Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 25. Okt. 2012 - 9 A 69/11
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten kommunalverfassungsrechtlich um die Rechtmäßigkeit des Aufschlusses des Klägers als Gemeinderatsmitglied aus einer Gemeinderatssitzung.
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Der Kläger ist Mitglied des Gemeinderates der Gemeinde A-Stadt. Der Beklagte ist Bürgermeister der Gemeinde und zugleich Vorsitzender des Gemeinderates.
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Ausweislich des Protokolls der 7. Gemeinderatssitzung vom 23.09.2010 stand unter Tagesordnungspunkt 5 der „Beschluss über den Antrag und alternative Beschlussvorlage für die Gemeinde A-Stadt durch das Ratsmitglied Herr Dr. A.“ und unter Tagesordnungspunkt 6 der „Beschluss über die Einziehung … Straße, Teil 2 und der … Straße, Teil 3 in der Gemeinde A-Stadt gemäß § 8 des Straßengesetzes für das Land Sachsen-Anhalt“ zur Abstimmung.
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Der Kläger ist Eigentümer des an den Weg und die … Straße angrenzenden Grundstücks (Flurstück 305 der Flur …) und wendet sich mit seinem Alternativantrag gegen die vorgeschlagene Einziehung des Weges. In der Sitzung am 23.09.2010 schloss der Beklagte den Kläger unter Berufung auf § 31 Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt (GO LSA) von der Mitwirkung zu TOP 5 aus.
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Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen den seiner Meinung nach fehlerhaften rechtswidrigen Ausschluss aus der Gemeinderatssitzung. Denn er hätte nicht mit Berufung auf das Mitwirkungsverbot nach § 31 Abs. 1 GO LSA aus der Sitzung ausgeschlossen werden dürfen. Die Entscheidung über die alternative Beschlussvorlage hätte dem Kläger keinen besonderen Vorteil oder Nachteil im Sinne der Norm bringen können. Allein der Umstand, dass der Kläger den Beschlussvorschlag eingebracht habe, begründe nicht seine Betroffenheit. Der Kläger gehöre nicht zu den Eigentümern der Grundstücke, die ohne den einzuziehenden Weg nicht erschlossen werden könnten. Denn das klägerische Grundstück grenze direkt an die … Straße. Demnach sei der Kläger nur wie jeder Einwohner der Gemeinde betroffen, weil er hin und wieder den Weg nutze.
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Der Kläger beantragt,
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festzustellen, dass er in der Gemeinderatssitzung vom 23.09.2010 unter fehlerhafter Anwendung des Mitwirkungsverbotes gemäß § 31 GO LSA von der Beratung und Beschlussfassung über den TOP 5 (Beschluss über den Antrag und alternative Beschlussvorlage für die Gemeinde A-Stadt durch das Ratsmitglied Herrn Dr. A.) ausgeschlossen worden ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen
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und verteidigt den Ausschluss des Klägers aus der Gemeinderatssitzung.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
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1.) Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 43 VwGO zulässig. Grundsätzlich kann ein betroffenes Gemeinderatsmitglied gegen Ordnungsmaßnahmen, worunter auch Ausschlüsse aus der Gemeinderatssitzung zählen, die Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO im Rahmen einer kommunalen Verfassungsstreitigkeit erheben. Das berechtigte (Feststellungs-)Interesse schließt in diesem Sinne jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art ein (vgl. nur: Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, 2009, § 43 Rz. 23). Darunter auch das Interesse eines Gemeinderatsmitglieds die diskriminierende Wirkung einer Ordnungsmaßnahme oder den fehlerhaften, weil rechtswidrigen Ausschlusses aus der Gemeinderatssitzung abzuwenden, um letztendlich eine Klärung im Hinblick auf zukünftige Fallgestaltungen herbeizuführen. Denn nur so können die kommunalverfassungsrechtlich verbürgten Mitwirkungsrechte des Gemeinderatsmitgliedes abgesichert werden (vgl. zum Ganzen nur: VG Göttingen, Urt. v. 17.03.2011, 1 A 310/10 mit Verweis auf Blum, in KVR-NGO, Stand: November 2010, § 44, Rz. 56 ff und 79 ff; juris).
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Der Kläger kann geltend machen, dass die ohne seine Mitwirkung gefassten Beschlüsse an einem wesentlichen Verfahrensmangel leiden und deshalb ebenfalls rechtswidrig sind (vgl. dazu: VG Lüneburg, Urt. v. 17.04.2012, 5 A 25/11; juris). Bei verständiger Würdigung der sich aus dem Protokoll ergebenden Angelegenheit ist davon auszugehen, dass gegen den Kläger ein in der Form einer „Feststellung“ gekleidetes Mitwirkungsverbot vom Ratsvorsitzenden ausgesprochen worden ist. Der Kläger ist daraufhin offensichtlich der Aufforderung des Ratsvorsitzenden gefolgt. Unzweifelhaft ist dies auch gegen den Willen des Klägers und nicht freiwillig geschehen. Denn dies ist im Protokoll sogar festgehalten. Damit hat der Kläger deutlich zu erkennen gegeben, dass entgegen der Auffassung des Beklagten von einem freiwilligen, das Rechtsschutzinteresse in Frage stellenden Verzicht des Klägers an der Beratung teilzunehmen, keine Rede sein kann. Deshalb ist es für die Zulässigkeit der Klage auch unerheblich, dass kein entsprechender förmlicher Beschluss etwa nach § 31 Abs. 4 Satz 2 GO LSA getroffen worden ist. Nach allgemeiner Lebensanschauung ist davon auszugehen, dass der Kläger vielmehr auf die eindeutige und unmissverständliche „Feststellung“ bzw. „Aufforderung“ des Ratsvorsitzenden den Saal verlassen hat. Deshalb hat auch der Ratsvorsitzende, offenbar unter Billigung aller Mitglieder des Rates von der an sich erforderlichen Herbeiführung eines entsprechenden Beschlusses Abstand genommen. (vgl. zu einem ähnlichen Vorgehen: VG Lüneburg, Urt. v. 17.04.2012, 5 A 25/11; juris).
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Dem Kläger steht als Ratsmitglied auch kein anderes vorrangig zu wählendes besonderes Verwaltungsverfahren zur Seite um die begehrte Feststellung zu erreichen. Diesbezüglich ist die Gesetzeslage nach der Gemeindeordnung in Sachsen-Anhalt (GO LSA) eine andere als etwa in Niedersachsen, wo nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Niedersächsischer Gemeindeordnung eine Überprüfungsmöglichkeit in der nächsten Ratssitzung zur Verfügung steht (vgl. dazu: VG Göttingen, Urt. vom 17.03.2011, 1 A 310/10; juris).
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Weniger entscheidend ist, ob der Ausschluss des Klägers aus der Gemeinderatssitzung durch die nachfolgenden Ereignisse und insbesondere durch den Tagesordnungspunkt 6 seine tatsächliche Erledigung gefunden hat (vgl. zu derartigen Fällen nur: VG Göttingen, Urt. v. 22.06.1995, 1 A 1245/93; juris). Denn auch in diesem Falle wäre die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem weiterhin zuzusprechenden besonderen Fortsetzungsfeststellungsinteresse zulässig.
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2.) Die zulässige Feststellungsklage ist indes unbegründet. Denn der Ausschluss des Klägers aus der Gemeinderatssitzung vom 23.09.2010 zu Tagesordnungspunkt 5 ist rechtmäßig erfolgt.
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Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 GO LSA besteht ein Mitwirkungsverbot eines Gemeinderatsmitgliedes, hinsichtlich der Beratung oder Entscheidung von Angelegenheiten, deren Entscheidung u. a. ihm selbst einen besonderen Vorteil oder Nachteil bringen kann. Die Regelung über das Mitwirkungsverbot ist Ausdruck des allgemeinen Gedankens, das Amtsträger unbefangen und uneigennützig handeln sollen und sich an der Mitwirkung in einer Angelegenheit, an der sie ein persönliches Interesse haben, zu enthalten haben (vgl. nur: VG Lüneburg, Urt. v. 17.04.2012, 5 A 25/11 mit Verweis auf Behrens in: KVR-NGO, § 26 Rz. 19 ff m. w. N.). Die Mitwirkung eines Ratsmitgliedes an einem Beratungsgegenstand ist immer dann ausgeschlossen, wenn zwischen der zu treffenden Entscheidung und dem sich für das Ratsmitglied ergebenden Vor- oder Nachteil eine direkte Kausalbeziehung besteht (vgl. nur: OVG NRW, Urt. v. 12.03.2003, 7a D 20/02.NE; juris). Danach soll bereits die Gefahr eine Beeinflussung der Entscheidung durch eventuelle Sonderinteressen – der „böse Schein“ – mit dieser Vorschrift verhindert werden, so dass schon die Möglichkeit der individuellen Betroffenheit zum Ausschluss eines Ratsmitgliedes führen kann. (VG Münster, Urt. v. 29.01.2010, 1 K 1807/08; juris). Dabei ist ein Mitwirkungsverbot in Zweifelsfällen anzunehmen, etwa bereits dann, wenn die Umbenennung einer nach einem Vorfahren benannten Straße durchgeführt werden soll (vgl. nur: VG Lüneburg, Urt. v. 17.04.2012, 5 A 25/11; juris).
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Bei dem Tagesordnungspunkt 5 „Beschluss über den Antrag und alternative Beschlussvorlage für die Gemeinde A-Stadt durch das Ratsmitglied Herrn Dr. A.“ handelt es sich um eine derartige Angelegenheit im Sinne des § 31 GO LSA, die für den Kläger als Ratsmitglied einen besonderen Vorteil oder Nachteil bringen kann und er nicht nur lediglich als Angehöriger einer Bevölkerungsgruppe daran beteiligt ist bzw. deren Interesse durch die Allgemeinheit berührt wird (§ 31 Abs. 1 Satz 2 GO LSA). Denn für das Gericht entscheidend ist, dass der Alternativantrag inhaltlich unzweifelhaft die von der Gemeinde unter Tagesordnungspunkt 6 aufgeführte Beschlussfassung über die Einziehung der … Straße in A-Stadt betrifft. Es geht nicht darum, ob der Kläger den Antrag eingebracht hat. Ausweislich der Aktenlage ist der Kläger, wie auch das ausgeschlossene Ratsmitglied F., Anlieger des betroffenen Weges. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers ist er Eigentümer des Eckgrundstücks, das direkt an die … Straße aber auch an den Weg angrenzt. Damit ist der Kläger nicht nur als gelegentlicher Nutzer des Weges wie jeder Einwohner der Gemeinde betroffen. An dem gefundenen Ergebnis ändert nichts daran, dass der Kläger, wie Herr F., sodann zum Tagesordnungspunkt 6, wo es um die eigentliche Einziehung der Straße bzw. des Weges geht, wieder zugelassen wurde. Mag diese Mitwirkung an der eigentlichen Beschlussfassung innerhalb des Tagesordnungspunktes 6 zum Ausschluss nach Tagesordnungspunkt 5 auch widersprüchlich erscheinen, weil gerade der Tagesordnungspunkt 6 ein Mitwirkungsverbot begründen würde, vermag dieser Umstand das gleichwohl bestehende Mitwirkungsverbot für die Beschlussfassung über den Tagesordnungspunkt 5 nicht einzuschränken. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, wie der Kläger meint, dass er ausgeschlossen worden sei, weil er diesen Antrag eingebracht habe. Denn das Mitwirkungsverbot ergibt sich vielmehr aus seiner Eigenschaft als Anlieger.
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3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 709 Satz 1 ZPO. Der Streitwert war wie in der vorläufigen Festsetzung nach § 52 Abs. 1 i. V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgrund der kommunalverfassungsrechtlichen Streitigkeiten auf 10.000,00 Euro festzusetzen.
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Referenzen - Gesetze
(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).
(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.