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Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Grenzschutzpräsidiums Süd vom 29.08.2003 und der Widerspruchsbescheid derselben Behörde vom 16.10.2003 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage für die Haftung des Klägers für den durch den Verlust der ihm anvertrauten Dienststellenschlüssel verursachten, beim Dienstherrn entstandenen Schadens ist § 78 Abs. 1 BBG. Danach hat ein Beamter, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Vorschrift setzt sonach zunächst voraus, dass der Beamte objektiv seine Pflichten aus dem Beamtenverhältnis verletzt hat. Insbesondere zählt dazu die jeden Beamten treffende (negative) Pflicht, unmittelbar und mittelbar den Dienstherrn schädigende Handlungen zu unterlassen (vgl. Kaster, NWVBl. 1994, 121). Verliert ein Beamter ihm anvertraute Dienststellenschlüssel bzw. Schlüssel zu einer Schließanlage eines öffentlichen Gebäudes und verursacht er damit seinem Dienstherrn einen Schaden, kommt damit eine Verletzung dieser (negativen) Pflicht in Betracht (vgl. Kaster a. a. O.). Kann der Beamte, wie vorliegend, den Schlüsselverlust nicht durch besondere, ihn entlastende Umstände erklären, wird regelmäßig vom Vorliegen einer Dienstpflichtverletzung auszugehen sein.
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Allerdings haftet der Beamte nach § 78 Abs. 1 BBG im Innenverhältnis gegenüber dem Dienstherrn stets nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Im vorliegenden Fall kommt nach den bekannt gewordenen Umständen nur grobe Fahrlässigkeit in Betracht.
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Der Vorwurf einer groben Fahrlässigkeit des Beamten ist nur gerechtfertigt, wenn dieser die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schweren Maße verletzt, schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 5. Auflage 2002, Rdnr. 318 m. w. N.; Kaster, a. a. O.). Während der Maßstab der gewöhnlichen Fahrlässigkeit ausschließlich objektiv ist, müssen bei der groben Fahrlässigkeit auch subjektive, in der Individualität des Handelnden begründete Umstände berücksichtigt werden. Den Beamten muss auch in subjektiver Hinsicht ein schweres Verschulden treffen (Schnellenbach, a. a. O.; Kaster, a. a. O.). Das Verschulden bezieht sich lediglich auf die Pflichtverletzung selbst, nicht dagegen auf den Schaden (Kaster, a. a. O.). Vom Umfang des Schadens darf nicht ohne Weiteres auf den Grad der Fahrlässigkeit rückgeschlossen werden (Schnellenbach, a. a. O.). Die Feststellung grober Fahrlässigkeit hängt stets in besonderem Maße von den Umständen des Einzelfalles ab, generalisierende Ausführungen sind daher nicht möglich (vgl. Kaster, a. a. O.).
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Im vorliegenden Fall fehlt es an Feststellungen, mit denen der verstärkte Verschuldensvorwurf der groben Fahrlässigkeit belegt werden kann. Zwar fehlt es auch an besonderen, den Kläger im Hinblick auf den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entlastenden Umständen, jedoch kann nach den vorliegenden Feststellungen der Schlüsselverlust auch lediglich durch eine Unaufmerksamkeit im Sinne leichter Fahrlässigkeit verursacht worden sein. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass den Kläger hinsichtlich der ihm in Verwahrung gegebenen dienstlichen Schlüssel angesichts der mit dem Verlust verbundenen Gefahrenmomente und angesichts des im Falle des Verlusts drohenden Schadens erhöhte Sorgfaltspflichten trafen. Diese den Kläger treffende erhöhte Sorgfaltspflicht allein ermöglicht jedoch bei einem Verlust der Schlüssel, dessen nähere Umstände nicht aufzuklären sind, nicht ohne weiteres den Schluss darauf, dass der Kläger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße - auch in subjektiver Hinsicht - verletzt hat. Denn auch eine den Kläger treffende und ihm - etwa durch besondere Belehrungen oder durch Vorfälle in der Vergangenheit - bewusste erhöhte Sorgfaltspflicht verhindert es nach der Lebenserfahrung nicht, dass dienstlich anvertraute Schlüssel durch Unaufmerksamkeit im Sinne leichter Fahrlässigkeit verloren gehen können. Der erforderliche Verschuldensvorwurf kann auch nicht allein damit begründet werden, dass der Kläger zu Zeit, Ort und Umständen des Verlustes keinerlei nähere Angaben habe machen können, dass er lediglich vage Vermutungen, wie es zum Verlust gekommen sein könne, geäußert habe. Denn es widerspricht nicht der Lebenserfahrung, dass insbesondere bei relativ kleinen und leichten Gegenständen - hierzu gehört auch ein Schlüsselbund, wie der vom Kläger verlorene - dem betroffenen Beamten die Umstände des Verlustes nicht erinnerlich sind. Es kann sich hierbei, jedenfalls bei einem sonst im Hinblick auf seine Dienstpflichten als sorgfältig bekannten Beamten, um ein nie auszuschließendes „Augenblicksversagen“ (z. B. durch Abgelenktheit) handeln.
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Die Haftung des Klägers kann auch nicht mit seinem Verhalten nach dem Verlust der Schlüssel begründet werden. Selbst wenn sich feststellen ließe, dass der Kläger im Anschluss an den Schlüsselverlust sich pflichtwidrig verhalten hat, war das Verhalten des Klägers insoweit nicht mehr kausal für den entstandenen und geltend gemachten Schaden. Der hier von der Beklagten geltend gemachte Schaden war bereits mit dem (endgültigen) Verlust der Schlüssel entstanden; ein weiterer Schaden (Folgeschaden) der dadurch entstanden wäre, dass der Kläger den Verlust nicht rechtzeitig gemeldet hätte, ist nicht feststellbar (vgl. hierzu Kaster, a. a. O., Seite 124). Im Übrigen kann bereits bezweifelt werden, ob das Verhalten des Klägers im Anschluss an den Schlüsselverlust überhaupt pflichtwidrig war. Denn der Kläger hatte vom 03.01.2001 bis einschließlich 10.01.2001 dienstfrei und benötigte den Schlüsselbund daher nicht. Eine besondere Pflicht zur ständigen Kontrolle, ob der Schlüsselbund noch vorhanden war, bestand nicht. Anweisungen bzw. Richtlinien zum Umgang mit dienstlichen Schlüsseln, die insoweit eine Regelung enthalten hätten, bestanden ersichtlich nicht. Der Umlauf vom 10.11.1993, auf den die Beklagte sich berufen hat, bezog sich auf einen bestimmten aktuellen Anlass und enthielt außer dem Hinweis auf einen möglichen Regress nur den Hinweis, dass die Schlüssel für den Flughafen und die Dienststelle nur während des Dienstes „bei sich zu tragen sind“. Aus diesem Hinweis ergibt sich nicht, dass die Schlüssel etwa nicht nach Hause hätten mitgenommen werden dürfen oder aber ihr Vorhandensein zu Hause (wiederholt) zu überprüfen war. Offenbar war es, wie aus dem vom Kläger geschilderten üblichen Verhalten bezüglich der dienstlichen Schlüssel hervorgeht, auch nach 1993 bei der Grenzschutzinspektion XXX durchaus üblich, die dienstlichen Schlüssel mit nach Hause zu nehmen. Der Hinweis vom 10.11.1993 ist offenbar dahin zu verstehen, dass hiermit auf die bezüglich der dienstlich zugewiesenen Schlüssel bestehende besondere Sorgfaltspflicht aufgrund eines aktuellen Anlasses hingewiesen werden sollte.
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Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Kläger mit dem Verlust der Schlüssel nicht gegen insoweit bestehende eindeutige Richtlinien bzw. Anweisungen verstoßen hat, so dass sich daraus bereits eine, insbesondere grob fahrlässige, Dienstpflichtverletzung ergeben würde. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten ergibt sich eine Haftung des Klägers nach § 78 BBG auch nicht aus der Anwendung des Rechtsgedankens des § 282 BGB (a. F.), der nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte auch bei Erstattungsfällen im Beamtenrecht grundsätzlich anwendbar ist (vgl. BVerwGE 37, 192; 52, 255). Nach der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Beweisregel des § 282 BGB, wonach den Schuldner die Beweislast trifft, wenn streitig ist, ob die Unmöglichkeit der Leistung die Folge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes ist, in besonderen Fällen auch einzelne Schuldformen betreffen. Haftet der Schuldner nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, so ist er lediglich für das Nichtvorliegen dieser beiden Verschuldensgrade beweispflichtig (BVerwGE 52, 255, 260). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet die Anwendung dieser Beweisregel nicht, dass den Beamten wegen des Nichtvertretenmüssens eine formelle Beweislast trifft. Im Hinblick auf den das Verwaltungsstreitverfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatz ergebe sich hieraus vielmehr, dass er die materielle Beweislast trage, wenn sich nicht klären lasse, dass er den Fehlbestand nicht vertreten habe. Ihm bleibe die Möglichkeit darzutun, dass er bei seinem Dienst denjenigen Grad der Sorgfalt beachtet habe, zu dem er nach dem konkreten Dienstverhältnis verpflichtet gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a. a. O.) dürfen allerdings insoweit keine zu hohen Anforderungen an den Entlastungsbeweis gestellt werden; sie dürfen nicht dazu führen, dass ein Beamter auch bei leichter Fahrlässigkeit haftet. Im Hinblick auf Erstattungsfälle (bei Kassenfehlbeständen) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Unaufklärbarkeit der Frage, ob der Fehlbestand auf eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung des in jenem Verfahren beklagten Kassenbeamten zurückzuführen sei, nicht zu seinem Nachteil ausschlagen dürfe, weil sein Tätigkeitsbereich nicht frei von fremder Einflussnahme gewesen sei. Die Verantwortung des einzelnen Beamten reiche nicht weiter als der Gefahrenbereich, den er unter Ausschluss jeder fremden Einflussnahme allein beherrsche. Aus letzterem Grunde wäre allerdings die Haftung des Klägers im vorliegenden Falle nicht ausgeschlossen, da es im Falle dienstlich anvertrauter Schlüssel um einen Gefahrenbereich geht, den der Beamte unter Ausschluss jeder fremden Einflussnahme allein beherrscht. Dennoch haftet der Kläger im konkreten Falle nicht.
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Hierbei ist davon auszugehen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a. a. O.) im Anwendungsbereich des § 282 BGB der zwingende Beweis einer Nichtschuld nicht verlangt wird. Denn dazu wird der Schuldner vielfach überhaupt nicht in der Lage sein. Die Anforderungen an den Entlastungsbeweis dürfen zwar nicht so gering sein, dass schon die bloße Möglichkeit eines vom Schuldner nicht zu vertretenden Schadenseintritts für den Entlastungsbeweis ausreicht. Der Beweis wird aber oftmals schon als erbracht anzusehen sein, wenn hinreichend wahrscheinlich ist, dass der Schuldner die Unmöglichkeit der Leistung nicht zu vertreten hat, und er beweist, dass er alle ihm obliegende Sorgfalt beachtet hat. Dieser Beweis kann auch dadurch geführt werden, dass der Schuldner bei der gleichen Tätigkeit bisher den eine Haftung ausschließenden Grad von Sorgfalt beachtet hat. Dabei sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalles maßgebend (BVerwG, a. a. O.).
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Im vorliegenden Fall kann der Kläger zwar keinen Entlastungsbeweis in Bezug auf den konkreten Vorgang des Schlüsselverlustes erbringen, da er sich an die näheren Umstände nicht erinnern konnte. Jedoch hat der Kläger zur Überzeugung des erkennenden Einzelrichters dargelegt, dass er während seiner seit 1992 andauernden Dienstzeit hinsichtlich der Verwahrung von dienstlich anvertrauten Schlüsseln die erforderliche Sorgfalt angewandt hat (vgl. die Darlegungen in der Stellungnahme des Klägers vom 22.05.2003 sowie die Widerspruchsbegründung vom 30.09.2003). Diese Darlegung des Klägers ist von der Beklagten nicht in Abrede gestellt worden und wird von der Stellungnahme des unmittelbaren Vorgesetzten des Klägers vom 14.02.2001 im Grundsatz bestätigt. Bei einem in der Vergangenheit pflichtgemäßen Verhalten des Klägers kann daher bezüglich des konkreten Vorgangs von einem „Augenblicksversagen“ ausgegangen werden, das den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht begründet (vgl. zum Versicherungsrecht insoweit OLG Köln, Urt. v. 14.11.1991, Az. : 5 U 182/90, Juris).
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Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren beruht auf § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO. Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten schon im Vorverfahren ist anzuerkennen, wenn sie vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei für erforderlich gehalten werden durfte und es dem Beteiligten nach seiner Vorbildung, Erfahrung und seinen sonstigen persönlichen Umständen nicht zumutbar war, das Verfahren selbst zu führen. Sie ist nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht bereits der Regel, da der Bürger nur in Ausnahmefällen in der Lage ist, selbst seine Rechte gegenüber der Verwaltung ausreichend zu wahren (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 162 RdNr. 18 m. w. N.).
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