Verwaltungsgericht Mainz Beschluss, 04. Feb. 2015 - 1 L 1490/14.MZ
Gericht
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 20. Juni 2014 gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. Mai 2014 wird wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 7.500,00 € festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtschutz durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die für sofort vollziehbar erklärte Schließungsverfügung der Antragsgegnerin ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das private Interesse des Antragstellers, einstweilen vom Vollzug der angefochtenen Schließungsverfügung verschont zu bleiben, überwiegt das öffentliche Interesse am Vollzug dieser Verfügung.
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Dabei ist allerdings zu sehen, dass sich die angefochtene Verfügung sowohl innerhalb der Regelungen des Landesglücksspielgesetzes – LGlüG – als auch des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland – Glücksspielstaatsvertrag, GlüStV – hält. Ebenso ist die Schließungsverfügung zutreffend auf § 15 Abs. 2 Gewerbeordnung – GewO – gestützt worden. Von Seiten der Antragsgegnerin sind alle Voraussetzungen zum Erlass der Schließungsverfügung beachtet worden. Allerdings hat die Kammer erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit, d.h. Verfassungsmäßigkeit, von § 29 GlüStV. Dies konnte die Antragsgegnerin als lediglich ausführende Verwaltungsbehörde nicht berücksichtigen, worauf sie auch zutreffend im gerichtlichen Verfahren hingewiesen hat.
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Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist in materieller Hinsicht das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) abzuwägen. Bei dieser Abwägung der widerstreitenden Interessen kommt es regelmäßig nicht auf die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs an. Die sofortige Vollziehung kann vielmehr als Ausnahme von der gesetzlichen Folge der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich nur angeordnet werden, wenn ein besonderes Vollzugsinteresse, welches das Individualinteresse des Betroffenen überwiegt, gegeben ist. Die Erfolgsaussichten im Verfahren zur Hauptsache sind allerdings dann von Bedeutung, wenn sich bereits aufgrund der summarischen Prüfung im Aussetzungsverfahren erkennen lässt, dass die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtswidrig oder der dagegen eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich aussichtslos ist. Kann bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht festgestellt werden, ob der Rechtsbehelf des Betroffenen sich als offensichtlich erfolgversprechend oder offensichtlich aussichtslos erweist, bedarf es einer Abwägung der widerstreitenden Interessen (Finkelnburg/Dombert /Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungs-streitverfahren, 6. Aufl., Rn. 958 f.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 3. Mai 1977, AS 14, S. 429, 436). Ergibt die durch das Gericht eigenständig vorzunehmende Interessenabwägung, dass es im Einzelfall zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes oder zur Wahrung sonstiger verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen der aufschiebenden Wirkung nicht bedarf, so ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, ein vorhandenes öffentliches Interesse an dem Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum Eintritt seiner Bestandskraft zurücktreten zu lassen (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rn. 970 ff.).
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Bei der von der Kammer zu treffenden Entscheidung legt diese den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Mai 2014 – 6 B 10343/14.OVG – und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. August 2014 – 6 A 10098/14.OVG – zugrunde. In diesen Entscheidungen wurde insbesondere auch das Urteil des Staatsgerichtshofs für das Land Baden-Württemberg – 1 VB 15/13 – vom 17. Juni 2014 berücksichtigt.
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Danach steht zum einen fest, dass die Antragsgegnerin für den Erlass der Schließungsverfügung zuständig war und diese auch auf eine zutreffende Ermächtigungsgrundlage gestützt hat. Des Weiteren steht fest, dass die Gesetzgebungskompetenz des Landes zur Änderung der Voraussetzungen einer Spielhallenerlaubnis gemäß § 33 i GewO gegeben war. Außerdem steht fest, dass die Übergangsregelung in § 29 Abs. 4 Satz 2 des GlüStV dem Wortlaut nach vorliegend eingreift, da die dem Antragsteller erteilte Erlaubnis vom 15. Dezember 2011 datiert und damit nach dem dort genannten Stichtag, dem 28. Oktober 2011, erteilt wurde. Danach wäre die Erlaubnis am 1. Juli 2013 erloschen gewesen, da der Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis für die Folgezeit durch Bescheid vom 25. September 2014 abgelehnt wurde.
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Vorliegend ist allerdings zweifelhaft, ob die genannte Übergangsregelung in § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Dies hat der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg a.a.O. ausdrücklich verneint. Er ging in seiner Entscheidung von einer eigentumsrechtlich geschützten Vertrauensposition aus, in die verfassungswidrig mit einer unverhältnismäßig kurzen Übergangszeit eingegriffen wurde. Der Verfassungsgerichtshof hat dies detailliert damit begründet, dass die Betroffenen an dem im Gesetz festgelegten Stichtag keinerlei Kenntnis vom Inhalt einer möglichen Neuregelung der glücksspielrechtlichen Erlaubnisse hatten, die Inhalt des Staatsvertrages werden sollte.
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Voraussetzung für das Entstehen des Vertrauenstatbestandes ist vorliegend daher, dass eine Vertrauensposition vorlag. Dabei stellt der Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg für die Prüfung eines entstandenen Vertrauensschutzes nicht auf den Zeitpunkt der Erlaubniserteilung ab, sondern auf den Antrag zur Erteilung der Erlaubnis. Andernfalls würde dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verfahrensfairness nicht Rechnung getragen, da die Erlaubniserteilung allein in der Hand der zuständigen Behörden liegt, die bei möglicher Kenntnis etwaiger zukünftiger Stichtagsregelungen beliebig durch den Zeitpunkt der Erlaubniserteilung darüber entscheiden könnten, ob diese Stichtagsregelungen eingreifen oder nicht. Auf dem Zeitpunkt der Erlaubniserteilung abgestellt werden die zu diesem Zeitpunkt und etwaige bis zur Erlaubniserteilung getätigten Investitionen geschützt. Das Vertrauen des Bürgers in die Weitergeltung der bisherigen Regelungen wird allerdings in dem Zeitpunkt zerstört, in dem der Bürger entweder tatsächliche Kenntnis oder eine solche sich ohne weiteres verschaffen kann über das Gesetzgebungsverfahren und den Inhalt der Neuregelung hat bzw. haben kann.
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Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 26. August 2014 auf Seite 11 ausgeführt, dass jedenfalls der Gesetzesentwurf der Landesregierung über das Landesglücksspielgesetz dem Landtag Rheinland-Pfalz mit der Drucksache 16/1179 vom 24. April 2012 vorgelegt wurde. Damit sei spätestens an diesem Tag der Vertrauensschutz entfallen.
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Vorliegend hatte der Antragsteller jedoch bereits ca. fünf Monate vor diesem Zeitpunkt die glücksspielrechtliche Erlaubnis erteilt bekommen. Die Kammer vermag jedenfalls im vorliegenden, allein einer summarischen Prüfung unterliegenden Entscheidung im Eilverfahren nicht festzustellen, dass der Antragsteller vor dem vom OVG Rheinland-Pfalz genannten Tag bereits Kenntnis vom Inhalt der geplanten Änderungen im Glücksspielrecht erlangt hat oder hätte erlangen können. Der Antragsteller hat nachvollziehbar und jedenfalls derzeit überzeugend dargelegt, dass er früher keine Kenntnis von dem Inhalt der vorgesehenen Änderungen hätte erlangen können. Dies insbesondere nicht zu dem in dem Glücksspielstaatsvertrag festgelegten Stichtag, dem 28. Oktober 2011.
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Die Kammer schließt sich nicht den Ausführungen des hessischen VGH im Beschluss vom 5. September 2014 – 8 B 1036/14 –, mittlerweile veröffentlicht in LKRZ 1/2015, S. 23 f. an. Die dortigen Ausführungen zum Vertrauensschutz vermögen die Kammer nicht zu überzeugen.
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Aufgrund der angenommenen Weitergeltung der früheren Erlaubnis kommt es nicht auf die in der gesetzlichen Neuregelung enthaltenen verschärften Voraussetzungen für die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis an, wie sie die Antragsgegner in ihrem Ablehnungsbescheid vom 25.09.2014 geprüft hat.
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Im Hinblick auf die im Eilverfahren vorzunehmende Interessenabwägung geht die Kammer von einem überwiegenden, berechtigten privaten Interesse des Antragstellers an der Verhinderung des Vollzugs der angefochtenen Schließungsverfügung aus. Der Antragsteller hat in seinem letzten, an das Gericht gerichteten Schriftsatz zurecht nochmals darauf hingewiesen, dass bei anderer Abwägung ein Obsiegen in der Hauptsache für den Antragsteller überhaupt keinen Sinn mehr machen würde, da in diesem Falle das untergesagte Gewerbe schon längst aufgrund der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren „vernichtet“ wäre und nicht wiederaufgenommen werden könnte (vgl. Schriftsatz vom 21. Januar 2015, Bl. 85 GA).
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Der Staatsgerichtsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg hat auf den Seiten 142, 143, aufgezeigt, welche Möglichkeiten zum Ausgleich der nach seiner Ansicht verfassungswidrigen Übergangsregelung von nur einem Jahr bestehen. Er hat ausgeführt, dass entweder im Ermessenswege von den Behörden von dem Erlass von Schließungsverfügungen abgesehen wird oder bei schon erlassenen Verfügungen, dass zugesichert wird, keine Vollstreckung bis zu einem bestimmten Stichtag vorzunehmen und aus diesem Grunde auch von einer Anordnung des Sofortvollzuges abzusehen.
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Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im Urteil vom 26. August 2014 entschiedene Fall vom Sachverhalt her nicht mit dem vorliegenden vergleichbar ist, da im dem vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz entschiedenen Fall alle möglichen, vertrauensbildenden Handlungen erst nach dem vom Oberverwaltungsgericht genannten möglichen Stichtag, dem 24. April 2012, lagen. Die vorliegend von der Kammer jetzt entschiedene Fallkonstellation hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in dieser Entscheidung gerade offen gelassen.
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Aus den vorgenannten Gründen ist daher mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenen Kostenfolge dem einstweiligen Rechtsschutzantrag des Antragstellers zu entsprechen.
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(1) Die Behörde bescheinigt innerhalb dreier Tage den Empfang der Anzeige.
(2) Wird ein Gewerbe, zu dessen Ausübung eine Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Bewilligung (Zulassung) erforderlich ist, ohne diese Zulassung betrieben, so kann die Fortsetzung des Betriebes von der zuständigen Behörde verhindert werden. Das gleiche gilt, wenn ein Gewerbe von einer ausländischen juristischen Person begonnen wird, deren Rechtsfähigkeit im Inland nicht anerkannt wird.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.