Verwaltungsgericht München Beschluss, 04. Aug. 2014 - 18 S 14.50354
Gericht
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der am ... 1982 geborene Antragsteller stellte am ... Dezember 2013 unter dem Namen ..., geboren am ... 1984, in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag.
Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates gab er an, von ... aus über M. Ma. S. und F. am ... November 2013 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein.
Mit Bescheid vom ... Februar 2014 wurde der Antragsteller ab ... Februar 2014 der Stadt ... zugewiesen.
Das zuständige Ausländeramt der Stadt ... übersandte unter dem ... April 2014 dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Unterlagen, aus denen hervorging, dass der Antragsteller unter dem Namen ..., geboren ... 1982, Staatsangehörigkeit Elfenbeinküste, bereits am ... April 2013 an der Grenze zu ... in ... von der Bundespolizei nach Italien zurückgeführt worden war. Ein Asylantrag wurde damals nicht gestellt, allerdings war bereits am ... Mai 2011 in Italien Asyl beantragt worden.
Die Personengleichheit wurde durch Fingerabdrücke festgestellt.
Am ... Februar 2014 wurde im Rahmen des eingeleiteten Dublin-Verfahrens ein Übernahmeersuchen an Italien gerichtet, das von dort nicht beantwortet wurde.
Mit Bescheid vom ... Juni 2014, der auch dem Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt wurde, wurde der Asylantrag abgelehnt und die Abschiebung des Antragstellers nach Italien angeordnet.
Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Italien aufgrund des dort gestellten Asylantrags und der stillschweigenden Zustimmung für die Behandlung des Asylbegehrens zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO seien nicht ersichtlich.
Am 20. Juni 2014 erhob der Antragsteller zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage gegen den Bescheid (M 18 K 14.50353) und beantragte gleichzeitig,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung trug er vor, die Rückkehr nach Italien sei nicht zumutbar, da er dort weder Unterkunft noch ärztliche Hilfe erhalten hätte.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers trug mit Schriftsatz vom 24. Juni 2014 ergänzend vor, insbesondere in R. und M. würden Asylbewerber nicht angemessen untergebracht. Obdachlosigkeit drohe insbesondere Rückkehrern. Das materielle Sicherungsnetz fehle, der Zugang zum Gesundheitssystem wäre verhindert. Die Prüfung, ob Italien als sicherer Drittstaat anzusehen sei, müsse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Zu dessen Durchführung sei die Anordnung der aufschiebenden Wirkung erforderlich.
Beigefügt wurde unter anderem eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom ... Juni 2014, wonach er von Libyen nach Italien mit einem Boot geflüchtet sei. In L. habe er Asyl beantragt. Nach ca. 1 Jahr habe er die Unterkunft in T. verlassen müssen und auch kein Geld erhalten. Er sei obdachlos gewesen und habe Geld und Essen erbettelt. Deshalb sei er zweimal nach Deutschland geflohen. Er fürchte, im Fall der Rückführung nach Italien dort nicht überleben zu können.
Die Antragsgegnerin legte mit Schreiben vom 23. Juni 2014 die Behördenakten vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Behörden- und Gerichtsakten aus diesem Verfahren und dem Verfahren M 18 K 14.50353 Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid vom ... Juni 2014 angeordnete Abschiebung des Antragstellers nach Italien ist zulässig (§ 34a Abs. 2 AsylVfG), aber nicht begründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylVfG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren nur erforderliche und gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen, da kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheides besteht. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides, da nach vorläufiger Prüfung davon auszugehen ist, dass der angefochtene Bescheid sich im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird und die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt.
Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt in diesen Fällen die Abschiebung in den für die Durchführung zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Im vorliegenden Fall ist aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union Italien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig.
Anzuwenden ist (noch) die Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Unterzeichnerstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Unterzeichnerstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (sog. Dublin-II-Verordnung). Zwar wurde diese Verordnung mittlerweile durch Art. 48 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (sog. Dublin-III-Verordnung) aufgehoben. Allerdings bleibt gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 der VO Nr. 604/2013 für wie hier (12.12.2013) vor dem 1. Januar 2014 gestellte Schutzanträge die Dublin-II-VO weiterhin anwendbar.
Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, und zwar von demjenigen, der Dublin-II-VO bestimmt wird.
Die grundsätzliche Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Zwar hat Italien auf das Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom ... Februar 2014 nicht reagiert, jedoch wird nach dem Verstreichen der Frist des § 20 Abs. 1 Nr. c Dublin-II-VO unterstellt, dass es die Wiederaufnahme akzeptiert.
Es besteht keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Dublin-II-VO aus humanitären Gründen den Asylantrag des Antragstellers selbst zu prüfen bzw. von einer Abschiebung nach Italien abzusehen (EuGH v. 14.11.2013, C-4/11).
Ebenso wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, U. v. 14.5.1996, 2 BvR 1938/92, 2 BvR 2315/93
Entgegen dieser Vermutung besteht die Möglichkeit, dass es Störungen im Asylsystem eines Mitgliedstaates gibt, die zu einer ernstzunehmenden Gefahr für den Antragsteller führen, bei Überstellung in diesen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, die nicht im Einklang mit den Grundrechten steht. Für den Nachweis dieser Gefahren und die Widerlegung der Vermutung bestehen wegen der gewichtigen Zwecke des gemeinsamen europäischen Asylsystems hohe Hürden. Nicht jeder Regelverstoß reicht aus, vielmehr liegen systemische Mängel nur dann vor, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in dem Zielstaat regelhaft zu defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 19.3.2014, 10 B 6.14 - juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen und unter Berücksichtigung der aktuellen überwiegenden Rechtsprechung ist gegenwärtig nicht davon auszugehen, dass Italiens Asylsystem systemische Mängel aufweist, die eine Rückführung dorthin nicht zulassen würden (BVerwG, B. v. 6.6.2014, 10 B 35/14, B. v. 15.4.2014, 10 B 16/14, BayVGH, U. v. 28.2.2014, 13a B 13.30925, VGH BW, U. v. 16.4.2014, A 11 S 1721/13, OVG NRW, B. v. 28.3.1014, 13 A 1878/13.A, VG München, B. v. 4.6.2014, 12 S 14.50364, B. v. 22.5.2014, M 16 S 14.50037, M 11 S 14.50165, VG Würzburg, U. v. 9.7.2014, W 6 K 14.30113, VG Ansbach, U. v. 5.6.2014, AN 1 K 14.30275).
Dabei wird nicht verkannt, dass, worauf auch die vom Klägerbevollmächtigten zitierten gerichtlichen Entscheidungen sowie der Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013 hinweisen, in Italien im Einzelfall zum Teil gravierende Probleme bei der Unterbringung und im Ablauf des Asylverfahrens und bei der Versorgung der Asylbewerber, auch wegen der hohen Zahl der aufzunehmenden Schutzsuchenden, bestehen. Auch sind möglicherweise das italienische Sozialleistungssystem und die medizinische Versorgung von Asylsuchenden schlechter als in der Bundesrepublik Deutschland. Diese tatsächlich bestehenden Defizite sind jedoch nicht so gravierend zu bewerten, dass ein grundsätzliches systemisches Versagen zu bejahen wäre, dass es für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad implizieren würde (VG München, B. v. 5.5.2014, M 11 S 14.50165 m. w. N.).
Italien verfügt unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern im Hinblick auf die vor Ort anzutreffenden Rahmenbedingungen funktionsfähig ist.
Damit bestehen keine Zweifel an der Zuständigkeit Italiens für die Behandlung des Asylantrags des Antragstellers.
Da die Rückführung des Antragstellers nach Italien möglich ist, durfte das Bundesamt gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG seine Abschiebung nach Italien anordnen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 abzulehnen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Annotations
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.