu auf das eigene Senatsurteil vom 28.1.2011 (L 7 AL 75/09 - Revision anhängig zum Az: B 11 AL 8/11 R). Damit verweist es einerseits auf eine - nunmehr - gefestigte Rechtsprechung des eigenen Senats zur Frage der Sperrzeitdauer in den Fällen vorliegender Art; andererseits bezieht es sich auf eine vorhandene, verfahrensfehlerfrei in vollständiger Senatsbesetzung getroffene Leitentscheidung.

16

3. Das LSG hat auch rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Bescheid der Beklagten vom 12.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.1.2003 in vollem Umfang rechtmäßig ist. Es hat deshalb zu Recht die Anschlussberufung der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.

17

a) Nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGB III idF des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10.12.2001 (BGBl I 3443) tritt eine Sperrzeit von zwölf Wochen ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht angenommen oder nicht angetreten hat oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgesprächs, durch sein Verhalten verhindert (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung), ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben.

18

Nach den den Senat bindenden (§ 163 SGG)Feststellungen des LSG hat die schon längerfristig arbeitslose Klägerin von der Beklagten am 10.10.2002 ein Stellenangebot als Produktionshelferin an ihrem Wohnort O. erhalten und ist über die Rechtsfolgen bei Nichtannahme der angebotenen Beschäftigung ohne wichtigen Grund oder Verhinderung der Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses durch ihr Verhalten belehrt worden. Nach den weiteren - von der Klägerin unwidersprochenen - Feststellungen des LSG hat sie während ihres Vorstellungsgesprächs am 24.10.2002 angegeben, sie wolle erst noch den Ausgang anderer Bewerbungsgespräche abwarten und stehe daher nicht vor dem 18.11.2002 und damit erst mehr als drei Wochen nach dem Bewerbungsgespräch zur Verfügung. Während der angebotene Stundenbruttolohn 5,37 Euro bzw 6 Euro betragen hat, hat sie Lohnvorstellungen in Höhe von 8 bis 9 Euro pro Stunde geäußert.

19

Es spricht vieles dafür, dass die Klägerin durch ihr Verhalten im Vorstellungsgespräch am 24.10.2002 die angebotene Beschäftigung konkludent abgelehnt hat; zumindest aber hat sie durch ihr Verhalten die Anbahnung eines zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses verhindert, ohne für ihr Verhalten einen wichtigen Grund zu haben.

20

Einem Arbeitslosen sind grundsätzlich alle seiner Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen zumutbar, soweit allgemeine oder personenbezogene Gründe der Zumutbarkeit nicht entgegenstehen; aus allgemeinen Gründen ist eine Beschäftigung insbesondere nicht zumutbar, wenn die Beschäftigung (ua) gegen gesetzliche oder tarifliche Bestimmungen über Arbeitsbedingungen verstößt (§ 121 Abs 1 und 2 SGB III; vgl Senatsurteil vom 8.11.2001 - B 11 AL 31/01 R - SozR 3-4300 § 144 Nr 7 S 8 f zur Leiharbeit). Nach § 121 Abs 3 S 3 SGB III aF iVm § 198 S 4 SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung ist einem Arbeitslosen vom siebten Monat der Arbeitslosigkeit an eine Beschäftigung aus personenbezogenen Gründen nur dann nicht zumutbar, wenn das daraus erzielbare Nettoeinkommen unter Berücksichtigung der mit der Beschäftigung zusammenhängenden Aufwendungen niedriger ist als die Alhi. Allgemein darf das erzielbare Entgelt nicht sittenwidrig sein (vgl Estelmann in Eicher/Schlegel, SGB III, § 121 RdNr 24, 72, 82, Stand Einzelkommentierung Juni 2004). Letzteres ergibt sich auch aus § 36 Abs 1 SGB III, wonach die Agentur für Arbeit nicht in ein Arbeitsverhältnis vermitteln darf, das gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstößt(vgl hierzu Rixen in Eicher/Schlegel, SGB III, § 36, RdNr 38, RdNr 53 ff, Stand Einzelkommentierung Februar 2007 bzw November 2009, mwN). Eine arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung verstößt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ( BAGE 110, 79 = AP Nr 59 zu § 138 BGB) aber erst dann gegen die guten Sitten iS von § 138 Bürgerliches Gesetzbuch, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt(vgl Rixen, aaO, RdNr 54). Anhaltspunkte dafür, dass der angebotene Stundenlohn von 5,37 Euro im Jahr 2002 zu dem Wert der hier in Frage stehenden Tätigkeit einer Produktionshelferin in einem auffälligen Missverhältnis stand, liegen nicht vor; dies behauptet auch die Klägerin nicht. Für das Verhältnis unerheblich ist die im streitigen Zeitraum maßgebliche sozialhilferechtliche Bedarfsbemessung (vgl Rixen, aaO, RdNr 54 mwN).

21

Das aus der angebotenen Beschäftigung erzielbare Nettoeinkommen überstieg auch die von der Klägerin bezogene Alhi (zur Maßgeblichkeit der gezahlten bzw bezogenen Alhi, vgl ua Estelmann in Eicher/Schlegel, SGB III, § 121 RdNr 72, Stand Einzelkommentierung Juni 2004; Valgolio in Hauck/Noftz, K SGB III, § 121 RdNr 44, 46, Stand Januar 2004). Unerheblich ist dabei, ob der schriftlich angebotene Stundenlohn von 5,37 Euro oder aber ein angeblich mündlich angebotener Stundenlohn von 6 Euro zugrunde gelegt wird. Jedenfalls hätte die Klägerin nach ihrer eigenen, auch vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegten und rechnerisch nachvollziehbaren Berechnung (berechnet über http://www.steuerlinks.de/lohngehalt/ ; Abruf am 17.4.2012) bei Berücksichtigung der tariflichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden und einem Stundenlohn von 5,37 Euro einen monatlichen Nettolohn von 645,76 Euro bzw (bei einem Stundenlohn von 6 Euro) iHv 712,72 Euro erzielt. Es bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, ob für den Einkommensvergleich auf die von der Klägerin tatsächlich bezogene Alhi oder auf die ihr dem Grunde nach zustehende Alhi abzustellen ist. Denn selbst wenn nicht auf die tatsächlich gezahlte Alhi iHv 578,10 Euro (30 x 19,27 Euro) abzustellen wäre, sondern auf den Anspruch der Klägerin ohne Partnereinkommen, ergäbe sich kein für sie günstigeres Ergebnis. Auch ausgehend von dem ohne Partnereinkommen zustehenden Betrag der monatlichen Alhi iHv 606,87 Euro (578,10 Euro + 28,77 Euro) ist das erzielbare Nettoeinkommen der Klägerin höher als die Alhi. Der Bescheid über die Bewilligung von Alhi vom 15.8.2002 weist lediglich einen Anrechnungsbetrag aus dem Einkommen des Lebenspartners der Klägerin iHv 6,69 Euro wöchentlich (= im Monat: 6,69 Euro x 4,3 = 28,77 Euro) aus.

22

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass nach § 121 Abs 3 S 3 SGB III die mit der Beschäftigung zusammenhängenden Aufwendungen abzusetzen sind. Absetzbare Fahrkosten wären der Klägerin bei Annahme der angebotenen Beschäftigung nach den Feststellungen des LSG nicht erwachsen, weil sie von ihrem Wohnort aus den Sitz des Arbeitgebers zu Fuß hätte erreichen können und ihr für Fahrten zu auswärtigen Einsatzorten wegen des Bestehens eines Fahrdienstes ebenfalls keine Fahrkosten entstanden wären. Mit der Beschäftigung "zusammenhängende" Aufwendungen sind aber nur solche, die der Klägerin tatsächlich erwachsen wären, weil insoweit auf das Einkommensteuerrecht zurückzugreifen ist (vgl BSGE 63, 237 = SozR 4100 § 138 Nr 19 und zur Definition des Begriffs der Werbungskosten iS des § 138 Abs 2 AFG anhand der Definition des § 9 Abs 1 S 1 EStG: BSGE 45, 60 = SozR 4100 § 138 Nr 2; zu Berechnungsfragen vgl Steinmeyer in Gagel, SGB II/SGB III, § 121 RdNr 76, Stand Einzelkommentierung Januar 2005). Soweit die Klägerin in der Revisionsbegründung angibt, vom Nettolohn wären Fahrkosten zu den entsprechenden, möglicherweise wechselnden Einsatzorten in Abzug zu bringen, handelt es sich nicht um gegen die tatsächlichen Feststellungen des LSG gerichtete "begründete Revisionsgründe" iS des § 163 SGG, sondern um nicht näher substanziierte Behauptungen, die die auf Angaben des potentiellen Arbeitgebers beruhenden Feststellungen des LSG negieren.

23

Da es sich bei der angebotenen Tätigkeit als Produktionshelferin bei dem Arbeitgeber um ein zumutbares Beschäftigungsverhältnis gehandelt hat, stand der Klägerin für ihr Verhalten beim Vorstellungsgespräch vom 24.10.2002 kein wichtiger Grund zur Seite (vgl Niesel, SGB III, 2. Aufl 2002, § 144 RdNr 55 und 5. Aufl 2010, § 144 RdNr 64). Damit hat die Klägerin die Voraussetzungen für eine Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGB III aF erfüllt.

24

b) Das LSG hat auch ohne Rechtsfehler entschieden, dass die Beklagte zu Recht eine Sperrzeit von zwölf Wochen festgestellt hat. Denn nach dem vorliegend noch anwendbaren § 144 Abs 1 Nr 2 SGB III aF tritt in den Fällen der Arbeitsablehnung eine Sperrzeit von zwölf Wochen ein, während § 144 SGB III in der am 1.1.2003 in Kraft getretenen Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I 4607) in Abs 4 Nr 1 Buchst c im Falle der erstmaligen Ablehnung einer Arbeit eine Sperrzeitdauer von nur (noch) drei Wochen vorsieht.

25

Zutreffend hat das LSG hinsichtlich der Geltung des § 144 Abs 1 Nr 2 SGB III idF des Job-AQTIV-Gesetzes vom 10.12.2001 (BGBl I 3443) auf die Grundsätze des intertemporalen Rechts verwiesen. Danach ist ein Rechtssatz grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Dementsprechend hat das BSG - worauf der Senat bereits in seinem Urteil vom 27.8.2008 (B 11 AL 11/07 R - SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 13 mit zahlreichen Nachweisen)hingewiesen hat - in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw Rechtsverhältnisse nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht etwas anderes bestimmt. Offengelassen hat der Senat in der Entscheidung vom 27.8.2008, inwieweit dieser Grundsatz im Recht des SGB III durch den Grundsatz abgelöst worden ist, dass neues Recht immer schon, aber auch noch den Sachverhalt erfasst, wenn die maßgeblichen Rechtsfolgen in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Rechts fallen (Geltungszeitraumprinzip - s hierzu Senatsurteil vom 6.5.2009 - B 11 AL 10/08 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 19 RdNr 14; BSG Urteil vom 16.12.2009 - B 7 AL 39/08 R - info also 2010, 171; BSG SozR 3-4300 § 144 Nr 12; SozR 4-4100 § 119 Nr 1 RdNr 7 und SozR 4-4300 § 434j Nr 2; Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, vor § 422 RdNr 2 ff, Stand: Einzelkommentierung März 2010; Leitherer in Eicher/Schlegel, SGB III, § 335 Nr 37). Denn auch unter Berücksichtigung des Geltungszeitraumprinzips werden bereits vor einer Rechtsänderung eingetretene Rechtswirkungen nicht mehr erfasst; auf bereits eingetretene Rechtsfolgen wirkt das neue Recht nicht zurück (BSG Urteil vom 16.12.2009 - B 7 AL 39/08 R - info also 2010, 171; Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, vor § 422 RdNr 3). Daher entfaltet die Änderung des § 144 SGB III zum 1.1.2003 auch in Anwendung des Geltungszeitraumprinzips keine Wirkung auf den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt.

26

Unerheblich ist, dass es sich bei der Klage um eine reine Anfechtungsklage handelt, bei der für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Bescheids bzw des Widerspruchsbescheids maßgeblich ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass allein wegen des Erlasses des Widerspruchsbescheids erst im Jahr 2003 (am 15.1.2003) das am 1.1.2003 in Kraft getretene Recht anwendbar wäre. Denn der Rückgriff auf die Klageart zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts entspricht nach der Rechtsprechung des BSG lediglich einer Faustregel mit praktisch einleuchtenden Ergebnissen bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung, ist im Übrigen aber nicht Ausdruck eines abschließenden Rechtssatzes (vgl Senatsurteile vom 13.3.1997 - 11 RAr 51/96 - SozR 3-4100 § 152 Nr 7 und vom 27.8.2008 - B 11 AL 11/07 R - SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 12 mwN). Die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vielmehr eine Frage des materiellen, nicht des Prozessrechts (BVerwG Buchholz 310 § 113 VwGO Nr 218; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 54 RdNr 32).

27

Wie der Senat bereits im Urteil vom 6.5.2009 (B 11 AL 10/08 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 19 RdNr 16)ausgeführt hat, ist materiell-rechtlich durch § 144 Abs 2 S 1 SGB III - sowohl aF als auch in der ab 1.1.2003 geltenden Fassung - geregelt, dass die Sperrzeit grundsätzlich mit dem Tag nach dem Ereignis beginnt, das die Sperrzeit begründet. Sperrzeitbegründendes Ereignis für die nach den getroffenen Feststellungen allein in Betracht kommende Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung (§ 144 Abs 1 Nr 2 SGB III) ist aber das als Arbeitsablehnung zu wertende Verhalten der Klägerin anlässlich ihres Vorstellungsgesprächs vom 24.10.2002 (vgl zur Bestimmung des sperrzeitbegründenden Ereignisses BSGE 97, 73, 79 = SozR 4-4300 § 144 Nr 15, RdNr 23). Die Beklagte und ihr folgend auch die Vorinstanzen sind somit zu Recht davon ausgegangen, dass eine Sperrzeit - gleich welcher Dauer - am 25.10.2002 begonnen hat.

28

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG tritt eine Sperrzeit kraft Gesetzes ein und läuft unabhängig vom Bestehen eines Leistungsanspruchs kalendermäßig ab (ua BSGE 84, 225, 229 = SozR 3-4100 § 119 Nr 17; Voelzke in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 376; Henke in Eicher/Schlegel, SGB III, § 144 RdNr 88, Stand Einzelkommentierung November 2006; Coseriu in Eicher/Schlegel, SGB III, § 144 RdNr 577, Stand Einzelkommentierung Juni 2010). Eine Sperrzeit von zwölf Wochen nach § 144 Abs 1 SGB III aF fällt also kalendermäßig in die Zeit vom 25.10.2002 bis zum 16.1.2003. Damit sind die Rechtsfolgen des sperrzeitbegründenden Verhaltens der Klägerin bereits im Jahre 2002 eingetreten; alle Voraussetzungen für den Eintritt der Sperrzeit mit seinen Folgen lagen bereits im Jahre 2002 vor. Deshalb ist auch für die Beurteilung der Wirkungen und der Folgen der Sperrzeit - wobei hier aufgrund der im Termin vom 2.5.2012 erfolgten Änderung des angefochtenen Bescheids eine Minderung der Anspruchsdauer unterbleibt - allein die Rechtslage maßgeblich, die beim Eintritt des sperrzeitbegründenden Ereignisses gegolten hat.

29

Gegen die Anwendung der die Klägerin im Vergleich zu der ab 1.1.2003 geltenden Fassung des § 144 Abs 1 SGB III schlechter stellenden aF sprechen - wie bereits im Senatsurteil vom 6.5.2009 (B 11 AL 10/08 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 19 RdNr 21)ausgeführt - auch keine Gründe des Vertrauensschutzes oder sonstige verfassungsrechtliche Erwägungen. Da es Sinn und Zweck der Sperrzeit ist, die Versichertengemeinschaft typisierend gegen Risikofälle zu schützen, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat (ua BSGE 67, 26, 29 = SozR 3-4100 § 119 Nr 3, S 11; SozR 4-4300 § 144 Nr 7 RdNr 12), ist es auch für den hier zu entscheiden Fall, dass ein Teil der zwölfwöchigen Sperrzeit noch in das Jahr 2003 fällt, nicht unverhältnismäßig oder unangemessen, den Versicherten nach dem Recht zu behandeln, das zur Zeit des den Risikofall herbeiführenden Verhaltens gilt. Eine entsprechende Rechtsfolgenbelehrung hat die Klägerin erhalten. Die Anwendung des § 144 Abs 1 SGB III aF auf den 2002 eingetretenen Sperrzeittatbestand führt - entgegen der Ansicht der Klägerin - für sie ab 1.1.2003 auch nicht zu einem gleichheitswidrigen Zustand, weil die bereits ab 25.10.2002 bestehende Sperrzeit im Jahre 2003 noch annähernd drei Wochen andauerte, während bei Eintritt des die Sperrzeit begründenden Ereignisses erst im Jahre 2003 nur eine Sperrzeit von insgesamt drei Wochen eingetreten wäre. Art 3 Abs 1 Grundgesetz ist schon deshalb nicht tangiert, weil es sich bei Sperrzeitereignissen im Jahr 2002 und im Jahr 2003 um nicht vergleichbare Sachverhaltsgestaltungen handelt.

30

Soweit die Klägerin davon ausgeht, es "dürften ausreichende Argumente dafür vorhanden sein, von einer besonderen Härte auszugehen", trifft dies ebenfalls nicht zu. Zwar halbiert sich die Sperrzeit nach § 144 Abs 3 S 1 SGB III aF im Fall einer solchen Härte auf sechs Wochen. Die gesetzliche Regelung entzieht sich aber einer generalisierenden Betrachtung; vielmehr ist insoweit eine Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalls vorzunehmen (BSG SozR 3-4300 § 144 Nr 12, S 38), wobei unverschuldete Rechtsirrtümer zu berücksichtigen sind (vgl BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 11, S 51; BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 12, S 27 f). Es ist aber weder ersichtlich, dass in der Person der Klägerin besondere Umstände vorliegen, die es rechtfertigten, die sie treffenden gesetzlichen Folgen einer Arbeitsablehnung, über die sie entsprechend belehrt worden ist, als besondere Härte anzusehen, noch dass sie einem unverschuldeten Rechtsirrtum über die Rechtsfolgen unterlegen ist. Dies gilt umso mehr, als an die Entschuldbarkeit des Irrtums hohe Anforderungen gestellt werden, die nur erfüllt sind, wenn sich der Arbeitnehmer die Rechtsansicht aufgrund einer (objektiv) sorgfältigen Prüfung - ggf nach Rückfrage bei einer Dienststelle der Beklagten - der Rechtslage gebildet hat.

31

c) Die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 12.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.1.2003 misst sich an § 48 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB X iVm § 330 Abs 3 SGB III. Nach § 48 Abs 1 S 1 und S 2 Nr 4 SGB X iVm § 330 Abs 3 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

32

Der Bescheid der Beklagten vom 12.12.2002 war ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; er hatte die Bewilligung von Alhi vom 27.7.2002 bis 26.7.2003 zum Gegenstand. Wesentlich iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt(vgl nur BSGE 97, 73 = SozR 4-4300 § 144 Nr 15 RdNr 15). Hier ist wegen des Eintritts einer Sperrzeit ein Ruhen des Leistungsanspruchs nach § 144 Abs 1 Nr 2, Abs 2 SGB III aF eingetreten. Schließlich sind auch die subjektiven Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB X gegeben. Das LSG hat dabei entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BSG bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit einen subjektiven Maßstab angelegt (vgl BSGE 97, 73 = SozR 4-4300 § 144 Nr 15, RdNr 24 mwN). Das Revisionsgericht prüft insoweit lediglich, ob das LSG den Begriff der groben Fahrlässigkeit als solchen verkannt hat sowie, ob es beachtet hat, dass sich die Bösgläubigkeit grundsätzlich auf den zurückzunehmenden Teil des Verwaltungsakts erstrecken muss (vgl ua Senatsurteil vom 25.8.2011 - B 11 AL 30/10 R RdNr 13, zur Veröffentlichung vorgesehen; BSG SozR 4-4300 § 122 Nr 5 RdNr 14 mwN). Insofern ist die Entscheidung des LSG nicht zu beanstanden und entzieht sich die Würdigung der tatsächlichen Feststellungen durch das LSG der revisionsrechtlichen Überprüfung, wenn sie nicht mit zulässigen Verfahrensrügen (zB Verstoß gegen Denkgesetze) angegriffen wird (vgl § 163 SGG), was hier nicht der Fall ist.

33

Aufgrund der Aufhebung der Leistungsbewilligung war die Beklagte zur Rückforderung der für die Zeit vom 25.10.2002 bis 16.1.2003 geleisteten Alhi verpflichtet. Nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die rechtmäßige Leistungsaufhebung betraf den vorbezeichneten Zwölf-Wochen-Zeitraum. Die in dieser Zeit erbrachten Leistungen hat die Beklagte zutreffend mit 825,45 Euro beziffert.

34

Der Rückforderungsbetrag betrifft die bewilligte Alhi in Höhe von 712,99 Euro sowie die während des Zwölf-Wochen-Zeitraums erbrachten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Rechtsgrundlage für die Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 112,46 Euro ist § 335 Abs 1, 5 SGB III in der bei Aufhebung der Bewilligung von Alhi gültigen Fassung bis 31.12.2004 (aF), wonach Bezieher von Alhi der Beklagten die von ihr gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung zu ersetzen haben, soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden ist. Die Beklagte hat für die Klägerin Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 112,46 Euro entrichtet; Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung und/oder Abführung dieser Beiträge bestehen nicht. Die Klägerin hat sich nach den bindenden Feststellungen des LSG auch hinsichtlich dieser Leistungen pflichtwidrig verhalten (vgl BSGE 104, 285 = SozR 4-4300 § 335 Nr 2, RdNr 31 mwN).

35

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Sind Menschen mit Behinderungen auswärtig untergebracht, aber nicht in einem Wohnheim, einem Internat oder einer besonderen Einrichtung für Menschen mit Behinderungen mit voller Verpflegung, so wird ein Betrag nach § 86 zuzüglich der behinderungsbedingten Mehraufwendungen erbracht.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.