Verwaltungsgericht Köln Urteil, 10. Dez. 2013 - 7 K 6238/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet.
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T a t b e s t a n d
2Die Klägerin wurde am 00.00.0000 als Kind der Eheleute B. F. (*1937) und W. F. , geb. G. (*1943) in Sterlitamak (Baschkirische SSR) in der ehemaligen UdSSR geboren. Sie ist mit Herrn B1. B2. (*1967) verheiratet. Die Eheleute haben zwei Kinder, die 1995 geborene L. und den 2000 geborenen B1. . Die Familie lebt heute in Stawropol/Russische Föderation.
3Mit Datum vom 25.06.2010 beantragte die Klägerin beim Bundesverwaltungsamt (BVA) die Erteilung eines Aufnahmebescheides nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG). Im Antragsformular gab sie an, deutsche Volkszugehörige zu sein. In ihrem ersten Inlandspass sei die deutsche Nationalität eingetragen gewesen. Ihr heutiger Inlandspass enthalte keinen Nationalitätseintrag. Im Elternhaus habe sie Deutsch und Russisch gesprochen. Die deutsche Sprache sei ihr vom Vater und den Großeltern väterlicherseits vermittelt worden. Außerdem habe sie Deutschunterricht in der Schule gehabt und verkehre geschäftlich auf Deutsch. Sie verstehe auf Deutsch fast alles. Ihre Sprachfertigkeiten reichten für ein einfaches Gespräch auf Deutsch aus.
4Die Klägerin unterzog sich in der deutschen Botschaft Moskau am 16.12.2011 einem Sprachtest. Hierbei gab sie ausweislich des Protokolls an, im Elternhaus „einige Wörter“ Deutsch erlernt zu haben. Nach der Bewertung des Sprachtesters kam ein einigermaßen flüssiger Gedankenaustausch auf Deutsch mit der Klägerin nicht zustande. Das Protokoll vermerkt, dass die Klägerin sichtlich nervös gewesen sei; gleichwohl habe eine freundliche Atmosphäre geherrscht. Die Klägerin gab an, ihr Großvater sei verstorben, als sie fünf Jahre alt gewesen sei. Fortan habe ihr Vater mit ihr nur noch Russisch gesprochen. Sie sei sehr aufgeregt und habe ihre Deutschkenntnisse vergessen.
5Mit Bescheid vom 01.02.2012 lehnte das BVA den Aufnahmeantrag ab. Die Klägerin sei nicht deutsche Volkszugehörige, da die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache nicht habe festgestellt werden können.
6Die Klägerin erhob Widerspruch und verwies darauf, dass sie wegen des frühen Todes ihres Vaters (1992) und ihrer Großmutter (1972) keine Möglichkeit gehabt habe, eine längere Zeit im Elternhaus Deutsch zu sprechen. In ihrer Erinnerung hätten sich nur einige Wörter erhalten. Sie fahre oft nach Deutschland und versuche dort Deutsch zu sprechen. Auch hätten ihre Kinder schulischen Deutschunterricht. Innerlich fühle sie sich Deutschland verbunden.
7Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2012 wies das BVA den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zur Begründung wiederholte und vertiefte die Behörde ihre Ausführungen zur familiären Sprachvermittlung.
8Die Klägerin hat am 01.11.2012 Klage erhoben. Die deutsche Sprache sei ihr im Elternhaus vermittelt worden; dies trotz eines weitgehend russischsprachigen Umfeldes. Auch seien im Elternhaus deutsche Sitten und Gebräuche gepflegt worden.
9Die Klägerin beantragt,
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des BVA vom 01.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2012 zu verpflichten, ihr einen Aufnahmebescheid nach dem BVFG zu erteilen.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BVA Bezug genommen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
16Die Klage ist nicht begründet.
17Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.08.2007 (BGBl. I, S. 1902), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 06.09.2013 (BGBl. I, S. 3554) - BVFG -. Der Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 01.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
18Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten ein Aufnahmebescheid erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthaltes im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Spätaussiedler kann nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG nur ein deutscher Volkszugehöriger sein. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG ist deutscher Volkszugehöriger, wer nach dem 31.12.1923 geboren worden ist, sofern er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann nach der hier maßgeblichen aktuellen Fassung des § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. Nach Satz 3 der Norm muss das Bekenntnis zum deutschen Volkstum regelmäßig durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung bzw. der Ausreise zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, bestätigt werden.
19Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen der Spätaussiedlereigenschaft schon deshalb nicht, weil sie nach dem Ergebnis des Sprachtests in der Deutschen Botschaft Moskau am 16.12.2011 nicht ansatzweise über Sprachfertigkeiten verfügt, die den genannten Anforderungen entsprechen. Nach den auch im vorliegenden Verfahren nicht in Abrede gestellten Feststellungen des Sprachtesters war die Klägerin nicht in der Lage, auch nur ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Sie wusste nur die ohnehin zu erwartenden Fragen nach der Herkunft, dem Beruf und der Ausreisemotivation in äußerst knappen und grammatikalisch dürren Sätzen zu beantworten. Diese wie auch die übrigen Fragen mussten in der Regel wiederholt werden. Jenseits dessen wurden auch einfachste Aufforderungen und Fragen („Erzählen Sie über ihren Besuch in Deutschland“, „Wie ist das Wetter heute?“) nicht oder falsch verstanden. Die Deutschkenntnisse der Klägerin beschränkten sich damit im Zeitpunkt des Sprachtests auf minimale Bruchstücke und reichen noch nicht einmal an ein Basiswissen heran. Die Annahme ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen liegt damit ebenso fern wie die familiär vermittelter Deutschkenntnisse. Denn das Niveau B 1 setzt eine selbständige Sprachverwendung voraus. Die Person muss in der Lage sein, die Hauptpunkte in klarer Standardsprache zu bekannten Sachverhalten zu verstehen und sich zusammenhängend hierüber zu äußern. Hiervon kann bei der Klägerin keine Rede sein. Ob der Klägerin alternativ der Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse gelungen ist oder ein solcher Nachweis wenigstens geführt werden kann, mag offen bleiben, obgleich die eindeutigen eigenen Angaben der Klägerin beim Sprachtest dagegen sprechen. Denn auch in diesem Fall muss das Bekenntnis zum deutschen Volkstum bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen (Satz 4 der Norm). Hierzu war die Klägerin jedoch nicht in der Lage.
20Unbeachtlich ist, dass die Klägerin bei ihrer Anhörung am 16.12.2011 möglicherweise sehr aufgeregt und deshalb nicht in der Lage war, vorhandene Deutschkenntnisse „abzurufen“. Nach dem unbestrittenen Protokollvermerk fand das Gespräch trotz der Nervosität der Klägerin in freundlicher Atmosphäre statt. Zudem ist in aller Regel zu erwarten, dass es dem Aufnahmebewerber jederzeit möglich ist, die einmal familiär erworbene Fähigkeit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, auch im Sprachtest unter Beweis zu stellen.
21Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31.01.2008 - 12 A 3497/06 -, Rn. 12 m.w.N., juris; ferner: OVG NRW, Beschluss vom 21.04.2011 - 12 A 667/10 -, Rn. 9, juris.
22Auch kann die Beurteilung der Sprachkompetenz auf die Protokollierung des Sprachtestes gestützt werden. Anhaltspunkte dafür, dass sie nach Art und Umfang nicht hinreichend aussagekräftig oder nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, liegen nicht vor.
23Vgl. zu diesen Kriterien: OVG NRW, Beschluss vom 31.01.2008 - 12 A 3497/06 -, Rn. 9 m.w.N., juris.
24Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
25Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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