Amtsgericht Sangerhausen Beschluss, 27. Apr. 2014 - 2 Ber 2604/14

ECLI:ECLI:DE:AGSANGE:2014:0427.2BER2604.14.0A
bei uns veröffentlicht am27.04.2014

Tenor

1. Der Betroffenen wird Frau Rechtsanwältin …. als Verfahrenspflegerin beigeordnet.

2. § 17 Abs. 1 und Abs. 3 PsychKG des Landes Sachsen-Anhalt verstoßen gegen Artikel 5 Abs. 2 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz.

3. Die Verfassungswidrigkeit ergibt sich daraus, dass § 17 Abs. 1 und 3 PsychKG-LSA keine verfahrensmäßigen Sicherungsmechanismen hinsichtlich von Zwangsbehandlungen enthalten.

4. Das Verfahren wird gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Landesverfassungsgericht zur Entscheidung nach Art. 75 Nr. 5 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vorgelegt.

Gründe

1

Der Landkreis … hat am einen Antrag gemäß § 14 PsychKG - LSA auf vorläufige Unterbringung nach § 331 FamFG in schriftlicher Form gestellt. Beigefügt war ein ärztliches Zeugnis des Stationsarztes… Als ärztlicher Befund wurde eine Psychose mit der Krankheitsbezeichnung Paranoide Schizophrenie angegeben. Nach schriftlicher Auffassung des Arztes besteht bei der betroffenen Person momentan die gegenwärtige erhebliche Gefahr, dass sich die Betroffene infolge einer Krankheit, Störung oder Behinderung im Sinne des § 1 Nr. 1 des o.g. Gesetzes schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden zufügt (Eigengefährdung) und das die öffentliche Sicherheit und Ordnung Schaden nimmt (Fremdgefährdung) was sich durch folgende Verhaltensweisen des Betroffenen darstellt:

2

Notfallmäßige Einweisung in Polizeibegleitung aufgrund einer Fremdgefährdung. Patientin legte Feuer auf dem Balkon. Aktuell akut psychotisch formales Denken zerfahren, sprunghaft und verworren. Inhaltliches Denken von Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn geprägt. Affekt labil und impulsiv versuchte über Mauer weglaufen. Krankheitsuneinsichtig, verweigert zeitweise medikamentöse Therapie. Kann die Folgen ihres Handels nicht einschätzen. Dadurch Eigen- und Fremdgefährdung.

3

Bei der Anhörung überreichte der Stationsarzt, der nach der Überzeugung des Gerichtes in der Psychiatrie erfahren ist, eine ärztliche Stellungnahme über den Zustand der Betroffenen. Unter Diagnosen wurde ausgeführt, F20.0 Paranoide Schizophrenie ... Wegen der Anamnese wird auf die beiliegende ärztliche Stellungnahme Bezug genommen, soweit nicht folgendes ausgeführt wird:

4

Frau … wurde erstmalig durch den ärztlichen Notdienst stationär eingewiesen… Es bestehe Eigen- und Fremdgefährdung und seitens der Patientin keine Einsichtsfähigkeit, etwas getan zu haben, was man nicht darf. Die Patientin sei freiwillig mit in die Klinik gekommen, um sich untersuchen zu lassen. Auf der Fahrt ins Krankenhaus hätte sie kein Wort gesprochen. Hier angekommen, wollte sich die Patientin zunächst nicht untersuchen lassen, gestattete dies dann doch. In der Befragung gab sie an, dass es nicht das erste Mal sei, dass sie auf dem Balkon ihrer Wohnung Zeitungen und Papiere verbrannt hätte … Sie dürfe das alles verbrennen. Es sei ja ihre Wohnung. Sie habe mindestens 20 Feinde, die hinter ihr her seien. Die Mutter und der Stiefvater seien auch dabei… Die inzwischen angetroffene Polizei, die hinzugebeten wurde, weil die Patientin sich gegen die Verbringung auf die Station wehrte, gab an, dass es in Sangerhausen sehr viel und häufig brenne. Allein bei der Patientin sei man in den letzten Tagen mindestens zweimal gewesen… Sie bleibe auf gar keinen Fall freiwillig, weil sie nichts getan hätte.

5

Als Aufnahmebefund wurde folgendes festgestellt:

6

Wach, bewusstseinsklar, soweit bei fehlender Compliance prüfbar erschien die Patientin zu allen Qualitäten vollständig orientiert; deutliche Minderung der Aufmerksamkeit und Konzentration; gehemmte und eingeengte Denkabläufe. Im Untersuchungsgespräch klang die eine Warnstimmung unter Beeinträchtigungs- bzw. Verfolgungswahn an. Es bestanden erhebliches Misstrauen und eine Abwehrhaltung. Die Untersuchung ließ die Patientin erst nach mehrmaligen Anläufen zu. Für Sinnestäuschungen ergab sich kein Anhalt. Die Symptome einer Ich-Störung waren nicht prüfbar. Es bestanden Affektarmut und eine erhebliche innere Gespanntheit. Ein Krankheitsgefühl bzw. ein Krankheitswissen bestanden nicht. Die Patientin hielt sich für absolut gesund. Ihre Antriebslage war gesteigert. Wegen bestehender alter Narben im Bereich zwischen der Mammae war eine frühere Selbstschädigung annehmbar. Auffällig war ihr Verhalten. Die Patientin war fast vermummt gekleidet, trug über einer Strickmütze noch ein schwarzes Kapuzen-T-Shirt, was sie sich auch über die Hände zog. Sie mied den Blickkontakt, sprach in einsilbiger Sprechweise mit zunächst zaghafter Stimme und sichtlich gegen ihre Überzeugung, überhaupt zu sprechen. Die Kleidung der Patientin wies einen intensiven Rauchgeruch auf. Die Stimme der Patientin wurde lauter und durchsetzungsfähiger bei ihrer Weigerung, freiwillig hier zu bleiben. Die Patientin bestritt auch, sich umbringen zu wollen. Die Gefahr, dass es sich um einen Suizidversuch handelte, war dennoch gegeben. Der Händedruck der Patientin war zaghaft und sie zog sofort ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt.

7

Neurologischer Befund:

8

Soweit bei fehlender Compliance prüfbar regelrechter Status…

9

Hinsichtlich der weiteren Ausführungen wurde auf die vorliegende ärztliche Stellungnahme Bezug genommen.

10

Das Gericht hat am … eine Anhörung der Betroffenen durchgeführt und den Zeugnis erstatteten Arzt um eine mündliche Ergänzung des schriftlichen Zeugnis ersucht. Der Arzt hat sein Zeugnis wie folgt ergänzt:

11

Nach dem Anfang über eine Symptomatik nach dem Borderline-Syndrom nachgedacht wurde, hat sich im Laufe der Aufnahmeuntersuchung die Paranoide Schizophrenie herauskristallisiert. Die Betroffene hat Wahngedanken. Sie denkt, dass ihre Schwester, die in Frankreich lebt, verhindern kann, dass sie selbst hier in Deutschland Geld bekommt. Sie hat zum Teil Augen gesehen. Diese hat sie nicht näher beschrieben. Es sei auch nicht eruierbar, was die Betroffene damit meint. Die Betroffene habe durch das Legen des Feuers eine Fremdgefährdung begangen. Dadurch dass sie am heutigen Nachmittag versucht hatte, über die Mauer des Klinikums zu klettern, hat sie sich selbst in eine Notlage begeben, sich körperlich zu verletzen. Die Betroffene hat auch die Gefahr bei dem Überklettern der Mauer sich zu verletzen, nicht erkannt. Wenn die Betroffene nicht medizinisch behandelt wird, besteht die Gefahr, dass die Gefahr weiter exazerbiert und hier eine dauerhafte Erkrankung eintreten wird. Die Betroffene wird im Falle der Entlassung die nun verabreichten Medikamente absetzen. Sie wird auch eine psychiatrische Behandlung nicht aufnehmen. Eine Verschlimmerung des Krankheitsbildes wird dadurch eintreten. Aufgrund dieser Situation besteht eine erhebliche Eigengefährdung. Eine Fremdgefährdung wird dahingehend gesehen, dass die Betroffene Wahngedanken hat und am … Papier auf dem Balkon angezündet hat, so dass ein Feuerwehreinsatz notwendig wurde.

12

Die Erstattung des ärztlichen Zeugnisses erfolgte in Gegenwart der Betroffenen. Ihr wurde der Unterbringungsantrag des Landkreises … bekannt gemacht. Sie erklärte auf Befragen, dass sie weiß, warum das Gericht hier ist. Es geht darum, ob sie selbst hier bleiben müsse oder ob sie nach Hause gehen dürfe. Sie erklärt, dass sie unbedingt nach Hause gehen wolle. Sie müsse sich darum kümmern, dass ihre Schwester ihr das Geld gebe, das sie benötige. Sie habe im Moment nur 50,00 € pro Woche. Auch wolle sie gegen verschiedene Personen Strafanzeige erstatten. Darunter seien auch 2 Psychiater aus Italien. Auf Befragen erklärt sie, dass sie heute Medikamente genommen hat. Sie werde diese jedoch in Zukunft ablehnen. Sie wolle nach Hause. Sie sei gesund. Als sie über die Mauer geklettert sei, habe sie gewusst, dass sie sich verletzen könne. Das habe sie jedoch in Kauf genommen. Das Verbrennen von Papieren auf dem Balkon habe sie selbst schon ein paar Mal gemacht und habe es als nicht so besonders angesehen. Sie habe sich darüber geärgert, dass die Leute gleich die Feuerwehr gerufen haben. Das Feuer sei auch nicht sehr groß gewesen und habe in der Ecke des Balkons stattgefunden. Das Feuer sei auch, bevor die Feuerwehr gekommen sei, ausgegangen.

13

Die Betroffene erklärt auf nochmaliges Befragen, sie sei überhaupt nicht krank. Einen Betreuer habe sie auch nicht.

II.

14

Das Amtsgericht legt das Verfahren dem Landesverfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt zur Entscheidung nach Art. 75 Nr. 5 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vor, da es § 17 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über Hilfen für psychisch Kranke und Schutzmaßnahmen des Landes Sachsen-Anhalt vom 30.01.1992 mit Artikel 5 Abs. 2 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16.07.1992 Satz 1 Grundgesetz für unvereinbar erachtet und die Entscheidung in der Sache von der Gültigkeit der vorgenannten Bestimmung abhängig ist.

15

Das Gericht erachtet die Vorlage für zulässig, obgleich es sich lediglich um den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 331 ff. FamFG handelt. Auch in den Eilverfahren sind verfassungsgerichtliche Überprüfungsentscheidungen herbeizuführen (Vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 1983, 1179). Dies gilt selbst dann, wenn wie hier, die Entscheidung im Ausgangsverfahren durch die Vorlage erheblich verzögert wird (Bundesverfassungsgericht a.a.O.).

16

Das Gericht ist der festen Überzeugung, dass § 17 Abs. 1 und 3 PsychKG - LSA hinsichtlich der beabsichtigten Zwangsbehandlung verfassungswidrig ist. § 17 Abs. 1 PsychKG - LSA verstößt gegen Artikel 5 Abs. 2 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt i.V.m. Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Nach Artikel 5 Abs. 2 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt hat jeder das Recht auf Leben sowie auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Eine entsprechende Regelung findet sich in Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz.

17

Die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm ist im Fall auch entscheidungserheblich. Die Betroffene lehnt die Behandlung mit Neuroleptika ab. Auch will sie aus dem stationären Umfeld entlassen werden.

18

In einer Zwangsbehandlung, dass heißt einer gegen den natürlichen Willen des einwilligungsunfähigen Betroffenen durchgeführten Behandlung liegt ein tiefgreifender Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz. Zum Schutz dieses damit in erheblicher Weise tangierten Grundrechts hat das den Eingriff ermöglichende Gesetz daher neben dem möglichst klar definierten materiellen Eingriffsvoraussetzungen im besonderen Maße in verfahrensrechtlicher Weise dafür Sorge zu tragen, dass der Bedeutung des betroffenen Grundrechts hinreichend Geltung verschafft wird (vergleiche Bundesverfassungsgericht NJW 2011, 2113).

19

Das Gericht ist der Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen formeller Art für eine medizinische Zwangsbehandlung nicht gegeben sind. Dies ist im vorliegenden Falle auch entscheidungserheblich.

20

Vor diesem Hintergrund erachtet auch das erkennende Gericht es zum effektiven Schutz des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit für unerlässlich, dass das eine Zwangsbehandlung ermöglichende Gesetz verfahrensmäßige Sicherungsmechanismen hinsichtlich der Zwangsbehandlung enthält. Es genügt den aufgezeigten verfassungsmäßig gebotenen Anforderungen nicht, dass das Gesetz die materiellen Eingriffsvoraussetzungen definiert und deren Anwendung sodann ohne weiteres den behandelnden Arzt überlässt. Vielmehr muss das Gesetz ein geordnetes Verfahren regeln, indem sichergestellt ist, dass der Betroffene die für ihn maßgeblichen Gesichtspunkte vor Einsetzen der Zwangsbehandlung zur Geltung bringen kann (vergleiche Bundesverfassungsgericht a.a.O. BGH-Beschluss vom 20.06.2012, Az: XII ZB 99/12). § 17 Absatz 1 PsychKG LSA hält die durch Richterrecht gebildeten notwendigen Anspruchsvoraussetzungen nicht ein. Es beschränkt sich vielmehr, die Entscheidungen über Zwangsbehandlungen Untergebrachter einem behandelnden Arzt zu überlassen. Einer Zwangsbehandlung vorausgehendes Verfahren ist ebenso wenig vorgesehen, wie die Einschaltung einer unabhängigen Stelle. § 17 Abs. 1 PsychKG - LSA regelt lediglich, dass während seiner Unterbringung der Untergebrachte die nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst gebotene Heilbehandlung erhält. Das schließt eine Zwangsbehandlung ein. Zwar ist nach § 17 Abs. 2 Psych KG - LSA für die Behandlung wegen der Erkrankung die zur Unterbringung geführt hat aufgrund der Untersuchungsergebnisse ein Behandlungsplan aufzustellen. Nach § 17 Abs. 3 Psych KG - LSA sind das Ergebnis der Untersuchungen und die vorgesehene Heilbehandlung und der Behandlungsplan dem Untergebrachten zu erläutern, soweit dies ärztlich zu verantworten ist. Ist der Untergebrachte fähig, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung und Fördermaßnahmen einzusehen, soll die Erläuterung auch dem Ziel dienen, die Zustimmung des Untergebrachten zur Behandlung zu erhalten.

21

In den §§ 17 Abs. 2 und Abs. 3 PsychKG - LSA fehlen jedoch verfahrensrechtliche Voraussetzungen, die dazu führen, dass das Gericht die Artikel 17 Abs. 1 und Abs. 3 Psych KG - LSA für verfassungswidrig erachtet.

22

Wie das Bundesverfassungsgericht bereits ausgeführt hat, sind aufgrund des erheblichen Grundrechtseingriffes formelle Voraussetzungen für die materiellen Eingriffe erforderlich. Nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.2011 (Az: 2 BvR 882/09) gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

23

Das bedeutet, dass die Maßnahme Erfolg versprechen muss. Die Zwangsmedikation muss zum anderen zu einer deutlichen Verbesserung der Heilungs- und Entlassungsaussicht führen. Das ist nach den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen gegeben. Mildere Maßnahmen versprechen keinen Erfolg. Eine weniger eingreifende Behandlung ist auch aussichtslos. Auch diesbezüglich wird auf die vorstehenden ärztlichen Stellungnahmen Bezug genommen.

24

Ist der Betroffene gesprächsfähig, muss ein ernsthafter Versuch mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks vorausgegangen sein, um ein auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen. Dies ist unabhängig vorzunehmen, ob der Betroffene einwilligungsfähig oder einwilligungsunfähig ist, da es sich um einen grundrechtlichen Eingriff handelt (vgl. BVerfG a.a.O.)

25

Ärztliche Aufklärung über die beabsichtigten Maßnahmen ist erforderlich, auch bei einem einwilligungsunfähigen ist sie nicht von vornherein entbehrlich. Zwar ist die zu erreichen eine Einwilligung funktionslos, aber auch der einwilligungsunfähige darf grundsätzlich nicht über das Ob und Wie einer Behandlung, der er unterzogen wird, im Unklaren gelassen werden (vgl. BVerfG a.a.O.).

26

Die Erforderlichkeit bestimmt auch, dass für die Auswahl konkret anzuwendenden Maßnahmen nach Art und Dauer einschließlich Auswahl und Dosierung einzusetzende Medikamente und begleitende Kontrollen erfolgen muss.

27

Über die Geeignetheit und Erforderlichkeit hinaus darf die Behandlung nicht mit Belastungen verbunden sein, die außer Verhältnis zum erwarteten Nutzen stehen. Lediglich in § 17 Abs. 4 Psych KG - LSA ist eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Untergebrachten im Kernbereich verändern würde als unzulässig geregelt. Damit ist diese Vorschrift nicht ausreichend.

28

Die Angemessenheit ist nur gewahrt, wenn unter Berücksichtigung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten der zu erwartenden Nutzen der Behandlung den möglichen Schaden der Nichtbehandlung überwiegt. Dabei wird ein deutlich feststellbares Überwiegen des Nutzens gefordert. Auch hier bietet das Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt keine Rechtsgrundlage.

29

Die Ankündigung muss so erfolgen, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, rechtzeitig Rechtsschutz zu suchen. Dies ergibt sich aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. mit 19 Abs. 4 Grundgesetz. Auch eine solche Regelung ist hier im Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt nicht gegeben. Der Betroffene muss aufgrund der vorgenannten Vorschriften die Gelegenheit haben, vor Schaffung vollendeter Tatsachen eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Dazu reicht es nicht aus, dass das Gericht lediglich die Unterbringung genehmigt. Entscheidend ist, dass der Betroffene vor jeder einzelnen Behandlungsmaßnahme, die mit Zwangscharakter verbunden ist, die Möglichkeit hat, Rechtsschutz zu suchen. Hier ist der von Verfassungswegen verfahrensfähige Betroffene zumindest erforderlich mit Hilfe eines Verfahrenspflegers rechtzeitig gegen die Erteilung der Einwilligung vorgehen müssen. Die Ankündigung einer solchen Zwangsmaßnahme muss in der Weise konkretisiert werden, die die Wahrung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffes sichert und eine hierauf gerichtete gerichtliche Überprüfung ermöglicht (vgl. BVerfG a.a.O.).

30

Die Flexibilität der fachgerechten ärztlichen Reaktion darf nicht über Gebühr beeinträchtigt werden.

31

Zwar kann die Angemessenheit der Maßnahme nur auf Grundlage ärztlichen Sachverstandes möglich sein. Das Gericht muss aber sich diesen verschaffen. Das ist im vorliegenden Fall nicht möglich, da das Gericht lediglich zu Beginn der Entscheidung feststellt, dass eine ärztliche Behandlung erfolgen muss (BVerfG a.a.O.).

32

Bei einer Zwangsbehandlung, wie im vorliegenden Fall, mit Neuroleptika, muss unbeschadet der Pflicht, sie auch innerhalb der vorgesehenen Laufzeit jederzeit abzurechen, die Konkretisierung sich auf die geplante Dauer der Maßnahme beziehen. Auch das ist im vorliegenden Falle nicht gegeben. Im Psych KG - LSA nicht geregelt.

33

Zur Verhältnismäßigkeit einer medikamentösen Zwangsbehandlung ist darüber hinaus die Anordnung und Überwachung durch einen Arzt unabdingbar. Dazu ist eine Dokumentation von

34

a) der konkreten Behandlung gegen den Willen des Betroffenen

b) dem Zwangscharakter

c) die maßgeblichen Gründe dafür

d) Überwachung der Wirkungsweise

e) vorherige Anhörung

35

erforderlich.

36

Auch ein solches Verfahren ist im vorliegenden Falle nicht vorgesehen. § 17 Abs. 3 Psych KG - LSA sieht zwar vor, das Ergebnis der Untersuchungen die vorgesehene Heilbehandlung und den Behandlungsplan mit dem Untergebrachten zu erläutern, dies jedoch nur soweit dies ärztlich zu verantworten ist. Auch insoweit ist eine Verfassungswidrigkeit gegeben, weil die vorgenannten Grundsätze nicht erfüllt werden.

37

Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 Psych KG - LSA soll die Erläuterung auch dem Ziel dienen, die Zustimmung des Untergebrachten zur Behandlung zu erhalten, wenn der Untergebrachte fähig ist, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlungs- und Fördermaßnahmen einzusehen. Auch diese Regelung erachtet das Gericht als verfassungswidrig, da sie den vorgenannten Ausführungen nicht standhält. Wie bereits ausgeführt, ist der Betroffene, auch wenn er einwilligungsunfähig ist, über den Ablauf der Behandlung und den einzelnen Maßnahmen in Kenntnis zu setzen und nicht nur dann, wenn der Untergebrachte fähig ist, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlungs- und Fördermaßnahmen einzusehen.

38

Darüber hinaus ist der Betroffene so rechtzeitig darüber zu informieren, dass es ihm möglich ist, einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen.

39

Eine solche Regelung ist im Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt nicht enthalten.

40

§ 17 Abs. 1 Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt ist auch insoweit keiner verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Es fehlt im § 17 Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt jegliche gesetzliche Anordnung des nach dem Bundesverfassungsgericht festgestellten zu wahrenden Verfahren. Eine Überprüfung durch das Gericht ist nicht aufgenommen.

41

Die Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs. 1 Psych KG - LSA ist in diesem Falle auch entscheidungserheblich.

42

Zwar hat das Gericht in dem vorliegenden Verfahren zunächst nur die Aufgabe, über die Unterbringung der Betroffenen nach § 17 Abs. 1 Psych KG zu befinden.

43

Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Falle mit der hinreichend dringlichen Wahrscheinlichkeit des § 331 FamFG.

44

Die Betroffene leidet an einer psychischen Krankheit im Sinne des § 1 Nr. 1 Psych KG - LSA, nämlich an einer Paranoiden Schizophrenie. Dies folgt aus dem überzeugenden schriftlichen Zeugnis des behandelnden Stationsarztes, das auch mündlich ausgeführt wurde.

45

Dem ärztlichen Zeugnis nach, besteht auch die Gefahr, dass sich die Betroffene in Folge der vorgenannten Erkrankung selbst erheblich schädigt. Sie hat bereits in dem Krankenhaus versucht, über die Mauer zu klettern, ohne dabei zu erkennen, dass sie sich verletzen kann. Darüber hinaus verweigert die Betroffene über den heutigen Tag hinaus jegliche Medikation. Die Behandlung der Betroffenen ist auch unabdingbar, da sonst eine Chronifizierung der Erkrankung eintreten würde. Da die Betroffene einer Behandlung außerhalb des Krankenhauses nicht zustimmt bzw. zustimmen wird, kann die Behandlung ohne Unterbringung nicht abgewendet werden.

46

Zudem liegt auch eine Fremdgefährdung vor. Nach den ärztlichen Stellungnahmen besteht die Möglichkeit, dass die Betroffene wiederum auf ihrem Balkon Feuer entfacht, weil sie krankheitsbedingt die Gefährlichkeit des Handelns nicht erkennen kann.

47

Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Grundlagen hat das Gericht die Pflicht, bei jeden staatlichen Grundrechtseingriffen die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. In diesem Zusammenhang ist auch zu überprüfen, ob die fragliche Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt (vgl. Bundesverfassungsgericht Becksche Rechtssammlung 2007, 23775).

48

Hieran fehlt es vorliegend aus den oben dargelegten und damit entscheidungserheblichen Gründen. Denn der Zweck der beantragten Unterbringung ist vorliegend ausschließlich und abschließend, und hierin unterscheidet sich das Verfahren von einer Reihe von anderen Unterbringungen, denen es zumindestens auch die Unterbringungen an sich geht. Der Betroffenen einer von ihr abgelehnten Zwangsbehandlung zuzuführen. Das dies evident nicht in böser Absicht geschieht, ist nicht rechtserheblich (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 2011, 2113).

49

Eine auf das Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt gestützte Zwangsbehandlungsmaßnahme würde die Betroffene jedoch zur Überzeugung des Gerichtes aus den vorgenannten Gründen in ihren Grundrechten verletzen. Denn die die Zwangsbehandlung derzeit allein rechtfertigenden Raum des § 17 Psych KG - LSA ist, wie oben ausgeführt, nach Ansicht des Gerichts verfassungswidrig. Eine Zwangsbehandlung liegt auch vor, da die Betroffene ausdrücklich erklärt hat, dass sie zum einen entlassen werden will und zum anderen die weitere Medikamentenvergabe ablehnt.

50

Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten gegen seinen natürlichen Willen (Zwangsbehandlung) greift in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein (Art. 2 Absatz Satz 1 GG). Dieses Grundrecht schützt die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht. Zu seinem traditionellen Gehalt gehört der Schutz gegen staatliche Zwangsbehandlung (vgl. BVerfGE 79, 174). Dem Eingriffscharakter der Zwangsbehandlung steht nicht entgegen, dass sie zum Zweck der Heilung vorgenommen wird (BVerfG a.a.O.). Die Eingriffsqualität entfällt im vorliegenden Fall auch nicht bereits dadurch, dass die Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen psychischen Widerstand entgegen setzte. Selbst die Einwilligung des für einen einsichts- und einwilligungsunfähigen Untergebrachten bestellten Betreuers (wie im PsychKG - LSA geregelt) nimmt daher der Maßnahmen nicht den Eingriffscharakter (BVerG a.a.O.).

51

Bei der medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten mit Neuroleptika, was im vorliegenden Falle bei der Betroffenen auch durchgeführt werden soll, handelt es sich um einen besonders schweren Grundrechtseingriff (BVerfG a.a.O.). Dies gilt schon im Hinblick auf die nicht auszuschließende Möglichkeit, schwerer irreversibler und lebensbedrohlicher Nebenwirkungen und die teilweise erhebliche Streuung in den Ergebnissen der Studien zur Häufigkeit des Auftretens erheblicher Nebenwirkungen. Psychopharmaka sind zudem auf die Veränderung seelischer Abläufe gerichtet. Ihre Verabreichung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen berührt daher auch unabhängig davon, ob sie mit körperlichem Zwang durchgesetzt wird, im besonderen Maße den Kern der Persönlichkeit (BVerfG a.a.O.).

52

Die wesentlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung bedürfen klarer und bestimmter gesetzlicher Regelung, was auch für die Anforderungen an das Verfahren gilt (BVerfG a.a.O.).

53

Den vorgenannten Mängeln der gesetzlichen Regelung kann nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung abgeholfen werden, sodass die verfassungsrechtlichen Defizite, nur durch den Gesetzgeber behoben werden können. Eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit von Artikel 17 PsychKG - LSA liegt weder seitens des Bundesverfassungsgerichts noch des Landesverfassungsgerichts vor.

54

Da es im vorliegenden Falle auf die Verfassungsmäßigkeit der entscheidenden Norm, nämlich des § 17 Psych KG des Landes Sachsen-Anhalt ankommt, war das Verfahren dem Landesverfassungsgericht vorzulegen, da das Verfahren gemäß 100 Abs. 1 Grundgesetz ausgesetzt ist. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Betroffene durch Entscheidung der Verwaltungsbehörde vom 27.04.2014 in das Klinikum vorläufig eingewiesen worden ist. Wie bereits mehrfach ausgeführt, sieht sich das Gericht an einer Entscheidung gehindert.


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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 331 Einstweilige Anordnung


Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme anordnen oder genehmigen, wenn1.dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung oder Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme g

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Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2012 - XII ZB 99/12

bei uns veröffentlicht am 20.06.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 99/12 vom 20. Juni 2012 in der Betreuungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts z

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Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme anordnen oder genehmigen, wenn

1.
dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung oder Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht,
2.
ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen und über die Notwendigkeit der Maßnahme vorliegt; der Arzt, der das ärztliche Zeugnis ausstellt, soll Arzt für Psychiatrie sein; er muss Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie haben; dies gilt nicht für freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 312 Nummer 2 und 4,
3.
im Fall des § 317 ein Verfahrenspfleger bestellt und angehört worden ist und
4.
der Betroffene persönlich angehört worden ist.
Eine Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe ist abweichend von § 319 Abs. 4 zulässig.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 99/12
vom
20. Juni 2012
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur
Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72 und
FamRZ 2011, 1927 Rn. 38) fehlt es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen
Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche
Zwangsbehandlung (Aufgabe der Senatsrechtsprechung Senatsbeschlüsse BGHZ
166, 141 = FamRZ 2006, 615; vom 23. Januar 2008 XII ZB 185/07 - FamRZ 2008,
866 und vom 22. September 2010 XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976).
Deshalb darf der Betreuer derzeit auch im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung
keine Zwangsbehandlung veranlassen.
BGH, Beschluss vom 20. Juni 2012 - XII ZB 99/12 - LG Stuttgart
AG Ludwigsburg
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juni 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling,
Dr. Günter und Dr. Botur

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 16. Februar 2012 wird zurückgewiesen. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 KostO). Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe:

A.

1
Die Beteiligte zu 1 begehrt als Betreuerin die Genehmigung einer Zwangsbehandlung der Betroffenen.
2
Die Betroffene leidet an einer blanden Psychose bei vielfältigen sozialen Problemen und an einer Borderline Persönlichkeitsstörung. Die Betreuung wurde unter anderem für die Bereiche Bestimmung des Aufenthalts einschließlich Maßnahmen der Freiheitsbeschränkung und -entziehung sowie der Unterbringung und für die medizinische und pflegerische Betreuung und Versorgung, einschließlich der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen und Eingriffe angeordnet. Die Beteiligte zu 1 wurde zur Betreuerin bestellt. Anschließend genehmigte das Betreuungsgericht auf ihren Antrag die Unterbringung der Betroffenen auf der geschlossenen Station einer psychiatrischen Einrichtung gemäß § 1906 Abs. 1 BGB.
3
Den Antrag der Betreuerin auf betreuungsgerichtliche Genehmigung für eine Zwangsmedikation nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB hat das Betreuungsgericht unter Hinweis auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgelehnt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betreuerin zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betreuerin mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
4
Am 2. April 2012 ist die Betroffene entlassen worden.

B.

5
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat die Genehmigung der Zwangsbehandlung zu Recht abgelehnt.

I.

6
Nach Auffassung des Landgerichts genügt § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen an eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage. Die Norm ermächtige das Betreuungsgericht nach seinem Wortlaut nur dazu, die Unterbringung des Betroffenen zur Heilbehandlung zu genehmigen, dem Betroffenen gegenüber also eine freiheitsentziehende Maßnahme anzuordnen, in deren Rahmen dann eine Heilbehandlung durchgeführt werden könne. Der Wortlaut enthalte keinerlei Hinweise auf eine Zwangsbehandlung. Für den jeweiligen Kreis der Normbetroffenen, bei denen es sich in aller Regel um schwer psychisch erkrankte und deshalb beein- trächtigte Menschen handele, ergebe sich keineswegs bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, dass die Heilbehandlung auch gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt werden könne, die Norm also etwa zur Zwangsmedikation berechtigen solle. Zudem habe der Gesetzgeber § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB bewusst nicht als Grundlage für eine Zwangsbehandlung formuliert. Er habe vielmehr trotz Problembewusstseins ausdrücklich davon abgesehen, im Betreuungsrecht eine Ermächtigung zur Zwangsbehandlung wie auch ein generelles Verbot zur Zwangsbehandlung zu regeln. Ein formelles Gesetz, das zum Grundrechtseingriff berechtige, habe er also gerade nicht geschaffen.
7
Dass die Vorschrift nach diesem Verständnis nur einen beschränkten Anwendungsbereich habe, müsse angesichts der unmissverständlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hingenommen werden. Dabei sei nicht zu verkennen, dass es zumeist dem objektiven Wohl des Betroffenen entsprechen möge, eine Behandlung durchzuführen. Die derzeitige Situation, die eine Behandlung gegen den Willen der Betroffenen trotz Behandlungsbedürftigkeit nicht zulasse, sei für alle Beteiligten unbefriedigend. Dieser Nachteil müsse angesichts der Schwere des Grundrechtseingriffs und des Fehlens einer klaren und bestimmten Eingriffsnorm im Sinne eines wirksamen Grundrechtsschutzes und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung hingenommen werden.
8
Die Ansicht, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts würden für den Bereich des Betreuungsrechts nicht gelten, weil die §§ 1896 ff. BGB ein geschlossenes Regelungssystem enthielten, dessen Schutzniveau den verfassungsrechtlichen Anforderungen sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht gerecht würde, überzeuge nicht. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur ermächtigenden Norm gründeten auf der Qualität des Grundrechtseingriffs. Für den Betroffenen werde der Eingriff, der in der medizinischen Zwangsbehandlung liege, nicht dadurch weniger belastend, dass ein Betreuer zustimme. Es sei gemäß Art. 2 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber vorbehalten , Eingriffsbereiche und deren Ziele zu formulieren, dies sei hinsichtlich einer betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung nicht erfolgt. Eine Norm, deren Wortlaut für den Kreis der Normanwender und Normbetroffenen klar ergebe, dass die Zwangsbehandlung betreuungsgerichtlich genehmigt werden könne, sei auch nicht in den übrigen Vorschriften des Betreuungsrechts zu erkennen.
9
Die Betreuerin begehre auch nicht nur die Anordnung einer Unterbringung an sich. Die freiheitsentziehende Maßnahme sei bereits durch den Beschluss des Amtsgerichts aufgrund § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfolgt. Der Antrag der Betreuerin auf Unterbringung zur Heilbehandlung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verfolge vielmehr den Zweck, die von der Betroffenen verweigerte medikamentöse Behandlung zwangsweise gegen ihren Willen durchzusetzen. Eine solche Zwangsbehandlung sei aber - wie vorstehend ausgeführt - nicht möglich. Eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, bei der die Heilbehandlung - aus welchen Gründen auch immer - nicht durchgeführt werde oder werden könne, dürfe jedoch nicht genehmigt werden. Wenn und soweit weiterhin die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorlägen, werde eine Unterbringung der Betroffenen auch weiterhin betreuungsgerichtlich zu genehmigen sein.

II.

10
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
11
1. Allerdings bleibt der Rechtsbeschwerde nicht bereits deshalb der Erfolg versagt, weil die Betroffene nach den Angaben der Betreuerin bereits aus der Betreuung entlassen worden ist bzw. sie gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB wegen Selbstgefährdung untergebracht war.
12
Nach den getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht mehr vorliegen und eine Unterbringung nach Nr. 2 deshalb nicht in Betracht kommt, weil die gebotene medikamentöse Behandlung gegen den Willen der Betroffenen entsprechend der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts nicht durchsetzbar ist. Auf der Grundlage der bisherigen Senatsrechtsprechung, wonach eine betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsbehandlung im Rahmen der Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zulässig war, wäre der Antrag der Betreuerin auf Genehmigung der Zwangsmedikation jedenfalls dahin auszulegen, dass auch die übrigen Voraussetzungen einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB festzustellen und bei Vorliegen der Voraussetzungen eine entsprechende Unterbringung zu genehmigen wäre. Denn bereits der ursprüngliche Antrag der Betreuerin auf Genehmigung der Unterbringung war auf § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt.
13
Ausgehend von der Prämisse, dass nach der jüngsten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Einwilligung des Betreuers in eine Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht mehr genehmigungsfähig ist, sind die weiteren Ausführungen des Beschwerdegerichts allerdings konsequent , wonach eine solche Unterbringung nicht in Betracht kommt, weil die Heilbehandlung nicht durchgeführt werden kann. Deshalb kommt es für die Entscheidung der Rechtsbeschwerde maßgeblich darauf an, ob § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch unter Berücksichtigung der jüngsten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Genehmigung in die Einwilligung einer mit Zwangsbehandlung verbundenen Unterbringung noch zu rechtfertigen vermag.
14
2. Diese Frage ist zu verneinen; der Senat hält an seiner Rechtsprechung insoweit nicht mehr fest.
15
a) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats umfasst die Befugnis des Betreuers, in ärztliche Maßnahmen auch gegen den natürlichen Willen eines im Rechtssinne einwilligungsunfähigen Betroffenen einzuwilligen, im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch das Recht, erforderlichenfalls einen der ärztlichen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 149 ff. = FamRZ 2006, 615, 617 f.). Da eine medizinische Maßnahme nur dann als notwendig im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB angesehen werden könne, wenn sie rechtlich zulässig sei, könne der Betroffene auf dieser Rechtsgrundlage nur untergebracht werden, wenn er während der Unterbringung auch behandelt werden dürfe. Sähe man die zwangsweise Überwindung eines der Behandlung entgegenstehenden Willens des Betroffenen auch im Rahmen einer Unterbringungsmaßnahme als unzulässig an, würde der Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB von vornherein auf die - eher seltenen - Fälle beschränkt, in denen der Betroffene zwar die Notwendigkeit der medizinischen Maßnahme bejahe oder jedenfalls trotz fehlender Behandlungseinsicht keinen der medizinischen Maßnahme entgegenstehenden natürlichen Willen manifestiere, er aber nicht die Notwendigkeit der Unterbringung einsehe. Die Vorschrift könne daher sinnvoll nur dahin ausgelegt werden, dass der Betroffene die notwendigen medizinischen Maßnahmen, in die der Betreuer zu seinem Wohl eingewilligt habe und derentwegen der Betroffene untergebracht werden dürfe, unabhängig von seinem möglicherweise entgegenstehenden natürlichen Willen während der Unterbringung zu dulden habe (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 152 = FamRZ 2006, 615, 618). Allerdings müsse in der Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die von dem Betroffenen zu duldende Behandlung so präzise wie möglich angegeben werden, weil sich nur aus diesen Angaben der Unterbringungszweck sowie Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der vom Betroffenen zu duldenden Behandlung hinreichend konkret und bestimmbar ergäben; dazu gehörten bei einer Behandlung durch Verabfolgung von Medikamenten in der Regel auch die möglichst genaue Angabe des Arzneimittels oder des Wirkstoffs und deren (Höchst-)Dosierung sowie Verabreichungshäufigkeit (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 153 f. = FamRZ 2006, 615, 618).
16
Aus dem Umstand, dass die Erzwingung medizinischer Maßnahmen gegen den Widerstand des Betroffenen nur im Rahmen einer vom Betreuungsgericht nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigten freiheitsentziehenden Unterbringung zulässig sei, dürfe freilich nicht gefolgert werden, dass eine freiheitsentziehende Unterbringung immer schon dann vom Betreuer veranlasst werden dürfe, wenn eine medizinische Maßnahme notwendig sei, aber nur gegen den Widerstand des Betroffenen durchgeführt werden könne. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlange nicht nur, dass die medizinische Maßnahme als solche notwendig sei. Die freiheitsentziehende Unterbringung müsse vielmehr auch ihrerseits erforderlich sein, damit die medizinische Maßnahme durchgeführt werden könne. Sie sei in diesem Sinne erforderlich, wenn zu erwarten sei, dass der Betroffene sich ohne die freiheitsentziehende Unterbringung der erforderlichen medizinischen Maßnahme räumlich, also etwa durch Fernbleiben oder "Weglaufen" , entziehe. Umgekehrt begründe die Erforderlichkeit der medizinischen Maßnahme ebenso wie die Erforderlichkeit, den dieser Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden, für sich genommen noch keine Notwendigkeit, den Betroffenen freiheitsentziehend unterzubringen, also etwa auch dann, wenn der Betroffene sich der Maßnahme zwar physisch widersetze , sich ihr aber nicht räumlich entziehe (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 Rn. 23).
17
Der Senat hat ferner entschieden, dass die Genehmigung nur zulässig sei, wenn die Zwangsmedikation erforderlich und angemessen sei. Ob dies der Fall sei, bedürfe im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs einer besonders sorgfältigen Prüfung (Senatsbeschluss vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976 Rn. 8). Es liege auf der Hand, dass ein noch strengerer Prüfungsmaßstab anzulegen sei, wenn die Freiheitsentziehung mit einer Zwangsbehandlung des Betroffenen - deren Zulässigkeit vorausgesetzt - verbunden werden solle. Dies folge schon daraus, dass in diesem Falle nicht nur die Unterbringung und ihre Dauer, sondern auch der mit der Zwangsbehandlung verbundene Eingriff und dessen Folgen in die gebotene Güterabwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen seien. Bei der Prüfung, ob eine - insbesondere längerfristige - Behandlung eines untergebrachten Betroffenen unter Zwang dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch entspreche, seien an die Gewichtigkeit des ohne Behandlung drohenden Gesundheitsschadens, aber auch an die Heilungs- bzw. Besserungsprognose strengere Anforderungen zu stellen. Dies lege gerade bei der Behandlung psychischer Erkrankungen eine besonders kritische Prüfung des therapeutischen Nutzens einer nur unter Zwang durchgeführten Medikation nahe (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 146 f. = FamRZ 2006, 615, 616).
18
Schließlich sei ein Vorratsbeschluss für den Fall, dass der Betroffene sich gegen die Verabreichung von Medikamenten durch Spritzen wehren werde , im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs unzulässig (Senatsbeschluss vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976 Rn. 11).
19
b) Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr in zwei grundlegenden Beschlüssen aus dem Jahr 2011 entschieden, dass die Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig sei, das die Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs be- stimme (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72 und 2011, 1927 Rn. 38). Dies gelte nicht nur für die materiellen, sondern auch für die formellen Eingriffsvoraussetzungen. Die in verfahrensrechtlicher wie in materieller Hinsicht für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlichen Fragen bedürften gesetzlicher Regelungen (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72). Der Gesetzgeber sei gehalten, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich sei. Die notwendige Bestimmtheit fehle zwar nicht schon deshalb, weil eine Norm auslegungsbedürftig sei. Die Betroffenen müssten jedoch die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können, und die gesetzesausführende Verwaltung müsse für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden. Zur notwendigen Erkennbarkeit des Norminhalts gehöre die Klarheit und, als deren Bestandteil, die Widerspruchsfreiheit der Norm. Die Anforderung an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit seien umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff sei, den eine Norm vorsehe. Dabei könne auch der jeweilige Kreis der Normanwender und Normbetroffenen von Bedeutung sein (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 73).
20
Dem Eingriffscharakter einer Zwangsbehandlung stehe nicht entgegen, dass sie zum Zweck der Heilung vorgenommen werde (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 40). Krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit eines Untergebrachten ändere ebenfalls nichts daran, dass eine gegen seinen natürlichen Willen erfolgende Behandlung, die seine körperliche Integrität berühre, einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darstelle. Sie könne im Gegenteil dazu führen, dass der Eingriff von dem Betroffenen als besonders bedrohlich erlebt werde. Selbst die Einwilligung des Betreuers nehme daher der Maßnahme nicht den Eingriffscharakter (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 42), zumal der Eingriff für den Betroffenen nicht dadurch weniger belastend sei, dass gerade ein Betreuer ihr zugestimmt habe (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 71).
21
Der Gesetzgeber sei (allerdings) berechtigt, unter engen Voraussetzungen Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen Willen des Grundrechtsträgers ausnahmsweise zu ermöglichen, wenn dieser zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig sei (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 49).
22
In materieller Hinsicht folge aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zunächst, dass Maßnahmen der Zwangsbehandlung nur eingesetzt werden dürften, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertige , Erfolg versprächen (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 57). Zwangsmaßnahmen dürften ferner nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn mildere Mittel keinen Erfolg versprächen. Zudem müsse der Zwangsbehandlung, soweit der Betroffene gesprächsfähig sei, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung von unzulässigem Druck unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 58).
23
Grundsätzlich sei eine Ankündigung erforderlich, die dem Betroffenen die Möglichkeit eröffne, vor Schaffung vollendeter Tatsachen eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, auch wenn die Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters vorliege (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 63). Allerdings dürfe die Flexibilität der fachgerechten ärztlichen Reaktion auf individuelle Unterschiede nicht über Gebühr beeinträchtigt werden (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 64), wobei die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt unabdingbar seien. Es sei notwendig, die Zwangsbehandlung zu dokumentieren. Art. 2 Abs. 2 GG fordere darüber hinaus spezielle verfahrensmäßige Sicherungen gegen die besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen , die sich ergäben, wenn über die Anordnung einer Zwangsbehandlung außerhalb akuter Notfälle allein die jeweilige Unterbringungseinrichtung entscheide (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 68). Die weitreichenden Befugnisse der Unterbringungseinrichtung und die dadurch eingeschränkten Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch Außenstehende versetzten den Untergebrachten in eine Situation außerordentlicher Abhängigkeit , in der er besonderen Schutz dagegen bedürfe, dass seine grundrechtlich geschützten Belange etwa aufgrund von Eigeninteressen der Einrichtung oder ihrer Mitarbeiter bei nicht aufgabengerechter Personalausstattung oder aufgrund von Betriebsroutinen unzureichend gewürdigt würden (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 69). Es seien keine durchgreifenden Gründe ersichtlich, derentwegen eine Betreuerlösung von Verfassungs wegen vorzugswürdiger wäre beispielsweise gegenüber einem Richtervorbehalt oder gegenüber der Beteiligung einer anderen neutralen Stelle. Die Ausgestaltung der Art und Weise , in der sichergestellt werde, dass vor Durchführung einer Zwangsbehandlung eine - sich nicht in bloßer Schreibtischroutine erschöpfende - Prüfung in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung stattfinde, sei Sache des jeweils zuständigen Gesetzgebers (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 71).
24
c) Nach überwiegender Auffassung in der - nach Erlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 (FamRZ 2011, 1128) veröffentlichten - Rechtsprechung und Literatur fehlt es an einer den vorgenannten verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Ermächtigungsgrundlage für eine betreuungsrechtliche Genehmigung der Zwangsbehandlung (LG Bremen Beschluss vom 10. Mai 2012 - 5 T 101/12 - juris; LG Stuttgart Beschluss vom 16. Februar 2012 - 2 T 35/12 - juris; AG Ludwigsburg Beschluss vom 18. Mai 2011 - 8 VII 257/11 - juris und FamRZ 2012, 739; AG Bremen BtPrax 2012, 85 und NJW 2012, 1090; AG Frankfurt a.M. Beschluss vom 29. Februar 2012 - 49 XVII HOF 399/12 - juris; Bienwald FPR 2012, 4, 8; Moll-Vogel FamRB 2011, 249, 250; Marschner R&P 2011, 160, 163; aA LG Berlin Beschluss vom 21. Mai 2012 - 83 T 163/12 - juris; Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 236 ff., 238).
25
d) Der Senat teilt im Ergebnis diese Auffassung und gibt damit seine Rechtsprechung auf, wonach Zwangsbehandlungen im Rahmen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich genehmigungsfähig sind (Senatsbeschlüsse BGHZ 166, 141 = FamRZ 2006, 615; vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 und vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976).
26
Nach Auffassung des Senats sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug im Wesentlichen auf die Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zu übertragen. Die materiellen Vorschriften des Betreuungsrechts und die Verfahrensvorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586 - FamFG) werden den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung aufgestellt hat, nicht gerecht.
27
aa) Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 237 mwN; s. auch LG Berlin Beschluss vom 21. Mai 2012 - 83 T 163/12 - juris Rn. 19) finden die Grundrechte auch bei der im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung stattfindenden Zwangsbehandlung unmittelbar Anwendung. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2006 (BGHZ 166, 141, 148 = FamRZ 2006, 615, 616 f.) ausgeführt hat, gilt im Verhältnis des Betreuers zum Betroffenen nichts anderes als in dem Verhältnis zwischen Vormund und Mündel. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Vormund im Rahmen der Fürsorge eine öffentliche Funktion wahrnimmt und sich daher der Mündel auch gegenüber Handlungen des Vormunds auf seine Grundrechte berufen kann. Es verbiete sich, die Unterbringung volljähriger Geisteskranker durch den Vormund rechtlich so zu würdigen, als ob sich die Freiheitsentziehung im Rahmen privatrechtlicher Beziehung zwischen Staatsbürgern abspielte. Der Staat könne sich von der Grundrechtsbindung nicht dadurch befreien, dass er eine Privatperson zur Wahrung einer öffentlichen Aufgabe bestelle und ihm die Entscheidung über den Einsatz staatlicher Machtmittel überlasse (vgl. BVerfGE 10, 302, 327).
28
Richtig ist allerdings, dass das Genehmigungserfordernis des § 1906 BGB die sich aus §§ 1901, 1902 BGB ergebende Rechtsmacht des Betreuers, nicht jedoch die Freiheit des Betroffenen einschränkt (Lipp JZ 2006, 661, 663 f.). § 1906 BGB regelt also nicht den Eingriff in die Rechte des Betroffenen, sondern die Kontrolle des Betreuers wegen seiner dem Grunde nach bestehenden unbeschränkten Vertretungsmacht (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 83; vgl. zum Vormund BVerfGE 10, 302, 310; zum Bevollmächtigten BVerfG FamRZ 2009, 945, 947). Die sich hieran anschließende Frage, ob sich die Kontrolle des von staatlichen Gerichten bestellten Betreuers hinsichtlich der grundrechtsrelevanten Eingriffe an denselben Maßstäben messen lassen muss, die gelten, wenn der Staat die Maßnahmen, in die der Betreuer einwilligen will, selbst angeordnet hätte, ist nach Auffassung des Senats zu bejahen.
29
Das Bundesverfassungsgericht geht auch bei der Genehmigung einer - von dem Betreuer veranlassten - Unterbringung von "einem staatlichen Eingriff" aus (BVerfG FamRZ 1998, 895, 896). Zudem hat es ausgeführt, dass selbst die Einwilligung des Betreuers der (Zwangs-) Maßnahme nicht den Eingriffscharakter nehme (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 42). Auch wenn sich seine Handlungsbefugnisse nach der Dogmatik des Betreuungsrechts unmittelbar aus §§ 1901, 1902 BGB ergeben (vgl. Lipp JZ 2006, 661, 663 f.), muss die gebotene staatliche Kontrolle inhaltlich den Anforderungen genügen, die das Bundesverfassungsgericht für eine an den Staat adressierte Ermächtigungsgrundlage fordert. Dass die Betreuung im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt ist, die Betreuung die mit der Menschenwürde garantierte Selbstbestimmung des Einzelnen verwirklichen soll und der Betreuer die Rechte des Betroffenen auch gegenüber dem Staat wahrzunehmen hat (Lipp JZ 2006, 661, 663), ändert nichts daran, dass jener bei fehlender Einsichtsfähigkeit des Betroffenen neben der zivilrechtlichen Vertretung auch öffentliche Fürsorge ausübt.
30
bb) Die Vorschriften des Betreuungsrechts genügen den Anforderungen nicht, die das Bundesverfassungsgericht für die gesetzliche Regelung einer Zwangsbehandlung aufgestellt hat und die für die staatliche Kontrolle des darauf bezogenen Betreuerhandelns gleichermaßen gelten müssen. Ebenso wenig enthalten die §§ 1896 ff. BGB ein geschlossenes Regelungssystem zur betreuungsrechtlichen Genehmigung einer Zwangsbehandlung, dessen Schutzniveau den nunmehr vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (aA Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 237 f.).
31
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss die Vorschrift so bestimmt gefasst sein, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 73). Dem aktuell oder potentiell betroffenen Untergebrachten sowie den zur Normanwendung in erster Linie berufenen Entscheidungsträgern , dem Betreuer, der Unterbringungseinrichtung und den behandelnden Ärzten, müssen die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung aus dem Gesetz erkennbar sein (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 74).
32
Weder § 1906 BGB noch die übrigen betreuungsrechtlichen materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften verhalten sich zur Frage der Zwangsbehandlung. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass die notwendige Bestimmtheit nicht schon deshalb fehle, weil eine Norm auslegungsbedürftig sei. Demgemäß hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB darauf abgestellt, dass die Norm im Wesentlichen sinnlos wäre, wenn die von ihr vorausgesetzte Heilbehandlung nicht durchsetzbar wäre. Das ändert indes nichts daran, dass für die aktuell bzw. potentiell betroffenen Untergebrachten die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung aus dem Gesetz selbst nicht erkennbar sind.
33
Hinzu kommt, dass § 1906 BGB seinem Wortlaut nach unmittelbar nur die Kontrolle eines Eingriffs in die von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Freiheit der Person gewährleistet, sich aber nicht zu dem in besonders intensiver Weise tangierten, von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mit geschützten Recht auf Selbstbestimmung des Betroffenen hinsichtlich seiner körperlichen Integrität (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 44) verhält.
34
(2) Der vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zwar entsprochen (so zutreffend Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 237). Danach waren nicht nur die Unterbringung und ihre Dauer, sondern auch der mit der Zwangsbehandlung verbundene Eingriff und dessen Folgen in die gebotene Güterabwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen (BGHZ 166, 141, 146 = FamRZ 2006, 615, 616). Auch wenn sich Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 1906 BGB selbst finden, weil die Unterbringung nur zulässig ist, "solange sie zum Wohl des Betroffenen erforderlich ist", kann das allerdings im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht darüber hinweghelfen, dass das Gesetz selbst keine Ausführungen zur Zwangsbehandlung, namentlich zur Auswahl der konkret anzuwendenden Maßnahmen nach Art und Dauer - einschließlich der Auswahl und Dosierung einzusetzender Medikamente und begleitender Kontrollen - enthält. Ebenso fehlen Regelungen dazu, dass die Zwangsbehandlung nicht mit Belastungen verbunden sein darf, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen und dass die Zwangsbehandlung nur das letzte Mittel darstellen darf, also eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos sein muss (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 58). Soweit der Senat hierzu bereits Leitsätze aufgestellt hat, handelt es sich um Richterrecht. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts kann das indes nicht genügen. Danach sind die Anforderungen an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den eine Norm vorsieht. Für die näheren Anforderungen ist auch der jeweilige Kreis der Normanwender und Normbetroffenen von Bedeutung (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 73 - s. auch LG Stuttgart Beschluss vom 16. Februar 2012 - 2 T 35/12 - juris Rn. 13).
35
(3) Schließlich sind auch die in verfahrensrechtlicher Hinsicht für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlichen Fragen zur Zwangsbehandlung (vgl. dazu BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72) gesetzlich nicht geregelt.
36
(a) Allerdings dürfte die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, dass vor Durchführung der Zwangsbehandlung eine - sich nicht in bloßer Schreibtischroutine erschöpfende - Prüfung in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung stattfinden muss (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 71), erfüllt sein.
37
Denn zum einen ist in den Fällen der betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung der Betreuer eingeschaltet; grundsätzlich ist nur er befugt, die Behandlung zu veranlassen. Hinzu kommt nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats für den Fall der bereits im Zeitpunkt der Genehmigung der Unterbringung bekannten Notwendigkeit einer Zwangsbehandlung, dass sich der genehmigende Beschluss nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch auf die Zwangsbehandlung zu erstrecken hat (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 153 = FamRZ 2006, 615, 618).
38
Gleiches dürfte für den Fall gelten, dass sich die Erforderlichkeit einer Zwangsmedikation bei einem bereits nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB untergebrachten Betroffenen erst im Nachhinein herausstellt. Denn der Senat hat bereits entschieden, dass ein Vorratsbeschluss für den Fall, dass der Betroffene sich gegen die Verabreichung von Medikamenten durch Spritzen wehren werde , im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs unzulässig ist (Senatsbeschluss vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976 Rn. 11).
39
(b) Demgegenüber vermögen die im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit enthaltenen Verfahrensvorschriften den von dem Bundesverfassungsgericht gestellten Anforderungen an die gesetzliche Regelung der Zwangsbehandlung nicht gerecht zu werden. Sie beziehen sich jeweils nur auf die Unterbringung, nicht aber auf eine Zwangsbehandlung. In § 321 FamFG ist beispielsweise geregelt, dass vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden hat. Demgegenüber genügt gemäß § 321 Abs. 2 FamFG für eine Maßnahme nach § 312 Nr. 2 FamFG (die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB) eine ärztliche Stellungnahme. Ob vor der Genehmigung einer Zwangsbehandlung ein Sachverständigengutachten einzuholen ist, oder ob insoweit auch eine ärztliche Stellungnahme ausreicht , ist gesetzlich nicht geregelt. Zwar dürfte ein Sachverständigengutachten notwendig sein, wenn die Genehmigung der Zwangsbehandlung mit der Unter- bringung einhergeht. Welche Anforderungen aber bestehen, wenn eine gesonderte Genehmigung der Zwangsbehandlung erforderlich wird, kann dem Gesetz nicht entnommen werden.
40
(c) Ferner finden sich im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit weder Vorschriften, die - wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 67, 79) - zur Dokumentation der Maßnahme verpflichten, noch enthält es Bestimmungen, wonach die Maßnahme nur auf Anordnung und unter der Leitung eines Arztes durchgeführt werden darf (vgl. dazu BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 79). Dass die behandelnde Klinik beide Aspekte regelmäßig aus eigenem Interesse beachten und der Arzt - berufsrechtlich - zur Dokumentation verpflichtet sein wird (so Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 238), genügt nicht, um den vom Bundesverfassungsgericht herausgestellten verfahrensrechtlichen Anforderungen zu genügen.
41
(d) Ebenso fehlen konkrete Regelungen darüber, welche Behandlungsdauer eine gerichtliche Genehmigung umfassen kann und wie konkret die Genehmigung erfolgen muss. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedürfen auch diese wesentlichen Fragen einer gesetzlichen Regelung.
42
e) Gemessen an den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gesetzliche Regelung vermag § 1906 Abs. 4 BGB ebenso wenig die Genehmigung der Anordnung einer Zwangsbehandlung durch den Betreuer zu rechtfertigen. Wie § 1906 Abs. 1 BGB regelt auch § 1906 Abs. 4 BGB den Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit und die Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 145, 297, 301 f. = FamRZ 2001, 149, 150). Die Regelungsmaterie geht also nicht über den in § 1906 Abs. 1 BGB geregelten Bereich hinaus. Vielmehr hat der Gesetzgeber Absatz 4 ersichtlich als geringeren Eingriff angesehen, weil es für eine Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB gemäß § 321 Abs. 2 iVm § 312 Nr. 2 FamFG lediglich der Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses bedarf.
43
f) Nach alledem fehlt es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung. Deshalb darf ein Betreuer derzeit auch im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung keine Zwangsbehandlung veranlassen.
44
3. Entgegen dem Antrag der Betreuerin kommt eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in Betracht (aA LG Bremen Beschluss vom 10. Mai 2012 - 5 T 101/12 - juris).
45
Voraussetzung hierfür ist, dass das vorlegende Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Das ist hier nicht der Fall.
46
Unter Beachtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts enthalten die Vorschriften des Betreuungsrechts, insbesondere § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, keine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung. Eine Auslegung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Gestalt der bisherigen Senatsrechtsprechung kommt nicht mehr in Betracht. Deshalb kann der Senat in der Sache selbst entscheiden.
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Ob der Staat im Rahmen seiner ihm nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG obliegenden Schutzpflicht (vgl. dazu BVerfG NVwZ 2011, 991 Rn. 37) verpflichtet ist, zum Wohle der Betroffenen die betreuungsgerichtliche Genehmigung einer Zwangsbehandlung gesetzlich zu regeln, kann dahinstehen. Art. 100 Abs. 1 GG enthält nach seinem Wortlaut nicht die Verpflichtung des Gerichts, ein Unterlassen des Gesetzgebers als Verfassungsverstoß zur Prüfung zu stellen. Dass Art. 100 Abs. 1 GG entsprechend auszulegen wäre, hat das Bundesverfassungsgericht jedenfalls bislang nicht entschieden (offengelassen in BVerfG Beschluss vom 9. Mai 2006 - 2 BvL 4/02 - juris Rn. 22; NJW 1994, 2750, 2751; NVwZ 1984, 365 und NJW 1964, 1411).
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4. Der Senat verkennt nicht, dass das Fehlen von Zwangsbefugnissen zur Durchsetzung notwendiger medizinischer Maßnahmen dazu führen kann, dass ein Betroffener ohne eine solche Behandlung einen erheblichen Schaden nimmt. Der Senat hat bereits hinsichtlich der Problematik einer ambulanten Zwangsbehandlung wiederholt darauf hingewiesen (Senatsbeschlüsse BGHZ 145, 297, 310 = FamRZ 2001, 149, 152 und vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866, 868). Dose Klinkhammer Schilling Günter Botur
Vorinstanzen:
AG Ludwigsburg, Entscheidung vom 26.01.2012 - 8 XVII 58/12 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 16.02.2012 - 2 T 35/12 -

Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme anordnen oder genehmigen, wenn

1.
dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung oder Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht,
2.
ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen und über die Notwendigkeit der Maßnahme vorliegt; der Arzt, der das ärztliche Zeugnis ausstellt, soll Arzt für Psychiatrie sein; er muss Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie haben; dies gilt nicht für freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 312 Nummer 2 und 4,
3.
im Fall des § 317 ein Verfahrenspfleger bestellt und angehört worden ist und
4.
der Betroffene persönlich angehört worden ist.
Eine Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe ist abweichend von § 319 Abs. 4 zulässig.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.