Arbeitsgericht Hagen Urteil, 02. Apr. 2015 - 4 Ca 6/15
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Der Streitwert wird bis zur Klageerweiterung auf 13.505,18 Euro und für das Verfahren danach sowie das Urteil auf 13.721,76 Euro festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten im Wesentlichen im Rahmen eines Feststellungsantrages darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, den Kläger mit Wirkung ab 01.05.2014 zwei tarifvertragliche Lohngruppen niedriger einzugruppieren und - damit einhergehend - um Zahlungsansprüche.
3Der Kläger ist seit dem 05.10.1981 bei der Beklagten in deren Betrieb in T beschäftigt. Grundlage ist sein nach wie vor einschlägiger, schriftlicher Arbeitsvertrag vom 21.09.1981, der in Kopie zur Gerichtsakte gereicht ist (Blatt 43 f. der Akte), und auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Gemäß dem schriftlichen Arbeitsvertrag wurde der Kläger mit Wirkung ab 05.10.1981 als Maschinenhelfer eingestellt. Unter Ziffer 5. des Arbeitsvertrages heißt es u. a., dass sich der Lohn des Klägers „nach der Lohngruppe II. des derzeit gültigen Lohntarifvertrages“ bestimmt und er ausweislich dessen einen Tariflohn von 6,46 DM zuzüglich einer Zulage von 1,66 DM erhält. Unter Ziffer 8. des Arbeitsvertrages heißt es:
4„Für das Arbeitsverhältnis gelten im übrigen die jeweiligen Tarifverträge für die Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitende Industrie (…).“
5Aufgrund einer bereits im Jahr 1986 erlittenen Erkrankung im Bereich der Atemwege ist der Kläger seitdem als Staplerfahrer bei der Beklagten tätig. Jedenfalls seit dem 01.04.1995 ist er in die Lohngruppe 7/2 eingruppiert worden, worüber sich die Versetzungsmitteilung (Blatt 5 der Akte) verhält. Das Arbeitsentgelt des Klägers setzte sich danach aus der Grundvergütung gemäß Lohngruppe 7/2 sowie einer übertariflichen Zulage und der „Produktionszulage gemäß BV“ zusammen.
6Über die Tätigkeit eines Staplerfahrers verhält sich eine Arbeitsplatzbeschreibung, die in Kopie zur Gerichtsakte gereicht ist (Blatt 52 f. der Akte) und auf deren Inhalt ebenfalls Bezug genommen wird. Als Staplerfahrer ist der Kläger verantwortlich für die Ver- und Entsorgung der Anlagen mit Rohstoffen sowie für den Transport der Fertigware zum Lager. Es besteht Zuständigkeit für den Transport von Zwischenprodukten zur nächsten Fertigungseinheit. Der Staplerfahrer ist eingebunden beim Einlagern der Fertigware und den Zwischenprodukten und er bringt sich ein bei der Bereitstellung von Materialien für den Versand. Zudem fällt Tätigkeit an im Bereich der Sortierung in Abfall, Werkstoffe, Rohstoffe, Holz, Pappe und ähnliche Waren. In gewissem Umfang ergibt sich auch die Notwendigkeit von manuellem Auslagern von Produkten aus den Lagern. Das Vorhandensein eines Staplerscheins ist entsprechend Voraussetzung.
7Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen aus der Papier und Pappe verarbeitenden Industrie. Zum Jahreswechsel 2013/2014 beschäftigte sie knapp 300 Mitarbeiter am Standort T, wovon 2/3 gewerbliche Arbeitnehmer sind. Ein Betriebsrat ist in ihrem Betrieb in T gewählt.
8Die tarifvertragliche Eingruppierung der Arbeitnehmer der Beklagten richtet sich nach dem Lohnrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (einschließlich Berlin-West), gültig ab 01.02.1991 (künftig kurz: LRTV), der von der Beklagten auszugsweise in Kopie zur Gerichtsakte gereicht ist (Blatt 54 bis 56 der Akte) und worauf Bezug genommen wird. § 2 Ziffer 1 des LRTV sieht vor, dass alle Tätigkeiten in dem dortigen Lohngruppenschema, bestehend aus den Lohngruppen I bis VIII, erfasst sind. Für die für den vorliegenden Rechtsstreit relevanten Lohngruppen V und VII heißt es dort:
9„(…) Lohngruppe V
10Arbeiten, die durch eine längere systematische Unterweisung erworbene umfangreiche, fachliche Kenntnisse sowie Selbständigkeit erfordern und die mit erhöhter Verantwortung für Betriebsmittel und Arbeitsprodukt verbunden sind.
11Lohngruppe VII
12Schwierige Facharbeiten, deren Ausführung ein erweitertes fachliches Können (Kenntnisse und Fertigkeiten) erfordert, das durch eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten einschlägigen Ausbildungsberuf und eine anschließende mehrjährige Berufserfahrung erworben wird.
13Die erforderlichen fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten können auch durch eine längere (über die Dauer der Berufsausbildung des Absatz 1 hinausgehende) einschlägige Berufserfahrung erworben worden sein. Verwertbare Kenntnisse und Fertigkeiten aus einer anderen abgeschlossenen Berufsausbildung sind angemessen zu berücksichtigen. (…)“
14Unter § 3 Ziffer 1 des LRTV heißt es:
15„§ 3 Eingruppierung
161.
17Für die Eingruppierung der Arbeitnehmer (einschl. der aushilfsweise, befristet oder in Teilzeitarbeit beschäftigten) in die Lohngruppen ist ausschließlich die ausgeübte Tätigkeit maßgebend, nicht die Berufsbezeichnung oder eine bestimmte Berufsausbildung. (…)“
18Auch noch vor der in dem vorliegenden Rechtsstreit seitens der Beklagten vorgenommenen, streitigen Eingruppierung mit Wirkung ab 01.05.2014 wurde der Kläger von der Beklagten für seine Tätigkeit als Staplerfahrer nach der Lohngruppe 7/2 vergütet. Zusätzlich zur Grundvergütung erhielt er eine „freiwillige übertarifliche Zulage“ in Höhe von 1,51 €. Insoweit wird auf die Entgeltmitteilung 2013 (Blatt 6 der Akte) und der dort enthaltenen Einzelheiten Bezug genommen. Zuvor hat der Kläger die Lohngruppen II, IV, V und sodann VI durchlaufen.
19Für die Lohngruppe VII sieht die einschlägige Lohntabelle für die Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitende Industrie im Bereich Nordrhein-Westfalen ab 01.11.2013 ab dem 2. Tätigkeitsjahr in der Berufsgruppe einen Stundenlohn von 16,97 € vor (Blatt 56 der Akte). Für die Lohngruppe V sieht dieselbe Lohntabelle für Arbeitnehmer ab 18 Jahren einen Stundenlohn von 13,89 € vor.
20Mit Schreiben vom 25.04.2014 (Blatt 7 der Akte) teilte die Beklagte dem Kläger folgendes mit:
21„Lieber C,
22im Rahmen der Überprüfung der Lohngruppen wirst du unter Berücksichtigung der tariflichen Vereinbarung zum Mai dieses Jahres in die Lohngruppe 5. 2 eingruppiert.
23Dein effektives Monatsgehalt setzt sich damit wie folgt zusammen:
24altes Gehalt April 2014
25Tariflohn EUR 16,97
26Freiwillige übertarifliche Zulage EUR 0,69
27Produktionsprämie EUR 0,82
28Monatslohn… * 152,25 Std. EUR 18,48
29neues Gehalt ab Mai 2014
30Tariflohn EUR 13,89
31Freiwillige übertarifliche Zulage EUR 4,59
32Monatslohn… * 152,25 Std. EUR 18,48
33Sollte dein neuer Bruttolohn etwas niedriger sein als vorher, wird sich dein Jahreseinkommen trotzdem nicht verringern. Die übertarifliche Zulage – die ja jetzt höher geworden ist – wird beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld voll mitgerechnet. Die frühere Produktionsprämie wurde beim Weihnachtsgeld nicht berücksichtigt.
34Bitte beachte auch, dass, wenn sich die gegenwärtige Eingruppierung zukünftig angesichts der dann ausgeübten Tätigkeit als fehlerhaft bzw. unzutreffend darstellt, erfolgt eine korrigierende Umgruppierung.
35Mit freundlichen Grüßen,“
36Zeitgleich mit dem Kläger sind im Betrieb der Beklagten 10 bis 12 Gabelstaplerfahrer in die Lohngruppe V zurückgruppiert worden. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb ca. 30 Gabelstaplerfahrer, die nunmehr alle in die Lohngruppe V eingruppiert sind.
37Der Kläger ist mit der von der Beklagten nach seiner Auffassung einseitig vorgenommenen Änderung der Lohnstrukturen mit Wirkung ab 01.05.2014 nicht einverstanden. Obgleich er grundsätzlich davon ausgeht, dass er richtigerweise nach den einschlägigen lohntarifvertraglichen Vorschriften als Staplerfahrer in die Lohngruppe V.2 einzugruppieren wäre, sei aus schützenswerten Vertrauensgesichtspunkten eine Änderung seiner Vergütung seitens der Beklagten nicht möglich. Er ist insoweit der Auffassung, dass sich aufgrund der rund 27-jährigen Tätigkeit als Staplerfahrer, einer zu keiner Zeit seitens der Beklagten beanstandeten Eingruppierung, die vielmehr anlässlich von Versetzungen wiederholt und bestätigt worden sei, ein arbeitsvertraglicher Rechtsanspruch des Klägers gerichtet auf die auch zukünftige Eingruppierung in die Lohngruppe VII.2 gebildet hätte. Insbesondere sei die Versetzungsmitteilung vom 01.04.1995 hier beachtlich. Bereits durch ein in der Personalakte des Klägers befindliches Schreiben aus dem Jahr 1991 des seinerzeitigen Vorgesetzten des Klägers ergäbe sich, dass eine Eingruppierung in die Lohngruppe VII erfolgen sollte, die Beklagte habe dem Kläger jedoch nicht gestattet, eine Kopie dieses Schreibens zu fertigen. Daher liege neben dem schützenswerten Vertrauen des Klägers durch die Änderung der Lohnstrukturen widersprüchliches Verhalten seitens der Beklagten vor.
38Darüber hinaus vertritt der Kläger die Auffassung, dass zu der tarifvertraglichen Grundvergütung eine nicht anrechenbare und nicht freiwillige Zulage von der Beklagten geschuldet ist. Die Zulage, die sich aus einer Produktionsprämie gemäß Betriebsvereinbarung sowie einer weiteren Zulage zusammensetzt, sei seit Jahren unverändert gewährt worden, ohne eine Freiwilligkeit oder Anrechenbarkeit auszuweisen. Erstmalig sei die Terminologie nun von der Beklagten verändert worden.
39Der Kläger beantragt zuletzt,
40- 41
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 173,09 € brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus 88,59 € brutto seit dem 01.01.2015 sowie aus weiteren 84,50 € brutto seit dem 01.02.2015 zu zahlen.
- 43
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger gemäß der Lohngruppe VII.2 des Lohntarifvertrages der papierverarbeitenden Industrie (Nordrhein) zuzüglich einer nicht freiwilligen sowie nicht anrechenbaren Zulage in Höhe von 1,51 € brutto pro Stunde zu vergüten.
Die Beklagte beantragt,
45die Klage abzuweisen.
46Die Beklagte trägt vor, turnusgemäß nach einer Übereinkunft mit dem Betriebsrat im April 2014 eine Überprüfungsrunde durchgeführt zu haben, wonach in ihrem Betrieb die Eingruppierungen anhand der aktuell ausgeübten Tätigkeit überprüft werden. Sie habe am 11.04.2014 gemeinsam mit dem Betriebsratsvorsitzenden und einem weiteren Betriebsratsmitglied nicht nur die Tätigkeit des Klägers, sondern einer größeren Gruppe aus dem Produktionsbereich beleuchtet. Man habe festgestellt, dass für den Kläger als Staplerfahrer und dessen ausgeübte Tätigkeit die bisherige Eingruppierung von der Höhe her nicht zutreffend sei, vielmehr die Lohngruppe V für den Kläger festzuhalten sei. Nach der vorliegenden Arbeitsplatzbeschreibung ist für die Tätigkeit eines Staplerfahrers unstreitig als Qualifikation eine Anlernzeit von 3 Wochen und ein Staplerschein vorgesehen. Das Arbeitsmittel ist unstreitig der Gabelstapler. Der Kläger hat die einschlägigen Sicherheitsanweisungen und die besonderen Vorschriften im Hause der Beklagten zu berücksichtigen sowie den Besonderheiten nach dem „Startsystem“ Rechnung zu tragen. Nach Auffassung der Beklagten wäre für die Tätigkeit des Klägers ohne weiteres sogar eine geringere als die Lohngruppe V begründbar. Die Betriebsparteien hätten das getroffene Ergebnis jedenfalls nicht als zu gering betrachtet. Der Betriebsrat als Gremium sei über das getroffene Ergebnis unterrichtet worden und habe dieses auch als Gremium bestätigt.
47Schließlich sei darauf zu verweisen, dass der Kläger derzeit hinsichtlich des tatsächlich an ihn ausgezahlten Entgelts gar nicht schlechter gestellt werde, insbesondere sich aus dem Anschreiben der Beklagten vom 11.03.2015 (Blatt 89 der Akte) eine Tariferhöhung ergäbe, so dass sich der Stundenlohn in einer Größenordnung von 18,92 € verhält.
48Für das weitere Vorbringen der Parteien wird Bezug genommen auf die ausgetauschten und zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze sowie auf die in mündlicher Verhandlung zu Protokoll abgegebenen Erklärungen.
49E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
50A.
51Die Klage ist zulässig, jedoch hinsichtlich beider Anträge unbegründet.
52I.
53Insbesondere ist der von dem Kläger als Antrag zu 2. gestellte Feststellungsantrag zulässig.
54Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung ist jeder Arbeitnehmer, also nicht nur der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, berechtigt, seine tarifgerechte Eingruppierung, trotz grundsätzlicher Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage, im Wege der Feststellungsklage überprüfen zu lassen bzw. durchzusetzen (siehe nur BAG, Urteil vom 22.10.2008 – 4 AZR 735/07 – AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Chemie, juris, Rdnr. 16; LAG Hamm, Urteil vom 07.12.2007 – 7 Sa 1354/07 -, juris unter I. der Gründe, Rdnr. 24; LAG Hamm, Urteil vom 27.05.2011 – 7 Sa 326/11 – juris, Rdnr. 30 m.w.N.; Germelmann Arbeitsgerichtsgesetz, 8. Auflage, § 46, Rdnrn. 106, 108; Erfurter Kommentar/Koch, 15. Auflage, § 46 ArbGG, Rdnr. 27).
55Vorliegend ist zudem der Weg der Feststellungsklage die einzige Möglichkeit für den Kläger, die zutreffende Eingruppierung seiner Tätigkeit gerichtlich überprüfen zu lassen, da ihm eine Leistungsklage aufgrund der Tatsache, dass der tatsächlich über den 30.04.2014 hinaus an ihn gezahlte Stundenlohn von 18,48 € wegen der nunmehr höheren freiwilligen, übertariflichen Zulage unverändert ist, nicht möglich ist.
56Zulässig ist darüber hinaus auch der Feststellungsantrag hinsichtlich der übertariflichen Zulage (BAG, Urteil vom 11.08.1992 – 1 AZR 279/90 – AP Nr. 53 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung m.w.N.).
57II.
58Weder der Antrag zu 1., noch der Antrag zu 2. sind jedoch begründet, weshalb die Klage insgesamt abzuweisen war.
59- 60
1. In Bezug auf den Antrag zu 2. ist die Beklagte nicht dazu verpflichtet, den Kläger über den 30.04.2014 hinaus nach der Lohngruppe VII/2 der Lohntabelle des Lohntarifvertrages für die Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitende Industrie im Bereich Nordrhein-Westfalen zu vergüten.
- 62
a. Der Arbeitgeber kann grundsätzlich die Eingruppierung eines Arbeitnehmers korrigieren, wenn die auszuübende Tätigkeit nicht dem Tätigkeitsmerkmal der anwendbaren Vergütungsgruppe entspricht. In welcher Form diese Maßnahme erfolgen muss, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls. Die Korrektur muss durch den Ausspruch einer Änderungskündigung erfolgen, wenn die Vergütungsabrede Vertragsgegenstand geworden ist. Dies ist der Fall, wenn sie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich vereinbart worden ist. Besteht kein arbeitsvertraglicher Anspruch des Arbeitnehmers auf Vergütung nach einer bestimmten Vergütungsgruppe, kann die Eingruppierung auch ohne Änderungskündigung korrigiert werden. Entspricht die gezahlte Vergütung nicht der Wertigkeit der auszuübenden Tätigkeit, ist der Arbeitgeber zur einseitigen Lossagung von der – aus seiner Sicht – rechtsfehlerhaften Tarifanwendung berechtigt (BAG, Urteil vom 13.05.1998 – 10 AZR 421/97 -, in: NZA-RR, 1998, 523, unter II. 2.; Erfurter Kommentar/Koch a.a.O., § 46, Rdnr. 35).
- 64
b. Die Darlegungslast für eine entsprechend konstitutive Vereinbarung trifft den Arbeitnehmer (BAG, Urteil vom 17.05.2000 – 4 AZR 237/99 -, in: NZA 2001, 1316 ff.). Vorliegend war die Vergütung nach der Lohngruppe VII/2 des LRTV zwischen den Parteien nicht arbeitsvertraglich vereinbart, eine Eingruppierung hat vielmehr gemäß des Arbeitsvertrags vom 21.09.1981 zunächst in die Entgeltgruppe II stattgefunden. Anschließend hat der Kläger nach seinem eigenen Vortrag mehrere Lohngruppen durchlaufen. Die Versetzungsmitteilung zum 01.04 1995 (Blatt 5 der Akte) stellt gleichfalls keine konstitutive Vereinbarung der Lohngruppe VII/2 zwischen den Parteien dar. Bei dem Schreiben handelt es sich bereits nicht um eine Vereinbarung, sondern um die Dokumentation der Versetzung, weswegen unter anderem sowohl die den Kläger abgebende, als auch die den Kläger aufnehmende Abteilung unterzeichnet hat. Der Kläger drückt auf dem Schreiben - wie auch der Betriebsrat - lediglich sein Einverständnis zu der Maßnahme aus.
Dementsprechend richtet sich die Vergütung gemäß Bezugnahme in Ziffer 8 seines nach wie vor einschlägigen, schriftlichen Arbeitsvertrages vom 21.09.1981 entsprechend seiner jeweiligen Tätigkeit nach der jeweils einschlägigen Lohngruppe des Lohntarifvertrages für die Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie im Bereich Nordrhein-Westfalen. Die Lohngruppen des jeweils einschlägigen Lohntarifvertrages aber ergeben sich unstreitig gemäß der tarifvertraglichen Eingruppierungssystematik des ab dem 01.02.1991 geltenden LRTV.
66Die arbeitsvertraglich von dem Kläger ausgeübte Tätigkeit als Staplerfahrer entspricht seinem eigenen Vortrag bereits nicht der Lohngruppe VII, sondern richtigerweise der Lohngruppe V, weshalb die korrigierende Rückgruppierung der Beklagten mit Wirkung ab 01.05.2014 in die Lohngruppe V nicht zu beanstanden ist.
67- 68
c. Schützenswerte Vertrauensgesichtspunkte des Klägers stehen der von der Beklagten vorgenommenen korrigierende Rückgruppierung nicht entgegen.
aa.
70Dem Arbeitgeber kann es zwar im Einzelfall unter besonderen Umständen nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich zur Begründung der Rückgruppierung auf eine fehlende tarifliche Voraussetzung für die bisher gewährte Vergütung zu berufen, wenn für den Arbeitnehmer ein entgegenstehender Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist (BAG, Urteil vom 16.02.2000 - 4 AZR 62/99 - BAGE 93, 340; BAG, Urteil vom 17.05.2000 - 4 AZR 237/99 - AP BAT-O §§ 22, 23 Nr. 17; BAG, Urteil vom 08.10.1997 - 4 AZR 167/96 - AP BAT § 23b Nr. 2). Die Annahme einer Verwirkung setzt neben dem Zeitablauf das Vorliegen besonderer, ein schützenswertes Vertrauen begründender Umstände voraus (BGH, Urteil vom 27.01.2010 - XII ZR 22/07 - BGHZ 184, 117; BGH, Urteil vom 19.10.2005 - XII ZR 224/03 - NJW 2006, 219). Dieser hinreichende Vertrauenstatbestand kann durch zusätzliche Umstände begründet werden, die nach der Eingruppierungsmitteilung eingetreten sind (vgl. BAG, Urteil vom 16.02.2000 - 4 AZR 62/99 - BAGE 93, 340).
71Danach ist widersprüchliches Verhalten dann als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 04.12.1997 - 2 AZR 799/96 - BAGE 87, 200, 205). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn durch das Verhalten der einen Seite - bewusst oder unbewusst - für die andere Seite ein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand des Bisherigen geschaffen worden ist (BAG, Urteil vom 20.04.2011 - 4 AZR 368/09 - NZA-RR 2011, 609).
72bb.
73Solche besonderen Umstände hat der Kläger, auch nicht im Rahmen des Schriftsatzes vom 19.02.2015, darlegen können. Der Hinweis auf die Erkrankung des Klägers und die damit begründete Notwendigkeit der Ausübung einer anderen Tätigkeit führt nicht dazu, dass ausschließlich und - außer ggf. im Wege der Änderungskündigung - unveränderlich die Lohngruppe VII/2 zwischen den Parteien als vereinbart gilt. Dem Vortrag des Klägers, dass seine chronischen Erkrankung einem Aufstieg in den Lohngruppen entgegenstünde, steht sein vorheriger Vortrag, dass er - obgleich bereits als Staplerfahrer eingesetzt - im Laufe der Zeit bis zur Lohngruppe VII nacheinander - mit Ausnahme der Lohngruppe V - alle Entgeltgruppen tatsächlich durchlaufen hat. Eine Erforderlichkeit, ihn daher zur Bewahrung von Nachteilen direkt in die Lohngruppe VII einzusetzen, ergibt sich damit gerade nicht.
74Andere/Weitere Umstände, die ein schützenswertes Vertrauen des Klägers auf dauerhafte Eingruppierung in die Lohngruppe VII begründen könnten, sind nicht ersichtlich, auch verhält sich die Beklagte nicht widersprüchlich. Solche Umstände müssten nach der Eingruppierungsmitteilung eingetreten sein (vgl. BAG, Urteil vom 16.02.2000 - 4 AZR 62/99 - BAGE 93, 340). Maßgeblich wären daher Umstände, die nach der Versetzungsmitteilung des Jahres 1995 eingetreten wären. Eine konkrete Überprüfung und Bestätigung der fehlerhaften Eingruppierung des Klägers durch die Beklagte ist danach nicht erfolgt. Im Rahmen der Entgeltmitteilungen (für 2013 als Anlage K 2 überreicht, Blatt 6 der Akte) wird allein die Tarifanpassung mitgeteilt und eine Erhöhung des Lohns mitgeteilt, nicht aber die Entgeltgruppe als solche auf ihre Richtigkeit überprüft.
75- 76
d. Der Kläger kann in diesem Zusammenhang mit dem Antrag zu 2. auch nicht die Feststellung der Anrechnungsfestigkeit der Zulage verlangen. In diesem Zusammenhang hatte er mit Schriftsatz vom 19.02.2015 vorgetragen, dass von einer Freiwilligkeit oder Anrechenbarkeit keine Rede gewesen wäre und erstmals mit Schreiben vom 25.04.2014 (Blatt 7 f. der Akte) diese Terminologie von der Beklagten verwendet worden sei. Dies ist jedoch unzutreffend, denn im Rahmen der Klageschrift legte der Kläger selbst die ihm von der Beklagten überreichte Entgeltmitteilung für das Jahr 2013 (Blatt 6 der Akte) vor. Dort findet sich als Entgeltbestandteil ausdrücklich die „Freiwillige, übertarifliche Zulage“.
- 78
e. Folglich steht dem Kläger im Ergebnis kein Recht gegenüber der Beklagten zu, über den 30.04.2014 hinaus weiterhin in der Lohngruppe VII/2 eingruppiert zu bleiben, wie von diesem begehrt, und danach vergütet zu werden, noch kann er die Feststellung der Anrechnungsfestigkeit der Zulage verlangen.
- 80
2. Vor diesem Hintergrund war der Antrag zu 1. gleichfalls abzuweisen. Mit diesem begehrt der Kläger Lohndifferenzen für die Monate Dezember 2014 und Januar 2015, die er ausgehend von einer Eingruppierung in die Lohngruppe VII/2, dem dortigen aktuellen Stundenlohn von 17,38 € brutto und einer anrechnungsfesten Zulage in Höhe von 1,51 € brutto berechnet hat. Wie gezeigt, kann der Kläger jedoch keine Vergütung nach dieser Lohngruppe verlangen, so dass der vorgenommenen Berechnung die Grundlage entzogen ist.
- 82
3. Die Klage war folglich als insgesamt unbegründet abzuweisen.
B.
84Die Kostenentscheidung ergibt sich gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 91 ff. ZPO. Der Kläger hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
85C.
86Die Streitwertfestsetzung ergibt sich gemäß §§ 46 Abs. 2, 61 Abs. 1 ArbGG, §§ 3 ff. ZPO, § 42 Abs. 1 GKG. Bis zur Klageerweiterung am 19.02.2015 ist der dreifache Jahresbetrag der Lohndifferenz zwischen der Lohngruppe V und der Lohngruppe VII zugrunde zu legen, ausgehend von einer Stundenlohndifferenz in Höhe von 3,08 €. Dies ergibt bei einer Monatsarbeitszeit von 152,25 Stunden umgerechnet auf 36 Monate eine Lohndifferenz in Höhe von 16.881,48 €. Nach einem Abschlag von 20 %, da es sich vorliegend um eine Feststellungsklage handelt, ergibt sich hierfür bis zur Klageerweiterung ein Streitwert in Höhe von 13.505,18 €. Für das Verfahren danach und das Urteil wird gemäß § 3 ZPO der Zahlungsantrag von 173,09 € hinzuaddiert. Für die Feststellung der Anrechnungsfestigkeit der Zulage ergibt sich ein Streitwert in Höhe von 43,49 (vgl. ArbG Nürnberg, Urteil vom 14.06.2012, 15 Ca 5165/11, ArbuR 2013, 52).
ra.de-Urteilsbesprechung zu Arbeitsgericht Hagen Urteil, 02. Apr. 2015 - 4 Ca 6/15
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Arbeitsgericht Hagen Urteil, 02. Apr. 2015 - 4 Ca 6/15
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenArbeitsgericht Hagen Urteil, 02. Apr. 2015 - 4 Ca 6/15 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.
(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.
(1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:
- 1.
Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb; - 2.
Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage; - 3.
vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit; - 4.
Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte; - 5.
Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie die Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne Arbeitnehmer, wenn zwischen dem Arbeitgeber und den beteiligten Arbeitnehmern kein Einverständnis erzielt wird; - 6.
Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen; - 7.
Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften; - 8.
Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist; - 9.
Zuweisung und Kündigung von Wohnräumen, die den Arbeitnehmern mit Rücksicht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vermietet werden, sowie die allgemeine Festlegung der Nutzungsbedingungen; - 10.
Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung; - 11.
Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, einschließlich der Geldfaktoren; - 12.
Grundsätze über das betriebliche Vorschlagswesen; - 13.
Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit; Gruppenarbeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn im Rahmen des betrieblichen Arbeitsablaufs eine Gruppe von Arbeitnehmern eine ihr übertragene Gesamtaufgabe im Wesentlichen eigenverantwortlich erledigt; - 14.
Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird.
(2) Kommt eine Einigung über eine Angelegenheit nach Absatz 1 nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Kläger verlangen von der Beklagten restliche Nebenkosten aus einem Mietvertrag über Gewerberäume.
- 2
- Mit Vertrag vom 9. September 1993 vermietete die A. Vermögensanlagen KG an die K. U. K. GmbH & Co. KG ein Ladenlokal in K. . Nach § 6 des Mietvertrages waren die dort im Einzelnen aufgeführten Nebenkosten von den Mietern des Gesamtobjekts anteilig zu tragen, u.a. die sonstigen Kosten gemäß § 27 der II. Berechnungsverordnung (§ 6 Ziff. 1 e) und das Verwalterhonorar (§ 6 Ziff. 1 g). Über die Nebenkosten sollte die Vermieterin einmal jährlich zum Ablauf eines Kalenderjahres abrechnen (§ 6 Ziff. 2).
- 3
- Die Kläger erwarben kurz nach Abschluss des Mietvertrages von der A. Vermögensanlagen KG das Eigentum an dem Mietobjekt. Zum 1. Januar 2001 trat die Beklagte gemäß einer zwischen den Klägern, der K. U. K. GmbH & Co. KG und der Beklagten getroffenen Vereinbarung anstelle der früheren Mieterin in den Mietvertrag ein. Der Mietvertrag endete am 15. Februar 2004.
- 4
- Die Nebenkostenabrechnungen, die seit 1993 von wechselnden Hausverwaltungsgesellschaften erstellt wurden, enthielten für die Jahre 1993 bis 2001 keine Kosten für Allgemeinstrom, Wartung der Heizung, Schädlingsbekämpfung und Verwalter. Erstmals mit den der Beklagten am 23. September 2004 zugegangenen Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2002, 2003 und für Januar bis 15. Februar 2004 wurden ihr diese Kosten anteilig in Rechnung gestellt. Die Beklagte lehnte deren Zahlung und für 2004 auch die Zahlung der übrigen Nebenkosten ab.
- 5
- Mit der Klage verlangen die Kläger rückständige Nebenkosten für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 15. Februar 2004 in Höhe von 12.294,50 €. Davon hat die Beklagte aus der Abrechnung für 2004 den nicht auf die streitigen Nebenkostenpositionen entfallenden Betrag von 337,13 € anerkannt.
- 6
- Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
- 7
- Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
- 8
- Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Anspruch der Kläger auf Zahlung der geltend gemachten Nebenkosten sei gemäß § 535 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 des Mietvertrages begründet. Soweit restliche Nebenkosten für das Jahr 2002 verlangt würden, sei der Anspruch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Abrechnung erst am 23. September 2004 und damit später als ein Jahr nach Ende der Abrechnungsperiode erfolgt sei. Denn § 556 Abs. 3 Satz 3 BGB, der diese Rechtsfolge für die Wohnraummiete regele, sei im Gewerberaummietrecht generell nicht anwendbar. Eine unmittelbare Anwendung scheide mangels Verweises in § 578 Abs. 2 BGB aus. Auch eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle.
- 9
- Durch die jahrelange Nichtabrechnung der streitigen Nebenkosten sei es auch nicht zu einer stillschweigenden Vertragsänderung dahin gekommen, dass diese Kosten von der Beklagten nicht mehr geschuldet würden. Zwar könnten die Mietvertragsparteien eine einmal getroffene Vereinbarung über die Umlage von Nebenkosten auch durch schlüssiges Verhalten nachträglich ändern. Dies setze aber voraus, dass ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen entsprechender auf Vertragsänderung gerichteter Willenserklärungen der Parteien vorlägen. Daran fehle es hier. In dem Unterlassen der Abrechnung durch die Kläger liege zunächst nur ein Schweigen. Dieses könne nur dann als Willenserklärung gewertet werden, wenn in der unvollständigen Abrechnung aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers ein Antrag auf Änderung der Um- lagefähigkeit der beanstandeten Nebenkosten zu sehen sei. Davon könne hier nicht ausgegangen werden. Im Hinblick darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerade bei Erklärungen, die als Verzicht, Erlass oder in ähnlicher Weise rechtsvernichtend gewertet werden sollten, das Gebot einer interessengerechten Auslegung gelte, sei es grundsätzlich die Ausnahme, dass der Gläubiger ein bestehendes Recht aufgebe.
- 10
- Die vorliegende Fallgestaltung weiche daher maßgeblich von den den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 ( XII ZR 35/00 - NJW-RR 2000, 1463) und vom 7. April 2004 (VIII ZR 146/03 - NZM 2004, 418) jeweils zugrunde liegenden Fällen ab, in denen der Mieter über einen längeren Zeitraum in Rechnung gestellte Nebenkosten bezahlt habe, obwohl deren Umlagefähigkeit nicht vereinbart gewesen sei. Das von dem Bundesgerichtshof in diesen Fällen gefundene Auslegungsergebnis einer stillschweigenden Vertragsänderung sei deshalb nicht auf den Streitfall übertragbar.
- 11
- Die Beklagte könne der Forderung auch nicht den Einwand der Verwirkung entgegenhalten. Für die 2003 und 2004 angefallenen Nebenkosten sei schon das Zeitmoment nicht erfüllt. Denn sie seien der Beklagten von den Klägern am 23. September 2004 und damit innerhalb der auch bei der Gewerberaummiete entsprechend § 556 Abs. 3 Satz 1 BGB anzunehmenden Abrechnungsfrist von einem Jahr nach Ablauf des Abrechnungszeitraums mitgeteilt worden.
- 12
- Auch für die Abrechnungsperiode 2002 scheide eine Verwirkung aus. Selbst wenn das Zeitmoment als erfüllt angesehen werde, fehle es jedenfalls an den erforderlichen vertrauensbegründenden Umständen.
- 13
- Das Berufungsgericht hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen , welche Anforderungen an eine stillschweigende Vertragsänderung bei Dauerschuldverhältnissen durch jahrelange Übung zu stellen sind.
II.
- 14
- Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Prüfung stand.
- 15
- Die Kläger haben gemäß § 535 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Ziff. 1 e und g des Mietvertrages gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der über den anerkannten Betrag von 337,13 € hinaus verlangten Nebenkosten für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 15. Februar 2004.
- 16
- Die geltend gemachten, der Höhe nach unstreitigen Nebenkosten sind wirksam vereinbart worden. Nach § 6 Ziff. 1 e und g des Mietvertrages ist die Beklagte verpflichtet, die Kosten gemäß § 27 der II. Berechnungsverordnung zu tragen, zu denen gemäß Anl. 3 zu § 27 II. Berechnungsverordnung die Kosten für den Allgemeinstrom (Ziff. 11), die Wartung der Heizung (Ziff. 4) und die Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen (Ziff. 9) gehören. Diese Vereinbarung bleibt, auch nachdem die Anl. 3 zu § 27 II. Berechnungsverordnung zum 31. Dezember 2003 außer Kraft getreten ist, weiterhin Grundlage für den Umfang der vertraglich vereinbarten Nebenkosten. Auch das Verwalterhonorar ist bei der Geschäftsraummiete umlagefähig (vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 2009 - XII ZR 109/08 - juris Tz. 8 ff.).
- 17
- 1. Entgegen der Ansicht der Revision ist die Geltendmachung der Nebenkosten für das Jahr 2002, deren Abrechnung die Beklagte am 23. September 2004 erhalten hat, nicht gemäß § 556 Abs. 3 Satz 3 BGB ausgeschlossen.
- 18
- a) Zu Recht hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Meinung angenommen, dass § 556 Abs. 3 Satz 3 BGB, der für die Wohnraummiete den Ausschluss von Betriebskostennachforderungen anordnet, die der Vermieter später als 12 Monate nach Ablauf des Abrechnungszeitraumes verlangt, auf die Geschäftsraummiete nicht anwendbar ist (OLG Düsseldorf ZMR 2008, 206; Grundeigentum 2006, 847; KG ZMR 2007, 449; OLG Köln ZMR 2007, 115; LG Nürnberg-Fürth ZMR 2008, 800; Blank/Börstinghaus Miete 3. Aufl. § 556 Rdn. 1; Schmidt-Futterer/Langenberg Mietrecht 9. Aufl. § 556 BGB Rdn. 6 und 458; Emmerich/Sonnenschein/Weitemeyer Miete 9. Aufl. § 556 BGB Rdn. 62; Lindner-Figura/Oprée/Stellmann/Beyerle Geschäftsraummiete 2. Aufl. Kap. 11 Rdn. 143; Langenberg Betriebskostenrecht der Wohn- und Gewerberaummiete 5. Aufl. G IV Rdn. 99; Fritz NJW 2007, 887, 889; Soergel/Heintzmann 13. Aufl. § 556 BGB Rdn. 21; Staudinger/Weitemeyer [Neubearbeitung 2006] § 556 BGB Rdn. 106; a.A. MünchKomm/Schmid 5. Aufl. § 556 BGB Rdn. 1; LG Darmstadt NZM 2009, 546; AG Wiesbaden NZM 2006, 140).
- 19
- Von den für die Wohnraummiete geltenden Vorschriften (§§ 549 bis 577 a BGB) erklärt § 578 BGB nur einzelne auf Mietverhältnisse über Grundstücke und Räume, die keine Wohnräume sind, für anwendbar. Auf § 556 BGB verweist § 578 BGB nicht. Eine gesetzliche Regelung über den Ausschluss von Nebenkostennachforderungen existiert folglich für die Geschäftsraummiete nicht.
- 20
- b) Auch eine analoge Anwendung von § 556 Abs. 3 Satz 3 BGB auf die Geschäftsraummiete scheidet aus.
- 21
- Voraussetzung für eine Analogie ist, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung , bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH Urteil vom 25. September 2009 - V ZR 36/09 - NJW 2009, 3644 3645 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es fehlt bereits, wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, an einer planwidrigen Regelungslücke.
- 22
- Mit dem am 1. September 2001 in Kraft getretenen Mietrechtsreformgesetz (BGBl. I S. 1149) hat der Gesetzgeber die bis dahin nur für öffentlich geförderte preisgebundene Wohnungen gemäß § 20 Abs. 3 Satz 4 Neubaumietenverordnung (NMV) als Ausschlussfrist gestaltete Abrechnungsfrist für die Betriebskosten von 12 Monaten nach dem Ende des Abrechnungszeitraums in § 556 Abs. 3 Satz 3 BGB auch für frei finanzierte Wohnungen übernommen (BT-Drucks. 14/4553, S. 51). In § 578 BGB, der konkret aufzählt, welche von den für die Wohnraummiete geltenden Vorschriften auf die Mietverhältnisse über Räume, die keine Wohnräume sind, entsprechend anwendbar sind, wird § 556 BGB nicht genannt. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber es versehentlich unterlassen hat, in § 578 BGB auf § 556 BGB zu verweisen, bestehen nicht. Insbesondere kann nicht daraus, dass die Gesetzesmaterialien keine Begründung dafür enthalten, warum der Gesetzgeber von einem Verweis auf § 556 BGB abgesehen hat, auf eine planwidrige Gesetzeslücke geschlossen werden (so aber: LG Darmstadt NZM 2009, 546; AG Wiesbaden NZM 2006, 140). Denn der Gesetzgeber hat durch die gezielte Auswahl der auf die Geschäftsraummiete anwendbaren Vorschriften in § 578 BGB deutlich zum Ausdruck gebracht, dass § 556 BGB für die Geschäftsraummiete nicht gelten soll.
- 23
- 2. Der Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten restlichen Nebenkosten ist entgegen der Ansicht der Revision auch nicht durch stillschweigende Änderung des Umfangs der vertraglich vereinbarten Nebenkosten entfallen.
- 24
- Das Berufungsgericht hat in der unterlassenen Abrechnung der vertraglich vereinbarten Kosten für den Allgemeinstrom, die Wartung der Heizung, die Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen und den Verwalter kein konkludentes Angebot der Kläger an die Beklagte auf Abänderung des Umfangs der umlagefähigen Kosten gesehen. Diese Auslegung des Verhaltens der Kläger durch das Berufungsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
- 25
- a) Voraussetzung für eine als konkludentes Angebot zum Abschluss eines Vertrages zu wertende Willenserklärung ist ein Verhalten des Anbietenden, mit dem dieser einen entsprechenden Rechtsfolgewillen zum Ausdruck bringt. Dabei ist für die Auslegung der Willenserklärung nach §§ 133, 157 BGB maßgebend , wie diese vom Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsauffassung zu verstehen war (BGHZ 47, 75, 78).
- 26
- Für die Annahme eines auf Abänderung der vertraglich als umlagefähig vereinbarten Nebenkosten gerichteten Willens der Kläger reicht nach zutreffender Auffassung des Berufungsgerichts allein der Umstand, dass die Kläger einzelne als umlagefähig vereinbarte Nebenkostenpositionen über acht Jahre nicht abgerechnet haben, nicht aus. Denn die Beklagte konnte bei der gebotenen Berücksichtigung der Interessen der Kläger allein aus deren Untätigbleiben nicht schließen, dass sie endgültig für die Zukunft auf die Erstattung dieser vertraglich vereinbarten Nebenkostenpositionen zugunsten der Beklagten verzichten wollten (vgl. Langenberg NJW 2008, 1269; Artz NZM 2005, 36 f.; Schmid NZM 2003, 55 f. und für die Wohnraummiete BGH Urteil vom 13. Februar 2008 - VIII ZR 14/06 - NJW 2008, 1302). Eine solche Auslegung, die davon ausgeht, dass ein Vermieter von Geschäftsräumen ohne ersichtlichen Grund auf die Zahlung nicht unerheblicher Beträge verzichtet und diese selbst übernimmt, wäre vielmehr, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, lebensfremd.
- 27
- Ohne das Vorliegen weiterer Anhaltspunkte konnte die Beklagte somit nicht annehmen, dass die Kläger die nicht abgerechneten Nebenkostenpositionen für die gesamte Dauer des Mietvertrages nicht mehr geltend machen wollten. Solche Umstände hat die Beklagte nicht dargetan und sind auch nicht ersichtlich.
- 28
- Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich daraus, dass die Abrechnung der Nebenkosten nicht von den Klägern, sondern von verschiedenen professionellen Verwaltern vorgenommen worden ist, ein Änderungswillen der Kläger nicht herleiten. Aus welchem Grund die von den Klägern beauftragten Verwalter die vereinbarten Nebenkosten nicht in Rechnung gestellt haben, ist gerade offen geblieben.
- 29
- Auch spricht nicht die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass die Kläger mit einer bewusst gemäßigten Abrechnungspraxis die Beklagte als Mieterin der Gewerbefläche hätten halten wollen. Die Kläger mussten im Hinblick auf die fest vereinbarte Laufzeit des Mietvertrages von zehn Jahren schon keinen baldigen Auszug der Beklagten befürchten und hatten damit auch keinen Grund dafür, ab Beginn des Mietvertrages weniger Nebenkosten als vereinbart abzurechnen.
- 30
- b) Die Auslegung des Berufungsgerichts widerspricht entgegen der Ansicht der Revision nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem umgekehrten Fall, in dem ein Mieter über einen längeren Zeitraum vertraglich nicht geschuldete Nebenkosten bezahlt, die ihm der Vermieter unberechtigt in Rechnung gestellt hat. Auch in diesen Fällen ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass allein durch die jahrelange vorbehaltlose Zahlung von in Rechnung gestellten, aber vertraglich nicht geschuldeten Nebenkostenpositionen keine stillschweigende vertragliche Erweiterung der umlagefähigen Nebenkosten gesehen werden kann, sondern dass dafür weitere Umstände vorliegen müssen (Senatsbeschluss vom 29. Mai 2000 - XII ZR 35/00 - NJW-RR 2000, 1463; BGH Urteil vom 10. Oktober 2007 - VIII ZR 279/06 - NJW 2008, 283). Voraussetzung für eine solche vertragliche Erweiterung der umlagefähigen Nebenkosten ist zunächst ein entsprechendes Angebot des Vermieters. Ein solches liegt vor, wenn der Mieter Grund zu der Annahme hat, der Vermieter erstrebe mit der Abrechnung von nicht als umlagefähig vereinbarten Nebenkostenpositionen eine vertragliche Erweiterung. Dafür reicht die bloße Übersendung einer vom Mietvertrag abweichenden Nebenkostenabrechnung allerdings in der Regel nicht aus. Vielmehr bedarf es besonderer Umstände, aus denen für den Mieter der Änderungswille des Vermieters erkennbar ist. Solche lagen in dem von der Revision angeführten durch Senatsbeschluss vom 29. Mai 2000 (XII ZR 35/00 - NJW-RR 2000, 1463) entschiedenen Fall vor. Dort war für den Mieter aufgrund des nach einem Vermieterwechsel von dem neuen Vermieter erstmals erheblich erweiterten Umfangs der in die Abrechnung eingestellten Nebenkostenpositionen dessen Änderungswille erkennbar. Durch die über mehrere Jahre erfolgte vorbehaltlose Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten hatte der Mieter dieses Angebot des Vermieters auf Erweiterung der Umlagevereinbarung angenommen.
- 31
- 3. Die geltend gemachten Nebenkosten sind auch nicht verwirkt.
- 32
- Der Rechtsgedanke der Verwirkung, der auch im Miet- und Pachtrecht gilt, ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchli- chen Verhaltens. Danach ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Die Annahme einer Verwirkung setzt somit neben dem Zeitablauf das Vorliegen besonderer ein solches Vertrauen des Verpflichteten begründender Umstände voraus (Senatsurteil vom 19. Oktober 2005 - XII ZR 224/03 - NJW 2006, 219 f. m.w.N.). Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls.
- 33
- a) Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass für die Bestimmung des Zeitmoments auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Abrechnungen für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 15. Februar 2004, aus denen sich die Zahlungsansprüche ergeben, abzustellen ist. Denn nur wenn zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Kläger die Abrechnung hätten vornehmen müssen und dem Zugang der Abrechnung bei der Beklagten ein längerer Zeitraum liegt, kann das Zeitmoment erfüllt sein.
- 34
- Diese Voraussetzung liegt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, für die Abrechnungszeiträume 2003 und 2004 nicht vor. Die Kläger waren zum Zeitpunkt des Zugangs dieser Abrechnungen, am 23. September 2004, noch nicht zur Abrechnung verpflichtet.
- 35
- Allerdings haben die Parteien im Mietvertrag lediglich den Abrechnungszeitraum auf das Kalenderjahr festgelegt (§ 6 Ziff. 2). Sie haben keine Frist vereinbart , innerhalb derer die Kläger nach Ablauf des Abrechnungszeitraums die Abrechnung erteilen sollten. Aus der Festlegung des Abrechnungszeitraums auf das Kalenderjahr lässt sich nämlich keine Zusage der Kläger entnehmen, die Abrechnung bereits jeweils am Ende des abzurechnenden Kalenderjahres zu erstellen. Eine solche Verpflichtung hätten die Kläger schon aus tatsächlichen Gründen nicht erfüllen können, da die während des Abrechnungszeitraums angefallenen Kosten erst nach dessen Ablauf ermittelt werden können.
- 36
- Eine Frist, innerhalb derer die Abrechnung der Nebenkosten erteilt werden muss, ist für die Geschäftsraummiete auch nicht gesetzlich geregelt. Lediglich für die Wohnraummiete bestimmt der durch das Mietrechtsreformgesetz (BGBl. I S. 1149) eingefügte § 556 Abs. 3 Satz 2 BGB, dass der Vermieter dem Mieter die Abrechnung spätestens bis zum Ablauf des zwölften Monats nach dem Ende des Abrechnungszeitraums mitzuteilen hat. Vor Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes, am 1. September 2001, galt diese Abrechnungsfrist nur für öffentlich geförderte preisgebundene Wohnungen (§ 20 Abs. 3 Satz 4 NMV).
- 37
- In Rechtsprechung und Literatur war schon in der Vergangenheit überwiegend angenommen worden, dass auch für die Geschäftsraummiete eine entsprechende Frist gilt (OLG Hamburg NJW-RR 1989, 82; OLG Düsseldorf ZMR 1998, 219; OLG Düsseldorf Grundeigentum 2005, 303; OLG Frankfurt NZM 2000, 186; Langenberg Betriebskostenrecht der Wohn- und Gewerberaummiete 5. Aufl. G IV Rdn. 67; Schmidt-Futterer/Langenberg Mietrecht 9. Aufl. § 556 BGB Rdn. 447; Wolf/Eckert/Ball Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht-, und Leasingrechts 10. Aufl. Rdn. 531; Lindner-Figura/Oprée/Stellmann /Beyerle Geschäftsraummiete 2. Aufl. Kap. 11 Rdn. 143; Sternel Mietrecht aktuell 4. Aufl. V Rdn. 366, 367; Fritz Gewerberaummietrecht 4. Aufl. Rdn. 137 a; Staudinger/Weitemeyer [Neubearbeitung 2006] § 556 BGB Rdn. 104; Schmid ZMR 2002, 727, 731).
- 38
- Der Senat teilt die Ansicht, dass die angemessene Frist für die Abrechnung von Nebenkosten für Geschäftsräume in der Regel spätestens ein Jahr nach Ablauf des Abrechnungszeitraums endet, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben oder der Vermieter eine verspätete Abrechnung nicht zu vertreten hat.
- 39
- Der Vermieter von Geschäftsräumen ist, soweit der Mieter Vorauszahlungen auf die Nebenkosten zu leisten hat, ebenso wie der Vermieter von Wohnräumen verpflichtet, diesem binnen angemessener Frist eine Abrechnung über die Nebenkosten zu erteilen, aus der sich ergibt, ob der Mieter Nachzahlungen zu leisten oder Geld zurückzuerhalten hat. Bei der Bestimmung der angemessenen Frist ist zum einen dem Interesse der Mietvertragsparteien an einer alsbaldigen Klarheit über die ständig neu entstehenden gegenseitigen Rechte und Pflichten Rechnung zu tragen. Zum anderen ist darauf abzustellen, welchen Zeitraum der Vermieter benötigt, um die Abrechnung zu erteilen. Dafür ist von Bedeutung, wann ihm die Abrechnungsunterlagen vorliegen. Da für die Angemessenheit der Abrechnungsfrist bei der Geschäftsraummiete keine anderen Gesichtspunkte entscheidend sind als bei der Wohnraummiete, kann für die Geschäftsraummiete davon ausgegangen werden, dass bei Fehlen einer vertraglichen Vereinbarung die Abrechnung über die Nebenkosten, wie bei der Wohnraummiete, in der Regel spätestens bis zum Ablauf des zwölften Monats nach dem Ende des Abrechnungszeitraums zu erteilen ist. Daraus folgt allerdings zunächst nur, dass der Mieter ab diesem Zeitpunkt den Vermieter auf Erteilung der Nebenkostenabrechnung in Anspruch nehmen kann und keine weiteren Vorauszahlungen auf die Nebenkosten mehr erbringen muss. Ein Ausschluss mit Nachforderungen, wie er für die Wohnraummiete gilt, ist, wie oben ausgeführt, damit nicht verbunden.
- 40
- Da die Abrechnung für 2003 und 2004 am 23. September 2004, folglich vor Ablauf eines Jahres nach Ende des jeweiligen Abrechnungszeitraums, und damit bereits vor Fälligkeit der Beklagten zugegangen ist, ist schon das für die Verwirkung erforderliche Zeitmoment nicht erfüllt.
- 41
- b) Für den Abrechnungszeitraum 2002 fehlt es, wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, jedenfalls an den für eine Verwirkung erforderlichen vertrauensbildenden Umständen. Die Beklagte hatte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von vornherein die beanstandeten Nebenkosten bei ihrer Preiskalkulation nicht berücksichtigt, obwohl sie im Mietvertrag als umlagefähig ausgewiesen waren. Sie hat es folglich gerade nicht im Vertrauen auf die frühere Abrechnungspraxis versäumt, eventuelle Mehrkosten auf ihre Kunden abzuwälzen. Die Beklagte behauptet auch nicht, sie habe zu Beginn des Mietvertrages Rücklagen für die streitigen Nebenkostenpositionen gebildet und dies später aufgrund der Abrechnungspraxis der Kläger unterlassen.
- 42
- Entgegen der Ansicht der Revision begründet die Abrechnung durch professionelle Verwalter kein Vertrauen der Beklagten auf die Richtigkeit der Abrechnungen. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass professionellen Verwaltern keine Fehler bei der Abrechnung unterlaufen. Darüber hinaus ist hier offen geblieben, weshalb die Nebenkosten nicht im vertraglich vereinbarten Umfang in Rechnung gestellt worden sind.
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 01.06.2006 - 27 O 429/05 -
OLG Köln, Entscheidung vom 12.01.2007 - 1 U 34/06 -
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht von der Beklagten rückständige Miete für die Zeit von Januar 1998 bis Dezember 2000 aus einem am 15. September 1992 zwischen der Beklagten, die damals als K. -I. Warenhandelsgesellschaft mbH firmierte, und dem damaligen Eigentümer des Mietobjekts abgeschlossenen Mietvertrag über Gewerberäume. Dieser verkaufte das Mietobjekt an eine GbR, deren Gesellschafter der Ehemann der Klägerin und die Eigentümergemeinschaft "A. S. ", bestehend aus dem Ehemann der Klägerin und der T. -GmbH (ab 10. März 1995: T. -AG), waren. Zur Sicherung eines am 30. Januar 1995 aufgenommenen Kredits trat die GbR die Mietzinsansprüche gegen die Beklagte an die I. bank (im Folgenden: I. Bank) ab. Im Jahr 1998 zahlte die Beklagte an die I. Bank auf die vereinbarte Miete von 207.879,55 DM nur 90.675,70 DM.
- 2
- Mit Vertrag vom 28. September 1998 trat die Eigentümergemeinschaft "A. S. ", vertreten durch den Ehemann der Klägerin, unter Hinweis darauf, dass die bereits erfolgte Abtretung an die I. Bank bei einem Verkauf des Objekts an die Klägerin demnächst aufgehoben werde, und weiteren Hinweis auf bestehende Mietrückstände von ca. 90.000 DM sämtliche Mietzinsansprüche aus dem Mietvertrag an die Klägerin ab.
- 3
- Nachdem mit Beschluss des Amtsgerichts vom 8. Dezember 1998 auf Betreiben der I. Bank die Zwangsverwaltung des Mietgrundstücks angeordnet worden war, zahlte die Beklagte ab 1. Januar 1999 bis zur Aufhebung der Zwangsverwaltung am 14. September 2000 an den Zwangsverwalter im Jahr 1999 eine um 15 % und danach bis September 2000 eine in unterschiedlicher Höhe gekürzte Miete.
- 4
- Die I. Bank teilte der Generalbevollmächtigten der Beklagten mit Schreiben vom 9. Oktober 2000 mit, dass sie "per 14.9.2000 (Aufhebung der Zwangsverwaltung durch das Gericht)" keine Rechte aus der Abtretung der Mietforderungen mehr herleite. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2000 bestätigte sie diese Erklärung gegenüber den Bevollmächtigten der Klägerin.
- 5
- Die Klägerin, die mit notariellem Kaufvertrag vom 12. Mai 2000 das Mietgrundstück erworben hatte und am 7. März 2001 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen worden ist, forderte die Beklagte, vertreten durch ihren Ehemann , mit Schreiben vom 20. Dezember 2000 und 20. November 2001 zur Zah- lung der mit der Klage geltend gemachten behaupteten rückständigen Miete auf.
- 6
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 7
- Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I.
- 8
- Das Berufungsgericht führt im Wesentlichen aus:
- 9
- Die Klägerin habe durch die widerspruchslose Hinnahme der gekürzten Miete über einen längeren Zeitraum ihr Nachforderungsrecht auf die volle Miete gemäß § 539 BGB a.F. analog "verwirkt". Die Partner eines Mietverhältnisses könnten in der Regel davon ausgehen, dass laufend zu erfüllende Ansprüche zeitnah geltend gemacht würden. Deshalb sei es - zumindest für die Zeit vor Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes am 1. September 2001 - herrschende Meinung gewesen, dass der Mieter in analoger Anwendung des § 539 BGB a.F. sein Recht zur Minderung verliere, wenn er den Mietzins vorbehaltlos und ungemindert über einen Zeitraum von sechs Monaten gezahlt habe. Die Gewährleistungsrechte seien dann für die Vergangenheit und die Zukunft ausgeschlossen gewesen, ohne dass es eines weiteren Vertrauenstatbestands auf Seiten des Vermieters bedurft hätte. Diese Grundsätze seien spiegelbildlich auch auf den hier vorliegenden Fall anzuwenden, in dem der Vermieter über einen längeren Zeitraum widerspruchslos die restliche Miete nicht verlange. Ob für den Verlust des Nachforderungsrechts ebenfalls eine Frist von sechs Monaten ausreichend sei, bedürfe für den vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung. Die Beklagte habe ab Januar 1998 den Mietzins nicht mehr in voller Höhe gezahlt. Die erste dokumentierte Reaktion der Vermieterseite sei das Schreiben des Zwangsverwalters vom 20. Januar 2000 gewesen. Unabhängig davon, ob es sich bei diesem Schreiben überhaupt um eine Aufforderung zur Zahlung des Mietrückstandes handele, sei eine Frist von zwei Jahren jedenfalls ausreichend. Ein Nachforderungsanspruch sei somit im Januar 2000 "verwirkt" gewesen.
- 10
- Dies gelte auch für die weiter bis Dezember 2000 geltend gemachten Nachforderungen. Denn ein einmal verwirktes Forderungsrecht könne jedenfalls so lange nicht geltend gemacht werden, wie sich an den Umständen nichts verändert habe. Ebenso wie das Minderungsrecht des Mieters auch für die nach Eintritt der Verwirkung entstehenden, künftigen Mietzinsansprüche ausgeschlossen sei, könne auch ein Nachforderungsrecht des Vermieters nicht neu entstehen. Der Anspruch sei vielmehr insgesamt "verwirkt".
- 11
- Eine Neuentstehung komme in Anlehnung an die Senatsentscheidung vom 26. Februar 2003 (- XII ZR 66/01 - NJW-RR 2003, 727, 728) zudem erst ab dem Zeitpunkt in Betracht, in dem ein auf Seiten des Mieters bestehender Vertrauenstatbestand wieder entfallen sei. Dafür reiche ein einfaches Aufforderungsschreiben des Vermieters zur Zahlung nicht aus. Vielmehr sei zu fordern, dass der Vermieter den Mieter mit der Zahlung des vollen Mietzinses in Verzug setze, dem Mieter die gerichtliche Geltendmachung androhe und im Falle der Nichtzahlung zeitnah die gerichtliche Geltendmachung auch betreibe. Dies sei hier jedenfalls bis Dezember 2000 nicht geschehen, so dass auch diese Ansprüche verwirkt seien.
- 12
- Das Berufungsgericht hat die Revision zur Klärung der Frage, unter welchen konkreten Voraussetzungen ein Nachforderungsrecht des Vermieters auf Zahlung rückständiger Miete verwirkt werden bzw. nachträglich wieder aufleben kann, zugelassen.
II.
- 13
- Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
- 14
- 1. Das Berufungsurteil leidet allerdings entgegen der Annahme der Revision nicht an einem Verfahrensmangel. Zwar enthält es keine wörtliche Wiedergabe der Berufungsanträge. Aus dem Zusammenhang ergibt sich jedoch, daß die Klägerin mit der Berufung ihren unveränderten Sachantrag gegen das ihre Klage abweisende erstinstanzliche Urteil weiterverfolgt. Das genügt den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO (BGHZ 154, 99, 100 f.).
- 15
- 2. Das Berufungsgericht ist auch entgegen der Annahme der Revisionserwiderung in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen , daß die Klägerin aufgrund des Abtretungsvertrages vom 28. September 1998 berechtigt ist, Mietnachforderungen auch für die Zeit vor deren deren Rückübertragung von der I. Bank an die GbR am 9. Oktober 2000 geltend zu machen. Die Auslegung der Erklärung der I. Bank dahin, dass sie bezüglich sämtlicher offenen Mietforderungen (und nicht etwa nur solcher, die nach der Aufhebung der Zwangsverwaltung entstanden sind) keine Rechte aus der Abtretung mehr herleite, begegnet keinen Bedenken.
- 16
- 3. Zu Recht wendet sich die Revision aber gegen die Ansicht des Berufungsgerichts , § 539 BGB a.F. könne analog auf rückständige Mietzinsansprüche des Vermieters angewandt werden, die aus einer über längere Zeit widerspruchslos hingenommenen Kürzung der Miete herrühren (gegen Analogie: Wichert ZMR 2000, 65, 68; Kandelhard NZM 2005, 43 ff.; Kraemer in Bub/Treier Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 3. Aufl. Kap. III Rdn. 1367; Blank/Börstinghaus Miete 2. Aufl. § 536 Rdn. 77; für Analogie: OLG Hamburg WuM 1999, 281; Ventsch/Storm NZM 2003, 577, 579 f.; differenzierend : Timme NZM 2003, 508, 509).
- 17
- Die Klägerin hat nicht bereits dadurch, dass sie über einen längeren Zeitraum einen Mietabzug der Beklagten widerspruchslos hingenommen hat, ihren Anspruch auf rückständige Miete gemäß § 539 BGB a.F. analog verwirkt.
- 18
- Die ständige Rechtsprechung und überwiegende Kommentarliteratur haben zwar bis zum Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1149) am 1. September 2001 angenommen, dass der Mieter das Recht zur Mietminderung wegen eines nachträglich eingetretenen oder ihm bekannt gewordenen Mangels der Mietsache in entsprechender Anwendung des § 539 BGB a.F. verliert, wenn er die Miete ungekürzt über einen längeren Zeitraum und ohne Vorbehalt weiter zahlt. Dabei wurde eine Frist von sechs Monaten im Regelfall als "längerer Zeitraum" angesehen (vgl. hierzu: BGHZ 155, 380, 385 m.w.N.). Diese für die neue Gesetzeslage vom Bundesgerichts- hof aufgegebene Rechtsprechung (BGHZ aaO; Senatsbeschluß vom 16. Februar 2005 - XII ZR 24/02 - DWW 2005, 153) kann jedoch auch für die Zeit vor Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes nicht auf die Nachforderungsansprüche des Vermieters, der die Kürzung der Miete über längere Zeit widerspruchslos hingenommen hat, übertragen werden.
- 19
- Insoweit fehlt es schon an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke (vgl. dazu BGHZ 155, 380, 389; 149, 165, 174). Das Gesetz enthält mit der Verjährungsvorschrift des § 197 BGB eine Regelung für den Fall, dass der Vermieter seine Ansprüche auf Miete längere Zeit nicht geltend macht. Die Fälle, in denen ausnahmsweise bereits vor Ablauf der Verjährungsfrist die Nachforderung von Miete infolge längeren Zeitablaufs und weiterer vertrauensbildender Umstände nach Treu und Glauben ausgeschlossen ist, werden von dem aus § 242 BGB entwickelten Rechtsinstitut der Verwirkung erfasst.
- 21
- 4. Die Klägerin kann die geltend gemachte rückständige Miete daher nur dann nicht verlangen, wenn neben dem Zeitmoment auch die weiteren Voraussetzungen der Verwirkung vorliegen (vgl. Senatsurteil vom 26. Februar 2003 - XII ZR 66/01 - aaO).
- 22
- a) Der Rechtsgedanke der Verwirkung, der auch im Miet- und Pachtrecht gilt, ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens (BGH Urteil vom 29. Februar 1984 - VIII ZR 310/82 - NJW 1984, 1684; Gramlich in Bub/Treier aaO Kap. VI Rdn. 101; Blank/Börstinghaus aaO § 548 Rdn. 64). Danach ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Senatsurteile BGHZ 84, 280, 281; BGHZ 105, 290, 298; BGH Urteil vom 14. November 2002 - VII ZR 23/02 - NJW 2003, 824; MünchKomm /Roth 4. Aufl. § 242 BGB Rdn. 464 m.w.N.).
- 23
- Die Annahme einer Verwirkung setzt somit neben dem Zeitablauf (sog. Zeitmoment) das Vorliegen besonderer, ein Vertrauen des Verpflichteten begründender Umstände voraus (sog. Umstandsmoment). Zwischen diesen Umständen und dem erforderlichen Zeitablauf besteht eine Wechselwirkung insofern , als der Zeitablauf um so kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und dass umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (BGHZ 146, 217, 224 f.). Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls (MünchKomm/Roth § 242 BGB Rdn. 469 m.w.N.; Schmidt-Futterer/Gather Mietrecht 8. Aufl. § 548 Rdn. 19).
- 24
- b) Das Berufungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - lediglich zum Zeitablauf Feststellungen getroffen, nicht aber zu den Umständen, die den Schluss rechtfertigen könnten, die Beklagte habe bereits darauf vertrauen können , dass die Klägerin die Forderung nicht mehr geltend mache, und sie sich hierauf auch eingerichtet habe.
- 25
- Zum Zeitablauf hat das Berufungsgericht festgestellt, dass zwischen dem Beginn der gekürzten Mietzahlung, dem 1. Januar 1998, und der ersten - allerdings nicht die Mietrückstände betreffenden - Reaktion von Vermietersei- te, einem Schreiben des Zwangsverwalters vom 20. Januar 2000, zwei Jahre liegen. Die Revisionserwiderung weist insoweit zu Recht darauf hin, daß die erste Aufforderung zur Zahlung der rückständigen Miete mit Schreiben der Klägerin vom 20. Dezember 2000 erfolgt ist.
- 26
- Dieser Zeitraum, innerhalb dessen die GbR als Vermieterin, die I. Bank als Zessionarin und der Zwangsverwalter die Mietkürzung widerspruchslos hingenommen haben, reicht grundsätzlich aus, um das für die Annahme einer Verwirkung erforderliche Zeitmoment als erfüllt anzusehen.
- 27
- Die Klägerin muss sich als Zessionarin diese Zeit der Untätigkeit gemäß § 404 BGB auch entgegenhalten lassen. Nach § 404 BGB kann die Beklagte der Klägerin die Einwendungen entgegensetzen, die zur Zeit der Abtretung der Forderung gegen die GbR begründet waren. § 404 BGB dient dem Zweck, eine Verschlechterung der Verteidigungsmöglichkeiten des Schuldners infolge der Forderungsabtretung zu verhindern (BGH Urteil vom 23. März 2004 - XI ZR 14/03 - NJW-RR 2004, 1347, 1348 m.w.N.; MünchKomm/Roth 4. Aufl. § 404 BGB Rdn. 10). Daher umfasst die Vorschrift auch Einwendungen des Schuldners , die zum Zeitpunkt der Abtretung lediglich im Schuldverhältnis angelegt waren und erst später entstanden sind (vgl. BGH aaO; BGHZ 25, 27, 29; 93, 71, 79).
- 28
- Hier ist die Abtretung der Mietforderungen von der GbR an die Klägerin (28. September 1998) erst mit dem Verzicht der I. Bank auf ihre Rechte aus der zeitlich früheren Abtretung im Jahr 1995, somit am 9. Oktober 2000, wirksam geworden. Denn durch die frühere Abtretung hatte die GbR ihre Gläubigerstellung und damit die Verfügungsbefugnis verloren. Erst durch die in dem Verzicht der I. Bank zu sehende stillschweigende Rückabtretung der Mietforderungen (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 1985 - VII ZR 305/84 - NJW 1986, 977) ist die GbR wieder Berechtigte geworden, so dass die Abtretung an die Klägerin durch Konvaleszenz (§ 185 Abs. 2 Satz 1 BGB) frühestens am 9. Oktober 2000 wirksam geworden ist.
- 29
- Zu diesem Zeitpunkt konnte sich die Beklagte gegenüber der GbR auf die widerspruchslose Hinnahme der Mietkürzungen durch die I. Bank berufen (§ 404 BGB). Die GbR musste sich auch gemäß § 242 BGB von der Beklagten die Untätigkeit des für die Dauer der Zwangsverwaltung in die Rechte und Pflichten aus dem Mietvertrag eingetretenen (Böttcher ZVG 4. Aufl. § 152 Rdn. 41) Zwangsverwalters entgegenhalten lassen. Denn ein Wechsel auf Seiten des Berechtigten oder Verpflichteten ist für das Zeitmoment bei der Verwirkung grundsätzlich ohne Bedeutung (MünchKomm/Roth § 242 BGB Rdn. 490; Staudinger/Schmidt BGB 13. Aufl. § 242 Rdn. 570); er kann allenfalls im Rahmen der zu beurteilenden Umstände des Einzelfalls für die Frage der Verwirkung zu berücksichtigen sein.
- 30
- c) Über den bloßen Zeitablauf hinaus müssen jedoch für die Annahme der Verwirkung weitere Umstände vorliegen, die das Vertrauen der Beklagten begründen, die nicht gezahlten Mieten würden nicht mehr geltend gemacht.
- 31
- Solche Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen.
- 32
- Die Beklagte hat substantiiert unter Beweisantritt vorgetragen, sie habe die GbR, vertreten durch den Ehemann der Klägerin, die I. Bank und den Zwangsverwalter wiederholt zur Beseitigung von Mängeln aufgefordert und nach vorherigen Ankündigungen Notreparaturen vorgenommen, deren Kosten sie jeweils mit der Miete verrechnet habe. Diese Behauptungen sind im Hinblick darauf, dass weder die GbR noch die I. Bank noch der Zwangsverwalter auf die Schreiben reagiert haben, für die Beurteilung, ob die Beklagte darauf vertrauen durfte, die Mietkürzungen würden angesichts der gerügten und nicht behobe- nen Mängel akzeptiert, entscheidungserheblich. Da die Klägerin den Zugang der Schreiben bestritten hat, ist darüber Beweis zu erheben.
- 33
- 5. Der Senat ist deshalb nicht in der Lage abschließend zu entscheiden. Der Rechtsstreit muß an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit es, gegebenenfalls nach ergänzendem Parteivortrag und Beweiserhebungen, die erforderlichen Feststellungen zum Umstandsmoment treffen und einer Gesamtwürdigung unterziehen kann.
Vorinstanzen:
LG Magdeburg, Entscheidung vom 31.03.2003 - 4 O 1406/02 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 04.11.2003 - 9 U 50/03 -
(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.
(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.
(1) Bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis, einer Dienstpflicht oder einer Tätigkeit, die anstelle einer gesetzlichen Dienstpflicht geleistet werden kann, bei Ansprüchen von Arbeitnehmern auf wiederkehrende Leistungen sowie in Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen dem Grunde oder der Höhe nach geltend gemacht oder abgewehrt werden, ist der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgebend, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist. Ist im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit die Höhe des Jahresbetrags nicht nach dem Antrag des Klägers bestimmt oder nach diesem Antrag mit vertretbarem Aufwand bestimmbar, ist der Streitwert nach § 52 Absatz 1 und 2 zu bestimmen.
(2) Für die Wertberechnung bei Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend; eine Abfindung wird nicht hinzugerechnet. Bei Rechtsstreitigkeiten über Eingruppierungen ist der Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrags zur begehrten Vergütung maßgebend, sofern nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist.
(3) Die bei Einreichung der Klage fälligen Beträge werden dem Streitwert hinzugerechnet; dies gilt nicht in Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen. Der Einreichung der Klage steht die Einreichung eines Antrags auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe gleich, wenn die Klage alsbald nach Mitteilung der Entscheidung über den Antrag oder über eine alsbald eingelegte Beschwerde eingereicht wird.
Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.