Amtsgericht Sangerhausen Beschluss, 27. Apr. 2014 - 2 Ber 2604/14
Gericht
Tenor
1. Der Betroffenen wird Frau Rechtsanwältin …. als Verfahrenspflegerin beigeordnet.
2. § 17 Abs. 1 und Abs. 3 PsychKG des Landes Sachsen-Anhalt verstoßen gegen Artikel 5 Abs. 2 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz.
3. Die Verfassungswidrigkeit ergibt sich daraus, dass § 17 Abs. 1 und 3 PsychKG-LSA keine verfahrensmäßigen Sicherungsmechanismen hinsichtlich von Zwangsbehandlungen enthalten.
4. Das Verfahren wird gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Landesverfassungsgericht zur Entscheidung nach Art. 75 Nr. 5 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vorgelegt.
Gründe
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Der Landkreis … hat am einen Antrag gemäß § 14 PsychKG - LSA auf vorläufige Unterbringung nach § 331 FamFG in schriftlicher Form gestellt. Beigefügt war ein ärztliches Zeugnis des Stationsarztes… Als ärztlicher Befund wurde eine Psychose mit der Krankheitsbezeichnung Paranoide Schizophrenie angegeben. Nach schriftlicher Auffassung des Arztes besteht bei der betroffenen Person momentan die gegenwärtige erhebliche Gefahr, dass sich die Betroffene infolge einer Krankheit, Störung oder Behinderung im Sinne des § 1 Nr. 1 des o.g. Gesetzes schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden zufügt (Eigengefährdung) und das die öffentliche Sicherheit und Ordnung Schaden nimmt (Fremdgefährdung) was sich durch folgende Verhaltensweisen des Betroffenen darstellt:
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Notfallmäßige Einweisung in Polizeibegleitung aufgrund einer Fremdgefährdung. Patientin legte Feuer auf dem Balkon. Aktuell akut psychotisch formales Denken zerfahren, sprunghaft und verworren. Inhaltliches Denken von Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn geprägt. Affekt labil und impulsiv versuchte über Mauer weglaufen. Krankheitsuneinsichtig, verweigert zeitweise medikamentöse Therapie. Kann die Folgen ihres Handels nicht einschätzen. Dadurch Eigen- und Fremdgefährdung.
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Bei der Anhörung überreichte der Stationsarzt, der nach der Überzeugung des Gerichtes in der Psychiatrie erfahren ist, eine ärztliche Stellungnahme über den Zustand der Betroffenen. Unter Diagnosen wurde ausgeführt, F20.0 Paranoide Schizophrenie ... Wegen der Anamnese wird auf die beiliegende ärztliche Stellungnahme Bezug genommen, soweit nicht folgendes ausgeführt wird:
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Frau … wurde erstmalig durch den ärztlichen Notdienst stationär eingewiesen… Es bestehe Eigen- und Fremdgefährdung und seitens der Patientin keine Einsichtsfähigkeit, etwas getan zu haben, was man nicht darf. Die Patientin sei freiwillig mit in die Klinik gekommen, um sich untersuchen zu lassen. Auf der Fahrt ins Krankenhaus hätte sie kein Wort gesprochen. Hier angekommen, wollte sich die Patientin zunächst nicht untersuchen lassen, gestattete dies dann doch. In der Befragung gab sie an, dass es nicht das erste Mal sei, dass sie auf dem Balkon ihrer Wohnung Zeitungen und Papiere verbrannt hätte … Sie dürfe das alles verbrennen. Es sei ja ihre Wohnung. Sie habe mindestens 20 Feinde, die hinter ihr her seien. Die Mutter und der Stiefvater seien auch dabei… Die inzwischen angetroffene Polizei, die hinzugebeten wurde, weil die Patientin sich gegen die Verbringung auf die Station wehrte, gab an, dass es in Sangerhausen sehr viel und häufig brenne. Allein bei der Patientin sei man in den letzten Tagen mindestens zweimal gewesen… Sie bleibe auf gar keinen Fall freiwillig, weil sie nichts getan hätte.
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Als Aufnahmebefund wurde folgendes festgestellt:
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Wach, bewusstseinsklar, soweit bei fehlender Compliance prüfbar erschien die Patientin zu allen Qualitäten vollständig orientiert; deutliche Minderung der Aufmerksamkeit und Konzentration; gehemmte und eingeengte Denkabläufe. Im Untersuchungsgespräch klang die eine Warnstimmung unter Beeinträchtigungs- bzw. Verfolgungswahn an. Es bestanden erhebliches Misstrauen und eine Abwehrhaltung. Die Untersuchung ließ die Patientin erst nach mehrmaligen Anläufen zu. Für Sinnestäuschungen ergab sich kein Anhalt. Die Symptome einer Ich-Störung waren nicht prüfbar. Es bestanden Affektarmut und eine erhebliche innere Gespanntheit. Ein Krankheitsgefühl bzw. ein Krankheitswissen bestanden nicht. Die Patientin hielt sich für absolut gesund. Ihre Antriebslage war gesteigert. Wegen bestehender alter Narben im Bereich zwischen der Mammae war eine frühere Selbstschädigung annehmbar. Auffällig war ihr Verhalten. Die Patientin war fast vermummt gekleidet, trug über einer Strickmütze noch ein schwarzes Kapuzen-T-Shirt, was sie sich auch über die Hände zog. Sie mied den Blickkontakt, sprach in einsilbiger Sprechweise mit zunächst zaghafter Stimme und sichtlich gegen ihre Überzeugung, überhaupt zu sprechen. Die Kleidung der Patientin wies einen intensiven Rauchgeruch auf. Die Stimme der Patientin wurde lauter und durchsetzungsfähiger bei ihrer Weigerung, freiwillig hier zu bleiben. Die Patientin bestritt auch, sich umbringen zu wollen. Die Gefahr, dass es sich um einen Suizidversuch handelte, war dennoch gegeben. Der Händedruck der Patientin war zaghaft und sie zog sofort ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt.
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Neurologischer Befund:
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Soweit bei fehlender Compliance prüfbar regelrechter Status…
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Hinsichtlich der weiteren Ausführungen wurde auf die vorliegende ärztliche Stellungnahme Bezug genommen.
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Das Gericht hat am … eine Anhörung der Betroffenen durchgeführt und den Zeugnis erstatteten Arzt um eine mündliche Ergänzung des schriftlichen Zeugnis ersucht. Der Arzt hat sein Zeugnis wie folgt ergänzt:
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Nach dem Anfang über eine Symptomatik nach dem Borderline-Syndrom nachgedacht wurde, hat sich im Laufe der Aufnahmeuntersuchung die Paranoide Schizophrenie herauskristallisiert. Die Betroffene hat Wahngedanken. Sie denkt, dass ihre Schwester, die in Frankreich lebt, verhindern kann, dass sie selbst hier in Deutschland Geld bekommt. Sie hat zum Teil Augen gesehen. Diese hat sie nicht näher beschrieben. Es sei auch nicht eruierbar, was die Betroffene damit meint. Die Betroffene habe durch das Legen des Feuers eine Fremdgefährdung begangen. Dadurch dass sie am heutigen Nachmittag versucht hatte, über die Mauer des Klinikums zu klettern, hat sie sich selbst in eine Notlage begeben, sich körperlich zu verletzen. Die Betroffene hat auch die Gefahr bei dem Überklettern der Mauer sich zu verletzen, nicht erkannt. Wenn die Betroffene nicht medizinisch behandelt wird, besteht die Gefahr, dass die Gefahr weiter exazerbiert und hier eine dauerhafte Erkrankung eintreten wird. Die Betroffene wird im Falle der Entlassung die nun verabreichten Medikamente absetzen. Sie wird auch eine psychiatrische Behandlung nicht aufnehmen. Eine Verschlimmerung des Krankheitsbildes wird dadurch eintreten. Aufgrund dieser Situation besteht eine erhebliche Eigengefährdung. Eine Fremdgefährdung wird dahingehend gesehen, dass die Betroffene Wahngedanken hat und am … Papier auf dem Balkon angezündet hat, so dass ein Feuerwehreinsatz notwendig wurde.
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Die Erstattung des ärztlichen Zeugnisses erfolgte in Gegenwart der Betroffenen. Ihr wurde der Unterbringungsantrag des Landkreises … bekannt gemacht. Sie erklärte auf Befragen, dass sie weiß, warum das Gericht hier ist. Es geht darum, ob sie selbst hier bleiben müsse oder ob sie nach Hause gehen dürfe. Sie erklärt, dass sie unbedingt nach Hause gehen wolle. Sie müsse sich darum kümmern, dass ihre Schwester ihr das Geld gebe, das sie benötige. Sie habe im Moment nur 50,00 € pro Woche. Auch wolle sie gegen verschiedene Personen Strafanzeige erstatten. Darunter seien auch 2 Psychiater aus Italien. Auf Befragen erklärt sie, dass sie heute Medikamente genommen hat. Sie werde diese jedoch in Zukunft ablehnen. Sie wolle nach Hause. Sie sei gesund. Als sie über die Mauer geklettert sei, habe sie gewusst, dass sie sich verletzen könne. Das habe sie jedoch in Kauf genommen. Das Verbrennen von Papieren auf dem Balkon habe sie selbst schon ein paar Mal gemacht und habe es als nicht so besonders angesehen. Sie habe sich darüber geärgert, dass die Leute gleich die Feuerwehr gerufen haben. Das Feuer sei auch nicht sehr groß gewesen und habe in der Ecke des Balkons stattgefunden. Das Feuer sei auch, bevor die Feuerwehr gekommen sei, ausgegangen.
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Die Betroffene erklärt auf nochmaliges Befragen, sie sei überhaupt nicht krank. Einen Betreuer habe sie auch nicht.
II.
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Das Amtsgericht legt das Verfahren dem Landesverfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt zur Entscheidung nach Art. 75 Nr. 5 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vor, da es § 17 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über Hilfen für psychisch Kranke und Schutzmaßnahmen des Landes Sachsen-Anhalt vom 30.01.1992 mit Artikel 5 Abs. 2 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16.07.1992 Satz 1 Grundgesetz für unvereinbar erachtet und die Entscheidung in der Sache von der Gültigkeit der vorgenannten Bestimmung abhängig ist.
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Das Gericht erachtet die Vorlage für zulässig, obgleich es sich lediglich um den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 331 ff. FamFG handelt. Auch in den Eilverfahren sind verfassungsgerichtliche Überprüfungsentscheidungen herbeizuführen (Vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 1983, 1179). Dies gilt selbst dann, wenn wie hier, die Entscheidung im Ausgangsverfahren durch die Vorlage erheblich verzögert wird (Bundesverfassungsgericht a.a.O.).
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Das Gericht ist der festen Überzeugung, dass § 17 Abs. 1 und 3 PsychKG - LSA hinsichtlich der beabsichtigten Zwangsbehandlung verfassungswidrig ist. § 17 Abs. 1 PsychKG - LSA verstößt gegen Artikel 5 Abs. 2 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt i.V.m. Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Nach Artikel 5 Abs. 2 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt hat jeder das Recht auf Leben sowie auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Eine entsprechende Regelung findet sich in Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz.
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Die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm ist im Fall auch entscheidungserheblich. Die Betroffene lehnt die Behandlung mit Neuroleptika ab. Auch will sie aus dem stationären Umfeld entlassen werden.
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In einer Zwangsbehandlung, dass heißt einer gegen den natürlichen Willen des einwilligungsunfähigen Betroffenen durchgeführten Behandlung liegt ein tiefgreifender Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz. Zum Schutz dieses damit in erheblicher Weise tangierten Grundrechts hat das den Eingriff ermöglichende Gesetz daher neben dem möglichst klar definierten materiellen Eingriffsvoraussetzungen im besonderen Maße in verfahrensrechtlicher Weise dafür Sorge zu tragen, dass der Bedeutung des betroffenen Grundrechts hinreichend Geltung verschafft wird (vergleiche Bundesverfassungsgericht NJW 2011, 2113).
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Das Gericht ist der Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen formeller Art für eine medizinische Zwangsbehandlung nicht gegeben sind. Dies ist im vorliegenden Falle auch entscheidungserheblich.
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Vor diesem Hintergrund erachtet auch das erkennende Gericht es zum effektiven Schutz des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit für unerlässlich, dass das eine Zwangsbehandlung ermöglichende Gesetz verfahrensmäßige Sicherungsmechanismen hinsichtlich der Zwangsbehandlung enthält. Es genügt den aufgezeigten verfassungsmäßig gebotenen Anforderungen nicht, dass das Gesetz die materiellen Eingriffsvoraussetzungen definiert und deren Anwendung sodann ohne weiteres den behandelnden Arzt überlässt. Vielmehr muss das Gesetz ein geordnetes Verfahren regeln, indem sichergestellt ist, dass der Betroffene die für ihn maßgeblichen Gesichtspunkte vor Einsetzen der Zwangsbehandlung zur Geltung bringen kann (vergleiche Bundesverfassungsgericht a.a.O. BGH-Beschluss vom 20.06.2012, Az: XII ZB 99/12). § 17 Absatz 1 PsychKG LSA hält die durch Richterrecht gebildeten notwendigen Anspruchsvoraussetzungen nicht ein. Es beschränkt sich vielmehr, die Entscheidungen über Zwangsbehandlungen Untergebrachter einem behandelnden Arzt zu überlassen. Einer Zwangsbehandlung vorausgehendes Verfahren ist ebenso wenig vorgesehen, wie die Einschaltung einer unabhängigen Stelle. § 17 Abs. 1 PsychKG - LSA regelt lediglich, dass während seiner Unterbringung der Untergebrachte die nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst gebotene Heilbehandlung erhält. Das schließt eine Zwangsbehandlung ein. Zwar ist nach § 17 Abs. 2 Psych KG - LSA für die Behandlung wegen der Erkrankung die zur Unterbringung geführt hat aufgrund der Untersuchungsergebnisse ein Behandlungsplan aufzustellen. Nach § 17 Abs. 3 Psych KG - LSA sind das Ergebnis der Untersuchungen und die vorgesehene Heilbehandlung und der Behandlungsplan dem Untergebrachten zu erläutern, soweit dies ärztlich zu verantworten ist. Ist der Untergebrachte fähig, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung und Fördermaßnahmen einzusehen, soll die Erläuterung auch dem Ziel dienen, die Zustimmung des Untergebrachten zur Behandlung zu erhalten.
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In den §§ 17 Abs. 2 und Abs. 3 PsychKG - LSA fehlen jedoch verfahrensrechtliche Voraussetzungen, die dazu führen, dass das Gericht die Artikel 17 Abs. 1 und Abs. 3 Psych KG - LSA für verfassungswidrig erachtet.
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Wie das Bundesverfassungsgericht bereits ausgeführt hat, sind aufgrund des erheblichen Grundrechtseingriffes formelle Voraussetzungen für die materiellen Eingriffe erforderlich. Nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.2011 (Az: 2 BvR 882/09) gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
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Das bedeutet, dass die Maßnahme Erfolg versprechen muss. Die Zwangsmedikation muss zum anderen zu einer deutlichen Verbesserung der Heilungs- und Entlassungsaussicht führen. Das ist nach den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen gegeben. Mildere Maßnahmen versprechen keinen Erfolg. Eine weniger eingreifende Behandlung ist auch aussichtslos. Auch diesbezüglich wird auf die vorstehenden ärztlichen Stellungnahmen Bezug genommen.
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Ist der Betroffene gesprächsfähig, muss ein ernsthafter Versuch mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks vorausgegangen sein, um ein auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen. Dies ist unabhängig vorzunehmen, ob der Betroffene einwilligungsfähig oder einwilligungsunfähig ist, da es sich um einen grundrechtlichen Eingriff handelt (vgl. BVerfG a.a.O.)
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Ärztliche Aufklärung über die beabsichtigten Maßnahmen ist erforderlich, auch bei einem einwilligungsunfähigen ist sie nicht von vornherein entbehrlich. Zwar ist die zu erreichen eine Einwilligung funktionslos, aber auch der einwilligungsunfähige darf grundsätzlich nicht über das Ob und Wie einer Behandlung, der er unterzogen wird, im Unklaren gelassen werden (vgl. BVerfG a.a.O.).
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Die Erforderlichkeit bestimmt auch, dass für die Auswahl konkret anzuwendenden Maßnahmen nach Art und Dauer einschließlich Auswahl und Dosierung einzusetzende Medikamente und begleitende Kontrollen erfolgen muss.
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Über die Geeignetheit und Erforderlichkeit hinaus darf die Behandlung nicht mit Belastungen verbunden sein, die außer Verhältnis zum erwarteten Nutzen stehen. Lediglich in § 17 Abs. 4 Psych KG - LSA ist eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Untergebrachten im Kernbereich verändern würde als unzulässig geregelt. Damit ist diese Vorschrift nicht ausreichend.
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Die Angemessenheit ist nur gewahrt, wenn unter Berücksichtigung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten der zu erwartenden Nutzen der Behandlung den möglichen Schaden der Nichtbehandlung überwiegt. Dabei wird ein deutlich feststellbares Überwiegen des Nutzens gefordert. Auch hier bietet das Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt keine Rechtsgrundlage.
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Die Ankündigung muss so erfolgen, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, rechtzeitig Rechtsschutz zu suchen. Dies ergibt sich aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. mit 19 Abs. 4 Grundgesetz. Auch eine solche Regelung ist hier im Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt nicht gegeben. Der Betroffene muss aufgrund der vorgenannten Vorschriften die Gelegenheit haben, vor Schaffung vollendeter Tatsachen eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Dazu reicht es nicht aus, dass das Gericht lediglich die Unterbringung genehmigt. Entscheidend ist, dass der Betroffene vor jeder einzelnen Behandlungsmaßnahme, die mit Zwangscharakter verbunden ist, die Möglichkeit hat, Rechtsschutz zu suchen. Hier ist der von Verfassungswegen verfahrensfähige Betroffene zumindest erforderlich mit Hilfe eines Verfahrenspflegers rechtzeitig gegen die Erteilung der Einwilligung vorgehen müssen. Die Ankündigung einer solchen Zwangsmaßnahme muss in der Weise konkretisiert werden, die die Wahrung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffes sichert und eine hierauf gerichtete gerichtliche Überprüfung ermöglicht (vgl. BVerfG a.a.O.).
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Die Flexibilität der fachgerechten ärztlichen Reaktion darf nicht über Gebühr beeinträchtigt werden.
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Zwar kann die Angemessenheit der Maßnahme nur auf Grundlage ärztlichen Sachverstandes möglich sein. Das Gericht muss aber sich diesen verschaffen. Das ist im vorliegenden Fall nicht möglich, da das Gericht lediglich zu Beginn der Entscheidung feststellt, dass eine ärztliche Behandlung erfolgen muss (BVerfG a.a.O.).
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Bei einer Zwangsbehandlung, wie im vorliegenden Fall, mit Neuroleptika, muss unbeschadet der Pflicht, sie auch innerhalb der vorgesehenen Laufzeit jederzeit abzurechen, die Konkretisierung sich auf die geplante Dauer der Maßnahme beziehen. Auch das ist im vorliegenden Falle nicht gegeben. Im Psych KG - LSA nicht geregelt.
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Zur Verhältnismäßigkeit einer medikamentösen Zwangsbehandlung ist darüber hinaus die Anordnung und Überwachung durch einen Arzt unabdingbar. Dazu ist eine Dokumentation von
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a) der konkreten Behandlung gegen den Willen des Betroffenen
b) dem Zwangscharakter
c) die maßgeblichen Gründe dafür
d) Überwachung der Wirkungsweise
e) vorherige Anhörung
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erforderlich.
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Auch ein solches Verfahren ist im vorliegenden Falle nicht vorgesehen. § 17 Abs. 3 Psych KG - LSA sieht zwar vor, das Ergebnis der Untersuchungen die vorgesehene Heilbehandlung und den Behandlungsplan mit dem Untergebrachten zu erläutern, dies jedoch nur soweit dies ärztlich zu verantworten ist. Auch insoweit ist eine Verfassungswidrigkeit gegeben, weil die vorgenannten Grundsätze nicht erfüllt werden.
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Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 Psych KG - LSA soll die Erläuterung auch dem Ziel dienen, die Zustimmung des Untergebrachten zur Behandlung zu erhalten, wenn der Untergebrachte fähig ist, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlungs- und Fördermaßnahmen einzusehen. Auch diese Regelung erachtet das Gericht als verfassungswidrig, da sie den vorgenannten Ausführungen nicht standhält. Wie bereits ausgeführt, ist der Betroffene, auch wenn er einwilligungsunfähig ist, über den Ablauf der Behandlung und den einzelnen Maßnahmen in Kenntnis zu setzen und nicht nur dann, wenn der Untergebrachte fähig ist, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlungs- und Fördermaßnahmen einzusehen.
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Darüber hinaus ist der Betroffene so rechtzeitig darüber zu informieren, dass es ihm möglich ist, einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen.
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Eine solche Regelung ist im Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt nicht enthalten.
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§ 17 Abs. 1 Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt ist auch insoweit keiner verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Es fehlt im § 17 Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt jegliche gesetzliche Anordnung des nach dem Bundesverfassungsgericht festgestellten zu wahrenden Verfahren. Eine Überprüfung durch das Gericht ist nicht aufgenommen.
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Die Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs. 1 Psych KG - LSA ist in diesem Falle auch entscheidungserheblich.
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Zwar hat das Gericht in dem vorliegenden Verfahren zunächst nur die Aufgabe, über die Unterbringung der Betroffenen nach § 17 Abs. 1 Psych KG zu befinden.
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Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Falle mit der hinreichend dringlichen Wahrscheinlichkeit des § 331 FamFG.
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Die Betroffene leidet an einer psychischen Krankheit im Sinne des § 1 Nr. 1 Psych KG - LSA, nämlich an einer Paranoiden Schizophrenie. Dies folgt aus dem überzeugenden schriftlichen Zeugnis des behandelnden Stationsarztes, das auch mündlich ausgeführt wurde.
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Dem ärztlichen Zeugnis nach, besteht auch die Gefahr, dass sich die Betroffene in Folge der vorgenannten Erkrankung selbst erheblich schädigt. Sie hat bereits in dem Krankenhaus versucht, über die Mauer zu klettern, ohne dabei zu erkennen, dass sie sich verletzen kann. Darüber hinaus verweigert die Betroffene über den heutigen Tag hinaus jegliche Medikation. Die Behandlung der Betroffenen ist auch unabdingbar, da sonst eine Chronifizierung der Erkrankung eintreten würde. Da die Betroffene einer Behandlung außerhalb des Krankenhauses nicht zustimmt bzw. zustimmen wird, kann die Behandlung ohne Unterbringung nicht abgewendet werden.
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Zudem liegt auch eine Fremdgefährdung vor. Nach den ärztlichen Stellungnahmen besteht die Möglichkeit, dass die Betroffene wiederum auf ihrem Balkon Feuer entfacht, weil sie krankheitsbedingt die Gefährlichkeit des Handelns nicht erkennen kann.
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Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Grundlagen hat das Gericht die Pflicht, bei jeden staatlichen Grundrechtseingriffen die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. In diesem Zusammenhang ist auch zu überprüfen, ob die fragliche Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt (vgl. Bundesverfassungsgericht Becksche Rechtssammlung 2007, 23775).
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Hieran fehlt es vorliegend aus den oben dargelegten und damit entscheidungserheblichen Gründen. Denn der Zweck der beantragten Unterbringung ist vorliegend ausschließlich und abschließend, und hierin unterscheidet sich das Verfahren von einer Reihe von anderen Unterbringungen, denen es zumindestens auch die Unterbringungen an sich geht. Der Betroffenen einer von ihr abgelehnten Zwangsbehandlung zuzuführen. Das dies evident nicht in böser Absicht geschieht, ist nicht rechtserheblich (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 2011, 2113).
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Eine auf das Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt gestützte Zwangsbehandlungsmaßnahme würde die Betroffene jedoch zur Überzeugung des Gerichtes aus den vorgenannten Gründen in ihren Grundrechten verletzen. Denn die die Zwangsbehandlung derzeit allein rechtfertigenden Raum des § 17 Psych KG - LSA ist, wie oben ausgeführt, nach Ansicht des Gerichts verfassungswidrig. Eine Zwangsbehandlung liegt auch vor, da die Betroffene ausdrücklich erklärt hat, dass sie zum einen entlassen werden will und zum anderen die weitere Medikamentenvergabe ablehnt.
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Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten gegen seinen natürlichen Willen (Zwangsbehandlung) greift in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein (Art. 2 Absatz Satz 1 GG). Dieses Grundrecht schützt die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht. Zu seinem traditionellen Gehalt gehört der Schutz gegen staatliche Zwangsbehandlung (vgl. BVerfGE 79, 174). Dem Eingriffscharakter der Zwangsbehandlung steht nicht entgegen, dass sie zum Zweck der Heilung vorgenommen wird (BVerfG a.a.O.). Die Eingriffsqualität entfällt im vorliegenden Fall auch nicht bereits dadurch, dass die Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen psychischen Widerstand entgegen setzte. Selbst die Einwilligung des für einen einsichts- und einwilligungsunfähigen Untergebrachten bestellten Betreuers (wie im PsychKG - LSA geregelt) nimmt daher der Maßnahmen nicht den Eingriffscharakter (BVerG a.a.O.).
- 51
Bei der medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten mit Neuroleptika, was im vorliegenden Falle bei der Betroffenen auch durchgeführt werden soll, handelt es sich um einen besonders schweren Grundrechtseingriff (BVerfG a.a.O.). Dies gilt schon im Hinblick auf die nicht auszuschließende Möglichkeit, schwerer irreversibler und lebensbedrohlicher Nebenwirkungen und die teilweise erhebliche Streuung in den Ergebnissen der Studien zur Häufigkeit des Auftretens erheblicher Nebenwirkungen. Psychopharmaka sind zudem auf die Veränderung seelischer Abläufe gerichtet. Ihre Verabreichung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen berührt daher auch unabhängig davon, ob sie mit körperlichem Zwang durchgesetzt wird, im besonderen Maße den Kern der Persönlichkeit (BVerfG a.a.O.).
- 52
Die wesentlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung bedürfen klarer und bestimmter gesetzlicher Regelung, was auch für die Anforderungen an das Verfahren gilt (BVerfG a.a.O.).
- 53
Den vorgenannten Mängeln der gesetzlichen Regelung kann nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung abgeholfen werden, sodass die verfassungsrechtlichen Defizite, nur durch den Gesetzgeber behoben werden können. Eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit von Artikel 17 PsychKG - LSA liegt weder seitens des Bundesverfassungsgerichts noch des Landesverfassungsgerichts vor.
- 54
Da es im vorliegenden Falle auf die Verfassungsmäßigkeit der entscheidenden Norm, nämlich des § 17 Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt ankommt, war das Verfahren dem Landesverfassungsgericht vorzulegen, da das Verfahren gemäß 100 Abs. 1 Grundgesetz ausgesetzt ist. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Betroffene durch Entscheidung der Verwaltungsbehörde vom 27.04.2014 in das Klinikum vorläufig eingewiesen worden ist. Wie bereits mehrfach ausgeführt, sieht sich das Gericht an einer Entscheidung gehindert.
Annotations
Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme anordnen oder genehmigen, wenn
- 1.
dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung oder Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht, - 2.
ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen und über die Notwendigkeit der Maßnahme vorliegt; der Arzt, der das ärztliche Zeugnis ausstellt, soll Arzt für Psychiatrie sein; er muss Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie haben; dies gilt nicht für freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 312 Nummer 2 und 4, - 3.
im Fall des § 317 ein Verfahrenspfleger bestellt und angehört worden ist und - 4.
der Betroffene persönlich angehört worden ist.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.