Verwaltungsgericht München Urteil, 19. Jan. 2017 - M 22 K 16.3540
Tenor
I. Unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom … März 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheids der Regierung von Unterfranken vom … Juni 2016 wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Wohngeld in Höhe von 233,- Euro pro Monat für den Zeitraum vom … Januar 2016 bis … Dezember 2016 zu bewilligen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheides der … … vom … März 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheids der … … … vom … Juni 2016 Wohngeld ab dem … Januar 2016 in Höhe von 233,- Euro monatlich zu gewähren.
die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
Gründe
„Der Wohngeldanspruch besteht in Abhängigkeit zum monatlichen Gesamteinkommen (vgl.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Urteil, 19. Jan. 2017 - M 22 K 16.3540
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht München Urteil, 19. Jan. 2017 - M 22 K 16.3540
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenVerwaltungsgericht München Urteil, 19. Jan. 2017 - M 22 K 16.3540 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.
(2) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Pflegebedürftigkeit, wegen Arbeitsunfähigkeit, wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 bis 65 nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß deshalb die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen.
(3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind die Eltern ihres im Jahr 2010 geborenen Sohnes Y. sowie ihres im Jahr 2012 geborenen Sohnes D. Die Parteien streiten um die Übernahme von Teilnahmebeiträgen durch die Antragsgegnerin, die durch den Besuch der katholischen Kindertagesstätte ... durch die Söhne der Antragsteller entstehen.
Am
Mit Schreiben vom
In einem Telefonat am
Mit Schreiben vom
Hierzu führten die Antragsteller aus, bis August 2014 hätten sie ihren Lebensunterhalt mit Elterngeld, Geschwisterbonus und Betreuungsgeld bestritten. Zudem hätten sie sich mit ihren wenigen Ersparnissen über die Runden gerettet.
Auf entsprechende Bitte der Antragsteller erläuterte die Antragsgegnerin am
Einkünfte:
Minijob ... |
450,00 Euro |
Selbstständigkeit ... laut Gewinn- und Verlustrechnung |
250,99 Euro |
Kindergeld |
368,00 Euro |
Betriebliche Erträge z. B. durch Eigenverbrauch |
173,92 Euro |
Abschreibungen |
195,72 Euro |
Einkünfte Gesamt |
1.438,63 Euro |
Ausgaben:
Monatliche Zinszahlungen für Eigenheim |
270,00 Euro |
Monatliche Zahlungen für Eigenheim laut vorgelegten Rechnungen |
69,51 Euro |
Monatliche Abschlagszahlungen für Strom usw. für Eigenheim an WVV |
237,00 Euro |
Bausparen |
70,00 Euro |
Krankenversicherung |
234,33 Euro |
Riesterrente ... |
5,00 Euro |
Dynamische Rentenversicherung |
199,99 Euro |
Rentenbeitrag |
85,00 Euro |
Lebensversicherung |
110,82 Euro |
Ausgaben Gesamt |
1.281,65 Euro |
Hierzu nahmen die Antragsteller dahingehend Stellung, die monatlichen Ausgaben für die Kinder und für die Antragsteller würden mit dem Kindergeld bestritten. Eventuell übersteigende Ausgaben für laufende Lebenshaltungskosten würden dem Geschäftskonto entnommen und im Rahmen eines Überziehungskredits soweit möglich wieder ausgeglichen. Weiteres Einkommen könne nicht nachgewiesen werden, da es nicht vorhanden sei.
Die Antragstellerin legte einen Bescheid über die Bewilligung von Landeserziehungsgeld in Höhe von 200,00 Euro monatlich ab
Trotz entsprechenden Hinweises der Antragsgegnerin stellten die Antragsteller keinen Antrag auf Lastenzuschuss.
Mit Bescheid vom
Am 9. Dezember 2014 erhoben die Antragsteller im Verfahren W 3 K 14.1263 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg mit dem Antrag, den Bescheid vom 26. November 2014 aufzuheben.
Zugleich beantragten sie im vorliegenden Verfahren,
durch Erlass einer einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Teilnahmebeiträge für Kindergartenbesuch unserer beiden Kinder Y. und D. zur Verfügung zu stellen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, bis einschließlich August 2014 habe mit Elterngeld, Geschwisterbonus und Betreuungsgeld zusammen mit dem Kindergeld und dem Einkommen aus der Gaststätte der Lebensunterhalt bestritten werden können. Nachdem nunmehr Elterngeld, Geschwisterbonus und Betreuungsgeld weggefallen seien, sei der Antrag auf Übernahme der Kindergartenbeiträge gestellt worden, weil aus dem noch vorhandenen Einkommen diese nicht aufgewendet werden könnten. Rückwirkend sei nunmehr Landeserziehungsgeld in Höhe von 200,00 Euro gewährt worden. Bei höheren monatlichen Kosten werde das Konto überzogen und dann durch Einnahmen aus der Gaststätte nach Möglichkeit wieder ausgeglichen. Ein Nachweis von nicht existentem Einkommen sei nicht möglich. Die Antragsteller kämen mit wenig Geld aus. Sollten die Beiträge nicht von der Antragsgegnerin übernommen werden, müssten die Kinder aus dem Kindergarten genommen werden.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, im Rahmen der Berechnung des Einkommens seien fiktiv ein monatlicher durchschnittlicher Eigenverbrauch im Rahmen der selbstständigen Tätigkeit in Höhe von 173,92 Euro (entsprechend dem Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2012) und monatliche durchschnittliche Abschreibungen im Rahmen der selbstständigen Tätigkeit in Höhe von 195,72 Euro (entsprechend dem Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2012) berücksichtigt worden, um eine evtl. plausible Einkommenssituation zu erzeugen, dies trotz der Tatsache, dass diese Posten in den betriebswirtschaftlichen Auswertungen für Dezember 2013 bis Juni 2014 nicht mehr aufgeführt seien. Das um die monatlichen Beiträge zur Riesterrente in Höhe von 5,00 Euro, zur Haftpflichtversicherung in Höhe von 4,68 Euro, zur Krankenversicherung in Höhe von 234,33 Euro, zur Rentenversicherung in Höhe von 285,04 Euro und zur Risikoversicherung in Höhe von 110,82 Euro bereinigte Einkommen sei einer entsprechend § 85 SGB XII ermittelten Einkommensgrenze gegenübergestellt worden. Hierbei seien der gesetzlich vorgeschriebene Grundbetrag sowie die Familienzuschläge und die Kaltmiete, ermittelt aus den Zinsen für das Eigenheim, der Grundsteuer, der Kanal-/Abwassergebühren, der Kaminkehrerkosten und der Gebäudeversicherung zugrunde gelegt worden. Dem bereinigten Einkommen in Höhe von 589,76 Euro stehe eine Einkommensgrenze in Höhe von 1.943,51 Euro gegenüber.
Da eine derartige Einkommenssituation unrealistisch erscheine, seien in einer Hilfsberechnung alle Einkünfte und gleichermaßen alle Ausgaben miteinbezogen und gegenübergestellt worden. Unter zusätzlicher Berücksichtigung des Kindergeldes für das Geschwisterkind und des Landeserziehungsgeldes als Einkommen und der Rundfunkbeiträge, der Abschlagszahlungen der WVV und des Bausparvertrages als Ausgaben verblieben der Familie nach Abzug der Unterkunftskosten im Monat 334,27 Euro zum Leben. Demgegenüber stehe ein sozialhilferechtlicher Regelbedarf in Höhe von 1.164,00 Euro. Zu berücksichtigen sei, dass bei den Einnahmen fiktiv zugunsten der Antragsteller Eigenverbrauch und Abschreibungen in Höhe von 369,64 Euro berücksichtigt worden seien.
Auf die Bitte, die nicht plausible Einkommenssituation zu erläutern, seien lediglich Einkünfte aus einer Kontoauflösung in Höhe von 2.746,05 Euro nachgewiesen worden. Hiervon könne jedoch nicht längerfristig der Lebensunterhalt sichergestellt werden. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass der Antragsteller im Rahmen der selbstständigen Tätigkeit über Jahre hinweg immer wieder einen Verlust erwirtschaftet habe und erstmals im Jahr 2014 bis Juni 2014 ein Gewinn habe erzielt werden können. Die Argumentation, die Familie lebe vom Vermögen, sei daher nicht schlüssig.
Es bestünden ernsthafte Zweifel, ob alle Einkünfte ordnungsgemäß angegeben worden seien. Bei einer derartigen Diskrepanz zwischen den nachgewiesenen Zahlen und den Sozialhilferegelsätzen sei auch die Berücksichtigung der Argumentation, die Familie käme mit wenig Geld aus, nicht möglich. Die dargelegte finanzielle Situation lasse keinen anderen Rückschluss zu, als dass Einkommen verschwiegen worden sei. Eine erneute Überprüfung nach Vorlage eines Lastenzuschussbescheides sei möglich.
Hierauf erwiderten die Antragsteller, die extrem negative Einkommenssituation bestehe seit September 2014. Der Lebensunterhalt werde derzeit von den überzogenen Geschäftskonten, den Kindergartenbeiträgen und vom Sparkonto der Antragstellerin bestritten. Hier sei noch ein Vermögen von ca. 1.800,00 Euro vorhanden. Im Januar 2015 werde ein Bausparvertrag über ca. 4.000,00 Euro fällig. Zur Sicherung des Lebensunterhaltes solle auch die Gaststätte verkauft werden. Der Antragsteller wolle künftig einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Die Antragsgegnerin stelle zu Recht fest, dass der Lebensunterhalt längerfristig nicht sichergestellt werden könne. Ein Antrag auf Lastenzuschuss sei inzwischen gestellt worden.
Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
II.
Bei dem vorliegenden Antrag handelt es sich um einen Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Antragsgegnerin hat die Ablehnung des Antrags der Antragsteller auf Übernahme der Teilnahmebeiträge ihrer beiden Kinder Y. und D. für den Besuch der Kindertagesstätte ... auf § 66 Abs. 1 i. V. m. § 60 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB I gestützt. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind. Nach Nr. 3 dieser Vorschrift hat er auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen. Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt, seinen Mitwirkungspflichten unter anderem nach § 60 SGB I nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Diese Ablehnung wegen fehlender Mitwirkung ist ein eigenständiger Versagungsgrund wegen der Nichterfüllung von Verfahrenspflichten, bei welcher der materielle Anspruch selbst nicht geprüft wird, so dass bei Rechtswidrigkeit des Versagungsbescheides dessen Aufhebung erfolgt und anschließend die Behörde über den geltend gemachten Anspruch zu entscheiden hat (vgl. VG Würzburg, U. v. 22.3.2012 - W 3 K 11.984 - n. V. zum Wohngeldrecht m. w. Nachw.).
Allerdings stützt die Antragsgegnerin ihre Begründung des ablehnenden Bescheides vom 26. November 2014 inhaltlich nicht darauf, dass die Antragsteller es versäumt hätten, bestimmte im Einzelnen konkret benannte Beweisurkunden vorzulegen; vielmehr hebt sie darauf ab, dass trotz der vorgelegten Nachweise die wirtschaftliche Situation der Antragsteller nicht plausibel erscheine. Damit hat sie der Sache nach den Antrag der Antragsteller nach den Regeln der materiellen Beweislast abgelehnt (BVerwG, U. v. 16.1.1974 - VIII C 117.72
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Im vorliegenden Fall haben die Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen können, also einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin die Teilnahmebeiträge für den Kindertagesstättenbesuch ihrer beiden Kinder Y. und D. übernehmen muss.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII soll ein Teilnahmebeitrag für die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen nach § 24 auf Antrag ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Nach § 90 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gelten für die Feststellung der zumutbaren Belastung die §§ 82 bis 85, 87, 88 und 92 des Zwölften Buches entsprechend, soweit nicht Landesrecht eine andere Regelung trifft. Nach § 85 Abs. 1 SGB XII ist der nachfragenden Person (hier als den Antragstellern) die Aufbringung der Mittel (hier für die Teilnahmebeiträge) dann nicht zuzumuten, wenn ihr monatliches Einkommen, das sich nach § 82 SGB XII berechnet, eine bestimmte Einkommensgrenze nicht übersteigt; deren Berechnung ist im Einzelnen in § 85 Abs. 1 SGB XII festgelegt.
Nach dieser Berechnung (vgl. Blatt 106 bis 111 der Behördenakte) übersteigt das berechnete monatliche Einkommen der Antragsteller in Höhe von 589,76 Euro die bei 1.943,51 Euro liegende Einkommensgrenze nicht; hiernach hätten die Antragsteller einen Anspruch auf die begehrte Leistung.
Allerdings darf ein Antrag auf die Bewilligung einer beitragsunabhängigen Sozialleistung dann abgelehnt werden, wenn sich wegen unzureichender Angaben des Antragstellers dessen Einkommen trotz aller Bemühungen der Beteiligten nicht verlässlich ermitteln lässt, da den Antragsteller die materielle Beweislast hinsichtlich aller Bewilligungsvoraussetzungen trifft (BayVGH, B. v. 15.5.2007 - 12 C 05.1898 - juris; Grube/Warendorf, SGB XII, Kommentar, 4. Aufl. 2012, Einleitung Rn. 136).
Dies ist vorliegend der Fall, denn die von den Antragstellern gemachten Angaben zu ihren Einkünften sind nicht plausibel, so dass dies die Ablehnung des Antrags auf Übernahme der Teilnahmebeiträge rechtfertigt.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Ferner hat er nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X bedient sich die Behörde der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält.
Für die Gewährung der Sozialleistung erheblich i. S. d. § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I sind die Angaben, die zur Ermittlung des Einkommens und der Belastung erforderlich sind. Zwar obliegen dem Antragsgegner (§ 20 SGB X) und dem Gericht (§ 86 Abs. 1 VwGO) grundsätzlich Amtsermittlungspflichten, doch finden diese ihre Grenze, wenn nach Ausschöpfen der erreichbaren Erkenntnisquellen ersichtlich ist, dass sich bestehende Zweifel nicht beheben lassen. Zudem setzt die Pflicht zur weiteren Sachaufklärung einen schlüssigen Vortrag voraus. Insbesondere hat ein Antragsteller Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich hinreichend substantiiert darzulegen (vgl. VGH Mannheim, B.v. 7.6.2004 - 12 S 2654/03 - juris). Lassen sich trotz aller Bemühungen die Voraussetzungen des Sozialleistungsanspruches nicht ermitteln, so geht dies nach den Regeln der materiellen Beweislast zulasten des Antragstellers (BVerwG, U. v. 16.1.1974 - BverwGE 44, 265; BayVGH, B.v. 15.5.2007 - 12 C 05.1898 - juris; VG Würzburg, U. v. 22.3.2012 - W 3 K 11.984 - juris).
Voraussetzung dafür, dass unter Berufung auf die materielle Beweislast des Antragstellers der Antrag abgelehnt werden kann, ist, dass die Behörde nicht nur alle ihr vom Antragsteller zugänglich gemachten Angaben über seine Einkommensverhältnisse auswertet, sondern auch dass sie im Rahmen ihrer Beratungspflicht nach § 14 SGB I und ihrer Amtsermittlungspflicht nach § 20 Abs. 1 SGB X den Antragsteller dazu auffordert, als fehlend erscheinende Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen zu machen (VG Bayreuth, U. v. 17.9.2014 - B 4 K 13.826 - juris).
Im vorliegenden Fall hatte die Antragsgegnerin berechtigte Zweifel an der Einkommenssituation der Antragsteller. Denn die oben genannte Berechnung hat zu keinem plausiblen Ergebnis geführt. Wenn von den bekannten Einnahmen nach einer entsprechenden Bereinigung nach den Vorgaben des § 82 Abs. 1 und Abs. 2 SGB XII nur so wenig übrigbleibt, dass nicht einmal 80% des nach § 85 Abs. 1 SGB XII berechneten Bedarfs davon gedeckt werden können, begründet dies zumindest die Vermutung, dass tatsächlich höheres, den Mindestbedarf deckendes Einkommen verschwiegen wird. Dann ist es Sache der Antragsteller, nachvollziehbar und schlüssig darzulegen, wie sie und ihre Familie mit dem an sich zu geringen Einkommen auskommen (VG Bayreuth, U. v. 17.9.2014 - B 4 K 13.826 - juris).
Auf diesen Sachverhalt hat die Antragsgegnerin die Antragsteller ausreichend und ordnungsgemäß mit Schreiben vom
Zwar hat die Antragsgegnerin versucht, die Zweifel durch eigene Berechnungen unabhängig von den Vorgaben der §§ 82 ff. SGB XII dadurch auszuräumen, dass sie den von den Antragstellern angegebenen Einnahmen die von ihnen angegebenen tatsächlichen Ausgaben gegenübergestellt hat. Bei den Einnahmen hat die Antragsgegnerin zugunsten der Antragsteller sogar betriebliche Erträge (Eigenverbrauch) in Höhe von 173,92 Euro und Abschreibungen in Höhe von 195,72 Euro fiktiv hinzugerechnet, obwohl diese Beträge in den von den Antragstellern vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertungen für Dezember 2013 und für Januar bis Juni 2014 nicht mehr enthalten waren (im Gegensatz zu den Jahresabschlüssen für die Jahre 2010 bis 2012). Diese Gegenüberstellung ergab, dass ohne Berücksichtigung des Landeserziehungsgeldes in Höhe von 200,00 Euro Einnahmen in Höhe von 1.438,63 Euro, mit entsprechender Berücksichtigung des Landeserziehungsgeldes Einnahmen in Höhe von 1.638,63 Euro nachgewiesen waren, denen Ausgaben in Höhe von 1.281,65 Euro (Berechnung vom 27.10.2014) bzw. 1.304,36 Euro (Berechnung vom 26.11.2014) gegenüberstanden. Zu Recht gelangte die Antragsgegnerin zu der Erkenntnis, dass diese Alternativberechnung die Zweifel an der Einkommenssituation der Antragsteller nicht ausräumen können. Trotz entsprechender Aufforderung vom 10. Oktober 2014 und vom 27. Oktober 2014 haben die Antragsteller nicht dargelegt, wie sie mit derart geringen Geldbeträgen ihren Lebensunterhalt (Lebensmittel, Bekleidung, Körperpflege etc.) bestreiten können. Vielmehr haben sie lediglich darauf hingewiesen, dass sie von Erspartem leben und bei Bedarf Ausgaben für den laufenden Lebensunterhalt dem Geschäftskonto entnehmen und soweit wie möglich im Laufe des Monats wieder ausgleichen.
In dieser Hinsicht haben sie jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass sie so hohe Ersparnisse hätten, dass hiervon eine dauerhafte Finanzierung des Bedarfs möglich gewesen wäre. Eine Aufstellung der in der Vergangenheit vorhandenen Ersparnisse und eine Darstellung, welche Beträge hiervon zu welchen Zeitpunkten für die Lebensführung verbraucht worden sind, liegen nicht vor. Hinzu kommt, dass aus den von den Antragstellern vorgelegten Jahresabschlüssen für die Jahre 2010 bis 2012 jeweils ein Verlust aus dem Betrieb des Bistros Flair hervorgeht; zum einen lässt dies erkennen, dass zumindest seit dem Jahr 2010 das Ansparen der behaupteten Rücklagen nicht möglich war, da die Antragsteller in diesem Zeitraum gemäß ihren eigenen Angaben keine anderweitigen höheren Einnahmen hatten. Zum anderen macht dies deutlich, dass die Antragsteller schon über einen längeren Zeitraum von Erspartem hätten leben müssen, ihre Rücklagen vor dem Jahr 2010 also beachtlich hätten sein müssen. Auch hierzu ist nichts nachvollziehbar vorgetragen.
Weiterhin haben die Antragsteller ihre Behauptung, sie hätten bei Bedarf Ausgaben für den laufenden Lebensunterhalt dem Geschäftskonto entnommen und soweit wie möglich wieder zurückbezahlt, nicht glaubhaft gemacht. Hier wäre eine entsprechende exakte Aufstellung, belegt durch den Nachweis entsprechender Kontobuchungen, erforderlich gewesen, zusätzlich aber auch die Erläuterung, aus welchen Mitteln die zumindest teilweise Rückzahlung erfolgt sein sollte.
Unabhängig hiervon haben die Antragsteller auch nicht glaubhaft gemacht, dass es ihnen gelänge, den laufenden Lebensunterhalt mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Betrag von monatlich 334,27 Euro (September 2014) oder ähnlichen Beträgen in den Vormonaten zu bestreiten. Hier ist es den Antragstellern unbenommen, dies durch Vorlage genauer Auflistungen ihrer Ausgaben für den Lebensunterhalt, die nachvollziehbar die Grundbedürfnisse einer vierköpfigen Familie decken, glaubhaft zu machen.
Damit ist für das Gericht zumindest derzeit ein Anordnungsanspruch, also ein Anspruch auf Übernahme der Teilnahmebeiträge nicht glaubhaft gemacht, da die Antragsteller nicht zur Klärung des bislang unschlüssigen Sachverhalts plausibel dargelegt haben, wie der notwendige Lebensunterhalt eines Vierpersonenhaushalts aus so geringem Einkommen bestritten werden kann.
Somit kann dahingestellt bleiben, ob ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden ist.
Auf dieser Grundlage war der vorliegende Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO abzulehnen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.