Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I.

Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 23.Januar 2014 mit dem Aktenzeichen M 11 K 14.30084 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom ... Januar 2014 wird angeordnet.

II.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für dieses Antrags- sowie das Klageverfahren mit dem Aktenzeichen M 11 K 14.30084 gewährt und Frau Rechtsanwältin ... beigeordnet.

Gründe

I.

Mit seiner am 23. Januar 2014 erhobenen Klage M 11 K 14.30084 sowie dem zugleich geltend gemachten Eilrechtsschutzantrag wendet sich der Antragsteller gegen eine Überstellung nach Italien im Rahmen des Dublin II-Systems.

Nach seinen Angaben im Verwaltungsverfahren ist der Antragsteller über Äthiopien, den Sudan und Libyen aus Somalia geflohen. Von Libyen sei er mit einem Schiff nach L. gelangt. Nach einer Woche sei er von dort nach Sizilien und über C. weiter nach M. gereist. Von dort sei er mit dem Bus nach ... gefahren. Er ist am 17. Oktober 2013 bei der Einreise von Österreich nach Deutschland am Grenzübergang ... aufgegriffen worden. Er stellte beim Bundesamt ... (im Folgenden Bundesamt) unstrittig (vgl. den streitgegenständlichen Bescheid sowie auch Bl. 27 der Behördenakten) einen Asylantrag, wobei aus den vorgelegten Akten nicht hervorgeht, unter welchem Datum genau der Antrag gestellt wurde. Im Bescheid vom ... Januar 2014 (Bl. 99 der Behördenakten) ist das Datum, an dem der Asylantrag gestellt wurde, nicht dargestellt („und stellte am Asylantrag“). Nach dem Verwaltungsvorgang ist vom 18.10.2013 auszugehen (vgl. Bl. 8 ff. der Behördenakten; auf Bl. 35 der Behördenakten ist ohne nachvollziehbaren Grund der 23.10.2013 genannt). Aufgrund eines EuroODAC-Treffers der Kategorie 1 (Antrags-/Aufgriffsort: Agrigent, Antrags-/Aufgriffsdatum: 23.9.2013 sowie Datum Fingerabdrucknahme ebenfalls 23.9.2013) ersuchte das Bundesamt unter dem 23. Oktober 2013 die zuständige italienische Behörde um Aufnahme des Antragstellers. Mit Schreiben vom 5. November 2013 erklärte Italien unter Bezugnahme auf die Dublin II-Verordnung die Bereitschaft zur Rückübernahme des Antragstellers. Im Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin findet sich ein Bescheid vom ... November 2013, in dem festgestellt wird, dass der Asylantrag des Antragstellers unzulässig ist. Dieser Bescheid wurde offensichtlich nicht zugestellt. Ein weiterer Bescheid vom ... November 2013 erging sodann ohne Tenor, wurde dieses Mal jedoch zugestellt. Aus den Gründen dieses Bescheides ergibt sich, dass auch mit diesem Bescheid der Asylantrag als unzulässig behandelt wird. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte am 25. November 2013 Klage und Eilantrag (Az.: M 11 K 13.31231 sowie M 11 S 13.31232). Mit weiterem (= dem hier streitgegenständlichen) Bescheid vom ... Januar 2014 wurde zunächst der Bescheid vom ... November 2013 aufgehoben (Nr. 1) und sodann festgestellt, dass der Asylantrag (des Antragstellers in Deutschland) unzulässig ist (Nr. 2) und schließlich die Abschiebung des Antragstellers nach Italien angeordnet (Nr. 3).

Der Antragsteller macht im gerichtlichen Verfahren geltend, dass er minderjährig sei. Dem Antragsteller sei es gelungen, durch Kontaktaufnahme in das Heimatland eine Geburtsurkunde übersandt zu bekommen. Diese bescheinige das Geburtsdatum ... Januar 1998 und sei am 22. Januar 2014 der Bevollmächtigten des Antragstellers per Fax übersandt worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte im hiesigen Verfahren sowie auf die Gerichtsakten in den Verfahren M 11 K 14.30084, M 11 K 13.31231 sowie M 11 S 13.31232 und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat Erfolg.

Der auf die ebenfalls am 23. Januar 2014 erhobene Klage bezogene Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist gemäß § 34a Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) statthaft und rechtzeitig angebracht worden.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat abzuwägen zwischen dem sich aus § 75 AsylVfG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung; nicht erforderlich sind insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, denn die Regelung des § 36 Abs. 4 AsylVfG ist hier nicht (entsprechend) anwendbar (vgl. VG Trier, B. v. 18.9.2013 - 5 L 1234/13.TR; VG Göttingen, B. v. 9.12.2013 - 2 B 869/13 - juris, Rn. 16). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.

Der Antrag ist begründet, denn nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage sind die Erfolgsaussichten der Klage mindestens als offen zu bewerten. Bei der demzufolge anzustellenden Abwägung des Interesses des Antragstellers, bis zur Entscheidung über seine Klage nicht zwangsweise nach Italien rücküberstellt zu werden, mit dem öffentlichen Interesse an einer möglichst umgehenden Rückführung des Antragstellers geht ersteres vor.

Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Im vorliegenden Fall ist jedoch offen, ob die Antragsgegnerin und nicht Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Anzuwenden ist insoweit die Dublin II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 343/2003), da sowohl der Antrag als auch das Übernahmeersuchen an Italien vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind (vgl. Art. 49 Abs. 2 Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates v. 26.6.2013 - sog. Dublin III-Verordnung).

1. Der Antragsteller hat in Italien einen Asylantrag gestellt. Der diesbezügliche Einwand auf Antragstellerseite vermag hieran nichts zu ändern. Soweit vorgetragen wird, der Antragsteller habe in Italien keinen wirksamen Asylantrag gestellt, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Der aufgrund der dem Antragsteller in Italien abgenommenen Fingerabdrücke im EuroODAC-System gefundene Treffer lautet: „...“. Hieraus folgt, dass der Antragsteller in Italien (Buchstabe „IT“) einen Asylantrag (Nr. „1“) gestellt haben muss, denn gemäß Art. 2 Abs. 3 Satz 4 der Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 2725/2000, ABl L 316 vom 15.12.2000 werden Daten von Asylbewerbern mit „1“ gekennzeichnet. Soweit vorgetragen wird, der Antragsteller habe in Italien keinen wirksamen Asylantrag gestellt, da dem Antragsteller kein Vormund bestellt worden sei, überzeugt das nicht. Insoweit ist zunächst zu beachten, dass es sich bei der EuroODAC-Datei um eine öffentliche Datei handelt. Werden in einer solchen Datenbank entsprechende Daten gespeichert, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass diese Daten zutreffend sind. Etwas anderes gilt nur dann, wenn durch einen entsprechenden substantiierten Vortrag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Eintragung begründet werden bzw. wenn konkret schon entsprechende Berichtigungsanträge gestellt worden sind (Art. 15 der EuroODAC-Verordnung). Ob ein Vormund bestellt worden ist, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, denn daraus könnte allenfalls ein Verfahrensfehler folgen, jedoch ist das nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Stellung eines Asylantrags. Soweit von Antragstellerseite unter Verweis auf entsprechende Gerichtsentscheidungen (VG Stuttgart, B. v. 2.7.2012, Nr. A 7 K 1877/12 sowie VG Meinigen, B. v. 20.3.2013, 5 E 20050/13) vorgebracht wird, ein ordnungsgemäßes Asylverfahren werde von der Republik Italien nicht durchgeführt, ist das grundsätzlich nicht relevant. Die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien und die Einhaltung der insoweit durch europäisches Recht vorliegenden Mindeststandards sind allein Sache der Republik Italien. Soweit geltend gemacht wird, dass Asylbewerber dann nicht an einen nach der Dublin II-Verordnung an sich zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden dürfen, wenn dort systematische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber herrschen, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta ausgesetzt zu werden, vermag das Gericht derartige Verhältnisse zum entscheidungserheblichen gegenwärtigen Zeitpunkt für Italien beim vorliegenden Sach- und Streitstand nicht zu erkennen (vgl. dazu näher VG München, B. v. 22.2.2012 - M 4 E 12.30104; VG Ansbach, B. v. 18.9.2013 - AN 2 K 13.30675 m. w. N.).

2. Allerdings ist derzeit offen, ob Deutschland aufgrund einer Minderjährigkeit des Antragstellers, die nach Aktenlage nicht hinreichend sicher ausgeschlossen ist, für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig ist (Art. 6 Abs. 2 Dublin II-Verordnung).

Minderjährigen, die in keinem EU-Mitgliedstaat Angehörige haben, kommt aufgrund von Art. 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union besonderer Schutz zu, der es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteil vom 6.6.2013 C-648/11) gebietet, sie bei einer Asylantragstellung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union grundsätzlich nicht in einen EU-Mitgliedstaat zu überstellen, weil jedenfalls solange als - wie vorliegend - ein in einem anderen EU-Staat gestellter Asylantrag noch nicht beschieden wurde, regelmäßig der EU-Staat zuständiger Staat im Sinne des Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ist, in dem er einen Asylantrag gestellt hat und sich tatsächlich aufhält, ohne dass es auf die vorherige Asylantragstellung in dem anderen EU-Staat ankommt.

Ob der Antragsteller minderjährig ist oder nicht, ist offen und lässt sich aufgrund der Aktenlage nicht beantworten. Art. 2 lit. h Teilsatz 1 Dublin II-Verordnung sieht vor, dass als unbegleitete Minderjährige unverheiratete Personen unter 18 Jahren zu verstehen sind, die ohne Begleitung eines für sie nach dem Gesetz oder dem Gewohnheitsrecht verantwortlichen Erwachsenen in einen Mitgliedstaat einreisen, solange sie sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befinden. Zwar gilt wie allgemein im Hinblick auf die für einen Beteiligten günstigen Voraussetzungen, dass es Sache des Antragstellers ist, seine guten Gründe für eine Zufluchtnahme bei zumutbarer Anstrengung selbstständig und selbstverständlich wahrheitsgemäß vorzubringen sowie glaubhaft zu machen und soweit als möglich zu beweisen. Diese Rechtspflicht trifft grundsätzlich einen unbegleiteten Minderjährigen genauso wie einen Erwachsenen, wobei insoweit Abstriche gemacht werden dürfen und ggf. müssen, als aus der Natur der Umstände heraus einem Minderjährigen - vergleichbar erkrankten oder behinderten Menschen - einzelne oder bestimmte Angaben und/oder Nachweise nicht abverlangt werden können. Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben kann im vorliegenden Einzelfall nicht mit der hinreichenden Sicherheit angenommen werden, dass der Antragsteller volljährig ist bzw. anders gewendet, dass der Antragsteller kein unbegleiteter Minderjähriger im Sinne der oben genannten Vorschrift ist.

Keine entscheidende Rolle spielt für die Überzeugungsbildung des Gerichts die Vorlage der angeblichen „Geburtsurkunde“. Dieser „Urkunde“ kommt hier keinerlei Beweiswert zu. Erstens sind derlei Urkunden angesichts des völlig desolaten Verwaltungssystems in Somalia keiner Echtheitsüberprüfung zugänglich und haben sich in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen vergleichbare „Urkunden“ als falsche, gefälschte oder echte Urkunden mit falschem Inhalt herausgestellt. Zweitens liegt es im vorliegenden Fall nahe, dass die für den Antragsteller lediglich in schlechter Faxqualität vorgelegte Unterlage aus verfahrenstaktischen Gründen eingeführt wird. Denn der Antragsteller hatte auf die diesbezüglichen Fragen bei der Befragung bzw. dem „persönlichen Gespräch“ gegenüber der Bundespolizei am ... Oktober 2013 angegeben, keine Personalpapiere oder anderen Dokumente über seine Person vorlegen zu können. Davon ausgehend bedürfte es eines wenigstens hinreichend substantiierten Vorbringens dazu, unter welchen Umständen genau der Antragsteller wann, von wem und wie die „Geburtsurkunde“ erst jetzt doch habe erlangen können.

Auch von dem auf Seite 19 der Behördenakte enthaltenen Bild des Antragstellers lässt sich selbstverständlich keine belastbare Aussage über sein Alter gewinnen, wenn auch dort der Antragsteller nicht eben eindeutig als minderjährig erscheint.

Wenn es auch somit grundsätzlich Sache des Antragstellers ist, seine Minderjährigkeit darzulegen und nötigenfalls zu belegen, so kann doch nicht ignoriert werden, dass im vorliegenden Fall keine hinreichende Grundlage für die Annahme der Volljährigkeit des Antragstellers gegeben ist, weil sich aus der Aktenlage gar keine belastbare Aussage über das genaue Alter des Antragstellers treffen lässt.

Im gesamten Vorgang, d. h. in der Behördenakte sowie in den Schriftsätzen samt Anlagen der Beteiligten finden sich insgesamt sage und schreibe mindestens sechs verschiedene Geburtsdaten des Antragstellers, davon mindestens fünf, die potenziell zutreffen könnten (das Bundesamt geht ausweislich des streitgegenständlichen Bescheids vom 1.1.1991 aus; auf Blatt 2 wie auf Blatt 19 der Behördenakte findet sich der 25.10.1994; auf Blatt 5 der Behördenakte der 20.1.1991, falls dort der Antragsteller als „Person 5“ („P5“) und nicht als „Person 3“ („P3“) gemeint ist, was beides als möglich erscheint; auf Blatt 33 der Behördenakte der 1.3.1994; auf Blatt 1 der Behördenakte der offensichtlich unzutreffende fehlerhafte 25.1.2013; sowie auf Blatt 8 der Behördenakte möglicherweise - wegen der Schriftqualität schlecht leserlich - der 26.10.1994; nach dem Klagevortrag ist das Geburtsdatum dagegen der 1.1.1998). Es lässt sich auch nicht dahingehend argumentieren, dass mit Ausnahme des mit der Klage geltend gemachten Geburtsdatums alle anderen Daten dazu führen würden, dass der Antragsteller bei Asylantragstellung volljährig gewesen wäre. Denn dieser Umstand kann nicht einfach völlig offen bleiben.

Festzuhalten ist als Zwischenergebnis, dass sich eine Vielzahl widersprechender Geburtsdaten für den Antragsteller aus den Akten ergibt, so dass nicht von einem feststehenden Datum ausgegangen werden kann.

Dazu kommt noch, dass sich kein nachvollziehbarer Grund für die Annahme des 1.1.1991 als Geburtsdatum des Antragstellers seitens der Antragsgegnerin (vgl. den streitgegenständlichen Bescheid) finden lässt. Unklar bleibt, warum unmittelbar nach dem Aufgriff des Antragstellers, zu einem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller in den Behördenakten unter zwei Aliaspersonalien erfasst ist ... alias ... bzw. ... alias ..., vgl. Bl. 2 und Bl. 8 der Behördenakten), noch von zwei verschiedenen Geburtsdaten ausgegangen wird für die jeweiligen Aliaspersonalien, nämlich 25.10.1994 (oder 26.10.1994, auf Bl. 8 der Behördenakten schlecht leserlich) bzw. 1.1.1991 (vgl. Bl. 2 sowie Bl. 8 der Behördenakten), jedoch im weiteren Verlauf ohne Erklärung bzw. erkennbaren Grund für beide (beibehaltenen) Aliaspersonalien plötzlich vom 1.1.1991 ausgegangen wird (vgl. Bl. 20 der Behördenakten und den streitgegenständlichen Bescheid).

Ebenso wenig ist aus den Akten irgendetwas erkennbar dafür, dass die Antragsgegnerin entweder den Antragsteller selbst gefragt hätte, wann er denn nun geboren sei noch ist wenigstens eine bewusste Übernahme eines in Italien festgestellten Geburtsdatums erkennbar. Letzteres wäre im Übrigen wohl am ehesten (oder zumindest genau so gut wie der 1.1.1991) der 1.3.1994 gewesen (vgl. Bl. 33 der Behördenakten), da Italien selbst offensichtlich von diesem Datum ausgeht.

Schließlich hätte die Antragsgegnerin aufgrund der aufgezeigten Konfusion über das richtige Geburtsdatum des Antragstellers zwingenden Anlass gehabt, im Verwaltungsverfahren hierzu nähere Aufklärung herbeizuführen. Hierzu ist jedoch nichts erfolgt. Zumindest müsste feststehen, ob sich der Antragsteller jemals selbst mit einem Geburtsdatum, das - seine Richtigkeit unterstellt -, seine Volljährigkeit begründet, eingelassen hat, um wenigstens einen belastbaren Anhaltspunkt zu haben, dass irgendein Geburtsdatum seitens der beteiligten Behörden bewusst aufgrund bestimmter Umstände angenommen wurde. Das ist aber nicht der Fall. Wie soeben schon dargelegt, wurde nicht einmal der Antragsteller selbst in Deutschland nach seinem Geburtsdatum gefragt geschweige denn wurden weitere Maßnahmen getroffen. Dies obwohl der Antragsgegnerin spätestens mit dem Schreiben der Bevollmächtigten des Antragstellers vom 25. November 2013 (vgl. Bl. 68 der Behördenakten) zur Kenntnis gebracht wurde, dass das von der Antragsgegnerin angenommene Geburtsdatum bestritten wird („Geburtsdatum ungesichert“), wobei der Antragsgegnerin auch schon vorher hätte auffallen müssen, dass die aufgezeigten Diskrepanzen bestehen.

Da somit jede Grundlage fehlt, von welchem Geburtsdatum nun für den Antragsteller auszugehen ist, fehlt ebenso jegliche Grundlage für die Annahme, dass der Antragsteller mit der notwendigen Sicherheit volljährig sein soll.

Nicht entscheidend, jedoch indiziell verwertbar ist schließlich der Umstand, auf den auch die Bevollmächtigte des Antragstellers hinweist, dass dem Antragsteller laut Niederschrift über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 18. Oktober 2013 Fragen vorgelegt wurden, die sich ausdrücklich an unbegleitete Minderjährige richten (vgl. Bl. 12 f der Behördenakten).

Nach alledem fehlt es an einer hinreichenden Tatsachengrundlage, um von einer Volljährigkeit des Antragstellers auszugehen. Denn aufgrund der dargelegten widersprüchlichen Angaben von einem halben Dutzend verschiedener Geburtsdaten lässt sich nicht sagen, von welchem Geburtsdatum nun zutreffend ausgegangen werden soll. Dann aber ist es sowohl möglich, dass der Antragsteller volljährig ist oder eben auch nicht. Es steht schlicht nichts fest. In diesem Fall wiederum fällt die Abwägung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes in Richtung auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage aus. Es ist Sache der Antragsgegnerin, ggf. durch weitere Maßnahmen eine nähere Aufklärung zu erzielen. Ob dies dann entweder durch einen wiederum neuen Bescheid auf der Grundlage der §§ 27a sowie 34a AsylVfG oder ggf. über einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO geltend gemacht oder gar nicht weiter verfolgt wird, ist ebenfalls Sache der Antragsgegnerin. Welches Alter das Gericht zugrunde legt (etwa im Zweifelsfall die Minderjährigkeit, in diese Richtung bspw. VG Leipzig, B. v. 7.2.1995 - A 6 K 30912/94), kann für den Eilrechtsschutzantrag offen bleiben.

Da die Minderjährigkeit des Antragstellers demzufolge im gegenwärtigen Zeitpunkt gerade nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann, ist nach der eingangs zitieren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes derzeit davon auszugehen, dass eine Zuständigkeit Deutschlands für das Asylverfahren besteht.

Nach alledem war dem Antrag stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylVfG.

Aus den oben genannten Gründen war dem gestellten Prozesskostenhilfeantrag nebst Beiordnung der Bevollmächtigten des Antragstellers stattzugeben. Der Antragsteller ist bedürftig, Antrag sowie auch Klage haben hinreichende Erfolgsaussichten.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Beschluss, 24. März 2014 - 11 S 14.30085

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

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Verwaltungsgericht München Urteil, 28. Juli 2014 - M 11 K 14.30084

bei uns veröffentlicht am 28.07.2014

Tenor I. Der Bescheid des Bundesamts ... vom … Januar 2014 wird in den Nrn. 2 und 3 aufgehoben. II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte

Verwaltungsgericht Trier Beschluss, 18. Sept. 2013 - 5 L 1234/13.TR

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Diese Entscheidung wird zitiert Tenor 1. Die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache unter dem Aktenzeichen 5 K 1233/13.TR bei dem beschließenden Gericht anhängigen Klage des Antragstellers wird angeordnet. 2. Die Antragsgegneri

Verwaltungsgericht Stuttgart Beschluss, 02. Juli 2012 - A 7 K 1877/12

bei uns veröffentlicht am 02.07.2012

Tenor Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung der Antragsteller nach Italien vorläufig auszusetzen, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO Gebrau

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Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts ... vom … Januar 2014 wird in den Nrn. 2 und 3 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Überstellung nach Italien im Rahmen des Dublin-II-Systems.

Nach seinen Angaben im Verwaltungsverfahren ist der Kläger, der somalischer Staatsangehöriger ist, über Äthiopien, den Sudan und Libyen aus Somalia geflohen. Von Libyen sei er mit einem Schiff nach Lampedusa gelangt. Nach einer Woche sei er von dort nach Sizilien und über Catania weiter nach Mailand gereist. Von dort sei er mit dem Bus nach ... gefahren. Er ist am 17. Oktober 2013 bei der Einreise von Österreich nach Deutschland am Grenzübergang ... aufgegriffen worden. Er stellte beim Bundesamt ... (im Folgenden: Bundesamt) unstrittig (vgl. den streitgegenständlichen Bescheid sowie auch Bl. 27 der Behördenakten) einen Asylantrag, wobei aus den vorgelegten Akten nicht hervorgeht, unter welchem Datum genau der Antrag gestellt wurde.

Im Bescheid vom ... Januar 2014 (Bl. 99 der Behördenakten) ist das Datum, an dem der Asylantrag gestellt wurde, nicht dargestellt („und stellte am … Asylantrag“). Nach dem Verwaltungsvorgang ist vom 18. Oktober 2013 auszugehen (vgl. Bl. 8 ff. der Behördenakten; auf Bl. 35 der Behördenakten ist ohne nachvollziehbaren Grund der 23. Oktober 2013 genannt). Aufgrund eines EURODAC-Treffers der Kategorie 1 (Antrags-/Aufgriffsort: Agrigento, Antrags-/Aufgriffsdatum: 23.9.2013 sowie Datum Fingerabdrucknahme ebenfalls 23.9.2013) ersuchte das Bundesamt unter dem 23. Oktober 2013 die zuständige italienische Behörde um Aufnahme des Klägers. Mit Schreiben vom 5. November 2013 erklärte Italien unter Bezugnahme auf die Dublin-II-Verordnung die Bereitschaft zur Rückübernahme des Klägers. Im Verwaltungsvorgang der Beklagten findet sich ein Bescheid vom ... November 2013, in dem festgestellt wird, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist. Dieser Bescheid wurde offensichtlich nicht zugestellt. Ein weiterer Bescheid vom ... November 2013 erging sodann ohne Tenor, wurde dieses Mal jedoch zugestellt. Aus den Gründen dieses Bescheids ergibt sich, dass auch mit diesem Bescheid der Asylantrag als unzulässig behandelt wird. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger durch seine Bevollmächtigte am 25. November 2013 Klage und Eilantrag (Az: M 11 K 13.31231 sowie M 11 S 13.31232). Mit weiterem (= dem hier streitgegenständlichen) Bescheid vom ... Januar 2014 wurde zunächst der Bescheid vom ... November 2013 aufgehoben (Nr. 1) und sodann festgestellt, dass der Asylantrag (des Klägers in Deutschland) unzulässig ist (Nr. 2) und schließlich die Abschiebung des Klägers nach Italien angeordnet (Nr. 3).

Der Kläger macht im gerichtlichen Verfahren geltend, dass er minderjährig sei. Dem Kläger sei es gelungen, durch Kontaktaufnahme in das Heimatland eine Geburtsurkunde übersandt zu bekommen. Diese bescheinige das Geburtsdatum ... Januar 1998 und sei am 22. Januar 2014 der Bevollmächtigten des Klägers per Fax übersandt worden.

Mit Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers vom 25. April 2014 wurde mitgeteilt, dass die Bevollmächtigte einen Antrag auf Einrichtung einer Vormundschaft für den Kläger beim Amtsgericht ... gestellt hat. In dem Vormundschaftsverfahren ist ein Gutachten über das Alter des Betroffenen in Auftrag gegeben worden. Das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin ... vom 15. April 2014 wurde vorgelegt.

Dieses Gutachten zur Bestimmung des Alters des Klägers wurde der Beklagten zur Kenntnis übersandt. Eine Stellungnahme erfolgte nicht.

Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 4. Februar 2014 die Behördenakten vor. Ein Antrag wurde nicht gestellt.

Mit Beschluss vom 24. Juni 2014 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 76 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG).

Am 17. Juli 2014 fand die öffentliche mündliche Verhandlung statt. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie im Verfahren M 11 S 14.30085 und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli 2014 entschieden werden, obwohl seitens der Beklagten im Termin niemand erschienen ist. Die Voraussetzungen von § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) lagen vor, die Beklagte ist, wie in der mündlichen Verhandlung festgestellt (vgl. das Sitzungsprotokoll), ordnungsgemäß geladen worden.

Die zulässige Klage ist begründet, da der Bescheid vom ... Januar 2014 in den angegriffenen Nummern 2 und 3 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers ist die Beklagte zuständig. Die Voraussetzungen der Vorschriften des § 27 a sowie des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG liegen demzufolge nicht vor.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf den den Kläger betreffenden Beschluss vom 24. März 2014 im Verfahren M 11 S 14.30085 Bezug genommen.

Zwar geht das Gericht weiterhin davon aus, dass das italienische Asylverfahren und Aufnahmesystem nicht an sogenannten systemischen Mängeln leiden, die befürchten ließen, dass Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen werden. Das ergibt sich aus der mittlerweile ganz überwiegenden Rechtsprechung hierzu (vgl. statt vieler: BayVGH, U.v. 28.2.2014 - 13 a B 13.30295 -, juris m.w.N.), der sich das Gericht anschließt. Das gilt ausdrücklich auch im Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylVfG) des hiesigen Verfahrens (vgl. statt vieler: VG Ansbach, B.v. 28.7.2014 - AN 1 S 14.50053, juris m.w.N.; VG Stuttgart, U.v. 9.7.2014 - A 12 K 868/14 -, juris Leitsatz 1 sowie Rn. 18 ff.).

Jedoch folgt aus dem Umstand der Minderjährigkeit des Klägers zum relevanten Zeitpunkt der Asylantragstellung die Zuständigkeit von Deutschland für das Asylverfahren des Klägers gemäß Art. 6 Abs. 2 der für diesen Fall noch anwendbaren Dublin-II-Verordnung (= Verordnung (EG) Nr. 343/2003). Während zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 24. März 2014, mit dem die aufschiebende Wirkung der hiesigen Klage angeordnet wurde, die Frage der Minderjährigkeit des Klägers noch offen war bzw. noch nicht abschließend beantwortet werden konnte, ist das Gericht im Entscheidungszeitpunkt inzwischen von der Minderjährigkeit des Klägers überzeugt. Aus dem in das hiesige Verfahren eingeführten Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin ... vom 15. April 2014 zur Bestimmung des Alters des Klägers folgt zweifelsohne seine Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Asylantragstellung wie übrigens auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Das Gutachten, das sich neben der eigenen Begutachtung des Klägers noch auf ein radiologisches Zusatzgutachten sowie auf eine zahnärztliche Untersuchung bezieht, kommt unter Berücksichtigung sämtlicher Untersuchungsbefunde (körperliche Untersuchung, zahnärztlicher Untersuchungsbefund, radiologischer Untersuchungsbefund sowie computertomographischer Befund) zu folgendem zusammenfassenden Ergebnis:

Bei zusammenfassender Beurteilung dürfte das wahrscheinlichste Lebensalter bei 17 Jahren liegen, also ein 3/4 Jahr über dem Lebensalter, das sich aus dem zugeordneten Geburtstagsdatum [...1.1998, Anm. des Unterzeichners] ergibt. Nach den Untersuchungsbefunden ist aber nicht davon auszugehen, dass Herr ... zum Zeitpunkt der körperlichen Untersuchung bereits das 18. Lebensjahr vollendet hatte.“

Wegen der somit nachgewiesenen Minderjährigkeit des Klägers ist die Beklagte gemäß Art. 6 Abs. 2 der Dublin-II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig.

Zwar ergibt sich sowohl aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 10.12.2013 - C-394/12 -, NVwZ 2014, 208 = Amtsbl. EU 2014, Nr. C 45, 12) wie auch des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 19.3.2014 - 10 B 6/14 -, juris; vgl. auch Berlit, jurisPR - BVerwG 12/2014 Anm. 3), dass ein Asylbewerber nur dann nicht an den nach der Dublin-II-VO zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden darf, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat aufgrund systemischer Mängel, d.h. regelhaft, so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Einzelfall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Das bedeutet, dass gegenüber der Abschiebungsanordnung grundsätzlich andere als sog. systemische Mängel nicht geltend gemacht werden können. Das gilt grundsätzlich auch ausdrücklich in dem Fall, dass bei einem aufnahmebereiten Unionsstaat die Zuständigkeitsregelungen der Dublin-II-/Dublin-III-Verordnung objektiv-rechtlich nicht richtig angewendet worden sind; d.h. im gerichtlichen Verfahren im Rahmen des dort maßgeblichen subjektiven Rechtsschutzes können diese Umstände nicht geltend gemacht werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2014, a.a.O., juris Rn. 7; EuGH, U.v. 10.12.2013, a.a.O., Rn. 60).

Das Gericht geht jedoch zumindest für die Zuständigkeitsvorschrift des Art. 6 Abs. 2 der Dublin-II-VO davon aus, dass diese Gewährleistung nicht nur objektiv-rechtlich besteht, sondern auch subjektiv-rechtlichen Rechtsschutz vermittelt (so auch VG München, B.v. 23.4.2014 - M 21 S 14.30537 -, juris Rn. 33; VG Aachen, B.v. 3.4.2014 - 7 L 165/14.A -, juris Rn. 23; VG Trier, B.v. 30.9.2013 - 5 K 987/13.TR -, juris Rn. 20; VG Stade, B.v. 1.10.2012 - 6 B 2303/12 -, juris Rn. 34). Dafür spricht, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH vom 6.6.2013 - C-648/11 -, juris) Art. 6 Abs. 2 Dublin-II-VO u.a. unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift, wonach Minderjährige als besonders gefährdete Personen auch besonders schutzwürdig sind sowie mit Blick auf Art. 24 Abs. 2, 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und auf den 15. Erwägungsgrund der Dublin-II-VO dahin auszulegen ist, dass die Vorschrift im Falle eines unbegleiteten Minderjährigen, der keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen hat und der in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, denjenigen Mitgliedstaat als „zuständigen Mitgliedstaat“ bestimmt, in dem sich dieser Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt hat. Das bedeutet, dass der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat und in dem er sich gerade aufhält, im relevanten Zeitpunkt der Asylantragstellung dort (vgl. VG Aachen vom 3.4.2014 a.a.O., juris Rn. 23) zum zuständigen Mitgliedstaat wird, selbst wenn der Minderjährige zuvor einen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat (vgl. VG München vom 23.4.2014 a.a.O.; VG München, U.v. 31.10.2013 - M 12 K 13.30730 –, juris Rn. 26; VG Trier, U.v. 30.9.2013 a.a.O.). Unter Berücksichtigung dieser Darlegungen, insbesondere der dargestellten Zwecksetzungen der Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 Dublin-II-VO ist davon auszugehen, dass jedenfalls in diesem Falle die Zuständigkeitsbestimmung nicht nur objektiv-rechtlich besteht, sondern auch vom Kläger subjektiv-rechtlich per Rechtsbehelf geltend gemacht werden kann.

Daher erweist sich die Abschiebungsanordnung (Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids) als rechtswidrig. Gleiches gilt folgerichtig für die Feststellung, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist (Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids), weshalb der Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.

Im Zusammenhang hiermit wird darauf hingewiesen, dass das Gericht davon ausgeht, dass es sich bei dem Klageantrag zu 2. (vgl. die Klageschrift vom 23.1.2014), nämlich die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren in eigener Zuständigkeit durchzuführen, nicht um einen eigenständigen Klageantrag handelt, sondern um einen unselbständigen deklaratorischen Annex zum eigentlichen Klageantrag, den Bescheid der Beklagten vom ... Januar 2014 in den Nr. 2 und 3 aufzuheben. Die Verpflichtung, das Asylverfahren in eigener Zuständigkeit durchzuführen, ergibt sich nach erfolgter Aufhebung des rechtswidrigen Bescheids ohne weiteres aus dem Gesetz; schließlich liegt ein – zulässiger – Asylantrag des Klägers vor, über den noch nicht entschieden ist. Daher legt das Gericht den Klageantrag so aus wie geschehen, andernfalls - würde es sich um einen selbstständigen Klageantrag handeln - wäre dieser kostenpflichtig abzuweisen gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

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Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache unter dem Aktenzeichen 5 K 1233/13.TR bei dem beschließenden Gericht anhängigen Klage des Antragstellers wird angeordnet.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

1

Der am 6. September 2013 gestellte Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. August 2013 anzuordnen, ist gemäß § 80 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO – in Verbindung mit §§ 34a Abs. 2, 75 Satz 1 Asylverfahrensgesetz – AsylVfG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), geändert durch den insoweit gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG seit dem 6. September 2013 anwendbaren Artikel 1 des Gesetzes vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474), zulässig.

2

Mit dem vorgenannten Bescheid hat die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers unter Bezugnahme auf § 27a AsylVfG und Art. 16 Abs. 1e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin-II-VO - für unzulässig erklärt und auf der Grundlage des § 34a AsylVfG die Abschiebung des Antragstellers nach Italien angeordnet. Gegen beide Entscheidungen ist in der Hauptsache eine Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO statthaft, da die Antragsgegnerin mit ihrem Bescheid das Asylverfahren des Antragstellers ohne Sachprüfung abgeschlossen hat (vgl. insoweit BVerwG, Urteile vom 7. März 1995 - 9 C 264/94 - und vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 -, juris; Bayerischer VGH, Urteil vom 14. Januar 2013 - 20 B 12.30348 -, juris; Urteil der erkennenden Kammer vom 30. Mai 2012 - 5 K 967/11.TR -, ESOVGRP), so dass § 80 VwGO anwendbar ist.

3

Des Weiteren wurde der Antrag ungeachtet der Frage, welche Frist für eine Antragstellung bei bereits vor Inkrafttreten der Änderung des § 34a AsylVfG bekannt gegebenen Bescheiden gilt, jedenfalls fristgerecht gestellt.

4

Der Antrag ist auch in der Sache begründet.

5

Bei der Entscheidung darüber, ob die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist, ist das öffentliche Interesse an einer alsbaldigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse des Betroffenen an einer Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzuwägen. Insoweit finden die in den Fällen der vorliegenden Art in der Vergangenheit geltenden Einschränkungen, die darauf gründeten, dass aufgrund der bislang geltenden gesetzlichen Bestimmungen eine angeordnete Abschiebung in einen anderen EU-Mitgliedstaat kraft Gesetzes nicht nach §§ 80, 123 VwGO ausgesetzt werden durfte, keine Anwendung mehr, so dass die allgemeinen Grundsätze gelten, zumal der Gesetzgeber insoweit die für offensichtlich unbegründete Asylanträge geltende Bestimmung des § 36 Abs. 4 AsylVfG, der zufolge eine Aussetzung der Abschiebung nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes angeordnet werden darf, nicht für entsprechend anwendbar erklärt hat und die Gesetzesmaterialen keine Anhaltspunkte für eine abweichende Gesetzauslegung bieten.

6

Die Bundestags-Drucksache 17/13556, die der Änderung des § 34a AsylVfG zugrunde liegt, enthält keine Angaben zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden kann. In der Bundestagssitzung vom 7. Juni 2013 (vgl. Plenarprotokoll 17/244 S. 30891 ff, insbesondere S. 30895) wurde alsdann vor der Beschlussfassung in 2. und 3. Lesung ausdrücklich auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes eingegangen und darauf hingewiesen, dass nur noch entscheidend sei, ob dem Aussetzungsinteresse des Schutzsuchenden Vorrang vor dem Vollzugsinteresse der Behörde einzuräumen sei.

7

Die Materialien über die Beteiligung des Bundesrats am Gesetzgebungsverfahren ergeben ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 4 AsylVfG.

8

In der Bundesratsdrucksache 495/1/13 vom 21. Juni 2013 ist festgehalten, dass der Bundesratsausschuss für Innere Angelegenheiten dem Bundesrat gegenüber unter 3. eine Empfehlung folgenden Inhalts abgegeben hat:

9

„Der Bundesrat stellt aber fest, dass die Änderungen in § 34a AsylVfG ergänzungsbedürftig sind, weil sie das verwaltungsgerichtliche Verfahren bei Anträgen nach § 80 Absatz 5 VwGO ungeregelt lassen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, bei dem nächsten Gesetzentwurf zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes vorzusehen, dass im beschleunigten Verfahren bei Unbeachtlichkeit und offensichtlicher Unbegründetheit von Asylanträgen (§ 36 AsylVfG) entsprechende Bestimmungen ergänzt werden. Die Aussetzung der Überstellung darf nur angeordnet werden, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber erkennbar sind, sodass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH vom 21. Dezember 2011, Rs. C-411/10 und C-493/10).“

10

In der Sitzung des Bundesrates vom 5. Juli 2013 (vgl. Stenografischer Bericht, Plenarprotokoll 912, S. 401, 429 - Anlage 19) gab alsdann die rheinland-pfälzische Staatsministerin Margit Conrad eine Erklärung dahingehend zu Protokoll, dass die vorstehend zitierte Entschließung aus dem Innenausschuss nicht mitgetragen werden könne, weil sie den gerade wieder eingeführten einstweiligen Rechtsschutz wieder relativieren würde.

11

Bei der anschließenden Beschussfassung des Bundesrates schloss sich alsdann nur eine Minderheit des Bundesrates der dargestellten Beschlussempfehlung an (vgl. Plenarprotokoll 912, S. 401 zu Punkt 14, Ziffer 3).

12

Demnach kommt eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 4 AsylVfG nicht in Betracht, so dass die bei der Anwendung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO für kraft Gesetzes sofort vollziehbare Verwaltungsakte allgemein geltenden Grundsätze Anwendung finden müssen. Danach haben die Gerichte die Erfolgsaussichten der in der in der Hauptsache erhobenen Klage zu prüfen. Zu einer weitergehenden Einzelfallbetrachtung sind sie grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2003 - 1 BvR 2025/03 -, juris).

13

Ausgehend hiervon erscheint es der Kammer interessengerecht, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, weil sie die Erfolgsaussichten der Klage unter Berücksichtigung der Gründe des den Beteiligten bekannten Beschlusses des OVG Rheinland-Pfalz vom 19. Juni 2013 - 10 B 10627/13.OVG –, auf die die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen in entsprechender Anwendung des § 77 Abs. 2 AsylVfG verweist, als zumindest offen einstuft, da der dortige Sachverhalt – insbesondere im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachten gesundheitlichen Probleme - mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar erscheint, und in dem von dem Antragsteller vorgelegten fachärztlichen Attest, auf das die Antragsgegnerin in ihrer ausführlichen Antragserwiderung nicht eingegangen ist, nachvollziehbar dargelegt ist, warum bei dem Antragsteller aufgrund besonderer Umstände seines Einzelfalles in Italien eine Verschlimmerung seiner gesundheitlichen Lage zu befürchten sei, so dass die vorzunehmende Interessenabwägung zu seinen Gunsten auszufallen hat.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben.

15

Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung der Antragsteller nach Italien vorläufig auszusetzen, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen und die Asylverfahren der Antragsteller fortzusetzen.

Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt ..., beigeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
I.
Die Antragsteller, nach ihren Angaben staatenlose Palästinenser aus Syrien, reisten nach ihren Angaben am 3.5. bzw. 9.6.2011 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung vom 7.6.2011 gab die Antragstellerin zu 2 an, sie seien von Syrien über die Türkei nach Griechenland gereist. Dort hätten sie sich ca. 2 Wochen aufgehalten, bevor sie mit einem Boot nach Italien gefahren seien. In Italien seien sie von der Polizei aufgegriffen worden, die sie erkennungsdienstlich behandelt habe. Einen Asylantrag hätten sie nicht gestellt. Sie hätten einen Zettel bekommen mit der Aufforderung, so schnell wie möglich das Land zu verlassen. Sie hätten sich einen Tag in einem Asylbewerberheim aufgehalten. Eine Anhörung habe nicht stattgefunden. Der Antragsteller zu 1 gab bei seiner Anhörung am 23.8.2011 an, seine Familie habe Syrien am 1.4.2011 verlassen. Sie seien über die Türkei nach Griechenland gereist, wo sie sich ca. zwei Wochen aufgehalten hätten. Dort seien sie nicht gemeldet gewesen. Sie seien weiter mit einem Boot nach Italien gereist. Dort seien sie von der Polizei aufgegriffen, jedoch nicht angehört worden. Sie hätten eine Aufforderung erhalten, das Land zu verlassen. Sie hätten sich einen Tag in einem Lager aufgehalten. Danach seien sie nach Mailand gereist. Zunächst seien seine Frau und die Kinder ausgereist, ca. einen Monat später sei er ihnen gefolgt. Zu seinen Asylgründen gab er an, sie hätten als staatenlose Palästinenser in Syrien keinerlei Rechte gehabt. Außerdem habe er an Demonstrationen in Damaskus teilgenommen und sei dabei von Sicherheitskräften erkannt worden.
Die Antragsteller ließen in der Folgezeit weitere Unterlagen über ihren Prozessbevollmächtigten an die Antragsgegnerin überreichen. Unter anderem ließen sie von einem ihrer in Deutschland lebenden Verwandten schriftlich darlegen, dass sie am 20.4.2011 in Italien „festgehalten“ worden seien. Morgens seien ihnen Fingerabdrücke genommen worden. Sie hätten an dem Tag im Lager nur einmal zu essen bekommen. Danach seien sie abends mit einem Bus drei Stunden in eine andere Stadt gebracht worden. Ein Dolmetscher sei ihnen nicht zur Verfügung gestellt worden. Im Lager hätten sie ein kleines Zimmer mit einer anderen Familie teilen müssen. Ihnen hätten weder Platz zum Schlafen, noch Decken oder Kopfkissen zur Verfügung gestanden. Sie hätten nur auf dem Boden liegen können und nichts zu essen bekommen. Am nächsten Morgen hätten sie jemanden kennengelernt, der ihnen geholfen habe, nach Deutschland zu reisen.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller bat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29.5.2012 von einer Überstellung nach Italien abzusehen und von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Mit Schreiben vom 2.6.2012 bat er die Antragsgegnerin um Mitteilung, wie im Falle der Antragsteller weiter verfahren werden solle.
Am 11.6.2012 haben die Antragsteller einen Antrag auf Eilrechtsschutz und Gewährung von Prozesskostenhilfe stellen lassen. Zur Begründung führte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller aus, der Eilantrag sei geboten, nachdem er am 22.5.2012 bei einem Telefonat mit dem Bundesamt in Dortmund - Dublin-Referat - erfahren habe, dass ein Übernahmegesuch nach Italien gestellt worden sei und Italien der Übernahme am 6.3.2012 zugestimmt habe. Zudem sei ihm mitgeteilt worden, dass ein Rückführungsbescheid in den nächsten Wochen erlassen werde. Am 11.6.2012 habe er in einem Telefonat erfahren, dass ein Rückführungsbescheid noch nicht fertig gestellt sei. Ein Zusage, dass ihm der Bescheid zugeleitet werde und ein Rechtmittel rechtzeitig erhoben werde könne, sei ihm nicht gemacht worden. Hinsichtlich Italien bestünden Zweifel, dass Asylverfahren den vorgegebenen Standards der Genfer Flüchtlingskonvention, der Qualitätsrichtlinie bzw. der Richtlinie 2004/83 genügten. Diese seien nicht nur wegen der inzwischen allgemein bekannten Mängel im Asylverfahren begründet, sondern insbesondere durch die konkreten Erfahrungen der Antragsteller bei ihrer Aufnahme. Eine Familie mit drei kleinen Kindern bedürfe gefestigter Aufnahmebedingungen, damit sie keinen Schaden erleide.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Maßnahmen zur Verbringung der Antragsteller nach Italien vorläufig auszusetzen, von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen und die Asylverfahren der Antragsteller fortzusetzen,
sowie den Antragstellern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. H., K. Str. …, … K., zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
10 
Sie führt aus, vorläufiger Rechtsschutz sei vorliegend nicht zulässig. § 34 a Abs. 2 AsylVfG schließe vorläufigen Rechtsschutz gegen Entscheidungen des Bundesamtes nach § 27 a AsylVfG aus. Nur in Ausnahmefällen sei vorläufiger Rechtsschutz zulässig. Ein solcher liege hinsichtlich Italien nicht vor. Italien erfülle die Mindeststandards gegenüber Ausländern, die dort einen Asylantrag gestellt hätten. Dies belege der Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011. Nach diesem Bericht stehe ebenfalls fest, dass Asylsuchende in Italien einen Anspruch auf freie staatliche Gesundheitsversorgung hätten. Der Bericht von Bethke/Bender über eine Recherchereise im Oktober 2010 sei demgegenüber weniger umfassend und befasse sich insbesondere nicht flächendeckend mit der Situation von Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen in Italien. Auch wenn es vereinzelt zu Problemen bei der Unterbringung von Schutzsuchenden in Italien komme und die medizinische Versorgung nicht immer optimal sei, sei die Situation in Italien nach der überwiegenden Rechtsprechung nicht mit der in Griechenland vergleichbar. Alle im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückgeführten Personen bekämen von der zuständigen Questura eine Unterkunft zugeteilt und erhielten eine Fahrkarte dorthin mit der Auflage, sich an der zugewiesenen Adresse zu melden. Es sei jedoch bekannt, dass eine Vielzahl dieser Aufforderung nicht Folge leiste. Sollte das Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sein, werde der Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht und das Asylverfahren fortgesetzt. Entsprechend erfolge eine Unterbringung in einem CARA oder in den Einrichtungen des SPRAR. Unterkunftsplätze stünden jedoch oftmals nur für einen befristeten Zeitraum zur Verfügung. In italienischen Aufnahmeeinrichtung seien IOM, UNHCR, Caritas und andere humanitäre Organisationen vor Ort, um sicher zu stellen, dass Flüchtlinge angemessen untergebracht, medizinisch versorgt und ihre Rechte gewahrt würden. Dem Bundesamt sei kein Mitgliedstaat bekannt, der derzeit die Dublin-Überstellungen nach Italien ausgesetzt oder eingeschränkt habe.
11 
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
12 
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 AsylVfG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin.
13 
Dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war zu entsprechen, weil die Antragsteller die Kosten der Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln aufbringen können und der Antrag aus nachfolgend genannten Gründen Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).
14 
Der Antrag ist zulässig und begründet.
15 
Die Zulässigkeit des Antrags scheitert nicht daran, dass das Bundesamt über den Asylantrag der Antragsteller - soweit hier bekannt - noch nicht entschieden hat. Im Hinblick auf die gängige Praxis des Bundesamtes, dem Asylbewerber einen entsprechenden Bescheid erst am Tage seiner Überstellung durch die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde persönlich zuzustellen, lässt faktisch keinen einstweiligen Rechtsschutz zu (vgl. hierzu UNHCR, Stellungnahme an das BVerfG zur Verfassungsbeschwerde - 2 BvR 2015/09 - vom Februar 2010, S. 38; VG Gelsenkirchen, B.v. 1.6.2011 - 5a L 576/11.A -, zit. nach juris; Bay VG Regensburg, B.v. 14.6.2011 -RN 7 E 11.30189 - zit. nach juris). Daher muss vorläufiger Rechtsschutz auch schon vor Erlass eines Bescheids möglich sein.
16 
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin eine Rückführung der Antragsteller nach Italien beabsichtigt. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat auf telefonische Nachfrage bei der Antragsgegnerin erfahren, dass eine Rückübernahmeersuchen an Italien gestellt wurde und Italien diesem Ersuchen zugestimmt hat. Zwar war nach telefonischer Auskunft des „Dublin-Referats“ der Antragsgegnerin ein Bescheid bei Antragstellung vor Gericht noch nicht ergangen. Aufgrund der aufgezeigten Sachlage ist es jedoch jederzeit möglich, dass die Antragsteller einen ablehnenden Bescheid mit einer Abschiebungsandrohung nach § 34 a AsylVfG erhalten und umgehend abgeschoben werden. Da es den Antragstellern bzw. ihrem Bevollmächtigten nicht zuzumuten ist, sich immer wieder bei der Antragsgegnerin nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen, um rechtzeitig einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen zu können, besteht in diesen Fällen ein Rechtsschutzbedürfnis für Eilrechtsschutz.
17 
Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht § 34 a Abs. 2 AsylVfG entgegen, wonach eine Abschiebungsanordnung in den Fällen des § 26 a AsylVfG und jenen des § 27 a AsylVfG nicht ausgesetzt werden darf.
18 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49) kann ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurückverbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat zwar grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Deswegen kommen für ihn entsprechend dem mit Art. 16 a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, nicht in Betracht. Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27 a AsylVfG geht.
19 
Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings dann Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden können. Ausnahmen sind nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts u.a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, und wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer den Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird.
20 
Den vom Bundesverfassungsgericht angeführten Sonderfällen liegt die Zielsetzung zugrunde, dem Asylsuchenden den gebotenen Schutz nicht durch die Rückführung in den Drittstaat zu versagen. Ob dies auf einzelfallbezogenen Erwägungen beruht oder auf den allgemeinen Bedingungen in dem jeweiligen Staat, ist insoweit nicht von maßgeblicher Bedeutung. Mit Blick auf die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung auf der Grundlage einer verfassungskonformen Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG dann möglich, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG in dem Drittstaat europarechtlich zu gewährleistender Schutz tatsächlich nicht zumindest im Kern sichergestellt ist.
21 
Maßstab dafür, ob die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in den Fällen des § 26 a AsylVfG gegen den Willen des Gesetzgebers ausgesetzt werden kann, ist demnach die Frage, ob der Eintritt einer der vom Bundesverfassungsgericht genannten Fallgruppe konkret zu befürchten ist.
22 
Vorliegend dürften die Antragsteller bei einer Rückführung nach Italien einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein. Italien ist zwar als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gemäß § 26 a Abs. 2 AsylVfG ein sicherer Drittstaat und hat als solcher die Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der europäischen Union anerkannt. Angesichts der aktuellen Situation von Flüchtlingen in Italien bestehen aber Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorschriften derzeit nicht umfassend berücksichtigt werden. Es ist deshalb eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG geboten.
23 
Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-492/10 -, juris, Rn. 80, 86). Danach gilt zunächst die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Ist dagegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i.S. von Art. 4 der Grundrechtscharta implizieren, so wäre die Rücküberstellung von Asylbewerbern mit dieser Bestimmung unvereinbar.
24 
Vorliegend bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Italien die von ihm eingegangenen Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht erfüllt (vgl. OVG NRW, B.v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A -, juris; VG Darmstadt, B.v. 25.4.2012 - 4 L 488/12.DA.A -, juris; VG Regensburg, U.v. 27.3.2012 - RN 9 K 11.30441 -, juris; VG Karlsruhe, U.v. 6.3.2012 - A 3 K 3069/11 -, juris; VG Freiburg, B.v 2.2.2012 - A 4 K 2203/11 -, juris; VG Magdeburg, U.v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -, juris; VG Düsseldorf, , B.v. 29.7.2011 - 21 L 1127/11.A - zit. nach juris; Bay VG Regensburg, B.v. 14.6.2011 - RN 7 E 11.30189 - zit. nach juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 1.6.2011 - 5a L 576/11.A -, zit. nach juris; VG Osnabrück, B.v. 23.5.2011 - 5 B 38/11 -, zit. nach juris; VG Darmstadt, B.v. 4.5.2011 - 2 L 382/11.DA.A - zit. nach juris; VG Wiesbaden, B.v. 12.4.2011 - 7 L 303/11.WI.A - zit. nach juris).
25 
Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingung in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin- Rückkehrende, vom Mai 2011; Antwort der Bundesregierung vom 18.4.2011 auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 17/5579; Bethke und Bender, Zur Situation von Flüchtlingen in Italien, vom 28.2.2011; Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, Nov. 2009, Rückschaffung in den „sicheren Drittstaat“ Italien; Bender, Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist, Asylmagazin 2012, S. 11 ff.) ergibt sich, dass die Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge in Italien völlig überlastet sind. Die große Mehrheit der Asylsuchenden muss ohne Obdach und ohne gesicherten Zugang zu Nahrung, Wasser und Elektrizität leben. Auch die Gesundheitsversorgung ist nicht ausreichend sichergestellt, da diese teilweise nur mit einer festen Wohnadresse beansprucht werden kann. Nach dem Stellen eines Asylgesuchs sollen Asylsuchende in Italien bis zu einem Asylentscheid an sich in einem CARA (Empfangszentrum für Asylsuchende) aufgenommen werden. Viele Asylsuchende finden keinen Aufnahmeplatz, insbesondere in Süditalien und in den großen Städten sind die Strukturen völlig überlastet. Nach der ersten Registrierungsphase ist vorgesehen, dass Asylsuchende in ein anderes Zentrum verlegt werden, das mehr auf Integration ausgerichtet ist. Diese Zentren sind Teil des SPRAR-Systems (Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge). Hier soll den Flüchtlingen der Zugang zur Arbeit und zur Landessprache erleichtert werden. Landesweit bestehen aber nur 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von jeweils maximal 6 Monaten ermöglicht. In Italien wurden im Jahr 2009 17.603 und im Jahr 2008 31.000 Asylsuchende verzeichnet. Die große Mehrheit der Asylsuchenden ist damit ungeschützt, ohne Obdach, Integrationshilfe und gesicherten Zugang zu Nahrung, Wasser und Elektrizität. Die Betroffenen übernachten in Parks, leerstehenden Häusern und überleben nur Dank der Hilfe karitativer Organisationen. In der kalten und feuchten Jahreszeit wird ihre Lage noch schwieriger. In Rom warten über 2.300 Personen auf einen SPRAR Platz, von denen es in Rom nur 200 gibt. Viele melden sich wegen der langen Warteliste gar nicht erst an (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingung in Italien, a.a.O.). „Dublin-Rückkehrer“ werden zwar in Bezug auf Aufnahmeplätze bevorzugt behandelt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingung in Italien, a.a.O.). Wenn jedoch kein Platz vorhanden ist, werden auch sie lediglich auf eine Warteliste gesetzt, was dazu führt, dass die meisten nach Italien zurückgeführten Asylsuchenden obdachlos sind. Nach dem Bericht von Bethke und Bender (Zur Situation von Flüchtlingen in Italien, vom 28.2.2011) gibt es keine bevorzugte Behandlung von „Dublin-Rückkehrern“. Danach seien nach offiziellem Bericht des SPRAR lediglich 12 % der „Dublin-Rückkehrer“ in den Jahren 2008 und 2009 in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden; 88% seien der Obdachlosigkeit überlassen worden. Im Jahr seien von insgesamt 1.308 Rückkehrern 148 in ein SPRAR-Projekt aufgenommen worden. Im Jahr 2009 hätten 315 Personen von 2.658 zurückgeführten Flüchtlingen einen Platz in einer Unterkunft erhalten. Auch für das Jahr 2010 gilt nichts anderes: Von 2739 aus anderen Dublin-Staaten zurückgeschobenen Personen haben 343, als ca 12%, einen SPRAR-Platz erhalten (vgl. Bender, Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist, Asylmagazin 2012, S. 11, 16/17, m.w.N.). Nach Schätzungen von Flüchtlingsorganisationen hat etwa die Hälfte der alleinstehenden männlichen Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen keine Unterkunft (vgl. Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, Nov. 2009, Rückschaffung in den „sicheren Drittstaat“ Italien).
26 
Soweit sich aus der Antwort der Bundesregierung zur Kleinen Anfrage (BT-Drs. 17/5579) ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben, ist dies jedoch schon dadurch relativiert, dass zugleich angegeben wird, das belastbare und detaillierte eigene Erkenntnisse über die Unterbringung von Asylbewerbern in Italien nicht vorliegen.
27 
Angesichts der durch die kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströmen von Afrika nach Italien wird sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern. Nach einer Stellungnahme des UNHCR vom 16.8.2011 (Thousands still arriving on Italy’s shores from Libya and Tunisia - UN Agency, www.unhcr.org) seien seit den Unruhen in Nordafrika 52.000 Personen von Libyen und Tunesien nach Italien gekommen.
28 
Nach dieser Sachlage wären die Antragsteller gezwungen, ein Leben unterhalb des Existenzminimums zu führen. Auch aus ihrem eigenen Vortrag ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht erwünscht und die Versorgung mangelhaft war. Die Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 1 berichteten bei ihren Anhörungen vor dem Bundesamt davon, sie seien in Italien nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Zudem habe man sie in eine Unterkunft eingewiesen, wo sie weder Bett noch Decken erhalten hätten. Sie seien zusammen mit einer weiteren Familie in einem kleinem Zimmer untergebracht gewesen. Es habe auch nur einmal am Tag eine Mahlzeit gegeben.
29 
Darüber hinaus wären die Antragsteller nach dem oben Ausgeführten im Falle einer Abschiebung nach Italien mit hoher Wahrscheinlichkeit auch von Obdachlosigkeit bedroht. Bei einer Rückführung der Antragsteller nach Italien würde daher die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens gegen einen noch zu erlassenden entsprechenden Bescheid des Bundesamts schon an ihrer mangelnden Erreichbarkeit in Italien scheitern (vgl. BVerfG, B.v. 8.9.2009 - 2 BvQ 56.09 -, juris; OVG NRW, B.v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A -, juris).
30 
Die Antragsteller dürften darüber hinaus einen Anspruch darauf haben, dass die Antragsgegnerin von ihrem sog. Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 343/2003 vom 18.2.2003 (Dublin-II-VO) Gebrauch macht. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO gibt den Antragstellern grundsätzlich nur ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. VG Frankfurt/M., B.v. 11.6.2012 - 1 L 1994/12.F.A. - juris; VG Würzburg, B.v. 24.5.2012 - W 3 E 12.30017 -, juris; VG Regensburg, U.v. 27.3.2012 - RN 9 K 11.30441 -, juris; VG Karlsruhe, U.v. 6.3.2012 - A 3 K 3069/11 -, juris; VG Magdeburg, U.v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -, juris). Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29.5.2012 gebeten, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-OII-VO Gebrauch zu machen. Über diesen Antrag hat die Antragsgegnerin nach Kenntnis des Gerichts noch nicht entschieden. Nach den oben gemachten Ausführungen zur Lage in Italien ist das Gericht der Überzeugung, dass im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, a.a.O.) ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe dafür vorliegen, dass die Antragsteller aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingung für Asylbewerber in Italien im Falle einer Überstellung in dieses Land Gefahr laufen würden, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK, Art. 4 Europäische Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden und sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig darstellt. Diese schwerwiegenden Beeinträchtigung dürften zu der rechtlichen Schlussfolgerung führen, dass dem Anspruch der Antragsteller auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Antragsgegnerin nur dadurch genügt werden kann, im Hinblick auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen mit der Folge, dass die Asylverfahren der Antragsteller fortzusetzen sind (vgl. VG Regensburg, U.v. 27.3.2012 - RN 9 K 11.30441 -, juris, m.w.N.).
31 
Der einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegnerin aufgegeben wird, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, steht nicht entgegen, dass mit der einstweiligen Anordnung der Vorläufigkeit dieses Verfahrens entsprechend keine Vorwegnahme der Hauptsache erfolgen soll (vgl. Kopp/Schenke, 17. Aufl., 2011, § 123 Rn. 14). Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nämlich dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h., wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für die Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen sind (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O.). Dies trifft hier zu.
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.
33 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.