Nachbarrecht: Pflicht zur Kanalbeseitigung trotz öffentlich-rechtlicher Baulast

published on 30/05/2014 16:27
Nachbarrecht: Pflicht zur Kanalbeseitigung trotz öffentlich-rechtlicher Baulast
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Author’s summary by für Familien- und Erbrecht

Verlaufen Entsorgungsleitungen über ein Nachbargrundstück, muss der Nachbar diese nicht dulden, wenn kein Leitungsrecht im Grundbuch eingetragen ist.
Eine bestehende öffentlich-rechtliche Baulast ändert daran nichts.

Dass musste sich ein beklagter Grundstückseigentümer vor dem Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg sagen lassen. Er wurde verurteilt, die zu seinem Grundstück führenden Entsorgungsleitungen vom Nachbargrundstück der Klägerin zu entfernen. Seine Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg blieb damit ohne Erfolg. Das Nachbargrundstück stand bis November 2012 im Eigentum eines Verwandten. Dieser hatte es mehr als 30 Jahre geduldet, dass die Leitungen auf seinem Grundstück verlegt waren. Im Wege der Zwangsversteigerung erwarb die Klägerin das Eigentum an dem Grundstück, das sie jetzt bebauen möchte. Die Regen- und Schmutzwasserkanäle des Beklagten hindern sie daran.

Die Beklagten hatten es nach den Ausführungen der Richter verabsäumt, das Leitungsrecht dinglich zu sichern, also in das Grundbuch eintragen zu lassen. Zu ihren Gunsten bestand, wie häufig, nur eine öffentlich-rechtliche Baulast. Ohne eine Eintragung des Leitungsrechts im Grundbuch, so die Richter, müsse die Klägerin die Leitungen auf ihrem Grundstück nicht dulden. Die öffentlich-rechtliche Baulast genüge dafür nicht. Jetzt muss der Beklagte die Kanäle vom Grundstück der Klägerin auf eigene Kosten entfernen und über sein Grundstück den Kanalanschluss legen lassen (OLG Oldenburg, 1 U 104/13).


Die Entscheidung im Einzelnen lautet:

OLG Oldenburg, Urteil vom 30.01.2014 (Az.: 1 U 104/13):


Gründe:

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zutreffend hat das Landgericht der Klägerin gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB einen Anspruch auf Beseitigung derjenigen Leitungen aus ihrem Grundeigentum zugesprochen, die von dem Hintergrundstück der Beklagten über den Grundbesitz der Klägerin in D. L., führen.

Die streitgegenständlichen Leitungen stellen aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf welche Bezug genommen wird, eine Eigentumsbeeinträchtigung dar.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Klägerin nicht gemäß § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung dieser Beeinträchtigung verpflichtet.

Eine zivilrechtliche Grundlage für die Nutzung des fremden Grundstücks ist nicht gegeben. Dass die Führung der Leitungen über das Eigentum der Klägerin nicht durch ein dingliches Recht, etwa eine Grunddienstbarkeit gemäß §§ 1018 ff BGB, gesichert ist, ist zwischen den Parteien unstreitig. Aber auch eine schuldrechtliche Bindung der Klägerin liegt nicht vor. Ob das Landgericht darauf hätte hinweisen müssen, dass es den Sachvortrag der Beklagten zu deren angeblichem Nutzungsrecht für unbeachtlich hielt, kann dahin stehen, denn die Beklagten hatten in der Berufungsinstanz hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Ein solches Nutzungsrecht steht dem Anspruch der Klägerin indes nicht entgegen. Das Einvernehmen, das es offensichtlich zwischen den Beklagten und dem Vater des Beklagten zu 2) gegeben hat, entfaltet ohne die unstreitig fehlende dingliche Absicherung gegenüber der Klägerin keine Wirkung. Dabei kann die genaue rechtliche Einordnung offenbleiben. Es dürfte sich um einen grundsätzlich jederzeit kündbaren unentgeltlichen Gestattungsvertrag gehandelt haben; ein solcher schuldrechtlicher Vertrag bindet Sondernachfolger grundsätzlich nicht. Ansatzpunkte für eine Ausnahme sind nicht ersichtlich. Vielmehr endete die Gestattung mit dem Eigentumsverlust des Vaters des Beklagten zu 2), ohne dass es einer rechtsgeschäftlichen Beendigung seitens der Klägerin bedurfte.

Entgegen der Argumentation der Beklagten verhelfen die Vorschriften der §§ 57 ZVG, 566 BGB ihrem Standpunkt nicht zum Erfolg, denn sie waren jedenfalls weder Mieter noch Pächter des Vordergrundstücks.

Auch eine Duldungspflicht aus Rechtsnormen ist nicht gegeben.

Eine solche Duldungspflicht ergibt sich insbesondere nicht aus einer etwaigen Baulast, und zwar unabhängig davon, ob bzw. welche Leitungen tatsächlich unter einer solchen Baulast liegen, denn die Baulast bewirkt keine privatrechtlichen Nutzungsansprüche bzw. Duldungspflichten ). Eine andere Bewertung widerspräche dem zivilrechtlichen Prinzip des numerus clausus der Sachenrechte. Zwar kann dem Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB - unter strengen Voraussetzungen - die tatsächliche Unmöglichkeit der Beseitigung der Eigentumsstörung entgegengehalten werden. Auch diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt. Die Beklagten berufen sich in diesem Zusammenhang auf den in der Baulast auf der südlichen Seite des Vordergrundstücks liegenden Erdöltank. Diese tatsächlichen Gegebenheiten hindern die Beklagten jedoch nicht daran, die Leitungen über den in ihrem Eigentum stehenden Grundstücksstreifen zu führen, der auf der nördlichen Seite des Vordergrundstücks verläuft. Soweit die Beklagten die Auffassung geltend machen, dies sei ihnen wirtschaftlich nicht zuzumuten, hindert dieser Umstand nicht die tatsächliche Möglichkeit der Störungsbeseitigung.

Auch aus der nachbarrechtlichen Vorschrift des § 906 Abs. 2 BGB lässt sich entgegen der Argumentation der Beklagten eine Duldungspflicht nicht herleiten, weil es nicht um Immissionen im Sinne dieser Regelung geht.

Die Vorschrift des § 242 BGB, insbesondere in Gestalt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses, verhilft der Berufung der Beklagten ebenfalls nicht zum Erfolg. Dieses Rechtsinstitut kann zwar in zwingenden Ausnahmefällen Rechte beschränken oder ausschließen. Ein solcher Ausnahmefall liegt aber nicht vor. Allein der Umstand, dass es für die Beklagten einen erheblichen wirtschaftlichen Aufwand bedeutet, für ihre Leitungen das eigene Grundstück zu benutzen, statt sie weiterhin über fremdes Eigentum zu führen, vermag bei Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Einschränkung der Eigentümerbefugnisse aus § 903 BGB nicht zu rechtfertigen; dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Ein Verstoß gegen das Schikaneverbot des § 226 BGB ist nicht ersichtlich. Dafür, dass es Beweggrund der Klägerin bei der Verfolgung ihrer Ansprüche ist, die Beklagten zu schädigen, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dass die Klägerin die Beseitigung der Leitungen begehrt, um die ihr gesetzlich zustehenden Rechte als Eigentümerin auszuüben und insbesondere auch das Grundstück zu bebauen, liegt nahe.

Ein Gewohnheitsrecht - d. h. eine lang dauernde tatsächliche Übung, getragen von einer Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise, das durch die Einhaltung der Übung bestehende Recht sei zu befolgen - des Inhalts, dass Grundstückseigentümer fremde Ver- oder Entsorgungsleitungen in ihrem Eigentum zu dulden hätten, gibt es nicht.

Schließlich halten die Beklagten dem Anspruch nicht mit Erfolg die Einrede der Verjährung entgegen. Der Anspruch auf Beseitigung der Eigentumsstörung unterliegt der regelmäßigen Verjährung gemäß §§ 195, 199 Abs. 1, 4, 5 BGB. Der Beginn der Verjährungsfrist setzt die Entstehung des Anspruchs voraus, § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Maßgebend dafür ist der Beginn der Beeinträchtigung. Die streitgegenständliche Eigentumsstörung begann mit dem Erwerb des Eigentums durch die Klägerin im November 2012. Zwar wird mit dem Wechsel des Eigentums am gestörten Grundstück keine neue Verjährungsfrist in Lauf gesetzt. Solange der Vater des Beklagten zu 2) Eigentümer des Vordergrundstücks war, bestand jedoch kein Anspruch aus § 1004 BGB, weil er aufgrund einer unentgeltlichen Gestattung bzw. eines wie auch immer gearteten zivilrechtlichen Rechtsverhältnisses zur Duldung verpflichtet war. Die Grundlage dieser Duldungspflicht ist aber mit dem Eigentumswechsel auf die Klägerin entfallen. Vor diesem Hintergrund lag eine rechtlich relevante Eigentumsbeeinträchtigung erst mit dem Übergang des Eigentums auf die Klägerin vor.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO. Der Schriftsatz der Beklagten vom 29.1.2014 hat dem Senat vor Verkündung des Urteils vorgelegen. Es gibt jedoch weder zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung noch zur Zulassung der Revision Anlass.

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(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Ist das Grundstück einem Mieter oder Pächter überlassen, so finden die Vorschriften der §§ 566, 566a, 566b Abs. 1, §§ 566c und 566d des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Maßgabe der §§ 57a und 57b entsprechende Anwendung.

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden. Gleiches gilt für Werte in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach § 48 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erlassen worden sind und den Stand der Technik wiedergeben.

(2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.

(3) Die Zuführung durch eine besondere Leitung ist unzulässig.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Der Eigentümer eines Tieres hat bei der Ausübung seiner Befugnisse die besonderen Vorschriften zum Schutz der Tiere zu beachten.

Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen.

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.

(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem

1.
der Anspruch entstanden ist und
2.
der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

(2) Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, verjähren ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.

(3) Sonstige Schadensersatzansprüche verjähren

1.
ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an und
2.
ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.
Maßgeblich ist die früher endende Frist.

(3a) Ansprüche, die auf einem Erbfall beruhen oder deren Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt, verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Entstehung des Anspruchs an.

(4) Andere Ansprüche als die nach den Absätzen 2 bis 3a verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an.

(5) Geht der Anspruch auf ein Unterlassen, so tritt an die Stelle der Entstehung die Zuwiderhandlung.

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)