Verwaltungsgericht Köln Urteil, 23. Aug. 2016 - 7 K 4536/13
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Die am 00.00.1965 geborene Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz (ContStiftG).
3Ihre Mutter beantragte im Dezember 1983 bei der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“, der Klägerin Leistungen aufgrund einer Thalidomidschädigung zu gewähren. Sie gab an, ein Kopfschmerzmittel der Firma H. mit dem Anfangsbuchstaben „A“ und einem weiteren Buchstaben „g“ eingenommen zu haben. Das Präparat habe ihr der Chefarzt der I. Frauenklinik Dr. Q. als Ärztemuster gegeben. Bei ihm sei sie im Mai 1964 zur Untersuchung gewesen. Prof. Dr. M. hielt einen Thalidomidschaden für möglich. Die Fehlbildungen an den Armen seien typisch für einen Thalidomidschaden, man könne sie allerdings nicht sicher von einem vererblichen Holt-Oram-Syndrom unterscheiden. Zudem erscheine die Angabe, dass ein Arzt noch im Mai 1964 eine Probepackung des thalidomidhaltigen Schmerzmittels „Algosediv“ ausgegeben habe, fragwürdig. Die Medizinische Kommission und Prof. Dr. M. forderten vergeblich bei der Klägerin ärztliche Aufzeichnungen aus der Zeit bis 1983 mit Angaben zu einer Thalidomideinnahme, einen Geburtsbericht sowie eine Stellungnahme von Dr. Q. zu der behaupteten Abgabe eines thalidomidhaltigen Mittels an. Die Klägerin teilte mit, Dr. Q. sei bereits seit mehreren Jahren verstorben. Prof. Dr. M. führte in einem Zusatzgutachten aus, Handaufnahmen der Eltern und Geschwister der Klägerin zeigten keine Hinweise auf ein Holt-Oram-Syndrom. Das schließe freilich ein solches Syndrom bei der Klägerin als Neumutation nicht mit Sicherheit aus. Mit Bescheid vom 18.12.1985 wurden der Klägerin Leistungen auf der Grundlage einer Gesamtpunktzahl von 41 Punkten bewilligt. Dabei ging die Stiftung davon aus, dass Schäden an den oberen Extremitäten und eine leichte Entwicklungsstörung der Wirbelsäule mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung zu bringen seien. 1992 wurde die Punktzahl mit Rücksicht auf eine Kieferfehlbildung auf 48,08 erhöht.
4Im Oktober 2009 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Revisionsantrag, den sie unter anderem auf einen 2002 festgestellten und operativ behandelten Tiefstand der Kleinhirntonsillen (Arnold-Chiari-Malformation - ACM -) stützte. Laut Bericht der Neurochirurgischen Klinik O. Krankenhaus in I1. vom 16.07.2002 zeigten Kernspinaufnahmen bei der Klägerin eine ACM vom Typ I - ACM I - bedingt durch eine knöcherne Einengung des Hinterhauptlochs; dort sei der Hinterhauptknochen erheblich verdickt. Diese knöcherne Veränderung könne in Zusammenhang mit den übrigen Skelettveränderungen stehen.
5Die Beklagte legte den Antrag der Medizinischen Kommission zur Begutachtung vor. Dr. T. -I2. äußerte mit Stellungnahme vom 24.01.2010 aus internistischer Sicht, das ACM komme unabhängig von einer Thalidomideinnahme während der Schwangerschaft vor. Ein Auftreten in Zusammenhang mit Thalidomid sei ihm nicht bekannt. Da es zum Zeitpunkt der damaligen Schadenseinstufung keine aussagekräftige Bildgebung gegeben habe und ein Großteil der Merkmalsträger ohne Symptome bleibe, könne ein solcher Zusammenhang auch nicht ausgeschlossen werden.
6Dem Antrag gab die Beklagte mit Bescheid vom 04.09.2012 statt, soweit die Klägerin einen Hüftschaden und leichte Schwerhörigkeit geltend gemacht hatte und erhöhte die Gesamtpunktzahl auf 54,02 Punkte. Eine Hirnschädigung könne dagegen keine Berücksichtigung finden, weil dies nach der Diagnoseziffer 118 den Ausschluss der Schulfähigkeit voraussetze.
7Mit ihrem Widerspruch beanstandete die Klägerin, dass die ACM nicht als thalidomidbedingte Fehlbildung anerkannt worden war. Nach § 8 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinien und der unter III ihrer Anlage 2 enthaltenen Öffnungsklausel sei die ACM berücksichtigungsfähig, auch wenn sie erst im Erwachsenenalter erkannt worden und in der Punktetabelle nicht enthalten sei. Mit hoher Wahrscheinlichkeit habe diese Schädigung bereits seit Geburt bestanden. Es handle sich dabei um eine knöcherne Einengung des Hinterhauptlochs, die mit Blick auf die bei ihr unstreitig vorliegenden thalidomidbedingten Skelettveränderungen bei wirklichkeitsnaher Betrachtung ebenfalls als embryopathische Thalidomidschädigung einzustufen sei. Dass Hirnschädigungen nur bei Schulunfähigkeit Berücksichtigung fänden, während bei anderen Schäden keine Einschränkungen der Teilhabe am allgemeinen Leben gefordert würden, verstoße gegen den Gleichheitssatz. Nach § 13 ContStiftG richte sich die Höhe der Leistungen nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen. Hirnschäden seien auch ohne Einbuße der Schulfähigkeit schwere Körperschäden. In einem beigefügten Schreiben des Direktors der Neurochirurgischen Klinik und Polklinik der Universität N. Dr. U. vom 12.11.2012 ist ausgeführt, man könne für die ACM mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sie seit Geburt bestanden habe. Ein Beweis sei aber nur mit entsprechender Bildgebung aus dem Säuglings- und Kleinkindalter zu führen. Das Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin M1. vom 08.11.2012 stellt bei der Klägerin verschiedene Diagnosen, unter anderem die einer ACM. Diese gingen mit einer Conterganschädigung einher.
8In einem erneuten Gutachten vom 01.05.2013 kam Dr. T. -I2. zu keiner abweichenden Einschätzung. Auch wenn die ACM mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Geburt vorgelegen habe, belege dies keinen ursächlichen Zusammenhang mit einer Thalidomidembryopathie. Dass das Syndrom bei der Klägerin mit einer erheblichen Knochenverdickung, also einem Substanzplus einhergehen solle, könne er mit dem Wirkprinzip von Thalidomid, das zu einer Wachstumshemmung führe, nicht vereinbaren. Jedenfalls weise die Datenlage keinen Fall eines Thalidomidgeschädigten mit dieser Malformation auf.
9Den Widerspruch wies die Beklagte unter Hinweis auf die gutachterliche Stellungnahme von Dr. T. -I2. mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2013 zurück. Der Bescheid wurde am 25.06.2013 per Einschreiben versandt.
10Die Klägerin hat am 24.07.2013 Klage erhoben.
11Zur Klagebegründung trägt sie vor, zur streitgegenständlichen Frage gebe es Hinweise auf Forschung und Literatur im englischsprachigen Raum. Die Klägerin verweist auf ein Schreiben von Dr. H1. vom 14.06.2002. Darin ist ausgeführt, er könne sich an einige Literaturangaben über Zusammenhänge zwischen ACM und Contergan erinnern, habe aber selbst keine Erfahrung damit und könne sich an keinen Fall aus seiner Befassung mit Conterganakten erinnern. Die Klägerin meint, Dr. T. -I2. habe seine ablehnende Einschätzung nicht aus medizinischen Gründen gewonnen, da er erkläre, dass die Frage, ob die knöcherne Einengung des Hinterhauptlochs auf eine Verdickung des Os occipitale zurückzuführen sei, sein embryologisches know how sprenge. Zudem wiesen mehrere medizinische Veröffentlichungen auf einen Zusammenhang zwischen Wirbelsäulenveränderungen bzw. Spina bifida und Thalidomidembryopathie hin. Da das Hinterhauptbein auf der Halswirbelsäule aufliege, sei davon auszugehen, dass thalidomidbedingte Defekte ebenso am Hinterhauptloch auftreten könnten. Zudem ragten die Kleinhirntonsillen bereits in den Spinalkanal, also in die Wirbelsäule hinein. Mit Spina bifida, die bei ihr selbst allerdings nicht aufgetreten sei, gehe oft eine ACM einher. Die Klägerin bezieht sich weiter auf Berichte von Dr. E. -I3. vom 23.08.2013 und 07.02.2014, wonach die Klägerin sich dort zur genetischen Beratung vorgestellt habe und eine Stellungnahme wünsche, ob die ACM auch in Zusammenhang mit einer Conterganeinnahme durch die Mutter zu sehen sei. Systematische Untersuchungen zu Schädel- und Cerebralbefunden erwachsener Contergangeschädigter gebe es nicht. Dementsprechend finde sich die ACM bisher auch nicht in der Literatur als conterganassoziiert beschrieben. Dies schließe aber umgekehrt eine solche Assoziation auch nicht definitiv aus. Bei der Klägerin werde eine Hyperostose (pathologisch vermehrte Knochenbildung) des Hinterhauptschädels für die Symptomatik verantwortlich gemacht. Das Zusammentreffen von ACM mit einer Hyperostose der Schädelknochen werde in einem Artikel von Albert et al. als höchst ungewöhnlich bezeichnet. Allerdings erwähnten Sidhu et al in ihrer Arbeit über medikamenteninduzierte muskuloskelettale Anomalien sowohl Thalidomid als auch Hyperostosen. Sie halte es für sehr unwahrscheinlich, dass die ungewöhnliche Anomalie einer ACM mit Hyperostose nicht ursächlich mit einer seltenen Störung wie der Conterganembryopathie zusammentreffe; ein Zusammenhang sei wesentlich wahrscheinlicher. Im Hinblick auf die aufgeworfene Frage einer genetischen Differentialdiagnose hat die Klägerin eine molekulargenetische Untersuchung vom 06.02.2014 vorgelegt, wonach bei ihr keine Mutation im TBX5-Gen habe nachgewiesen werden können; vollständig sei damit das Vorliegen eines Holt-Oram-Syndroms nicht auszuschließen, weil bei etwa 1/3 der Betroffenen eine solche Mutation nicht nachweisbar sei. Die Klägerin hält die ärztlichen Stellungnahmen der beteiligten Gutachter nicht für berücksichtigungsfähig, weil sie nicht unabhängig seien. Letztlich werde nur behauptet, dass über einen Zusammenhang zwischen ACM und Thalidomid in der Literatur nichts bekannt sei. Sei sie damit die erste Person, die diesen Zusammenhang in den Raum stelle, müsse dem mit medizinischen Untersuchungen nachgegangen werden. Im Zweifelsfall sehe das ContStiftG eine Anerkennung vor.
12Die Klägerin beantragt,
13die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04.09.2012 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2013 zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz für die Arnold-Chiari-Malformation zu gewähren.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie meint, es lägen keine medizinischen oder statistischen Anhaltspunkte dafür vor, dass die geltend gemachte Schädigung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf eine Thalidomideinnahme zurückzuführen sei. Die bloße Möglichkeit reiche für eine Anerkennung nicht aus. Hierzu verweist die Beklagte auf Stellungnahmen der humangenetischen Sachverständigen Prof. Dr. L. vom 30.11.2013, 26.05.2014 und 16.12.2015 sowie Prof. Dr. T1. vom 22.09.2015 und 28.10.2015.
17Prof. Dr. L. führt aus, bei der Klägerin sei eine klassische ACM I mit Tiefstand der Kleinhirntonsillen, Einengung des Foramen magnum und verdicktem Hinterhauptknochen links diagnostiziert worden. Ein Zusammenhang zwischen ACMI und Thalidomidexposition sei nach heutigem Wissensstand äußerst unwahrscheinlich; es handle sich um eine Anomalie, die bisher weder in der internationalen Literatur noch bei in Deutschland registrierten Thalidomidgeschädigten beobachtet worden seien. Die von Dr. E. -I3. angegebenen Literaturstellen seien für die Frage einer Thalidomidgenese einer ACM I unergiebig. Der von Dr. H1. erwähnte Quellenhinweis beziehe sich nicht auf Personen mit pränataler Thalidomidexposition. Soweit ACM als Begleitfehlbildung einer Spina bifida aperta vorkomme, gehe daraus nicht hervor, dass ACM durch eine pränatale Thalidomidexposition ausgelöst werden könne. Der bei der Klägerin anzutreffende Phänotyp lasse verschiedene Differentialdiagnosen, namentlich auch das Holt-Oram-Syndrom in Betracht kommen.
18Prof. Dr. T1. zufolge ist die ACM I eine weit verbreitete Erkrankung. Nach einem weltweiten Beobachtungszeitraum von über 50 Jahren sei kein Fall eines Zusammenhangs zwischen ACM I und einer Thalidomidembryopathie beschrieben worden, so dass dieser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei. Die Spina bifida aperta als schwere Neuralrohr-Fehlbildung, die die Entwicklung der Wirbelsäule und der im Wirbelkanal liegenden nervalen Strukturen betreffe, könne mit einer Anomalie im Übergangsbereich von Kopf zur Wirbelsäule assoziiert sein, wie es beim ACM vorliege. Es gebe jedoch keine Erkenntnisse über thalidomidbedingte Fälle einer Spina bifida mit ACM, so dass eine ACM, wenn sie nicht mit einer Spina bifida assoziiert sei, erst recht nicht als Thalidomidschaden in Betracht komme.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akten und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21Die zulässige Klage ist nicht begründet.
22Der Bescheid vom 04.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 19.06.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit er die Gewährung von Leistungen nach dem ContStiftG für die ACM I versagt (§ 113 Absatz 5 VwGO).
23Der Klägerin steht ein Anspruch auf eine Erweiterung der Leistungen wegen der ACM I nicht zu.
24Gemäß §§ 12 Abs. 1 Satz 1, 13 Abs. 2 ContStiftG setzt die Gewährung von Leistungen voraus, dass der Antragsteller Fehlbildungen aufweist, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der H. GmbH, B. , durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist weit gefasst, um zugunsten etwaiger Betroffener dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine über jeden Zweifel erhabene Kausalitätsfeststellung unmöglich ist,
25vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -, vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 - und vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -,
26weil sowohl die Aufklärung einer Thalidomideinnahme durch die Mutter während einer mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Schwangerschaft als auch die eindeutige Feststellung eines naturwissenschaftlichen Zusammenhangs zwischen der Einnahme und einer Fehlbildung an Grenzen stoßen. Für die Zuerkennung der Leistungsberechtigung reicht es jedoch nicht aus, dass Thalidomid als mögliche Ursache einer Fehlbildung nicht auszuschließen ist. Ansonsten ließe sich der anspruchsberechtigte Personenkreis, der nach dem Willen des Gesetzgebers aus dem Stiftungsvermögen profitieren soll, nicht verlässlich eingrenzen. Angesichts der theoretisch vielfältigen und noch nicht bis ins Letzte ergründeten Ursachen für kongenitale Missbildungen muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass gerade die Einwirkung von Thalidomid während der Embryonalentwicklung in einem ursächlichen Zusammenhang mit der in Rede stehenden Fehlbildung des Antragstellers steht,
27vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.12.2015 - 16 A 1852/15 -; VG Köln, Urteil vom 24.02.2015 - 7 K 4608/13 -.
28Dies zugrundegelegt, lässt sich die bei der Klägerin vorhandene ACM I nicht mit einer Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der H. GmbH durch ihre Mutter in Verbindung bringen.
29Die ACM I ist keine Fehlbildung, die nach ihrem Erscheinungsbild
30- vgl. zu dessen Bedeutung für die Annahme einer ursächlichen Verbindung: Begründung des Gesetzentwurfs über die Errichtung einer nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind“, BT-Drs. VI/926 S. 8 zu § 13 -
31mit Wahrscheinlichkeit auf eine Einwirkung von Thalidomid während der Frühschwangerschaft der Mutter zurückzuführen ist. Sie gehört nicht zu den charakteristischen thalidomidbedingten Fehlbildungen, wie sie in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben sind. Sie ist auch nicht vereinzelt im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid in der Schwangerschaft festgestellt worden. Hiervon hat sich das das Gericht nach Auswertung sämtlicher ärztlicher Stellungnahmen, insbesondere der von der Medizinischen Kommission eingeholten Gutachten überzeugt.
32Bei der Klägerin liegt, wie Prof. Dr. L. anhand der vorgelegten klinischen Berichte plausibel darlegt, eine klassische ACM I mit Tiefstand der Kleinhirntonsillen, Einengung des Foramen magnum und verdicktem Hinterhauptknochen links vor.
33Nach den begründeten Aussagen aller mit dem Fall befassten Sachverständigen der Medizinischen Kommission ist es höchst unwahrscheinlich, dass es sich bei der ACM I der Klägerin um einen Thalidomidschaden handeln könnte. Hinsichtlich der ACM I besteht unter den Sachverständigen Dr. T. -I2. , Prof. Dr. L. und Prof. Dr. T1. wie auch der von der Klägerin eingeschalteten Genetikerin Dr. E. -I3. Einigkeit, dass diese in der wissenschaftlichen Literatur bisher nicht als mit einer Thalidomidembryopathie verknüpft beschrieben worden ist. Diese Anomalie ist weder bei in Deutschland registrierten Thalidomidgeschädigten noch weltweit jemals in Assoziation mit Thalidomidembryopathie beobachtet worden. Prof. Dr. L. hat überzeugend erläutert, dass die von Dr. E. -I3. angegebenen Literaturstellen für die Frage einer Thalidomidgenese einer ACM I unergiebig sind. Danach hat die Besonderheit des bei Albert et al. angesprochenen ungewöhnlichen ACM I-Falls darin bestanden, dass er - anders als die Klägerin - eine Hyperostose sämtlicher Schädelknochen aufgewiesen hat; ein Bezug zur Thalidomidembryopathie fehlt. Die zitierte Arbeit von Sidhu et al., die sich mit medikamenteninduzierten muskuloskelettalen Anomalien befasst, erwähnt bei pränataler Thalidomidexposition weder Hyperostose der Schädelknochen noch ACM I; Hyperostosen werden lediglich in Bezug auf andere Knochen bei postnataler Retinoidtherapie beschrieben. Dass die Begriffe Hyperostose und pränatale Thalidomidexposition ohne jeden Zusammenhang in verschiedenen thematischen Abschnitten eines Artikels erwähnt sind, ist ganz offensichtlich nicht als wissenschaftliche Aussage über eine mögliche Verbindung zwischen ACM I und Thalidomidembryopathie zu werten. Prof. Dr. L. hat auch veranschaulicht, weshalb der von Dr. H1. inzwischen vorgelegte Quellenhinweis betreffend einen Zusammenhang zwischen Thalidomidmedikation und ACM ohne Bedeutung für die hier streitgegenständliche Fragestellung ist. Er bezieht sich auf eine US-amerikanische Datenbank, in der Meldungen von acht Patienten enthalten sind, die nach einer Einnahme von Thalidomid und nicht genannter zusätzlicher Medikamente im Erwachsenenalter zwischen 2004 und 2012 über die Entwicklung einer ACM berichtet haben. Bei keiner dieser Personen liegt eine pränatale Thalidomidexposition vor.
34Zu keiner abweichenden Bewertung führt der von der Klägerin geltend gemachten Umstand, dass eine - bei ihr nicht vorliegende - Spina bifida, also eine Neuralrohr-Fehlbildung, die die Entwicklung der Wirbelsäule betrifft, mitunter mit einer ACM einhergeht. Nach den nachvollziehbaren Darlegungen von Prof. Dr. L. und Prof. Dr. T1. geht aus der Tatsache, dass ACM als Begleitfehlbildung einer Spina bifida aperta vorkommt, nicht hervor, dass ACM durch eine pränatale Thalidomidexposition ausgelöst werden könnte. Denn es gibt keine Erkenntnisse über thalidomidbedingte Fälle einer Spina bifida mit ACM, so dass eine ACM, wenn sie wie bei der Klägerin nicht mit einer Spina bifida assoziiert ist, erst recht nicht als Thalidomidschaden in Betracht kommt.
35Danach fehlt es nach derzeitigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand an jeglichem Hinweis auf eine mögliche Verbindung zwischen ACM I und einer pränatalen Thalidomideinnahme. Der Umstand, dass begrenzte wissenschaftliche Kenntnisse einen solchen Zusammenhang auch nicht ausschließen, wie Dr. E. -I3. und auch Dr. T. -I2. ausführen, ist nach dem erläuterten, bei der Leistungsbewilligung anzulegenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab aus Rechtsgründen irrelevant.
36Auch die weiteren von der Klägerin vorgelegten medizinischen Befunde zu ihrer Person stellen keinen nachvollziehbaren Bezug zu einem Thalidomidschaden her.
37Der Facharzt für Allgemeinmedizin M1. stellt im Attest vom 08.11.2012 bei der Klägerin verschiedene Diagnosen, unter anderem die einer ACM, und führt aus, diese gingen mit einer Conterganschädigung einher. Das Attest enthält lediglich eine Aufzählung von Beschwerden und Störungen, die neben den von der Stiftung als Thalidomidschädigung anerkannten Fehlbildungen vorliegen sollen. Damit ist aber keine Aussage über einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer ACM und einer Thalidomideinnahme getroffen.
38Prof. Dr. U. meint - im Einklang mit der Einschätzung von Dr. T. - I2. -, man könne für die ACM mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sie seit Geburt bestanden habe. Im Bericht der Neurochirurgischen Klinik O. Krankenhaus in I1. vom 16.07.2002 ist ausgeführt, die knöcherne Veränderung, die zu der ACM geführt habe, könne in Zusammenhang mit den übrigen Skelettveränderungen stehen. Diese Stellungnahmen mögen den vorrangig ins Feld geführten Standpunkt der Klägerin stützen, die ACM sei ebenso wie die weiteren skelettalen Fehlbildungen vorgeburtlich angelegt, was einen einheitlichen ursächlichen Faktor wahrscheinlich mache. Jedoch verhalten sich die Berichte nicht dazu und ist nach Überzeugung des Gerichts auch sonst kein hinreichender Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass eine solche einheitliche Ursache wahrscheinlich in einer Thalidomideinnahme durch die Mutter in der sensiblen Zeit der Schwangerschaft zu sehen ist.
39Eine dahingehende Annahme kann nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass bei der Klägerin bereits Fehlbildungen als Grundlage für die Gewährung von Leistungen nach dem ContStiftG anerkannt worden sind. Eine Feststellungswirkung der entsprechenden Bewilligungsbescheide, die sich in einer die Beklagte bzw. das Gericht bindenden Weise auf die Entscheidung über den jetzigen Streitgegentand erstrecken könnte, sieht das ContStiftG nicht vor. Es unterliegt der vollen gerichtlichen Prüfung und Überzeugungsbildung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1, 13 ContStiftG vorliegen.
40Das Gericht hält es indessen nicht für glaubhaft, dass die Mutter der Klägerin während der Schwangerschaft ein thalidomidhaltiges Mittel der Firma H. eingenommen hat. Dass ihr im Mai 1964 während der teratogenen Phase der Schwangerschaft der Chefarzt einer deutschen Frauenklinik ein thalidomidhaltiges Präparat verabreicht haben soll, ist aus Sicht des Gerichts nahezu ausgeschlossen. Auf die Fragwürdigkeit dieser Behauptung hat 1985 bereits Prof. Dr. M. hingewiesen, der maßgeblich an der Entdeckung der Teratogenität von Thalidomid beteiligt war und dessen Warnung zu seiner Marktrücknahme geführt hat. Alle thalidomidhaltigen Arzneimittel wurden in der Bundesrepublik Deutschland bereits am 27.11.1961, begleitet von einem Informationsbrief der Firma H. an die deutschen Ärzte vom 25.11.1961, aus dem Handel genommen. Die Ärzteschaft war spätestens ab diesem Zeitpunkt über die Gefahren der Thalidomideinnahme während der Schwangerschaft informiert. Es ist schon nicht anzunehmen, dass in der Folgezeit ein thalidomidhaltiges Präparat als Ärztemuster noch über Jahre hinweg in einer deutschen Frauenklinik (!) aufbewahrt worden ist. Gerade in der Bundesrepublik Deutschland, in der die meisten thalidomidgeschädigten Kinder geboren wurden und die Firma H. ihren Sitz hat, waren Behörden, Apotheker und Ärzteschaft, pharmazeutische Industrie, Politik, Medien und die Öffentlichkeit in besonderem Maße alarmiert und für Thalidomid als Auslöser der angeborenen Fehlbildungen sensibilisiert,
41vgl. Kirk, Der Contergan-Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid, 1999, S. 156; VG Köln, Urteil vom 15.04.2015 - 7 K 1778/13 -.
42Vor diesem Hintergrund spricht nichts dafür, dass der Chefarzt einer Frauenklinik trotz der Schwangerschaft der Mutter der Klägerin noch 1964 ein thalidomidhaltiges Präparat der Firma H. verabreicht haben soll, obwohl er von der Marktrücknahme und den Auswirkungen des Präparats gewusst haben muss.
43Dazu passt, dass ärztliche Aufzeichnungen, die anlässlich der Geburt und während der Kindheit der Klägerin gefertigt wurden und sich zu einer Thalidomideinnahme während der Schwangerschaft verhalten, trotz Anforderung nicht vorgelegt worden sind. Dies legt nahe, dass die Mutter der Klägerin gegenüber den Ärzten seinerzeit eine Thalidomideinnahme während der Schwangerschaft nicht erwähnt hat, obwohl sich dies angesichts der bei ihrer Tochter deutlich erkennbaren Fehlbildungen aufgedrängt hätte.
44Nicht nachvollziehbar ist zudem, dass die Mutter der Klägerin keinerlei erkennbare Anstrengungen unternommen hat, um den Arzt oder die Klinik zur Verantwortung zu ziehen. Ebenso wenig erklärlich ist, dass sie trotz des gewaltigen Medienechos aufgrund des 1970 beendeten Strafverfahrens und des Inkrafttreten des Stiftungsgesetzes am 31.10.1972 bis kurz vor Ablauf der früheren Antragsfrist am 31.12.1983 nichts unternahm, um die Klägerin als Thalidomidgeschädigte anerkennen zu lassen,
45vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 28.12.2015 - 16 A 1124/15 -.
46Die Tatsache, dass zwischenzeitlich bei der Klägerin mit der ACM I eine bisher weltweit bei Thalidomidembryopathie nicht beobachtete Fehlbildung erkannt wurde, die sie nun mit der Ursache für ihre weiteren Skelettfehlbildungen assoziiert, verstärken letztlich die bereits bei der Antragstellung im Jahr 1983 aufgetretenen Zweifel an einer Thalidomideinnahme während der Schwangerschaft.
47Die Notwendigkeit einer weiteren gerichtlichen Sachaufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ist vor dem Hintergrund der sachverständigen Stellungnahmen von Prof. Dr. L. , Prof. Dr. T1. und Dr. T. -I2. nicht erkennbar. Die vorliegenden Gutachten sind hinreichend geeignet, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Sie weisen keine groben Mängel auf. Insbesondere beruhen sie auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage und auf den anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Thalidomidembryopathie und zur AMC I. Sie enthalten auch keine unlösbaren Widersprüche oder unlogisches Vorbringen und geben keinen Anlass zu Zweifeln an Sachkunde und Unparteilichkeit der Gutachter.
48Dem Einwand der Klägerin, den medizinischen Sachverständigen fehle die Unabhängigkeit, folgt das Gericht nicht. Der Umstand, dass die medizinischen Sachverständigen von der Beklagten beauftragt worden sind, führt nicht zu der Annahme, dass diese gleichsam „im Lager der Beklagten“ stehen und einseitig deren Interessen wahrnehmen, zumal die Zahl der Fachärzte und –ärztinnen mit speziellen Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet der Einordnung von Thalidomid-Schäden eng begrenzt ist,
49vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.02.2012 - 1 A 1337/10 - und Beschluss vom 19.01.2016 - 16 A 817/15 - .
50Zudem weist der Gesetzgeber der aus den verschiedenen medizinischen Sachverständigen zusammengesetzten Medizinischen Kommission in § 16 Abs. 2 ContStiftG eigens die Aufgabe zu festzustellen, ob ein von dem ContStiftG erfasster Schadensfall vorliegt.
51Das Gericht sieht auch keinen Anlass zu der Annahme, Dr. T. -I2. habe seine Einschätzung aus anderen als medizinischen Gründen gewonnen. Dass Dr. T. -I2. nicht sicher beurteilen will, ob der von der Klägerin vorgelegte Bericht des O. Krankenhauses vom 16.07.2002 die knöcherne Einengung des Hinterhauptlochs zutreffend auf eine Verdickung des Os occipitale zurückführt, weckt keine Zweifel an einer medizinisch fundierten Herleitung seiner maßgeblichen Einschätzung, zwischen ACM und pränataler Thalidomideinnahme bestehe kein erkennbarer Zusammenhang. Denn für diese Beurteilung stützt Dr. T. -I2. sich ausdrücklich und ausschließlich auf die Datenlage, wonach kein Fall eines Thalidomidgeschädigten mit ACM bekannt ist. Diesen Befund untermauert er lediglich ergänzend mit der Plausibilitätserwägung, dass das Wirkprinzip von Thalidomid, das zu einer Reduktionsfehlbildung führt, sich nicht mit dem bei der ACM der Klägerin womöglich anzutreffenden Knochenverdickung verträgt.
52Die Klägerin hat auch im Übrigen Mängel der Gutachten nicht in einer substantiierten Weise geltend gemacht.
53Soweit die Klägerin die bereits 1985 erwogene Differentialdiagnose eines Holt-Oram-Syndroms mit der Vorlage der molekulargenetischen Untersuchung vom 06.02.2014 als ausgeräumt ansieht, stellt dies die Schlüssigkeit der gutachterlichen Stellungnahmen nicht in Frage. Den plausiblen Ausführungen von Prof. Dr. L. zufolge kommt ein Holt-Oram-Syndrom nach wie vor in Betracht, weil bei etwa 30 % der Patienten mit Holt-Oram-Syndrom keine Mutationen im TBX5-Gen zu finden sind und 25 – 30 % der Betroffenen keinen Herzfehler oder Herzrhythmusstörungen haben. Da 80 – 85 % der Fälle auf Neumutationen zurückzuführen sind, kann diese Diagnose auch zutreffen, wenn in der Familie keine weiteren Personen betroffen sind. Ob die Klägerin tatsächlich unter einem Holt-Oram-Syndrom leidet, bedarf keiner Entscheidung. Allein der Umstand, dass ihre Beeinträchtigungen nicht sicher anderweitig ätiologisch einzuordnen sind, lässt sie nicht mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auf eine Thalidomideinnahme zurückführen.
54Die Ursachen für geburtsbedingte Fehlbildungen sind regelmäßig nicht vollständig bekannt und unterliegen einer ständigen wissenschaftlichen Weiterentwicklung. Daher kann die Abgrenzung von thalidomidbedingten Fehlbildungen und anderen Fehlbildungen nur anhand des Erscheinungsbildes getroffen werden. Diesem Vergleich liegt in erster Linie das Erfahrungswissen der Experten über die Zuordnung einzelner Symptome zu einem bestimmten Fehlbildungskomplex zugrunde. Die hier vorgenommene Abgrenzung der ACM I von einer Thalidomidembryopathie beruht auf diesem Erfahrungswissen und ist von der Klägerseite nicht substantiiert in Zweifel gezogen worden. Daher ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit eines weiteren Gutachtens. Weder gibt es eine „medizinische Untersuchung“, die Aufklärung darüber bringen könnte, ob die Klägerin als erste Person, die einen Zusammenhang zwischen Thalidomidembryopathie und ACM I in den Raum stellt, unter einer thalidomidbedingten ACM I leidet, noch ist erkennbar, auf welcher sonstigen wissenschaftlichen Grundlage Prof. H2. oder ein anderer Sachverständiger zu einem von der wissenschaftlichen Datenlage abweichenden Ergebnis kommen könnte. Vielmehr ist der hilfsweise gestellte Antrag der Klägerin auf eine unzulässige Ausforschung gerichtet, ob sich nicht doch noch ein Hinweis auf eine Thalidomidschädigung findet.
55Die Kostenentscheidung beruht auf § 514 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
56Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Annotations
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.