Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 28. Jan. 2016 - 7 B 158/16

ECLI:ECLI:DE:VGMAGDE:2016:0128.7B158.16.0A
bei uns veröffentlicht am28.01.2016

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin begehrt die Möglichkeit, eine Prüfungsleistung in der alternativen Prüfungsform einer schriftlichen Ausarbeitung erstellen zu dürfen.

2

Die Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin seit September 2012 im Studiengang „Verwaltungsökonomie“ immatrikuliert.

3

Mit Bescheid vom 19. Juni 2014 wurde von der Antragsgegnerin hinsichtlich der Antragstellerin das Nichtbestehen der Prüfung im Fach „Volkswirtschaftslehre“ festgestellt. Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein, welchen sie mit einer unerkannten Prüfungsunfähigkeit infolge einer psychischen Grunderkrankung begründete.

4

Unter dem 5. April 2015 schlossen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin einen Vergleich, mit welchem die Antragstellerin die Gelegenheit erhalten hat, die Prüfung Volkswirtschaftslehre (Unit Nummer 10253) noch einmal wiederholend abzulegen. Ihr wurde eine Vorbereitungszeit von sechs Monaten eingeräumt. Nach der Wiederholungsprüfung soll - unabhängig vom Ergebnis der Prüfung - das Verfahren durch Rücknahme des Widerspruchs beendet werden.

5

Mit Schreiben vom 23. September 2015 beantragte die Antragstellerin die Prüfung nicht in Gestalt einer mündlichen Prüfung, sondern durch die „schriftliche Ausarbeitung zu einer bestimmten vorgegebenen Thematik“, oder falls dies nicht möglich sei, die Gestattung der Durchführung der mündlichen Prüfung im Fach „Volkswirtschaftslehre“ am Standort der Antragsgegnerin in C-Stadt und unter Auswahl anderer Prüfer als den Professoren Sch. oder K.. Zur Begründung führte die Antragstellerin aus, dass aufgrund eines erheblichen Vertrauensbruches, der im Rahmen der bisherigen Prüfungssituationen und aufgrund des Verhaltens der Prüfer entstanden sei, sie einem Gegenübertreten der Professoren Sch. und Prof. Dr. K. nicht gewachsen sei.

6

Nach einem Attest der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Sch. vom 3. Dezember 2015 befindet sich die Antragstellerin fortgesetzt in einer nervenärztlichen Behandlung. Wegen des näher rückenden Termins für die mündlichen Prüfungen im Fach Volkswirtschaftslehre sei die Antragstellerin einem enormen Druck ausgesetzt, immer wieder sei beobachtbar, dass sie ihre Fähigkeiten passager (nur vorübergehend auftretend) nicht adäquat anwenden könne und kognitiv blockiert erscheine; in prüfungsähnlichen Situationen panisch und affektlabil reagiere. Im Hinblick auf die zugrundeliegende Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung sei die Antragstellerin deutlich stressintolerant und aus Sicht der attestierenden Ärztin nicht in der Lage, den Prüfern K. und Sch. in einer mündlichen Prüfungssituation nach den Erfahrungen der Prüfung im Fach Volkswirtschaftslehre 2014 erneut gegenüber zu treten. Eine akute Dekompensation wäre zu befürchten. Insofern werde gebeten, bei der Antragstellerin alternative Prüfungsmöglichkeiten zur mündlichen Prüfung bei den o. g. Prüfern zu erwägen.

7

Nachfolgend wurde der Antragstellerin seitens der Antragsgegnerin unter dem 18. Januar 2016 die Möglichkeit eröffnet, entweder am 27. Januar 2016 um 8.00 Uhr oder am 29. Januar 2016 um 8.00 Uhr an einer schriftlichen Klausur im Fach Volkswirtschaftslehre am Standort C-Stadt teilzunehmen. Bei dem ersten Termin sei der Klausurersteller Prof. Dr. L. anwesend, welcher für eventuelle Rückfragen zur Verfügung stehe.

8

Mit an die Antragsgegnerin gerichteter E-Mail vom 18. Januar 2016 wies die Antragstellerin unter Hinweis auf die Informationen zum Modul Volkswirtschaftslehre darauf hin, dass eine Prüfungsleistung auch in Gestalt einer Hausarbeit, eines Referates, einer Projektarbeit oder einer Klausur von 90 Minuten absolviert werden könne. Die Antragstellerin sei davon ausgegangen, dass eine schriftliche Ausarbeitung in Form einer Hausarbeit oder einer Projektarbeit möglich wäre. In einer schriftlichen Klausur entstehe neuerlich die zu vermeidende Drucksituation.

9

Ebenfalls mit E-Mail vom 18. Januar 2016 wurde der Antragstellerin vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses des Fachbereichs Verwaltungswissenschaften bei der Antragsgegnerin mitgeteilt, dass eine Abweichung von der Klausurpflicht nicht genehmigt werde. Die Fähigkeit, auch notfalls auch unter hohem Zeitdruck bzw. psychischem Druck eine Klausur schreiben zu können, gehöre zu den unerlässlichen Eignungsvoraussetzungen bzw. Fähigkeiten, mit dem zur Laufbahnbefähigung führende Klausurprüfungen gerade festgestellt werden sollen. Sollte insoweit gar ein psychisches Dauerleiden im Sinne der Prüfungsrechtsprechung vorliegen, dann entspreche dies im Übrigen in der Regel auch der Dienstunfähigkeit im Sinne des Beamtenrechts.

10

Am 26. Januar 2016 hat die Antragstellerin um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, einen Anspruch auf Ableistung der Prüfung in schriftlicher Form durch schriftliche Ausarbeitung zu einer vorgegebenen Thematik zu haben. Sie leide, wie durch ein entsprechendes ärztliches Attest glaubhaft gemacht worden sei, an einer nervlichen Erkrankung, die bis zum heutigen Tage nicht austherapiert sei, aber durchaus austherapiert werden könne. Es bedürfe hierzu nur noch weitergehender Therapiezeit. Aufgrund dieser Erkrankung sei die Antragstellerin, wie glaubhaft gemacht, nicht in der Lage, eine Prüfungsleistung unter einer Drucksituation zu erbringen. Aus diesem Grunde sei die schriftliche Prüfung in der Form der Ausarbeitung zu einem vorgegebenen Thema beantragt worden. Dies sei grundsätzlich nach der Prüfungsordnung der Antragsgegnerin auch möglich. Danach werde die Art der Abschlussarbeit zur Beendigung eines Moduls - hier des Moduls der Volkswirtschaftslehre - durch den Betreuer des Moduls vorgegeben. Laut der Beschreibung auf der Homepage der Antragsgegnerin komme eine Ableistung der Prüfung durch Hausarbeit, Referat, Projektarbeit oder schriftliche Klausur (90 Minuten) in Betracht. Weiterhin sehe die Prüfungsordnung der Antragsgegnerin in § 8 verschiedene Prüfungsarten vor. Zwischen diesen hätte eine Entscheidung erfolgen müssen, zumal gemäß § 8 Abs. 3 dieser Vorschrift die Ableistung in einer anderen Prüfungsform, die gleichwertig sei, zu genehmigen sei, soweit Besonderheiten wie hier vorlägen. Die Angelegenheit sei eilbedürftig, da die Antragstellerin für Freitag, den 29. Januar 2016, 8.00 Uhr zur Prüfung geladen worden sei und gemäß der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarung im jetzigen Prüfungsdurchgang ihre Prüfungsleistung zu erbringen habe.

11

Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),

12

die Antragsgegnerin zu verpflichten, es der Antragstellerin zu gestatten, die Abschlussprüfung im Modul Volkswirtschaftslehre statt in der Form der mündlichen Prüfung durch eine schriftliche Ausarbeitung in Form schriftlicher Prüfung erbringen zu dürfen.

13

Die Antragsgegnerin beantragt,

14

den Antrag abzulehnen.

15

Die Antragstellerin habe weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie habe keinen Anspruch darauf, ihre Abschlussprüfung im Fach Volkswirtschaftslehre durch eine schriftliche Ausarbeitung zu einem bestimmten Thema ableisten zu dürfen. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch, die Prüfungsart selbst zu bestimmen.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte.

II.

17

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist unbegründet.

18

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderem Grund nötig erscheint. Wenn die einstweilige Anordnung die Hauptsache teilweise vorweg nimmt, sind an deren Erlass erhöhte Anforderungen zu stellen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Anordnungsverfahren ist nämlich grundsätzlich unzulässig. Einem solchen Antrag ist nur ausnahmsweise stattzugeben, nämlich dann, wenn das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller unzumutbar wäre, insbesondere, wenn das Begehren in der Hauptsache schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden, bloß summarischen Prüfung des Sachverhalts erkennbar, mithin mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Würde ein Antragsteller mit einer einstweiligen Anordnung, wie hier, bereits das in einem Hauptsacheverfahren verfolgte Ziel (im Wesentlichen) erreichen, ist an die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.11.2013 - 6 VR 3.13 -, juris; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rdnr. 191 m. w. N.).

19

Gemessen an diesen Maßstäben kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht. Die Antragstellerin hat bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ihr steht nach nur gebotener summarischer Prüfung kein Anspruch auf (vorläufige) Ablegung von Prüfungsleistungen in Form der alternativen Prüfungsform „schriftliche Ausarbeitung“ anstelle der vorgesehenen Prüfungsform Klausur zu.

20

Die Antragstellerin hat zunächst nicht glaubhaft gemacht, dass bereits die Studienordnung für den Bachelor-Studiengang „Verwaltungsökonomie“ hinsichtlich des Moduls „Volkswirtschaftslehre“ grundsätzlich eine andere Prüfungsleistung als eine schriftliche Klausur zuließe. Das von der Antragstellerin in der Antragsbegründung in Bezug genommene Modulhandbuch bezieht sich auf das Modul „BWL-VWL 19“, welches dem Curriculum des Bachelor-Studiengangs „Betriebswirtschaftslehre“ zugeordnet ist. Sowohl nach dem der Studienordnung beigefügten Studienplan für den von der Antragstellerin gewählten Bachelor-Studiengang „Verwaltungsökonomie“ vom 30. September 2010, welcher ab dem Wintersemester 2010/2011 gilt, als auch dem Studienplan vom 11. Oktober 2013, welcher ab dem Wintersemester 2013/2014 gilt, ist die Unit „Volkswirtschaftslehre“ jedoch im Modul „Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften“ (Modul-Code GGM02, Modul-Nr. 10002) mit dem Unit-Code GGM0202 und der Unit-Nr. 10253 aufgeführt. Dies korrespondiert auch mit der Bezeichnung der Lehrveranstaltung in dem am 5. April 2015 zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleich. Auch dort wird auf die Lehrveranstaltung „Volkswirtschaftslehre“ mit der Ordnungsnummer 10253 Bezug genommen. Beide vorgenannten Studienpläne sehen hinsichtlich des Moduls „Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften“ als grundsätzlich zulässige Prüfungsform nur die Klausur vor (mit 90 bzw. 120 Minuten Bearbeitungszeit). Gemäß § 13 Abs. 2 der Prüfungsordnung für die Bachelorstudiengänge bei der Antragsgegnerin (im Folgenden: PO) kann lediglich bei der Wiederholung von Prüfungsleistungen auf Antrag des Studierenden bei Klausurarbeiten einmalig eine zweite schriftliche Wiederholungsprüfung durch eine mündliche Prüfung ersetzt werden. Die Substitution der nach der Studienordnung eigentlich vorgesehenen Klausurleistung durch eine mündliche Prüfung wird von der Antragstellerin allerdings im vorliegenden Fall ausdrücklich abgelehnt. Die Antragstellerin hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihr seitens der Antragsgegnerin die Möglichkeit eingeräumt worden ist, abweichend der für sie geltenden Studienordnung nach den Maßgaben des Moduls eines anderen Studiengangs ihre Prüfung ablegen zu dürfen.

21

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin liegen auch die Voraussetzungen der als Anspruchsgrundlage daher (allein) in Betracht kommenden Vorschrift des § 8 PO nicht vor. Gemäß § 8 Abs. 1 PO sind folgende Arten von Prüfungs- und Studienleistungen und deren Kombinationnach Maßgabe der Studienordnung möglich:

22

1. Mündliche Prüfung (MP)
2. Klausurarbeit (K)
3. Hausarbeit (HA)
4. Referat (RF)
5. Projektarbeit (PA)
6. Bachelorarbeit (BA)
7. Kolloquium (KO)
8. Testat (T)
9. Entwurfsübung (EA)
10. Bericht (BE)

23

Gemäß § 8 Abs. 3 PO gilt ferner in den Fällen, wenn der Studierende glaubhaft macht, dass er wegen länger andauernder oder ständiger Behinderung nicht in der Lage ist, Prüfungsleistungen ganz oder teilweise in der vorgeschriebenen Form abzulegen, ihm gestattet ist, die Prüfungsleistungen innerhalb einer verlängerten Bearbeitungszeit odergleichwertige Prüfungsleistungen in einer anderen Form zu erbringen. Dazu kann die Vorlage eines ärztlichen Attests verlangt werden. Diese Vorschrift in der Prüfungsordnung enthält mithin Bestimmungen des prüfungsrechtlichen Nachteilsausgleichs.

24

Das Gebot der prüfungsrechtlichen Chancengleichheit soll sicherstellen, dass alle Prüflinge möglichst gleiche Chancen haben, die Leistungsanforderungen zu erfüllen. Zu diesem Zweck sollen die Bedingungen, unter denen die Prüfung abgelegt wird, für alle Prüflinge möglichst gleich sein. Es müssen grundsätzlich einheitliche Regeln für Form und Verlauf der Prüfungen gelten; die tatsächlichen Verhältnisse während der Prüfung müssen gleichartig sein. Allerdings sind einheitliche Prüfungsbedingungen geeignet, die Chancengleichheit derjenigen Prüflinge zu verletzen, deren Fähigkeit, ihr vorhandenes Leistungsvermögen darzustellen, erheblich beeinträchtigt ist. Daher steht diesen Prüflingen ein Anspruch auf Änderung der einheitlichen Prüfungsbedingungen im jeweiligen Einzelfall unmittelbar aufgrund des Gebots der Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG zu. Den Schwierigkeiten des Prüflings, seine vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten unter Geltung der einheitlichen Bedingungen darzustellen, muss durch geeignete Ausgleichsmaßnahmen Rechnung getragen werden. Dieser Nachteilsausgleich ist erforderlich, um chancengleiche äußere Bedingungen für die Erfüllung der Leistungsanforderungen herzustellen. Aus diesem Grund muss die Ausgleichsmaßnahme im Einzelfall nach Art und Umfang so bemessen sein, dass der Nachteil nicht „überkompensiert“ wird. Die typische Ausgleichsmaßnahme in schriftlichen Prüfungen ist die Verlängerung der Bearbeitungszeit; in Betracht kommt auch die Benutzung technischer Hilfsmittel (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.2015 - 6 C 35.14 -, juris m. w. N.).

25

In diesem Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, dass schriftliche Prüfungen dem Nachweis von Kenntnissen und Fähigkeiten der Prüflinge dienen. Ihr Ergebnis ist insbesondere von deren geistiger Leistungsfähigkeit und ihrer Fähigkeit zur Interaktion bestimmt. Der Prüfling steht dabei im Wettbewerb mit anderen Prüflingen. Das Prüfungsverfahren muss deshalb gewährleisten, dass die geistige Leistungsfähigkeit der Prüflinge unter gleichen Bedingungen zum Ausdruck kommen kann. Liegt bei einem Prüfling eine dauerhafte krankheitsbedingte Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit vor, so ist dieser Umstand Bestandteil seines durch die Prüfung zu belegenden Leistungsbildes. Wenn sich eine persönlichkeitsbedingte generelle Einschränkung der psychischen Leistungsfähigkeit im Prüfungsergebnis negativ niederschlägt, so wird dadurch dessen Aussagewert nicht verfälscht, sondern in besonderer Weise bekräftigt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.12.1985 - 7 B 210.85 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 09.03.2015 - 9 S 412/15 -, juris; VG Bremen, Beschl. v. 20.07.2015 - 1 K 257/14 -, juris: kein Anspruch auf Nachteilsausgleich in Form eines Hausarbeitsexamens bei Vorliegen einer Phobie gegen Klausuranfertigung unter Aufsicht). Ist ein Prüfling etwa aus psychischen Gründen nicht in der Lage, dem Zeitdruck in einer schriftlichen Prüfung standzuhalten, so ist es mit der Chancengleichheit aller Prüflinge nicht zu vereinbaren, ihm dafür einen Ausgleich etwa in Form einer Prüfungszeitverlängerung zu gewähren. Dadurch würde das Leistungsbild des Prüflings zu seinen Gunsten und zu Lasten der im Wettbewerb stehenden Mitprüflinge verfälscht. Ist hingegen das Unvermögen, innerhalb der festgesetzten Prüfungszeit oder unter regulären Prüfungsbedingungen die gestellte Aufgabe zu bewältigen, nicht in der geistigen Leistungs(un)fähigkeit des Prüflings begründet, sondern hat dies körperliche Ursachen, so hat der Prüfling grundsätzlich Anspruch auf Ausgleich dieses Nachteils (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 09.03.2015, a. a. O.). Insoweit sind regelmäßig Behinderungen der Darstellungsfähigkeit gegeben, die dem Prüfling lediglich den Nachweis der möglicherweise durchaus vorhandenen Befähigung erschweren und deren Auswirkungen auch im späteren Berufsleben ausgeglichen werden können. Typische Fälle hierfür sind etwa Sehbehinderungen, Knochenbrüche oder Lähmungen bzw. Fehlbildungen von Gliedmaßen. In diesen Fälle gebieten es das Grundrecht der Berufsfreiheit des Prüflings und der Grundsatz der Chancengleichheit, den Nachteil der Darstellungsfähigkeit insoweit auszugleichen, dass die Prüfungsbedingungen des Prüflings denen nicht behinderter Mitprüflinge entsprechen, er mithin in der Lage ist, seine geistige Leistungsfähigkeit so wie diese darzulegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 09.03.2015, a. a. O.).

26

Dabei ist es für die Frage des Nachteilsausgleichs nicht von entscheidender Bedeutung, ob es sich um ein Dauerleiden handelt, also um eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustands, die die Einschränkung der Leistungsfähigkeit trotz ärztlicher Hilfe bzw. des Einsatzes medizinisch-technischer Hilfsmittel nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft bedingt. Der Nachteilsausgleich ist vom Rücktritt von der Prüfung wegen Prüfungsunfähigkeit zu trennen. Im Zusammenhang mit dem Rücktritt von der Prüfung kann grundsätzlich nur die zeitweise Beeinträchtigung des physischen und psychischen Zustands eines Prüflings und nicht etwa ein Dauerleiden zur Anerkennung einer Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne führen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.07.1995 - 6 B 34.95 -, juris m. w. N.). Demgegenüber sind auch wesentliche dauerhafte Behinderungen des Prüflings, die auf gesundheitlichen Störungen oder körperlichen Gebrechen beruhen, in der Prüfung nach Möglichkeit auszugleichen (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Aufl. Rdnr. 249).

27

Der prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit gebietet und rechtfertigt die Rücksichtnahme auf persönliche Belastungen des Prüflings hingegen nicht, wenn der Prüfling (auch) erweisen soll, dass er mit solchen Schwierigkeiten fertig wird und mithin die Grundvoraussetzungen der durch die Prüfung zu ermittelnden Eignung für einen bestimmten Beruf besitzt (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, a. a. O., Rdnr. 258). Dementsprechend gehören die von der Antragstellerin geschilderten Prüfungsängste, die zumeist in den spezifischen Belastungen der Prüfungen wurzeln und denen jeder Kandidat je nach Konstitution mehr oder weniger ausgesetzt ist, im Allgemeinen zum Risikobereich des Prüflings (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 05.06.2003 - 14 A 624/01 -, juris).

28

Nach diesen rechtlichen Vorgaben hat die Antragstellerin schon deshalb keinen Anspruch auf Ablegung von Prüfungsleistungen in der alternativen Prüfungsform „schriftliche Ausarbeitung“ statt Klausur im Wege des Nachteilsausgleichs, weil bei ihr keine andauernde oder ständige (körperliche) Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 3 PO, sondern vielmehr ein nicht ausgleichbares dauerndes Leiden besteht, das dauerhaft ihr Leistungsbild und ihre Persönlichkeit prägt. Das im ärztlichen Attest vom 3. Dezember 2015 beschriebene psychische Leiden erschwert nicht nur die rein mechanische Lese- und Schreibtätigkeit bzw. akustische Wahrnehmungs- und Äußerungsfähigkeit als technischen Vorgang, sondern beeinträchtigt die gedankliche Erarbeitung etwa einer schriftlichen Klausurlösung selbst. Liegen bei der Antragstellerin mithin dauerhafte krankheitsbedingte Einschränkungen der gedanklichen (geistigen) Leistungsfähigkeit in Form eines dauerhaften Leidens vor, die als persönlichkeitsbedingte Eigenschaft die Leistungsfähigkeit der Antragstellerin an sich prägen und die sich auf die durch die Prüfung festzustellende Leistungsfähigkeit beziehen, dann ist diese Einschränkung Mitbestandteil seines durch die Prüfung zu belegenden Leistungsbilds. Wenn sich eine solche generelle Einschränkung der Leistungsfähigkeit im Prüfungsergebnis negativ niederschlägt, führt dies nicht zur Verfälschung des Aussagewerts des Prüfungsergebnisses (vgl. VG Arnsberg, Beschl. v. 19.09.2014 - 9 L 899/14 -, juris m. w. N.).

29

Eine Verfälschung des Prüfungsergebnisses läge hingegen vor, wenn die Antragstellerin die Möglichkeit erhielte, als alternative Prüfungsform zur Klausur - abweichend von den Vorgaben der Studienordnung - etwa eine Hausarbeit wählen zu können. Der Nachteilsausgleich darf am Maßstab der Chancengleichheit nicht eingesetzt werden, um durch Prüfungsvergünstigungen Leistungsschwächen auszugleichen, die für Art und Umfang der Eignung und Befähigung, die mit dem Leistungsnachweis gerade festgestellt werden sollen, von Bedeutung sind. Prüfungsanforderungen, die eine bestimmte Leistung gerade auch im Rahmen eines vorgegebenen Zeitbudgets mit dem Ziel der Überprüfung des Bestehens bzw. des Umfangs von Eignung und Befähigung abfordern, dürfen nicht an die Leistungsfähigkeit des Prüfkandidaten angepasst werden; denn dann würde eine Prüfung ihren Zweck von vornherein verfehlen (vgl. VG München, Beschl. v. 21.03.2014 - M 21 E 14.1168 -, juris zu einem Auswahlverfahren für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des nichttechnischen Verwaltungsdienstes). So läge der Fall hier aber, wenn die Antragstellerin statt einer Klausur etwa eine Hausarbeit anfertigen dürfte, da die Zielrichtungen der Prüfungen, Klausur und Hausarbeit, unterschiedlich sind. In einer Klausur wird präsentes Wissen abgefragt und nach Ablauf eines vorgegebenen zeitlichen Rahmens (vgl. 10 Abs. 1 PO) die Abgabe einer Lösung erwartet. Eine Hausarbeit hingegen ist gemäß § 10 Abs. 2 PO die selbstständige (umfassende) Bearbeitung einer fachspezifischen oder fächerübergreifenden Aufgabenstellung, wobei hierzu insbesondere die Informations- und Materialrecherche, wie auch die Strukturierung der Inhalte, das Anfertigen einer Gliederung und die Ausarbeitung eines schriftlichen Manuskripts gemäß der bei wissenschaftlichen Arbeiten üblichen Form zählen. Mit der Möglichkeit, eine Prüfungsleistung in der alternativen Prüfungsform einer Hausarbeit statt einer Klausur erbringen zu können, gelänge es der Antragstellerin, gerade den in einer Klausur gestellten Prüfungsanforderungen auszuweichen, die aktuelles/präsentes Wissen im Rahmen eines eingeschränkten Zeitbudgets abfragen. Damit würde aber eine Hausarbeit ihren Zweck als Ersatzprüfung für eine Klausur von vornherein verfehlen; die Hausarbeit wäre daher zu einer Klausurleistung nicht „gleichwertig“ i. S. d. § 8 Abs. 3 PO.

30

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

31

Die Streitwertfestsetzung basiert auf den §§ 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Ziffer 36.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Im Hinblick darauf, dass eine faktische Vorwegnahme der Hauptsache begehrt wird, ist eine Reduzierung des Streitwertes der Hauptsache nicht angezeigt.


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 123


(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Ant

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 12


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 09. März 2015 - 9 S 412/15

bei uns veröffentlicht am 09.03.2015

Tenor Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 2. März 2015 - 12 K 857/15 - geändert. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, dem Antragsteller beim schriftlichen T

Verwaltungsgericht Arnsberg Beschluss, 19. Sept. 2014 - 9 L 899/14

bei uns veröffentlicht am 19.09.2014

Tenor Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt 1 G r ü n d e : 2I. 3Der                                       geborene Antragsteller ist seit dem Wintersemester 2

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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 2. März 2015 - 12 K 857/15 - geändert. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, dem Antragsteller beim schriftlichen Teil des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung am 10.03.2015 und am 11.03.2015 einen Nachteilsausgleich in der Form zu gewähren, dass es dem Antragsteller ermöglicht wird, die schriftliche Prüfung in einem separaten Raum bei leiser Hintergrundmusik abzulegen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Antragsteller zu 1/4 und der Antragsgegner zu 3/4.

Der Streitwert des Verfahrens wird unter Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte sowie fristgerecht eingelegte (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründete (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO) Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache wie aus dem Tenor ersichtlich Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, dem Antragsteller bei dem schriftlichen Teil des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung am 10.03.2015 und am 11.03.2015 einen Nachteilsausgleich in der Form von drei Pausen von jeweils 15 Minuten Dauer nach dem Ablauf von je 60 Prüfungszeitminuten zu gewähren. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist die Gewährung von Nachteilsausgleich im Grundsatz nicht zu beanstanden; mit Erfolg rügt er indes die vom Verwaltungsgericht konkret festgesetzte Art und Weise.
Für sein Begehren auf Nachteilsausgleich wegen akuter Beeinträchtigungen aufgrund eines Tinnitus hat der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Mit Blick auf die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG steht dem § 44a VwGO ebenso wenig entgegen wie das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. auch Senatsbeschluss vom 26.08.1993 - 9 S 2023/93 -, NVwZ 1994, 598).
Nach § 10 Abs. 7 Satz 3 ÄApprO in der Fassung vom 27.06.2002 (BGBl. I S. 2405) mit nachfolgenden Änderungen sind die besonderen Belange behinderter Prüflinge zur Wahrung ihrer Chancengleichheit bei der Durchführung der Prüfungen zu berücksichtigen. Der durch Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgte Grundsatz der Chancengleichheit gebietet, Behinderungen eines Prüflings, die außerhalb der in der Prüfung zu ermittelnden wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit liegen, in der Prüfung nach Möglichkeit - ggf. auch durch die Einräumung besonderer Prüfungsbedingungen - auszugleichen (BVerwG, Urteil vom 30.08.1977 - VII C 50.76 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 85 m.w.N.; Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 249).
Schriftliche Prüfungen dienen dem Nachweis von Kenntnissen und Fähigkeiten der Prüflinge. Ihr Ergebnis wird bestimmt von deren geistiger Leistungsfähigkeit. Der Prüfling steht dabei im Wettbewerb mit anderen Prüflingen. Das Prüfungsverfahren muss deshalb gewährleisten, dass die geistige Leistungsfähigkeit der Prüflinge unter gleichen Bedingungen zum Ausdruck kommen kann. Liegt bei einem Prüfling eine dauerhafte krankheitsbedingte Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit vor, so ist dieser Umstand Bestandteil seines durch die Prüfung zu belegenden Leistungsbildes. Wenn sich eine persönlichkeitsbedingte generelle Einschränkung der psychischen Leistungsfähigkeit im Prüfungsergebnis negativ niederschlägt, so wird dadurch dessen Aussagewert nicht verfälscht, sondern in besonderer Weise bekräftigt (BVerwG, Beschluss vom 13.12.1985 - 7 B 210.85 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 223; Senatsbeschluss vom 02.04.2009 - 9 S 502/09 -, juris; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 258). Ist ein Prüfling etwa aus psychischen Gründen nicht in der Lage, dem Zeitdruck in einer schriftlichen Prüfung standzuhalten, so ist es mit der Chancengleichheit aller Prüflinge nicht zu vereinbaren, ihm dafür einen Ausgleich in Form einer Prüfungszeitverlängerung zu gewähren. Dadurch würde das Leistungsbild des Prüflings zu seinen Gunsten und zu Lasten der im Wettbewerb stehenden Mitprüflinge verfälscht. Ist hingegen das Unvermögen, innerhalb der festgesetzten Prüfungszeit oder unter regulären Prüfungsbedingungen die gestellte Aufgabe zu bewältigen, nicht in der geistigen Leistungs(un)fähigkeit des Prüflings begründet, sondern hat dies körperliche Ursachen, so hat der Prüfling grundsätzlich Anspruch auf Ausgleich dieses Nachteils (Bayr. VGH, Beschluss vom 03.12.1997 - 7 B 95.2853 -, BeckRS 1997, 19384). Insoweit sind regelmäßig Behinderungen der Darstellungsfähigkeit gegeben, die dem Prüfling lediglich den Nachweis der möglicherweise durchaus vorhandenen Befähigung erschweren und deren Auswirkungen auch im späteren Berufsleben ausgeglichen werden können (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 30.08.1977 und Senatsbeschluss vom 26.08.1993, jeweils a.a.O.). Typische Fälle hierfür sind etwa Sehbehinderungen, Knochenbrüche oder Lähmungen bzw. Fehlbildungen von Gliedmaßen. In diesen Fälle gebieten es das Grundrecht der Berufsfreiheit des Prüflings und der Grundsatz der Chancengleichheit, den Nachteil der Darstellungsfähigkeit insoweit auszugeichen, dass die Prüfungsbedingungen des Prüflings denen nicht behinderter Mitprüflinge entsprechen, er mithin in der Lage ist, seine geistige Leistungsfähigkeit so wie diese darzulegen (Bayr. VGH, Beschluss vom 03.12.1997, a.a.O.).
Dabei ist es für die Frage des Nachteilsausgleichs nicht von entscheidender Bedeutung, ob es sich um ein Dauerleiden handelt, also um eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustands, die die Einschränkung der Leistungsfähigkeit trotz ärztlicher Hilfe bzw. des Einsatzes medizinisch-technischer Hilfsmittel nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft bedingt. Der Nachteilsausgleich ist vom Rücktritt von der Prüfung wegen Prüfungsunfähigkeit zu trennen. Im Zusammenhang mit dem Rücktritt von der Prüfung kann grundsätzlich nur die zeitweise Beeinträchtigung des physischen und psychischen Zustands eines Prüflings und nicht etwa ein Dauerleiden zur Anerkennung einer Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne führen (BVerwG, Beschluss vom 03.07.1995 - 6 B 34.95 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 352). Demgegenüber sind auch wesentliche dauerhafte Behinderungen des Prüflings, die auf gesundheitlichen Störungen oder körperlichen Gebrechen beruhen, in der Prüfung nach Möglichkeit auszugleichen (Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O. Rn. 249). Dies erhellt auch der Umstand, dass es allgemein anerkannt ist, dass etwa Schreibzeitverlängerungen angemessenen Umfangs auch bei dauerhaften schweren körperlichen Behinderungen zu gewähren sind (vgl. dazu Hessischer VGH, Beschluss vom 03.01.2006 - 8 TG 3292/05 -, juris m.w.N.).
Entscheidend ist dabei, ob das (Dauer-)leiden als generelle Einschränkung der Leistungsfähigkeit das normale und reguläre Leistungsbild des Prüflings bestimmt. Der prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit gebietet und rechtfertigt die Rücksichtnahme auf persönliche Belastungen des Prüflings nicht, wenn der Prüfling (auch) erweisen soll, dass er mit solchen Schwierigkeiten fertig wird und mithin die Grundvoraussetzungen der durch die Prüfung zu ermittelnden Eignung für einen bestimmten Beruf besitzt (Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O. Rn. 258). Dementsprechend gehören Prüfungsstress und Examensängste, die zumeist in den spezifischen Belastungen der Prüfungen wurzeln und denen jeder Kandidat je nach Konstitution mehr oder weniger ausgesetzt ist, im Allgemeinen zum Risikobereich des Prüflings (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.06.2003 - 14 A 624/01 -, juris). Handelt es sich dagegen um - auch temporäre - Behinderungen, die nicht die aktuell geprüften Befähigungen betreffen, sondern nur den Nachweis der vorhandenen Befähigung erschweren und die durch Hilfsmittel ausgeglichen werden können, ist dies in der Prüfung in Form eines Nachteilsausgleichs angemessen zu berücksichtigen. Dabei sind die maßgeblichen Feststellungen nicht nach allgemeinen Krankheitsbildern, sondern stets individuell zu treffen und auf dieser Grundlage zu bewerten (Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O. Rn. 259).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist hier nicht in jeder Hinsicht zweifelsfrei, ob bei dem Antragsteller derzeit eine körperliche Beeinträchtigung vorliegt, die einen Nachteilsausgleich rechtfertigt. In der von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 19.01.2015 werden ein psychosomatischer Symptomenkomplex, Innenohrschwerhörigkeit beidseitig und ein Tinnitus diagnostiziert. Der Antragsteller sei in neurologischer Behandlung (Antidepressiva), darunter sei der Tinnitus zurzeit ausreichend kompensiert. Ungeachtet dessen hat das Gesundheitsamt der Stadt D. in der Stellungnahme vom 25.02.2015 eine erhebliche Beeinträchtigung des Antragstellers durch Ohrgeräusche festgestellt und ausgeführt, dass die Ohrgeräusche in der Stille der Prüfungssituation störten und insbesondere die Konzentration und Leistungsfähigkeit beeinträchtigten. Diese amtsärztlichen Feststellungen sind mit der Beschwerde nicht erschüttert worden, die auch nicht ergibt, dass die Ohrgeräusche als dem normalen Leistungsbild des Antragstellers zugehörig unberücksichtigt zu lassen wären. Von Konzentrationsstörungen, die auf mit der Prüfungssituation typischerweise verbundenen Anspannungen und Belastungen beruhen und die grundsätzlich hinzunehmen sind (vgl. dazu Niehurs/Fischer/Jeremias, a.a.O. Rn. 256 m.w.N.), kann nicht die Rede sein. Der Senat geht im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf der Grundlage der amtsärztlichen Feststellungen vielmehr davon aus, dass bei dem Antragsteller, der seit geraumer Zeit an einer Innenohrschwerhörigkeit leidet, seit Sommer 2014 ein Tinnitus besteht und noch keine hinreichende Gewöhnung eingetreten ist. Mit Blick darauf liegt bei ihm derzeit eine körperliche Beeinträchtigung vor, die ihm den Nachweis seiner Befähigung erschwert. Ob bzw. inwieweit die Ohrgeräusche daneben möglicherweise auch auf in der Psyche des Antragstellers liegenden Ursachen beruhen, kann hier offen bleiben. Dem Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass es sich hierbei um ein Dauerleiden handele. Ungeachtet des Umstands, dass es, wie dargelegt, nicht zulässig ist, einen Nachteilsausgleich allein wegen der Dauerhaftigkeit des Leidens zu versagen, bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller durch den Tinnitus auf Dauer in Prüfungssituationen beeinträchtigt sein könnte. Das Verwaltungsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise darauf hingewiesen, dass der Antragsteller durch eine ein- bis zweijährige Therapie lernen kann, den Tinnitus zu ignorieren. Danach bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die akut bei dem Antragsteller vorliegenden Beeinträchtigungen ein auf unabsehbare Zeit andauerndes und nicht oder nur ungenügend therapiefähiges Leiden darstellten. Nach alledem hat der Antragsteller einen Anspruch auf Ausgleich des derzeit bestehenden Nachteils.
Mit Erfolg wendet sich der Antragsgegner indes gegen die vom Verwaltungsgericht zuerkannte Art des Nachteilsausgleichs. Dieser darf nicht zu einer Überkompensation führen, die ihrerseits wieder einen Verstoß gegen die Chancengleichheit bedingen würde. Eine Überkompensation aber läge vor, wenn dem Antragsteller zum Ausgleich der bestehenden Beeinträchtigung drei Pausen von jeweils 15 Minuten Dauer gewährt würden. Eine derartige Verlängerung der Bearbeitungszeit würde ihm einen Vorteil gegenüber den Mitprüflingen verschaffen. Sie ist auch nicht erforderlich, da eine ausreichende Kompensation nach der amtsärztlichen Stellungnahme vom 25.02.2015 auch dadurch erfolgen kann, dass dem Antragsteller ermöglicht wird, die Prüfung in einem separaten Raum mit leiser Hintergrundmusik zu absolvieren. Diese Kompensationsmöglichkeit ist vor dem Hintergrund der prüfungsrechtlichen Situation und des Beschwerdebilds des Antragstellers angemessen, ohne dass zu befürchten steht, dass dadurch eine Verfälschung des durch die Prüfung zu belegenden Leistungsbildes eintreten würde. Die Amtsärztin führt aus, dass in der Atmosphäre eines separaten Raums mit Hintergrundmusik eine stetige Ablenkung vom Ohrgeräusch gegeben und eine Schreibzeitverlängerung nicht erforderlich wäre. Der Antragsteller hat erstinstanzlich eingeräumt, dass die Frage, welche konkrete Lautstärke und ob eine bestimmte Art von Hintergrundmusik erforderlich sei, durch eine vorherige Probe der Prüfungssituation vor Ort geklärt werden könne. Der Senat teilt diese Auffassung zumal mit Blick darauf, dass der Antragsgegner dem Antragsteller die Möglichkeit eröffnet, die Hintergrundmusik selbst zu bestimmen.
10 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
11 
Die Streitwertfestsetzung und -änderung beruht auf § 63 Abs. 3, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Hauptsache weitgehend vorweggenommen wird, ist der Ansatz des vollen Auffangstreitwerts angemessen (vgl. Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013, VBlBW 2014, Sonderbeilage zu Heft 1).
12 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt


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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.