Gericht

Amtsgericht Rosenheim

Tenor

I. Gegen den Betroffenen wird Haft zur Sicherung der Zurückweisung angeordnet.

II. Die Haft beginnt mit der Festnahme am 16.03.2017

und endet spätestens nach Ablauf von 6 Wochen, spätestens am 25.04.2017.

III. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

Gründe

I.

Der Betroffene ist afghanischer Staatsangehöriger.

Er reiste am 16.03.2017 gegen 08.10 Uhr mit dem Einreisezug EC 288 von Österreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Gemeindegebiet von Kiefersfelden wurde er polizeilich kontrolliert.

Der Betroffene ist nicht im Besitz eines für die Einreise erforderlichen gültigen Reisepasses oder Passersatzes und besitzt nicht die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung. Er führte lediglich eine ungarische Asylkarte mit sich.

Der Beschuldigte verließ Afghanistan Anfang 2016. Über Griechenland, Mazedonien und Serbien reiste er weiter nach Ungarn, wo ihm Fingerabdrücke abgenommen wurden. Sodann reiste er weiter nach Österreich, wo er sich etwa sechs Monate lang aufhielt. Vor 3–4 Monaten wurde er von Österreich aus nach Ungarn abgeschoben. Von den ungarischen Behörden wurde ihm eröffnet, dass er nach Afghanistan abgeschoben werden soll, woraufhin er sich auf den Weg nach Deutschland machte.

Die im Rahmen des § 71 Absatz 3 Nr. 1 AufenthG als Ausländerbehörde zuständige Bundespolizei hat am 17.03.2017 beantragt, gegen den Betroffenen Zurückweisungshaft bis zur vollzogenen Rückschiebung, längstens für die Dauer von 6 Wochen anzuordnen.

Der Betroffene soll gemäß § 57 Abs. 1 AufenthG nach Ungarn, dem gemäß Dublin-III-VO zuständigen Mitgliedstaat, zurückgewiesen werden.

II.

Die Inhaftnahme des Betroffenen zwecks Sicherstellung des Überstellungsverfahrens gemäß Art. 28 Abs. 2, 2 lit. n) Dublin-III-VO, § 2 Abs. 15 AufenthG war antragsgemäß anzuordnen.

1. Formelle Voraussetzungen

1.1 Antrag

Ein zulässiger und ausreichend begründeter Haftantrag der zuständigen Ausländerbehörde liegt vor. Der vorliegende Haftantrag genügt auch den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. bspw. BGH vom 15.9.2011, Az. V ZB 123/11, BGH vom 10.5.2012, Az. V ZB 246/11). Insbesondere hat die beteiligte Ausländerbehörde schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum die Sicherungshaft in der beantragten Länge erforderlich ist.

1.2. Einvernehmen der Staatsanwaltschaft

Das gemäß § 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft wurde nicht eingeholt, ist jedoch auch nicht erforderlich.

1.3. Anhörung

Im Rahmen der heutigen Vorführung wurde dem Betroffenen gemäß § 2 Abs. 15 S. 3 AufenthG i.V.m. § 420 Abs. 1 S. 1 FamFG in der gebotenen Weise vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt.

Der Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde ist dem Betroffenen übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden. Ein Abdruck des Antrags ist dem Betroffenen überlassen worden. Der Betroffene war in der Lage, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde zu äußern. Es handelt sich vorliegend um einen überschaubaren Sachverhalt, den der Betroffene vor der Anhörung ausreichend erfassen konnte. Auch aufgrund der vorangegangenen polizeilichen Vernehmung hatte er bereits Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die die Ausländerbehörde dem Antrag zugrunde gelegt hat.

Im Übrigen wird auf das Protokoll Bezug genommen. Insbesondere teilte der Betroffene im Rahmen der Anhörung mit, dass er nicht nach Ungarn zurückkehren wolle, weil er von dort aus nach Afghanistan abgeschoben werde. Nach Afghanistan gehe er auch nicht freiwillig zurück, weil dort sein Leben in Gefahr sei. Er wolle hier in Deutschland bleiben, um Asyl zu beantragen.

2. Materielle Voraussetzungen

Mit dem unter I. festgestellten Sachverhalt ist der Anwendungsbereich von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO eröffnet. Der Betroffene hat einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 lit. b) Dublin-III-VO gestellt, über den noch nicht abschließend entschieden wurde.

Gemäß den Bestimmungen der Dublin-III-VO ist die Bundesrepublik Deutschland nicht für die Entscheidung über diesen Antrag zuständig. Der Betroffene ist daher grundsätzlich nach Ungarn zu überstellen.

Auch nach nationalem Recht besteht keine Aufenthaltserlaubnis für den Betroffenen. Seine Einreise in das Bundesgebiet war unerlaubt gemäß § 14 Abs. 1 AufenthG vor. Der Betroffene ist damit auch vollziehbar ausreisepflichtig, § 50 AufenthG.

Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 AufenthG liegen vor:

Es ist eine Zurückweisungsentscheidung ergangen und diese kann nicht unmittelbar vollzogen werden. Es besteht der konkrete Verdacht, dass sich der Betroffene der Zurückweisung entziehen wird. Der Verdacht gründet sich im Einzelnen auf:

Haftgrund des § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG:

Der Betroffene hat sich bereits dem Asylverfahren in Ungarn entzogen. Als er erfahren hat, dass er nach Afghanistan abgeschoben werden soll, ist er nach Deutschland ausgereist. Er hätte jedoch nicht eigenmächtig das Land verlassen dürfen, ohne den ungarischen Behörden seinen Aufenthaltsort mitzuteilen. Er hat sich somit eventuellen aufenthaltsbeendenen Maßnahmen der ungarischen Behörden entzogen.

Haftgrund des § 2 Abs. 14 Nr. 2 AufenthG:

Der Betroffene führte weder einen Reisepass, noch einen Aufenthaltstitel mit sich. Zwar gibt er an, diese Dokumente noch nie besessen zu haben. Er hat sich jedoch auch bislang nicht um eine Passbeschaffung bemüht. Seine Identität wird hierdurch verschleiert.

Haftgrund des § 2 Abs. 14 Nr. 3 AufenthG:

Der Betroffene hat es in der Vergangenheit unterlassen, seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht zur Feststellung seiner Identität nachzukommen. Während seines Aufenthalts in Europa wäre es für ihn möglich gewesen, sich um die Ausstellung von Ausweispapieren zu kümmern. Er gab jedoch im Rahmen der polizeilichen Vernehmung an, bei der Passbeschaffung nicht mitzuwirken.

Haftgrund des § 2 Abs. 14 Nr. 4 AufenthG:

Der Betroffene gab an, für seine Schleusung 6.000 Euro bezahlt zu haben. Er hat somit für seine unerlaubte Einreise einen erheblichen Geldbetrag aufgewendet.

Haftgrund des § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG:

Schließlich hat der Betroffene auch ausdrücklich erklärt, dass er sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entziehen werde. Er gab an, sich nicht für eine Rückführungsmaßnahme bereit zu halten und nicht nach Ungarn bzw. Afghanistan zurückkehren zu wollen.

Haftgrund des § 2 Abs. 15 AufenthG:

Wie bereits geschildert, hielt sich der Betroffene nach Information über die drohende Abschiebung nach Afghanistan für die ungarischen Behörden nicht zur Verfügung. Vielmehr begab er sich eigenmächtig nach Deutschland, um auch hier Asyl zu beantragen.

Dies lässt darauf schließen, dass der Betroffene gerade nicht mit den deutschen Behörden zusammenarbeiten will, sondern vorhat, sich deren Zugriff zu entziehen (vgl. LG Traunstein, Beschluss vom 21.8.2012, Az. 4 T 3103/12, zur alten Fassung des § 62 AufenthG: BGH vom 22.7.2010, Az. V ZB 29/10, OLG München, Beschluss vom 09.4.2009, Az. 34 Bx 28/09).

Angesichts dieser erheblichen Fluchtgefahr erweist sich die Inhaftierung als verhältnismäßig im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen kommt vorliegend nicht mehr in Betracht.

Die Haft war wie von der Verwaltungsbehörde beantragt für 6 Wochen anzuordnen.

Die Verwaltungsbehörde hat den zeitlichen Bedarf nachvollziehbar wie folgt begründet, so dass davon auszugehen ist, dass die Haft so kurz wie möglich sein wird, Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 1 Dublin-III-VO:

Eine Woche wird benötigt für die Bearbeitung bei der Bundespolizei und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zwischen Aufgriff und Eingang des Wiederaufnahmegesuchs von Ungarn

Zwei Wochen werden für die Antwortfrist von Ungarn aufgrund des vorliegenden EURODAC – Treffers vorgesehen. Sollten die ungarischen Behörden innerhalb dieser Frist nicht antworten, liegt die Zustimmung gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III – VO vor.

Drei Wochen sind für die Bescheiderstellung und – Übersendung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an den Betroffenen, die Rechtsmittelfrist gemäß § 34 a AsylVfG, die dem Betroffenen eingeräumt wird, die Übersendung der Überstellungsdaten durch die ungarischen Behörden an Deutschland und die Organisation der tatsächlichen Überstellung (Flugbuchung etc.) durch die Bundespolizei eingeplant.

Mit dem tatsächlichen Vollzug der Überstellung in der von der Verwaltungsbehörde erwarteten Zeit ist zu rechnen.

Die Höchstdauer der Inhaftierung von sechs Wochen nach Annahme des Gesuchs auf (Wieder-)Aufnahme des Betroffenen durch den zuständigen Mitgliedstaat gemäß Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 Dublin-III-VO wird dabei eingehalten.

Die Haft wird gemäß den Bestimmungen von Art. 28 Abs. 4 Dublin-III-VO i.V.m. Art. 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU in der Haftanstalt Mühldorf am Inn vollzogen werden.

III.

Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung beruht auf § 2 Abs. 15 S. 3 AufenthG i.V.m. § 422 Abs. 2 FamFG und ist erforderlich, da andernfalls der Zweck der Maßnahme nicht erreicht werden könnte.

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Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

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(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 50 Ausreisepflicht


(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. (2) Der Ausländer hat da

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 2 Begriffsbestimmungen


(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist. (2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 72 Beteiligungserfordernisse


(1) Eine Betretenserlaubnis (§ 11 Absatz 8) darf nur mit Zustimmung der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde erteilt werden. Die Behörde, die den Ausländer ausgewiesen, abgeschoben oder zurückgeschoben hat, ist in der Rege

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 71 Zuständigkeit


(1) Für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen sind die Ausländerbehörden zuständig. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann be

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 14 Unerlaubte Einreise; Ausnahme-Visum


(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er 1. einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 nicht besitzt,2. den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt,2a. zwar ein nach § 4 erforderliche

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 15 Zurückweisung


(1) Ein Ausländer, der unerlaubt einreisen will, wird an der Grenze zurückgewiesen. (2) Ein Ausländer kann an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn 1. ein Ausweisungsinteresse besteht,2. der begründete Verdacht besteht, dass der Aufenthalt nicht

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 420 Anhörung; Vorführung


(1) Das Gericht hat den Betroffenen vor der Anordnung der Freiheitsentziehung persönlich anzuhören. Erscheint er zu dem Anhörungstermin nicht, kann abweichend von § 33 Abs. 3 seine sofortige Vorführung angeordnet werden. Das Gericht entscheidet hierü

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 57 Zurückschiebung


(1) Ein Ausländer, der in Verbindung mit der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Verordnung (EU) 2016/399 (Außengrenze) aufgegriffen wird, soll zurückgeschoben werden. (2) Ein vollziehbar ausreisepflichtiger

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 422 Wirksamwerden von Beschlüssen


(1) Der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, wird mit Rechtskraft wirksam. (2) Das Gericht kann die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses anordnen. In diesem Fall wird er wirksam, wenn der Beschluss und die Anordnung der

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(1) Für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen sind die Ausländerbehörden zuständig. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. Nach Satz 2 kann durch die zuständigen Stellen der betroffenen Länder auch geregelt werden, dass den Ausländerbehörden eines Landes für die Bezirke von Ausländerbehörden verschiedener Länder Aufgaben zugeordnet werden. Für die Vollziehung von Abschiebungen ist in den Ländern jeweils eine zentral zuständige Stelle zu bestimmen. Die Länder sollen jeweils mindestens eine zentrale Ausländerbehörde einrichten, die bei Visumanträgen nach § 6 zu Zwecken nach den §§ 16a, 16d, 17 Absatz 1, den §§ 18a, 18b, 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19, 19b, 19c und 20 sowie bei Visumanträgen des Ehegatten oder der minderjährigen ledigen Kinder zum Zweck des Familiennachzugs, die in zeitlichem Zusammenhang gestellt werden, die zuständige Ausländerbehörde ist.

(2) Im Ausland sind für Pass- und Visaangelegenheiten die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. Das Auswärtige Amt wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Entscheidung über Anträge auf Erteilung eines Visums zu übertragen. Soweit von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, stehen dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Befugnisse zur Datenverarbeitung sowie alle sonstigen Aufgaben und Befugnisse einer Auslandsvertretung bei der Erteilung von Visa gemäß Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe b sowie gemäß den §§ 54, 66, 68, 69, 72, 72a, 73, 73a, 75, 87, 90c, 91d und 91g zu.

(3) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden sind zuständig für

1.
die Zurückweisung und die Zurückschiebung an der Grenze, einschließlich der Überstellung von Drittstaatsangehörigen auf Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, wenn der Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird,
1a.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bei oder nach der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2016/399 (Binnengrenze) aufgegriffen wird,
1b.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bereits unerlaubt eingereist ist, sich danach weiter fortbewegt hat und in einem anderen Grenzraum oder auf einem als Grenzübergangsstelle zugelassenen oder nicht zugelassenen Flughafen, Flug- oder Landeplatz oder See- oder Binnenhafen aufgegriffen wird,
1c.
die Befristung der Wirkungen auf Grund der von ihnen vorgenommenen Ab- und Zurückschiebungen nach § 11 Absatz 2, 4 und 8,
1d.
die Rückführungen von Ausländern aus anderen und in andere Staaten; die Zuständigkeit besteht neben derjenigen der in Absatz 1 und in Absatz 5 bestimmten Stellen,
1e.
die Beantragung von Haft und die Festnahme, soweit es zur Vornahme der in den Nummern 1 bis 1d bezeichneten Maßnahmen erforderlich ist,
2.
die Erteilung eines Visums und die Ausstellung eines Passersatzes nach § 14 Abs. 2 sowie die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2a,
3.
die Rücknahme und den Widerruf eines nationalen Visums sowie die Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009
a)
im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, soweit die Voraussetzungen der Nummer 1a oder 1b erfüllt sind,
b)
auf Ersuchen der Auslandsvertretung, die das Visum erteilt hat, oder
c)
auf Ersuchen der Ausländerbehörde, die der Erteilung des Visums zugestimmt hat, sofern diese ihrer Zustimmung bedurfte,
4.
das Ausreiseverbot und die Maßnahmen nach § 66 Abs. 5 an der Grenze,
5.
die Prüfung an der Grenze, ob Beförderungsunternehmer und sonstige Dritte die Vorschriften dieses Gesetzes und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen und Anordnungen beachtet haben,
6.
sonstige ausländerrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen, soweit sich deren Notwendigkeit an der Grenze ergibt und sie vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hierzu allgemein oder im Einzelfall ermächtigt sind,
7.
die Beschaffung von Heimreisedokumenten im Wege der Amtshilfe in Einzelfällen für Ausländer,
8.
die Erteilung von in Rechtsvorschriften der Europäischen Union vorgesehenen Vermerken und Bescheinigungen vom Datum und Ort der Einreise über die Außengrenze eines Mitgliedstaates, der den Schengen-Besitzstand vollständig anwendet; die Zuständigkeit der Ausländerbehörden oder anderer durch die Länder bestimmter Stellen wird hierdurch nicht ausgeschlossen.

(4) Für die erforderlichen Maßnahmen nach den §§ 48, 48a und 49 Absatz 2 bis 9 sind die Ausländerbehörden, die Polizeivollzugsbehörden der Länder sowie bei Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben die Bundespolizei und andere mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörden zuständig. In den Fällen des § 49 Abs. 4 sind auch die Behörden zuständig, die die Verteilung nach § 15a veranlassen. In den Fällen des § 49 Absatz 5 Nummer 5 und 6 sind die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. In den Fällen des § 49 Absatz 8 und 9 sind auch die Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und die Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge befugt, bei Tätigwerden in Amtshilfe die erkennungsdienstlichen Maßnahmen bei ausländischen Kindern oder Jugendlichen, die unbegleitet in das Bundesgebiet eingereist sind, vorzunehmen; diese Maßnahmen sollen im Beisein des zuvor zur vorläufigen Inobhutnahme verständigten Jugendamtes und in kindgerechter Weise durchgeführt werden.

(5) Für die Zurückschiebung sowie die Durchsetzung der Verlassenspflicht des § 12 Abs. 3 und die Durchführung der Abschiebung und, soweit es zur Vorbereitung und Sicherung dieser Maßnahmen erforderlich ist, die Festnahme und Beantragung der Haft sind auch die Polizeien der Länder zuständig.

(6) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Stelle entscheidet im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt über die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren (§ 3 Abs. 1); die Entscheidungen ergehen als Allgemeinverfügung und können im Bundesanzeiger bekannt gegeben werden.

(1) Ein Ausländer, der in Verbindung mit der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Verordnung (EU) 2016/399 (Außengrenze) aufgegriffen wird, soll zurückgeschoben werden.

(2) Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, der durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, Norwegen oder die Schweiz auf Grund einer am 13. Januar 2009 geltenden zwischenstaatlichen Übernahmevereinbarung wieder aufgenommen wird, soll in diesen Staat zurückgeschoben werden; Gleiches gilt, wenn der Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird und Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird.

(3) § 58 Absatz 1b, § 59 Absatz 8, § 60 Absatz 1 bis 5 und 7 bis 9, die §§ 62 und 62a sind entsprechend anzuwenden.

(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.

(2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als Beamter.

(3) Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt der Bezug von:

1.
Kindergeld,
2.
Kinderzuschlag,
3.
Erziehungsgeld,
4.
Elterngeld,
5.
Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz,
6.
öffentlichen Mitteln, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen und
7.
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
Ist der Ausländer in einer gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert, hat er ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug werden Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16a bis 16c, 16e sowie 16f mit Ausnahme der Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, als gesichert, wenn der Ausländer über monatliche Mittel in Höhe des monatlichen Bedarfs, der nach den §§ 13 und 13a Abs. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bestimmt wird, verfügt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16d, 16f Absatz 1 für Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, sowie § 17 als gesichert, wenn Mittel entsprechend Satz 5 zuzüglich eines Aufschlages um 10 Prozent zur Verfügung stehen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gibt die Mindestbeträge nach Satz 5 für jedes Kalenderjahr jeweils bis zum 31. August des Vorjahres im Bundesanzeiger bekannt.

(4) Als ausreichender Wohnraum wird nicht mehr gefordert, als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten Sozialmietwohnung genügt. Der Wohnraum ist nicht ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich Beschaffenheit und Belegung nicht genügt. Kinder bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres werden bei der Berechnung des für die Familienunterbringung ausreichenden Wohnraumes nicht mitgezählt.

(5) Schengen-Staaten sind die Staaten, in denen folgende Rechtsakte in vollem Umfang Anwendung finden:

1.
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19),
2.
die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1) und
3.
die Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).

(6) Vorübergehender Schutz im Sinne dieses Gesetzes ist die Aufenthaltsgewährung in Anwendung der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 212 S. 12).

(7) Langfristig Aufenthaltsberechtigter ist ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. EU 2004 Nr. L 16 S. 44), die zuletzt durch die Richtlinie 2011/51/EU (ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1) geändert worden ist, verliehen und nicht entzogen wurde.

(8) Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU ist der einem langfristig Aufenthaltsberechtigten durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellte Aufenthaltstitel nach Artikel 8 der Richtlinie 2003/109/EG.

(9) Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen – GER).

(10) Hinreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11) Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11a) Gute deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(12) Die deutsche Sprache beherrscht ein Ausländer, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.

(12a) Eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn es sich um eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf handelt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist.

(12b) Eine qualifizierte Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn zu ihrer Ausübung Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, die in einem Studium oder einer qualifizierten Berufsausbildung erworben werden.

(12c) Bildungseinrichtungen im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Ausbildungsbetriebe bei einer betrieblichen Berufsaus- oder Weiterbildung,
2.
Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung.

(13) International Schutzberechtigter ist ein Ausländer, der internationalen Schutz genießt im Sinne der

1.
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) oder
2.
Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9).

(14) Soweit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), der die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung betrifft, maßgeblich ist, gelten § 62 Absatz 3a für die widerlegliche Vermutung einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und § 62 Absatz 3b Nummer 1 bis 5 als objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend; im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 bleibt Artikel 28 Absatz 2 im Übrigen maßgeblich. Ferner kann ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr vorliegen, wenn

1.
der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will,
2.
der Ausländer zuvor mehrfach einen Asylantrag in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gestellt und den jeweiligen anderen Mitgliedstaat der Asylantragstellung wieder verlassen hat, ohne den Ausgang des dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz abzuwarten.
Die für den Antrag auf Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn
a)
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 oder 2 besteht,
b)
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
c)
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Überstellungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft vorzuführen. Auf das Verfahren auf Anordnung von Haft zur Überstellung nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 finden die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend Anwendung, soweit das Verfahren in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 nicht abweichend geregelt ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 123/11
vom
15. September 2011
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Haftantrag ist nur zulässig, wenn er die in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG bezeichneten
Punkte behandelt. Die Darlegungen müssen - wenn auch in knapper Form -
die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen.
BGH, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11 - LG Berlin
AG Tiergarten
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. September 2011 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird unter Aufhebung des Beschlusses der Zivilkammer 84 des Landgerichts Berlin vom 19. Januar 2011 festgestellt, dass die Anordnung von Sicherungshaft durch den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 13. Dezember 2010 den Betroffenen von diesem Tage an in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Land Berlin auferlegt.
Der Gegenstandwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2007 ohne Reisepass und Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet ein und hielt sich dort ohne behördliche Meldung auf, bis er im Oktober 2008 festgenommen wurde. Er befand sich seither in Untersuchungshaft und wurde am 7. Mai 2009 u. a. wegen Urkundenfälschung und Hehlerei in mehreren Fällen zu einer Freiheits- strafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Diese Strafe wurde von September 2009 an vollstreckt.
2
Mit Bescheid vom 29. Januar 2009 ordnete die Beteiligte zu 2 die Abschiebung des Betroffenen in sein Heimatland Algerien an. Zur Abschiebung kam es zunächst nicht, weil der Betroffene einen Asylantrag stellte. Diesen lehnte das zuständige Bundesamt mit - inzwischen bestandskräftigem - Bescheid vom 20. September 2010 als offensichtlich unbegründet ab. Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Bescheid wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. November 2010 zurück. Nach einem Hinweis der Staatsanwaltschaft vom 6. Dezember 2010, dass der Rest der Haftstrafe des Betroffenen zur Bewährung ausgesetzt und seine Entlassung aus der Strafhaft für den 9. Dezember 2010 vorgesehen sei, beantragte die Beteiligte zu 2 noch am selben Tag die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung und bat das algerische Generalkonsulat mit Schreiben vom 10. Dezember 2010 um Ausstellung des ihr bei einer früheren Anfrage zugesagten Reisedokuments für den vorgesehenen Flug am 29. Dezember 2010, das auch ausgestellt wurde.
3
Mit Beschluss vom 13. Dezember 2010 hat das Amtsgericht nach einer vorausgegangenen einstweiligen Anordnung, die vor dem Senat nicht mehr angefochten wird, im Hauptsacheverfahren die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 29. Dezember 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Gegen die Entscheidung hat der Betroffene Beschwerde eingelegt und nach der am 29. Dezember 2010 erfolgten Abschiebung beantragt, die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung festzustellen. Die Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.


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Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei auf Grund der Abschiebungsverfügung vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Es habe der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vorgelegen. Dazu verweist es auf die unerlaubte Einreise, die Straftaten und den langen Zeitraum des illegalen Aufenthalts. Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung nicht innerhalb der Frist nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG habe durchgeführt werden können, hätten nicht bestanden. Gegen das Beschleunigungsgebot habe die Beteiligte zu 2 nicht verstoßen. Die Zusage, Passersatzpapiere auszustellen, habe frühzeitig vorgelegen. Bis zur Kenntnis von der Zurückweisung des gegen die Ablehnung des Asylgesuchs eingelegten Rechtsschutzantrags durch das Verwaltungsgericht habe die Beteiligte zu 2 nicht tätig werden müssen. Sie sei ferner nicht verpflichtet gewesen, von sich aus Erkundigungen zur Strafaussetzung einzuholen. Da am 20. Oktober 2010 noch nicht absehbar gewesen sei, dass die Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt würde, habe sie im Hinblick auf eine nur begrenzte Gültigkeit des Reisedokuments dessen Ausstellung noch nicht in die Wege leiten müssen.

III.


5
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die mit einem Antrag nach § 62 FamFG gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthafte (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151) und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist begründet. Auf seinen Antrag ist festzustellen, dass die Anordnung der Sicherungshaft den Betroffenen vom 13. Dezember 2010 an in seinen Rechten verletzt hat.
6
1. Grundlage für die Vollziehung der Sicherungshaft gegen den Betroffenen ist seit dem Beschluss vom 13. Dezember 2010 in der Hauptsache dieser Beschluss und nicht mehr die mit Beschluss vom 7. Dezember 2010 durch das Amtsgericht getroffene einstweilige Anordnung. In dieser war zwar eine vorläufige Sicherungshaft bis zum 30. Dezember 2010 verfügt. Diese endete aber auch ohne ausdrücklichen Ausspruch in einem der beiden Beschlüsse mit dem Erlass der Entscheidung in der Hauptsache.
7
2. Diese Entscheidung verletzt den Betroffenen schon deshalb in seinen Rechten, weil ihr ein zulässiger Haftantrag der Beteiligten zu 2 nicht zugrunde lag.
a) Das Vorliegen eines solchen Antrags ist Verfahrensvoraussetzung und
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daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschluss vom 30. März 2010 - V ZB 79/10, FGPrax 2010, 158). Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 14 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 8). Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden.
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b) Den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung genügt ein Haftantrag nicht schon dann, wenn darin "die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben" werden, was nach § 23 Abs. 1 Satz 2 FamFG bei einem verfahrensleitenden Antrag erforderlich, aber auch ausreichend wäre. Der Gesetzgeber hat sich – abweichend von dem Vorschlag der Bundesregierung, die es dabei bewenden lassen wollte (Entwurfsbegründung zum FGG-ReformG in BT-Drucks 16/6308 S. 291) – dafür entschieden, an die Begründung eines Haftantrags strengere Anforderungen zu stellen und der Behörde mit dem heutigen § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorzuschreiben, zu welchen Punkten sich der Haftantrag zu verhalten hat (Beschlussempfehlung zum FFG-ReformG in BT-Drucks 16/9733 S. 299). Diese müssen in dem Haftantrag behandelt werden. Damit will der Gesetzgeber erreichen, dass dem Gericht schon durch den Antrag selbst eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Einleitung weiterer Ermittlungen bzw. seine Entscheidung zugänglich werden (Beschlussempfehlung zum FFG-ReformG aaO; Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 14). Eine solche Darlegung gibt dem Betroffenen eine Grundlage für seine Verteidigung gegen den Haftantrag (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 12). Danach bestimmen sich Inhalt und Umfang der dazu notwendigen Darlegungen. Sie dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen.
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c) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag nicht. aa) Die Beteiligte zu 2 hat in ihrem Antrag zwar dargelegt, aus welchen
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Gründen der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig war. Die mit § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG weiter vorgeschriebene Darlegung der Voraussetzungen und Durchführbarkeit der Abschiebung, der Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung und ihrer erforderlichen Dauer fehlt dagegen. Die Beteiligte zu 2 nennt als Haftgrundlage § 62 Abs. 2 AufenthG. Auf welchen konkreten Haftgrund die Abschiebungshaft nach ihrer Ansicht gestützt werden soll, führt sie nicht aus. Sie setzt sich mit den Voraussetzungen der einzelnen Haftgründe auch nicht inhaltlich auseinander. Die Voraussetzungen der Haftgründe der unerlaubten Einreise nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und der Entziehungsabsicht nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG, die die Beteiligte zu 2 im Blick gehabt haben mag, werden nicht in der vorgeschriebenen Weise dargelegt. bb) Der Haftgrund der unerlaubten Einreise nach § 62 Abs. 2 Satz 1
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Nr. 1 AufenthG setzt neben der unerlaubten Einreise, die in dem Antrag angesprochen wird, voraus, dass die Ausreisepflicht auf der unerlaubten Einreise beruht. Daran fehlt es, wenn der Betroffene einen Asylantrag stellt und dieser nicht innerhalb von vier Wochen als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt wird (Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, FGPrax 2011, 41, 43 Rn. 20). Nach dem Haftantrag schied dieser Haftgrund von vornherein aus, weil der Asylantrag des Antragstellers erst nach über einem Jahr beschieden worden ist. cc) Abschiebungshaft wegen Entziehungsabsicht darf nach § 62 Abs. 2
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Satz 1 Nr. 5 AufenthG nur angeordnet werden, wenn konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Betroffenen, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahe legen, dass er beabsichtigt , unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 202/09, juris Rn. 12). Der Haftantrag enthält zu solchen Umständen keine Ausführungen. Er beschränkt sich auf den Hinweis, dass der Betroffene zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, die er verbüße. Diese Angabe ist hier jedenfalls deshalb unzureichend, weil die Beteiligte zu 2 auch mitgeteilt hat, der Betroffene werde in Kürze auf Bewährung entlassen. Dem dazu mit dem Antrag vorgelegten Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 2. Dezember 2010 ist zu entnehmen, dass sich der Betroffene schuldeinsichtig und von dem Vollzug der Strafhaft deutlich beeindruckt gezeigt habe und seine ungeklärte ausländerrechtliche Situation der Gewährung einer Strafaussetzung zur Bewährung nicht entgegenstehe. Diese Beurteilung musste zwar die Anordnung von Abschiebungshaft nicht ausschließen, erforderte aber eine mit ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten belegte Darlegung der Entziehungsabsicht (vgl. OLG Köln, OLGR 2007, 764 [Ls.] Vollabdruck bei juris). Diese enthält der Antrag nicht. dd) Auch die Dauer der beantragten Haft von sechs Wochen wird mit
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keinem Wort begründet. Ausführungen dazu waren aber auch deshalb geboten, weil die Beteiligte zu 2 im Verfahren über die einstweilige Anordnung die Anordnung einer Sicherungshaft von dreieinhalb Wochen für ausreichend hielt.
d) Das Versäumnis hat die Beteiligte zu 2 auch nicht, was – für die Zu15 kunft – möglich gewesen wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, juris Rn. 11) nachgeholt. Sie hat sich bei der Anhörung des Betroffenen im Verfahren über die einstweilige Anordnung darauf beschränkt, statt der ursprünglich beantragten Sicherungshaft von sechs Wochen eine solche von dreieinhalb Wochen zu beantragen, ohne ihren Sinneswandel zu erklären. In der Stellungnahme zu der Beschwerde des Betroffenen gegen die einstweilige Anordnung hat sie lediglich den Haftgrund, aber keine Tatsachen genannt, die diesen ausfüllen könnten. Solche Tatsachen enthält auch ihre zudem nach erfolgter Abschiebung abgegebene Stellungnahme zu der Beschwerde gegen die Haftanordnung in der Hauptsache nicht.
16
3. Fehlt es schon an einem zulässigen Haftantrag, muss den in der Sache allerdings bestehenden erheblichen Bedenken gegen das Vorliegen einer Entziehungsabsicht und die Einhaltung des Beschleunigungsgebots nicht mehr nachgegangen werden.

IV.


17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, das Land Berlin als diejenige Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Brückner Weinland
Vorinstanzen:
AG Tiergarten, Entscheidung vom 13.12.2010 - 380 XIV 386/10 B und 380 XIV
387/10 B -
LG Berlin, Entscheidung vom 19.01.2011 - 84 T 290/10 B und 84 T 298/10 B -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 246/11
vom
10. Mai 2012
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Haftantrag ist nach § 417 Abs. 2 FamFG nur zulässig, wenn er die beantragte
Haftdauer unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgebots nach § 62 Abs. 1
Satz 2 AufenthG (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 der EU-Richtlinie 2008/115/EG) erläutert.
BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11 - LG Wiesbaden
AG Wiesbaden
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Mai 2012 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und
Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:
Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt; ihm wird Rechtsanwältin Dr. Ackermann beigeordnet.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 10. September 2011 und der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 17. Oktober 2011 ihn in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in den Rechtsmittelverfahren werden dem Beteiligten zu 2 auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.


1
Der Betroffene ist türkischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 7. September 2011 nach Deutschland ein, ohne im Besitz eines Passes und Aufenthaltstitels zu sein. Er wurde am 9. September 2011 in Wiesbaden festgenommen.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 10. September 2011 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung in die Türkei bis einschließlich 9. Dezember 2011 angeordnet. Während des Beschwerdeverfahrens hat der Betroffene einen Asylantrag gestellt, gegen dessen Zurückweisung am 13. Oktober 2011 bei dem Verwaltungsgericht Klage erhoben und beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Mit Beschluss vom 17. Oktober 2011 hat das Landgericht die Beschwerde gegen die Haftanordnung zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Zurückweisung des Asylantrags durch Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. November 2011 und seiner Entlassung aus der Haft mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung und ihrer Aufrechterhaltung durch das Landgericht festzustellen.

II.


3
Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Aufgrund der illegalen Einreise unter der entgeltlichen Zuhilfenahme von Schleusern bestehe der begründete Verdacht, dass er sich der Abschie- bung entziehen werde. Damit sei der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG aF erfüllt. Die Haftdauer von drei Monaten sei verhältnismäßig. Aufgrund des zwischenzeitlich vorliegenden türkischen Personalausweises (Nüfus) könne er innerhalb der angeordneten Haftdauer in die Türkei "zurückgeschoben" werden.

III.


4
Das zulässige Rechtsmittel ist begründet. Die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
5
1. Das Amtsgericht hätte die Haft zur Sicherung der Abschiebung nicht anordnen dürfen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
6
a) Dessen Vorliegen ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 12 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 7).
7
b) An dieser Voraussetzung fehlt es.
8
aa) Ein Haftantrag, der den Anforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG nicht genügt, ist unzulässig und keine Grundlage für die Anordnung von Abschiebungshaft (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO, Rn. 14 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, aaO, Rn. 8).
9
bb) In dem Haftantrag müssen nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG unter anderem die zweifelsfreie Ausreisepflicht des Betroffenen, die Abschiebungsvoraussetzungen, die Erforderlichkeit der Haft, die Durchführbarkeit der Abschiebung und die notwendige Haftdauer dargelegt werden. Die Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 f. Rn. 9). Sie müssen auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82, 83 Rn. 13). Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese im konkreten Fall vorliegen. Daran fehlt es hier.
10
cc) Die beteiligte Behörde hat zwar dargelegt, dass der Betroffene unerlaubt eingereist und deshalb kraft Gesetzes vollziehbar ausreisepflichtig war. Sie hat auch die Notwendigkeit der Abschiebung erläutert. Den gesetzlichen Anforderungen genügen aber ihre Darlegungen zu der Durchführbarkeit der Abschiebung nicht. Hier hat sie sich auf austauschbare formelhafte Ausführungen beschränkt. Ihren Ausführungen ist weder zu entnehmen, wie lange die Behörden der Türkei, in welche der Betroffene abgeschoben werden sollte, für die Ausstellung von Ersatzpapieren üblicherweise benötigen, noch, ob das davon abhängt, dass sich der Betroffene zu seiner Identität wahrheitsgemäß äußert , oder ob die Angaben des Betroffenen etwa durch eine Nachfrage bei den türkischen Behörden überprüft worden sind. Weshalb eine Haft von drei Monaten erforderlich erschien und eine Haft von kürzerer Dauer nicht ausreichte, wird nicht erläutert. Eine solche Erläuterung ist indessen unverzichtbarer Bestandteil eines zulässigen Haftantrags, weil die Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist und die Frist von drei Monaten vorbehaltlich des § 62 Abs. 4 AufenthG die obere Grenze der möglichen Haft und nicht deren Normaldauer bestimmt. § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist zwar nach Art. 13 des Gesetzes vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258) erst am 26. November 2011 in Kraft getreten. Die Vorschrift setzt aber nahezu wörtlich eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union aus Art. 15 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 (ABl. EG Nr. L 348 S. 98) um, die seit dem Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 (Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie) auch schon vor dem Inkrafttreten der Umsetzungsvorschriften zu beachten war. Außerdem formuliert sie eine Anforderung, die sich schon aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 9/10, InfAuslR 2010, 384, 387 Rn. 27 zu beiden Gesichtspunkten für Art. 17 der Richtlinie).
11
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist im Hinblick auf die vorgenommene Prognose nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift ist die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.
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a) Für die Anordnung und Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft ist damit erst Raum, wenn die Sachverhaltsermittlung und -bewertung ergeben haben, dass entweder eine Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate prognostiziert oder zunächst eine zuverlässige Prognose nicht getroffen werden kann (Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 211/10, juris Rn. 11; BVerfG NJW 2009, 2659, 2660 Rn. 22). Vor der Zurückweisung einer Beschwerde, die sich gegen eine Sicherungshaftanordnung richtet, müssen deshalb die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF (heute § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG) unter Berücksichtigung des im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung erkennbaren Verlaufs des Abschiebungsverfahrens erneut geprüft werden (Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 205/09, juris Rn. 13). Erscheint eine Abschiebung aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, nicht mehr innerhalb von drei Monaten (gerechnet ab Anordnung der Sicherungshaft) möglich, darf die Haft nicht aufrechterhalten werden (Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 205/09, juris Rn. 13). Die erforderliche Prognose darf nur auf einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage getroffen werden (Senat , Beschluss vom 8. Juli 2010 - V ZB 203/09, juris, Rn. 9; Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175, 1176 Rn. 17) und hat sich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Umstände zu erstrecken , die der Abschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können (Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27, 29 Rn. 22; Beschluss vom 8. Juli 2010 - V ZB 89/10, juris Rn. 8). Die Entscheidung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren zwar nur darauf zu prüfen, ob das Beschwerdegericht die der Prognose zugrunde liegenden Wertungsmaßstäbe erkannt und alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und vollständig gewürdigt hat (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 261/10, InfAuslR 2011, 26 Rn. 12; Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175, 1176 Rn. 17).
13
b) In diesem Umfang ist sie jedoch zu beanstanden. Das Beschwerdegericht hat den Umfang seiner Pflichten bei der Prüfung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF (heute § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG) verkannt.
14
aa) Zwar sind für Entscheidungen, ob Zurückschiebungen von Asylsuchenden durch Grenzbehörden (§ 18 Abs. 3 AsylVfG) oder Ausländerbehörden (§ 19 Abs. 3 AsylVfG) oder Abschiebungsanordnungen des zuständigen Bundesamtes (§ 34a AsylVfG) rechtmäßig sind und ob von den Betroffenen wegen der durch einen sofortigen Vollzug drohenden Nachteile vorläufiger Rechtsschutz beansprucht und nach den Umständen gewährt werden kann, die Verwaltungsgerichte zuständig. Der Haftrichter ist nicht befugt, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zu befinden (Senat, Beschlüsse vom 12. Juni 1986 - V ZB 9/86, BGHZ 98, 109, 112 und vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 728 Rn. 23). Das Beschwerdegericht hat jedoch nicht hinreichend beachtet, dass sich der Haftrichter bei der von ihm nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF (heute § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG) abverlangten Prognose, ob die Abschiebung in den kommenden drei Monaten durchgeführt werden kann, nicht mit einem Verweis auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte begnügen darf. Er muss in diesem Rahmen eigene Ermittlungen anstellen und den Stand und den voraussichtlichen Fortgang eines bereits anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bei seiner Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer der Haft berücksichtigen und sich dazu bei dem zuständigen Verwaltungsgericht erkundigen (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660 Rn. 23; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 728 Rn. 24).
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bb) Dem ist das Beschwerdegericht nicht gerecht geworden. Der Betroffene hat schon bei der Anhörung vor dem Amtsgericht erklärt, er wolle Asyl beantragen, weil die PKK ihn davor gewarnt habe, den Militärdienst abzuleisten. Diesen - später förmlich gestellten - Antrag hat das zuständige Bundesamt zwar als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Dem ausführlich begründeten Bescheid , der dem Beschwerdegericht in Kopie vorgelegt worden ist, ist aber zu entnehmen, dass sich in dem Fall des Betroffenen neben einer Würdigung seines Verhaltens die von dem Bundesamt eingehend behandelte Frage stellte, ob die Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes generell und im Fall einer Bedrohung durch die PKK eine politische Verfolgung darstellt. Es war deshalb nicht ohne weiteres damit zu rechnen, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen diesen Bescheid innerhalb der restlichen Haftdauer zurückgewiesen und die Abschiebung weiterhin durchführbar sein würde. Es drängte sich vielmehr auf, bei dem Verwaltungsgericht nach dem Stand der Angelegenheit und dem möglichen Ausgang der Prüfung nachzufragen.
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cc) Anhaltspunkte dafür, dass die gebotene, aber unterlassene Nachfrage bei dem Verwaltungsgericht Gesichtspunkte erbracht hätte, die die Prognose gerechtfertigt hätten, der Eilantrag werde innerhalb der angeordneten Haftdauer zurückgewiesen und das mit seinem Erfolg eintretende Abschiebungs- und Hafthindernis (vgl. Senat, Beschluss vom 18. November 2010 - V ZB 121/10, juris Rn. 10) werde nicht eintreten, sind nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat knapp einen Monat nach der Beschwerdeentscheidung über den Eilantrag entschieden. Es hat ihm entsprochen und die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.

IV.


17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
Krüger Schmidt-Räntsch Roth
Brückner Weinland

Vorinstanzen:
AG Wiesbaden, Entscheidung vom 10.09.2011 - 710 XIV 603/11 -
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 17.10.2011 - 4 T 407/11 -

(1) Eine Betretenserlaubnis (§ 11 Absatz 8) darf nur mit Zustimmung der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde erteilt werden. Die Behörde, die den Ausländer ausgewiesen, abgeschoben oder zurückgeschoben hat, ist in der Regel zu beteiligen.

(2) Über das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 5 oder 7 und das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes nach § 25 Absatz 3 Satz 3 Nummer 1 bis 4 entscheidet die Ausländerbehörde nur nach vorheriger Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

(3) Räumliche Beschränkungen, Auflagen und Bedingungen, Befristungen nach § 11 Absatz 2 Satz 1, Anordnungen nach § 47 und sonstige Maßnahmen gegen einen Ausländer, der nicht im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels ist, dürfen von einer anderen Behörde nur im Einvernehmen mit der Behörde geändert oder aufgehoben werden, die die Maßnahme angeordnet hat. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Aufenthalt des Ausländers nach den Vorschriften des Asylgesetzes auf den Bezirk der anderen Ausländerbehörde beschränkt ist.

(3a) Die Aufhebung einer Wohnsitzverpflichtung nach § 12a Absatz 5 darf nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde des geplanten Zuzugsorts erfolgen. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des § 12a Absatz 5 vorliegen; eine Ablehnung ist zu begründen. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn die Ausländerbehörde am Zuzugsort nicht innerhalb von vier Wochen ab Zugang des Ersuchens widerspricht. Die Erfüllung melderechtlicher Verpflichtungen begründet keine Zuständigkeit einer Ausländerbehörde.

(4) Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Ein Ausländer, der zu schützende Person im Sinne des Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetzes ist, darf nur im Einvernehmen mit der Zeugenschutzdienststelle ausgewiesen oder abgeschoben werden. Des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn nur ein geringes Strafverfolgungsinteresse besteht. Dies ist der Fall, wenn die Erhebung der öffentlichen Klage oder die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen einer Straftat nach § 95 dieses Gesetzes oder nach § 9 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern oder Straftaten nach dem Strafgesetzbuch mit geringem Unrechtsgehalt erfolgt ist. Insoweit sind Straftaten mit geringem Unrechtsgehalt Straftaten nach § 113 Absatz 1, § 115 des Strafgesetzbuches, soweit er die entsprechende Geltung des § 113 Absatz 1 des Strafgesetzbuches vorsieht, den §§ 123, 166, 167, 169, 185, 223, 240 Absatz 1, den §§ 242, 246, 248b, 263 Absatz 1, 2 und 4, den §§ 265a, 267 Absatz 1 und 2, § 271 Absatz 1, 2 und 4, den §§ 273, 274, 276 Absatz 1, den §§ 279, 281, 303 des Strafgesetzbuches, dem § 21 des Straßenverkehrsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl. I S. 310, 919), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. April 2019 (BGBl. I S. 430) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, und dem § 6 des Pflichtversicherungsgesetzes vom 5. April 1965 (BGBl. I S. 213), das zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 6. Februar 2017 (BGBl. I S. 147) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, es sei denn, diese Strafgesetze werden durch verschiedene Handlungen mehrmals verletzt oder es wird ein Strafantrag gestellt.

(5) § 45 des Achten Buches Sozialgesetzbuch gilt nicht für Ausreiseeinrichtungen und Einrichtungen, die der vorübergehenden Unterbringung von Ausländern dienen, denen aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt oder bei denen die Abschiebung ausgesetzt wird.

(6) Vor einer Entscheidung über die Erteilung, die Verlängerung oder den Widerruf eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 4a oder 4b und die Festlegung, Aufhebung oder Verkürzung einer Ausreisefrist nach § 59 Absatz 7 ist die für das in § 25 Abs. 4a oder 4b in Bezug genommene Strafverfahren zuständige Staatsanwaltschaft oder das mit ihm befasste Strafgericht zu beteiligen, es sei denn, es liegt ein Fall des § 87 Abs. 5 Nr. 1 vor. Sofern der Ausländerbehörde die zuständige Staatsanwaltschaft noch nicht bekannt ist, beteiligt sie vor einer Entscheidung über die Festlegung, Aufhebung oder Verkürzung einer Ausreisefrist nach § 59 Absatz 7 die für den Aufenthaltsort zuständige Polizeibehörde.

(7) Zur Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 16a, 16d, 16e, 18a, 18b, 18c Absatz 3 und der §§ 19 bis 19c können die Ausländerbehörde, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die Auslandsvertretung zur Erfüllung ihrer Aufgaben die Bundesagentur für Arbeit auch dann beteiligen, wenn sie ihrer Zustimmung nicht bedürfen.

(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.

(2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als Beamter.

(3) Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt der Bezug von:

1.
Kindergeld,
2.
Kinderzuschlag,
3.
Erziehungsgeld,
4.
Elterngeld,
5.
Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz,
6.
öffentlichen Mitteln, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen und
7.
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
Ist der Ausländer in einer gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert, hat er ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug werden Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16a bis 16c, 16e sowie 16f mit Ausnahme der Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, als gesichert, wenn der Ausländer über monatliche Mittel in Höhe des monatlichen Bedarfs, der nach den §§ 13 und 13a Abs. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bestimmt wird, verfügt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16d, 16f Absatz 1 für Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, sowie § 17 als gesichert, wenn Mittel entsprechend Satz 5 zuzüglich eines Aufschlages um 10 Prozent zur Verfügung stehen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gibt die Mindestbeträge nach Satz 5 für jedes Kalenderjahr jeweils bis zum 31. August des Vorjahres im Bundesanzeiger bekannt.

(4) Als ausreichender Wohnraum wird nicht mehr gefordert, als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten Sozialmietwohnung genügt. Der Wohnraum ist nicht ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich Beschaffenheit und Belegung nicht genügt. Kinder bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres werden bei der Berechnung des für die Familienunterbringung ausreichenden Wohnraumes nicht mitgezählt.

(5) Schengen-Staaten sind die Staaten, in denen folgende Rechtsakte in vollem Umfang Anwendung finden:

1.
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19),
2.
die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1) und
3.
die Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).

(6) Vorübergehender Schutz im Sinne dieses Gesetzes ist die Aufenthaltsgewährung in Anwendung der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 212 S. 12).

(7) Langfristig Aufenthaltsberechtigter ist ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. EU 2004 Nr. L 16 S. 44), die zuletzt durch die Richtlinie 2011/51/EU (ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1) geändert worden ist, verliehen und nicht entzogen wurde.

(8) Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU ist der einem langfristig Aufenthaltsberechtigten durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellte Aufenthaltstitel nach Artikel 8 der Richtlinie 2003/109/EG.

(9) Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen – GER).

(10) Hinreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11) Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11a) Gute deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(12) Die deutsche Sprache beherrscht ein Ausländer, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.

(12a) Eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn es sich um eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf handelt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist.

(12b) Eine qualifizierte Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn zu ihrer Ausübung Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, die in einem Studium oder einer qualifizierten Berufsausbildung erworben werden.

(12c) Bildungseinrichtungen im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Ausbildungsbetriebe bei einer betrieblichen Berufsaus- oder Weiterbildung,
2.
Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung.

(13) International Schutzberechtigter ist ein Ausländer, der internationalen Schutz genießt im Sinne der

1.
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) oder
2.
Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9).

(14) Soweit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), der die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung betrifft, maßgeblich ist, gelten § 62 Absatz 3a für die widerlegliche Vermutung einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und § 62 Absatz 3b Nummer 1 bis 5 als objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend; im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 bleibt Artikel 28 Absatz 2 im Übrigen maßgeblich. Ferner kann ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr vorliegen, wenn

1.
der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will,
2.
der Ausländer zuvor mehrfach einen Asylantrag in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gestellt und den jeweiligen anderen Mitgliedstaat der Asylantragstellung wieder verlassen hat, ohne den Ausgang des dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz abzuwarten.
Die für den Antrag auf Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn
a)
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 oder 2 besteht,
b)
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
c)
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Überstellungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft vorzuführen. Auf das Verfahren auf Anordnung von Haft zur Überstellung nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 finden die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend Anwendung, soweit das Verfahren in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 nicht abweichend geregelt ist.

(1) Das Gericht hat den Betroffenen vor der Anordnung der Freiheitsentziehung persönlich anzuhören. Erscheint er zu dem Anhörungstermin nicht, kann abweichend von § 33 Abs. 3 seine sofortige Vorführung angeordnet werden. Das Gericht entscheidet hierüber durch nicht anfechtbaren Beschluss.

(2) Die persönliche Anhörung des Betroffenen kann unterbleiben, wenn nach ärztlichem Gutachten hiervon erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind oder wenn er an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes leidet.

(3) Das Gericht hat die sonstigen Beteiligten anzuhören. Die Anhörung kann unterbleiben, wenn sie nicht ohne erhebliche Verzögerung oder nicht ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist.

(4) Die Freiheitsentziehung in einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses darf nur nach Anhörung eines ärztlichen Sachverständigen angeordnet werden. Die Verwaltungsbehörde, die den Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt hat, soll ihrem Antrag ein ärztliches Gutachten beifügen.

(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er

1.
einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 nicht besitzt,
2.
den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt,
2a.
zwar ein nach § 4 erforderliches Visum bei Einreise besitzt, dieses aber durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkt oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichen wurde und deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder annulliert wird, oder
3.
nach § 11 Absatz 1, 6 oder 7 nicht einreisen darf, es sei denn, er besitzt eine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8.

(2) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden können Ausnahme-Visa und Passersatzpapiere ausstellen.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Ein Ausländer, der unerlaubt einreisen will, wird an der Grenze zurückgewiesen.

(2) Ein Ausländer kann an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn

1.
ein Ausweisungsinteresse besteht,
2.
der begründete Verdacht besteht, dass der Aufenthalt nicht dem angegebenen Zweck dient,
2a.
er nur über ein Schengen-Visum verfügt oder für einen kurzfristigen Aufenthalt von der Visumpflicht befreit ist und beabsichtigt, entgegen § 4a Absatz 1 und 2 eine Erwerbstätigkeit auszuüben oder
3.
er die Voraussetzungen für die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien nach Artikel 6 des Schengener Grenzkodex nicht erfüllt.

(3) Ein Ausländer, der für einen vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit ist, kann zurückgewiesen werden, wenn er nicht die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 und des § 5 Abs. 1 erfüllt.

(4) § 60 Abs. 1 bis 3, 5 und 7 bis 9 ist entsprechend anzuwenden. Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, darf nicht zurückgewiesen werden, solange ihm der Aufenthalt im Bundesgebiet nach den Vorschriften des Asylgesetzes gestattet ist.

(5) Ein Ausländer soll zur Sicherung der Zurückweisung auf richterliche Anordnung in Haft (Zurückweisungshaft) genommen werden, wenn eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und diese nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Im Übrigen ist § 62 Absatz 4 entsprechend anzuwenden. In den Fällen, in denen der Richter die Anordnung oder die Verlängerung der Haft ablehnt, findet Absatz 1 keine Anwendung.

(6) Ist der Ausländer auf dem Luftweg in das Bundesgebiet gelangt und nicht nach § 13 Abs. 2 eingereist, sondern zurückgewiesen worden, ist er in den Transitbereich eines Flughafens oder in eine Unterkunft zu verbringen, von wo aus seine Abreise aus dem Bundesgebiet möglich ist, wenn Zurückweisungshaft nicht beantragt wird. Der Aufenthalt des Ausländers im Transitbereich eines Flughafens oder in einer Unterkunft nach Satz 1 bedarf spätestens 30 Tage nach Ankunft am Flughafen oder, sollte deren Zeitpunkt nicht feststellbar sein, nach Kenntnis der zuständigen Behörden von der Ankunft, der richterlichen Anordnung. Die Anordnung ergeht zur Sicherung der Abreise. Sie ist nur zulässig, wenn die Abreise innerhalb der Anordnungsdauer zu erwarten ist. Absatz 5 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.

(2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als Beamter.

(3) Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt der Bezug von:

1.
Kindergeld,
2.
Kinderzuschlag,
3.
Erziehungsgeld,
4.
Elterngeld,
5.
Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz,
6.
öffentlichen Mitteln, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen und
7.
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
Ist der Ausländer in einer gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert, hat er ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug werden Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16a bis 16c, 16e sowie 16f mit Ausnahme der Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, als gesichert, wenn der Ausländer über monatliche Mittel in Höhe des monatlichen Bedarfs, der nach den §§ 13 und 13a Abs. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bestimmt wird, verfügt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16d, 16f Absatz 1 für Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, sowie § 17 als gesichert, wenn Mittel entsprechend Satz 5 zuzüglich eines Aufschlages um 10 Prozent zur Verfügung stehen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gibt die Mindestbeträge nach Satz 5 für jedes Kalenderjahr jeweils bis zum 31. August des Vorjahres im Bundesanzeiger bekannt.

(4) Als ausreichender Wohnraum wird nicht mehr gefordert, als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten Sozialmietwohnung genügt. Der Wohnraum ist nicht ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich Beschaffenheit und Belegung nicht genügt. Kinder bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres werden bei der Berechnung des für die Familienunterbringung ausreichenden Wohnraumes nicht mitgezählt.

(5) Schengen-Staaten sind die Staaten, in denen folgende Rechtsakte in vollem Umfang Anwendung finden:

1.
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19),
2.
die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1) und
3.
die Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).

(6) Vorübergehender Schutz im Sinne dieses Gesetzes ist die Aufenthaltsgewährung in Anwendung der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 212 S. 12).

(7) Langfristig Aufenthaltsberechtigter ist ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. EU 2004 Nr. L 16 S. 44), die zuletzt durch die Richtlinie 2011/51/EU (ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1) geändert worden ist, verliehen und nicht entzogen wurde.

(8) Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU ist der einem langfristig Aufenthaltsberechtigten durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellte Aufenthaltstitel nach Artikel 8 der Richtlinie 2003/109/EG.

(9) Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen – GER).

(10) Hinreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11) Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11a) Gute deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(12) Die deutsche Sprache beherrscht ein Ausländer, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.

(12a) Eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn es sich um eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf handelt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist.

(12b) Eine qualifizierte Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn zu ihrer Ausübung Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, die in einem Studium oder einer qualifizierten Berufsausbildung erworben werden.

(12c) Bildungseinrichtungen im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Ausbildungsbetriebe bei einer betrieblichen Berufsaus- oder Weiterbildung,
2.
Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung.

(13) International Schutzberechtigter ist ein Ausländer, der internationalen Schutz genießt im Sinne der

1.
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) oder
2.
Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9).

(14) Soweit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), der die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung betrifft, maßgeblich ist, gelten § 62 Absatz 3a für die widerlegliche Vermutung einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und § 62 Absatz 3b Nummer 1 bis 5 als objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend; im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 bleibt Artikel 28 Absatz 2 im Übrigen maßgeblich. Ferner kann ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr vorliegen, wenn

1.
der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will,
2.
der Ausländer zuvor mehrfach einen Asylantrag in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gestellt und den jeweiligen anderen Mitgliedstaat der Asylantragstellung wieder verlassen hat, ohne den Ausgang des dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz abzuwarten.
Die für den Antrag auf Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn
a)
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 oder 2 besteht,
b)
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
c)
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Überstellungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft vorzuführen. Auf das Verfahren auf Anordnung von Haft zur Überstellung nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 finden die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend Anwendung, soweit das Verfahren in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 nicht abweichend geregelt ist.

(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 29/10
vom
22. Juli 2010
in der Abschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juli 2010 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Lemke, die Richterin
Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth

beschlossen:
Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Rinkler bewilligt.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 27. Januar 2010 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Gründe:

I.

1
Der aus Guinea stammende Betroffene reiste 1997 in das Bundesgebiet ein. Er gab vor, Angehöriger des Staates Sierra Leone zu sein und keine Identitätspapiere zu besitzen. Der unter Angabe falscher Personalien gestellte Asylantrag wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt und der Betroffene unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert. Die Abschiebung scheiterte indes an fehlenden Identitätspapieren. Der Aufenthalt des Betroffenen wurde zunächst geduldet. Im Januar 2005 tauchte er unter, wurde im November 2005 aufgegriffen und vorübergehend in Abschiebungshaft genommen. In der Folgezeit wirkte der Betroffene an der Passersatzpapierbeschaffung nicht mit und verhinderte so eine Abschiebung. Im Januar 2009 offenbarte er gegenüber dem Standesamt E. seine wahre Identität und legte seinen Nationalpass vor, weil er beabsichtigte, eine deutsche Staatsangehörige zu heiraten. Daraufhin wurde sein Aufenthalt geduldet, zuletzt befristet bis zum 28. Januar 2010. Am 3. November 2009 teilte das Standesamt mit, dass die Eheschließung in absehbarer Zeit mangels Überprüfbarkeit der Angaben des Betroffenen und der von ihm vorgelegten Unterlagen nicht erfolgen könne.
2
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht am 18. November 2009 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 17. Februar 2010 angeordnet. Nach Eingang der sofortigen Beschwerde hat das Amtsgericht dem Landgericht die Akten ohne Abhilfeentscheidung vorgelegt. Der Betroffene wurde am 16. Dezember 2009 nach Guinea abgeschoben. Das nach der Abschiebung des Betroffenen in der Sache auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung gerichtete Rechtsmittel ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er die Feststellung, dass die Anordnung der Abschiebungshaft durch das Amtsgericht sowie der Beschluss des Landgerichts und seine Inhaftierung bis zur Abschiebung rechtswidrig waren.

II.

3
Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf das Vorliegen des Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gestützt. Es hat die Absicht des Betroffenen, sich der Abschiebung zu entziehen, daraus abgeleitet, dass der Betroffene jahrelang unzutreffende Angaben zu seiner Identität gemacht habe, um eine Abschiebung zu verhindern. Mit der Aufdeckung seiner wahren Identität habe er nur den Zweck verfolgt, eine deutsche Staatsangehörige zu heiraten und auf diese Weise ein Aufenthaltsrecht zu bekommen. Nachdem sich diese Hoffnung zerschlagen habe, sei mit Sicherheit anzunehmen, dass er sich der Abschiebung erneut entziehen werde.

III.

4
1. Mit der nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthaften und auch im Übrigen grundsätzlich zulässigen (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde kann der Betroffene allein die rechtliche Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung erreichen. Soweit er mit seinem Antrag gesondert auch die Überprüfung der Haftanordnung durch das Amtsgericht erstrebt, ist das Rechtsmittel unzulässig. Zwar hat der Senat entschieden, dass bei Erledigung der Hauptsache nach Erlass der Beschwerdeentscheidung neben dieser Entscheidung auch die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung Gegenstand des dann auf § 62 FamFG gestützten Rechtsbeschwerdeverfahrens sein kann (Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 154; Beschl. v. 17. Juni 2010, V ZB 13/10, Rn. 22). Das gilt aber nicht, wenn - wie hier - bereits das Beschwerdegericht über den Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 62 FamFG entschieden hat. Im Rechtsbeschwerdeverfahren geht es dann allein um die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung. Dabei ist inzident allerdings auch die Frage der Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung zu prüfen.
5
2. Soweit zulässig, ist die Rechtsbeschwerde unbegründet.
6
a) Der Umstand, dass das Amtsgericht es an einem ordnungsgemäßen Abhilfeverfahren (§ 68 Abs. 1 FamFG) hat fehlen lassen, hat weder einen die Aufhebung rechtfertigenden Mangel des Beschwerde- noch des Ausgangsverfahrens zur Folge (Senat, Beschl. v. 17. Juni 2010, V ZB 13/10, Rn. 11, 23 m.w.N.).
7
Zur Rechtswidrigkeit der Beschwerdeentscheidung kann das Unterlassen einer (Nicht-)Abhilfeentscheidung allenfalls dann führen, wenn der Betroffene im Vertrauen auf eine mögliche Abhilfe von entscheidungserheblichem Vortrag abgesehen hat (vgl. hierzu Senat, Beschl. v. 15. Juli 2010, V ZB 10/10, Um- druck S. 9 f.). Das macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend, und dafür gibt es auch keine Anhaltspunkte. Soweit sie in diesem Zusammenhang eine unzureichende Sachverhaltsermittlung durch das Amtsgericht rügt, berührt dies - für sich genommen - nicht die Frage der Rechtmäßigkeit der Beschwerdeentscheidung. Insbesondere führt ein unterlassenes Abhilfeverfahren nicht zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes des Betroffenen. Das Beschwerdegericht tritt als Tatsacheninstanz an die Stelle des erstinstanzlichen Gerichts (Senat, Beschl. v. 8. März 2007, V ZB 149/06, NJW-RR 2007, 1569, 1570). Seine Aufgabe ist es, die angefochtene Entscheidung zu überprüfen. Eine unzureichende Sachaufklärung kann dort gerügt werden.
8
b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht auch an der Tenorierung der Haftanordnung durch das Amtsgericht keinen Anstoß genommen.
9
aa) Das Amtsgericht hat die Freiheitsentziehung hinreichend bezeichnet (§ 421 Nr. 1 FamFG). Aus dem Tenor ergibt sich, dass es sich um eine Haft zur Sicherung der Abschiebung handelt. In Verbindung mit den heranzuziehenden Entscheidungsgründen (vgl. Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 421 Rn. 2) und unter Berücksichtigung der Befristung auf drei Monate kann entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht ernsthaft erwogen werden, dass die sog. "kleine" Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gemeint sein könnte.
10
bb) Die unzutreffende Erwähnung von § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG als Haftgrund wirkt sich im Ergebnis ebenfalls nicht aus. Denn das Landgericht hat - rechtsfehlerfrei - den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG herangezogen (s. sogleich unter d) und damit den Fehler der erstinstanzlichen Entscheidung auch im Rahmen des Fortsetzungsfeststellungsverfahrens geheilt (vgl. Senat, Beschl. v. 8. März 2007, V ZB 149/06, NJW-RR 2007, 1569, 1570; Keidel/Budde, aaO, § 62 Rn. 22 f.).
11
c) Die Haftanordnung hat den Betroffenen ferner nicht deswegen in seinen Rechten verletzt, weil sie aufgrund der bestehenden Duldung verfrüht und von daher unverhältnismäßig gewesen wäre.
12
aa) Die Duldung als zeitlich befristete Aussetzung der Abschiebung steht der Anordnung von Abschiebungshaft nicht schlechthin entgegen (vgl. BayObLGZ 1983, 138; OLG Dresden, Beschl. v. 17. Oktober 2007, 3 W 1159/07, juris, Rn. 4; OLG Frankfurt NJW 2004, 3050, 3051; OLG Hamm OLGZ 1977, 157, 159; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 68. Aktual. April 2010, § 62 AufenthG Rn. 23; im Ergebnis auch GK-AufenthG/Funke-Kaiser, Stand 43. Aktual. Juni 2010, § 60a Rn. 46; a.A. LG Freiburg, Beschl. v. 9. März 2004, 4 T 55/04, juris, Rn. 9).
13
Denn eine solche Duldung gibt dem Ausländer kein Recht zum Aufenthalt und lässt die Pflicht zur Ausreise unberührt (vgl. BayObLGZ 1983, 138, 142 f.; GK-AufenthG/Funke-Kaiser, aaO, § 60a Rn. 43; Hailbronner, aaO, § 60a AufenthG Rn. 83; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 60a AufenthG Rn. 14). Sie stellt lediglich einen befristeten Verzicht der Behörde auf die an sich gebotene Durchsetzung der Ausreisepflicht dar (GK-AufenthG/Funke-Kaiser, aaO; Hailbronner, aaO). Mit Rücksicht auf die Geltungsdauer einer Duldung besteht zwar stets Anlass zu der Prüfung, ob die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate erfolgen kann (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG, vgl. GKAufenthG /Funke-Kaiser, aaO und Rn. 47.1). Schon aufgrund der Befristung bis zum 28. Januar 2010 bestehen insoweit jedoch keine rechtlichen Bedenken.
14
bb) Die Anordnung der Sicherungshaft war auch erforderlich, ohne dass es zuvor eines förmlichen Widerrufs der Duldung (§§ 77 Abs. 1 AufenthG, 49 Abs. 2 Satz 1 VwVfG) oder einer förmlichen Ankündigung des Vollzugs der Abschiebung nach § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG bedurfte. Bedenken könnten sich - worauf auch die Rechtsbeschwerde abhebt - mit Blick darauf ergeben, dass die Haft bereits mehr als zwei Monate vor dem Ablauf der erteilten Duldungsfrist angeordnet worden ist. Mit der als "Nebenbestimmung" bezeichneten und als auflösende Bedingung ausgestalteten Bestimmung, dass die Duldung auch mit dem Tag der Ankündigung der Abschiebung erlischt, hat die Beteiligte zu 2 indessen zu erkennen gegeben, dass die Vollziehung der Abschiebung jederzeit, mithin auch vor Ablauf der Duldungsfrist erfolgen kann. Jedenfalls mit dem Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft hat sie kundgetan, den Betroffenen nunmehr abzuschieben, nachdem das Standesamt mitgeteilt hatte, der Betroffene werde bis auf weiteres nicht heiraten können. Ob neben dem Widerruf (§ 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG eine auflösende Bedingung zulässig (vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 2001, 272, 273 f.; GK-AufenthG/Funke-Kaiser, aaO, § 60a Rn. 91) und die Bedingung "Ankündigung der Abschiebung" hinreichend bestimmt ist (vgl. VGH Mannheim, aaO, S. 274, GK-AufenthG/Funke-Kaiser, aaO, Rn. 93), mit der Folge, dass die erteilte Duldung ohnehin nicht mehr wirksam wäre, kann vorliegend daher offen bleiben.
15
d) Die Annahme des Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG in der angefochtenen Entscheidung ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern. Nach dieser Vorschrift ist ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Dies setzt konkrete Umstände , insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Ausländers voraus , die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahe legen, dass der Ausländer beabsichtigt, unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (vgl. Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 202/09, Rn. 12, juris). Solche Umstände hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei festgestellt. Der Betroffene hat durch unwahre Angaben zu seiner Identität und Herkunft über Jahre seinen Aufenthalt gesichert und alles daran gesetzt, seine Ausreise zu verhindern. Die getroffenen Feststellungen sind für den Senat nach §§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, 559 Abs. 2 ZPO bindend; Rechtsfehler zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf (§ 71 Abs. 3 Nr. 2b FamFG).
16
aa) Dass der Betroffene zum Zweck der Eheschließung nunmehr seine wahre Identität und Herkunft aufgedeckt hat, stellt die Wertung des Beschwerdegerichts nicht in Frage. Die tatrichterliche Schlussfolgerung unterliegt einer Rechtskontrolle nur dahin, ob die verfahrensfehlerfrei festgestellten Tatsachen eine solche Folgerung als möglich erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschl. v. 10. Februar 2000, V ZB 5/00, FGPrax 2000, 130). So verhält es sich hier. Das Beschwerdegericht hat die angestrebte Eheschließung in den Blick genommen, diesem Umstand angesichts des - auch von der Rechtsbeschwerde nicht in Abrede gestellten - Scheiterns gegenüber den massiven Verdachtsmomenten jedoch nicht die entscheidende Bedeutung beigemessen. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, die Voraussetzungen nach § 1309 Abs. 2 BGB für die Befreiung von der Pflicht zur Vorlage eines Ehefähigkeitszeugnisses seien gegeben gewesen, verweist sie nicht auf Vortrag dazu in den Tatsacheninstanzen. Nicht zu folgen ist ihr auch insoweit, als sie davon ausgeht, das Beschwerdegericht oder das Amtsgericht hätten den Betroffenen über die Möglichkeit der Beantragung einer Befreiung nach § 1309 Abs. 2 BGB belehren müssen. Dies erfordert der Grundsatz der Amtsermittlung, ohne dass es - wie hier - im Vorbringen des Betroffenen dafür Anhaltspunkte gibt, nicht (vgl. auch Senat, Beschl. v. 10. Juni 2010, V ZB 204/09, Umdruck S. 15).
17
bb) Unbegründet ist daher auch die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht habe den Betroffenen zu der Möglichkeit eines Befreiungsantrags nach § 1309 Abs. 2 BGB persönlich anhören müssen. Eine persönliche Anhörung ist zwar auch im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich erforderlich (Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 222/09, FGPrax 2010, 154, 155). Hiervon kann nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG nur abgesehen werden, wenn eine persönliche Anhör ung in erster Instanz erfolgt ist und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten sind (Senat, Beschl. v. 4. März 2010, aaO, Beschl. v. 8. April 2010, V ZB 51/10, Rn. 19, juris). So verhält es sich aber hier. Da der Betroffene zur Begründung seiner Beschwerde zunächst nur allgemein die Annahme des Haftgrundes beanstandet und auf die fortbestehende Duldung abgestellt hat, gab es keinen Anlass für eine Anhörung zu dem Zweck, dem Betroffenen die Möglichkeit eines Befreiungsantrags nach § 1309 Abs. 2 BGB nahe zu bringen. Vielmehr durfte das Beschwerdegericht zunächst von einer persönlichen Anhörung absehen und die - erst nach der erfolgten Abschiebung eingegangene - angekündigte Beschwerdebegründung abwarten.
18
cc) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch nicht unter Berücksichtigung von Art. 6 GG.
19
(1) Soweit sich der Betroffene im Rechtsbeschwerdeverfahren auf die Möglichkeit eines Befreiungsverfahrens nach § 1309 Abs. 2 BGB stützt, wendet er sich im Kern gegen die Abschiebung selbst. Damit kann er im vorliegenden Verfahren nicht gehört werden. Es betrifft die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsverfügung , die nicht von dem Haftrichter, sondern von den Verwaltungsgerichten zu prüfen ist (vgl. nur Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50, 51).
20
(2) Der insoweit an die Entscheidung der Ausländerbehörde gebundene Haftrichter hat zwar ausnahmsweise Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 GG betreffen , etwa zur Verhinderung der Schaffung vollendeter Tatsachen, wenn verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist oder durch nachträglich eingetretene Umstände die Anordnung von Abschiebungshaft als Mittel der Sicherung unnötig wird (vgl. OLG Köln OLGR 2001, 279; OLG Brandenburg FGPrax 2002, 280, 281). So liegt es hier indessen nicht. Die Eheschließung war nach dem Stand des Beschwerdeverfahrens auf absehbare Zeit nicht möglich und der bereits im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretene Betroffene hatte hinreichend Gelegenheit, im Hinblick auf seine beabsichtigte Eheschließung verwaltungsgerichtlichen Eilschutz zu beantragen. Der Betroffene macht zudem weder geltend, noch ist ersichtlich, dass die Freiheitsentziehung vor dem Hintergrund einer gelebten Partnerschaft unverhältnismäßig ist.
21
e) Die Entscheidung hält rechtlicher Nachprüfung auch im Hinblick darauf stand, dass die Haft unzulässig ist, wenn feststeht, dass die Abschiebung, aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG).
22
aa) Der Haftrichter hat seine Prognose hierzu auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Umstände zu erstrecken, die der Abschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können (Senat, Beschl. v. 8. Juli 2010, V ZB 89/10, Umdruck S. 4 f.). Die Entscheidung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren darauf zu prüfen, ob das Beschwerdegericht die der Prognose zugrunde liegenden Wertungsmaßstäbe zutreffend erkannt und alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und vollständig gewürdigt hat (Senat, aaO, S. 5). Zu der Feststellung, ob die Abschiebung innerhalb von drei Monaten möglich ist, sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung erforderlich, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können. Der Tatrichter darf sich nicht auf die Wiedergabe der Einschätzung der Ausländerbehörde beschränken , die Abschiebung werde voraussichtlich innerhalb von drei Monaten stattfinden können (Senat, aaO; Beschl. v. 6. Mai 2010, V ZB 193/09, Rn. 20, juris). Soweit die Ausländerbehörde konkrete Tatsachen hierzu nicht mitteilt, hat das Gericht gemäß § 26 FamFG nachzufragen (Senat, Beschl. v. 6. Mai 2010, aaO ).
23
bb) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Das Beschwerdegericht hat sich mit § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG in seiner Entscheidung nicht einmal im Ansatz auseinandergesetzt. Die allgemeine Bezugnahme auf die Begründung des Amtsgerichts hilft über diese Auslassung nicht hinweg. Denn das Amtsgericht hat lediglich auf eine angebliche Mitteilung der Beteiligten zu 2 verwiesen, wonach die Abschiebung binnen drei Monaten möglich sei. Im Antrag der Beteiligten zu 2 wird jedoch nur auf die Mitteilungen des Auswärtigen Amtes und des Polizeipräsidiums Koblenz verwiesen, wonach Abschiebungen nach Guinea derzeit möglich seien. Dass die Abschiebung nach Haftanordnung unmittelbar eingeleitet würde, ist mangels genauer Darlegung ebenfalls wenig aussagekräftig.
24
cc) Diese Mängel haben sich hier aber nicht ausgewirkt. Der Ablauf der Geschehnisse lässt es als ausgeschlossen erscheinen, dass sich die Anordnung der Haft und deren Dauer unter Zugrundelegung einer sorgfältigen, alle Umstände berücksichtigenden Prognose als unangemessen erwiesen hätte. Der Betroffene ist innerhalb eines Monats seit seiner Inhaftierung abgeschoben worden. Das zeigt, dass das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG abzuleitende Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen (BVerfGE 20, 45, 49 f.; 46, 194, 195) beachtet worden ist. Bedenkt man, dass das Ziel einer sorgfältigen Prog- nose darin besteht, die zu erwartenden Verfahrensabläufe möglichst genau zu erfassen, so kann aus den späteren Abläufen auf den mutmaßlichen Inhalt einer gebotenen, aber unterlassenen Prognose geschlossen werden. Eine solche Prognose hätte die Haft und deren Dauer gerechtfertigt.

IV.

25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Krüger Lemke Stresemann Richter am BGH Dr. Czub und Dr. Roth sind wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben. Krüger
Vorinstanzen:
AG Emden, Entscheidung vom 18.11.2009 - 1 XIV 158/09 B -
LG Aurich, Entscheidung vom 27.01.2010 - 1 T 539/09 -

(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.

(2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als Beamter.

(3) Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt der Bezug von:

1.
Kindergeld,
2.
Kinderzuschlag,
3.
Erziehungsgeld,
4.
Elterngeld,
5.
Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz,
6.
öffentlichen Mitteln, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen und
7.
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
Ist der Ausländer in einer gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert, hat er ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug werden Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16a bis 16c, 16e sowie 16f mit Ausnahme der Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, als gesichert, wenn der Ausländer über monatliche Mittel in Höhe des monatlichen Bedarfs, der nach den §§ 13 und 13a Abs. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bestimmt wird, verfügt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16d, 16f Absatz 1 für Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, sowie § 17 als gesichert, wenn Mittel entsprechend Satz 5 zuzüglich eines Aufschlages um 10 Prozent zur Verfügung stehen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gibt die Mindestbeträge nach Satz 5 für jedes Kalenderjahr jeweils bis zum 31. August des Vorjahres im Bundesanzeiger bekannt.

(4) Als ausreichender Wohnraum wird nicht mehr gefordert, als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten Sozialmietwohnung genügt. Der Wohnraum ist nicht ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich Beschaffenheit und Belegung nicht genügt. Kinder bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres werden bei der Berechnung des für die Familienunterbringung ausreichenden Wohnraumes nicht mitgezählt.

(5) Schengen-Staaten sind die Staaten, in denen folgende Rechtsakte in vollem Umfang Anwendung finden:

1.
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19),
2.
die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1) und
3.
die Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).

(6) Vorübergehender Schutz im Sinne dieses Gesetzes ist die Aufenthaltsgewährung in Anwendung der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 212 S. 12).

(7) Langfristig Aufenthaltsberechtigter ist ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. EU 2004 Nr. L 16 S. 44), die zuletzt durch die Richtlinie 2011/51/EU (ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1) geändert worden ist, verliehen und nicht entzogen wurde.

(8) Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU ist der einem langfristig Aufenthaltsberechtigten durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellte Aufenthaltstitel nach Artikel 8 der Richtlinie 2003/109/EG.

(9) Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen – GER).

(10) Hinreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11) Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11a) Gute deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(12) Die deutsche Sprache beherrscht ein Ausländer, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.

(12a) Eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn es sich um eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf handelt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist.

(12b) Eine qualifizierte Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn zu ihrer Ausübung Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, die in einem Studium oder einer qualifizierten Berufsausbildung erworben werden.

(12c) Bildungseinrichtungen im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Ausbildungsbetriebe bei einer betrieblichen Berufsaus- oder Weiterbildung,
2.
Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung.

(13) International Schutzberechtigter ist ein Ausländer, der internationalen Schutz genießt im Sinne der

1.
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) oder
2.
Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9).

(14) Soweit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), der die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung betrifft, maßgeblich ist, gelten § 62 Absatz 3a für die widerlegliche Vermutung einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und § 62 Absatz 3b Nummer 1 bis 5 als objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend; im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 bleibt Artikel 28 Absatz 2 im Übrigen maßgeblich. Ferner kann ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr vorliegen, wenn

1.
der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will,
2.
der Ausländer zuvor mehrfach einen Asylantrag in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gestellt und den jeweiligen anderen Mitgliedstaat der Asylantragstellung wieder verlassen hat, ohne den Ausgang des dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz abzuwarten.
Die für den Antrag auf Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn
a)
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 oder 2 besteht,
b)
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
c)
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Überstellungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft vorzuführen. Auf das Verfahren auf Anordnung von Haft zur Überstellung nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 finden die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend Anwendung, soweit das Verfahren in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 nicht abweichend geregelt ist.

(1) Der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, wird mit Rechtskraft wirksam.

(2) Das Gericht kann die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses anordnen. In diesem Fall wird er wirksam, wenn der Beschluss und die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit

1.
dem Betroffenen, der zuständigen Verwaltungsbehörde oder dem Verfahrenspfleger bekannt gegeben werden oder
2.
der Geschäftsstelle des Gerichts zum Zweck der Bekanntgabe übergeben werden.
Der Zeitpunkt der sofortigen Wirksamkeit ist auf dem Beschluss zu vermerken.

(3) Der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, wird von der zuständigen Verwaltungsbehörde vollzogen.

(4) Wird Zurückweisungshaft (§ 15 des Aufenthaltsgesetzes) oder Abschiebungshaft (§ 62 des Aufenthaltsgesetzes) im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten vollzogen, gelten die §§ 171, 173 bis 175 und 178 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes entsprechend, soweit in § 62a des Aufenthaltsgesetzes für die Abschiebungshaft nichts Abweichendes bestimmt ist.