Vereinsrecht: Einzelfragen zur Mitgliederversammlung

bei uns veröffentlicht am26.08.2008

Autoren

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors
Rechtsanwalt für Vereinsrecht - BSP Bierbach, Streifler & Partner PartGmbB

Interessante Klarstellungen zur Durchführung von Mitgliederversammlungen hat das Landgericht (LG) Hamburg getroffen:

Wer darf einladen?

Trifft die Satzung keine anderen Regelungen, darf zur Mitgliederversammlung einladen, wer den Verein nach außen vertritt. Eine gerichtliche Vertretungsbefugnis schließt regelmäßig auch das Recht ein, zur Mitgliederversammlung einzuladen. Ein – gar einstimmiger – Beschluss des Vorstands ist dazu nicht erforderlich, zumal wenn ein Vorstandsmitglied die Kooperation verweigert.

Zwei Versammlungen an einem Tag?

Es ist zulässig, zwei Mitgliederversammlungen an einem Tag abzuhalten. Im vorliegenden Fall ging es um eine außerordentliche Mitgliederversammlung, die eine Satzungsänderung vorbereitete und die ordentliche Mitgliederversammlung, in der die Änderung beschlossen und der Vorstand neu gewählt wurde. 

Redezeitbegrenzung

Eine von der Versammlung mehrheitlich beschlossene Redezeitbegrenzung ist zulässig, auch wenn die Redezeit nur zwei bis fünf Minuten beträgt.

Abstimmung durch Vereinsangestellte

Auch Angestellte des Vereins sind stimmberechtigt, wenn sie ordentliche Mitglieder sind. Das gilt auch, wenn ihre Aufnahme als Mitglieder satzungswidrig war, solange die Mitgliedschaft nicht angefochten wurde.

Herausgabe von Mitgliederlisten

Vereinsmitglieder haben zwar in bestimmten Fällen das Recht zur Einsicht in die Mitgliederliste (zum Beispiel bei einem Minderheitenbegehren). Das ist aber ein Ausnahmerecht. Darunter fällt nicht die Herausgabe oder Übersendung einer Liste mit allen Namen, Anschriften und Mail-Adressen. Das verbietet sich schon aus datenschutzrechtlichen Gründen. Durch eine solche Herausgabe würde ein Verein jegliche Kontrolle über die Daten seiner Mitglieder verlieren und diese müssten befürchten, dass ihre Daten zu Zwecken verwandt werden, mit denen sie nicht einverstanden sind.

Änderung des Satzungszwecks

Die Ergänzung der Satzung um ähnliche Zwecke ist keine Änderung des Satzungszwecks, für die besondere Mehrheitsanforderungen gelten. Im konkreten Fall sollte die Satzung eines Verbraucherschutzvereins, der sich mit Versicherungen beschäftigte, um das Thema „Altersvorsorge“ ergänzt werden. Das ist für das LG keine Änderung des Satzungszwecks. (LG Hamburg, 319 O 135/07)

 

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 225/04
vom
9. Februar 2005
in der Familiensache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2005 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof.
Dr. Wagenitz und Dose

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 2. Senats für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 14. September 2004 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Wert: 5.724 €.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Familiengericht - hat den Beklagten mit Urteil vom 3. Dezember 2003, diesem zugestellt am 10. Dezember 2003, zur Zahlung von Trennungsunterhalt verurteilt. Mit einem am (Montag) 12. Januar 2004 beim Oberlandesgericht eingegangenen Telefax-Schreiben hat der Beklagte hiergegen Berufung eingelegt. Die dem Oberlandesgericht zugegangenen 15 Seiten dieses Schreibens umfaßten die erste Seite der zweiseitigen Berufungsschrift, eine beglaubigte und eine einfache Abschrift der vollständigen Berufungsschrift
sowie das 10-seitige Urteil des Amtsgerichts. Mit einem am 21. Januar 2004 eingegangenen Telefax-Schreiben hat der Beklagte erneut Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Auf den am 10. Februar 2004 eingegangenen Antrag des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Berufungsbegründungsfrist bis zum 10. März 2004 verlängert. Mit Beschluß vom 13. Februar 2004 hat das Berufungsgericht den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen eine Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Beklagten hat der Senat mit Beschluß vom 11. August 2004, dem Beklagten zugestellt am 23. August 2004, zurückgewiesen, weil die Berufungsbegründung des Beklagten nicht innerhalb der - verlängerten - Begründungsfrist , sondern erst am 15. März 2004 eingegangen war. Dagegen hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Mit Schriftsatz vom 6. September 2004, eingegangen am gleichen Tag, wiederholte der Beklagte seine Berufungsanträge und den weiteren Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren. Gleichzeitig beantragte er, ihm gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Oberlandesgericht hat auch diesen Antrag zurückgewiesen, weil das Berufungsverfahren durch die rechtskräftige Verwerfung der Berufung mit Beschluß vom 13. Februar 2004 "nicht mehr anhängig" sei. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig (§§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. 1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt der Sache allerdings keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache, wenn sie eine entscheidungserhebliche , klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (BGHZ 151, 221, 223). Das ist hier hinsichtlich der Auswirkungen der erhobenen Verfassungsbeschwerde auf den Fortgang des zivilgerichtlichen Verfahrens nicht der Fall. Nach gefestigter Rechtsprechung handelt es sich bei der Verfassungsbeschwerde nicht um ein Rechtsmittel, das den Eintritt der Rechtskraft einer mit ihr angefochtenen Entscheidung hindert. Die Verfassungsbeschwerde ermöglicht es lediglich, über den Rahmen des Instanzenzuges hinaus aus Verfassungsgründen die Rechtskraft einer angefochtenen Entscheidung wieder aufzuheben (BVerfG NJW 1996, 512). 2. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist allerdings zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), weil das Berufungsgericht die vom Beklagten für eine Wiedereinsetzung in die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist vorgetragenen Gründe mit unzutreffenden Erwägungen übergangen und damit dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat. Nach gefestigter Rechtsprechung dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und
das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung. Zwar hat der Senat die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und gegen die Verwerfung der Berufung mit Beschluß vom 11. August 2001 zurückgewiesen, weil die Berufung nicht innerhalb der verlängerten Frist begründet war. Die rechtskräftige Verwerfung der Berufung steht der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist aber nicht entgegen, weil bei Bewilligung der Wiedereinsetzung dem die Berufung verwerfenden Beschluß die Grundlage entzogen und er damit gegenstandslos würde (Senatsbeschlüsse vom 24. September 1997 - XII ZB 144/96 - FamRZ 1998, 285, 286, vom 24. November 1999 - XII ZB 134/99 - NJW-RR 2000, 879 und vom 6. Dezember 2000 - XII ZB 193/00 - NJW-RR 2001, 1146, 1147). Die Wiedereinsetzung beseitigt die der Partei durch Versäumung einer Frist entstandenen Rechtsnachteile. Durch sie wird fingiert, dass eine verspätete bzw. versäumte und nachgeholte Prozeßhandlung rechtzeitig vorgenommen wurde. Wird also die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt, so entfällt nachträglich die Rechtfertigung für den Verwerfungsbeschluß. Es liefe sonst auch auf einen Zirkelschluß hinaus, Wiedereinsetzung in die Versäumung der Berufungsfrist wegen nicht rechtzeitig eingegangener Berufungsbegründung zu versagen und sodann auch die beantragte Wiedereinsetzung in die Versäumung der Begründungsfrist mit der Erwägung abzulehnen, die Berufung sei bereits verworfen.
Ist mit dem Bundesgerichtshof (vgl. Beschluß vom 20. September 1993 - II ZB 10/93 - NJW 1993, 3141) davon auszugehen, daß die Berufung des Beklagten rechtzeitig eingegangen ist, so wird das Berufungsgericht zu prüfen haben , ob hinreichende Gründe für eine unverschuldete Versäumung der bis zum 10. März 2004 verlängerten Begründungsfrist vorgetragen sind. Dabei wird das Berufungsgericht insbesondere prüfen müssen, ob eine der Notarfachangestellten erteilte konkrete Einzelanweisung zum Absenden des Berufungsbegründungsschriftsatzes vom 9. März 2004 den Anforderungen an eine anwaltliche Fristenkontrolle genügt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. Juni 2003 - XII ZB 86/02 - FamRZ 2003, 1269 und vom 18. März 1998 - XII ZB 180/96 - NJW-RR 1998, 1360), oder ob es zusätzlich noch auf eine ordnungsgemäße Büroorganisation durch allgemeine Anweisungen zur Führung eines Fristenkalenders ankommt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03 - FamRZ 2004, 1183 und vom 23. Juli 2003 - XII ZB 75/03 - BRAK-Mitt 2003, 224).
Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz Dose

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung des Patentgerichts auf der Verletzung des Bundesrechts beruht oder nach § 117 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

(2) Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(3) Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das Patentgericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen des Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 82/09 Verkündet am:
29. November 2012
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. November 2012 durch die Richter Keukenschrijver, Gröning,
Dr. Grabinski und Hoffmann sowie die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 19. März 2009 verkündete Urteil des 10. Senats (Juristischen Beschwerdesenats und Nichtigkeitssenats) wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Beklagte war bei Klageerhebung eingetragener Inhaber des am 12. Mai 1997 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldung 296 18 360.1 vom 25. Oktober 1996 angemeldeten deutschen Patents 197 19 863 (Streitpatents). Es umfasst zehn Ansprüche, deren erster lautet: "Faltenbalg zur Abdeckung von beweglichen Teilen, insbesondere im Kraftfahrzeugbau, wobei der Faltenbalg mit den Endbereichen fest an den beweglichen Teilen angeordnet ist, so dass er bei wechselnden Belastungen eintretende Längsbewegungen ausfüh- ren kann und dabei die einzelnen Falten zueinander bewegbar sind, dadurch gekennzeichnet, dass zwischen den einzelnen Falten jeweils eine Basisfläche (2) angeordnet ist, wobei die Wendepunkte der Falten in einer Ebene und die Basisflächen in einer gegenüberliegenden parallelen Ebene verlaufen, und dass der Übergang zwischen der Basisfläche und den angrenzenden Falten je mindestens eine Sollfaltstelle (3) aufweist."
2
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Dafür hat sie sich insbesondere auf die europäische Patentschrift 391 100 (K27) und die deutsche Offenlegungsschrift 40 20 403 (K30) sowie eine Vorbenutzung durch von der damaligen M. GmbH gelieferte Fahrzeugsitze mit den Bezeichnungen M… und M… unter anderem gemäß den Konstruktionszeichnungen Nr. 123 721 (K13) und 130 171 (auch integriert in die und dargestellt in der späteren Zeichnung Nr. 1 124 023, K14) und Zeichnung Nr. 131 180 (K24) berufen.
3
Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter.
4
Im Auftrag des Senats hat Prof. S. , Universität des Saarlandes, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


5
Die Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
6
I. 1. Das Streitpatent betrifft einen Faltenbalg zur Abdeckung von beweglichen Teilen, die durch Längsbewegungen relativ zueinander bewegt werden. Mit solchen Faltenbälgen werden beispielsweise die Schwingsysteme von Nutzfahrzeugsitzen verkleidet.
7
Die Streitpatentschrift bemängelt an den bekannten Faltenbälgen eine unzureichende Aussteifung, was den ästhetischen Gesamteindruck beeinträchtigende Verformungen des Balgkörpers (Durchhängen) begünstige. Durch die Erfindung soll, wie in der Beschreibung formuliert, der Faltenbalg so profiliert werden, dass er bei reduziertem Materialaufwand wesentlich steifer ist und in jeder Lage der Belastung ein gleichmäßiges äußeres Bild abgibt. Dazu schlägt Patentanspruch 1 einen Faltenbalg vor (in Klammern die Gliederung des Patentgerichts ), 1. der zur Abdeckung von beweglichen Teilen, insbesondere im Kraftfahrzeugbau dient, 2. (1.1) mit den Endbereichen fest an den beweglichen Teilen angeordnet ist, 3. (1.1.1) so dass er bei wechselnden Belastungen eintretende Längsbewegungen ausführen kann und 4. (1.1.2) die einzelnen Falten dabei zueinander bewegbar sind, wobei 5. (1.2) zwischen den einzelnen Falten jeweils eine Basisfläche angeordnet ist, 6. (1.2.1, 1.2.2) die Wendepunkte der Falten in einer Ebene und die Basisflächen in einer gegenüberliegenden parallelen Ebene verlaufen und 7. (1.3) der Übergang zwischen der Basisfläche und den angrenzenden Falten mindestens eine Sollfaltstelle aufweist.
8
2. Der unter Schutz gestellte Faltenbalg muss zur Abdeckung von beweglichen Teilen geeignet sein (Merkmal 1). Patentanspruch 1 nennt den Kraftfahrzeugbau nur beispielhaft ("insbesondere"), nicht als ausschließliches Einsatzgebiet.
9
3. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 setzt voraus, dass die beweglichen Teile mechanisch miteinander verbunden und dabei in Längsrichtung relativ zueinander beweglich sind (Merkmal 3). Der Faltenbalg soll diese Teile abdecken (Merkmal 1). Um diese Funktion zu erfüllen, soll er an seinen oberen und unteren Endbereichen fest an ihnen angeordnet werden. Wie dies umzusetzen ist, schreibt Patentanspruch 1 nicht vor. Je nach Art des mit einem Faltenbalg zu versehenden Objekts und den daraus resultierenden konstruktiven Anforderungen kommen aus fachlicher Sicht unterschiedliche Lösungen in Betracht. Patentanspruch 1 verlangt lediglich, dass der von den beweglichen Teilen jeweils gebildete Bewegungsapparat kaschiert (Merkmale 2 und 3) und gleichzeitig eine feste Verbindung zwischen Faltenbalg und den Teilen hergestellt wird. Bei Umsetzung der Vorgabe, den Balg "fest an den beweglichen Teilen anzuordnen", ist aus fachlicher Sicht zu berücksichtigen, dass ein Bewegungsapparat aus zwei miteinander verbundenen und relativ zueinander bewegbaren Teilen regelmäßig zumindest an einem Ende fest mit einem weiteren Konstruktionselement verbunden ist, etwa ein Fahrzeugsitz an einem Bodenblech oder am Chassis, und eine Anordnung des Balgs "an den beweglichen Teilen" nicht ausschließt, für die Verbindung gegebenenfalls auch den Übergang zwischen beweglichen Teilen und dem sich anschließenden Element zu nutzen.
10
Wird die Position der beweglichen Teile zueinander verändert (Sitzverstellung ), was in der Diktion des Streitpatents eine "wechselnde Belastung" darstellt , kann der Faltenbalg eine entsprechende Längsbewegung ausführen (Merkmal 3), indem die einzelnen Falten zueinander bewegt werden (Merkmal 4). Der Faltenbalg soll sich also den Relativbewegungen der beweglichen Teile ("wechselnde Belastung") anpassen und sie dabei stets verdecken, indem sich die Falten bei Dehnung des Balgs aufstellen und bei Komprimierungen übereinanderlegen.
11
4. Nach Merkmal 5 wird der patentgemäße Faltenbalg nicht mit einer ununterbrochenen Abfolge von Falten versehen, sondern zwischen den einzelnen Falten ist jeweils eine als Basisfläche bezeichnete Fläche vorgesehen. In der Zusammenschau mit den Merkmalen 4 und 7 (dazu nachstehend I 5) wird die fachliche Information vermittelt, dass sich bei Längsbewegungen nur die Falten bewegen und die Basisflächen von den Bewegungsabläufen ausgenommen sein sollen. Dass das Streitpatent diesen Effekt anstrebt, kommt, worauf der gerichtliche Sachverständige hingewiesen hat, auch in Merkmal 6 zum Ausdruck , wonach die Basisflächen parallel zu einer gedachten, durch die Scheitelpunkte der Faltentäler gezogenen Linie verlaufen.
12
Die gemäß Merkmal 5 vorgesehenen Basisflächen sind geeignet, den Faltenbalgkörper horizontal zu stabilisieren. Die dem Streitpatent beigegebene Zeichnung vermittelt aus fachmännischer Sicht, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, das Konstruktionsprinzip (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2012 - X ZB 10/11, GRUR 2012, 1042 - Steckverbindung ), die Höhe der Basisfläche deutlich größer als die Wandstärke des Faltenbalgs zu bemessen, wodurch ein für Stabilitätszwecke günstigeres Flächenträgheitsmoment erzielt wird. Ähnlich wie hochkant gestellte Bretter dem Einfluss der Schwerkraft einen effektiveren Widerstand entgegensetzen als bei- spielsweise plan aufliegende Regalböden, kann mit Hilfe solcher Basisflächen dem in der Beschreibung erwähnten, einem ästhetischen Gesamteindruck abträglichen "Durchhängen" der Falten bei zugleich verringertem Materialeinsatz entgegengewirkt werden.
13
5. Der Übergang zwischen einer Basisfläche und einer angrenzenden Falte weist mindestens eine Sollfaltstelle auf (Merkmal 7). Aus fachmännischer Sicht sind die im Streitpatent als Sollfaltstellen bezeichneten Mittel dadurch charakterisiert , dass der Faltenbalgkörper, wenn er komprimiert oder aufgezogen wird, im Wesentlichen nur in dem örtlich ganz eng begrenzten Bereich dieser Stellen verformt wird. Sie wirken scharniergelenkähnlich und steuern das Zusammenfalten der Balgwandung präzise so, dass die Basisflächen kinematisch von der Krafteinwirkung entkoppelt werden. Infolge des besonders ausgeprägten Nachgebens des Materials an den Sollfaltstellen vollzieht sich die Faltung im Wesentlichen allein in dieser axial schmalen Zone, während die außerhalb davon liegenden Bereiche von der mit Kompressionsdruck einhergehenden Krafteinleitung unbeeinflusst bleiben und deshalb nicht verformt werden. Der Balg weist dadurch ungeachtet des jeweiligen Belastungszustands stets ein äußerlich möglichst ebenmäßiges Erscheinungsbild auf (Beschreibung Sp. 1 Z. 16 f.).
14
Sollfaltstellen im Sinn des Streitpatents unterscheiden sich von gängigen Beschaffenheitsmerkmalen, die im Anschluss an das schriftliche Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen als "Faltstellen" bezeichnet werden können, und deren Bedeutung darin liegt zu verhindern, dass die Balgkörper sich unter Belastung unkontrolliert verformen, sondern eine ordnungsgemäße (ziehharmonikaähnliche ) Faltfunktion gewährleistet ist. Wie die Klägerin ausgeführt hat, bilden die für die Herstellung von Faltenbälgen im Spritzgussverfahren verwendeten Gießformen die Bälge in halb aufgezogenem Zustand ab, so dass die konstruktiv vorgesehenen Falten bereits im Ansatz ausgeprägt sind. Diese herstellungstechnischen Vorkehrungen stellen qualitativ eine andere Maßnahme dar als die mit der Anlegung von Sollfaltstellen bezweckte Steuerung der Deformation des Balgmaterials an definierten, räumlich eng begrenzten Stellen.
15
Konkrete Anweisungen dazu, wie Sollfaltstellen herzustellen sind, unterbreitet das Streitpatent in Patentanspruch 1 nicht. Merkmal 7 wird aus fachmännischer Sicht insoweit als Anweisung verstanden, das Material der Balgwandung in irgendeiner Weise so zu gestalten oder auszulegen, dass die bei Kompression auf die Wandung ausgeübte Kraft bewirkt, dass diese im Wesentlichen gerade nur im Bereich unmittelbar an den Sollfaltstellen nachgibt und sich hier zusammenfaltet, während insbesondere die Basisflächen von verformender Krafteinwirkung möglichst vollständig ausgenommen bleiben. In Unteranspruch 9 wird als Mittel für die Herstellung der Sollfaltstellen eine Schwächung des Materials genannt, während Unteranspruch 10 eine Materialschwächung durch einen halbkreis- oder dreiecksförmigen Querschnitt vorschlägt. Sollfaltstellen können darüber hinaus, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, beispielweise auch durch Kombination von Materialien mit unterschiedlich hoher Biegesteifigkeit hergestellt werden. Wird eine Materialschwächung durch Querschnittsverringerung vorgesehen, lassen sich feste Relationen dafür, wie groß der Unterschied zur Ausgangsstärke der Balgwandung sein muss, damit von einer Sollfaltstelle die Rede sein kann, schon mit Blick auf die Variationsbreite der aus fachmännischer Sicht infrage kommenden Materialien nicht festlegen. Die für die Auslegung heranzuziehende Zeichnung ist zwar nur als Prinzipskizze angelegt (vorstehend I 4); daraus ist aber ersichtlich, dass das Streitpatent markante Unterschiede in der Materialstärke vorsieht, um die kinematische Entkopplung auf einen lokal engen Bereich zu zentrieren. Das entspricht im Übrigen der vom gerichtlichen Sachverständigen ausgeführten fachlichen Sicht. Er hat in diesem Zusammenhang auf den bei Kunststoffen etablierten Begriff der "Filmscharniere" verwiesen, die durch eine erhebliche Materialstärkenreduktion gekennzeichnet seien. Soweit die Klägerin mit Blick auf die als Anlage E 1 zu den Akten gereichten Äußerungen des sachverständigen Zeugen S. die Ansicht vertritt, dass die zur Abdeckung der Schwingsysteme von Nutzfahrzeugsitzen eingesetzten Faltenbälge nur deutlich geringere Materialabschwächungen aufwiesen, entspricht dies nicht der Definition der Sollfaltstelle im Streitpatent, das im Übrigen nicht auf die Ausstattung von Kraftfahrzeugsitzen beschränkt ist (oben I 1).
16
II. 1. Das Patentgericht hat den Gegenstand von Patentanspruch 1 für neu erachtet und dies, soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:
17
Beim Gegenstand der Konstruktionszeichnung K13 werde der unbelastete Faltenberg zwischen zwei innenliegenden Faltentälern vertikal gestreckt dargestellt. Die Detailzeichnung "Z" stelle einen Schnitt durch einen Teilbereich des Balges dar. Der Fachmann entnehme dem, dass außen am Umfang des eigentlichen Balgberges jeweils zwischen zwei Balgtälern eine mit dem Maß 10 belegte Fläche des Balges umlaufe, wobei von diesem Außenumfang abgewandt der Balg eine stegartig ausgebildete Querschnittsfläche aufweise (in der Detailzeichnung mit dem Maß 5). Der Balg werde dabei innenliegend in dem betreffenden Bereich versteift. Der zum Balgtal hin orientierte Übergang zwischen der Basisfläche und den angrenzenden, in einem Winkel von ca. 60° direkt anschließenden Faltenbalgwänden weise jedoch keine Sollfaltstellen auf, auch wenn der Übergang balginnenseitig mit einem aus Fertigungsgründen vorgesehenen Radius 0,3 ausgerundet sei. Die Detailzeichnung zeige dem Fachmann, dass die an die Basisfläche angrenzenden Faltenbalgwände im Ansatzbereich nicht wie an einer Sollfaltstelle falteten, sondern sich bei wechselnden Belastungen und dabei eintretenden Längsbewegungen des Balges zu- sammen mit der Basisfläche verformten, wobei die bezogen auf den Querschnitt größere Basisfläche lediglich eine geringere Verformung zeige, als die angrenzenden Faltenstegbereiche. Damit weise K13 jedenfalls nicht das Merkmal 7 auf.
18
In der Konstruktionszeichnung Anlage K14 bestehe der Unterschied zum Faltenbalg gemäß K13 darin, dass der Querschnitt der Basisfläche gegenüber den Querschnitten der in diese einlaufenden Faltenbalgwände geringer bemaßt sei, gebe aber keine über K13 hinausgehenden Informationen. Das Gleiche gelte für K24.
19
Der in K27 gezeigte Faltenbalg verwirkliche zwar die Merkmale 1, 2, 3 und 4, weise jedoch keine Basisflächen im Sinne des Streitpatents auf; ebenso fehle eine Sollfaltstelle.
20
2. Seine verbleibenden Zweifel daran, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war, hat das Patentgericht im Wesentlichen mit folgenden Erwägungen begründet:
21
Keiner der Gegenstände der in den Rechtsstreit eingeführten Dokumente weise das Merkmal 7 auf. Keiner dieser Gegenstände verfolge das Ziel, den Faltenbalg so zu profilieren, dass er einerseits bei reduziertem Materialaufwand steifer werde und andererseits in jeder Lage der Belastung ein gleichmäßigeres äußeres Bild abgebe.
22
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 werde dem Fachmann auch nicht durch die Zusammenschau einzelner Dokumente nahegelegt.
23
Der in der deutschen Offenlegungsschrift 34 17 708 (K5) gezeigte Faltenbalg offenbare keine Basisflächen oder Sollfaltstellen, sondern sei der Lösung des Problems gewidmet, ein Überstülpen und Knicken des Balges bei Abwinkelung der zwei beweglichen Teile, die dieser Balg überdecke, durch Querschnittsverjüngungen im Material des Balges in Richtung auf die außen liegenden Flankenspitzen (Faltenberge) bei gleichzeitiger Anordnung einer Entlastungsnut im Faltengrund zu verhindern.
24
In den Konstruktionszeichnungen K13 und K14 liefen die Faltenbalgwände stumpf und ohne wesentliche Schwächung des Querschnitts zur gezielten Ausbildung einer Sollfaltstelle in die Basisfläche ein, ohne eine solche zu erzeugen , weshalb die an die verstärkten Basisflächen angrenzenden Falten bei Belastung ausbauchten und sich nicht wie gelenkig an einer Sollfaltstelle der Belastung nachgebende Balgteile verhielten.
25
K27 gebe insgesamt nur wenig Anhaltspunkte zur baulichen Ausgestaltung des Balges selbst. Da dieser gänzlich auf Block gefaltet werden könne und in diesem Zustand auch keine Basisflächen mehr aufweise, die in einer (gedachten ) Ebene lägen, gingen von diesem Vorschlag keinerlei Anregungen dafür aus, am Übergang der - allenfalls im Betriebszustand gemäß Figur 1 der Entgegenhaltung vorhandenen und selbst dann schon nach innen gewölbten - Basisfläche zu den angrenzenden Falten hin eine Sollfaltstelle vorzusehen. Jedenfalls seien auch keine Anhaltspunkte für die Ausbildung je einer Sollfaltstelle am Übergang zwischen einer Basisfläche und den angrenzenden Falten im Sinne von Merkmal 7 des Streitpatents erkennbar.
26
III. Die gegen diese Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 1 gerichteten Angriffe der Berufung haben im Ergebnis keinen Erfolg.
27
1. Zu Recht hat das Patentgericht die Neuheit des Gegenstands von Patentanspruch 1 bejaht.
28
a) Das Patentgericht hat zutreffend angenommen, dass Merkmal 7 nicht in den Konstruktionszeichnungen der Anlage K14 offenbart ist.
29
Die Berufung meint, die daraus ersichtlichen Faltenbälge zeigten schon deshalb eine Sollfaltstelle, weil der Bereich zwischen der Basisfläche und den angrenzenden Falten sonst mit rundlichen Verbiegungen gezeigt wäre, und nicht mit den dargestellten scharfkantigen Abknickungen. Dieser Sichtweise kann nicht beigetreten werden. Die Zeichnungen dienen als konstruktive Vorgaben für die Fertigung der Bälge, nicht aber der Darstellung des Ist-Zustands des fertigen Produkts. Aus den Zeichnungen, insbesondere aus der nachstehend eingefügten Detailskizze, ist, worauf zurückzukommen sein wird (unten III 2 b), lediglich eine Modifikation der Wandstärke im Bereich des Übergangs von Falten und Versteifungselement von 2 mm auf 1,5 mm ersichtlich. Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, offenbart die konstruktive Auslegung im Übergang von Versteifungselement und Falte aus fachlicher Sicht aufgrund des verbleibenden Verhältnisses der Wandstärken keine Sollfaltstelle im Sinn des Streitpatents, sondern lediglich eine Faltstelle, deren Umgebung mangels der streitpatentgemäßen Entkopplungswirkung (oben I 5 aE) nicht von Deformierungen ausgenommen bleibt.
30
Der in diesem Zusammenhang von der Klägerin angeregten Heranziehung eines weiteren Sachverständigen bedurfte es nicht. Der gerichtliche Sachverständige verfügt über die erforderliche Sachkunde. Er hat selbst Faltenbälge konstruiert und ist Inhaber eines Patents auf diesem Gebiet. Dass seine eigene praktische Befassung rotationssymmetrischen Bälgen galt, die ein abweichendes Anforderungsprofil aufweisen, stellt seine Fachkunde nicht infrage. Die erschöpfende Erörterung der sich im Streitfall stellenden Fragen in seinem schriftlichen Gutachten und bei der Befragung in der mündlichen Verhandlung haben gezeigt, dass er auch diese Materie beherrscht und dem Senat zuverlässig die für die Beurteilung des Streitfalls erforderlichen Kenntnisse vermitteln konnte.
31
b) Die aus K13 ersichtliche Lösung liegt vom Streitpatent weiter ab als K14; auch die in der Anlage E 4 überreichten Zeichnungen haben keinen darüber hinausgehenden Offenbarungsgehalt.
32
K27 offenbart entgegen der Auffassung der Klägerin das Merkmal 7 nicht. Aus der Beschreibung einschließlich der Zeichnung ist lediglich zu entnehmen , dass sich Falten an Flächen anschließen, die als Basisflächen im Sinn des Streitpatents erscheinen mögen. Mehr, als dass diese Flächen in die angrenzenden Falten übergehen, ist aus dem Dokument nicht ersichtlich. Sollfaltstellen im Sinne des Streitpatents (oben I 5) sind damit weder beschrieben noch in den Figuren gezeigt.
33
K30 zeigt keine Sollfaltstellen am Übergang zwischen einer Basisfläche und den angrenzenden Falten, sondern Faltungsbereiche mit Entlastungsnuten, die die Dauerflexibilität dieser Bereiche erhöhen, wobei aber eine gleichzeitige gemeinsame Verformung der Bereiche bei Belastung des Balgs bewirkt wird.
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2. Die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit durch das Patentgericht hält den Angriffen der Berufung ebenfalls stand.
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Um die Wahl einer von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösung als dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt anzusehen , bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, abgesehen von den Fällen, in denen der Fachmann weiß, was zu tun ist, regelmäßig eines hinreichend konkreten Anlasses, das technische Problem auf dem vom Streitpatent beschrittenen Weg zu suchen (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 92/05, BGHZ 182, 1 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung). Daran fehlt es vorliegend.
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a) Der Fachmann, der sich am Prioritätstag mit der Weiterentwicklung von Faltenbälgen zur Abdeckung von Längsbewegungen ausführenden beweglichen Teilen befasste, verfügte nach der Würdigung des Patentgerichts, mit der sich die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen im Wesentlichen deckt, über einen Fachhochschulabschluss der Fachrichtung Maschinenbau und hatte zusätzlich einige praktische Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von Faltenbälgen gesammelt.
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b) K14 als Ausgangspunkt für eine Weiterbildung der bekannten Faltenbälge gab aus fachmännischer Sicht keinen hinreichend konkreten Anlass, zum Gegenstand von Patentanspruch 1 zu gelangen. Die dortige Detailzeichnung (oben III 1 a) zeigt, dass die eine Wandstärke von 2 mm aufweisenden Falten über einen verrundeten Übergang in das Versteifungselement übergehen, das eine Wanddicke von 3 mm aufweist. Aus der Wahl dieses Wandstärkenverhältnisses wird aus fachmännischer Sicht, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen ergeben hat, das konstruktive Bestreben ersichtlich, den Faltenbalg horizontal durch eine Querschnittsverdickung der Versteifungselemente zu stabilisieren und auf diese Weise dem unerwünschten Durchhängen zu begegnen. Das weist den Fachmann nicht in die Richtung der streitpatentgemäßen Bemaßung der Basisflächen (oben I 4). Selbst wenn der Fachmann erwogen hätte, dem Durchhängen in Abkehr von K14 durch eine Querschnittsverschlankung der Versteifungselemente zu begegnen, hätte das für sich noch nicht ausgereicht, um die (ästhetische) Verbesserung des optischen Gesamteindrucks zu erreichen, die das Streitpatent erstrebt. Denn wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, war aus fachmännischer Sicht bei einer solchen Querschnittsverschlankung für sich genommen mit gleichzeitigen Beul- oder Deformationseffekten zu rechnen, die die mit der Stabilisierung erreichte optische Verbesserung zunichtemachen. Die vom Streitpatent gefundene Lösung, den Faltenbalg durch in einer Ebene liegende Basisflächen in horizontaler Richtung zu stabilisieren und dabei Beul- oder Deformationseffekte durch Anlegung von Sollfaltstellen zu begegnen, ist durch K14 nicht nahegelegt. Das gilt ungeachtet des Umstands, dass die vorstehend erwähnte Detailzeichnung für den Übergang von Falten und Versteifungselementen eine von 2 mm auf 1,5 mm verringerte Wandflächenstärke zeigt. Diese Maßnahme bleibt konstruktiv , wie sich aus der Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen zur Überzeugung des Senats ergeben hat, dem bekannten Vorsehen einfacher Faltstellen (oben I 5, 2. Absatz) verhaftet. Sie bot deshalb keinen Anlass, funktional -konstruktiv anders wirkende Sollfaltstellen zu entwerfen. Dagegen, dass der Fachmann den Weg des Streitpatents einer einschneidenden Materialverjüngung gewählt hätte, spricht auch, dass bei großen Spritzgießteilen wie Fahrersitzbälgen einer noch größeren Wandstärkenreduktion produktionstechnische Schwierigkeiten entgegenstanden, wie der als sachverständiger Zeuge benannte Mitarbeiter des Fachunternehmens m. , S. , schriftlich ausgeführt hat (Anlage E1).
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c) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 war dem Fachmann auch nicht durch die deutsche Patentanmeldung 40 20 403 (K30) nahegelegt.
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Die in K30 gezeigten Faltenbälge dienen grundlegend anderen Einsatzzwecken als die streitpatentgemäßen. Sie werden zur Kapselung von homokinetischen Gelenken insbesondere an Kraftfahrzeug-Antriebsgelenkwellen eingesetzt und müssen hinsichtlich der Biegeelastizität aller Wandungsteile, insbesondere also bei Abwinklungen der Gelenkteile zueinander, extremen mechanischen Anforderungen in einem weiten Temperaturbereich standhalten. Um die dabei ständig auftretenden alternierenden Dehnungen und Stauchungen und Spannungsspitzen im Faltungsscheitel (Faltental) zu vermeiden und gleichmäßig über einen größeren Bereich zu verteilen und Knickbrüche zu verhindern, schlägt K30 für die radial innenliegenden Faltentäler Entlastungsnuten vor, bei denen die Wandung sich, wie aus der eingefügten Figur 1 (Bezugszeichen 4 und 5) ersichtlich, im Faltenscheitel kreisbogenförmig erweitert. Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, wird mit dieser Lösung keine Entkopplung durch Sollfaltstellen im Sinn des Streitpatents verwirklicht. Die aus K30 ersichtlichen Prinzipien auf einen streitpatentgemäßen Faltenbalg zu übertragen, wäre im Übrigen aus fachmännischer Sicht schon wegen des unterschiedlichen Materials nicht in Betracht gekommen. Während streitpatentgemäße Bälge typischerweise aus Weich-PVC hergestellt werden (vgl. insoweit auch E1), können Faltenbälge gemäß K30, wie der gerichtliche Sachverständi- ge plausibel ausgeführt hat, nur aus Gummi (Elastomeren) hergestellt werden. Dass in dem in K30 formulierten Patentanspruch 1 von einem Faltenbalg aus plastomeren oder elastomeren Werkstoff die Rede ist, weist aus fachlicher Sicht, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend erläutert hat, lediglich darauf hin, dass das Elastomer bis zu einem bestimmten Maß plastisch verformt werden muss, damit die Hinterschneidung aufrechterhalten bleibt.
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d) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 war dem Fachmann auch nicht ausgehend von der Anlage K27 nahegelegt. Die diesbezüglichen Erwägungen der Klägerin kranken ebenfalls daran, dass sie "Faltstellen" (oben I 5, 2. Absatz) mit den Sollfaltstellen des Streitpatents gleichsetzt.
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e) Der vom Streitpatent vorgeschlagenen Lösung kann nicht deshalb abgesprochen werden, als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend zu gelten, weil sie für den Fachmann auf der Hand gelegen hätte (BGHZ 182, 1 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung). Dass die erfinderische Tätigkeit aus diesem Grunde zu verneinen wäre, ergibt sich auch nicht aus der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen auf Seite 23 oben seines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Diese steht im Zusammenhang mit den im Beweisbeschluss zur Vorbereitung der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit durch den Senat gestellten Fragen, welche Schritte der Fachmann vollziehen musste, um zu der Lehre des Streitpatents zu gelangen, inwiefern er Veranlassung hatte, Überlegungen in diese Richtung anzustellen und was im Einzelnen dafür oder dagegen spricht, aufgrund solcher Überlegungen zur streitpatentgemäßen Lösung zu gelangen. Der Sachverständige hat dazu in systematischer Zergliederung erwogen, dass der Fachmann für verschiedene Funktionen Lösungen habe realisieren müssen ("Durchhang reduzieren", "axiale Bewegungen ausgleichen" , "Komponenten abdecken" und "'ästhetische' Deformierungen finden"). Die Lösung des Problems der "ästhetischen" Deformierung durch kinematische Entkopplung mittels Sollfaltstellen sei Bestandteil eines in Faltenbälgen regelmäßig anzutreffenden Lösungskonzeptes und ein Fachmann werde dieses wählen, wenn es darum gehe, Deformationen aus einem Faltenbalgbereich in einen anderen nicht zu übertragen. Diese Einschätzung hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung als wohl durch eine eigene im Jahre 2000 getätigte Erfindung beeinflusst relativiert. Abgesehen davon, dass der gerichtliche Sachverständige nicht das durchschnittliche fachmännische Vermögen repräsentiert , bestehen nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass die komplexe streitpatentgemäße Lösung am Prioritätstag dem Fachmann allein aufgrund des ihm zuzuschreibenden allgemeinen Fachwissens nahegelegt war.
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IV. Die Unteransprüche haben mit Patentanspruch 1 Bestand.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG. Keukenschrijver Gröning Grabinski Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 19.03.2009 - 10 Ni 4/08 -