Amtsgericht Rosenheim Beschluss, 26. Okt. 2015 - 8 XIV 133/15
Tenor
I.
Gegen den Betroffenen wird Haft zur Sicherung der Zurückschiebung angeordnet.
II.
Die Haft beginnt - mit der Festnahme am
III. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.
Gründe
I.
Der Betroffene ist lediger pakistanischer Staatsangehöriger.
Er reiste am
Bei einer polizeilichen Kontrolle nach der Einreise wies der Betroffene sich mit gefälschten Papieren, nämlich einem verfälschten italienischen Reisepass, aus. Hierdurch wollte er vortäuschen, dass für ihn ein Aufenthaltstitel bestehe.
Die im Rahmen des § 71 Absatz 3 Nr. 1 AufenthG als Ausländerbehörde zuständige Bundespolizei hat am
Der Betroffene soll gemäß § 57 Abs. 1 AufenthG nach Slowenien, dem gemäß Dublin-III-VO zuständigen Mitgliedstaat, zurückgeschoben werden.
II.
Die Inhaftnahme des Betroffenen zwecks Sicherstellung des Überstellungsverfahrens gemäß Art. 28 Abs. 2, 2 lit. n) Dublin-III-VO, § 2 Abs. 16 AufenthG war antragsgemäß anzuordnen.
1. Formelle Voraussetzungen
1.1 Antrag
Ein zulässiger und ausreichend begründeter Haftantrag der zuständigen Ausländerbehörde liegt vor. Der vorliegende Haftantrag genügt auch den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. bspw. BGH vom 15.9.2011, Az. V ZB 123/11, BGH vom 10.5.2012, Az. V ZB 246/11
1.2. Einvernehmen der Staatsanwaltschaft
Das gemäß § 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft liegt - wie im Haftantrag mitgeteilt - vor.
1.3. Anhörung
Im Rahmen der heutigen Vorführung wurde dem Betroffenen gemäß § 2 Abs. 15 S. 3 AufenthG i. V. m. § 420 Abs. 1 S. 1 FamFG in der gebotenen Weise vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt.
Der Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde ist dem Betroffenen übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden. Ein Abdruck des Antrags ist dem Betroffenen überlassen worden. Der Betroffene war in der Lage, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde zu äußern. Es handelt sich vorliegend um einen überschaubaren Sachverhalt, den der Betroffene vor der Anhörung ausreichend erfassen konnte. Auch aufgrund der vorangegangenen polizeilichen Vernehmung hatte er bereits Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die die Ausländerbehörde dem Antrag zugrunde gelegt hat.
Im Übrigen wird auf das Protokoll Bezug genommen.
2. Materielle Voraussetzungen
2.1 Anwendungsbereich von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO eröffnet
Mit dem unter I. festgestellten Sachverhalt ist der Anwendungsbereich von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO eröffnet. Der Betroffene hat einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 lit. b) Dublin-III-VO gestellt, über den noch nicht abschließend entschieden wurde.
Gemäß den Bestimmungen der Dublin-III-VO ist die Bundesrepublik Deutschland nicht für die Entscheidung über diesen Antrag zuständig. Der Betroffene ist daher grundsätzlich nach Slowenien zu überstellen.
Auch nach nationalem Recht besteht keine Aufenthaltserlaubnis für den Betroffenen. Seine Einreise in das Bundesgebiet war unerlaubt gemäß § 14 Abs. 1 AufenthG vor. Der Betroffene ist damit auch vollziehbar ausreisepflichtig, § 50 AufenthG.
2.2 Fluchtgefahr
Es besteht Fluchtgefahr.
Fluchtgefahr ist gemäß Art. 2 lit. n) Dublin-III-VO das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich der Betroffene dem laufenden Überstellungsverfahren möglicherweise durch Flucht entzieht. Ob Fluchtgefahr vorliegt ist infolgedessen ausschließlich anhand der Kriterien zu bemessen, die in § 2 Abs. 15 S. 1 AufenthG i. V. m. § 2 Abs. 14 AufenthG und in § 2 Abs. 15 S. 2 AufenthG benannt sind.
Allerdings stellen die dort aufgeführten Kriterien lediglich Anhaltspunkte für das Bestehen von Fluchtgefahr dar. Das Vorliegen einer der genannten Gründe stellt sich lediglich als Indiz für das Bestehen von Fluchtgefahr da. Grundsätzlich bedarf es jedoch einer Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls.
Die Annahme, dass im vorliegenden Fall nach dieser gebotenen Gesamtabwägung tatsächlich Anlass zu der Annahme von Fluchtgefahr besteht, beruht auf folgenden Erwägungen:
Der Betroffene hat versucht, seine wahre Identität zu verschleiern.
Er hat nicht nur sämtliche Ausweisdokumente von sich gegeben, sondern sich darüber hinaus verfälschte Personaldokumente beschafft und diese bei der polizeilichen Kontrolle auch vorgezeigt bzw. mitgeführt. Den im Rahmen der Kontrolle vorgezeigten verfälschten italienischen Reisepass kaufte der Betroffene für 950 € in Neapel. Weitere Dokumente, die seine Einreise und seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen würden, legte der Betroffene nicht vor. Dies lässt darauf schließen, dass der Betroffene gerade nicht mit den deutschen Behörden zusammenarbeiten will, sondern vorhat, sich deren Zugriff durch gezielte Identitätstäuschung zu entziehen (vgl. LG Traunstein, Beschluss vom 21.8.2012, Az. 4 T 3103/12, zur alten Fassung des § 62 AufenthG: BGH vom 22.7.2010, Az. V ZB 29/10, OLG München, Beschluss vom 09.4.2009, Az. 34 Bx 28/09).
Der Betroffene hat zudem versucht, sich den polizeilichen Maßnahmen durch Flucht zu entziehen, als er zu der polizeilichen Sammelstelle verbracht werden sollte.
Der Betroffene hat in der mündlichen Anhörung angegeben, dass er auf keinen Fall freiwillig nach Slowenien zurückkehren mochte, da er dort in seiner Religionsausübung beeinträchtigt werden würde und außerdem erhalte er dort nur sehr geringe Geldleistungen. Er wolle vielmehr unbedingt in Deutschland bleiben.
2.3 Erheblichkeit
Die Fluchtgefahr ist auch als erheblich einzustufen.
Der Begriff der Erheblichkeit ist als Begriff des Europarechts autonom auszulegen. Eine Definition durch den nationalen Gesetzgeber bedarf es nicht. Bei der Auslegung ist insbesondere der Wortlaut der Bestimmung, vor allem aber der sich bereits aus Erwägungsgrund Nr. 20 Dublin-III-VO ergebenen Willen des Verordnungsgebers, die Inhaftierung von Antragstellern lediglich als letztes Mittel nach strenger Verhältnismäßigkeitsprüfung anzuordnen, zu beachten. Der Begriff der Erheblichkeit ist daher dergestalt zu verstehen, dass es anhand konkreter Tatsachen im hohen Maße wahrscheinlich ist, dass sich der Betroffene auf freiem Fuß belassen dem Überstellungsverfahren entziehen wird.
Im vorliegenden Einzelfall ist von einer solch hohen Wahrscheinlichkeit auszugehen:
2.4 Verhältnismäßigkeit
Angesichts der erheblichen Fluchtgefahr erweist sich die Inhaftierung als verhältnismäßig im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen kommt vorliegend nicht mehr in Betracht.
2.5 Haftdauer
Die Haft war wie von der Verwaltungsbehörde beantragt für 6 Wochen anzuordnen.
Die Verwaltungsbehörde hat den zeitlichen Bedarf nachvollziehbar wie folgt begründet, so dass davon auszugehen ist, dass die Haft so kurz wie möglich sein wird, Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 1 Dublin-III-VO:
Zunächst wird für die Bearbeitung und das Anbietungsersuchen durch das BAMF eine Woche benötigt Sodann muss eine zweiwöchige Antwortfrist abgewartet werden. Im Anschluss hieran sind noch weitere 3 Wochen Bearbeitungszeit durch das BAMF, für Flugbuchung und Überstellung erforderlich.
Mit dem tatsächlichen Vollzug der Überstellung in der von der Verwaltungsbehörde erwarteten Zeit ist zu rechnen.
Die Höchstdauer der Inhaftierung von sechs Wochen nach Annahme des Gesuchs auf (Wieder-)Aufnahme des Betroffenen durch den zuständigen Mitgliedstaat gemäß Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 Dublin-III-VO wird dabei eingehalten.
2.6 Haftbedingungen
Die Haft wird gemäß den Bestimmungen von Art. 28 Abs. 4 Dublin-III-VO i. V. m. Art. 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU in der Haftanstalt Mühldorf am Inn vollzogen werden.
III.
Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung beruht auf § 2 Abs. 15 S. 3 AufenthG i V. m. § 422 Abs. 2 FamFG und ist erforderlich, da andernfalls der Zweck der Maßnahme nicht erreicht werden könnte.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Amtsgericht Rosenheim Beschluss, 26. Okt. 2015 - 8 XIV 133/15
Urteilsbesprechung schreibenUrteilsbesprechungen zu Amtsgericht Rosenheim Beschluss, 26. Okt. 2015 - 8 XIV 133/15

Referenzen - Gesetze
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 422 Wirksamwerden von Beschlüssen
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 420 Anhörung; Vorführung
Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 72 Beteiligungserfordernisse
Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 71 Zuständigkeit

Referenzen - Urteile
Urteil einreichenAmtsgericht Rosenheim Beschluss, 26. Okt. 2015 - 8 XIV 133/15 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).