Verwaltungsgericht Köln Urteil, 09. Sept. 2015 - 23 K 4908/14.A

ECLI:ECLI:DE:VGK:2015:0909.23K4908.14A.00
bei uns veröffentlicht am09.09.2015

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 4


(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. (3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 12. Juni 2013 - A 11 S 757/13

bei uns veröffentlicht am 12.06.2013

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbe

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 27. Sept. 2010 - A 10 S 689/08

bei uns veröffentlicht am 27.09.2010

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 - A 6 K 43/07 - wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelasse

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 20. Mai 2008 - A 10 S 72/08

bei uns veröffentlicht am 20.05.2008

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 25. Oktober 2007 – A 2 K 11194/04 – wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außer

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 20. Mai 2008 - A 10 S 3032/07

bei uns veröffentlicht am 20.05.2008

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 – A 6 K 258/07 – wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 26. Juni 2007 - 1 A 222/07

bei uns veröffentlicht am 26.06.2007

Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1978 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Zur Zeit seiner am 19.8.2002 auf dem Landweg erfolgten Einreise in das Bundesgebiet war er muslimischer Religionszugehöriger.

Unmittelbar nach seiner Einreise wurde er von der Bundesgrenzschutzinspektion A-Stadt im Zug von Paris nach Frankfurt/Main wegen der Verwendung eines manipulierten niederländischen Reisepasses aufgegriffen und vernommen. Er gab an, sich im Iran vom Islam abgewandt und zum Christentum bekannt zu haben, weswegen er in Schwierigkeiten geraten sei und sich entschlossen habe, in Deutschland Asyl zu beantragen. Vor ca. 14 Monaten habe er den Iran zu Fuß in Richtung Türkei verlassen und sei mit kurdischer Hilfe in einem LKW nach Istanbul gebracht worden. Dort sei er etwa drei Monate geblieben, bis er zusammen mit anderen Flüchtlingen in einem verplombten Sattelschlepper habe ausreisen können. Die Fahrt habe ca. 10 bis 15 Tage gedauert und am 17.8.2002 in der Nähe von Paris geendet. Von dort habe er mit dem Zug nach Frankfurt fahren wollen.

Am 12.9.2002 beantragte der Kläger Asyl und begründete dies mit Schwierigkeiten infolge seines Interesses für den christlichen Glauben. Zu den Modalitäten der Ausreise gab er an, im Juni 2002 mit vier Freunden mit dem Auto von seiner Heimatstadt Teheran nach Urumijee, einer iranischen Stadt nahe der türkischen Grenze, gefahren zu sein. Schlepper hätten sie mit Wagen und Pferden durch die Berge in die Türkei, dann mit einem Auto nach Istanbul und nach zweimonatigem Aufenthalt dort mit einem LKW nach Frankreich gebracht. Im Verlauf der Anhörung korrigierte er seine Angaben dahingehend, Teheran bereits im Februar 2002 verlassen und sich ca. vier bis fünf Monate in Urumijee aufgehalten zu haben. Zur Sache führte er aus, nach Ableistung seines zweijährigen Militärdienstes habe er ein Jahr studiert und sich im Jahr 2000 mit fünf Studienkollegen angefreundet, von denen einer armenischer Christ gewesen sei. Dieser habe ihnen viel von seiner Religion erzählt, woraufhin sie auch ein paar Mal mit in die Kirche gegangen seien. Er - der Kläger - habe seinem Vater, der streng religiös sei, von dem christlichen Freund erzählt, was diesen veranlasst habe, seine Lehrer an der Universität zu informieren und sie zu bitten, auf ihn aufzupassen. Seitens der Universität sei ihm und seinen Freunden sodann vorgeworfen worden, religiöse Agitationen auszuüben. Im Februar 2002 sei er exmatrikuliert worden. Zwei oder drei Tage später, am 9.2.2002, habe er eine Vorladung vor Gericht erhalten, da es im Iran ein Verbrechen sei, die Religion wechseln zu wollen. Hieraufhin seien er und die Freunde, die ebenfalls vorgeladen worden seien, sofort nach Urumijee geflohen, wo einer von ihnen zu Hause gewesen sei. Dort habe er von seinem Vater die Nachricht erhalten, dass er immer noch gesucht werde und dass ihm eine zweite Vorladung zugestellt worden sei. Er müsse damit rechnen, zum Tode verurteilt und gesteinigt zu werden. Das Geld für die Ausreise habe sein Vater ihm nach Urumijee überwiesen, weil er ihn vor dem Tod habe retten wollen. Zur christlichen Religion befragt gab der Kläger an, diese sei freier als der Islam. Am Islam störe ihn, dass alles unter Zwang geschehe; man werde gezwungen, zu beten und bestimmte Dinge zu tun. Der ständige Zwang verhindere auch die Entstehung einer Demokratie. Jeden Samstag habe er mit seinem armenischen Freund die Kirche in Madjihe, einer armenischen Siedlung in Teheran, besucht. In der Kirche habe jeder zunächst das Kreuz geschlagen, sich dann hingesetzt und gebetet. Da er kein Armenisch verstanden habe, habe der armenische Freund immer Anleitungen gegeben, was zu tun sei. Die armenische Gemeinde sei sehr zurückhaltend gewesen. Man habe nicht gerne gesehen, dass Muslime mit in der Kirche sitzen. Er habe auch christliche Bücher in persischer Sprache gelesen, die sein armenischer Freund ihm besorgt habe. Zu Hause in seinem Zimmer habe er Kreuze hängen gehabt, was seinen Vater, als er dies bemerkt habe, sehr erzürnt habe.

Durch Bescheid vom 14.10.2002, zugestellt am 17.10.2002, wurde der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter unter Hinweis auf die Einreisemodalitäten abgelehnt, festgestellt, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 bzw. 53 AuslG nicht vorliegen, und der Kläger unter Androhung seiner Abschiebung in den Iran zur Ausreise aufgefordert. Zur Begründung wurde unter Aufzeigen verschiedener Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten ausgeführt, dass der behauptete Entschluss, zum Christentum zu konvertieren, nicht glaubhaft sei. Der Kläger habe trotz seines guten Bildungsstandes nicht klar und deutlich darlegen können, warum er sich zum Christentum hingezogen fühle und wo die Unterschiede beider Religionen liegen. Ebenso wenig habe er nähere Angaben zum Ablauf der Gottesdienste machen können. Christliche Bücher in persischer Sprache, die der Kläger gelesen haben wolle, seien im Iran verboten. Ferner sei nicht anzunehmen, dass armenische Christen Schwierigkeiten mit den iranischen Behörden riskiert hätten, indem sie geduldet hätten, dass der Kläger und seine Freunde mehrmals an einem Gottesdienst teilnehmen. Auch sei das behauptete Verhalten seines Vaters untypisch für einen strengreligiösen Moslem. Schließlich spreche gegen das Vorliegen wahrer Verfolgungsfurcht, dass der Kläger nicht bereits in Frankreich Asyl beantragt habe, sondern über Deutschland in die Niederlande habe reisen wollen.

Mit seiner hiergegen am 24.10.2002 erhobenen Klage hat der Kläger behauptet, die vermeintlichen Widersprüchlichkeiten fänden ihre Ursache in Verständigungsschwierigkeiten mit der vom Bundesamt eingesetzten Dolmetscherin. In der Sache habe die Beklagte verkannt, dass er bereits im Iran wegen seines bekannt gewordenen Interesses für den christlichen Glauben gefährdet gewesen sei und dass er hinsichtlich der christlichen Glaubensinhalte und der Entscheidung über eine Konversion noch im Lern- beziehungsweise Entscheidungsprozess begriffen gewesen sei. Dass christliche Bücher in armenischer Sprache im Iran verboten seien, bedeute nicht, dass es sie nicht gebe. Die Zweifel an den geschilderten Verhaltensweisen seines Vaters seien nicht berechtigt; sein Vater habe gemeint, ihn durch sein Vorgehen von einer Konversion abhalten zu können. Keinesfalls könne daraus, dass der Schlepper ihm einen niederländischen Pass gegeben habe, geschlossen werden, dass er beabsichtigt habe, in die Niederlande weiterzureisen. Infolge der Asylantragstellung müsse er im Falle der Rückkehr mit einer eingehenden Befragung durch die iranischen Behörden unter Anwendung der „ortsüblichen Vernehmungsmethoden“ rechnen.

Mit Schriftsatz vom 14.12.2004 hat der Kläger unter Vorlage einer pfarramtlichen Bescheinigung der Evangelischen Kirchengemeinde B-Stadt vom 8.12.2004 mitgeteilt, dass er am 11.4.2004 getauft worden und damit zum christlichen Glauben konvertiert sei. In der Bescheinigung heißt es weiter, der Kläger habe im Vorfeld der Taufvorbereitungen erzählt, sein Großvater sei evangelischer Christ gewesen; mit diesem sei er bereits im Iran zum Gottesdienst gegangen. Seit Mitte 2003 nehme der Kläger aktiv am Gemeindeleben teil und besuche regelmäßig die Gottesdienste, zu denen er immer wieder muslimische Freunde mitbringe, um ihnen den christlichen Glauben nahe zu bringen. Bei Festen der Gemeinde helfe er tatkräftig mit.

Ergänzend hat der Kläger behauptet, die Konversion sei seinem Vater zwischenzeitlich bekannt geworden; auch von dessen Seite drohten ihm Repressionen. Zudem habe sich die allgemeine Lage im Iran infolge der Zugewinne fundamentalistischer Muslime bei den letzten Parlamentswahlen verschärft.

Im Rahmen seiner Anhörung durch das Verwaltungsgericht hat der Kläger angegeben, die Annahme, sein Großvater sei evangelischer Christ gewesen, müsse auf einem Missverständnis beruhen. Er stamme aus einem streng muslimischen Elternhaus und habe deshalb eine Abneigung gegenüber dem Islam entwickelt. Ungefähr ein Jahr lang sei er mit seinem armenischen Freund etwa jeden zweiten Samstag zur Kirche gegangen. Die Messe sei nur sonntags gewesen; auch diese habe er bei besonderen Gelegenheiten mit seinem Freund zusammen besucht. Ohne diesen hätte man ihn nicht in die Kirche gelassen. Mit seinem Vater habe er ständig über Religion diskutiert. Schließlich sei diesem sein Interesse am christlichen Glauben verdächtig erschienen und er habe die Universität informiert. Irgendwann habe der Vater auch ein Kreuz in seinem Zimmer entdeckt und dieses hängen lassen, um einen Beweis gegen ihn zu haben. Der Vater, der im Sicherheitsministerium arbeite, habe den Fund dort Ende 2001 gemeldet, um seinen guten Ruf zu schützen. Ende 2001 - nicht erst im Februar 2002 - sei auch die Exmatrikulation erfolgt. Es sei nicht auszuschließen, dass ihm zu Beginn seines Aufenthalts in Deutschland bei der Berechnung von Daten Fehler unterlaufen seien.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 14.10.2002 zu verpflichten, festzustellen, dass hinsichtlich einer Abschiebung in den Iran die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,

hilfsweise,

festzustellen, dass einer Abschiebung in den Iran Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG entgegenstehen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ihre Auffassung, das Vorbringen des Klägers sei unglaubhaft, bekräftigt und darauf hingewiesen, dass der Kläger anlässlich seiner Anhörung vom 12.9.2002 bestätigt habe, keine Verständigungsschwierigkeiten mit der Dolmetscherin gehabt zu haben. Nach Auskunftslage werde ein Konvertit im Iran nicht gehindert, den christlichen Glauben im privaten Bereich auszuüben, solange er nicht versuche, missionierend tätig zu werden.

Der Beteiligte hat sich zu der Klage nicht geäußert.

Durch Urteil vom 14.9.2005, den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 6.10.2005, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe seine Heimat unverfolgt verlassen. Seine Angaben zur behaupteten Vorverfolgung seien auch unter Berücksichtigung seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung unglaubhaft, zumal er sein Vorbringen teilweise gesteigert und sich in neue Widersprüchlichkeiten verwickelt habe. Der Kläger habe nach der Auskunftslage auch wegen seiner im Bundesgebiet erfolgten Konversion zum christlichen Glauben im Falle der Rückkehr keine Verfolgung zu befürchten. Er sei weder in herausgehobener Funktion für den angenommenen christlichen Glauben tätig noch sei er für die muslimische Gesellschaft wahrnehmbar missionarisch tätig. Dem Kläger sei nach der obergerichtlichen Rechtsprechung zuzumuten, die Religionsausübung außerhalb des häuslich-privaten Umfeldes zu unterlassen und seinen Glauben nur abseits der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit anderen gleichgesinnten Gläubigen zu leben. Beschränke er sich hierauf, so seien asylrelevante staatliche Repressionen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Zwar könne es vorkommen, dass iranische Moslems, die zum Christentum übergetreten sind, Benachteiligungen aus dem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen - insbesondere dem familiären - Umfeld ausgesetzt seien. Es gebe jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass diese Benachteiligungen jeden zum Christentum konvertierten Moslem im Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit treffen und darüber hinaus einen Schweregrad erreichen, der die Schwelle zur politischen Verfolgung beziehungsweise menschenrechtswidrigen Behandlung überschreitet. Die behauptete Gefährdung durch seinen Vater sei nicht glaubhaft. Sein diesbezügliches Vorbringen sei grob widersprüchlich und durch Steigerung des Sachvortrags gekennzeichnet. Schließlich sei die Asylantragstellung als solche nicht asylrelevant.

Auf den Zulassungsantrag des Klägers vom 12.10.2005 hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 16.5.2007 mit Blick auf die seit dem 11.10.2006 unmittelbare Geltung beanspruchenden Vorschriften der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29.4.2004 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Die am 8.6.2007 bei Gericht eingegangene Berufungsbegründung setzt sich mit den Vorgaben der genannten EG-Richtlinie auseinander. Der Kläger ist der Auffassung, dass er seit Wirksamwerden des Art. 10 Abs. 1 b RL nicht mehr darauf verwiesen werden dürfe, die Praktizierung seines Glaubens auf den häuslich-privaten Bereich zu beschränken. Weil er aber seinen Glauben im Iran öffentlich bekennen würde, müsste er mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen rechnen. Dies habe zwischenzeitlich mehrere im Einzelnen aufgeführte Verwaltungsgerichte veranlasst, von der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung abzurücken und den Betroffenen Schutz zu gewähren.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 14.9.2005 - 5 K 5/05.A - sowie unter entsprechender Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 14.10.2002 - - zu verpflichten, festzustellen, dass hinsichtlich einer Abschiebung in den Iran die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,

hilfsweise,

festzustellen, dass einer Abschiebung in den Iran Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG entgegenstehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beteiligte hat sich zur Sache geäußert und mit eingehender Begründung die Auffassung vertreten, Art. 10 Abs. 1 b der Richtlinie 2004/83/EG erfordere für Fallgestaltungen der vorliegenden Art keine grundlegende Änderung der bisherigen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen, unter denen ein im europäischen Ausland vollzogener Glaubenswechsel eines iranischen Moslems zum Christentum von asylrechtlicher Relevanz sein könne.

Der Senat hat den Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal informatorisch angehört.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte 1. und 2. Instanz und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten, der ebenso wie die im Einzelnen benannten Auszüge aus der Dokumentation Iran Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Das Ausbleiben des Beteiligten im Termin stand einer Verhandlung und Entscheidung in der Sache nicht entgegen, da er ordnungsgemäß und unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 VwGO zur mündlichen Verhandlung geladen worden war.

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig; der Kläger hat weder einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (I) noch stehen seiner Abschiebung in den Iran Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG entgegen (II).

I.

Ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Herkunftslandes setzt nach genannter Vorschrift voraus, dass Leben oder Freiheit des Ausländers in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wobei die drohende Verfolgung ausgehen kann von a) dem Staat, b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder c) - unter bestimmten Voraussetzungen - nichtstaatlichen Akteuren.

Hinsichtlich des in § 60 Abs. 1 AufenthG verwendeten Begriffs der Verfolgung sind spätestens seit dem 11.10.2006 die Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12, berichtigt im ABl. L 204 vom 5.8.2005, S. 24) (so genannte Qualifikationsrichtlinie) - nachfolgend: RL - zu beachten. Durch Art. 38 RL wurden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die zur Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften spätestens bis zum 10.10.2006 zu erlassen. Dieser Verpflichtung ist die Bundesrepublik Deutschland nicht gerecht geworden, was nach der auf Art. 189 Abs. 3 und Art. 5 EWG-Vertrag verweisenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteile vom 5.4.1979 - Rs. 148/78 - , Slg. 1979, 1629 Rdnr. 23, und vom 20.9.1988 - 190/87 -, Slg. 1988, 4689) zur Folge hat, dass die Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie seit dem 11.10.2006 im Bundesgebiet unmittelbar Anwendung finden, soweit sie von ihrem Regelungsgehalt her einer unmittelbaren Anwendung zugänglich sind. Dies ist hinsichtlich der Vorschriften, die die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft festlegen, ohne Einschränkung zu bejahen. (BVerwG, Urteile vom 21.11.2006 - 1 C 10/06 -, NVwZ 2007, 465 ff. = DVBl. 2007, 446 ff. = InfAuslR 2007, 213 ff., und vom 20.3.2007 - 1 C 21/06 -, amtl. Abdr. S. 14)

Nach Art. 13 RL erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen die Flüchtlingseigenschaft zu, wenn er die Voraussetzungen der Kapitel II und III der Richtlinie erfüllt. Der Begriff des Flüchtlings ist in Art. 2 c RL hinsichtlich eines Drittstaatsangehörigen dahingehend definiert, dass dieser sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen der Furcht nicht in Anspruch nehmen will, sofern die Ausschlussgründe des Art. 12 RL auf ihn keine Anwendung finden. Maßgeblich ist damit, ob der Betroffene sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatstaates aufhält. Dieser Ansatz ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 1 AufenthG, der auf eine Bedrohung von Leben oder Freiheit abstellt, zu beachten, da die Bundesrepublik als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gehalten ist, den als Mindestnormen für die Flüchtlingsanerkennung (vgl. Art. 1 und 3 RL) konzipierten Vorschriften der Richtlinie im Bundesgebiet Geltung zu verschaffen.

Ob die Furcht vor Verfolgung im Heimatstaat im Sinne des Art. 2 c RL begründet ist, ist unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 4 Abs. 3 RL individuell zu prüfen und richtet sich materiell-rechtlich nach den in Art. 4 bis 10 RL vorgegebenen objektiven Kriterien.

Nach Art. 4 Abs. 4 RL ist die Tatsache, dass der Schutzsuchende in seiner Heimat bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründen sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Im Zusammenspiel mit Art. 8 Abs. 1 RL, der die Notwendigkeit internationalen Schutzes im Falle einer inländischen Fluchtalternative entfallen lässt, entspricht dies der bisherigen bundesdeutschen Rechtsprechung, wonach einem Schutzsuchenden, der seine Heimat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender Verfolgung verlassen hat, ein Schutzanspruch zusteht, wenn ihm ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates unzumutbar war und die fluchtbegründenden Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung ohne wesentliche Änderungen fortbestehen oder mit ihrem Wiederaufleben zu rechnen ist, so dass an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ernsthafte Zweifel bestehen. (BVerwG, Urteil vom 3.12.1985 - 9 C 22.85 -, NVwZ 1986, 760,761)

Wer hingegen unverfolgt ausgereist ist, kann die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL nicht für sich in Anspruch nehmen. Er muss - so auch die bisherige Rechtsprechung - glaubhaft machen, dass beachtliche Nachfluchttatbestände gegeben sind, was bedeutet, dass ihm bei Rückkehr in seinen Heimatstaat die Gefahr der Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. (BVerwG, Urteil vom 20.3.2007 - 1 C 21/06 -, amtl. Abdr. S. 15) Dies ist anzunehmen, wenn bei zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die insofern erforderliche Zukunftsprognose muss auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abstellen und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein. (BVerfG, Beschlüsse vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 345 f. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 3.12.1985, a.a.O., S. 760 f.)

Zentrale Bedeutung kommt im Rahmen der asylrechtlichen Prüfung seit dem Verbindlichwerden der Richtlinie 2004/83/EG dem in Art. 9 Abs. 1 und 2 RL umschriebenen Begriff der Verfolgungshandlungen sowie den in Art. 10 RL aufgelisteten Verfolgungsgründen und schließlich dem Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 c RL zu, wonach eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 RL genannten Gründen und den in Art. 9 Abs. 1 RL als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen muss.

Angesichts des durch Art. 9 und Art. 10 RL vorgegebenen Prüfungsrasters ist nicht auszuschließen, dass verschiedene durch die deutsche höchstrichterliche Asylrechtsprechung entwickelte Grundsätze der Hinterfragung auf ihre Vereinbarkeit mit den europarechtlichen Vorgaben bedürfen, sofern die jeweiligen Grundsätze fallbezogen entscheidungsrelevant sind. So spricht die in Art. 9 und Art. 10 RL zum Ausdruck kommende Systematik dafür, dass das Vorliegen beziehungsweise Nichtvorliegen einer Verfolgungshandlung anhand der Kriterien des Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 RL zu prüfen ist, ohne dass in diesem Zusammenhang der eventuelle Verfolgungsgrund eine Rolle spielt. Ob ein Verfolgungsgrund zu bejahen ist, ist in einem eigenen Prüfungsschritt zu ermitteln und beurteilt sich nach den Vorgaben des Art. 10 RL. Sodann ist gemäß Art. 9 Abs. 3 RL erforderlichenfalls festzustellen, ob die Verfolgungshandlung dem Schutzsuchenden wegen des bejahten Verfolgungsgrundes droht. Diese Systematik wirft die Frage auf, ob die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung, die differenziert zwischen politisch-motivierten Eingriffen in die Schutzgüter Leib, Leben oder persönliche Freiheit, die stets als Verfolgung anerkannt wurden, und Beeinträchtigungen sonstiger Rechtsgüter wie der freien Religionsausübung oder der ungehinderten beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung, die den Flüchtlingsstatus bisher nur begründen konnten, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben, richtlinienkonform ist. (BVerwG, Urteil vom 24.3.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 f. und Beschluss vom 3.4.1995 - 9 B 758/94 -, NVwZ-RR 1995, 607) Angesichts der Regelung des Art. 9 Abs. 1 b RL, der unter bestimmten Voraussetzungen eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen als Verfolgungshandlung definiert, ohne zu fordern, dass jeweils dasselbe Schutzgut durch die verschiedenen Maßnahmen betroffen wird, stellt sich die weitere Frage, ob die bisherige deutsche Rechtsprechung, nach der mehrere Eingriffe, von denen jeder seiner Intensität nach allein nicht als Verfolgung zu qualifizieren ist, auch nicht als ein „insgesamt“ die erforderliche Intensität erreichendes Verfolgungsgeschehen angesehen werden können, wenn die Eingriffe sich gegen unterschiedliche Schutzgüter richten, (BVerwG, Beschluss vom 3.4.1995, a.a.O.) mit den europarechtlichen Vorgaben der genannten Vorschrift zu vereinbaren ist.

Diese Fragen bedürfen allerdings in vorliegend relevantem Zusammenhang keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung, da das Begehren des Klägers gemessen an den Vorgaben des Art. 10 Abs. 1 b RL daran scheitert, dass sein durch die im Bundesgebiet erfolgte Taufe zum evangelischen Christ vollzogener Glaubenswechsel ihm unter den konkreten Gegebenheiten mangels religiös-motivierter Entscheidung für das Christentum nicht die Möglichkeit eröffnet, sich auf den Verfolgungsgrund der Religion zu berufen.

Art. 10 RL definiert die Verfolgungsgründe, indem er die in Art. 2 c RL abschließend aufgeführten Verfolgungsgründe aufgreift, und hinsichtlich jedes einzelnen Verfolgungsgrundes vorgibt, was die Mitgliedstaaten bei der jeweiligen Prüfung in materiell-rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen haben.

Im vorliegenden Zusammenhang ist Art. 10 Abs. 1 b RL maßgeblich. Nach dieser Vorschrift umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dabei sind unter religiösen Riten die in einer Religionsgemeinschaft üblichen oder geregelten Praktiken oder Rituale zu verstehen, die der religiösen Lebensführung dienen, insbesondere Gottesdienste, kulturelle Handlungen und religiöse Feste. (VG Düsseldorf, Urteil vom 8.2.2007 - 9 K 2278/06.A -, juris)

Unter Einbeziehung dieser Definition ist die in Art. 2 c RL als Merkmal eines Flüchtlings aufgeführte begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion tatbestandlich gegeben, wenn der Schutzsuchende wegen seiner theistischen, nichttheistischen oder atheistischen Glaubensüberzeugung oder wegen der alleinigen oder gemeinschaftlichen Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich oder wegen sonstiger religiöser Betätigungen beziehungsweise Meinungsäußerungen oder wegen eigener oder gemeinschaftlicher Verhaltensweisen, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind, befürchten muss, in seiner Heimat von Verfolgungshandlungen betroffen zu werden.

Das Verständnis des durch Art. 10 Abs. 1 b RL gewährleisteten Schutzes muss sich am Normalfall eines Schutzsuchenden orientieren, der die Religion der Religionsgemeinschaft, in die er hineingeboren ist, in der Heimat ausüben will, weswegen zunächst festzustellen ist, welche religiösen Betätigungen grundsätzlich vom Schutzbereich umfasst werden und welchen Schranken die Religionsausübung gegebenenfalls unterliegt. In einem zweiten Schritt ist der Sonderfall des Konvertiten in den Blick zu nehmen und zu klären, ob insoweit Besonderheiten gelten. Vermengt man diese beiden Fragen, so läuft man Gefahr, den Schutzbereich religiöser Betätigung aus dem Bestreben, der Gefahr nur formal erfolgender Glaubensübertritte entgegen zu wirken, im allgemeinen zu eng zu umgrenzen.

Art. 10 Abs. 1 b RL bietet dem Einzelnen sehr weitgehenden Schutz, indem er sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jegliche religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf. Unter das geschützte Verhalten fällt auch der Glaubenswechsel, wobei dahinstehen kann, ob man diesen als sonstige religiöse Betätigung oder Verhaltensweise eines Einzelnen, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützt, begreift oder ob man - wie dies der Kläger und die Beklagte in der mündlichen Verhandlung befürwortet haben - den Glaubenswechsel als geschützt ansieht, weil Art. 10 Abs. 1 b RL sowohl theistische wie auch nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen erfasst. Auch unter letzterer Prämisse muss der Glaubenswechsel seinen Grund in einer wie auch immer gearteten Glaubensüberzeugung finden (vgl. hierzu S. 24 des Urteils).

Nach Art. 10 Abs. 1 b RL umfasst der Begriff der Religion auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen. Die Vorschrift geht damit ihrem Wortlaut nach über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen Rechtsprechung unter dem Stichwort des religiösen Existenzminimums zuerkannt wurde. (BVerfG, Beschluss vom 1.7.1987 - 2 BvR 478, 962/86 -, BVerfGE 76, 143, 158 ff.; BVerwG, Ur- teil vom 20.1.2004 - 1 C 9/03 - , BVerwGE 120, 16 ff. = NVwZ 2004, 1000 ff. = InfAuslR 2004, 319 ff.) Dafür, dass der europäische Richtliniengeber die religiöse Betätigung im öffentlichen Bereich auch inhaltlich als geschützt verstanden wissen will, spricht die Betrachtung der historischen Wurzeln der Vorschrift.

Bereits im Minderheitenschutzabkommen des Völkerbundes findet sich ein Vorläufer, der die rechtliche Verpflichtung enthielt, die freie Religionsausübung im öffentlichen und privaten Bereich zu gewährleisten. (Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung, Erläuterungen zur Richtlinie 2004/83/EG, 13. Ak-tualisierungslieferung November 2006, § 17 Rdnr. 7) Ebenso schützt Art. 18 des Internationalen Paktes vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte - IpbpR -, der durch Bundesgesetz vom 15.11.1973 (BGBl. II, S. 1533) in innerstaatliches Recht transformiert wurde, die private und die öffentliche Glaubenspraxis. Nach Art. 18 Abs. 1 IPbpR umfasst das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder eine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. Aus völkerrechtlicher Sicht ist daher festzustellen, dass das Recht auf private und öffentliche Religionsausübung als fundamentales Menschenrecht allgemein anerkannt ist. (vgl. auch Art. 1 der Erklärung Nr. 36/55 der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion und der Überzeugung vom 25.11.1981)

Europarechtlich wird die Ausübung der Religionsfreiheit auch in der Öffentlichkeit bereits durch Art. 9 EMRK gewährleistet. Geschützt ist hiernach die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.

Art. 10 Abs. 1 b RL ist die konsequente Fortschreibung dieser Garantien bezogen auf den (Mindest-)Schutz, der Flüchtlingen seitens der Mitgliedstaaten zu gewähren ist. Angesichts des weiten Schutzbereichs der Vorschrift, die selbst keine Schranken vorgibt, liegt es nahe, die Schranken des Art. 18 IPbpR beziehungsweise des Art. 9 EMRK als immanente Schranken zu begreifen. Sowohl Art. 18 IPbpR wie auch Art. 9 EMRK differenzieren zwischen der Uneinschränkbarkeit der Freiheit, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und der an bestimmte Voraussetzungen gebundenen Einschränkbarkeit der freien Religionsausübung und bieten auch im Flüchtlingsrecht eine angemessene Handhabe zur Abschichtung zulässiger Einschränkungen der in Art. 10 Abs. 1 b RL definierten Religionsfreiheit. Dies bedeutet, dass die Freiheit eines Asylbewerbers, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, nicht beschränkbar ist, während die Freiheit, seine Religion im privaten wie im öffentlichen Bereich zu bekennen beziehungsweise zu bekunden, den immanenten Schranken unterliegt, die in Art. 18 Abs. 3 IPbpR beziehungsweise Art. 9 Abs. 2 EMRK Ausdruck gefunden haben. Dementsprechend darf die religiöse Betätigung Einzelner oder der Gemeinschaft nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, der Gesundheit, der Sittlichkeit (Moral) und der Rechte und Freiheiten anderer verboten oder reglementiert werden. Dabei ist - wie auch in Art. 18 Abs. 3 IPbpR und Art. 9 Abs. 2 EMRK vorgeschrieben - zu fordern, dass das Gesetz, das verbietet oder reglementiert beziehungsweise aufgrund dessen verboten oder reglementiert wird, allgemeiner Natur ist, d.h. es muss für alle Staatsbürger - egal welcher religiösen Ausrichtung sie angehören - gleichmäßig Geltung entfalten, darf daher nicht auf bestimmte religiöse Gruppen zielen und ausschließlich für diese Einschränkungen vorsehen. Gemessen hieran sind beispielsweise Meldepflichten oder Sicherheitsauflagen für die Veranstaltung einer Prozession ebenso unbedenklich wie Vorschriften über Impfpflichten oder das Verbot religiöser Bräuche oder Riten, die die Sittlichkeit verletzen oder die Gesundheit der Teilnehmer gefährden. (Marx, a.a.O., § 17 Rdnr. 25)

Festzuhalten bleibt damit zunächst, dass das Recht des Einzelnen, seinen Glauben aus innerer Überzeugung zu wechseln, keinen Einschränkungen unterliegt, d.h. die Mitgliedstaaten haben die Entscheidung des Einzelnen, aus religiöser Überzeugung einen anderen Glauben anzunehmen, zu respektieren und ihm - wenn dies die Verhältnisse im Heimatstaat erforderlich machen - nach Maßgabe der Richtlinie Schutz zu gewähren. Hinsichtlich des Rechts eines Gläubigen auf Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich gilt auch im Flüchtlingsrecht, dass Beschränkungen nur nach Maßgabe der aufgezeigten der Religionsfreiheit immanenten Schranken durch allgemeine Gesetze zulässig sind.

Gesetze oder religiöse Vorschriften beziehungsweise die behördlichen Praktiken des Heimatstaates zu ihrer Umsetzung, die die aufgezeigten Grenzen nicht respektieren, sind an Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 RL zu messen. Als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 a oder b RL sind sie zu qualifizieren, wenn sie allein oder in Kumulierung mit anderen Maßnahmen eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte bewirken. Hat der Asylbewerber eine schwer menschenrechtswidrige Behandlung in seiner Heimat bereits erfahren oder droht ihm eine solche für den Fall seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, so bedarf es gemäß Art. 9 Abs. 3, Art. 2 c RL der Feststellung, ob diese Behandlung wegen der in Art. 10 Abs. 1 b RL definierten Religion des Asylbewerbers erfolgt ist oder droht. Bejahendenfalls ist ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Fehlt es hingegen an einer Verknüpfung mit einem in Art. 10 Abs. 1 RL aufgeführten Verfolgungsgrund, so sind die Voraussetzungen eines Anspruchs auf subsidiären Schutz nach Maßgabe des Art. 18 in Verbindung mit Art. 15 RL zu prüfen. (Marx, a.a.O., Teil 2, Subsidiärer Schutz, I.4)

Die den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 b RL enger fassende Auslegung des Beteiligten überzeugt nicht. Er meint, der die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 b RL abschließende Relativsatz „die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind“ beziehe sich auf alle aufgeführten Fallgruppen und schränke den Verfolgungsgrund der „Religion“ dahingehend ein, dass nicht jedwede Form der - zum Beispiel öffentlichen - Glaubensbetätigung, sondern nur die aus religiöser Sicht glaubensprägenden beziehungsweise unverzichtbar gebotenen Verhaltensweisen geschützt werden. Dem kann nicht gefolgt werden. Art. 10 Abs. 1 b RL schützt ausdrücklich etwa auch die Nichtteilnahme an religiösen Riten, also die Entscheidung des Einzelnen, sich religiöser Betätigungen zu enthalten, indem er Dinge, die die Religion als Verhaltensweise zu bestimmten Anlässen vorgibt, gerade nicht tut. Dies zeigt, dass die seitens des Beteiligten vorgeschlagene einschränkende Auslegung, die Vorschrift schütze nur die aus religiöser Sicht glaubensprägenden beziehungsweise unverzichtbar gebotenen Verhaltensweisen, nicht richtlinienkonform sein kann. Dass der Beteiligte zur Stützung seiner Auffassung auf den derzeitigen Stand des laufenden Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der Richtlinie verweist, ändert nichts daran, dass der Gesetzgeber durch die Vorgaben der Richtlinie gebunden ist und diesen nur gerecht werden wird, wenn er sie vollständig umsetzt.

Soweit erkennbar ist das Sächsische Oberverwaltungsgericht bisher das einzige Obergericht, das nach Verbindlichwerden der Richtlinie 2004/83/EG über die Verfolgungsgefährdung konvertierter Christen im Iran entschieden hat. (Sächsisches OVG, Urteile vom 27.3.2007 - A 2 B 38/06 - und vom 24.4.2007 - A 2 B 832/05 -, beide nicht veröffentlicht) Es nimmt ebenfalls an, dass der Wortlaut des Art. 10 Abs. 1 b RL auf einen weit gefassten Schutzbereich schließen lasse, und meint, im Ergebnis gingen Art. 9 und Art. 10 Abs. 1 b RL über die bisherige, nur das religiöse Existenzminimum sicherstellende Rechtsprechung hinaus, da unter der Geltung der Richtlinie grundsätzlich auch der Schutz des „forum externum“ in Betracht komme. Die weitere Argumentation, wonach wegen der in Art. 9 Abs. 3 RL vorgesehenen Verknüpfung zu fordern sei, dass sich der Eingriff in die Religionsausübung als mit der Wahrung der Menschenwürde unvereinbar darstelle, überzeugt hingegen nicht uneingeschränkt, da der Verfolgungsgrund der Religion in die Prüfung des Vorliegens einer Verfolgungshandlung einbezogen wird. Die erste sich hieran anschließende Feststellung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass ein - flüchtlingsrechtsrelevanter - Eingriff in die Religionsausübung vorliege, wenn die Religionsausübung mit Sanktionen verbunden ist, die bereits selbst den Charakter einer Verfolgungshandlung aufweisen, spiegelt den Verordnungstext wider und ist daher zweifelsohne zutreffend. Allerdings folgt dieser Feststellung keine Prüfung, ob einem Konvertiten im Iran Sanktionen drohen, die im Sinne des Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 RL als Verfolgungshandlung zu bewerten sind. Dies, obwohl sich nach der Auskunftslage beispielsweise die Frage aufdrängt, ob die Verfahrensweise, einen etwa wegen Gottesdienstbesuchen auffällig gewordenen Konvertiten mit Hilfe konstruierter Vorwürfe vor Gericht zu stellen, um ihn so einer Bestrafung für den Abfall vom islamischen Glauben zuzuführen, den Charakter einer Verfolgungshandlung aufweist. Einen Menschen zur Ahndung erfundener Straftaten der Justiz auszuliefern, um ihn aus religiösen Gründen zu bestrafen beziehungsweise ihn zumindest gefügig zu machen, beinhaltet eine bereits als solche diskriminierende polizeiliche Maßnahme im Sinne des Art. 9 Abs. 2 b RL, die es nahe legt, eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte anzunehmen, zumal die Vernehmungsmethoden und Bedingungen einer etwaigen Haft im Iran dem internationalen Standard bei weitem nicht genügen, weil körperliche und/oder psychische Übergriffe nie auszuschließen sind. (Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 5, 6, 15, 23, 35) Noch problematischer erscheint die weitere Feststellung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, die bloße Unterbindung bestimmter Formen der religiösen Betätigung könne eine Verfolgungshandlung (nur) darstellen, wenn unabdingbare Elemente des religiösen Selbstverständnisses des Betroffenen in Rede stünden. Dass diese Einschränkung des nach der Richtlinie zu gewährenden Schutzes durch Art. 9 Abs. 3 RL vorgegeben wird, ist aus der Sicht des Senats zu verneinen, wobei die Frage aber im vorliegenden Zusammenhang mangels Entscheidungsrelevanz keiner Vertiefung bedarf.

Das seitens des Beteiligten in Bezug genommene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.1.2004 (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.1.2004 - 1 C 9/03 -, a.a.O.) spricht ebenfalls nicht gegen die hier vertretene Auslegung des Art. 10 Abs. 1 b RL. Das die langjährige bundesdeutsche Rechtsprechung fortführende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erging vor Erlass der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004 und konnte deren Vorgaben daher naturgemäß nicht berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht hielt damals Feststellungen für erforderlich, ob die Teilnahme an Gottesdiensten gemeinsam mit anderen Christen, insbesondere anderen Apostaten, abseits der Öffentlichkeit nach dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche, der der Kläger jenes Verfahrens angehörte, unter den besonderen Bedingungen der Diaspora in einem Land wie dem Iran zum schlechthin unverzichtbaren Bestandteil des religiösen Lebens gehöre. Des Weiteren seien Feststellungen zu treffen, ob jener Kläger durch die Beschränkung von derartigen Gottesdienstbesuchen selbst in seiner religiös-personalen Identität betroffen ist, da das religiöse Existenzminimum für jeden Gläubigen je nach dem Grad seiner praktizierten religiösen Betätigung unterschiedlich zu bestimmen und daher zu prüfen sei, ob der Besuch von Gottesdiensten abseits der Öffentlichkeit gerade für jenen Kläger selbst unverzichtbar sei.

Diese Rechtsprechung ist nach Verbindlichwerden der Richtlinie 2004/83/EG in deren Licht zu sehen. Dabei ist auch nach Auffassung des Senats davon auszugehen, dass Art. 10 Abs. 1 b RL nur religiöse Verhaltensweisen im öffentlichen Bereich schützt, die der Religion des Schutzsuchenden entsprechen. Zutreffend hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes kürzlich hinsichtlich eines irakischen Schutzsuchenden yezidischer Religionszugehörigkeit darauf abgestellt, dass nach der yezidischen Religion keine religiösen Riten vor den Augen Ungläubiger praktiziert werden dürfen. Da die yezidische Religion die Vornahme religiöser Riten vor den Augen der moslemischen Öffentlichkeit verbiete, sei hinsichtlich dieser Religion ein genereller Konflikt zwischen einem Öffentlichkeitsanspruch der Religion und einer dieser feindlichen islamischen Öffentlichkeit ausgeschlossen. (OVG des Saarlandes, Beschluss vom 26.3.2007 - 3 A 30/07 -, juris) Demgegenüber steht hinsichtlich evangelischer Christen außer Frage, dass der Besuch öffentlicher Gottesdienste nach dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche unverzichtbarer Bestandteil des religiösen Lebens ist. Nach Verbindlichwerden der Richtlinie 2004/83/EG ist die weitere vom Bundesverwaltungsgericht formulierte Frage, ob dies auch in einem Land wie dem Iran gelte, nicht mehr erheblich. Der Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 b RL richtet sich gerade gegen staatliche Einschränkungen der Religionsfreiheit, was es verbietet, ihn nach dem zu bestimmen, was einzelne Staaten nach ihrer bisherigen Praxis an religiösen Freiheiten und damit an religiösem Selbstverständnis religiöser Minderheiten zugelassen haben. Die anschließend vom Bundesverwaltungsgericht angesprochene Frage, ob etwa die Teilnahme an Gottesdiensten für den Schutzsuchenden von unverzichtbarer Bedeutung sei, stellt sich demgegenüber nach wie vor. Nur wenn ein Schutzsuchender seinen Glauben aufgrund seiner religiösen Überzeugung in der Heimat auch praktizieren will, kann er in flüchtlingsrechtsrelevante Schwierigkeiten mit staatlichen Behörden, die ihm dies verbieten wollen, geraten. Allerdings wird man einem Schutzsuchenden, der sozusagen von Geburt an einer bestimmten Religionsgemeinschaft angehört, nicht ohne konkrete Anhaltspunkte im Einzelfall unterstellen können, dass er seinen Glauben in der Heimat nicht praktizieren will, weswegen die angesprochene, vom Bundesverwaltungsgericht aufgeworfene Frage sich insbesondere stellt, wenn der Schutz des Art. 10 Abs. 1 b RL von einem Konvertiten beansprucht wird.

Wie bereits ausgeführt erkennt Art. 10 Abs. 1 b RL dem Einzelnen auch das Recht zu, sich aus religiöser Überzeugung/aus Glaubensüberzeugung für eine andere als die bisherige Religion zu entscheiden und sich zu der angenommenen Religion zu bekennen. Die Garantien des Art. 10 Abs. 1 b RL - etwa das Recht auf Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich - gelten für Konvertiten, die ihren Glauben aus religiöser Überzeugung gewechselt haben, in gleichem Umfang wie für Gläubige, die ihre praktisch durch Geburt erworbene Religion beibehalten. Voraussetzung des Schutzes der Ausübung der „neuen“ Religion ist nach der Konzeption des Art. 10 Abs. 1 b RL allein, dass der Glaubenswechsel aufgrund religiöser Überzeugung/aus Glaubensüberzeugung erfolgt ist.

Damit bedarf es im Falle einer Konversion einer eingehenden Prüfung, ob der Konvertit seinen Glauben nicht nur - etwa aus auf ein Bleiberecht bezogenen taktischen Gründen - durch einen bloß formalen Akt, sondern aus religiöser Überzeugung gewechselt hat und durch den neuen Glauben in seiner religiösen Identität geprägt wird. Ist letzteres der Fall, kommt ihm der Schutz des Art. 10 Abs. 1 b RL in vollem Umfang zugute. Drohen ihm in der Heimat Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 RL, wenn er dort durch Art. 10 Abs. 1 b RL geschützte Verhaltensweisen praktiziert, so ist ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Ob einem zum Christentum konvertierten Moslem im Iran Verfolgungshandlungen drohen, beurteilt sich nach den sich in der aktuellen Auskunftslage widerspiegelnden Verhältnissen vor Ort.

Zur allgemeinen Lage der Christen im zu 99 % muslimisch bevölkerten Iran ist festzustellen, dass die iranische Verfassung den Islam und die schiitische Glaubensschule als Staatsreligion bestimmt (Art. 12) und die Zoroastrier, die Juden und die Christen als staatlich anerkannte religiöse Minderheiten benennt (Art. 13), wobei den Angehörigen dieser Religionsgemeinschaften als Nichtmuslimen der Zugang zu Ämtern in der iranischen Exekutive, dem Richteramt sowie höheren Offiziersrängen in der iranischen Armee verwehrt ist. Anstellungen in der Verwaltung sind selten und werden zumeist niedriger entlohnt als bei Muslimen. Vertreter anerkannter religiöser Minderheiten können nicht regulär ins Parlament gewählt werden, sondern haben nur die Möglichkeit, sich für einen der insgesamt fünf jeweils für spezielle Religionsgemeinschaften reservierten Sitze zu bewerben. In religiöser Hinsicht wird den anerkannten religiösen Minderheiten innerhalb des gesetzlichen Rahmens das Recht zugestanden, ihre jeweiligen religiösen Gebräuche zu pflegen und sich in persönlichen und glaubensspezifischen Belangen gemäß ihrer religiösen Vorschriften zu verhalten. Die alteingesessenen christlichen Nationalkirchen Irans, insbesondere die armenisch-orthodoxe Kirche, die assyrische Kirche und die chaldäischen Katholiken sind staatlicherseits anerkannte Religionsgemeinschaften; ihre Mitglieder unterscheiden sich nicht nur von ihrer religiösen, sondern auch von ihrer ethnischen Herkunft her von der weit überwiegend muslimischen Bevölkerung Irans. Ihnen ist es solange unbenommen, ihre Religion - etwa durch den Besuch von Gottesdiensten und die Teilnahme an sonstigen religiösen Riten - zu praktizieren, wie sie grundlegende Prinzipien der islamischen Gesellschaft, etwa die strengen Vorschriften über die zu tragende Bekleidung, beachten und sich jeglicher auf die muslimische Bevölkerung zielenden Missionierungstätigkeit enthalten. Die christliche Mission ist im Iran verboten, was seitens der traditionellen christlichen Kirchen respektiert wird. Der iranische Staat versteht jegliche Missionsversuche als Angriff auf die Staatssicherheit, da der Islam für die muslimische Bevölkerung nicht nur religiöse Bedeutung hat, sondern gleichzeitig die staatstragende Religion ist. Der Islam kennt keine legale Möglichkeit, vom Islam zum Christentum überzutreten. Ein Konvertit bleibt daher aus islamischer Sicht weiterhin Muslim, der sich allerdings religionsschädlich verhält, indem er eine andere - aus islamischer Sicht nicht religiöse - Gruppe unterstützt und sich dadurch dem Verdacht aussetzt, das auf muslimischer Grundlage etablierte Mullah-Regime schwächen zu wollen. Die Konversion zum Christentum begründet in der muslimisch-iranischen Öffentlichkeit den Verdacht einer regimekritischen Haltung. Es kommt vor, dass auch nicht missionierende zum Christentum konvertierte Iraner wirtschaftlich, etwa bei der Arbeitssuche, oder gesellschaftlich bis hin zur Ausgrenzung benachteiligt werden. Der Abfall vom Islam (Apostasie) ist nach islamisch-religiösem Recht mit der Todesstrafe bedroht. Obwohl das kodifizierte iranische Strafrecht die Todesstrafe im Fall der Apostasie nicht vorsieht, erging wegen dieses Vorwurfs zuletzt im November 2002 ein - später in eine Haftstrafe umgewandeltes - Todesurteil. Fälle einer Vollstreckung der Todesstrafe wegen Apostasie wurden in den letzten Jahren nicht mehr aktenkundig. Bei Bekanntwerden der Konversion tritt neben die Gefahr staatlicher Repressionen die Möglichkeit einer Verfolgung durch fanatische Muslime, da Konvertiten gemäß islamischem Recht von allen Muslimen getötet werden dürfen. Die christlichen Kirchen werden staatlicherseits dazu angehalten, muslimischen Interessenten Zugang zu ihren religiösen Veranstaltungen zu verweigern und Versuche muslimischer Personen, mit ihren Gemeinden in Kontakt zu treten, zurückzuweisen. Da die Konversion zum Christentum im Iran seit jeher ein Tabu und auch aus christlicher Sicht sehr ungewöhnlich ist, stößt ein Konvertit bei den traditionellen christlichen Kirchen Irans auf starke Vorbehalte und setzt sich dem Verdacht aus, ein Spitzel zu sein. Ein Konvertit kann vor diesem Hintergrund nicht erwarten, als neues Gemeindemitglied anerkannt und aufgenommen zu werden. (Deutsches Orient-Institut, Stellungnahmen vom 6.9.2004 - 531 i/br - und vom 6.12.2004 – 585 i/br -; SFH, Christen und Christinnen im Iran, Themenpapier vom 18.10.2005, S. 4 f., 7 -11; SFH, Iran-Reformen und Repression, Update der Entwicklungen seit Juni 2001, vom 20.1.2004, S. 11 f.; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 21.9.2006 - 508-516.80/3 IRN -, S. 6, 15, 20 f., 23, 33 f.) Anders als die traditionellen christlichen Kirchen Irans betreiben einige, zu neueren christlichen Strömungen zu zählende protestantisch-evangelische Glaubensgemeinschaften mit westlicher Unterstützung insbesondere der protestantischen Kirche beziehungsweise (frei-)kirch-lich-evangelischer Gruppierungen im Iran auch Missionsarbeit und zeigen sich bereit, muslimische Konvertiten in ihre Kirchengemeinde aufzunehmen. Folge sind häufige Schwierigkeiten mit den iranischen Behörden, von denen sie überwacht werden, wobei sie mit harten Sanktionen rechnen müssen. Immer wieder sind in der Vergangenheit missionarisch tätig gewesene Priester dieser Religionsgemeinschaften verschwunden und oftmals später tot aufgefunden worden. Nach Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe werden Konvertiten, deren Übertritt den iranischen Behörden bekannt wird, zunächst zum Informationsministerium zitiert, wo sie scharf verwarnt werden. Sollten sie weiter in der Öffentlichkeit auffallen, etwa durch Besuche von Gottesdiensten oder Missionsaktivitäten, müssen sie damit rechnen, mit Hilfe konstruierter Vorwürfe wie Spionage oder Aktivitäten in einer illegalen Gruppe vor Gericht gestellt zu werden. Unbehelligt blieben Konvertiten im Iran, solange es ihnen gelinge, ihren Glauben - etwa in einer der ca. 100 christlichen Hausgemeinschaften - unbemerkt von den iranischen Behörden beziehungsweise von Familienangehörigen, Nachbarn und Bekannten auszuüben. Gerade fanatische muslimische Familienangehörige seien ein Risikofaktor, da sie den Übertritt als Hochverrat, Staatsverrat beziehungsweise Abfall von der eigenen Sippe und dem eigenen Stamm sähen und es daher häufig zu Anzeigen an die iranischen Sicherheitsbehörden komme, die schwere körperliche Misshandlungen und unter Umständen längere Verhaftungen zur Folge haben könnten. (SFH, Christen und Christinnen im Iran, a.a.O., S. 11 - 18)

Die vor dem Hintergrund dieser tatsächlichen Gegebenheiten zu klärende Frage, ob der Kläger glaubhaft gemacht hat, seine Heimat im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL wegen unmittelbar drohender Verfolgung verlassen zu haben oder - verneinendenfalls - ob er infolge der zwischenzeitlichen Konversion zum Christentum im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu befürchten hat, ist zu verneinen.

Der Kläger hat seine Heimat unverfolgt verlassen.

Er hat nicht glaubhaft gemacht, auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender Verfolgung aus dem Iran ausgereist zu sein. Wie bereits das Verwaltungsgericht festgestellt hat, weist sein diesbezügliches Vorbringen eine Vielzahl von Ungereimtheiten, Widersprüchlichkeiten und auch Steigerungen des Sachvortrags auf und ist daher nicht zur Vermittlung der notwendigen Überzeugungsgewissheit betreffend das Bestehen begründeter Verfolgungsfurcht geeignet. Anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger sein angebliches Verfolgungsschicksal in verschiedenen Punkten erneut umgestaltet, was seine Bekundungen zu den Geschehnissen in seiner Heimat vollends unglaubhaft macht.

So behauptet er nun erstmals, das Geld für die Ausreise stamme nicht von seinem Vater (so aber Anhörungsprotokoll vom 12.9.2002, S. 5 und 6), sondern aus eigenen Ersparnissen, die er sich als Inhaber einer eigenen - neben dem Studium betriebenen - Kleiderfirma erwirtschaftet haben will, sowie dass er von Urumijee aus nur mit seinem jüngeren Bruder, nicht mit seinem Vater (so aber Anhörungsprotokoll vom 12.9.2002, S. 4), telefonischen Kontakt gehabt habe. Soweit der Kläger auf entsprechenden Vorhalt durch den Senat gemeint hat, es müsse sich um einen Übersetzungsfehler handeln, überzeugt dies nicht. So hat er gegenüber der Beklagten mehrfach zu Protokoll (S. 5 und 6) erklärt, sein Vater habe die Ausreise finanziert; von einer eigenen selbständigen Tätigkeit war bisher auch nicht ansatzweise die Rede. Der Grund für seine nunmehrige völlig neue Darstellung dürfte vielmehr darin liegen, dass das Verwaltungsgericht ihm das angebliche Verhalten des Vaters - einerseits Anzeige bei der Staatssicherheit und Hängenlassen der Kreuze als Beweis gegen den Kläger und andererseits Finanzierung der Ausreise und Aufrechterhaltung telefonischen Kontakts, um den Kläger jeweils über den aktuellen Stand der Dinge zu informieren - als nicht nachvollziehbar und daher unglaubhaft vorgehalten hat.

Neu ist auch die Darstellung des Klägers, er sei nicht, wie anlässlich seiner Anhörung durch die Beklagte behauptet, im Februar 2002 und nicht, wie vor dem Verwaltungsgericht angegeben, Ende 2001, sondern erst während seines Aufenthalts in Urumijee exmatrikuliert worden. Ebenfalls neu ist die Behauptung, er sei nach Urumijee geflohen, nachdem er an der Universität mündlich aufgefordert worden sei, bei der ideologischen - der staatlichen Schutzbehörde unterstehenden - Stelle der Universität zu erscheinen, und ein dort tätiger Freund ihm deshalb geraten habe, besser zu fliehen. Die schriftliche Vorladung sei erst zu Hause eingegangen, als er bereits in Urumijee gewesen sei. Vor der Beklagten und dem Verwaltungsgericht hatte der Kläger demgegenüber noch bekundet, sich nach Erhalt der ersten schriftlichen Ladung direkt (Anhörung durch die Beklagte) beziehungsweise nach einigen Tagen (Anhörung durch das Verwaltungsgericht) nach Urumijee begeben zu haben.

Schließlich gab er anlässlich seiner nunmehrigen Anhörung hinsichtlich seiner angeblichen Kirchenbesuche im Iran als Adresse der armenischen Kirche, die er des Öfteren aufgesucht haben will, eine andere (Baharistanstraße) als gegenüber der Beklagten (Schunsde Metrie 2 in der 9. Straße Hausnummer 23) an. Auch behauptet er nun, anlässlich der Kirchenbesuche das Gefühl gehabt zu haben, dass die Armenier ihn eher positiv aufgenommen hätten, während er früher bekundet hatte, die armenischen Gemeindemitglieder seien sehr zurückhaltend gewesen, weil es verschiedene Vorfälle, auch Todesfälle, gegeben habe; sie hätten nicht so gerne gewollt, dass er und seine Freunde mit in der Kirche sitzen.

Insgesamt bekräftigen die Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung den schon im Vorfeld nach der Aktenlage naheliegenden Eindruck, dass der Kläger sich immer wieder in neue Widersprüche und Ungereimtheiten verstrickt, weil er kein selbst erlebtes, sondern ein zur Zeit der Einreise vor ca. viereinhalb Jahren frei erfundenes Geschehen schildert.

Demnach ist davon auszugehen, dass der Kläger den Iran unverfolgt verlassen hat, weswegen ihm hinsichtlich der Frage, ob er im Falle seiner Rückkehr wegen der zwischenzeitlichen Entwicklung trotzdem gefährdet wäre, die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL nicht zugute kommt.

Ein Anspruch aus § 60 Abs. 1 AufenthG setzt daher voraus, dass bei zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Sachverhalts die im Falle der Rückkehr für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und daher gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen, der Kläger also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu befürchten hat. Dies ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht der Fall.

Die im Bundesgebiet erfolgte Konversion des Klägers zum Christentum begründet unter den konkreten Gegebenheiten nicht die Annahme, dass ihm im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, wegen der Annahme des christlichen Glaubens Verfolgung seitens des iranischen Staates oder seitens nichtstaatlicher Akteure befürchten zu müssen.

Wie bereits ausgeführt, schützt Art. 10 Abs. 1 b RL unter anderem die Freiheit, einen anderen Glauben anzunehmen, sowie die Freiheit, den ursprünglichen oder den angenommenen Glauben durch Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich zu betätigen.

Der Umfang des durch Art. 10 Abs. 1 b RL im Falle der Annahme eines anderen Glaubens garantierten Schutzes hängt nach der Konzeption der Vorschrift nicht davon ab, ob der Glaubenswechsel im Heimatstaat oder im Ausland vollzogen wurde. In beiden Konstellationen kann er eine Verfolgungsgefahr nur auslösen, wenn er dem Heimatstaat beziehungsweise nichtstaatlichen Akteuren in der Heimat bekannt wird und aus deren Sicht Anlass gibt, auf den Konvertiten einzuwirken. Lediglich im Rahmen der Prüfung, ob der Glaubenswechsel unter Berücksichtigung der landesspezifischen Gegebenheiten ein derartiges Verfolgungsinteresse zu begründen vermag, kann es eine Rolle spielen, wo der Wechsel vollzogen wurde, wobei diese Frage sich erst stellt, wenn feststeht, dass der seitens des Schutzsuchenden behauptete Glaubenswechsel durch Art. 10 Abs. 1 b RL geschützt wird.

Wie bereits ausgeführt löst ein Glaubenswechsel den Schutz des Art. 10 Abs. 1 b RL aus, wenn er aus religiöser Überzeugung erfolgt ist und den Schutzsuchenden in seiner religiösen Identität prägt.

Vorliegend hat der Kläger den Glaubenswechsel förmlich vollzogen, als er am 11.4.2004 in der evangelischen Kirche in B-Stadt getauft wurde. Ob dieser Wechsel zum Christentum für den Kläger auch eine Glaubenssache war, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Klägers unter Einbeziehung des Eindruckes, den er in der mündlichen Verhandlung vermittelt hat, zu überprüfen und vorliegend im Ergebnis zu verneinen.

Die Bekundungen des Klägers lassen zwar vermuten, dass er sich innerlich vom Islam abgewandt hat und diesen nicht mehr als „seine“ Religion empfindet. In diese Richtung deuten etwa seine Ausführungen zu den Inhalten der mit seinem Vater geführten Diskussionen und seine Bekundung, sich nach der Taufe „befreit“ gefühlt zu haben. Hinsichtlich seiner behaupteten kritischen Einstellung zu den Einflüssen des Islam auf die gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Verhältnisse im Iran ist der Kläger im Übrigen kein Einzelfall, da sich nach der Auskunftslage viele junge Iraner aus den gleichen Gründen wie der Kläger dem Islam entfremden. (Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 11.12.2003 - 494 i/br -)

Dem Vorbringen des Klägers ist allerdings nicht zu entnehmen, dass seine Entscheidung für eine Konversion zum Christentum eine religiöse Grundüberzeugung widerspiegelt. Die Gründe, aus denen er sich angeblich zum Christentum hingezogen fühlt und diese Religion als künftig für ihn maßgeblich gewählt haben will, sind weder anlässlich seiner Anhörung durch den Senat noch anlässlich der Anhörung durch die Beklagte (Bl. 5 des Anhörungsprotokolls vom 12.9.2002) noch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht (Bl. 3 des Sitzungsprotokolls vom 14.9.2005) deutlich geworden.

So antwortete der Kläger auf die Frage des Verwaltungsgerichts, warum er sich für den christlichen Glauben interessiere, dass er aus einer streng moslemischen Familie stamme. Alle seine Familienmitglieder seien Moslems, und zwar Schiiten. Ähnlich war seine Reaktion auf die im Rahmen der Anhörung durch die Beklagte gestellte Frage, was er an der christlichen Religion besser als an der islamischen finde. Damals beschrieb er, was ihn am Islam störe und betonte seinen Wunsch, dass die Religion frei sein solle. Im Rahmen seiner Anhörung durch den Senat hat er beteuert, er fühle sich seit seiner Taufe frei, da er keinen Pflichten mehr nachgehen müsse, die ihm nicht logisch erschienen. Nach diesen Bekundungen scheint der Kläger keine konkreten Vorstellungen von christlichen Glaubensinhalten zu haben. Zu den Auswirkungen des Religionswechsels auf seine Lebensführung befragt gab er an, an kirchlichen Feiertagen den Gottesdienst grundsätzlich und an Sonntagen, wenn er nicht zu arbeiten habe, zu besuchen. Er sei bei einer Kleiderreinigung beschäftigt und arbeite dort von montags bis donnerstags und manchmal auch samstags. Die Woche über gehe er - von eventuellen Feiertagen abgesehen - nicht zur Kirche. Der letzte Gottesdienstbesuch sei am Sonntag vor zwei Wochen gewesen. Diese Angaben lassen nicht erkennen, dass der Gottesdienstbesuch dem Kläger im täglichen Leben ein Bedürfnis ist beziehungsweise dass seine Lebensführung in sonstiger Weise durch christliche Glaubensinhalte verändert worden ist. All das, was der Kläger vor dem Senat zum Christentum vorbrachte, wurde ohne innere Anteilnahme und ohne Engagement, in weiten Teilen schleppend, gleichsam gleichgültig, wiedergegeben.

Sein Interesse für religiöse Dinge stellt sich auch im Übrigen als eher gering dar. Beispielsweise stimmen seine nunmehrigen Angaben zur Taufvorbereitung nicht mehr mit denjenigen in der von ihm vorgelegten pfarramtlichen Bescheinigung vom 8.12.2004 überein. Dort heißt es, der Kläger habe im Januar 2004 in der Pfarrei vorgesprochen, weil er nicht wie andere Iraner aus B-Stadt zum Taufunterricht und zur Taufe nach Hannover fahren, sondern in B-Stadt Taufunterricht nehmen wollte. Nach einem dreimonatigen Taufunterricht sei er in der evangelischen Kirche in B-Stadt getauft worden. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger demgegenüber an, einige Monate nach seiner Ankunft in B-Stadt habe er Kontakt mit der persisch-sprachigen Kirche in Bad Kreuznach aufgenommen, von dort Unterrichtsmaterial und Fragen dazu übersandt bekommen, sich mit diesen Materialien befasst und die Fragen beantwortet zurückgesandt. Die Taufe sei dann in B-Stadt erfolgt. Der Lebacher Pfarrer habe sich zuvor mehrfach mit ihm unterhalten und ihn zu seinem Wunsch, Christ zu werden, befragt. Ein Taufunterricht habe in B-Stadt nicht mehr stattgefunden. Aus Sicht des Senats deutet die von der selbst vorgelegten Bescheinigung doch in zentralen Punkten abweichende heutige Darstellung des Klägers darauf hin, dass die Umstände der Taufvorbereitung in seiner Erinnerung bereits verblasst sind, was nicht heißen soll, dass der Senat die Kontakte nach Bad Kreuznach nicht glaubt. Bedenklich ist vielmehr, dass der ihm pfarramtlich bescheinigte dreimonatige Taufunterricht in B-Stadt in der Erinnerung des Klägers nur als „einige Unterhaltungen mit dem Pfarrer“ haften geblieben ist, was nicht von intensivem Interesse für die christliche Sache zeugt.

Den gleichen Eindruck vermittelt der Versuch des Klägers, sich an seinen Taufspruch zu erinnern. Die Auswahl des Taufspruches ist für einen erst als Erwachsenen getauften evangelischen Christen ebenso wie die Auswahl eines Spruches für einen Konfirmanden eine ganz persönliche Angelegenheit, wobei der individuell gewählte Taufspruch auf der Taufurkunde wörtlich wiedergegeben wird, was seine religiöse Bedeutung für den Täufling widerspiegelt. Angesprochen auf seinen Taufspruch gab der Kläger an, sich an diesen zu erinnern und reihte sodann - nicht wörtlich, sondern ihrem Sinn nach - rudimentäre Auszüge aus dem Anfang des christlichen Glaubensbekenntnisses aneinander. Berücksichtigt man, dass auch das Glaubensbekenntnis im Rahmen der Erwachsenentaufe eine zentrale Rolle spielt, was äußerlich darin zum Ausdruck kommt, dass es ebenfalls textlicher Bestandteil der Taufurkunde ist, wird deutlich, dass die Erinnerung des Klägers an Inhalte des Taufunterrichts und die Taufe selbst bereits sehr verblasst ist.

Auf die Gründe angesprochen, aus denen er den in der Taufurkunde vermerkten zusätzlichen christlichen Vornamen „Josef“ gewählt hat, antwortete der Kläger, sein eigentlicher Vorname „“ deute auf einen arabischen Stamm hin. Damit wolle er nichts mehr zu tun haben. Warum er sich gerade für „Josef“ entschieden hatte, erläuterte er nicht. Dass er im Bekanntenkreis weiterhin „“ genannt werde, weil das so in seinen Papieren stünde, missfalle ihm zwar; er behauptet aber nicht, seine Bekannten gebeten zu haben, ihn mit dem neuen Vornamen zu rufen. Dass die Entscheidung für einen zusätzlichen christlichen Vornamen nicht nur ein formales Zeichen, sondern für den Kläger von religiöser Bedeutung war, lässt sich diesen Bekundungen nicht entnehmen.

Alles in allem konnte der Kläger nicht den Eindruck vermitteln, dass seine Entscheidung, sich evangelisch taufen zu lassen, religiös motiviert war. Der einzige christliche Wert, den er konkret benannte, war das Gebot der Nächstenliebe, was insofern nicht verwundert, als seine gegen den Islam gerichteten Äußerungen durchaus belegen, dass er durch eine humanitäre Grundeinstellung geprägt wird. Das Bekenntnis zur Nächstenliebe reicht allerdings als einziger konkreter Anknüpfungspunkt der Kenntnis christlichen Gedankengutes nicht zur Bejahung einer religiös motivierten Annahme des christlichen Glaubens aus, da nach allem Gesagten nicht erkennbar ist, dass der christliche Glaube den Kläger in seiner religiösen Identität prägt.

Fehlt es - wie vorliegend - an einer seine religiöse Identität prägenden christlichen Glaubensüberzeugung des Schutzsuchenden, so vermittelt der rein formal durch die Taufe vollzogene Akt des Glaubenswechsels nicht den Schutz des Art. 10 Abs. 1 b RL. Der Kläger kann nicht unter Hinweis auf diese Vorschrift und die tatsächlichen Gegebenheiten in seinem Heimatstaat Iran verlangen, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird. Diesem Begehren steht entgegen, dass er im Iran wegen des nur formal angenommenen christlichen Glaubens keine Verfolgungshandlungen zu befürchten hat.

So steht schon nicht zu erwarten, dass die Tatsache der evangelischen Taufe den iranischen Behörden überhaupt bekannt geworden ist beziehungsweise noch bekannt werden könnte. Der Kläger hat sich bislang in keiner irgendwie auffälligen Weise christlich-religiös betätigt. Dass er an Feiertagen und, wenn er Zeit hat, an Sonntagen die evangelische Kirche in B-Stadt besucht, ist kein Verhalten, das ausreicht, um die Aufmerksamkeit iranischer Spitzel in Deutschland zu erregen. Selbst wenn er insoweit irgendwann aufgefallen und daraufhin beobachtet worden sein sollte, wäre nicht anzunehmen, dass die gelegentlichen Kirchgänge aus Sicht der Beobachter von nachhaltigem Interesse sein könnten. Insbesondere kann sein Bekunden, er habe im Laufe der Zeit - wobei seit seiner Taufe bereits mehr als drei Jahre verstrichen sind - etwa acht bis zehn Iraner mit zur Kirche genommen, nicht als missionarische Tätigkeit gewertet werden. Dies gilt ungeachtet dessen, dass angeblich mindestens zwei dieser Personen zum christlichen Glauben konvertiert sein sollen. Der Kläger hat hierzu weder schriftsätzlich vorgetragen noch in der mündlichen Verhandlung den Versuch unternommen, nähere Angaben zu machen, insbesondere darzulegen, dass deren angebliche Konversion auf seine christliche Überzeugungsarbeit zurückgeht.

Selbst wenn die Tatsache der christlichen Taufe im Iran bekannt geworden wäre beziehungsweise im Falle der Rückkehr bekannt würde, ist nach der Auskunftslage und der auf dieser basierenden obergerichtlichen Rechtsprechung (Sächsisches OVG, Urteil vom 28.3.2007, amtl. Abdr. S 10 f.; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 27.4.2006 - 5 LB 106/02 -, juris, m.w.N.; Hamburgisches OVG, Urteil vom 24.3.2006 - 1 Bf 15/98.A-, juris; OVG des Saarlandes, Urteil vom 23.10.2002 -9 R 3/00-, juris, amtl. Abdr. S. 38 f.) nicht anzunehmen, dass der im Ausland im Verlauf eines Asylverfahrens vollzogene Glaubenswechsel für sich genommen die iranischen Behörden veranlassen könnte, asylrelevante Maßnahmen gegenüber dem Rückkehrer zu ergreifen. Durch eine Konversion im Ausland fühlt der iranische Staat sich in der Regel nicht bedroht, wenn es sich um eine einfache Mitgliedschaft handelt, die weder mit - ernstzunehmender - missionarischer Tätigkeit noch mit Leitungsaufgaben oder anderen hervorgehobenen Funktionen verbunden ist.

Damit gibt der Sachverhalt keine Veranlassung zur Klärung, ob die Konsequenzen, die ein religiös motivierter und den Konvertiten in seiner religiösen Identität prägender Glaubenswechsel vom Islam zum Christentum nach der Erkenntnislage im Falle der Rückkehr und der Praktizierung des neuen Glaubens in der Heimat auslöst, gemessen an Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 RL einzeln oder in Kumulation als asylrechtliche Verfolgungshandlung zu qualifizieren sind.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht auch nicht zu befürchten, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Repressalien seitens nichtstaatlicher Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG in Verbindung mit Art. 6 c RL drohen.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang geltend macht, sein Vater sei strenggläubiger Moslem und mit der Hinwendung des Klägers zum Christentum nicht einverstanden, genügt dies nicht zur Annahme, dass vom Vater eine Gefährdung für Leib oder Leben des Klägers ausgehen könnte. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zwar einerseits behauptet, der Familie seine Adresse aus Angst vor seinem Vater nicht mitzuteilen, andererseits aber bekundet, mit dem Vater telefonischen Kontakt zu haben. Grundsätzlich rede er mit seinem Vater nicht über religiöse, sondern nur über persönliche Dinge, da der Vater einen Herzinfarkt gehabt habe und er ihn nicht aufregen wolle. So frage der Vater etwa, wie es ihm gehe, ob er schon eine Familie habe und ob er nicht zurückkommen wolle. Dass er letzteres wegen seiner Konversion verneine, könne der Vater nicht akzeptieren. Der Kläger behauptet aber nicht, dass es wegen derartiger Antworten zu religiösen Streitgesprächen oder massiven Vorwürfen seitens des Vaters käme, und beim nächsten Telefonat scheinen wieder persönliche Dinge besprochen zu werden.

Die so aktuell in der mündlichen Verhandlung beschriebene Haltung des Vaters zu dem Kläger lässt nicht erwarten, dass der Vater ihm im Falle der Rückkehr Schaden an Leib oder Leben zufügen würde. Dasselbe gilt für andere Familienmitglieder und Bekannte, hinsichtlich derer der Kläger keine Bedrohung geltend gemacht hat.

Ebenso wenig ist beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger allein aufgrund der Asylantragstellung mit abschiebungsschutzrechtlich relevanten Übergriffen rechnen müsste. Insoweit teilt der erkennende Senat die Einschätzung des früher für das Herkunftsland Iran zuständig gewesenen 3. Senats des Gerichts (OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 16.8.2006 - 3 Q 78/06 - und vom 9.8.2006 - 3 Q 23/06-, jeweils juris, sowie Urteil vom 23.10.2002, a.a.O., S. 24 ff., jeweils m.w.N.) , der in Fortführung der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung ebenso wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, Beschluss vom 14.5.2007 - 14 ZB 07.30240 -, juris, m.w.N.) in einer kürzlich ergangenen Entscheidung eine allein auf die Asylantragstellung gründende Verfolgungsgefahr verneint. Der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes hat in den zitierten Beschlüssen vom August 2006 unter Berücksichtigung der neueren Auskunftslage und zahlreicher Presseberichte über das aktuelle Geschehen im Iran überzeugend dargelegt, dass zwar infolge der letzten Wahlen die fundamentalistischen Kräfte im Verhältnis zu den reformorientierten Kreisen die Oberhand gewonnen und mit dem neuen Staatspräsidenten Ahmadinadschad ein konservatives Staatsoberhaupt an ihrer Spitze haben, es aber keine Anzeichen dafür gebe, dass sich infolge dieser Entwicklung die Situation für zurückkehrende Asylbewerber verschlechtert habe und diese nun alleine wegen der Asylantragstellung und der Entfaltung gewisser Exilaktivitäten zur Untermauerung ihres Begehrens abschiebungsschutzrechtlich relevante Maßnahmen zu befürchten hätten. Den iranischen Amtswaltern sei bekannt, dass ein Asylverfahren für die meisten in Europa lebenden Iraner die einzige Möglichkeit sei, ein - wenn auch nur zeitweiliges - Aufenthaltsrecht zu erlangen. Der neueste Lagebericht (Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 37 f.) und die aktuelle Auskunftslage geben keine Veranlassung zu einer geänderten Einschätzung.

Da der Kläger nicht glaubhaft machen konnte, seine Heimat aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen zu haben, und ihm auch wegen seiner Nachfluchtaktivitäten nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen des iranischen Staates beziehungsweise seitens seines Vaters oder sonstiger Verwandter oder Bekannter drohen, ist die Berufung hinsichtlich des Hauptantrags, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen, unbegründet und unterliegt daher der Zurückweisung.

II.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung, dass ihm Abschiebungsschutz nach Maßgabe des § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG zu gewähren ist. Sein Vorbringen ist - wie im Einzelnen dargelegt - nicht glaubhaft, so dass ihm Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG nicht zusteht.

Nichts anderes ergibt sich unter Berücksichtigung der auch in diesem Zusammenhang zu beachtenden Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG. Nach Art. 2 e RL hat ein Drittstaatsangehöriger, der die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt, Anspruch auf subsidiären Schutz, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL zu erleiden, sofern auf ihn die Ausschlussgründe des Art. 17 Abs. 1 und Abs. 2 RL keine Anwendung finden und er den Schutz seines Herkunftslandes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will.

Voraussetzung der Gewährung subsidiären Schutzes ist demnach, dass der Kläger stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei Rückkehr in den Iran tatsächlich Gefahr liefe, dass ihm gegenüber die Todesstrafe verhängt oder vollstreckt würde oder dass ihm Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen (Art. 15 a und b RL). Aus welchen Gründen ihm eine derartige Behandlung droht, spielt dabei nach der in Art. 18 und Art. 2 e RL zum Ausdruck kommenden Konzeption der Richtlinie - anders als bei der an einen Verfolgungsgrund anknüpfenden Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft - keine Rolle. Ausreichend ist, dass stichhaltige Gründe für die tatsächliche Gefahr, im Falle der Rückkehr einen ernsthaften Schaden zu erleiden, vorgebracht sind. Dies ist im Falle des Klägers zu verneinen, da der von ihm geschilderte Lebenssachverhalt entweder nicht glaubhaft oder (so die im Bundesgebiet erfolgte Taufe zum evangelischen Christen) unter den konkreten Gegebenheiten nicht geeignet ist, die Gefahr, von einem ernsthaften Schaden bedroht zu werden, zu begründen.

Die Berufung ist daher insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Zwar geht das seitens des Senats mit Blick auf Art. 10 Abs. 1 b RL befürwortete Verständnis des nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewährenden Schutzes vor Verfolgungshandlungen wegen der Religion über das hinaus, was nach der bisherigen bundesdeutschen Rechtsprechung als Inhalt eines religiös bedingten Schutzanspruchs anerkannt ist. Diese grundsätzlichen Erwägungen zu den aus dem Inkrafttreten der Richtlinie zu ziehenden Konsequenzen sind indes für die getroffene Entscheidung, die Berufung zurückzuweisen, nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Das Begehren des Klägers hätte unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung erst recht keine Erfolgsaussichten gehabt. Insoweit wird hinsichtlich der Bewertung der Relevanz der geltend gemachten Konversion zum Christentum auf die Darstellung der bis zum Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG unangefochtenen Rechtsprechung in dem gegenüber dem Kläger ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts verwiesen.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG und beträgt nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschlüsse vom 21.12.2006 - 1 C 29/03 - und vom 14.2.2007 - 1 C 22/04 -, jeweils juris) zur Auslegung dieser Vorschrift 3.000 EUR.

Gründe

Das Ausbleiben des Beteiligten im Termin stand einer Verhandlung und Entscheidung in der Sache nicht entgegen, da er ordnungsgemäß und unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 VwGO zur mündlichen Verhandlung geladen worden war.

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig; der Kläger hat weder einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (I) noch stehen seiner Abschiebung in den Iran Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG entgegen (II).

I.

Ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Herkunftslandes setzt nach genannter Vorschrift voraus, dass Leben oder Freiheit des Ausländers in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wobei die drohende Verfolgung ausgehen kann von a) dem Staat, b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder c) - unter bestimmten Voraussetzungen - nichtstaatlichen Akteuren.

Hinsichtlich des in § 60 Abs. 1 AufenthG verwendeten Begriffs der Verfolgung sind spätestens seit dem 11.10.2006 die Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12, berichtigt im ABl. L 204 vom 5.8.2005, S. 24) (so genannte Qualifikationsrichtlinie) - nachfolgend: RL - zu beachten. Durch Art. 38 RL wurden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die zur Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften spätestens bis zum 10.10.2006 zu erlassen. Dieser Verpflichtung ist die Bundesrepublik Deutschland nicht gerecht geworden, was nach der auf Art. 189 Abs. 3 und Art. 5 EWG-Vertrag verweisenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteile vom 5.4.1979 - Rs. 148/78 - , Slg. 1979, 1629 Rdnr. 23, und vom 20.9.1988 - 190/87 -, Slg. 1988, 4689) zur Folge hat, dass die Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie seit dem 11.10.2006 im Bundesgebiet unmittelbar Anwendung finden, soweit sie von ihrem Regelungsgehalt her einer unmittelbaren Anwendung zugänglich sind. Dies ist hinsichtlich der Vorschriften, die die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft festlegen, ohne Einschränkung zu bejahen. (BVerwG, Urteile vom 21.11.2006 - 1 C 10/06 -, NVwZ 2007, 465 ff. = DVBl. 2007, 446 ff. = InfAuslR 2007, 213 ff., und vom 20.3.2007 - 1 C 21/06 -, amtl. Abdr. S. 14)

Nach Art. 13 RL erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen die Flüchtlingseigenschaft zu, wenn er die Voraussetzungen der Kapitel II und III der Richtlinie erfüllt. Der Begriff des Flüchtlings ist in Art. 2 c RL hinsichtlich eines Drittstaatsangehörigen dahingehend definiert, dass dieser sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen der Furcht nicht in Anspruch nehmen will, sofern die Ausschlussgründe des Art. 12 RL auf ihn keine Anwendung finden. Maßgeblich ist damit, ob der Betroffene sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatstaates aufhält. Dieser Ansatz ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 1 AufenthG, der auf eine Bedrohung von Leben oder Freiheit abstellt, zu beachten, da die Bundesrepublik als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gehalten ist, den als Mindestnormen für die Flüchtlingsanerkennung (vgl. Art. 1 und 3 RL) konzipierten Vorschriften der Richtlinie im Bundesgebiet Geltung zu verschaffen.

Ob die Furcht vor Verfolgung im Heimatstaat im Sinne des Art. 2 c RL begründet ist, ist unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 4 Abs. 3 RL individuell zu prüfen und richtet sich materiell-rechtlich nach den in Art. 4 bis 10 RL vorgegebenen objektiven Kriterien.

Nach Art. 4 Abs. 4 RL ist die Tatsache, dass der Schutzsuchende in seiner Heimat bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründen sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Im Zusammenspiel mit Art. 8 Abs. 1 RL, der die Notwendigkeit internationalen Schutzes im Falle einer inländischen Fluchtalternative entfallen lässt, entspricht dies der bisherigen bundesdeutschen Rechtsprechung, wonach einem Schutzsuchenden, der seine Heimat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender Verfolgung verlassen hat, ein Schutzanspruch zusteht, wenn ihm ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates unzumutbar war und die fluchtbegründenden Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung ohne wesentliche Änderungen fortbestehen oder mit ihrem Wiederaufleben zu rechnen ist, so dass an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ernsthafte Zweifel bestehen. (BVerwG, Urteil vom 3.12.1985 - 9 C 22.85 -, NVwZ 1986, 760,761)

Wer hingegen unverfolgt ausgereist ist, kann die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL nicht für sich in Anspruch nehmen. Er muss - so auch die bisherige Rechtsprechung - glaubhaft machen, dass beachtliche Nachfluchttatbestände gegeben sind, was bedeutet, dass ihm bei Rückkehr in seinen Heimatstaat die Gefahr der Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. (BVerwG, Urteil vom 20.3.2007 - 1 C 21/06 -, amtl. Abdr. S. 15) Dies ist anzunehmen, wenn bei zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die insofern erforderliche Zukunftsprognose muss auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abstellen und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein. (BVerfG, Beschlüsse vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 345 f. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 3.12.1985, a.a.O., S. 760 f.)

Zentrale Bedeutung kommt im Rahmen der asylrechtlichen Prüfung seit dem Verbindlichwerden der Richtlinie 2004/83/EG dem in Art. 9 Abs. 1 und 2 RL umschriebenen Begriff der Verfolgungshandlungen sowie den in Art. 10 RL aufgelisteten Verfolgungsgründen und schließlich dem Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 c RL zu, wonach eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 RL genannten Gründen und den in Art. 9 Abs. 1 RL als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen muss.

Angesichts des durch Art. 9 und Art. 10 RL vorgegebenen Prüfungsrasters ist nicht auszuschließen, dass verschiedene durch die deutsche höchstrichterliche Asylrechtsprechung entwickelte Grundsätze der Hinterfragung auf ihre Vereinbarkeit mit den europarechtlichen Vorgaben bedürfen, sofern die jeweiligen Grundsätze fallbezogen entscheidungsrelevant sind. So spricht die in Art. 9 und Art. 10 RL zum Ausdruck kommende Systematik dafür, dass das Vorliegen beziehungsweise Nichtvorliegen einer Verfolgungshandlung anhand der Kriterien des Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 RL zu prüfen ist, ohne dass in diesem Zusammenhang der eventuelle Verfolgungsgrund eine Rolle spielt. Ob ein Verfolgungsgrund zu bejahen ist, ist in einem eigenen Prüfungsschritt zu ermitteln und beurteilt sich nach den Vorgaben des Art. 10 RL. Sodann ist gemäß Art. 9 Abs. 3 RL erforderlichenfalls festzustellen, ob die Verfolgungshandlung dem Schutzsuchenden wegen des bejahten Verfolgungsgrundes droht. Diese Systematik wirft die Frage auf, ob die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung, die differenziert zwischen politisch-motivierten Eingriffen in die Schutzgüter Leib, Leben oder persönliche Freiheit, die stets als Verfolgung anerkannt wurden, und Beeinträchtigungen sonstiger Rechtsgüter wie der freien Religionsausübung oder der ungehinderten beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung, die den Flüchtlingsstatus bisher nur begründen konnten, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben, richtlinienkonform ist. (BVerwG, Urteil vom 24.3.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 f. und Beschluss vom 3.4.1995 - 9 B 758/94 -, NVwZ-RR 1995, 607) Angesichts der Regelung des Art. 9 Abs. 1 b RL, der unter bestimmten Voraussetzungen eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen als Verfolgungshandlung definiert, ohne zu fordern, dass jeweils dasselbe Schutzgut durch die verschiedenen Maßnahmen betroffen wird, stellt sich die weitere Frage, ob die bisherige deutsche Rechtsprechung, nach der mehrere Eingriffe, von denen jeder seiner Intensität nach allein nicht als Verfolgung zu qualifizieren ist, auch nicht als ein „insgesamt“ die erforderliche Intensität erreichendes Verfolgungsgeschehen angesehen werden können, wenn die Eingriffe sich gegen unterschiedliche Schutzgüter richten, (BVerwG, Beschluss vom 3.4.1995, a.a.O.) mit den europarechtlichen Vorgaben der genannten Vorschrift zu vereinbaren ist.

Diese Fragen bedürfen allerdings in vorliegend relevantem Zusammenhang keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung, da das Begehren des Klägers gemessen an den Vorgaben des Art. 10 Abs. 1 b RL daran scheitert, dass sein durch die im Bundesgebiet erfolgte Taufe zum evangelischen Christ vollzogener Glaubenswechsel ihm unter den konkreten Gegebenheiten mangels religiös-motivierter Entscheidung für das Christentum nicht die Möglichkeit eröffnet, sich auf den Verfolgungsgrund der Religion zu berufen.

Art. 10 RL definiert die Verfolgungsgründe, indem er die in Art. 2 c RL abschließend aufgeführten Verfolgungsgründe aufgreift, und hinsichtlich jedes einzelnen Verfolgungsgrundes vorgibt, was die Mitgliedstaaten bei der jeweiligen Prüfung in materiell-rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen haben.

Im vorliegenden Zusammenhang ist Art. 10 Abs. 1 b RL maßgeblich. Nach dieser Vorschrift umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dabei sind unter religiösen Riten die in einer Religionsgemeinschaft üblichen oder geregelten Praktiken oder Rituale zu verstehen, die der religiösen Lebensführung dienen, insbesondere Gottesdienste, kulturelle Handlungen und religiöse Feste. (VG Düsseldorf, Urteil vom 8.2.2007 - 9 K 2278/06.A -, juris)

Unter Einbeziehung dieser Definition ist die in Art. 2 c RL als Merkmal eines Flüchtlings aufgeführte begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion tatbestandlich gegeben, wenn der Schutzsuchende wegen seiner theistischen, nichttheistischen oder atheistischen Glaubensüberzeugung oder wegen der alleinigen oder gemeinschaftlichen Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich oder wegen sonstiger religiöser Betätigungen beziehungsweise Meinungsäußerungen oder wegen eigener oder gemeinschaftlicher Verhaltensweisen, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind, befürchten muss, in seiner Heimat von Verfolgungshandlungen betroffen zu werden.

Das Verständnis des durch Art. 10 Abs. 1 b RL gewährleisteten Schutzes muss sich am Normalfall eines Schutzsuchenden orientieren, der die Religion der Religionsgemeinschaft, in die er hineingeboren ist, in der Heimat ausüben will, weswegen zunächst festzustellen ist, welche religiösen Betätigungen grundsätzlich vom Schutzbereich umfasst werden und welchen Schranken die Religionsausübung gegebenenfalls unterliegt. In einem zweiten Schritt ist der Sonderfall des Konvertiten in den Blick zu nehmen und zu klären, ob insoweit Besonderheiten gelten. Vermengt man diese beiden Fragen, so läuft man Gefahr, den Schutzbereich religiöser Betätigung aus dem Bestreben, der Gefahr nur formal erfolgender Glaubensübertritte entgegen zu wirken, im allgemeinen zu eng zu umgrenzen.

Art. 10 Abs. 1 b RL bietet dem Einzelnen sehr weitgehenden Schutz, indem er sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jegliche religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf. Unter das geschützte Verhalten fällt auch der Glaubenswechsel, wobei dahinstehen kann, ob man diesen als sonstige religiöse Betätigung oder Verhaltensweise eines Einzelnen, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützt, begreift oder ob man - wie dies der Kläger und die Beklagte in der mündlichen Verhandlung befürwortet haben - den Glaubenswechsel als geschützt ansieht, weil Art. 10 Abs. 1 b RL sowohl theistische wie auch nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen erfasst. Auch unter letzterer Prämisse muss der Glaubenswechsel seinen Grund in einer wie auch immer gearteten Glaubensüberzeugung finden (vgl. hierzu S. 24 des Urteils).

Nach Art. 10 Abs. 1 b RL umfasst der Begriff der Religion auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen. Die Vorschrift geht damit ihrem Wortlaut nach über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen Rechtsprechung unter dem Stichwort des religiösen Existenzminimums zuerkannt wurde. (BVerfG, Beschluss vom 1.7.1987 - 2 BvR 478, 962/86 -, BVerfGE 76, 143, 158 ff.; BVerwG, Ur- teil vom 20.1.2004 - 1 C 9/03 - , BVerwGE 120, 16 ff. = NVwZ 2004, 1000 ff. = InfAuslR 2004, 319 ff.) Dafür, dass der europäische Richtliniengeber die religiöse Betätigung im öffentlichen Bereich auch inhaltlich als geschützt verstanden wissen will, spricht die Betrachtung der historischen Wurzeln der Vorschrift.

Bereits im Minderheitenschutzabkommen des Völkerbundes findet sich ein Vorläufer, der die rechtliche Verpflichtung enthielt, die freie Religionsausübung im öffentlichen und privaten Bereich zu gewährleisten. (Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung, Erläuterungen zur Richtlinie 2004/83/EG, 13. Ak-tualisierungslieferung November 2006, § 17 Rdnr. 7) Ebenso schützt Art. 18 des Internationalen Paktes vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte - IpbpR -, der durch Bundesgesetz vom 15.11.1973 (BGBl. II, S. 1533) in innerstaatliches Recht transformiert wurde, die private und die öffentliche Glaubenspraxis. Nach Art. 18 Abs. 1 IPbpR umfasst das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder eine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. Aus völkerrechtlicher Sicht ist daher festzustellen, dass das Recht auf private und öffentliche Religionsausübung als fundamentales Menschenrecht allgemein anerkannt ist. (vgl. auch Art. 1 der Erklärung Nr. 36/55 der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion und der Überzeugung vom 25.11.1981)

Europarechtlich wird die Ausübung der Religionsfreiheit auch in der Öffentlichkeit bereits durch Art. 9 EMRK gewährleistet. Geschützt ist hiernach die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.

Art. 10 Abs. 1 b RL ist die konsequente Fortschreibung dieser Garantien bezogen auf den (Mindest-)Schutz, der Flüchtlingen seitens der Mitgliedstaaten zu gewähren ist. Angesichts des weiten Schutzbereichs der Vorschrift, die selbst keine Schranken vorgibt, liegt es nahe, die Schranken des Art. 18 IPbpR beziehungsweise des Art. 9 EMRK als immanente Schranken zu begreifen. Sowohl Art. 18 IPbpR wie auch Art. 9 EMRK differenzieren zwischen der Uneinschränkbarkeit der Freiheit, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und der an bestimmte Voraussetzungen gebundenen Einschränkbarkeit der freien Religionsausübung und bieten auch im Flüchtlingsrecht eine angemessene Handhabe zur Abschichtung zulässiger Einschränkungen der in Art. 10 Abs. 1 b RL definierten Religionsfreiheit. Dies bedeutet, dass die Freiheit eines Asylbewerbers, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, nicht beschränkbar ist, während die Freiheit, seine Religion im privaten wie im öffentlichen Bereich zu bekennen beziehungsweise zu bekunden, den immanenten Schranken unterliegt, die in Art. 18 Abs. 3 IPbpR beziehungsweise Art. 9 Abs. 2 EMRK Ausdruck gefunden haben. Dementsprechend darf die religiöse Betätigung Einzelner oder der Gemeinschaft nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, der Gesundheit, der Sittlichkeit (Moral) und der Rechte und Freiheiten anderer verboten oder reglementiert werden. Dabei ist - wie auch in Art. 18 Abs. 3 IPbpR und Art. 9 Abs. 2 EMRK vorgeschrieben - zu fordern, dass das Gesetz, das verbietet oder reglementiert beziehungsweise aufgrund dessen verboten oder reglementiert wird, allgemeiner Natur ist, d.h. es muss für alle Staatsbürger - egal welcher religiösen Ausrichtung sie angehören - gleichmäßig Geltung entfalten, darf daher nicht auf bestimmte religiöse Gruppen zielen und ausschließlich für diese Einschränkungen vorsehen. Gemessen hieran sind beispielsweise Meldepflichten oder Sicherheitsauflagen für die Veranstaltung einer Prozession ebenso unbedenklich wie Vorschriften über Impfpflichten oder das Verbot religiöser Bräuche oder Riten, die die Sittlichkeit verletzen oder die Gesundheit der Teilnehmer gefährden. (Marx, a.a.O., § 17 Rdnr. 25)

Festzuhalten bleibt damit zunächst, dass das Recht des Einzelnen, seinen Glauben aus innerer Überzeugung zu wechseln, keinen Einschränkungen unterliegt, d.h. die Mitgliedstaaten haben die Entscheidung des Einzelnen, aus religiöser Überzeugung einen anderen Glauben anzunehmen, zu respektieren und ihm - wenn dies die Verhältnisse im Heimatstaat erforderlich machen - nach Maßgabe der Richtlinie Schutz zu gewähren. Hinsichtlich des Rechts eines Gläubigen auf Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich gilt auch im Flüchtlingsrecht, dass Beschränkungen nur nach Maßgabe der aufgezeigten der Religionsfreiheit immanenten Schranken durch allgemeine Gesetze zulässig sind.

Gesetze oder religiöse Vorschriften beziehungsweise die behördlichen Praktiken des Heimatstaates zu ihrer Umsetzung, die die aufgezeigten Grenzen nicht respektieren, sind an Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 RL zu messen. Als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 a oder b RL sind sie zu qualifizieren, wenn sie allein oder in Kumulierung mit anderen Maßnahmen eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte bewirken. Hat der Asylbewerber eine schwer menschenrechtswidrige Behandlung in seiner Heimat bereits erfahren oder droht ihm eine solche für den Fall seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, so bedarf es gemäß Art. 9 Abs. 3, Art. 2 c RL der Feststellung, ob diese Behandlung wegen der in Art. 10 Abs. 1 b RL definierten Religion des Asylbewerbers erfolgt ist oder droht. Bejahendenfalls ist ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Fehlt es hingegen an einer Verknüpfung mit einem in Art. 10 Abs. 1 RL aufgeführten Verfolgungsgrund, so sind die Voraussetzungen eines Anspruchs auf subsidiären Schutz nach Maßgabe des Art. 18 in Verbindung mit Art. 15 RL zu prüfen. (Marx, a.a.O., Teil 2, Subsidiärer Schutz, I.4)

Die den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 b RL enger fassende Auslegung des Beteiligten überzeugt nicht. Er meint, der die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 b RL abschließende Relativsatz „die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind“ beziehe sich auf alle aufgeführten Fallgruppen und schränke den Verfolgungsgrund der „Religion“ dahingehend ein, dass nicht jedwede Form der - zum Beispiel öffentlichen - Glaubensbetätigung, sondern nur die aus religiöser Sicht glaubensprägenden beziehungsweise unverzichtbar gebotenen Verhaltensweisen geschützt werden. Dem kann nicht gefolgt werden. Art. 10 Abs. 1 b RL schützt ausdrücklich etwa auch die Nichtteilnahme an religiösen Riten, also die Entscheidung des Einzelnen, sich religiöser Betätigungen zu enthalten, indem er Dinge, die die Religion als Verhaltensweise zu bestimmten Anlässen vorgibt, gerade nicht tut. Dies zeigt, dass die seitens des Beteiligten vorgeschlagene einschränkende Auslegung, die Vorschrift schütze nur die aus religiöser Sicht glaubensprägenden beziehungsweise unverzichtbar gebotenen Verhaltensweisen, nicht richtlinienkonform sein kann. Dass der Beteiligte zur Stützung seiner Auffassung auf den derzeitigen Stand des laufenden Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der Richtlinie verweist, ändert nichts daran, dass der Gesetzgeber durch die Vorgaben der Richtlinie gebunden ist und diesen nur gerecht werden wird, wenn er sie vollständig umsetzt.

Soweit erkennbar ist das Sächsische Oberverwaltungsgericht bisher das einzige Obergericht, das nach Verbindlichwerden der Richtlinie 2004/83/EG über die Verfolgungsgefährdung konvertierter Christen im Iran entschieden hat. (Sächsisches OVG, Urteile vom 27.3.2007 - A 2 B 38/06 - und vom 24.4.2007 - A 2 B 832/05 -, beide nicht veröffentlicht) Es nimmt ebenfalls an, dass der Wortlaut des Art. 10 Abs. 1 b RL auf einen weit gefassten Schutzbereich schließen lasse, und meint, im Ergebnis gingen Art. 9 und Art. 10 Abs. 1 b RL über die bisherige, nur das religiöse Existenzminimum sicherstellende Rechtsprechung hinaus, da unter der Geltung der Richtlinie grundsätzlich auch der Schutz des „forum externum“ in Betracht komme. Die weitere Argumentation, wonach wegen der in Art. 9 Abs. 3 RL vorgesehenen Verknüpfung zu fordern sei, dass sich der Eingriff in die Religionsausübung als mit der Wahrung der Menschenwürde unvereinbar darstelle, überzeugt hingegen nicht uneingeschränkt, da der Verfolgungsgrund der Religion in die Prüfung des Vorliegens einer Verfolgungshandlung einbezogen wird. Die erste sich hieran anschließende Feststellung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass ein - flüchtlingsrechtsrelevanter - Eingriff in die Religionsausübung vorliege, wenn die Religionsausübung mit Sanktionen verbunden ist, die bereits selbst den Charakter einer Verfolgungshandlung aufweisen, spiegelt den Verordnungstext wider und ist daher zweifelsohne zutreffend. Allerdings folgt dieser Feststellung keine Prüfung, ob einem Konvertiten im Iran Sanktionen drohen, die im Sinne des Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 RL als Verfolgungshandlung zu bewerten sind. Dies, obwohl sich nach der Auskunftslage beispielsweise die Frage aufdrängt, ob die Verfahrensweise, einen etwa wegen Gottesdienstbesuchen auffällig gewordenen Konvertiten mit Hilfe konstruierter Vorwürfe vor Gericht zu stellen, um ihn so einer Bestrafung für den Abfall vom islamischen Glauben zuzuführen, den Charakter einer Verfolgungshandlung aufweist. Einen Menschen zur Ahndung erfundener Straftaten der Justiz auszuliefern, um ihn aus religiösen Gründen zu bestrafen beziehungsweise ihn zumindest gefügig zu machen, beinhaltet eine bereits als solche diskriminierende polizeiliche Maßnahme im Sinne des Art. 9 Abs. 2 b RL, die es nahe legt, eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte anzunehmen, zumal die Vernehmungsmethoden und Bedingungen einer etwaigen Haft im Iran dem internationalen Standard bei weitem nicht genügen, weil körperliche und/oder psychische Übergriffe nie auszuschließen sind. (Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 5, 6, 15, 23, 35) Noch problematischer erscheint die weitere Feststellung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, die bloße Unterbindung bestimmter Formen der religiösen Betätigung könne eine Verfolgungshandlung (nur) darstellen, wenn unabdingbare Elemente des religiösen Selbstverständnisses des Betroffenen in Rede stünden. Dass diese Einschränkung des nach der Richtlinie zu gewährenden Schutzes durch Art. 9 Abs. 3 RL vorgegeben wird, ist aus der Sicht des Senats zu verneinen, wobei die Frage aber im vorliegenden Zusammenhang mangels Entscheidungsrelevanz keiner Vertiefung bedarf.

Das seitens des Beteiligten in Bezug genommene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.1.2004 (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.1.2004 - 1 C 9/03 -, a.a.O.) spricht ebenfalls nicht gegen die hier vertretene Auslegung des Art. 10 Abs. 1 b RL. Das die langjährige bundesdeutsche Rechtsprechung fortführende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erging vor Erlass der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004 und konnte deren Vorgaben daher naturgemäß nicht berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht hielt damals Feststellungen für erforderlich, ob die Teilnahme an Gottesdiensten gemeinsam mit anderen Christen, insbesondere anderen Apostaten, abseits der Öffentlichkeit nach dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche, der der Kläger jenes Verfahrens angehörte, unter den besonderen Bedingungen der Diaspora in einem Land wie dem Iran zum schlechthin unverzichtbaren Bestandteil des religiösen Lebens gehöre. Des Weiteren seien Feststellungen zu treffen, ob jener Kläger durch die Beschränkung von derartigen Gottesdienstbesuchen selbst in seiner religiös-personalen Identität betroffen ist, da das religiöse Existenzminimum für jeden Gläubigen je nach dem Grad seiner praktizierten religiösen Betätigung unterschiedlich zu bestimmen und daher zu prüfen sei, ob der Besuch von Gottesdiensten abseits der Öffentlichkeit gerade für jenen Kläger selbst unverzichtbar sei.

Diese Rechtsprechung ist nach Verbindlichwerden der Richtlinie 2004/83/EG in deren Licht zu sehen. Dabei ist auch nach Auffassung des Senats davon auszugehen, dass Art. 10 Abs. 1 b RL nur religiöse Verhaltensweisen im öffentlichen Bereich schützt, die der Religion des Schutzsuchenden entsprechen. Zutreffend hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes kürzlich hinsichtlich eines irakischen Schutzsuchenden yezidischer Religionszugehörigkeit darauf abgestellt, dass nach der yezidischen Religion keine religiösen Riten vor den Augen Ungläubiger praktiziert werden dürfen. Da die yezidische Religion die Vornahme religiöser Riten vor den Augen der moslemischen Öffentlichkeit verbiete, sei hinsichtlich dieser Religion ein genereller Konflikt zwischen einem Öffentlichkeitsanspruch der Religion und einer dieser feindlichen islamischen Öffentlichkeit ausgeschlossen. (OVG des Saarlandes, Beschluss vom 26.3.2007 - 3 A 30/07 -, juris) Demgegenüber steht hinsichtlich evangelischer Christen außer Frage, dass der Besuch öffentlicher Gottesdienste nach dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche unverzichtbarer Bestandteil des religiösen Lebens ist. Nach Verbindlichwerden der Richtlinie 2004/83/EG ist die weitere vom Bundesverwaltungsgericht formulierte Frage, ob dies auch in einem Land wie dem Iran gelte, nicht mehr erheblich. Der Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 b RL richtet sich gerade gegen staatliche Einschränkungen der Religionsfreiheit, was es verbietet, ihn nach dem zu bestimmen, was einzelne Staaten nach ihrer bisherigen Praxis an religiösen Freiheiten und damit an religiösem Selbstverständnis religiöser Minderheiten zugelassen haben. Die anschließend vom Bundesverwaltungsgericht angesprochene Frage, ob etwa die Teilnahme an Gottesdiensten für den Schutzsuchenden von unverzichtbarer Bedeutung sei, stellt sich demgegenüber nach wie vor. Nur wenn ein Schutzsuchender seinen Glauben aufgrund seiner religiösen Überzeugung in der Heimat auch praktizieren will, kann er in flüchtlingsrechtsrelevante Schwierigkeiten mit staatlichen Behörden, die ihm dies verbieten wollen, geraten. Allerdings wird man einem Schutzsuchenden, der sozusagen von Geburt an einer bestimmten Religionsgemeinschaft angehört, nicht ohne konkrete Anhaltspunkte im Einzelfall unterstellen können, dass er seinen Glauben in der Heimat nicht praktizieren will, weswegen die angesprochene, vom Bundesverwaltungsgericht aufgeworfene Frage sich insbesondere stellt, wenn der Schutz des Art. 10 Abs. 1 b RL von einem Konvertiten beansprucht wird.

Wie bereits ausgeführt erkennt Art. 10 Abs. 1 b RL dem Einzelnen auch das Recht zu, sich aus religiöser Überzeugung/aus Glaubensüberzeugung für eine andere als die bisherige Religion zu entscheiden und sich zu der angenommenen Religion zu bekennen. Die Garantien des Art. 10 Abs. 1 b RL - etwa das Recht auf Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich - gelten für Konvertiten, die ihren Glauben aus religiöser Überzeugung gewechselt haben, in gleichem Umfang wie für Gläubige, die ihre praktisch durch Geburt erworbene Religion beibehalten. Voraussetzung des Schutzes der Ausübung der „neuen“ Religion ist nach der Konzeption des Art. 10 Abs. 1 b RL allein, dass der Glaubenswechsel aufgrund religiöser Überzeugung/aus Glaubensüberzeugung erfolgt ist.

Damit bedarf es im Falle einer Konversion einer eingehenden Prüfung, ob der Konvertit seinen Glauben nicht nur - etwa aus auf ein Bleiberecht bezogenen taktischen Gründen - durch einen bloß formalen Akt, sondern aus religiöser Überzeugung gewechselt hat und durch den neuen Glauben in seiner religiösen Identität geprägt wird. Ist letzteres der Fall, kommt ihm der Schutz des Art. 10 Abs. 1 b RL in vollem Umfang zugute. Drohen ihm in der Heimat Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 RL, wenn er dort durch Art. 10 Abs. 1 b RL geschützte Verhaltensweisen praktiziert, so ist ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Ob einem zum Christentum konvertierten Moslem im Iran Verfolgungshandlungen drohen, beurteilt sich nach den sich in der aktuellen Auskunftslage widerspiegelnden Verhältnissen vor Ort.

Zur allgemeinen Lage der Christen im zu 99 % muslimisch bevölkerten Iran ist festzustellen, dass die iranische Verfassung den Islam und die schiitische Glaubensschule als Staatsreligion bestimmt (Art. 12) und die Zoroastrier, die Juden und die Christen als staatlich anerkannte religiöse Minderheiten benennt (Art. 13), wobei den Angehörigen dieser Religionsgemeinschaften als Nichtmuslimen der Zugang zu Ämtern in der iranischen Exekutive, dem Richteramt sowie höheren Offiziersrängen in der iranischen Armee verwehrt ist. Anstellungen in der Verwaltung sind selten und werden zumeist niedriger entlohnt als bei Muslimen. Vertreter anerkannter religiöser Minderheiten können nicht regulär ins Parlament gewählt werden, sondern haben nur die Möglichkeit, sich für einen der insgesamt fünf jeweils für spezielle Religionsgemeinschaften reservierten Sitze zu bewerben. In religiöser Hinsicht wird den anerkannten religiösen Minderheiten innerhalb des gesetzlichen Rahmens das Recht zugestanden, ihre jeweiligen religiösen Gebräuche zu pflegen und sich in persönlichen und glaubensspezifischen Belangen gemäß ihrer religiösen Vorschriften zu verhalten. Die alteingesessenen christlichen Nationalkirchen Irans, insbesondere die armenisch-orthodoxe Kirche, die assyrische Kirche und die chaldäischen Katholiken sind staatlicherseits anerkannte Religionsgemeinschaften; ihre Mitglieder unterscheiden sich nicht nur von ihrer religiösen, sondern auch von ihrer ethnischen Herkunft her von der weit überwiegend muslimischen Bevölkerung Irans. Ihnen ist es solange unbenommen, ihre Religion - etwa durch den Besuch von Gottesdiensten und die Teilnahme an sonstigen religiösen Riten - zu praktizieren, wie sie grundlegende Prinzipien der islamischen Gesellschaft, etwa die strengen Vorschriften über die zu tragende Bekleidung, beachten und sich jeglicher auf die muslimische Bevölkerung zielenden Missionierungstätigkeit enthalten. Die christliche Mission ist im Iran verboten, was seitens der traditionellen christlichen Kirchen respektiert wird. Der iranische Staat versteht jegliche Missionsversuche als Angriff auf die Staatssicherheit, da der Islam für die muslimische Bevölkerung nicht nur religiöse Bedeutung hat, sondern gleichzeitig die staatstragende Religion ist. Der Islam kennt keine legale Möglichkeit, vom Islam zum Christentum überzutreten. Ein Konvertit bleibt daher aus islamischer Sicht weiterhin Muslim, der sich allerdings religionsschädlich verhält, indem er eine andere - aus islamischer Sicht nicht religiöse - Gruppe unterstützt und sich dadurch dem Verdacht aussetzt, das auf muslimischer Grundlage etablierte Mullah-Regime schwächen zu wollen. Die Konversion zum Christentum begründet in der muslimisch-iranischen Öffentlichkeit den Verdacht einer regimekritischen Haltung. Es kommt vor, dass auch nicht missionierende zum Christentum konvertierte Iraner wirtschaftlich, etwa bei der Arbeitssuche, oder gesellschaftlich bis hin zur Ausgrenzung benachteiligt werden. Der Abfall vom Islam (Apostasie) ist nach islamisch-religiösem Recht mit der Todesstrafe bedroht. Obwohl das kodifizierte iranische Strafrecht die Todesstrafe im Fall der Apostasie nicht vorsieht, erging wegen dieses Vorwurfs zuletzt im November 2002 ein - später in eine Haftstrafe umgewandeltes - Todesurteil. Fälle einer Vollstreckung der Todesstrafe wegen Apostasie wurden in den letzten Jahren nicht mehr aktenkundig. Bei Bekanntwerden der Konversion tritt neben die Gefahr staatlicher Repressionen die Möglichkeit einer Verfolgung durch fanatische Muslime, da Konvertiten gemäß islamischem Recht von allen Muslimen getötet werden dürfen. Die christlichen Kirchen werden staatlicherseits dazu angehalten, muslimischen Interessenten Zugang zu ihren religiösen Veranstaltungen zu verweigern und Versuche muslimischer Personen, mit ihren Gemeinden in Kontakt zu treten, zurückzuweisen. Da die Konversion zum Christentum im Iran seit jeher ein Tabu und auch aus christlicher Sicht sehr ungewöhnlich ist, stößt ein Konvertit bei den traditionellen christlichen Kirchen Irans auf starke Vorbehalte und setzt sich dem Verdacht aus, ein Spitzel zu sein. Ein Konvertit kann vor diesem Hintergrund nicht erwarten, als neues Gemeindemitglied anerkannt und aufgenommen zu werden. (Deutsches Orient-Institut, Stellungnahmen vom 6.9.2004 - 531 i/br - und vom 6.12.2004 – 585 i/br -; SFH, Christen und Christinnen im Iran, Themenpapier vom 18.10.2005, S. 4 f., 7 -11; SFH, Iran-Reformen und Repression, Update der Entwicklungen seit Juni 2001, vom 20.1.2004, S. 11 f.; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 21.9.2006 - 508-516.80/3 IRN -, S. 6, 15, 20 f., 23, 33 f.) Anders als die traditionellen christlichen Kirchen Irans betreiben einige, zu neueren christlichen Strömungen zu zählende protestantisch-evangelische Glaubensgemeinschaften mit westlicher Unterstützung insbesondere der protestantischen Kirche beziehungsweise (frei-)kirch-lich-evangelischer Gruppierungen im Iran auch Missionsarbeit und zeigen sich bereit, muslimische Konvertiten in ihre Kirchengemeinde aufzunehmen. Folge sind häufige Schwierigkeiten mit den iranischen Behörden, von denen sie überwacht werden, wobei sie mit harten Sanktionen rechnen müssen. Immer wieder sind in der Vergangenheit missionarisch tätig gewesene Priester dieser Religionsgemeinschaften verschwunden und oftmals später tot aufgefunden worden. Nach Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe werden Konvertiten, deren Übertritt den iranischen Behörden bekannt wird, zunächst zum Informationsministerium zitiert, wo sie scharf verwarnt werden. Sollten sie weiter in der Öffentlichkeit auffallen, etwa durch Besuche von Gottesdiensten oder Missionsaktivitäten, müssen sie damit rechnen, mit Hilfe konstruierter Vorwürfe wie Spionage oder Aktivitäten in einer illegalen Gruppe vor Gericht gestellt zu werden. Unbehelligt blieben Konvertiten im Iran, solange es ihnen gelinge, ihren Glauben - etwa in einer der ca. 100 christlichen Hausgemeinschaften - unbemerkt von den iranischen Behörden beziehungsweise von Familienangehörigen, Nachbarn und Bekannten auszuüben. Gerade fanatische muslimische Familienangehörige seien ein Risikofaktor, da sie den Übertritt als Hochverrat, Staatsverrat beziehungsweise Abfall von der eigenen Sippe und dem eigenen Stamm sähen und es daher häufig zu Anzeigen an die iranischen Sicherheitsbehörden komme, die schwere körperliche Misshandlungen und unter Umständen längere Verhaftungen zur Folge haben könnten. (SFH, Christen und Christinnen im Iran, a.a.O., S. 11 - 18)

Die vor dem Hintergrund dieser tatsächlichen Gegebenheiten zu klärende Frage, ob der Kläger glaubhaft gemacht hat, seine Heimat im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL wegen unmittelbar drohender Verfolgung verlassen zu haben oder - verneinendenfalls - ob er infolge der zwischenzeitlichen Konversion zum Christentum im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu befürchten hat, ist zu verneinen.

Der Kläger hat seine Heimat unverfolgt verlassen.

Er hat nicht glaubhaft gemacht, auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender Verfolgung aus dem Iran ausgereist zu sein. Wie bereits das Verwaltungsgericht festgestellt hat, weist sein diesbezügliches Vorbringen eine Vielzahl von Ungereimtheiten, Widersprüchlichkeiten und auch Steigerungen des Sachvortrags auf und ist daher nicht zur Vermittlung der notwendigen Überzeugungsgewissheit betreffend das Bestehen begründeter Verfolgungsfurcht geeignet. Anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger sein angebliches Verfolgungsschicksal in verschiedenen Punkten erneut umgestaltet, was seine Bekundungen zu den Geschehnissen in seiner Heimat vollends unglaubhaft macht.

So behauptet er nun erstmals, das Geld für die Ausreise stamme nicht von seinem Vater (so aber Anhörungsprotokoll vom 12.9.2002, S. 5 und 6), sondern aus eigenen Ersparnissen, die er sich als Inhaber einer eigenen - neben dem Studium betriebenen - Kleiderfirma erwirtschaftet haben will, sowie dass er von Urumijee aus nur mit seinem jüngeren Bruder, nicht mit seinem Vater (so aber Anhörungsprotokoll vom 12.9.2002, S. 4), telefonischen Kontakt gehabt habe. Soweit der Kläger auf entsprechenden Vorhalt durch den Senat gemeint hat, es müsse sich um einen Übersetzungsfehler handeln, überzeugt dies nicht. So hat er gegenüber der Beklagten mehrfach zu Protokoll (S. 5 und 6) erklärt, sein Vater habe die Ausreise finanziert; von einer eigenen selbständigen Tätigkeit war bisher auch nicht ansatzweise die Rede. Der Grund für seine nunmehrige völlig neue Darstellung dürfte vielmehr darin liegen, dass das Verwaltungsgericht ihm das angebliche Verhalten des Vaters - einerseits Anzeige bei der Staatssicherheit und Hängenlassen der Kreuze als Beweis gegen den Kläger und andererseits Finanzierung der Ausreise und Aufrechterhaltung telefonischen Kontakts, um den Kläger jeweils über den aktuellen Stand der Dinge zu informieren - als nicht nachvollziehbar und daher unglaubhaft vorgehalten hat.

Neu ist auch die Darstellung des Klägers, er sei nicht, wie anlässlich seiner Anhörung durch die Beklagte behauptet, im Februar 2002 und nicht, wie vor dem Verwaltungsgericht angegeben, Ende 2001, sondern erst während seines Aufenthalts in Urumijee exmatrikuliert worden. Ebenfalls neu ist die Behauptung, er sei nach Urumijee geflohen, nachdem er an der Universität mündlich aufgefordert worden sei, bei der ideologischen - der staatlichen Schutzbehörde unterstehenden - Stelle der Universität zu erscheinen, und ein dort tätiger Freund ihm deshalb geraten habe, besser zu fliehen. Die schriftliche Vorladung sei erst zu Hause eingegangen, als er bereits in Urumijee gewesen sei. Vor der Beklagten und dem Verwaltungsgericht hatte der Kläger demgegenüber noch bekundet, sich nach Erhalt der ersten schriftlichen Ladung direkt (Anhörung durch die Beklagte) beziehungsweise nach einigen Tagen (Anhörung durch das Verwaltungsgericht) nach Urumijee begeben zu haben.

Schließlich gab er anlässlich seiner nunmehrigen Anhörung hinsichtlich seiner angeblichen Kirchenbesuche im Iran als Adresse der armenischen Kirche, die er des Öfteren aufgesucht haben will, eine andere (Baharistanstraße) als gegenüber der Beklagten (Schunsde Metrie 2 in der 9. Straße Hausnummer 23) an. Auch behauptet er nun, anlässlich der Kirchenbesuche das Gefühl gehabt zu haben, dass die Armenier ihn eher positiv aufgenommen hätten, während er früher bekundet hatte, die armenischen Gemeindemitglieder seien sehr zurückhaltend gewesen, weil es verschiedene Vorfälle, auch Todesfälle, gegeben habe; sie hätten nicht so gerne gewollt, dass er und seine Freunde mit in der Kirche sitzen.

Insgesamt bekräftigen die Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung den schon im Vorfeld nach der Aktenlage naheliegenden Eindruck, dass der Kläger sich immer wieder in neue Widersprüche und Ungereimtheiten verstrickt, weil er kein selbst erlebtes, sondern ein zur Zeit der Einreise vor ca. viereinhalb Jahren frei erfundenes Geschehen schildert.

Demnach ist davon auszugehen, dass der Kläger den Iran unverfolgt verlassen hat, weswegen ihm hinsichtlich der Frage, ob er im Falle seiner Rückkehr wegen der zwischenzeitlichen Entwicklung trotzdem gefährdet wäre, die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL nicht zugute kommt.

Ein Anspruch aus § 60 Abs. 1 AufenthG setzt daher voraus, dass bei zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Sachverhalts die im Falle der Rückkehr für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und daher gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen, der Kläger also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu befürchten hat. Dies ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht der Fall.

Die im Bundesgebiet erfolgte Konversion des Klägers zum Christentum begründet unter den konkreten Gegebenheiten nicht die Annahme, dass ihm im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, wegen der Annahme des christlichen Glaubens Verfolgung seitens des iranischen Staates oder seitens nichtstaatlicher Akteure befürchten zu müssen.

Wie bereits ausgeführt, schützt Art. 10 Abs. 1 b RL unter anderem die Freiheit, einen anderen Glauben anzunehmen, sowie die Freiheit, den ursprünglichen oder den angenommenen Glauben durch Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich zu betätigen.

Der Umfang des durch Art. 10 Abs. 1 b RL im Falle der Annahme eines anderen Glaubens garantierten Schutzes hängt nach der Konzeption der Vorschrift nicht davon ab, ob der Glaubenswechsel im Heimatstaat oder im Ausland vollzogen wurde. In beiden Konstellationen kann er eine Verfolgungsgefahr nur auslösen, wenn er dem Heimatstaat beziehungsweise nichtstaatlichen Akteuren in der Heimat bekannt wird und aus deren Sicht Anlass gibt, auf den Konvertiten einzuwirken. Lediglich im Rahmen der Prüfung, ob der Glaubenswechsel unter Berücksichtigung der landesspezifischen Gegebenheiten ein derartiges Verfolgungsinteresse zu begründen vermag, kann es eine Rolle spielen, wo der Wechsel vollzogen wurde, wobei diese Frage sich erst stellt, wenn feststeht, dass der seitens des Schutzsuchenden behauptete Glaubenswechsel durch Art. 10 Abs. 1 b RL geschützt wird.

Wie bereits ausgeführt löst ein Glaubenswechsel den Schutz des Art. 10 Abs. 1 b RL aus, wenn er aus religiöser Überzeugung erfolgt ist und den Schutzsuchenden in seiner religiösen Identität prägt.

Vorliegend hat der Kläger den Glaubenswechsel förmlich vollzogen, als er am 11.4.2004 in der evangelischen Kirche in B-Stadt getauft wurde. Ob dieser Wechsel zum Christentum für den Kläger auch eine Glaubenssache war, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Klägers unter Einbeziehung des Eindruckes, den er in der mündlichen Verhandlung vermittelt hat, zu überprüfen und vorliegend im Ergebnis zu verneinen.

Die Bekundungen des Klägers lassen zwar vermuten, dass er sich innerlich vom Islam abgewandt hat und diesen nicht mehr als „seine“ Religion empfindet. In diese Richtung deuten etwa seine Ausführungen zu den Inhalten der mit seinem Vater geführten Diskussionen und seine Bekundung, sich nach der Taufe „befreit“ gefühlt zu haben. Hinsichtlich seiner behaupteten kritischen Einstellung zu den Einflüssen des Islam auf die gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Verhältnisse im Iran ist der Kläger im Übrigen kein Einzelfall, da sich nach der Auskunftslage viele junge Iraner aus den gleichen Gründen wie der Kläger dem Islam entfremden. (Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 11.12.2003 - 494 i/br -)

Dem Vorbringen des Klägers ist allerdings nicht zu entnehmen, dass seine Entscheidung für eine Konversion zum Christentum eine religiöse Grundüberzeugung widerspiegelt. Die Gründe, aus denen er sich angeblich zum Christentum hingezogen fühlt und diese Religion als künftig für ihn maßgeblich gewählt haben will, sind weder anlässlich seiner Anhörung durch den Senat noch anlässlich der Anhörung durch die Beklagte (Bl. 5 des Anhörungsprotokolls vom 12.9.2002) noch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht (Bl. 3 des Sitzungsprotokolls vom 14.9.2005) deutlich geworden.

So antwortete der Kläger auf die Frage des Verwaltungsgerichts, warum er sich für den christlichen Glauben interessiere, dass er aus einer streng moslemischen Familie stamme. Alle seine Familienmitglieder seien Moslems, und zwar Schiiten. Ähnlich war seine Reaktion auf die im Rahmen der Anhörung durch die Beklagte gestellte Frage, was er an der christlichen Religion besser als an der islamischen finde. Damals beschrieb er, was ihn am Islam störe und betonte seinen Wunsch, dass die Religion frei sein solle. Im Rahmen seiner Anhörung durch den Senat hat er beteuert, er fühle sich seit seiner Taufe frei, da er keinen Pflichten mehr nachgehen müsse, die ihm nicht logisch erschienen. Nach diesen Bekundungen scheint der Kläger keine konkreten Vorstellungen von christlichen Glaubensinhalten zu haben. Zu den Auswirkungen des Religionswechsels auf seine Lebensführung befragt gab er an, an kirchlichen Feiertagen den Gottesdienst grundsätzlich und an Sonntagen, wenn er nicht zu arbeiten habe, zu besuchen. Er sei bei einer Kleiderreinigung beschäftigt und arbeite dort von montags bis donnerstags und manchmal auch samstags. Die Woche über gehe er - von eventuellen Feiertagen abgesehen - nicht zur Kirche. Der letzte Gottesdienstbesuch sei am Sonntag vor zwei Wochen gewesen. Diese Angaben lassen nicht erkennen, dass der Gottesdienstbesuch dem Kläger im täglichen Leben ein Bedürfnis ist beziehungsweise dass seine Lebensführung in sonstiger Weise durch christliche Glaubensinhalte verändert worden ist. All das, was der Kläger vor dem Senat zum Christentum vorbrachte, wurde ohne innere Anteilnahme und ohne Engagement, in weiten Teilen schleppend, gleichsam gleichgültig, wiedergegeben.

Sein Interesse für religiöse Dinge stellt sich auch im Übrigen als eher gering dar. Beispielsweise stimmen seine nunmehrigen Angaben zur Taufvorbereitung nicht mehr mit denjenigen in der von ihm vorgelegten pfarramtlichen Bescheinigung vom 8.12.2004 überein. Dort heißt es, der Kläger habe im Januar 2004 in der Pfarrei vorgesprochen, weil er nicht wie andere Iraner aus B-Stadt zum Taufunterricht und zur Taufe nach Hannover fahren, sondern in B-Stadt Taufunterricht nehmen wollte. Nach einem dreimonatigen Taufunterricht sei er in der evangelischen Kirche in B-Stadt getauft worden. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger demgegenüber an, einige Monate nach seiner Ankunft in B-Stadt habe er Kontakt mit der persisch-sprachigen Kirche in Bad Kreuznach aufgenommen, von dort Unterrichtsmaterial und Fragen dazu übersandt bekommen, sich mit diesen Materialien befasst und die Fragen beantwortet zurückgesandt. Die Taufe sei dann in B-Stadt erfolgt. Der Lebacher Pfarrer habe sich zuvor mehrfach mit ihm unterhalten und ihn zu seinem Wunsch, Christ zu werden, befragt. Ein Taufunterricht habe in B-Stadt nicht mehr stattgefunden. Aus Sicht des Senats deutet die von der selbst vorgelegten Bescheinigung doch in zentralen Punkten abweichende heutige Darstellung des Klägers darauf hin, dass die Umstände der Taufvorbereitung in seiner Erinnerung bereits verblasst sind, was nicht heißen soll, dass der Senat die Kontakte nach Bad Kreuznach nicht glaubt. Bedenklich ist vielmehr, dass der ihm pfarramtlich bescheinigte dreimonatige Taufunterricht in B-Stadt in der Erinnerung des Klägers nur als „einige Unterhaltungen mit dem Pfarrer“ haften geblieben ist, was nicht von intensivem Interesse für die christliche Sache zeugt.

Den gleichen Eindruck vermittelt der Versuch des Klägers, sich an seinen Taufspruch zu erinnern. Die Auswahl des Taufspruches ist für einen erst als Erwachsenen getauften evangelischen Christen ebenso wie die Auswahl eines Spruches für einen Konfirmanden eine ganz persönliche Angelegenheit, wobei der individuell gewählte Taufspruch auf der Taufurkunde wörtlich wiedergegeben wird, was seine religiöse Bedeutung für den Täufling widerspiegelt. Angesprochen auf seinen Taufspruch gab der Kläger an, sich an diesen zu erinnern und reihte sodann - nicht wörtlich, sondern ihrem Sinn nach - rudimentäre Auszüge aus dem Anfang des christlichen Glaubensbekenntnisses aneinander. Berücksichtigt man, dass auch das Glaubensbekenntnis im Rahmen der Erwachsenentaufe eine zentrale Rolle spielt, was äußerlich darin zum Ausdruck kommt, dass es ebenfalls textlicher Bestandteil der Taufurkunde ist, wird deutlich, dass die Erinnerung des Klägers an Inhalte des Taufunterrichts und die Taufe selbst bereits sehr verblasst ist.

Auf die Gründe angesprochen, aus denen er den in der Taufurkunde vermerkten zusätzlichen christlichen Vornamen „Josef“ gewählt hat, antwortete der Kläger, sein eigentlicher Vorname „“ deute auf einen arabischen Stamm hin. Damit wolle er nichts mehr zu tun haben. Warum er sich gerade für „Josef“ entschieden hatte, erläuterte er nicht. Dass er im Bekanntenkreis weiterhin „“ genannt werde, weil das so in seinen Papieren stünde, missfalle ihm zwar; er behauptet aber nicht, seine Bekannten gebeten zu haben, ihn mit dem neuen Vornamen zu rufen. Dass die Entscheidung für einen zusätzlichen christlichen Vornamen nicht nur ein formales Zeichen, sondern für den Kläger von religiöser Bedeutung war, lässt sich diesen Bekundungen nicht entnehmen.

Alles in allem konnte der Kläger nicht den Eindruck vermitteln, dass seine Entscheidung, sich evangelisch taufen zu lassen, religiös motiviert war. Der einzige christliche Wert, den er konkret benannte, war das Gebot der Nächstenliebe, was insofern nicht verwundert, als seine gegen den Islam gerichteten Äußerungen durchaus belegen, dass er durch eine humanitäre Grundeinstellung geprägt wird. Das Bekenntnis zur Nächstenliebe reicht allerdings als einziger konkreter Anknüpfungspunkt der Kenntnis christlichen Gedankengutes nicht zur Bejahung einer religiös motivierten Annahme des christlichen Glaubens aus, da nach allem Gesagten nicht erkennbar ist, dass der christliche Glaube den Kläger in seiner religiösen Identität prägt.

Fehlt es - wie vorliegend - an einer seine religiöse Identität prägenden christlichen Glaubensüberzeugung des Schutzsuchenden, so vermittelt der rein formal durch die Taufe vollzogene Akt des Glaubenswechsels nicht den Schutz des Art. 10 Abs. 1 b RL. Der Kläger kann nicht unter Hinweis auf diese Vorschrift und die tatsächlichen Gegebenheiten in seinem Heimatstaat Iran verlangen, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird. Diesem Begehren steht entgegen, dass er im Iran wegen des nur formal angenommenen christlichen Glaubens keine Verfolgungshandlungen zu befürchten hat.

So steht schon nicht zu erwarten, dass die Tatsache der evangelischen Taufe den iranischen Behörden überhaupt bekannt geworden ist beziehungsweise noch bekannt werden könnte. Der Kläger hat sich bislang in keiner irgendwie auffälligen Weise christlich-religiös betätigt. Dass er an Feiertagen und, wenn er Zeit hat, an Sonntagen die evangelische Kirche in B-Stadt besucht, ist kein Verhalten, das ausreicht, um die Aufmerksamkeit iranischer Spitzel in Deutschland zu erregen. Selbst wenn er insoweit irgendwann aufgefallen und daraufhin beobachtet worden sein sollte, wäre nicht anzunehmen, dass die gelegentlichen Kirchgänge aus Sicht der Beobachter von nachhaltigem Interesse sein könnten. Insbesondere kann sein Bekunden, er habe im Laufe der Zeit - wobei seit seiner Taufe bereits mehr als drei Jahre verstrichen sind - etwa acht bis zehn Iraner mit zur Kirche genommen, nicht als missionarische Tätigkeit gewertet werden. Dies gilt ungeachtet dessen, dass angeblich mindestens zwei dieser Personen zum christlichen Glauben konvertiert sein sollen. Der Kläger hat hierzu weder schriftsätzlich vorgetragen noch in der mündlichen Verhandlung den Versuch unternommen, nähere Angaben zu machen, insbesondere darzulegen, dass deren angebliche Konversion auf seine christliche Überzeugungsarbeit zurückgeht.

Selbst wenn die Tatsache der christlichen Taufe im Iran bekannt geworden wäre beziehungsweise im Falle der Rückkehr bekannt würde, ist nach der Auskunftslage und der auf dieser basierenden obergerichtlichen Rechtsprechung (Sächsisches OVG, Urteil vom 28.3.2007, amtl. Abdr. S 10 f.; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 27.4.2006 - 5 LB 106/02 -, juris, m.w.N.; Hamburgisches OVG, Urteil vom 24.3.2006 - 1 Bf 15/98.A-, juris; OVG des Saarlandes, Urteil vom 23.10.2002 -9 R 3/00-, juris, amtl. Abdr. S. 38 f.) nicht anzunehmen, dass der im Ausland im Verlauf eines Asylverfahrens vollzogene Glaubenswechsel für sich genommen die iranischen Behörden veranlassen könnte, asylrelevante Maßnahmen gegenüber dem Rückkehrer zu ergreifen. Durch eine Konversion im Ausland fühlt der iranische Staat sich in der Regel nicht bedroht, wenn es sich um eine einfache Mitgliedschaft handelt, die weder mit - ernstzunehmender - missionarischer Tätigkeit noch mit Leitungsaufgaben oder anderen hervorgehobenen Funktionen verbunden ist.

Damit gibt der Sachverhalt keine Veranlassung zur Klärung, ob die Konsequenzen, die ein religiös motivierter und den Konvertiten in seiner religiösen Identität prägender Glaubenswechsel vom Islam zum Christentum nach der Erkenntnislage im Falle der Rückkehr und der Praktizierung des neuen Glaubens in der Heimat auslöst, gemessen an Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 RL einzeln oder in Kumulation als asylrechtliche Verfolgungshandlung zu qualifizieren sind.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht auch nicht zu befürchten, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Repressalien seitens nichtstaatlicher Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG in Verbindung mit Art. 6 c RL drohen.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang geltend macht, sein Vater sei strenggläubiger Moslem und mit der Hinwendung des Klägers zum Christentum nicht einverstanden, genügt dies nicht zur Annahme, dass vom Vater eine Gefährdung für Leib oder Leben des Klägers ausgehen könnte. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zwar einerseits behauptet, der Familie seine Adresse aus Angst vor seinem Vater nicht mitzuteilen, andererseits aber bekundet, mit dem Vater telefonischen Kontakt zu haben. Grundsätzlich rede er mit seinem Vater nicht über religiöse, sondern nur über persönliche Dinge, da der Vater einen Herzinfarkt gehabt habe und er ihn nicht aufregen wolle. So frage der Vater etwa, wie es ihm gehe, ob er schon eine Familie habe und ob er nicht zurückkommen wolle. Dass er letzteres wegen seiner Konversion verneine, könne der Vater nicht akzeptieren. Der Kläger behauptet aber nicht, dass es wegen derartiger Antworten zu religiösen Streitgesprächen oder massiven Vorwürfen seitens des Vaters käme, und beim nächsten Telefonat scheinen wieder persönliche Dinge besprochen zu werden.

Die so aktuell in der mündlichen Verhandlung beschriebene Haltung des Vaters zu dem Kläger lässt nicht erwarten, dass der Vater ihm im Falle der Rückkehr Schaden an Leib oder Leben zufügen würde. Dasselbe gilt für andere Familienmitglieder und Bekannte, hinsichtlich derer der Kläger keine Bedrohung geltend gemacht hat.

Ebenso wenig ist beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger allein aufgrund der Asylantragstellung mit abschiebungsschutzrechtlich relevanten Übergriffen rechnen müsste. Insoweit teilt der erkennende Senat die Einschätzung des früher für das Herkunftsland Iran zuständig gewesenen 3. Senats des Gerichts (OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 16.8.2006 - 3 Q 78/06 - und vom 9.8.2006 - 3 Q 23/06-, jeweils juris, sowie Urteil vom 23.10.2002, a.a.O., S. 24 ff., jeweils m.w.N.) , der in Fortführung der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung ebenso wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, Beschluss vom 14.5.2007 - 14 ZB 07.30240 -, juris, m.w.N.) in einer kürzlich ergangenen Entscheidung eine allein auf die Asylantragstellung gründende Verfolgungsgefahr verneint. Der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes hat in den zitierten Beschlüssen vom August 2006 unter Berücksichtigung der neueren Auskunftslage und zahlreicher Presseberichte über das aktuelle Geschehen im Iran überzeugend dargelegt, dass zwar infolge der letzten Wahlen die fundamentalistischen Kräfte im Verhältnis zu den reformorientierten Kreisen die Oberhand gewonnen und mit dem neuen Staatspräsidenten Ahmadinadschad ein konservatives Staatsoberhaupt an ihrer Spitze haben, es aber keine Anzeichen dafür gebe, dass sich infolge dieser Entwicklung die Situation für zurückkehrende Asylbewerber verschlechtert habe und diese nun alleine wegen der Asylantragstellung und der Entfaltung gewisser Exilaktivitäten zur Untermauerung ihres Begehrens abschiebungsschutzrechtlich relevante Maßnahmen zu befürchten hätten. Den iranischen Amtswaltern sei bekannt, dass ein Asylverfahren für die meisten in Europa lebenden Iraner die einzige Möglichkeit sei, ein - wenn auch nur zeitweiliges - Aufenthaltsrecht zu erlangen. Der neueste Lagebericht (Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 37 f.) und die aktuelle Auskunftslage geben keine Veranlassung zu einer geänderten Einschätzung.

Da der Kläger nicht glaubhaft machen konnte, seine Heimat aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen zu haben, und ihm auch wegen seiner Nachfluchtaktivitäten nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen des iranischen Staates beziehungsweise seitens seines Vaters oder sonstiger Verwandter oder Bekannter drohen, ist die Berufung hinsichtlich des Hauptantrags, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen, unbegründet und unterliegt daher der Zurückweisung.

II.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung, dass ihm Abschiebungsschutz nach Maßgabe des § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG zu gewähren ist. Sein Vorbringen ist - wie im Einzelnen dargelegt - nicht glaubhaft, so dass ihm Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG nicht zusteht.

Nichts anderes ergibt sich unter Berücksichtigung der auch in diesem Zusammenhang zu beachtenden Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG. Nach Art. 2 e RL hat ein Drittstaatsangehöriger, der die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt, Anspruch auf subsidiären Schutz, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL zu erleiden, sofern auf ihn die Ausschlussgründe des Art. 17 Abs. 1 und Abs. 2 RL keine Anwendung finden und er den Schutz seines Herkunftslandes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will.

Voraussetzung der Gewährung subsidiären Schutzes ist demnach, dass der Kläger stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei Rückkehr in den Iran tatsächlich Gefahr liefe, dass ihm gegenüber die Todesstrafe verhängt oder vollstreckt würde oder dass ihm Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen (Art. 15 a und b RL). Aus welchen Gründen ihm eine derartige Behandlung droht, spielt dabei nach der in Art. 18 und Art. 2 e RL zum Ausdruck kommenden Konzeption der Richtlinie - anders als bei der an einen Verfolgungsgrund anknüpfenden Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft - keine Rolle. Ausreichend ist, dass stichhaltige Gründe für die tatsächliche Gefahr, im Falle der Rückkehr einen ernsthaften Schaden zu erleiden, vorgebracht sind. Dies ist im Falle des Klägers zu verneinen, da der von ihm geschilderte Lebenssachverhalt entweder nicht glaubhaft oder (so die im Bundesgebiet erfolgte Taufe zum evangelischen Christen) unter den konkreten Gegebenheiten nicht geeignet ist, die Gefahr, von einem ernsthaften Schaden bedroht zu werden, zu begründen.

Die Berufung ist daher insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Zwar geht das seitens des Senats mit Blick auf Art. 10 Abs. 1 b RL befürwortete Verständnis des nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewährenden Schutzes vor Verfolgungshandlungen wegen der Religion über das hinaus, was nach der bisherigen bundesdeutschen Rechtsprechung als Inhalt eines religiös bedingten Schutzanspruchs anerkannt ist. Diese grundsätzlichen Erwägungen zu den aus dem Inkrafttreten der Richtlinie zu ziehenden Konsequenzen sind indes für die getroffene Entscheidung, die Berufung zurückzuweisen, nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Das Begehren des Klägers hätte unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung erst recht keine Erfolgsaussichten gehabt. Insoweit wird hinsichtlich der Bewertung der Relevanz der geltend gemachten Konversion zum Christentum auf die Darstellung der bis zum Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG unangefochtenen Rechtsprechung in dem gegenüber dem Kläger ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts verwiesen.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG und beträgt nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschlüsse vom 21.12.2006 - 1 C 29/03 - und vom 14.2.2007 - 1 C 22/04 -, jeweils juris) zur Auslegung dieser Vorschrift 3.000 EUR.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 25. Oktober 2007 – A 2 K 11194/04 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, die dieser selbst trägt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der seinen Angaben zufolge am 16.01.1988 geborene ledige Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Im März 2004 reiste der Kläger nach seinen Angaben auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und stellte am 17.03.2004 einen Asylantrag. Im Rahmen seiner am 18.03.2004 durchgeführten Anhörung machte der Kläger geltend, er sei in Pakistan wegen seines Glaubens in der Schule schikaniert, insbesondere von Mitschülern, belästigt, beleidigt und geschlagen worden. Die Lehrer hätten zu keinem Zeitpunkt eingegriffen. Nachdem er im Juni 2003 an einer Bushaltestelle von einem Pkw angefahren worden und deshalb zwei Tage im Krankenhaus gewesen sei, habe sein Vater Angst um ihn gehabt und sei der Meinung gewesen, er solle ausreisen.
Mit Bescheid vom 14.05.2004 - als Übergabeeinschreiben am 24.05.2004 zur Post gegeben - lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen; darüber hinaus wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht.
Am 27.05.2004 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht erhoben und geltend gemacht: Die Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya würden in Pakistan als Gruppe verfolgt. Im Hinblick auf die Regelungen der Qualifikationsrichtlinie vom 29.04.2004 könne der Verfolgungsgrund der Religion nicht mehr nur auf das „forum internum“ beschränkt werden, sondern es seien nunmehr ausdrücklich auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mitumfasst. Ahmadis würden in Pakistan vielfach stigmatisiert und ausgegrenzt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht zum Verfahren geäußert.
Durch Urteil vom 25. Oktober 2007 - A 2 K 11194/04 - hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Es könne nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Kläger wegen einer asylrelevanten individuellen Vorverfolgung sein Heimatland verlassen habe. Die von ihm geltend gemachten Widrigkeiten in der Schule erreichten nicht das Maß dessen, was verlangt werde, um davon ausgehen zu können, dass seine Flucht aus einer tatsächlich ausweglosen Lage erfolgt sei. Hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Autounfalls mutmaße er lediglich, wegen seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft von einem Pkw angefahren worden zu sein. Objektive Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Vermutung habe er nicht benennen können. Soweit sich der Kläger daneben auf die allgemeine Situation von Ahmadis in Pakistan berufe, führe dies ebenfalls nicht zum Erfolg. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unter dem Gesichtspunkt der Anerkennung als Asylberechtigte in Pakistan keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt seien. Was die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG betreffe, könne zwar nicht mehr uneingeschränkt davon ausgegangen werden, die Religionsausübung sei nur noch im privaten Bereich geschützt. Die im Hinblick auf Ahmadis in Pakistan dokumentierten Verfolgungsfälle reichten jedoch weiterhin nicht zur Annahme einer für eine Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte aus. Bei der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft handele es sich um keine in Pakistan verbotene Sekte. Wegen der bloßen Glaubenszugehörigkeit geschehe den Ahmadis deshalb von staatlicher Seite nichts. Auch mit den muslimischen Nachbarn lebe der weitaus größte Teil der Ahmadis friedlich zusammen. Berichtet werde lediglich weiterhin über einzelne Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadis. Im Übrigen seien derzeit gegen Ahmadis über 1.000 Strafverfahren nach § 298 C des pakistanischen Strafgesetzbuches anhängig, der es Nicht-Muslimen, zu denen die Ahmadis gerechnet würden, verbiete, sich als Muslime zu bezeichnen oder sich wie Muslime zu verhalten. Angesichts einer Gruppe von nach eigenen Angaben vier Millionen Ahmadis sei dies jedoch zu wenig, um die erforderliche Verfolgungsdichte feststellen zu können. Dies gelte auch dann, wenn man als Vergleichsgröße lediglich 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder zugrunde lege. Die Kammer verkenne nicht, dass Ahmadis darüber hinaus durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert würden und darüber hinaus Benachteiligungen durch die unteren Instanzen der Verwaltung sowie in den Schulen, Hochschulen und bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst, namentlich bei der Beförderung ausgesetzt seien. Auch wenn nunmehr nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Qualifikationsrichtlinie eine Verfolgungshandlung bereits dann anzunehmen sei, wenn diese in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehe, so müssten diese Verfolgungshandlungen jedoch auch dann so gravierend sein, dass sich die Maßnahmen insgesamt als eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten. Hierfür reichten die Diskriminierungen und Benachteiligungen, auch wenn man sie zusammenrechne, nach Ansicht der Kammer nicht aus.
Das Urteil wurde dem Kläger am 12.11.2007 zugestellt.
Am 26.11.2007 hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt.
Durch Beschluss vom 08.01.2008 hat der Senat die Berufung zugelassen, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, und im Übrigen den Zulassungsantrag abgelehnt.
10 
Der Beschluss wurde dem Kläger am 14.01.2008 zugestellt.
11 
Am 14.02.2008 hat der Kläger die Berufung unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag begründet und einen Antrag gestellt.
12 
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Als Verfolgung i. S. des Art. 9 Abs. 2 Abs. 1 Buchst. a QRL gälten nunmehr Handlungen, die sich nach ihrer Art oder Wiederholung als eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten. Als Verfolgung seien aber nach Buchst. b auch Maßnahmen anzusehen, die so gravierend seien, dass eine Person auf eine ähnliche Weise wie nach Buchst. a betroffen sei. Die Religionsfreiheit sei ein Menschenrecht im Sinne dieser Vorschrift, was sich insbesondere aus Art. 18 Abs. 1 und 27 IPbpR sowie aus Art. 9 Abs. 1 EMRK ergebe. Vor diesem Hintergrund sei ein Rückgriff auf die Rechtsprechung zum Begriff der politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG nicht zulässig. Einschränkungen der Religionsfreiheit dürften nur unter Beachtung des Art. 18 Abs. 3 IPbpR sowie Art. 9 Abs. 2 EMRK vorgenommen werden. Die hiernach erforderlichen Gesetze müssten allgemeiner Natur sein, d.h. für alle Staatsbürger, egal welcher religiösen Ausrichtung sie angehörten, gelten. Bezogen auf die Ahmadis in Pakistan bedeutet dies, dass sämtliche gegen die Ahmadis gerichteten Strafgesetze offensichtlich nicht diesen Anforderungen genügten. Bereits diese Regelungen seien für sich genommen daher geeignet, als schwerwiegende Verletzung eines Menschenrechts zu gelten. Mit einzubeziehen seien aber auch die staatlichen Regelungen, wonach Ahmadis, um einen Nationalpass ausgestellt zu bekommen, ihre Glaubensgrundsätze dadurch verleugnen müssten, dass sie sich schriftlich auf einem Sonderformular als Nicht-Moslems bezeichnen müssten. Weiter seien die diskriminierenden Regelungen des Wahlrechts zu berücksichtigen, die es Ahmadis seit längerem unmöglich machten, sich auf normalen Wahllisten als Kandidat aufstellen zu lassen oder die normalen Kandidaten zu wählen, was bewirke, dass Ahmadis an den Parlamentswahlen nicht mehr teilnähmen und daher im Parlament nicht mehr vertreten seien. Es werde insoweit auf den sog. Präsidentenerlass Nr. 15 vom 17.06.2002 zur Ergänzung des Erlasses über die allgemeinen Wahlen 2002 verwiesen. Hiernach müsse unter bestimmten Voraussetzungen ein Formular mit einer Erklärung über die Finalität des Propheten unterzeichnen werden. Falls der Betreffende sich weigere, werde er als Nicht-Muslim betrachtet und sein Name werde aus dem allgemeinen Wahlverzeichnis gestrichen und der Zusatzliste für Nicht-Muslime zugeteilt. Damit werde sowohl das aktive wie auch das passive Wahlrecht deutlich eingeschränkt. Weiter müssten auch die Regelungen bei der Registrierung von Geburten in Betracht gezogen werden, weil bei den öffentlichen Registrierungsstellen die Religion des Kindes bzw. der Eltern angegeben werden müsse. Ahmadis müssten dort „Ahmadi“ angeben und dürften nicht entsprechend ihrem Selbstverständnis „Moslem“ eintragen lassen. Dies führe in Pakistan faktisch zu einer stigmatisierenden Ausgrenzung. Weiter seien die faktischen Beeinträchtigungen im Schul-, Hochschul- und Ausbildungsbereich sowie die Benachteiligungen bei der Einstellung bzw. Beförderung im öffentlichen Dienst zu berücksichtigen. In Bezug auf das Bildungswesen sei darauf zu verweisen, dass die Studenten auf den Antragsformularen ihre Religionszugehörigkeit angeben müssten. Bezeichneten die Ahmadis sich auf diesem Formular als Moslem riskierten sie eine Freiheitsstrafe. Bezeichneten sie sich als Ahmadi, müssten sie damit rechnen, dass ihnen der Zugang verwehrt werde. Würden sie dennoch zugelassen, dürften sie in der Regel nicht am Pflichtfach „Islamyyat“ teilnehmen, was zur Benachteiligung beim Schulabschluss führe. Weiter sei zu verweisen auf die weit verbreiteten Entweihungen der ahmadischen Grab- und Gebetsstätten, der Ausschluss von der Beerdigung auf den meisten Friedhöfen, die Beschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit sowie die Beschränkungen im Bereich der Publizistik. Betrachte man dieses Bündel von diskriminierenden und ausgrenzenden Maßnahmen unterschiedlichen Charakters einerseits sowie andererseits die Tatsache, dass bei einer Gesamtzahl von ca. 2 bis 4 Millionen Ahmadis in Pakistan nur noch ca. 500.000 sog. bekennende Ahmadis lebten, so liege es nahe, dass die weit überwiegende Anzahl der Ahmadis sich nur deshalb nicht traue, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Glauben zu bekennen, um dem auf ihnen lastenden Ausgrenzungsdruck zu entgehen, wobei auch die Existenz und der Vollzug der religiösen Strafgesetze berücksichtigt werden müsse Auch die Anzahl der tätlichen Angriffe von privaten Dritten in Bezug auf religiöses Verhalten der Ahmadis müsse einbezogen werden.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 25.10.2007 - A 2 K 11194/04 - zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sowie den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14.05.2004 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
15 
Die Beklagte beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Zur Begründung führt sie aus: § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL führten grundsätzlich zu keiner anderen Bewertung. Ob Eingriffe in die Religion hinreichend schwerwiegende Rechtsgutverletzungen darstellten, bestimme sich nach Art. 9 QRL. Einschränkungen der religiösen Betätigung als solche stellten nur dann hinreichend schwerwiegende Eingriffe dar, wenn die Religionsausübung gänzlich unterbunden werde oder sie zu einer Beeinträchtigung eines unabdingbaren Teils des religiösen Selbstverständnisses des Gläubigen führten und daher ein Verzicht nicht zugemutet werden könne.
18 
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten äußert sich wie folgt: Ahmadis würden in Pakistan durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert. Ihnen sei unter Strafandrohung verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder sich wie Muslime zu verhalten. Bezogen auf die Gesamtzahl der in Pakistan lebenden etwa drei Millionen Ahmadis sei die Gefahr als gläubiger und praktizierender Ahmadi mit einem Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen religiöser Delikte überzogen zu werden, jedoch nach wie vor so gering, dass die Verfolgungsdichte für die Annahme einer Gruppenverfolgung nicht ausreiche. Gleiches gelte für die bisher dokumentierten Fälle von Strafverfahren nach dem Antiterrorismusgesetz. So ließen sich bis 2001 etwa 40 Fälle feststellen, in den aufgrund dieses Gesetzes gegen Ahmadis vorgegangen worden sei. Eine andere Bewertung ergebe sich auch nicht aus der nunmehr zu berücksichtigten Qualifikationsrichtlinie. Insoweit werde die Sicht der Beklagten geteilt. Ohnedies könne der Kläger nach Art. 8 QRL auf einen internen Schutz verwiesen werden. Er könne im Schutz der Ahmadyya-Gemeinde in einer der großen Städte Pakistans unbehelligt leben. Davon ausgenommen seien nur solche Personen, die einen überregionalen Bekanntheitsgrad erlangt hätten. Dies sei jedoch im Falle des Klägers nicht anzunehmen.
19 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend angehört. Er hat in diesem Zusammenhang folgende Angaben gemacht:
20 
Auf Frage, nach seinen Tätigkeiten, die er in Pakistan wie in Deutschland für seinen Glauben ausgeübt habe: Er habe seine religiösen Pflichten erfüllt, er habe Broschüren verteilt. Er habe seine Gebete verrichtet und sei regelmäßig in die Moschee gegangen. Sie hätten Probleme gehabt, sehr viele sogar. In Deutschland arbeite er für die Moschee, er verrichte die Gebete, er gehe zu Veranstaltungen in andere Städte. Er bringe Sachen von einem Ort zum anderen.
21 
Auf Frage, ob es eine Gemeinde in Mannheim gebe: Ja, in der Stadtmitte, hinter dem Paradeplatz. Es sei eine Wohnung, die als Moschee genutzt werde.
22 
Auf Frage, wie häufig er dort hingehe: Morgens, mittags, nachmittags und abends, er gehe dorthin, um zu beten.
23 
Auf Frage: Er habe Zeit, da er nicht arbeiten dürfe.
24 
Auf Frage: Normalerweise mache er dies jeden Tag. Manchmal habe er aber auch keine Zeit.
25 
Auf Frage: Wenn er auf Ämter gehen müssen oder wenn er Einkaufen gehe.
26 
Auf Vorhalt, dass man doch zwischen den Gebeten einkaufen gehen könne: Er habe keine Fahrkarte und auch kein Geld, weshalb er zu Fuß von seiner Wohnung zum Paradeplatz gehen müsse, dies dauere 1 bis 2 Stunden.
27 
Auf Frage, ob er jeden Tag vier Mal zu Fuß hin und her gehe: Nach dem Gebet am Nachmittag um 16.00 Uhr bleibe er bis zum Abend.
28 
Auf Frage: Morgens gehe er aber immer wieder zurück, auch mittags. Er rufe gelegentlich auch seinen Schwager an, der ihn mit dem Auto mitnehme. Der Schwager habe aber manchmal keine Zeit.
29 
Auf Frage nach den Veranstaltungen in anderen Städten: Letztes Wochenende in Bensheim, auch in Groß-Gerau, am Maimarkt, im August werde wieder eine Veranstaltung auf dem Maimarkt sein.
30 
Auf Frage: In Bensheim seien sie alle zusammengekommen, sie hätten gebetet und gespielt.
31 
Auf Frage: Auf dem Maimarkt, das sei eine große Veranstaltung gewesen. Der religiöse Führer, der Hazur, sei auch gekommen und habe einen Vortrag gehalten. Die Vorbereitungen hätten einen Monat gedauert.
32 
Auf Frage, was er dort gemacht habe: Er habe Anweisungen befolgt.
33 
Auf nochmalige Frage: Er habe geholfen, das Zelt aufzubauen und habe bei der Reinigung geholfen.
34 
Auf Frage nach weiteren Aktivitäten: Es habe Essen gegeben, deutsches und pakistanisches, die Leute hätten miteinander gesprochen und zusammen gebetet.
35 
Auf Frage, worüber sie gesprochen hätten: Über den Islam, über die Ahmadiyya, was ein Ahmadi mache, was ein Nicht-Ahmadi mache.
36 
Auf Frage, was das bedeute und was er damit meine: Er könne das nicht so genau erklären.
37 
Auf erneute Frage: Er habe immer dort seinen Dienst gehabt, er habe Wasser verteilt.
38 
Auf Frage, ob er sich also nicht an den Gesprächen beteiligt habe: Doch, doch, er habe alles gehört.
39 
Auf Frage des Prozessbevollmächtigten, ob er statt von Gesprächen von einer Ansprache rede: Nach der Ansprache des Hazur hätten die Leute zusammen gesessen und geredet, dann sei die Zeit des Gebets gekommen und sie hätten gebet. Danach seien alle wieder raus gegangen, auch der Hazur. Draußen habe es Essen gegeben, manchmal sei man auch wieder in die Halle zurückgegangen.
40 
Auf Frage, ob er sich also nicht an Gesprächen beteiligt habe: Ja.
41 
Auf Frage, was der Hazur bei der Ansprache im Einzelnen gesagt habe: Sie sollten dem richtigen Weg folgen, sie sollten zu den Leute gehen und diese überzeugen, dass die Ahmadis eine gute Gemeinde seien, sollten den Leuten sagen, dass sie zu uns kommen sollten, alle Ahmadis sollten das Heilige Buch, den Koran lesen.
42 
Auf Frage, ob auch er selbst zu den Leuten gegangen sei, um sie zu überzeugen: In Deutschland ja.
43 
Auf Frage, wann, wo und wie er dies mache: Weil er die deutsche Sprache nicht beherrsche, sage er sie sollten in die Moschee kommen.
44 
Auf Frage, wem er solches sage: Den Deutschen und anderen Menschen.
45 
Auf Vorhalt, dass er doch nicht deutsch spreche: Er spreche gebrochen Deutsch, er sage sie sollten in die Moschee kommen.
46 
Der Senat hat den Kläger daraufhin aufgefordert, auf Deutsch zu sagen, wie und mit welchen Worten er andere auffordere, in die Moschee zu kommen.
47 
Auf Frage, ob er auch Pakistani anspreche, die keine Ahmadis seien: Nein.
48 
Auf Frage, ob er also nur Deutsche anspreche: Nein, alle.
49 
Auf Frage, warum er keine Landsleute anspreche: Es habe mal mit einem Landsmann Streit gegeben.
50 
Den Vorhalt, dass, wenn er gläubig wäre, er dieses doch in Kauf nehmen müsste, beantwortete der Kläger nicht.
51 
Auf Frage nach dem Verteilen von Broschüren in der Heimat: In den Broschüren sei über die Gebete, über unseren Kalifen, über unsere Geschichte geschrieben gewesen. Es seien ein kleines Büchlein und eine Zeitschrift gewesen.
52 
Auf Frage, ob dies offiziell von der Ahmadiyya herausgegeben worden sei: Ja.
53 
Auf Frage nach dem Namen: Al Khalid und Al Fazal.
54 
Auf Frage, wie oft er verteilt habe: Das wisse er nicht.
55 
Auf Frage, weshalb er dies nicht wisse: Oft.
56 
Auf nochmalige Frage: Wie solle er dies erklären.
57 
Auf Frage, wie er verteilt habe: In den Häusern.
58 
Auf Frage nach Einzelheiten: Er habe an der Tür geklopft, dann sei jemand gekommen und er habe ihm die Zeitschrift gegeben. Er habe dann den Namen notiert und dies in der Moschee gemeldet. Er habe auch in den Häusern von Nicht-Ahmadis verteilt.
59 
Auf Frage, wie er gewusst habe, an wen er verteilten müsse: Sie hätten gewusst, wo Ahmadis gewohnt hätten.
60 
Auf Frage, wie viele Jahre er dies gemacht habe: Vier Jahre.
61 
Auf Frage, ob dies vom Zeitpunkt der Ausreise gerechnet sei: Ja.
62 
Auf Frage, ob es richtig sei, dass er dann mit 12 Jahren begonnen habe: Ja.
63 
Auf Frage, ob ihm einmal beim Verteilen etwas zugestoßen sei: Nein.
64 
Auf Frage, nach welchen Gesichtspunkten bzw. welchem System er an Nicht-Ahmadis verteilt habe: Der Imam in der Moschee habe es gesagt.
65 
Auf Frage, ob er seine Aktivitäten vollständig geschildert habe oder ob er noch etwas anderes gemacht habe: Dies sei alles gewesen.
66 
Auf nochmalige Frage, ob er sich da ganz sicher sei: Ja.
67 
Auf Vorhalt, dass er bei der Anhörung durch das Bundesamt davon gesprochen habe, dass er Mitgliedsbeiträge gesammelt habe: Ja, das sei richtig.
68 
Auf Frage, wie lange er gesammelt habe: 1 ½ bis 2 Jahre.
69 
Auf Frage, warum er soeben nichts davon gesagt habe: Es sei nicht in seinen Kopf gekommen.
70 
Auf Frage nach den genauen Inhalten seines Glaubens und was diesen von dem anderer Muslime unterscheide: Sie stritten nicht miteinander, sie unterstützten sich gegenseitig, die anderen seien egoistisch. Die anderen seien die Sunniten und Schiiten.
71 
Auf Frage, ob dies alle Unterschiede zwischen Ahmadis und Schiiten und Sunniten seien: Er habe alles gesagt.
72 
Auf Frage nach dem eigentlichen Grund und Anlass für seine Ausreise: Er habe nicht in die Schule gehen können, er habe Schläge bekommen, er habe deshalb Angst bekommen.
73 
Auf Frage, von wem er Schläge bekommen habe: Von Nicht-Ahmadis.
74 
Auf Frage, ob dies nur in der Schule gewesen sei: Auch an der Bushaltestelle; die Lehrer hätten nicht eingegriffen, sie hätten sie gehasst.
75 
Auf Frage, wie oft dies geschehen sei: Jeden Tag, mit Stöcken und der flachen Hand.
76 
Auf Frage, wer geschlagen habe: Mitschüler und andere.
77 
Auf Frage, ob dies jeden Tag geschehen sei: Ja, jeden Tag, er habe seinen Eltern davon erzählt, die Polizei habe nicht geholfen, deshalb sei er hier.
78 
Auf Frage, wie lange dies angedauert habe: In der Oberschule, 6. Klasse, habe es begonnen, zwei Jahre.
79 
Auf Frage, wohin er geschlagen worden sei: Überall hin, z.B. auf den Kopf.
80 
Auf Frage, ob man ihm gesagt habe, weshalb man ihn schlage: Weil er ein Ahmadi sei, ein Ungläubiger.
81 
Auf Frage, ob er dies tatsächlich zwei Jahre erduldet habe: Ja, jedes Mal, wenn er nach Hause gekommen sei, sei er verletzt gewesen, am Kopf, an den Beinen, Armen.
82 
Auf Frage, ob er dies zwei Jahre ausgehalten habe: Ja, die Eltern hätten ihn dann nach Deutschland geschickt.
83 
Auf Frage, ob er deswegen auch im Krankenhaus gewesen sei: Nein, nicht richtig im Krankenhaus, immer nur in einer Arztpraxis.
84 
Auf Frage, wie lang er dort gewesen sei: Nach der Behandlung sei er wieder nach Hause zurückgekehrt.
85 
Auf nochmalige Frage: Nach 10 Minuten oder ¼ Stunde.
86 
Auf Frage, wie oft er in dieser Art beim Arzt gewesen sei: Fast jeden Tag.
87 
Auf Frage, ob er auch mal länger habe bleiben müssen: Nein, die Eltern hätten ihn immer gleich nach Hause genommen.
88 
Auf Vorhalt, dass er beim Bundesamt von einem zweitägigen Krankenhausaufenthalt gesprochen habe: Ja, das sei ein großer Unfall gewesen.
89 
Auf Frage, warum er soeben davon nicht berichtet habe: Das Krankenhaus sei nicht in ihrer Stadt gewesen.
90 
Auf Frage: Er habe das Bein gebrochen gehabt.
91 
Auf Frage, ob er deshalb heute noch Schmerzen habe: Ja.
92 
Auf Frage, wie es zu dem Unfall gekommen sei: Er sei in Richtung Bushaltestelle gegangen, dort habe ein weißer Bus gestanden, die hätten gewusst, dass er Ahmadi sei und seien losgefahren und hätten ihn angefahren.
93 
Auf Frage, ob er die Leute erkannt habe: Nein.
94 
Auf Frage, weshalb er dann wisse, dass die Leute gewusst hätten, dass er Ahmadi sei und ihn gerade deshalb angefahren hätten: Deshalb hätten sie es doch gemacht.
95 
Auf Frage des Prozessbevollmächtigten, ob er gebürtiger Ahmadi sei: Ja.
96 
Auf dessen Frage, ob er sich vorstellen könne, seinen Glauben zu wechseln: Nein, weil er Ahmadi sei, er sei stolz Ahmadi zu sein.
97 
Auf dessen Frage, ob er wisse, warum sie anders seien: Sie glaubten an Mirza Ghulam Ahmad.
98 
Auf dessen Frage, warum er Probleme habe: Die anderen glaubten Mohamed sei gestorben, sie glaubten an Quadiani.
99 
Auf dessen Frage, ob er etwas von ihm gelesen habe: Nein
100 
Auf dessen Frage, ob er im Koran lese: Ja.
101 
Auf dessen Frage, warum er Broschüren an Nicht-Ahmadis verteilt habe: Sie glaubten nicht an sie, sie würden unsere Sachen verbrennen, es brächte gar nichts.
102 
Auf Frage des Senats, warum sie dann aber die Broschüren verteilt hätten: Sie hätten sie eingeladen.
103 
Auf Frage des Prozessbevollmächtigten, ob er ein Bedürfnis habe, Nicht-Ahmadis anzusprechen, auch wenn es Streit gebe: Ja.
104 
Auf Frage der Vertreterin der Beklagten, ob auch der Bruder in die Schule gegangen sei und Probleme gehabt habe: Er sei in eine andere Schule gegangen.
105 
Auf deren Frage, ob die Eltern es hätten einrichten und mit ihren sonstigen Pflichten hätten vereinbaren können, ihn jeden Tag zum Arzt zu bringen; Ja.
106 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
107 
Dem Gericht lagen die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vor.

Entscheidungsgründe

 
108 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§ 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG).
109 
Der Kläger ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Flüchtling im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 lit. c der zu dessen Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL). In diesem Zusammenhang kann der Senat offen lassen, ob § 60 Abs. 1 AufenthG die Qualifikationsrichtlinie vollständig und ordnungsgemäß umsetzt. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist zum 10.10.2006 (vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) ist diese ohnehin in weitem Umfang unmittelbar anzuwenden.
I.
110 
Nach Auffassung des Senats sprechen gewichtige Gesichtspunkte für folgendes Verständnis der hier maßgeblichen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie:
111 
1. Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 lit. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL maßgeblich. Hiernach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.
112 
Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL gewährleistet für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn er sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jegliche religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird. Die Vorschrift geht damit ihrem eindeutigen Wortlaut nach über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158>; BVerwG, U.v. 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82).
113 
Damit zeichnet der supranationale Normgeber auch für den Bereich des vergemeinschafteten Flüchtlingsschutzes die universelle menschenrechtliche Anerkennung gerade auch der öffentlichen Glaubensausübung bzw. -betätigung nach und bekennt sich zu dieser (vgl. auch die 10. Begründungserwägung, in der sich die Gemeinschaft zur Achtung der Grundrechte bekennt). So gewährleistet Art. 18 des Internationalen Paktes vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) die private und die öffentliche Glaubenspraxis, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder eine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. Des Weiteren wird die Ausübung der Religionsfreiheit auch in der Öffentlichkeit durch Art. 9 EMRK gewährleistet, wenn hiernach die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen, geschützt wird. Schließlich ist auch auf Art. 1 der Erklärung Nr. 36/55 der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion und der Überzeugung vom 25.11.1981 hinzuweisen, in der gleichfalls zum Ausdruck kommt, dass das Recht auch auf öffentliche Religionsausübung und religiöse Praxis als fundamentales Menschenrecht allgemein anerkannt ist.
114 
Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, der öffentliche Ruf zum Gebet, sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von diesem zu überzeugen (in diesem Sinne auch BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – InfAuslR 2008, 101; vgl. zum Schutzbereich des Art. 18 IPbpR Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 25; vgl. zu den verschiedenen Formen öffentlicher religiöser Praktiken auch Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 12).
115 
Ist hiernach der Schutzbereich der Religion weit zu verstehen, so bietet die Vorschrift keinen Anhalt für ein von vornherein einengendes Verständnis, wonach nicht jede Form der öffentlichen Glaubensbetätigung geschützt sei, sondern nur die aus dem jeweiligen religiösen Verständnis glaubensprägenden beziehungsweise unverzichtbar gebotenen und existentiellen Betätigungen gemeint sein könnten. Dies folgt insbesondere nicht aus dem den Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL abschließenden Satzteil „…die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.“ Das Gegenteil folgt schon aus der Weite des Begriffs „sich auf eine religiöse Überzeugung stützen“, der - insoweit nahe liegend - verlangt, dass die jeweils zu beurteilende Betätigung auf einer religiösen Überzeugung beruhen muss bzw. auf diese zurückgeführt werden kann, ohne aber zwingenden Charakter derart haben zu müssen, dass der oder die Betreffende im Falle des Unterlassens Gewissensnot erleiden oder sündig werden würde. Die Frage nach dem Gewicht und der Bedeutung eines Unterlassens stellt sich erst bei der Beurteilung der Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL (vgl. unten 2). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL ausdrücklich etwa auch die Nichtteilnahme an religiösen Riten schützt, somit die Entscheidung, sich religiöser Betätigungen gerade zu enthalten, indem Handlungen, die die Religion als Verhaltensweise zu bestimmten Anlässen vorgibt, gerade unterlassen werden (in diesem Sinne auch SaarlOVG, U.v. 26.06.2007 - 1 A 222/07 - juris).
116 
Allerdings sind die vorgenannten menschenrechtlichen Gewährleistungen nicht schrankenlos eingeräumt. Sowohl Art. 18 IPbpR als auch Art. 9 EMRK differenzieren zwischen der grundsätzlich nicht beschränkbaren Freiheit, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen einerseits, sowie der Beschränkbarkeit der freien Religionsausübung (d.h. des Bekenntnisses) andererseits. Nach Art. 18 Abs. 3 IPbpR (wie auch vergleichbar nach Art. 9 Abs. 2 EMRK) darf die religiöse Betätigung Einzelner oder der Gemeinschaft allerdings nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, der Gesundheit, der Sittlichkeit und der Grundrechte und Grundfreiheiten anderer verboten oder reglementiert werden, sofern dieses gesetzlich vorgesehen und zur Erreichung der genannten Zwecke notwendig ist und v.a. das einschränkende Gesetz einen angemessenen und verhältnismäßigen Ausgleich herbeiführt. Den jeweiligen Staaten wird dabei aber regelmäßig ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zugebilligt (vgl. ausführlich zu den Schrankenvorbehalten Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 31 ff; UNHCR, „Richtlinien zum Internationalen Schutz, Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung“, Ziffer 15 f.; vgl. auch Grabenwarter, EMRK, 3. Aufl., S. 246 ff.; Meyer-Ladewig, EMRK, 2. Aufl., Art. 9 Rdn. 8 m.w.N.). Dabei muss das verbietende bzw. einschränkende Gesetz allgemeiner Natur sein, d.h. es muss für alle Staatsbürger - welcher religiösen Ausrichtung sie auch angehören mögen - gleichermaßen Geltung beanspruchen, darf daher nicht auf bestimmte religiöse Gruppen zielen und ausschließlich für diese Einschränkungen vorsehen (vgl. Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 23). Dieser Aspekt findet seinen Niederschlag auch in den Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie selbst, wenn diese zur Definition der verfolgungsrelevanten Verfolgungshandlung in Art. 9 Abs. 2 lit. b, c, d und f maßgeblich auf das Kriterium der Diskriminierung abstellt. Vor diesem Hintergrund werden einschränkende Maßnahme, die nicht den genannten Schrankenvorbehalten genügen, insbesondere nicht dem Postulat des allgemeinen Gesetzes genügen, in der Regel indiziell auf eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung hindeuten.
117 
Ausgehend hiervon können diese universal anerkannten Grenzen der Religionsausübungsfreiheit auch zur Konkretisierung des Art. 10 lit. b QRL und seiner Grenzen sinngemäß herangezogen werden.
118 
2. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a oder b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
119 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere lit. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung – von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen – in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird und der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann.
120 
Auch wenn hiernach formal betrachtet gewissermaßen eine „bloße“ oder „einfache“ Beeinträchtigung eines Menschenrechts nicht schutzbegründend sein kann, so darf andererseits, wie dargelegt, nicht aus dem Auge verloren werden, dass Art. 10 Abs. 1 lit. a QRL Ausdruck einer Anerkennung bzw. eines Bekenntnisses zu dem grundlegenden Menschenrecht einer gerade auch öffentlichen Glaubensbetätigung ist. Deshalb wäre es nach Auffassung des Senats verfehlt, von einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung nur dann auszugehen, wenn die bisher im asylrechtlichen Kontext relevanten Kriterien eines asylerheblichen Eingriffs in das religiöse Existenzminimum erfüllt sind mit der Folge, dass sich durch die Qualifikationsrichtlinie im Ergebnis keine Änderung der Rechtslage ergeben hätte. Bei dieser Sichtweise würde sich die gemeinschaftsrechtliche Anerkennung dieses Menschenrechts für das Gebiet des Asyl- und Flüchtlingsrechts in der Rechtswirklichkeit nicht durchsetzen und bliebe wirkungs- und folgenlos. Der gemeinschaftsrechtliche Auslegungsgrundsatz des „éffet utile“ gebietet aber, Normen des Gemeinschaftsrechts und somit auch Richtlinien so auszulegen, dass ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet ist (vgl. Pechstein/Drechsler, in: Reisenhuber, Europäische Methodenlehre, Handbuch für Ausbildung und Praxis, 2006, S. 160, Rn. 69 f.).
121 
Daraus folgt, dass jedenfalls Beschneidungen bzw. Verbote öffentlicher Glaubensbetätigungen bzw. Praktiken, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion bzw. Weltanschauung, aber auch nach dem – nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnis des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen können, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern. Die Beschränkung auf lediglich grundlegende Betätigungen bzw. Äußerungen hat - gewissermaßen als Kehrseite - ihren Grund darin, dass, wie ausgeführt, nicht jede Beeinträchtigung des Menschenrechts die Qualität einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung erlangt, sondern nur eine solche schwerwiegender Art (a.A. wohl Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 28 f.).
122 
3. Zur Beantwortung der Frage, welcher Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit nach der Qualifikationsrichtlinie anzuwenden ist, ist zunächst auf Art. 4 Abs. 3 QRL hinzuweisen, der – bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. lit. a) – eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorgibt. Einzelfallbezogenheit schließt allerdings nicht aus, dass dem darlegungs- und beweiserleichternden Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung weiterhin Relevanz beizumessen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 - BVerfGE 54, 341 <358 f.>; B.v. 21.01.1991 - 2 BvR 902/85 - BVerfGE 83, 216 <233>; Kammerb. v. 02.02.1996 - 2 BvR 1576/94 - NVwZ-Beil. 1996, 25; vgl. auch zum Sonderfall eines staatlichen Verfolgungsprogramms BVerwG, U. 05.07.1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 <203>). Denn selbstverständlich kann auch nach der Qualifikationsrichtlinie vom Schicksal von Personen, die in einer in wesentlichen Punkten vergleichbaren Situation bereits Verfolgung erlitten haben, bei unverändert gebliebener Sachlage auch prognoserechtlich auf das (künftige) Schicksal anderer Personen geschlossen werden.
123 
Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nach dem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung zwar ebenfalls.
124 
Nach den bisher richterrechtlich entwickelten Maßgaben durfte aber ein (landesweit) vorverfolgt ausgereister Flüchtling grundsätzlich nur dann in sein Heimatland zurückgeschickt werden, wenn er dort hinreichend sicher vor erneuter politischer Verfolgung war (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab), wobei hinreichende Sicherheit in diesem Zusammenhang bedeutete, dass aufgrund der bereits einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Ausschlusses erneuter Verfolgung zu stellen waren. Es musste mehr überwiegend wahrscheinlich sein, dass keine erneute Verfolgung droht, ohne dass allerdings ein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellter Ausschluss zu verlangen gewesen wäre. Demgegenüber konnte ein unverfolgt Ausgereister bei zu berücksichtigenden objektiven Nachfluchtgründen auf sein Heimatland verwiesen werden, wenn ihm dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte, was anzunehmen war, wenn er in absehbarer Zeit dort nicht mit Verfolgungsmaßnahmen ernsthaft zu rechnen hatte (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; vgl. zusammenfassend BVerwG, U.v. 18.02.1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97).
125 
Auch die Qualifikationsrichtlinie nimmt bei der anzustellenden Verfolgungsprognose eine Differenzierung vor, indem sie in Art. 4 Abs. 4, auf den § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ausdrücklich Bezug nimmt, ausführt, dass die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Im Übrigen aber verbleibt es bei der Prüfung, ob der Flüchtling zum Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in sein Heimatland erwartbar Verfolgungsmaßnahmen oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erleiden wird oder hiervon unmittelbar bedroht ist. Insoweit kann auch auf die Begriffsbestimmung des Art. 2 lit. c QRL zurückgegriffen werden, wonach "Flüchtling" im Sinne der Qualifikationsrichtlinie einen Drittstaatsangehörigen bezeichnet, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will. Der letztgenannte Maßstab entspricht dabei dem in der Rechtsprechung entwickelten Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" in Anlehnung an die britische Rechtsprechung des "real risk", wobei auch ein Verfolgungsrisiko von unter 50% als beachtlich wahrscheinliches Risiko angesehen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582 m.w.N.).
126 
Der von der Rechtsprechung entwickelte Maßstab der "hinreichenden Sicherheit" bei vorverfolgt ausgereisten Flüchtlingen wird somit durch die in Art. 4 Abs. 4 QRL enthaltene Rückausnahme modifiziert. Bei der Auslegung des Art. 4 Abs. 4 QRL können zwar die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien der "hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung" mit herangezogen werden, da auch der Richtliniengeber davon ausgeht, dass der bereits einmal verfolgte Flüchtling einen erhöhten Schutzstandard genießt, stellt doch die Vorverfolgung einen ernsthaften Hinweis auf eine auch bei Rückkehr zu befürchtende Verfolgung dar, es sei denn, es greift die Rückausnahme des Art. 4 Abs. 4 a.E. QRL. Allerdings werden die unterschiedlichen Maßstäbe bzw. Ansätze in der praktischen Anwendung sicherlich häufig keine unterschiedlichen Ergebnisse zur Folge haben (weitergehend BayVGH, U. v. 31.08.2007 - 11 B 02.31774 – juris, der auch in Anwendung der Qualifikationsrichtlinie von den bisher entwickelten Prognosemaßstäben ausgeht).
II.
127 
Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <160>) gilt auch im vorliegenden Kontext, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können, weshalb insoweit auch keine Frage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen ist (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
III.
128 
Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
129 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
130 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
131 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
132 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
133 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
134 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
135 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
136 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
137 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
138 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
139 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
140 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚ Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
141 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
142 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
143 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
144 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
145 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
146 
Sec. 298 C lautet:
147 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
148 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
149 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
150 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960 - Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
151 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practises, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
152 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
153 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
154 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen untern d).
155 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
156 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
157 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
158 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
159 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department Of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practises, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
160 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
161 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
162 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
163 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtig festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.
IV.
164 
Dafür, dass generell jeder pakistanischer Staatsangehöriger allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft hingegen Verfolgung zu gewärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen unter II. 2. und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn dieser Personenkreis sich in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Insoweit stellt sich die Sachlage nicht anders dar, als sie bislang der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs und der anderer Oberverwaltungsgerichte zu dem Aspekt der asylerheblichen Gruppenverfolgung entsprach (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 24.11.2000 – A 6 S 672/99 – juris; HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, B.v. 29.06.1005 – 2 L 208/01 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 21.07.2004 – 19 A 2599/04.A – juris m.w.N.; OVG Saarland, B.v. 15.03.2002 – 9 Q 59/01 m.w.N. – juris; BayVGH, U.v. 24.07.1995 – 21 B 91.30329 – juris; NiedersOVG, U.v. 29.02.1996 – 12 L 6696/95 – juris; ThürOVG, U.v. 30.09.1998 – 3 KO 864/98 – juris; HambOVG, B.v. 02.03.1999 – OVG Bf 13/95 – juris). Hieran ist auch nach dem aktuellen Erkenntnisstand festzuhalten. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, v.a. was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies bislang der Fall war. Nachdem die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan nach wie vor selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa vier Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. AA Lagebericht vom 30.05.2007, S. 16), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
V.
165 
Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass er seinem Glauben überhaupt eng verbunden ist, diesen auch in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt hat und auch gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation betroffen wäre.
166 
Dies ergibt sich aus folgendem: Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in verschiedener Hinsicht unwahre Angaben macht. Diese falschen Angaben sind nach Auffassung des Senats von solchem Gewicht, dass die Glaubwürdigkeit des Klägers insgesamt in Frage steht. Zunächst sind hinsichtlich der vom ihm behaupteten Aktivitäten für seine Glaubensgemeinschaft in der Heimat vor seiner Ausreise grundlegende Bedenken deshalb gerechtfertigt, weil der Kläger in der mündlichen Verhandlung den Aspekt des Sammelns von Mitgliedsbeiträgen, der im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt ausführlich zur Sprache gekommen war, mit keinem Wort erwähnt hatte. Dabei ist es für den Senat nicht nachvollziehbar, dass der Kläger diesen Aspekt aktuell nur nicht erinnert haben könnte. Denn immerhin soll die Tätigkeit kontinuierlich 1 ½ bis 2 Jahre gedauert haben. Hinzu kommt, dass der Kläger ausdrücklich zwei Mal vom Senat gefragt worden war, ob es über die von sich aus geschilderten Aktivitäten noch weitere gegeben habe. Der Senat ist weiter überzeugt davon, dass der Kläger die Unwahrheit sagt, wenn er behauptet, er sei in der Heimat über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren jeden Tag in der Schule bzw. auf dem Schulweg geschlagen worden, wobei er jedes Mal verletzt nach Hause gekommen sei und deshalb fast jeden Tag von seinen Eltern zum Arzt zur ambulanten Behandlung habe gebracht werden müssen. Dass unter diesen Umständen der Kläger nicht wesentlich früher wenigstens den Schulbesuch aufgegeben hat, ist für den Senat in keiner Weise nachvollziehbar. Nicht unberücksichtigt bleiben kann in diesem Zusammenhang auch, dass nach den Angaben des Klägers sein Bruder an einer anderen Schule keine Schwierigkeiten gehabt haben soll. Vor diesem Hintergrund ist der Kläger auch jede nachvollziehbare Darstellung schuldig geblieben, warum die Verhältnisse gerade an seiner Schule so schlecht gewesen sein sollen. Weiter hatte der Kläger beim Bundesamt insoweit unzutreffende Angaben gemacht, als er behauptet hatte, wegen des Vorfalls an der Bushaltestelle zwei Tage in einem Krankenhaus verbracht zu haben. Denn in der mündlichen Verhandlung war trotz wiederholter Nachfrage von einem Krankenhausaufenthalt zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr die Rede. Der Senat hat hier auch keinen ausreichenden Anhalt, dass der Kläger diesen Gesichtspunkt vergessen oder jedenfalls aktuell nicht mehr in Erinnerung gehabt haben könnte. Denn immerhin hat der Kläger ausdrücklich bejaht, dass er auch aktuell immer wieder Schmerzen am Bein habe. Wenn der Kläger in diesem Zusammenhang, ohne auch nur irgendeinen greifbaren und nachvollziehbaren Anhaltspunkt zu haben, die Behauptung aufgestellt hat, dieser Vorfall sei nur inszeniert worden, weil er Ahmadi sei und um ihn als solchen zu treffen, so spricht dies auch gegen seine allgemeine Glaubwürdigkeit, weil hierin zum Ausdruck kommt, dass er offenbar dazu neigt, wahllos Behauptungen aufzustellen, die sich auf detaillierte Nachfrage als substanzlos herausstellen, wenn ihm dies für seine Zwecke nützlich erscheint. Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass der Kläger unwahre Angaben zu seiner Glaubenspraxis in der Bundesrepublik Deutschland gemacht hat. So hat er behauptet, dass er morgens zu Fuß zum Beten in den Versammlungsraum seiner Gemeinde in Mannheim gehe, dann zurückkehre, zum Mittagsgebet sich wieder dorthin begebe und anschließend wieder nach Hause gehe, um dann gegen 16.00 Uhr wieder im Versammlungsraum zu sein, wobei er dann aber bis zum Abendgebet dort bleibe. Legt man seine Angaben zugrunde, dass er für die einfache Wegstrecke 1 bis 2 Stunden benötigt, so muss der Kläger jeden Tag allein 6 bis 12 Stunden zu Fuß unterwegs sein, denn nur gelegentlich soll ihn sein Schwager mit dem Auto mitnehmen. Dann hätte der Kläger aber noch keine Minute gebetet, gegessen und sonstige Dinge des täglichen Lebens verrichtet. Wenn der Kläger in diesem Zusammenhang einerseits vorgetragen hat, er gehe regelmäßig jeden Tag vier Mal zu den Gebeten, manchmal allerdings nicht, nämlich wenn er keine Zeit habe, und als Beispiel hierfür den Gang auf ein Amt oder Einkaufen anführt, so mag das für den Besuch eines Amtes nachzuvollziehen sein, nicht aber für das Einkaufen, da dies auch auf dem Weg vom oder zum Beten erledigt werden kann. Nach Überzeugung des Senats kommt hierin eine Beliebigkeit und mangelnde Ernsthaftigkeit zum Ausdruck, die ebenfalls grundlegende Zweifel an einer echten Bindung an den Glauben begründen. Ohne dass es entscheidend hierauf ankäme, weist der Senat allerdings darauf hin, dass - wie Muslimen generell - auch den Ahmadis fünf Gebete am Tag verbindlich vorgegeben sind und nicht nur vier. Nicht nachvollziehbar geworden ist, warum der Kläger, wenn er denn ein überzeugter und in seinem Glauben verwurzelter Ahmadi sein will, nicht gerade versucht, entsprechend den zentralen Intentionen seiner Glaubensgemeinschaft eigene Landsleute vom Glauben zu überzeugen. Der von ihm schließlich gemachte Einwand, es sei einmal zu einem Streit mit einem Landsmann gekommen, überzeugt in diesem Zusammenhang nicht, da derartige Widrigkeiten naturgemäß bei einer derartigen Überzeugungsarbeit zu gewärtigen sind und ein einmaliger Streit nun wirklich kein triftiger Grund sein kann, bereits nach einem einmaligen Vorfall alle Bemühungen einzustellen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kläger zunächst auf eine entsprechende Frage des Senats vollmundig behauptet hatte, er gehe in Deutschland unmittelbar auf die Leute zu, um sie von seinem Glauben zu überzeugen, während er auf Nachfrage zunächst eingeräumt hatte, dass er den Angesprochenen wegen der mangelnden Deutschkenntnisse sage, sie sollten in die Moschee gehen, und sodann auf Bitte des Senats, zunächst von gebrochenem Deutsch gesprochen hatte. Auf die weitere Bitte, dem Senat auf Deutsch genau das zu sagen, was er auch den Angesprochenen sage, machte der Kläger aber teilweise unverständliche Äußerungen, was nur den Schluss zulässt, dass die Behauptung, er spreche in Deutschland Menschen an, um sie für seinen Glauben zu überzeugen, nicht zutrifft. Nimmt man noch hinzu, dass der Kläger, der immerhin seinen Angaben zufolge mindestens zwei Jahre eine höhere Schule besucht hat, jedenfalls von sich aus im Grunde nichts Substantielles zu den Inhalten seines Glaubens, insbesondere zu den Unterschieden zum Glauben anderer Muslime mitteilen konnte, so kann der Senat nicht davon ausgehen, dass der Kläger in einer ernst zu nehmenden Weise innerlich mit dem Glauben der Ahmadis verbunden ist und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten. Dagegen spricht auch nicht der Umstand, dass der Kläger an verschiedenen Veranstaltungen von Ahmadiyya-Gemeinden teilgenommen und dort auch mitgeholfen haben will. Denn es liegt nahe, dass der Kläger, der seit Jahren ohne nennenswerte deutsche Sprachkenntnisse in einer ihm fremden Umgebung lebt, die Nähe zu Vertrautem und zu Landsleuten sucht.
VI.
167 
Der Kläger ist auch nicht aufgrund individueller Vorverfolgungsgründe aus seiner Heimat ausgereist. Denn wie oben unter II 5 dargelegt, sieht sich der Senat schon nicht in der Lage, das diesbezügliche Vorbringen des Klägers zu glauben, weshalb es auf die Frage, ob dem Kläger hinreichender Schutz im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG zur Verfügung stand, nicht ankommt.
VII.
168 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, der entsprechenden Anwendung des § 162 Abs. 3 VwGO und § 83b AsylVfG.
169 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
108 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§ 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG).
109 
Der Kläger ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Flüchtling im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 lit. c der zu dessen Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL). In diesem Zusammenhang kann der Senat offen lassen, ob § 60 Abs. 1 AufenthG die Qualifikationsrichtlinie vollständig und ordnungsgemäß umsetzt. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist zum 10.10.2006 (vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) ist diese ohnehin in weitem Umfang unmittelbar anzuwenden.
I.
110 
Nach Auffassung des Senats sprechen gewichtige Gesichtspunkte für folgendes Verständnis der hier maßgeblichen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie:
111 
1. Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 lit. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL maßgeblich. Hiernach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.
112 
Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL gewährleistet für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn er sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jegliche religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird. Die Vorschrift geht damit ihrem eindeutigen Wortlaut nach über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158>; BVerwG, U.v. 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82).
113 
Damit zeichnet der supranationale Normgeber auch für den Bereich des vergemeinschafteten Flüchtlingsschutzes die universelle menschenrechtliche Anerkennung gerade auch der öffentlichen Glaubensausübung bzw. -betätigung nach und bekennt sich zu dieser (vgl. auch die 10. Begründungserwägung, in der sich die Gemeinschaft zur Achtung der Grundrechte bekennt). So gewährleistet Art. 18 des Internationalen Paktes vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) die private und die öffentliche Glaubenspraxis, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder eine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. Des Weiteren wird die Ausübung der Religionsfreiheit auch in der Öffentlichkeit durch Art. 9 EMRK gewährleistet, wenn hiernach die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen, geschützt wird. Schließlich ist auch auf Art. 1 der Erklärung Nr. 36/55 der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion und der Überzeugung vom 25.11.1981 hinzuweisen, in der gleichfalls zum Ausdruck kommt, dass das Recht auch auf öffentliche Religionsausübung und religiöse Praxis als fundamentales Menschenrecht allgemein anerkannt ist.
114 
Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, der öffentliche Ruf zum Gebet, sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von diesem zu überzeugen (in diesem Sinne auch BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – InfAuslR 2008, 101; vgl. zum Schutzbereich des Art. 18 IPbpR Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 25; vgl. zu den verschiedenen Formen öffentlicher religiöser Praktiken auch Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 12).
115 
Ist hiernach der Schutzbereich der Religion weit zu verstehen, so bietet die Vorschrift keinen Anhalt für ein von vornherein einengendes Verständnis, wonach nicht jede Form der öffentlichen Glaubensbetätigung geschützt sei, sondern nur die aus dem jeweiligen religiösen Verständnis glaubensprägenden beziehungsweise unverzichtbar gebotenen und existentiellen Betätigungen gemeint sein könnten. Dies folgt insbesondere nicht aus dem den Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL abschließenden Satzteil „…die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.“ Das Gegenteil folgt schon aus der Weite des Begriffs „sich auf eine religiöse Überzeugung stützen“, der - insoweit nahe liegend - verlangt, dass die jeweils zu beurteilende Betätigung auf einer religiösen Überzeugung beruhen muss bzw. auf diese zurückgeführt werden kann, ohne aber zwingenden Charakter derart haben zu müssen, dass der oder die Betreffende im Falle des Unterlassens Gewissensnot erleiden oder sündig werden würde. Die Frage nach dem Gewicht und der Bedeutung eines Unterlassens stellt sich erst bei der Beurteilung der Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL (vgl. unten 2). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL ausdrücklich etwa auch die Nichtteilnahme an religiösen Riten schützt, somit die Entscheidung, sich religiöser Betätigungen gerade zu enthalten, indem Handlungen, die die Religion als Verhaltensweise zu bestimmten Anlässen vorgibt, gerade unterlassen werden (in diesem Sinne auch SaarlOVG, U.v. 26.06.2007 - 1 A 222/07 - juris).
116 
Allerdings sind die vorgenannten menschenrechtlichen Gewährleistungen nicht schrankenlos eingeräumt. Sowohl Art. 18 IPbpR als auch Art. 9 EMRK differenzieren zwischen der grundsätzlich nicht beschränkbaren Freiheit, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen einerseits, sowie der Beschränkbarkeit der freien Religionsausübung (d.h. des Bekenntnisses) andererseits. Nach Art. 18 Abs. 3 IPbpR (wie auch vergleichbar nach Art. 9 Abs. 2 EMRK) darf die religiöse Betätigung Einzelner oder der Gemeinschaft allerdings nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, der Gesundheit, der Sittlichkeit und der Grundrechte und Grundfreiheiten anderer verboten oder reglementiert werden, sofern dieses gesetzlich vorgesehen und zur Erreichung der genannten Zwecke notwendig ist und v.a. das einschränkende Gesetz einen angemessenen und verhältnismäßigen Ausgleich herbeiführt. Den jeweiligen Staaten wird dabei aber regelmäßig ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zugebilligt (vgl. ausführlich zu den Schrankenvorbehalten Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 31 ff; UNHCR, „Richtlinien zum Internationalen Schutz, Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung“, Ziffer 15 f.; vgl. auch Grabenwarter, EMRK, 3. Aufl., S. 246 ff.; Meyer-Ladewig, EMRK, 2. Aufl., Art. 9 Rdn. 8 m.w.N.). Dabei muss das verbietende bzw. einschränkende Gesetz allgemeiner Natur sein, d.h. es muss für alle Staatsbürger - welcher religiösen Ausrichtung sie auch angehören mögen - gleichermaßen Geltung beanspruchen, darf daher nicht auf bestimmte religiöse Gruppen zielen und ausschließlich für diese Einschränkungen vorsehen (vgl. Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 23). Dieser Aspekt findet seinen Niederschlag auch in den Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie selbst, wenn diese zur Definition der verfolgungsrelevanten Verfolgungshandlung in Art. 9 Abs. 2 lit. b, c, d und f maßgeblich auf das Kriterium der Diskriminierung abstellt. Vor diesem Hintergrund werden einschränkende Maßnahme, die nicht den genannten Schrankenvorbehalten genügen, insbesondere nicht dem Postulat des allgemeinen Gesetzes genügen, in der Regel indiziell auf eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung hindeuten.
117 
Ausgehend hiervon können diese universal anerkannten Grenzen der Religionsausübungsfreiheit auch zur Konkretisierung des Art. 10 lit. b QRL und seiner Grenzen sinngemäß herangezogen werden.
118 
2. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a oder b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
119 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere lit. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung – von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen – in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird und der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann.
120 
Auch wenn hiernach formal betrachtet gewissermaßen eine „bloße“ oder „einfache“ Beeinträchtigung eines Menschenrechts nicht schutzbegründend sein kann, so darf andererseits, wie dargelegt, nicht aus dem Auge verloren werden, dass Art. 10 Abs. 1 lit. a QRL Ausdruck einer Anerkennung bzw. eines Bekenntnisses zu dem grundlegenden Menschenrecht einer gerade auch öffentlichen Glaubensbetätigung ist. Deshalb wäre es nach Auffassung des Senats verfehlt, von einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung nur dann auszugehen, wenn die bisher im asylrechtlichen Kontext relevanten Kriterien eines asylerheblichen Eingriffs in das religiöse Existenzminimum erfüllt sind mit der Folge, dass sich durch die Qualifikationsrichtlinie im Ergebnis keine Änderung der Rechtslage ergeben hätte. Bei dieser Sichtweise würde sich die gemeinschaftsrechtliche Anerkennung dieses Menschenrechts für das Gebiet des Asyl- und Flüchtlingsrechts in der Rechtswirklichkeit nicht durchsetzen und bliebe wirkungs- und folgenlos. Der gemeinschaftsrechtliche Auslegungsgrundsatz des „éffet utile“ gebietet aber, Normen des Gemeinschaftsrechts und somit auch Richtlinien so auszulegen, dass ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet ist (vgl. Pechstein/Drechsler, in: Reisenhuber, Europäische Methodenlehre, Handbuch für Ausbildung und Praxis, 2006, S. 160, Rn. 69 f.).
121 
Daraus folgt, dass jedenfalls Beschneidungen bzw. Verbote öffentlicher Glaubensbetätigungen bzw. Praktiken, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion bzw. Weltanschauung, aber auch nach dem – nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnis des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen können, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern. Die Beschränkung auf lediglich grundlegende Betätigungen bzw. Äußerungen hat - gewissermaßen als Kehrseite - ihren Grund darin, dass, wie ausgeführt, nicht jede Beeinträchtigung des Menschenrechts die Qualität einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung erlangt, sondern nur eine solche schwerwiegender Art (a.A. wohl Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 28 f.).
122 
3. Zur Beantwortung der Frage, welcher Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit nach der Qualifikationsrichtlinie anzuwenden ist, ist zunächst auf Art. 4 Abs. 3 QRL hinzuweisen, der – bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. lit. a) – eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorgibt. Einzelfallbezogenheit schließt allerdings nicht aus, dass dem darlegungs- und beweiserleichternden Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung weiterhin Relevanz beizumessen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 - BVerfGE 54, 341 <358 f.>; B.v. 21.01.1991 - 2 BvR 902/85 - BVerfGE 83, 216 <233>; Kammerb. v. 02.02.1996 - 2 BvR 1576/94 - NVwZ-Beil. 1996, 25; vgl. auch zum Sonderfall eines staatlichen Verfolgungsprogramms BVerwG, U. 05.07.1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 <203>). Denn selbstverständlich kann auch nach der Qualifikationsrichtlinie vom Schicksal von Personen, die in einer in wesentlichen Punkten vergleichbaren Situation bereits Verfolgung erlitten haben, bei unverändert gebliebener Sachlage auch prognoserechtlich auf das (künftige) Schicksal anderer Personen geschlossen werden.
123 
Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nach dem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung zwar ebenfalls.
124 
Nach den bisher richterrechtlich entwickelten Maßgaben durfte aber ein (landesweit) vorverfolgt ausgereister Flüchtling grundsätzlich nur dann in sein Heimatland zurückgeschickt werden, wenn er dort hinreichend sicher vor erneuter politischer Verfolgung war (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab), wobei hinreichende Sicherheit in diesem Zusammenhang bedeutete, dass aufgrund der bereits einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Ausschlusses erneuter Verfolgung zu stellen waren. Es musste mehr überwiegend wahrscheinlich sein, dass keine erneute Verfolgung droht, ohne dass allerdings ein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellter Ausschluss zu verlangen gewesen wäre. Demgegenüber konnte ein unverfolgt Ausgereister bei zu berücksichtigenden objektiven Nachfluchtgründen auf sein Heimatland verwiesen werden, wenn ihm dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte, was anzunehmen war, wenn er in absehbarer Zeit dort nicht mit Verfolgungsmaßnahmen ernsthaft zu rechnen hatte (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; vgl. zusammenfassend BVerwG, U.v. 18.02.1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97).
125 
Auch die Qualifikationsrichtlinie nimmt bei der anzustellenden Verfolgungsprognose eine Differenzierung vor, indem sie in Art. 4 Abs. 4, auf den § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ausdrücklich Bezug nimmt, ausführt, dass die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Im Übrigen aber verbleibt es bei der Prüfung, ob der Flüchtling zum Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in sein Heimatland erwartbar Verfolgungsmaßnahmen oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erleiden wird oder hiervon unmittelbar bedroht ist. Insoweit kann auch auf die Begriffsbestimmung des Art. 2 lit. c QRL zurückgegriffen werden, wonach "Flüchtling" im Sinne der Qualifikationsrichtlinie einen Drittstaatsangehörigen bezeichnet, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will. Der letztgenannte Maßstab entspricht dabei dem in der Rechtsprechung entwickelten Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" in Anlehnung an die britische Rechtsprechung des "real risk", wobei auch ein Verfolgungsrisiko von unter 50% als beachtlich wahrscheinliches Risiko angesehen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582 m.w.N.).
126 
Der von der Rechtsprechung entwickelte Maßstab der "hinreichenden Sicherheit" bei vorverfolgt ausgereisten Flüchtlingen wird somit durch die in Art. 4 Abs. 4 QRL enthaltene Rückausnahme modifiziert. Bei der Auslegung des Art. 4 Abs. 4 QRL können zwar die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien der "hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung" mit herangezogen werden, da auch der Richtliniengeber davon ausgeht, dass der bereits einmal verfolgte Flüchtling einen erhöhten Schutzstandard genießt, stellt doch die Vorverfolgung einen ernsthaften Hinweis auf eine auch bei Rückkehr zu befürchtende Verfolgung dar, es sei denn, es greift die Rückausnahme des Art. 4 Abs. 4 a.E. QRL. Allerdings werden die unterschiedlichen Maßstäbe bzw. Ansätze in der praktischen Anwendung sicherlich häufig keine unterschiedlichen Ergebnisse zur Folge haben (weitergehend BayVGH, U. v. 31.08.2007 - 11 B 02.31774 – juris, der auch in Anwendung der Qualifikationsrichtlinie von den bisher entwickelten Prognosemaßstäben ausgeht).
II.
127 
Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <160>) gilt auch im vorliegenden Kontext, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können, weshalb insoweit auch keine Frage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen ist (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
III.
128 
Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
129 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
130 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
131 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
132 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
133 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
134 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
135 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
136 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
137 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
138 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
139 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
140 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚ Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
141 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
142 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
143 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
144 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
145 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
146 
Sec. 298 C lautet:
147 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
148 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
149 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
150 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960 - Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
151 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practises, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
152 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
153 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
154 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen untern d).
155 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
156 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
157 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
158 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
159 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department Of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practises, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
160 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
161 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
162 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
163 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtig festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.
IV.
164 
Dafür, dass generell jeder pakistanischer Staatsangehöriger allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft hingegen Verfolgung zu gewärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen unter II. 2. und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn dieser Personenkreis sich in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Insoweit stellt sich die Sachlage nicht anders dar, als sie bislang der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs und der anderer Oberverwaltungsgerichte zu dem Aspekt der asylerheblichen Gruppenverfolgung entsprach (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 24.11.2000 – A 6 S 672/99 – juris; HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, B.v. 29.06.1005 – 2 L 208/01 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 21.07.2004 – 19 A 2599/04.A – juris m.w.N.; OVG Saarland, B.v. 15.03.2002 – 9 Q 59/01 m.w.N. – juris; BayVGH, U.v. 24.07.1995 – 21 B 91.30329 – juris; NiedersOVG, U.v. 29.02.1996 – 12 L 6696/95 – juris; ThürOVG, U.v. 30.09.1998 – 3 KO 864/98 – juris; HambOVG, B.v. 02.03.1999 – OVG Bf 13/95 – juris). Hieran ist auch nach dem aktuellen Erkenntnisstand festzuhalten. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, v.a. was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies bislang der Fall war. Nachdem die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan nach wie vor selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa vier Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. AA Lagebericht vom 30.05.2007, S. 16), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
V.
165 
Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass er seinem Glauben überhaupt eng verbunden ist, diesen auch in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt hat und auch gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation betroffen wäre.
166 
Dies ergibt sich aus folgendem: Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in verschiedener Hinsicht unwahre Angaben macht. Diese falschen Angaben sind nach Auffassung des Senats von solchem Gewicht, dass die Glaubwürdigkeit des Klägers insgesamt in Frage steht. Zunächst sind hinsichtlich der vom ihm behaupteten Aktivitäten für seine Glaubensgemeinschaft in der Heimat vor seiner Ausreise grundlegende Bedenken deshalb gerechtfertigt, weil der Kläger in der mündlichen Verhandlung den Aspekt des Sammelns von Mitgliedsbeiträgen, der im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt ausführlich zur Sprache gekommen war, mit keinem Wort erwähnt hatte. Dabei ist es für den Senat nicht nachvollziehbar, dass der Kläger diesen Aspekt aktuell nur nicht erinnert haben könnte. Denn immerhin soll die Tätigkeit kontinuierlich 1 ½ bis 2 Jahre gedauert haben. Hinzu kommt, dass der Kläger ausdrücklich zwei Mal vom Senat gefragt worden war, ob es über die von sich aus geschilderten Aktivitäten noch weitere gegeben habe. Der Senat ist weiter überzeugt davon, dass der Kläger die Unwahrheit sagt, wenn er behauptet, er sei in der Heimat über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren jeden Tag in der Schule bzw. auf dem Schulweg geschlagen worden, wobei er jedes Mal verletzt nach Hause gekommen sei und deshalb fast jeden Tag von seinen Eltern zum Arzt zur ambulanten Behandlung habe gebracht werden müssen. Dass unter diesen Umständen der Kläger nicht wesentlich früher wenigstens den Schulbesuch aufgegeben hat, ist für den Senat in keiner Weise nachvollziehbar. Nicht unberücksichtigt bleiben kann in diesem Zusammenhang auch, dass nach den Angaben des Klägers sein Bruder an einer anderen Schule keine Schwierigkeiten gehabt haben soll. Vor diesem Hintergrund ist der Kläger auch jede nachvollziehbare Darstellung schuldig geblieben, warum die Verhältnisse gerade an seiner Schule so schlecht gewesen sein sollen. Weiter hatte der Kläger beim Bundesamt insoweit unzutreffende Angaben gemacht, als er behauptet hatte, wegen des Vorfalls an der Bushaltestelle zwei Tage in einem Krankenhaus verbracht zu haben. Denn in der mündlichen Verhandlung war trotz wiederholter Nachfrage von einem Krankenhausaufenthalt zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr die Rede. Der Senat hat hier auch keinen ausreichenden Anhalt, dass der Kläger diesen Gesichtspunkt vergessen oder jedenfalls aktuell nicht mehr in Erinnerung gehabt haben könnte. Denn immerhin hat der Kläger ausdrücklich bejaht, dass er auch aktuell immer wieder Schmerzen am Bein habe. Wenn der Kläger in diesem Zusammenhang, ohne auch nur irgendeinen greifbaren und nachvollziehbaren Anhaltspunkt zu haben, die Behauptung aufgestellt hat, dieser Vorfall sei nur inszeniert worden, weil er Ahmadi sei und um ihn als solchen zu treffen, so spricht dies auch gegen seine allgemeine Glaubwürdigkeit, weil hierin zum Ausdruck kommt, dass er offenbar dazu neigt, wahllos Behauptungen aufzustellen, die sich auf detaillierte Nachfrage als substanzlos herausstellen, wenn ihm dies für seine Zwecke nützlich erscheint. Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass der Kläger unwahre Angaben zu seiner Glaubenspraxis in der Bundesrepublik Deutschland gemacht hat. So hat er behauptet, dass er morgens zu Fuß zum Beten in den Versammlungsraum seiner Gemeinde in Mannheim gehe, dann zurückkehre, zum Mittagsgebet sich wieder dorthin begebe und anschließend wieder nach Hause gehe, um dann gegen 16.00 Uhr wieder im Versammlungsraum zu sein, wobei er dann aber bis zum Abendgebet dort bleibe. Legt man seine Angaben zugrunde, dass er für die einfache Wegstrecke 1 bis 2 Stunden benötigt, so muss der Kläger jeden Tag allein 6 bis 12 Stunden zu Fuß unterwegs sein, denn nur gelegentlich soll ihn sein Schwager mit dem Auto mitnehmen. Dann hätte der Kläger aber noch keine Minute gebetet, gegessen und sonstige Dinge des täglichen Lebens verrichtet. Wenn der Kläger in diesem Zusammenhang einerseits vorgetragen hat, er gehe regelmäßig jeden Tag vier Mal zu den Gebeten, manchmal allerdings nicht, nämlich wenn er keine Zeit habe, und als Beispiel hierfür den Gang auf ein Amt oder Einkaufen anführt, so mag das für den Besuch eines Amtes nachzuvollziehen sein, nicht aber für das Einkaufen, da dies auch auf dem Weg vom oder zum Beten erledigt werden kann. Nach Überzeugung des Senats kommt hierin eine Beliebigkeit und mangelnde Ernsthaftigkeit zum Ausdruck, die ebenfalls grundlegende Zweifel an einer echten Bindung an den Glauben begründen. Ohne dass es entscheidend hierauf ankäme, weist der Senat allerdings darauf hin, dass - wie Muslimen generell - auch den Ahmadis fünf Gebete am Tag verbindlich vorgegeben sind und nicht nur vier. Nicht nachvollziehbar geworden ist, warum der Kläger, wenn er denn ein überzeugter und in seinem Glauben verwurzelter Ahmadi sein will, nicht gerade versucht, entsprechend den zentralen Intentionen seiner Glaubensgemeinschaft eigene Landsleute vom Glauben zu überzeugen. Der von ihm schließlich gemachte Einwand, es sei einmal zu einem Streit mit einem Landsmann gekommen, überzeugt in diesem Zusammenhang nicht, da derartige Widrigkeiten naturgemäß bei einer derartigen Überzeugungsarbeit zu gewärtigen sind und ein einmaliger Streit nun wirklich kein triftiger Grund sein kann, bereits nach einem einmaligen Vorfall alle Bemühungen einzustellen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kläger zunächst auf eine entsprechende Frage des Senats vollmundig behauptet hatte, er gehe in Deutschland unmittelbar auf die Leute zu, um sie von seinem Glauben zu überzeugen, während er auf Nachfrage zunächst eingeräumt hatte, dass er den Angesprochenen wegen der mangelnden Deutschkenntnisse sage, sie sollten in die Moschee gehen, und sodann auf Bitte des Senats, zunächst von gebrochenem Deutsch gesprochen hatte. Auf die weitere Bitte, dem Senat auf Deutsch genau das zu sagen, was er auch den Angesprochenen sage, machte der Kläger aber teilweise unverständliche Äußerungen, was nur den Schluss zulässt, dass die Behauptung, er spreche in Deutschland Menschen an, um sie für seinen Glauben zu überzeugen, nicht zutrifft. Nimmt man noch hinzu, dass der Kläger, der immerhin seinen Angaben zufolge mindestens zwei Jahre eine höhere Schule besucht hat, jedenfalls von sich aus im Grunde nichts Substantielles zu den Inhalten seines Glaubens, insbesondere zu den Unterschieden zum Glauben anderer Muslime mitteilen konnte, so kann der Senat nicht davon ausgehen, dass der Kläger in einer ernst zu nehmenden Weise innerlich mit dem Glauben der Ahmadis verbunden ist und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten. Dagegen spricht auch nicht der Umstand, dass der Kläger an verschiedenen Veranstaltungen von Ahmadiyya-Gemeinden teilgenommen und dort auch mitgeholfen haben will. Denn es liegt nahe, dass der Kläger, der seit Jahren ohne nennenswerte deutsche Sprachkenntnisse in einer ihm fremden Umgebung lebt, die Nähe zu Vertrautem und zu Landsleuten sucht.
VI.
167 
Der Kläger ist auch nicht aufgrund individueller Vorverfolgungsgründe aus seiner Heimat ausgereist. Denn wie oben unter II 5 dargelegt, sieht sich der Senat schon nicht in der Lage, das diesbezügliche Vorbringen des Klägers zu glauben, weshalb es auf die Frage, ob dem Kläger hinreichender Schutz im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG zur Verfügung stand, nicht ankommt.
VII.
168 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, der entsprechenden Anwendung des § 162 Abs. 3 VwGO und § 83b AsylVfG.
169 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der 1979 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an; er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab.
Zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit hat er Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 02.10.2000, 28.10.2010 sowie vom 06.12.2011 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 23.07.2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 04.08.2000 brachte er im Wesentlichen vor, er gehöre von Geburt an der Religionsgemeinschaft der Ahmadis an und habe deshalb Verfolgungsmaßnahmen erlitten. So sei er beim Besuch der Moschee geschlagen worden. Gleiches sei ihm beim Tragen von religiösen Abzeichen widerfahren. Eines Nachts im Mai des Jahres 2000 sei er beim Bewachen von Getreide durch Diebe zusammengeschlagen worden. Am nächsten Tag habe sein Vater zusammen mit Freunden die Diebe zur Rede gestellt, worüber diese sehr erbost gewesen seien und gedroht hätten, ihn zu töten. Die Familie habe deshalb beschlossen, dass er sein Heimatland verlassen solle.
Mit Bescheid vom 15.09.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die mit Urteil vom 22.05.2001 (A 8 K 12809/00) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem glaubhaften individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan nicht angenommen werden. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 09.10.2001 (A 6 S 688/01) rechtskräftig.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf erfolglose Folgeanträge.
Am 08.12.2008 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kläger werde von diesen Einschränkungen vor allem der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, da er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. So bete der Kläger regelmäßig und besuche die Moschee; er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Auch bekleide er Ämter innerhalb der religiösen Gemeinde. Im Übrigen habe sich die Verfolgungssituation der Ahmadis in Pakistan erheblich verschärft. Er habe erstmalig Anfang November 2008 von zwei Glaubensgenossen erfahren, dass diese aufgrund von Europarecht durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe als Flüchtlinge anerkannt worden seien; er habe sich deshalb am 01.12.2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Ziffer 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15.09.2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Ziffer 2) ab.
Am 31.03.2010 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug. Ergänzend trug er zur aktuellen Lage der Ahmadis in Pakistan vor. Im Übrigen führte er aus, er selbst sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und seinem Glauben eng verbunden. Er bete regelmäßig, besuche die Moschee und nehme an den Gemeindeveranstaltungen teil. Insbesondere habe er auch eine Aufgabe innerhalb der Gemeinde, er sei als sog. „Ziafat“ tätig und als solcher für die Organisation der Essenszubereitung bei Gemeindeveranstaltungen zuständig.
10 
Mit Urteil vom 09.07.2010 - A 4 K 1179/10 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hob die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 30.03.2010 auf, soweit sie dem entgegenstehen. Zur Begründung wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 20.11.2007   - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07) hin. Der Kläger sei von den Restriktionen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den genannten Urteilen für die öffentliche Glaubensausübung von Ahmadis in Pakistan zu verzeichnen seien, selbst betroffen. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sei. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eng mit seinem Glauben verbunden sei, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt habe und dies auch gegenwärtig in einer Weise tue, dass er im Fall einer Rückkehr von der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschriebenen Situation selbst betroffen werde. So habe der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass und wie er seinen Glauben hier in Deutschland lebe; er sei aktives Mitglied seiner jetzigen religiösen Gemeinde. Über die geschilderte gemeindeinterne Betätigung hinaus habe der Kläger dargelegt, auch an öffentlichkeitswirksamen überörtlichen Veranstaltungen der Ahmadis teilgenommen zu haben. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es ihm ein inneres Bedürfnis, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen und für diesen aktiv zu werben.
11 
Am 02.08.2010 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung.
12 
Mit Beschluss vom 10.01.2011 wurde die Berufung ohne Beschränkung zugelassen.
13 
Am 01.02.2011 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und führte dabei im Wesentlichen aus: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehe auch in der Sache kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht folge in fehlerhafter Weise der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.05.2008 vertretenen Auffassung, dass sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie wesentlich erweitert habe. An dieser vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. In rechtsfehlerhafter Weise habe das Verwaltungsgericht auch die Ziffer 2 des Bescheids vom 30.03.2010 aufgehoben, mit der das Bundesamt die Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheids vom 15.09.2000 bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG abgelehnt habe. Die knappe und nicht näher nachvollziehbare Begründung des Urteils deute darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Regelungsgehalt des § 31 Abs. 3 AsylVfG verkenne. Die Voraussetzungen für derartige Abschiebungsverbote lägen im Übrigen nicht vor.
14 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2011 informatorisch angehört; insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
15 
Durch Urteil vom 13.12.2011 (A 10 S 69/11) wurde die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wurde: „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.03.2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.“ Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen vor. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 am 28.08.2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; Urteil des Senats vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris). Auch sei die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der Antragstellung am 05.12.2008 gewahrt worden.
16 
Das Gericht gehe im Anschluss an seine Urteile vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) sowie vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert habe.
17 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, gehe die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt worden sei, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede stehe (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehöre somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung seien nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst würden schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setze darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt werde, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmache (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL). Erst an dieser Stelle erweise sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden könne, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitze.
18 
Auf der Grundlage der Feststellungen in den Urteilen vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) und vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) und deren Fortschreibung bis zur mündlichen Verhandlung drohe einem bekennenden Ahmadi, der zu seinem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehe und seinen Glauben in Pakistan öffentlich betätigen wolle, eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL.
19 
Das Gericht habe, insbesondere auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Nach dem in der informatorischen Befragung gewonnen Gesamteindruck halte das Gericht die Angaben des Klägers zu seiner Glaubensausübung in Pakistan für uneingeschränkt glaubhaft. Im übrigen habe der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung überzeugend ausgeführt, ein religiös geprägtes Leben in Pakistan geführt zu haben, auch wenn er keine herausgehobene Funktion oder ein Amt in seiner Gemeinde bekleidet habe. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, so oft als möglich, mindestens jedoch dreimal am Tag, das Gebet in der Moschee der Ahmadis verrichtet zu haben. Dies spreche im vorliegenden Fall bereits deshalb für einen engen Glaubensbezug, weil das Aufsuchen der Moschee aufgrund der Berufstätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft und der Entfernung der Felder zu der Moschee mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger glaubhaft geschildert, bei Bedarf in seiner religiösen Gemeinde untergeordnete Tätigkeiten, etwa Reinigungsdienste, ausgeübt zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um eine religiöse Betätigung gehandelt haben dürfte, die über die übliche Glaubensausübung in Pakistan hinausgehe, spreche sie doch für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angehe, seien diese nach dem gewonnenen Eindruck glaubhaft. Das Gericht glaube dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2000 jeweils in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätige, regelmäßig zum Gebet in die Moschee gehe und verschiedene untergeordnete Tätigkeiten ausübe. So habe der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft geschildert, wie er sich unmittelbar nach seiner Einreise zu der Ahmadi-Gemeinde nach XXX begeben und sich dort in vielfältiger Weise sozial und kulturell engagiert habe. Insbesondere habe der Kläger in der Gemeinde XXX nicht nur die in der Heimat bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich bereits in XXX monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Gerade diese missionarischen Aktivitäten stellten ein wesentliches, wenn auch nicht zwingend erforderliches Indiz für die Annahme einer verpflichtenden Verbundenheit mit dem Glauben der Ahmadis dar. Nach seinem Umzug nach XXX habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Der Senat glaube dem Kläger, im Jahre 2010 einen Landsmann zum ahmadischen Glauben bekehrt zu haben. In diesem Zusammenhang habe der Kläger weiterhin glaubhaft ausgeführt, ihm wohlgesonnene Landsleute regelmäßig zum Besuch seiner eigenen Moschee in missionarischer Absicht eingeladen zu haben. Dies zeige, dass es dem Kläger in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Ahmadis ein inneres Anliegen sei, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Darüber hinaus nehme der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teil. Auch habe er nachvollziehbar geschildert, in seiner Familie ein streng glaubensgebundenes Leben zu führen und sich insbesondere für die religiöse Erziehung seiner kleinen Tochter einzusetzen. Diesem Eindruck stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfüge. Nach der Überzeugung des Gerichts handele es sich bei dem Kläger um einen „einfachen“ Ahmadi, der seinem Glauben jedoch verpflichtend verbunden sei und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben wolle. Damit gehöre der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stünden und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen seien.
20 
Da dem Kläger nach dem oben Gesagten die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen sei, bedürfe es keiner Entscheidung über die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ziffer 2 des versagenden Bescheides des Bundesamtes vom 30.03.2010 aufgehoben; insoweit sei der Tenor wie erfolgt neu zu fassen.
21 
Das Urteil wurde der Beklagten am 17.01.2012 zugestellt.
22 
Am 16.02.2012 legte die Beklagte die zugelassene Revision ein und begründete diese am 16.03.2012.
23 
Mit Beschluss vom 12.05.2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2010 aus. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen durch Urteil vom 05.09.2012 (C-71/11 u.a.) beantwortet hatte, wurde das Verfahren fortgesetzt.
24 
Durch Urteil vom 20.02.2013 (10 C 23.12) hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 13.12.2011 auf und wies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof habe das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren für bekennende Ahmadis bestünden, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten, nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden sei der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne. Das Urteil lasse jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejahe, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten. Hänge die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, sei für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das sei in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht habe weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe träfen. Nur wenn eine wertende Betrachtung ergebe, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko bestehe, könne daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehöre, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei.
25 
Der Kläger und die Beklagte haben sich durch Schriftsätze jeweils vom 08.05.2013 sowie vom 29.05.2013 zum Revisionsurteil sowie zu der vom Senat aufgeworfenen Frage nach weiteren Ermittlungsansätzen für die Erstellung der Verfolgungsprognose geäußert. Hierauf wird im Einzelnen verwiesen.
26 
Auf Anregung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ Frankfurt unter dem 06.06.2013 eine Stellungnahme vorgelegt u.a. zu Einzelheiten des Berichts- und Dokumentationssystem zu Übergriffen gegen Ahmadis in Pakistan, das der von der Londoner Organisation betriebenen Website „thepersecution.org“ zugrunde liegt.
27 
Die Beklagte beantragt,
28 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - zu ändern, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgesprochen sowie die Ziffer 1 des Bescheids vom 30. März 2010 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut informatorisch angehört; wegen der dabei gemachten Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
32 
Auf die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste wird verwiesen.
33 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts (7 Bd), die Ausländerakten (3 Bd), die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie die Akten des 10. Senats hinsichtlich des streitgegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
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Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Gründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
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Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 – A 6 K 258/07 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der im Jahre 1977 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er ist Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya. Er hat im Verwaltungsverfahren zum Nachweis eine Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 10.07.1998 vorgelegt.
Nach seinen Angaben reiste er am 26.04.1998 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 08.05.1998 einen Asylantrag. Zur Begründung seines Asylbegehrens trug er im Wesentlichen vor: Er sei von Geburt an Ahmadi. Seine Familie sei die einzige Ahmadi-Familie im Dorf gewesen. Sie seien daran gehindert worden, ihre Religion auszuüben. Er sei des Öfteren von sunnitischen Priestern und deren Anhängern beschimpft worden. Ein öffentliches Beten sei wegen der Gefahr einer Inhaftierung zu gefährlich gewesen. Die Familie sei regelrecht ausgegrenzt gewesen. Etwa 10 bis 15 Tage vor seiner Ausreise sei er bei einer Auseinandersetzung von zwei sunnitischen Priestern und zwei Anhängern dieser Priester angegriffen worden. Er sei auf dem Heimweg von den Feldern gewesen und sei von diesen Personen angehalten worden. Man habe ihn beschimpft und aufgefordert, seinen Glauben aufzugeben. Auf seine Weigerung hin habe er zunächst Ohrfeigen erhalten, später habe man ihn mit Füßen traktiert. Er habe diesen Vorfall der Polizei gemeldet. Die Polizei habe aber jegliche Hilfe abgelehnt mit der Begründung, Ahmadis hätten keinen Anspruch auf polizeiliche Unterstützung. Etwa 10 Tage nach diesem Vorfall sei zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr das Haus beschossen worden. Verletzte habe es keine gegeben. Er sei durch die Schüsse aufgeweckt worden und habe erkennen können, dass es sich bei den Tätern um Anhänger dieser sunnitischen Priester gehandelt habe. Wegen dieses Überfalls hätten ihn seine Eltern aufgefordert, die Heimat zu verlassen. Er habe noch weitere Geschwister, nämlich eine jüngere Schwester und einen jüngeren Bruder. Diese seien von den Eltern nicht aufgefordert worden, das Land zu verlassen, und zwar deshalb, weil beide noch relativ jung gewesen seien und nur Leute in seinem Alter Verfolgung zu erleiden hätten. Im Falle der Rückkehr werde er wahrscheinlich von den sunnitischen Priestern bzw. ihren Anhängern getötet werden.
Mit Bescheid vom 19.06.1998 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Abs. 1 AuslG und auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht.
Der Kläger erhob daraufhin Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen. Nachdem der Kläger im Laufe des Jahres 1999 längere Zeit unbekannten Aufenthalts war, stellte das Verwaltungsgericht Sigmaringen nach erfolgloser Betreibensaufforderung durch Beschluss vom 01.02.2000 (A 9 K 10011/00) das Verfahren ein.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 08.01.2007 - beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingegangen am 11.01.2007 - stellte der Kläger einen Folgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mitumfasst seien. Damit sei u.a. auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne nicht aufrechterhalten werden.
Mit Bescheid vom 16.05.2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und auf Abänderung des Bescheids vom 19.06.1998 hinsichtlich der Feststellung zu § 53 AuslG ab.
Am 23.05.2007 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie weiter der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung hat er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen Bezug genommen. Die Beklagte ist der Klage aus den Gründen des angegriffenen Bescheids entgegengetreten.
Durch Urteil vom 28.09.2007 - A 6 K 258/07 - hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Eine staatliche oder nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan könne derzeit nicht angenommen werden und drohe auch nicht in absehbarer Zukunft. Das Gericht folge insoweit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und der obergerichtlichen Rechtsprechung. Insoweit habe sich an der Sachlage bis zum heutigen Zeitpunkt nichts Relevantes geändert. Auch das Inkrafttreten des § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union rechtfertige keine abweichende Beurteilung der Sachlage aus Rechtsgründen. Die Neubestimmung des Flüchtlingsbegriffs in Anwendung der Genfer Konvention führe nicht zur Annahme einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan. Weder die Qualifikationsrichtlinie noch die Genfer Flüchtlingskonvention forderten inhaltlich eine wesentlich andere Betrachtungsweise, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob nach Inkrafttreten der neuen Rechtslage die bisherige Rechtsprechung zum „forum internum“ und zur Gewährleistung des asylrechtlich erforderlichen sog. religiösen Existenzminimums weiter fortbestehen könne und inwieweit dies Folgen für die Annahme einer Gruppenverfolgung von Ahmadis habe. Jedenfalls erreichten die im Hinblick auf Ahmadis in Pakistan dokumentierten Verfolgungsfälle, selbst wenn man den Kreis der einbeziehenden Referenzfälle erweitere, weiterhin nicht die zur Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte. Nach Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie könnten nur schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte die Flüchtlingseigenschaft begründen. Deshalb seien nicht sämtliche Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit bei der Auswahl der zu berücksichtigenden Referenzfälle einzubeziehen. Unter Beachtung der Rechtsanwendungspraxis in Pakistan sei weiter darauf abzustellen, welche Referenzfälle zu Gefahren für Leib, Leben oder die physische Freiheit führten. Was die Frage der öffentlichen Religionsausübung betreffe, sei darauf hinzuweisen, dass den Ahmadis eine öffentliche Religionsausübung nicht völlig unmöglich sei. Das Auswärtige Amt weise im Lagebericht vom 18.05.2007 insoweit beispielhaft darauf hin, dass es Gotteshäuser gebe, in denen Ahmadis trotz der bestehenden Strafvorschriften öffentlich ihren Glauben ausüben könnten. Ahmadis sei es auch nicht untersagt, sich öffentlich zum Quadianismus oder Ahmadiismus als ihrer Religion zu bekennen.
Das Urteil wurde dem Kläger am 24.10.2007 zugestellt.
10 
Am 24.11.2007 hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt.
11 
Mit Beschluss vom 11.12.2007 - dem Kläger am 24.12.2007 zugestellt - hat der Senat die Berufung zugelassen, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt. Im Übrigen blieb der Antrag bezogen auf die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ohne Erfolg.
12 
Am 23.01.2008 hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag begründet.
13 
In der Begründung wird im Einzelnen ausgeführt: Als Verfolgung i. S. des Art. 9 Abs. 2 Abs. 1 Buchst. a QRL gälten nunmehr Handlungen, die sich nach ihrer Art oder Wiederholung als eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten. Als Verfolgung seien aber nach Buchst. b auch Maßnahmen anzusehen, die so gravierend seien, dass eine Person auf eine ähnliche Weise wie nach Buchst. a betroffen sei. Die Religionsfreiheit sei ein Menschenrecht im Sinne dieser Vorschrift, was sich insbesondere aus Art. 18 Abs. 1 und 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie aus Art. 9 Abs. 1 EMRK ergebe. Vor diesem Hintergrund sei ein Rückgriff auf die Rechsprechung zum Begriff der politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG nicht zulässig. Einschränkungen der Religionsfreiheit dürften nur unter Beachtung des Art. 18 Abs. 3 des internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie Art. 9 Abs. 2 EMRK vorgenommen werden. Die hiernach erforderlichen Gesetze müssten allgemeiner Natur sein, d.h. für alle Staatsbürger, egal welcher religiösen Ausrichtung sie angehörten, gelten. Bezogen auf die Ahmadis in Pakistan bedeute dies, dass sämtliche gegen die Ahmadis gerichteten Strafgesetze offensichtlich nicht diesen Anforderungen genügten. Bereits diese Regelungen seien für sich genommen daher geeignet, als schwerwiegende Verletzung eines Menschenrechts zu gelten. Mit einzubeziehen seien aber auch die staatlichen Regelungen, wonach Ahmadis, um einen Nationalpass ausgestellt zu bekommen, ihre Glaubensgrundsätze dadurch verleugnen müssten, dass sie sich schriftlich auf einem Sonderformular als Nicht-Moslems bezeichnen müssten. Weiter seien die diskriminierenden Regelungen des Wahlrechts zu berücksichtigen, die es Ahmadis seit längerem unmöglich machten, sich auf normalen Wahllisten als Kandidat aufstellen zu lassen oder die normalen Kandidaten zu wählen, was bewirke, dass Ahmadis an den Parlamentswahlen nicht mehr teilnähmen und daher im Parlament nicht mehr vertreten seien. Es werde insoweit auf den sog. Präsidentenerlass Nr. 15 vom 17.06.2002 zur Ergänzung des Erlasses über die allgemeinen Wahlen 2002 verwiesen. Nach dieser Regelung bleibe der Status von Ahmadis unverändert, nach Ziff. 7c der Regelung müssten aber Personen, die sich als Wähler registrieren lassen wollten, für den Fall, dass Einspruch eingelegt werde, innerhalb von 15 Tagen bei der Aufsichtsbehörde erscheinen und ein Formular mit einer Erklärung über die Finalität des Propheten unterzeichnen. Falls der Betreffende sich weigere, werde er als Nicht-Muslim betrachtet und sein Name werde aus dem allgemeinen Wahlverzeichnis gestrichen und der Zusatzliste für Nicht-Muslime zugeteilt. Damit werde sowohl das aktive wie auch das passive Wahlrecht deutlich eingeschränkt. Weiter müssten auch die Regelungen bei der Registrierung von Geburten in Betracht gezogen werden, weil bei den öffentlichen Registrierungsstellen die Religion des Kindes bzw. der Eltern angegeben werden müsse. Ahmadis müssten dort „Ahmadi“ angeben und dürften nicht entsprechend ihrem Selbstverständnis „Moslem“ eintragen lassen. Dies führe in Pakistan faktisch zu einer stigmatisierenden Ausgrenzung. Weiter seien die faktischen Beeinträchtigungen im Schul-, Hochschul- und Ausbildungsbereich sowie die Benachteiligungen bei der Einstellung bzw. Beförderung im öffentlichen Dienst zu berücksichtigen. In Bezug auf das Bildungswesen sei darauf zu verweisen, dass die Studenten auf den Antragsformularen ihre Religionszugehörigkeit angeben müssten. Bezeichneten die Ahmadis sich auf diesem Formular als Moslem riskierten sie eine Freiheitsstrafe. Bezeichneten sie sich als Ahmadi müssten sie damit rechnen, dass ihnen der Zugang verwehrt werde. Würden sie dennoch zugelassen, dürften sie in der Regel nicht am Pflichtfach „Islamyyat“ teilnehmen, was zur Benachteiligung beim Schulabschluss führe. Weiter sei zu verweisen auf die weit verbreiteten Entweihungen der ahmadischen Grab- und Gebetsstätten, der Ausschluss von der Beerdigung auf den meisten Friedhöfen, die Beschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit sowie die Beschränkungen im Bereich der Publizistik. Betrachte man dieses Bündel von diskriminierenden und ausgrenzenden Maßnahmen unterschiedlichen Charakters einerseits sowie andererseits die Tatsache, dass bei einer Gesamtzahl von ca. 2 bis 4 Millionen Ahmadis in Pakistan nur noch ca. 500.000 sog. bekennende Ahmadis lebten, so liege es nahe, dass die weit überwiegende Anzahl der Ahmadis sich nur deshalb nicht traue, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Glauben zu bekennen, um dem auf ihnen lastenden Ausgrenzungsdruck zu entgehen, wobei auch die Existenz und der Vollzug der religiösen Strafgesetze berücksichtigt werden müsse. Auch die Anzahl der tätlichen Angriffe von privaten Dritten in Bezug auf religiöses Verhalten der Ahmadis müsse einbezogen werden.
14 
Was die Einhaltung der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG betreffen, so sei er erstmals am 04.01.2007 anlässlich einer Vorsprache im Büro seines Prozessbevollmächtigten von diesem über die rechtlichen Änderungen informiert worden. Entgegen mancher Vermutungen habe die Ahmadiyya-Gemeinde ihre Mitglieder nicht über die Qualifikationsrichtlinie unterrichtet.
15 
Der Kläger beantragt,
16 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28.09.2007 - A 6 K 2558/07 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16.05.2007 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
17 
Die Beklagte beantragt,
18 
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
19 
§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL führe zu keiner grundsätzlich abweichenden Bewertung. Ob Eingriffe in die Religion hinreichend schwerwiegende Rechtsgutsverletzungen darstellten, bestimme sich nach Art. 9 QRL. Einschränkungen der religiösen Betätigung als solche stellten nur dann hinreichend schwerwiegende Eingriffe dar, wenn die Religionsausübung gänzlich unterbunden werde oder sie zu einer Beeinträchtigung eines unabdingbaren Teils des religiösen Selbstverständnisses des Gläubigen führen würde und daher ein Verzicht nicht zugemutet werden könne. Der Folgeantrag sei am 11.01.2007 eingegangen.
20 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend angehört.
21 
Auf Frage, ob in seinem Wohnort M. noch andere Ahmadis lebten: Nein.
22 
Auf Frage, ob er Kontakte zu anderen Ahmadis in Deutschland habe: Am Anfang als er nach Deutschland gekommen sei, habe er Kontakte gehabt.
23 
Auf Frage, zu wem und wohin er solche Kontakte gehabt habe: Nach Weingarten, dort lebten Ahmadis.
24 
Auf Frage, ob er somit jetzt keinen Kontakt mehr habe: Vor 2 bis 3 Monaten sei er dort gewesen, er habe keine Erlaubnis, den Kreis zu verlassen.
25 
Auf Frage, ob er damals eine Genehmigung gehabt habe: Damals sei sein Gerichtstermin gewesen, er habe das miteinander verbunden.
26 
Auf Vorhalt, dass der Termin beim Verwaltungsgericht Sigmaringen im September letzten Jahres gewesen sei: Damals sei er auch in Weingarten gewesen.
27 
Auf Frage, warum er nach Weingarten gegangen sei: Um ein bisschen Kontakt zu halten.
28 
Auf Frage, was er damals konkret gemacht habe: Das Freitagsgebet.
29 
Auf wiederholte Frage, wie lange er dort gewesen sei: Er sei 1 Stunde oder auch 1 ½ Stunden oder auch 2 Stunden dort gewesen sei:
30 
Auf Frage, ob er vor 2 oder 3 Monaten eine Genehmigung der Ausländerbehörde gehabt habe: Ja, ihm sei eine Genehmigung erteilt worden.
31 
Auf Frage, ob er in den 8 Jahren, die er nunmehr in M. wohne, früher schon einmal in Weingarten gewesen sei: Ja, 3 oder 4 Mal.
32 
Auf Frage, ob dies mit Genehmigung der Ausländerbehörde geschehen sei: Ja, immer mit Genehmigung.
33 
Auf Frage, was der Glaube für ihn bedeute und wie er ihn konkret ausübe bzw. praktiziere: Die Gemeinde sei eine sehr wichtige Sache für ihn, deshalb habe er auch sein Heimatland verlassen.
34 
Auf nochmalige Frage und Bitte, Konkretes zu berichten: Beten, keine Sachen machen, die die Religion verbiete.
35 
Auf nochmalige Frage, was der Glaube konkret für sein Leben bedeute: Das Gebet zeige dem Menschen, was richtig sei.
36 
Auf Frage, wie oft er bete: Er bete nicht fünf Mal am Tag, mal 2 Mal, auch 3 Mal.
37 
Auf Frage, was ihn hindere, den Gebetspflichten nachzukommen: Mal ein Termin, mal ein wichtiger Besuch.
38 
Auf Frage, was für Termine er meine: Mal ein Arzttermin, ein Termin bei der Ausländerbehörde.
39 
Auf Frage, wie oft er auf die Ausländerbehörde gehe: Ein Mal im Monat oder auch alle drei Monate.
40 
Auf Frage, warum er ausgereist sei: Er könne sich nicht so genau erinnern. Aber in ihrem Dorf sei nur ein Ahmadi-Haus gewesen. Es habe ständig Probleme gegeben. Sie hätten immer wieder verschiedene Fragen gestellt. Die Lehrer hätten sie nicht gemocht. 2 oder 3 Mal habe es mündliche Auseinandersetzungen mit den Mullahs gegeben. Im Jahre 1998 sei er auf dem Weg nach Hause gewesen. Er sei geschlagen worden. Einmal sei nachts ihr Haus angegriffen worden. Aus Angst sei er zu einem Freund gegangen, dessen Onkel habe dann bei der Ausreise geholfen.
41 
Auf Frage, was seinen Glauben von dem der Mehrheit der Muslime in Pakistan unterscheide: Was wir glauben, glauben die andern nicht, und was wir nicht glauben, glauben die andern.
42 
Auf nochmalige Frage nach konkreten Einzelheiten: Wir glauben an Quadiani.
43 
Auf wiederholte Frage: Es bestehen große Unterschiede. Wir glauben, dass der Messias schon gekommen ist.
44 
Auf Frage: Seine Eltern seien fromme Menschen gewesen, sie hätten 5 Mal gebetet.
45 
Auf Frage nach weiteren Einzelheiten: Eine Moschee habe es im Dorf nicht gegeben. Der Vater sei in ein Nachbardorf gegangen, um dort in der Moschee zu beten. Er habe ihn begleitet.
46 
Auf Frage: Der Vater sei immer freitags in das Dorf gegangen.
47 
Auf Frage, wie alt er gewesen sei: 10 bis 11 Jahre bis zu seiner Ausreise.
48 
Auf Frage, ob sie auf dem Weg dorthin Probleme gehabt hätten bzw. belästigt worden seien: In der Moschee seien nur Ahmadis gewesen.
49 
Auf Frage, ob sie also nicht behelligt worden seien: Sie hätten keinen Gebetsruf machen dürfen.
50 
Auf Frage des Prozessbevollmächtigten, ob er sich vorstellen könne, seinen Glauben zu ändern: Nein, seine Religion sei ihm wichtig, er wisse nicht, warum er sie wechseln solle.
51 
Auf dessen Frage, dass seine Heirat mit einer Christin ein Grund sein könne und er vielleicht deshalb dem Glauben wechseln wolle: Er habe seine Religion, sie habe ihre Religion.
52 
Auf dessen Frage, warum es so wichtig sei, dass der Quadiani ein Prophet sei: So stehe es im Koran, dass der Messias komme, deshalb glaubten sie daran.
53 
Auf dessen Frage, ob er etwas von ihm gelesen habe: Das sei schon lange her.
54 
Auf dessen Frage, um welches Buch es sich gehandelt habe: Er könne sich nicht so genau mehr erinnern, es sei nicht in Deutschland, sondern in Pakistan gewesen.
55 
Auf dessen Frage, ob er den Koran lese: Er könne dies nicht richtig, weil er nicht arabisch verstehe, aber in einer Übersetzung lese er.
56 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
57 
Dem Senat liegen die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart jeweils das Erst- und Folgeverfahren betreffend vor.

Entscheidungsgründe

 
58 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§ 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG).
59 
Der Kläger ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Flüchtling im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 lit. c der zu dessen Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL). In diesem Zusammenhang kann der Senat auch offen lassen, ob § 60 Abs. 1 AufenthG die Qualifikationsrichtlinie vollständig und ordnungsgemäß umsetzt. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist zum 10.10.2006 (vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) ist diese ohnehin in weitem Umfang unmittelbar anzuwenden.
I.
60 
Der Senat geht davon aus, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gem. § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
61 
1. Entgegen der von der Beklagten im Bescheid vom 16.05.2007 vertretenen Auffassung ist allerdings mit Rücksicht auf die Qualifikationsrichtlinie in Bezug auf die Beurteilung der heutigen Lage der Ahmadis in Pakistan eine relevante Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs.1 2. Alt. VwVfG eingetreten. Das Bundesamt geht zu Unrecht davon aus, dass dies nur dann der Fall ist, wenn die Änderung auch unmittelbar zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen muss, was sich daraus ergibt, dass es eine Vollprüfung am Maßstab der Richtlinie vorgenommen, das Vorliegen deren Voraussetzungen verneint, aber gleichwohl kein weiteres Asylverfahren durchgeführt hat. Generell ist jedoch eine abschließende Prüfung der Erheblichkeit der Änderung (nicht anders als im Falle der Änderung der Sachlage oder des neuen Beweismittels) auf einer zweiten Stufe erst dem weiteren Asylverfahren vorbehalten, sofern eine günstige Entscheidung aufgrund der geänderten Rechtslage jedenfalls möglich erscheint (vgl. GK-AsylVfG, § 71 Rdn. 136, 153, 188), was hier jedoch der Fall ist.
62 
Was die unanfechtbare negative Entscheidung des Erstverfahrens und die dort gewürdigten individuelle Vorfluchtgründe betrifft, ist jedoch eine erneute Überprüfung und Neubewertung im weiteren Asylverfahren nicht eröffnet. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Qualifikationsrichtlinie sich Geltung auch für alle die Sachverhalte beimisst, über die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist unanfechtbar entschieden war. Andernfalls müsste eine unüberschaubare Zahl von Verfahren in der gesamten Gemeinschaft einer erneuten Überprüfung und ggf. Revision unterzogen werden. Etwas anderes wird man nur dann anzunehmen haben, wenn der Sachverhalt noch über den Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit bis in die Gegenwart hineinreicht, also heute noch aktuell ist. Dann wird dieser Sachverhalt einer neuen rechtlichen Prüfung am Maßstab der Qualifikationsrichtlinie zu unterziehen sein. Die vom Kläger im Erstverfahren vorgetragenen Übergriffe nicht-staatlicher Akteure, so sie denn überhaupt glaubhaft dargestellt worden sein sollten, was vom Bundesamt nicht im Einzelnen hinterfragt worden war, weil es von einer Schutzfähigkeit und Schutzbereitschaft des pakistanischen Staats ausgegangen war, lagen jedoch zum Zeitpunkt der Folgeantragstellung mindestens 9 Jahre zurück und hatten ihren Entstehungsgrund in den örtlichen Verhältnissen des Heimatortes, in den zurückzukehren der erwachsene Kläger nach so langer Abwesenheit nicht gezwungen ist. Dass aber heute landesweit eine so hohe Zahl von Übergriffen stattfinden könnte, dass jeder Angehörige der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya nach Maßgabe des Prüfprogramms des Art. 4 Abs. 3 QRL begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, wird, wie in der Vergangenheit, auch in den verwerteten Erkenntnismitteln nicht im Ansatz zum Ausdruck gebracht. Abgesehen davon ist der Senat aufgrund der völlig vagen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu diesem gesamten Komplex auch nicht davon überzeugt, dass die behaupteten Ereignisse so geschehen sind und den Kläger zur Flucht veranlasst haben könnten (vgl. hierzu im Einzelnen unter VI).
63 
2. Der Senat geht auch davon aus, dass der Kläger die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten hat. Nachdem die hier maßgebliche Änderung der Rechtslage (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG) mit Ablauf des 10.10.2006 (Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie und Eintritt deren unmittelbarer Anwendbarkeit; vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) eingetreten ist, wäre die Antragsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG nur dann am 10.01.2007 – und damit vor Eingang des Antrags beim Bundesamt am 11.01.2007 – abgelaufen gewesen, wenn der Kläger oder ein Bevollmächtigter (vgl. zur Zurechnung NiedersOVG, B.v. 18.11.1998 - 11 L 4371/98 - juris; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 51 Rdn. 47; vgl. auch BGH, B.v. 30.03.1993 - X ZR 51/92 - NJW 1993, 1596; U.v. 16.12.1959 - IV ZR 206/59 - NJW 1960, 818; Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 586 Rdn. 2 jeweils zu § 586 Abs. 2 ZPO) bereits am 10.10.2006 positive Kenntnis von der Rechtsänderung gehabt hätten. Dass dies bei dem jetzigen Prozessbevollmächtigten der Fall war, kann sicherlich angenommen werden (vgl. Senatsurteil vom 20.11.2007 - A 10 S 679/05). Selbst wenn beim früheren Bevollmächtigten des Klägers eine vergleichbare Kenntnis vorgelegen hätte, so wäre eine Zurechnung aber nur dann möglich, wenn er zu diesem Zeitpunkt ein Mandat gehabt hätte. Dafür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Das im früheren Verfahren erteilte Mandat war mit dessen rechtskräftigen Abschluss beendet gewesen sein. Für das vorliegende Verfahren wurden das Mandat aber erst Anfang Januar 2007 erteilt und die Vollmacht am 08.01.2007 unterzeichnet. Was die eigene Kenntnis des Klägers betrifft, so wurde vorgetragen, er habe am 04.01.2007 mit seiner jetzigen Ehefrau im Büro des Prozessbevollmächtigten vorgesprochen und erst durch diesen Kenntnis vom den rechtlichen Änderungen erlangt, und es insbesondere nicht zutreffe, dass der Umstand, dass sich infolge der Qualifikationsrichtlinie die Rechtslage geändert habe bzw. ändern werde, bereits früher allgemein bekannt gewesen sei. Auch die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er bereits vorher zuverlässige Kenntnis von den Neuregelungen der Qualifikationsrichtlinie gehabt haben könnte.
64 
3. Da das Erstverfahren nicht durch ein Gerichtsurteil rechtskräftig abgeschlossen worden war, wäre das Bundesamt allerdings nicht gehindert gewesen, auch erneut in der Sache zu entscheiden, auch wenn die Voraussetzungen des § 71 AsylVfG i.V.m. § 51 VwVfG nicht vorlagen, und – im Falle einer erneut negativen Entscheidung - damit ggf. eine erneute gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit zu eröffnen (vgl. BVerwG, U. v. 15.12.1987 – 9 C 285/86 – NVwZ 1988, 737). Eine neue Entscheidung zu den Vorfluchtgründen hat das Bundesamt jedoch gerade nicht getroffen. Es hat nach dem Tenor eindeutig die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt, somit auch keinen Zweitbescheid erlassen. Dem steht nicht entgegen, dass es in den Gründen seiner Entscheidung die allgemeine Situation der Ahmadis heute am Maßstab der Qualifikationsrichtlinie beurteilt und zudem ausgeführt hat, dass auch heute in Bezug auf Übergriffe nicht-staatlicher Akteure nicht von der erforderlichen Verfolgungsdichte ausgegangen werden könne, womit nur zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass auch keine Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. VwVfG vorliegt.
II.
65 
Nach Auffassung des Senats sprechen gewichtige Gesichtspunkte für folgendes Verständnis der hier maßgeblichen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie
66 
1. Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 lit. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL maßgeblich. Hiernach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.
67 
Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL gewährleistet für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn er sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jegliche religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird. Die Vorschrift geht damit ihrem eindeutigen Wortlaut nach über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158>; BVerwG, U.v. 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82).
68 
Damit zeichnet der supranationale Normgeber auch für den Bereich des vergemeinschafteten Flüchtlingsschutzes die universelle menschenrechtliche Anerkennung gerade auch der öffentlichen Glaubensausübung bzw. -betätigung nach und bekennt sich zu dieser (vgl. auch die 10. Begründungserwägung, in der sich die Gemeinschaft zur Achtung der Grundrechte bekennt). So gewährleistet Art. 18 des Internationalen Paktes vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) die private und die öffentliche Glaubenspraxis, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder eine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. Des Weiteren wird die Ausübung der Religionsfreiheit auch in der Öffentlichkeit durch Art. 9 EMRK gewährleistet, wenn hiernach die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen, geschützt wird. Schließlich ist auch auf Art. 1 der Erklärung Nr. 36/55 der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion und der Überzeugung vom 25.11.1981 hinzuweisen, in der gleichfalls zum Ausdruck kommt, dass das Recht auch auf öffentliche Religionsausübung und religiöse Praxis als fundamentales Menschenrecht allgemein anerkannt ist.
69 
Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, der öffentliche Ruf zum Gebet, sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von diesem zu überzeugen (in diesem Sinne auch BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – InfAuslR 2008, 101; vgl. zum Schutzbereich des Art. 18 IPbpR Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 25; vgl. zu den verschiedenen Formen öffentlicher religiöser Praktiken auch Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 12).
70 
Ist hiernach der Schutzbereich der Religion weit zu verstehen, so bietet die Vorschrift keinen Anhalt für ein von vornherein einengendes Verständnis, wonach nicht jede Form der öffentlichen Glaubensbetätigung geschützt sei, sondern nur die aus dem jeweiligen religiösen Verständnis glaubensprägenden beziehungsweise unverzichtbar gebotenen und existentiellen Betätigungen gemeint sein könnten. Dies folgt insbesondere nicht aus dem den Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL abschließenden Satzteil „…die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.“ Das Gegenteil folgt schon aus der Weite des Begriffs „sich auf eine religiöse Überzeugung stützen“, der - insoweit nahe liegend - verlangt, dass die jeweils zu beurteilende Betätigung auf einer religiösen Überzeugung beruhen muss bzw. auf diese zurückgeführt werden kann, ohne aber zwingenden Charakter derart haben zu müssen, dass der oder die Betreffende im Falle des Unterlassens Gewissensnot erleiden oder sündig werden würde. Die Frage nach dem Gewicht und der Bedeutung eines Unterlassens stellt sich erst bei der Beurteilung der Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL (vgl. unten 2). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL ausdrücklich etwa auch die Nichtteilnahme an religiösen Riten schützt, somit die Entscheidung, sich religiöser Betätigungen gerade zu enthalten, indem Handlungen, die die Religion als Verhaltensweise zu bestimmten Anlässen vorgibt, gerade unterlassen werden (in diesem Sinne auch SaarlOVG, U.v. 26.06.2007 - 1 A 222/07 - juris).
71 
Allerdings sind die vorgenannten menschenrechtlichen Gewährleistungen nicht schrankenlos eingeräumt. Sowohl Art. 18 IPbpR als auch Art. 9 EMRK differenzieren zwischen der grundsätzlich nicht beschränkbaren Freiheit, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen einerseits, sowie der Beschränkbarkeit der freien Religionsausübung (d.h. des Bekenntnisses) andererseits. Nach Art. 18 Abs. 3 IPbpR (wie auch vergleichbar nach Art. 9 Abs. 2 EMRK) darf die religiöse Betätigung Einzelner oder der Gemeinschaft allerdings nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, der Gesundheit, der Sittlichkeit und der Grundrechte und Grundfreiheiten anderer verboten oder reglementiert werden, sofern dieses gesetzlich vorgesehen und zur Erreichung der genannten Zwecke notwendig ist und v.a. das einschränkende Gesetz einen angemessenen und verhältnismäßigen Ausgleich herbeiführt. Den jeweiligen Staaten wird dabei aber regelmäßig ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zugebilligt (vgl. ausführlich zu den Schrankenvorbehalten Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 31 ff; UNHCR, „Richtlinien zum Internationalen Schutz, Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung“, Ziffer 15 f.; vgl. auch Grabenwarter, EMRK, 3. Aufl., S. 246 ff.; Meyer-Ladewig, EMRK, 2. Aufl., Art. 9 Rdn. 8 m.w.N.). Dabei muss das verbietende bzw. einschränkende Gesetz allgemeiner Natur sein, d.h. es muss für alle Staatsbürger - welcher religiösen Ausrichtung sie auch angehören mögen - gleichermaßen Geltung beanspruchen, darf daher nicht auf bestimmte religiöse Gruppen zielen und ausschließlich für diese Einschränkungen vorsehen (vgl. Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 23). Dieser Aspekt findet seinen Niederschlag auch in den Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie selbst, wenn diese zur Definition der verfolgungsrelevanten Verfolgungshandlung in Art. 9 Abs. 2 lit. b, c, d und f maßgeblich auf das Kriterium der Diskriminierung abstellt. Vor diesem Hintergrund werden einschränkende Maßnahme, die nicht den genannten Schrankenvorbehalten genügen, insbesondere nicht dem Postulat des allgemeinen Gesetzes genügen, in der Regel indiziell auf eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung hindeuten.
72 
Ausgehend hiervon können diese universal anerkannten Grenzen der Religionsausübungsfreiheit auch zur Konkretisierung des Art. 10 lit. b QRL und seiner Grenzen sinngemäß herangezogen werden.
73 
2. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a oder b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
74 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere lit. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung – von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen – in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird und der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann.
75 
Auch wenn hiernach formal betrachtet gewissermaßen eine „bloße“ oder „einfache“ Beeinträchtigung eines Menschenrechts nicht schutzbegründend sein kann, so darf andererseits, wie dargelegt, nicht aus dem Auge verloren werden, dass Art. 10 Abs. 1 lit. a QRL Ausdruck einer Anerkennung bzw. eines Bekenntnisses zu dem grundlegenden Menschenrecht einer gerade auch öffentlichen Glaubensbetätigung ist. Deshalb wäre es nach Auffassung des Senats verfehlt, von einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung nur dann auszugehen, wenn die bisher im asylrechtlichen Kontext relevanten Kriterien eines asylerheblichen Eingriffs in das religiöse Existenzminimum erfüllt sind mit der Folge, dass sich durch die Qualifikationsrichtlinie im Ergebnis keine Änderung der Rechtslage ergeben hätte. Bei dieser Sichtweise würde sich die gemeinschaftsrechtliche Anerkennung dieses Menschenrechts für das Gebiet des Asyl- und Flüchtlingsrechts in der Rechtswirklichkeit nicht durchsetzen und bliebe wirkungs- und folgenlos. Der gemeinschaftsrechtliche Auslegungsgrundsatz des „éffet utile“ gebietet aber, Normen des Gemeinschaftsrechts und somit auch Richtlinien so auszulegen, dass ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet ist (vgl. Pechstein/Drechsler, in: Reisenhuber, Europäische Methodenlehre, Handbuch für Ausbildung und Praxis, 2006, S. 160, Rn. 69 f.).
76 
Daraus folgt, dass jedenfalls Beschneidungen bzw. Verbote öffentlicher Glaubensbetätigungen bzw. Praktiken, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion bzw. Weltanschauung, aber auch nach dem – nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnisses des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen können, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern. Die Beschränkung auf lediglich grundlegende Betätigungen bzw. Äußerungen hat – gewissermaßen als Kehrseite - ihren Grund darin, dass, wie ausgeführt, nicht jede Beeinträchtigung des Menschenrechts die Qualität einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung erlangt, sondern nur eine solche schwerwiegender Art (a.A. wohl Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 28 f.).
77 
3. Zur Beantwortung der Frage, welcher Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit nach der Qualifikationsrichtlinie anzuwenden ist, ist zunächst auf Art. 4 Abs. 3 QRL hinzuweisen, der – bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. lit. a) – eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorgibt. Einzelfallbezogenheit schließt allerdings nicht aus, dass der darlegungs- und beweiserleichternde Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung weiterhin Relevanz bzw. Berechtigung hat (vgl. BVerfG, B.v. 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 - BVerfGE 54, 341 <358 f.>; B.v. 21.01.1991 - 2 BvR 902/85 - BVerfGE 83, 216 <233>; Kammerb. v. 02.02.1996 - 2 BvR 1576/94 - NVwZ-Beil. 1996, 25; vgl. auch zum Sonderfall eines staatlichen Verfolgungsprogramms BVerwG, U. 05.07.1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 <203>). Denn selbstverständlich kann auch nach der Qualifikationsrichtlinie vom Schicksal von Personen, die in einer in wesentlichen Punkten vergleichbaren Situation bereits Verfolgung erlitten haben, bei unverändert gebliebener Sachlage auch prognoserechtlich auf das (künftige) Schicksal anderer Personen geschlossen werden.
78 
Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nach dem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 – 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung zwar ebenfalls.
79 
Nach den bisher richterrechtlich entwickelten Maßgaben durfte aber ein (landesweit) vorverfolgt ausgereister Flüchtling grundsätzlich nur dann in sein Heimatland zurückgeschickt werden, wenn er dort hinreichend sicher vor erneuter politischer Verfolgung war (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab), wobei hinreichende Sicherheit in diesem Zusammenhang bedeutete, dass aufgrund der bereits einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Ausschlusses erneuter Verfolgung zu stellen waren. Es musste mehr als überwiegend wahrscheinlich sein, dass keine erneute Verfolgung droht, ohne dass allerdings ein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellter Ausschluss zu verlangen gewesen wäre. Demgegenüber konnte ein unverfolgt Ausgereister bei zu berücksichtigenden objektiven Nachfluchtgründen auf sein Heimatland verwiesen werden, wenn ihm dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte, was anzunehmen war, wenn er in absehbarer Zeit dort nicht mit Verfolgungsmaßnahmen ernsthaft zu rechnen hatte (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 – 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; vgl. zusammenfassend BVerwG, U.v. 18.02,1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97).
80 
Auch die Qualifikationsrichtlinie nimmt bei der anzustellenden Verfolgungsprognose eine Differenzierung vor, indem sie in Art. 4 Abs. 4, auf den § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ausdrücklich Bezug nimmt, ausführt, dass die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Im Übrigen aber verbleibt es bei der Prüfung, ob der Flüchtling zum Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in sein Heimatland erwartbar Verfolgungsmaßnahmen oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erleiden wird oder hiervon unmittelbar bedroht ist. Insoweit kann auch auf die Begriffsbestimmung des Art. 2 lit. c QRL zurückgegriffen werden, wonach "Flüchtling" im Sinne der Qualifikationsrichtlinie einen Drittstaatsangehörigen bezeichnet, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will. Der letztgenannte Maßstab entspricht dabei dem in der Rechtsprechung entwickelten Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" in Anlehnung an die britische Rechtsprechung des "real risk", wobei auch ein Verfolgungsrisiko von unter 50% als beachtlich wahrscheinliches Risiko angesehen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 05.11.1991 – 9 C 118.90 – NVwZ 1992, 582 m.w.N.).
81 
Der von der Rechtsprechung entwickelte Maßstab der "hinreichenden Sicherheit" bei vorverfolgt ausgereisten Flüchtlingen wird somit durch die in Art. 4 Abs. 4 QRL enthaltene Rückausnahme modifiziert. Bei der Auslegung des Art. 4 Abs. 4 QRL können zwar die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien der "hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung" mit herangezogen werden, da auch der Richtliniengeber davon ausgeht, dass der bereits einmal verfolgte Flüchtling einen erhöhten Schutzstandard genießt, stellt doch die Vorverfolgung einen ernsthaften Hinweis auf eine auch bei Rückkehr zu befürchtende Verfolgung dar, es sei denn es greift die Rückausnahme des Art. 4 Abs. 4 a.E. QRL. Allerdings werden die unterschiedlichen Maßstäbe bzw. Ansätze in der praktischen Anwendung sicherlich häufig keine unterschiedlichen Ergebnisse zur Folge haben (weitergehend BayVGH, U. v. 31.08.2007 - 11 B 02.31774 – juris, der auch in Anwendung der Qualifikationsrichtlinie von den bisher entwickelten Prognosemaßstäben ausgeht).
III.
82 
Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <160>) - gilt auch im vorliegenden Kontext, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können, weshalb insoweit auch keine Frage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen ist (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
IV.
83 
Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
84 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
85 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
86 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
87 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
88 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
89 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
90 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
91 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
92 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
93 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
94 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
95 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
96 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ameerui Mumineen', ‚Khalifar-ul-Mimineem’, 'Shaabi' oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
d) sein Gotteshaus als 'Masjid' bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
97 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als 'Azan' bezeichnet oder den 'Azan' so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
98 
Sec. 298 C lautet:
99 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
100 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
101 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
102 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierenden, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 – 140/1996/759/958-960 – Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
103 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
104 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
105 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
106 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten d).
107 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
108 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
109 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
110 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
111 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
112 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
113 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL darstellen. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
114 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.
V.
116 
Dafür, dass generell jeder pakistanischer Staatsangehöriger allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft hingegen Verfolgung zu gewärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen unter II 2 und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden, selbst wenn man die vorgenannten rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie und deren Anwendung auf die Lage der Ahmadis in Pakistan (vgl. II. und IV.) zu ihren Gunsten unterstellt, nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn dieser Personenkreis sich in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Insoweit stellt sich die Sachlage nicht anders dar, als sie bislang der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs und der anderer Oberverwaltungsgerichte zu dem Aspekt der asylerheblichen Gruppenverfolgung entsprach (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 24.11.2000 – A 6 S 672/99 – juris; HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, B.v. 29.06.1005 – 2 L 208/01 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 21.07.2004 – 19 A 2599/04.A – juris m.w.N.; OVG Saarland, B.v. 15.03.2002 – 9 Q 59/01 m.w.N. – juris; BayVGH, U.v. 24.07.1995 – 21 B 91.30329 – juris; NiedersOVG, U.v. 29.02.1996 – 12 L 6696/95 – juris; ThürOVG, U.v. 30.09.1998 – 3 KO 864/98 – juris; HambOVG, B.v. 02.03.1999 – OVG Bf 13/95 – juris). Hieran ist auch nach dem aktuellen Erkenntnisstand festzuhalten. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, v.a. was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies bislang der Fall war. Nachdem nach wie vor die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa vier Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. AA Lagebericht vom 30.05.2007, S. 16), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
VI.
117 
Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass er seinem Glauben überhaupt eng verbunden ist, diesen auch in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt hat und auch gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation betroffen wäre.
118 
Dies ergibt sich aus folgendem: Wäre der Kläger seinem Glauben wirklich innerlich verbunden, so ist es für den Senat nicht verständlich, dass er in den acht Jahren, die er sich nunmehr in M. aufhält, allenfalls fünf oder sechs Mal in Weingarten war, um sich dort mit anderen Angehörigen der dortigen Ahmadiyya-Gemeinde zu treffen, zumal vor dem Hintergrund, dass er an seinem Wohnort der einzige Ahmadi ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Ausländerbehörde insoweit offenbar keinerlei Schwierigkeiten gemacht hatte. Abgesehen davon hat der Senat auch nicht ausgeräumte Zweifel, ob die behaupteten Besuche in Weingarten überhaupt, jedenfalls in dieser Zahl stattgefunden haben. Befragt nach der Dauer des letzten Aufenthalts in Weingarten vor immerhin nur 2 oder 3 Monaten, konnte der Kläger unverständlicherweise zunächst überhaupt keine näheren Angaben machen und lachte nur völlig unvermittelt. Vielmehr musste der Senat mehrfach nachfragen und erhielt schließlich eine völlig vage Zeitangabe. Der Senat nimmt dem Kläger nicht ab, dass er sich nach so kurzer Zeit nicht genauer an die Dauer seines Aufenthalts in Weingarten erinnern kann. Seine Angaben dazu, wie er seine Gebetspflichten erfüllt, lassen gleichfalls nicht auf eine enge Bindung an den Glauben schließen. Wenn bereits ein Besuch, auch wenn er bedeutend sein sollte, dazu führt, dass er seinen diesbezüglichen Pflichten nicht nachkommt, so lässt dies auf eine gewisse Beliebigkeit schließen, zumal sich der Kläger ohnehin nicht sehr strikt an diese Pflichten gebunden fühlt, wenn er es als typisch darstellt, nur 2 oder 3 Mal am Tag zu beten. Schließlich waren seine Angaben zu den maßgeblichen Glaubensinhalten und deren Bedeutung für sein Leben in hohem Maße undifferenziert, wenn nicht gar oberflächlich, wenn er etwa auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zum Glauben der Mehrheit der Muslime zunächst nur ausführen konnte, dass das, was sie glaubten, die anderen nicht glaubten, und das, was sie nicht glaubten, die anderen glaubten, und es erst mehrerer weiterer Fragen bedurfte, um den Kläger zu der völlig vagen Aussage zu veranlassen, dass sie an den Quadiani glaubten und dass der Messias schon gekommen sei. Aus alledem vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger in einer wirklich engen und verpflichtenden Beziehung zum Glauben der Ahmadis steht und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten.
VII.
119 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
120 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
58 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§ 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG).
59 
Der Kläger ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Flüchtling im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 lit. c der zu dessen Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL). In diesem Zusammenhang kann der Senat auch offen lassen, ob § 60 Abs. 1 AufenthG die Qualifikationsrichtlinie vollständig und ordnungsgemäß umsetzt. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist zum 10.10.2006 (vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) ist diese ohnehin in weitem Umfang unmittelbar anzuwenden.
I.
60 
Der Senat geht davon aus, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gem. § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
61 
1. Entgegen der von der Beklagten im Bescheid vom 16.05.2007 vertretenen Auffassung ist allerdings mit Rücksicht auf die Qualifikationsrichtlinie in Bezug auf die Beurteilung der heutigen Lage der Ahmadis in Pakistan eine relevante Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs.1 2. Alt. VwVfG eingetreten. Das Bundesamt geht zu Unrecht davon aus, dass dies nur dann der Fall ist, wenn die Änderung auch unmittelbar zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen muss, was sich daraus ergibt, dass es eine Vollprüfung am Maßstab der Richtlinie vorgenommen, das Vorliegen deren Voraussetzungen verneint, aber gleichwohl kein weiteres Asylverfahren durchgeführt hat. Generell ist jedoch eine abschließende Prüfung der Erheblichkeit der Änderung (nicht anders als im Falle der Änderung der Sachlage oder des neuen Beweismittels) auf einer zweiten Stufe erst dem weiteren Asylverfahren vorbehalten, sofern eine günstige Entscheidung aufgrund der geänderten Rechtslage jedenfalls möglich erscheint (vgl. GK-AsylVfG, § 71 Rdn. 136, 153, 188), was hier jedoch der Fall ist.
62 
Was die unanfechtbare negative Entscheidung des Erstverfahrens und die dort gewürdigten individuelle Vorfluchtgründe betrifft, ist jedoch eine erneute Überprüfung und Neubewertung im weiteren Asylverfahren nicht eröffnet. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Qualifikationsrichtlinie sich Geltung auch für alle die Sachverhalte beimisst, über die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist unanfechtbar entschieden war. Andernfalls müsste eine unüberschaubare Zahl von Verfahren in der gesamten Gemeinschaft einer erneuten Überprüfung und ggf. Revision unterzogen werden. Etwas anderes wird man nur dann anzunehmen haben, wenn der Sachverhalt noch über den Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit bis in die Gegenwart hineinreicht, also heute noch aktuell ist. Dann wird dieser Sachverhalt einer neuen rechtlichen Prüfung am Maßstab der Qualifikationsrichtlinie zu unterziehen sein. Die vom Kläger im Erstverfahren vorgetragenen Übergriffe nicht-staatlicher Akteure, so sie denn überhaupt glaubhaft dargestellt worden sein sollten, was vom Bundesamt nicht im Einzelnen hinterfragt worden war, weil es von einer Schutzfähigkeit und Schutzbereitschaft des pakistanischen Staats ausgegangen war, lagen jedoch zum Zeitpunkt der Folgeantragstellung mindestens 9 Jahre zurück und hatten ihren Entstehungsgrund in den örtlichen Verhältnissen des Heimatortes, in den zurückzukehren der erwachsene Kläger nach so langer Abwesenheit nicht gezwungen ist. Dass aber heute landesweit eine so hohe Zahl von Übergriffen stattfinden könnte, dass jeder Angehörige der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya nach Maßgabe des Prüfprogramms des Art. 4 Abs. 3 QRL begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, wird, wie in der Vergangenheit, auch in den verwerteten Erkenntnismitteln nicht im Ansatz zum Ausdruck gebracht. Abgesehen davon ist der Senat aufgrund der völlig vagen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu diesem gesamten Komplex auch nicht davon überzeugt, dass die behaupteten Ereignisse so geschehen sind und den Kläger zur Flucht veranlasst haben könnten (vgl. hierzu im Einzelnen unter VI).
63 
2. Der Senat geht auch davon aus, dass der Kläger die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten hat. Nachdem die hier maßgebliche Änderung der Rechtslage (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG) mit Ablauf des 10.10.2006 (Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie und Eintritt deren unmittelbarer Anwendbarkeit; vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) eingetreten ist, wäre die Antragsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG nur dann am 10.01.2007 – und damit vor Eingang des Antrags beim Bundesamt am 11.01.2007 – abgelaufen gewesen, wenn der Kläger oder ein Bevollmächtigter (vgl. zur Zurechnung NiedersOVG, B.v. 18.11.1998 - 11 L 4371/98 - juris; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 51 Rdn. 47; vgl. auch BGH, B.v. 30.03.1993 - X ZR 51/92 - NJW 1993, 1596; U.v. 16.12.1959 - IV ZR 206/59 - NJW 1960, 818; Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 586 Rdn. 2 jeweils zu § 586 Abs. 2 ZPO) bereits am 10.10.2006 positive Kenntnis von der Rechtsänderung gehabt hätten. Dass dies bei dem jetzigen Prozessbevollmächtigten der Fall war, kann sicherlich angenommen werden (vgl. Senatsurteil vom 20.11.2007 - A 10 S 679/05). Selbst wenn beim früheren Bevollmächtigten des Klägers eine vergleichbare Kenntnis vorgelegen hätte, so wäre eine Zurechnung aber nur dann möglich, wenn er zu diesem Zeitpunkt ein Mandat gehabt hätte. Dafür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Das im früheren Verfahren erteilte Mandat war mit dessen rechtskräftigen Abschluss beendet gewesen sein. Für das vorliegende Verfahren wurden das Mandat aber erst Anfang Januar 2007 erteilt und die Vollmacht am 08.01.2007 unterzeichnet. Was die eigene Kenntnis des Klägers betrifft, so wurde vorgetragen, er habe am 04.01.2007 mit seiner jetzigen Ehefrau im Büro des Prozessbevollmächtigten vorgesprochen und erst durch diesen Kenntnis vom den rechtlichen Änderungen erlangt, und es insbesondere nicht zutreffe, dass der Umstand, dass sich infolge der Qualifikationsrichtlinie die Rechtslage geändert habe bzw. ändern werde, bereits früher allgemein bekannt gewesen sei. Auch die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er bereits vorher zuverlässige Kenntnis von den Neuregelungen der Qualifikationsrichtlinie gehabt haben könnte.
64 
3. Da das Erstverfahren nicht durch ein Gerichtsurteil rechtskräftig abgeschlossen worden war, wäre das Bundesamt allerdings nicht gehindert gewesen, auch erneut in der Sache zu entscheiden, auch wenn die Voraussetzungen des § 71 AsylVfG i.V.m. § 51 VwVfG nicht vorlagen, und – im Falle einer erneut negativen Entscheidung - damit ggf. eine erneute gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit zu eröffnen (vgl. BVerwG, U. v. 15.12.1987 – 9 C 285/86 – NVwZ 1988, 737). Eine neue Entscheidung zu den Vorfluchtgründen hat das Bundesamt jedoch gerade nicht getroffen. Es hat nach dem Tenor eindeutig die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt, somit auch keinen Zweitbescheid erlassen. Dem steht nicht entgegen, dass es in den Gründen seiner Entscheidung die allgemeine Situation der Ahmadis heute am Maßstab der Qualifikationsrichtlinie beurteilt und zudem ausgeführt hat, dass auch heute in Bezug auf Übergriffe nicht-staatlicher Akteure nicht von der erforderlichen Verfolgungsdichte ausgegangen werden könne, womit nur zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass auch keine Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. VwVfG vorliegt.
II.
65 
Nach Auffassung des Senats sprechen gewichtige Gesichtspunkte für folgendes Verständnis der hier maßgeblichen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie
66 
1. Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 lit. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL maßgeblich. Hiernach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.
67 
Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL gewährleistet für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn er sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jegliche religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird. Die Vorschrift geht damit ihrem eindeutigen Wortlaut nach über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158>; BVerwG, U.v. 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82).
68 
Damit zeichnet der supranationale Normgeber auch für den Bereich des vergemeinschafteten Flüchtlingsschutzes die universelle menschenrechtliche Anerkennung gerade auch der öffentlichen Glaubensausübung bzw. -betätigung nach und bekennt sich zu dieser (vgl. auch die 10. Begründungserwägung, in der sich die Gemeinschaft zur Achtung der Grundrechte bekennt). So gewährleistet Art. 18 des Internationalen Paktes vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) die private und die öffentliche Glaubenspraxis, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder eine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. Des Weiteren wird die Ausübung der Religionsfreiheit auch in der Öffentlichkeit durch Art. 9 EMRK gewährleistet, wenn hiernach die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen, geschützt wird. Schließlich ist auch auf Art. 1 der Erklärung Nr. 36/55 der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion und der Überzeugung vom 25.11.1981 hinzuweisen, in der gleichfalls zum Ausdruck kommt, dass das Recht auch auf öffentliche Religionsausübung und religiöse Praxis als fundamentales Menschenrecht allgemein anerkannt ist.
69 
Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, der öffentliche Ruf zum Gebet, sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von diesem zu überzeugen (in diesem Sinne auch BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – InfAuslR 2008, 101; vgl. zum Schutzbereich des Art. 18 IPbpR Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 25; vgl. zu den verschiedenen Formen öffentlicher religiöser Praktiken auch Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 12).
70 
Ist hiernach der Schutzbereich der Religion weit zu verstehen, so bietet die Vorschrift keinen Anhalt für ein von vornherein einengendes Verständnis, wonach nicht jede Form der öffentlichen Glaubensbetätigung geschützt sei, sondern nur die aus dem jeweiligen religiösen Verständnis glaubensprägenden beziehungsweise unverzichtbar gebotenen und existentiellen Betätigungen gemeint sein könnten. Dies folgt insbesondere nicht aus dem den Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL abschließenden Satzteil „…die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.“ Das Gegenteil folgt schon aus der Weite des Begriffs „sich auf eine religiöse Überzeugung stützen“, der - insoweit nahe liegend - verlangt, dass die jeweils zu beurteilende Betätigung auf einer religiösen Überzeugung beruhen muss bzw. auf diese zurückgeführt werden kann, ohne aber zwingenden Charakter derart haben zu müssen, dass der oder die Betreffende im Falle des Unterlassens Gewissensnot erleiden oder sündig werden würde. Die Frage nach dem Gewicht und der Bedeutung eines Unterlassens stellt sich erst bei der Beurteilung der Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL (vgl. unten 2). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL ausdrücklich etwa auch die Nichtteilnahme an religiösen Riten schützt, somit die Entscheidung, sich religiöser Betätigungen gerade zu enthalten, indem Handlungen, die die Religion als Verhaltensweise zu bestimmten Anlässen vorgibt, gerade unterlassen werden (in diesem Sinne auch SaarlOVG, U.v. 26.06.2007 - 1 A 222/07 - juris).
71 
Allerdings sind die vorgenannten menschenrechtlichen Gewährleistungen nicht schrankenlos eingeräumt. Sowohl Art. 18 IPbpR als auch Art. 9 EMRK differenzieren zwischen der grundsätzlich nicht beschränkbaren Freiheit, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen einerseits, sowie der Beschränkbarkeit der freien Religionsausübung (d.h. des Bekenntnisses) andererseits. Nach Art. 18 Abs. 3 IPbpR (wie auch vergleichbar nach Art. 9 Abs. 2 EMRK) darf die religiöse Betätigung Einzelner oder der Gemeinschaft allerdings nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, der Gesundheit, der Sittlichkeit und der Grundrechte und Grundfreiheiten anderer verboten oder reglementiert werden, sofern dieses gesetzlich vorgesehen und zur Erreichung der genannten Zwecke notwendig ist und v.a. das einschränkende Gesetz einen angemessenen und verhältnismäßigen Ausgleich herbeiführt. Den jeweiligen Staaten wird dabei aber regelmäßig ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zugebilligt (vgl. ausführlich zu den Schrankenvorbehalten Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 31 ff; UNHCR, „Richtlinien zum Internationalen Schutz, Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung“, Ziffer 15 f.; vgl. auch Grabenwarter, EMRK, 3. Aufl., S. 246 ff.; Meyer-Ladewig, EMRK, 2. Aufl., Art. 9 Rdn. 8 m.w.N.). Dabei muss das verbietende bzw. einschränkende Gesetz allgemeiner Natur sein, d.h. es muss für alle Staatsbürger - welcher religiösen Ausrichtung sie auch angehören mögen - gleichermaßen Geltung beanspruchen, darf daher nicht auf bestimmte religiöse Gruppen zielen und ausschließlich für diese Einschränkungen vorsehen (vgl. Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 23). Dieser Aspekt findet seinen Niederschlag auch in den Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie selbst, wenn diese zur Definition der verfolgungsrelevanten Verfolgungshandlung in Art. 9 Abs. 2 lit. b, c, d und f maßgeblich auf das Kriterium der Diskriminierung abstellt. Vor diesem Hintergrund werden einschränkende Maßnahme, die nicht den genannten Schrankenvorbehalten genügen, insbesondere nicht dem Postulat des allgemeinen Gesetzes genügen, in der Regel indiziell auf eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung hindeuten.
72 
Ausgehend hiervon können diese universal anerkannten Grenzen der Religionsausübungsfreiheit auch zur Konkretisierung des Art. 10 lit. b QRL und seiner Grenzen sinngemäß herangezogen werden.
73 
2. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a oder b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
74 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere lit. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung – von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen – in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird und der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann.
75 
Auch wenn hiernach formal betrachtet gewissermaßen eine „bloße“ oder „einfache“ Beeinträchtigung eines Menschenrechts nicht schutzbegründend sein kann, so darf andererseits, wie dargelegt, nicht aus dem Auge verloren werden, dass Art. 10 Abs. 1 lit. a QRL Ausdruck einer Anerkennung bzw. eines Bekenntnisses zu dem grundlegenden Menschenrecht einer gerade auch öffentlichen Glaubensbetätigung ist. Deshalb wäre es nach Auffassung des Senats verfehlt, von einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung nur dann auszugehen, wenn die bisher im asylrechtlichen Kontext relevanten Kriterien eines asylerheblichen Eingriffs in das religiöse Existenzminimum erfüllt sind mit der Folge, dass sich durch die Qualifikationsrichtlinie im Ergebnis keine Änderung der Rechtslage ergeben hätte. Bei dieser Sichtweise würde sich die gemeinschaftsrechtliche Anerkennung dieses Menschenrechts für das Gebiet des Asyl- und Flüchtlingsrechts in der Rechtswirklichkeit nicht durchsetzen und bliebe wirkungs- und folgenlos. Der gemeinschaftsrechtliche Auslegungsgrundsatz des „éffet utile“ gebietet aber, Normen des Gemeinschaftsrechts und somit auch Richtlinien so auszulegen, dass ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet ist (vgl. Pechstein/Drechsler, in: Reisenhuber, Europäische Methodenlehre, Handbuch für Ausbildung und Praxis, 2006, S. 160, Rn. 69 f.).
76 
Daraus folgt, dass jedenfalls Beschneidungen bzw. Verbote öffentlicher Glaubensbetätigungen bzw. Praktiken, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion bzw. Weltanschauung, aber auch nach dem – nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnisses des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen können, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern. Die Beschränkung auf lediglich grundlegende Betätigungen bzw. Äußerungen hat – gewissermaßen als Kehrseite - ihren Grund darin, dass, wie ausgeführt, nicht jede Beeinträchtigung des Menschenrechts die Qualität einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung erlangt, sondern nur eine solche schwerwiegender Art (a.A. wohl Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 28 f.).
77 
3. Zur Beantwortung der Frage, welcher Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit nach der Qualifikationsrichtlinie anzuwenden ist, ist zunächst auf Art. 4 Abs. 3 QRL hinzuweisen, der – bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. lit. a) – eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorgibt. Einzelfallbezogenheit schließt allerdings nicht aus, dass der darlegungs- und beweiserleichternde Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung weiterhin Relevanz bzw. Berechtigung hat (vgl. BVerfG, B.v. 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 - BVerfGE 54, 341 <358 f.>; B.v. 21.01.1991 - 2 BvR 902/85 - BVerfGE 83, 216 <233>; Kammerb. v. 02.02.1996 - 2 BvR 1576/94 - NVwZ-Beil. 1996, 25; vgl. auch zum Sonderfall eines staatlichen Verfolgungsprogramms BVerwG, U. 05.07.1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 <203>). Denn selbstverständlich kann auch nach der Qualifikationsrichtlinie vom Schicksal von Personen, die in einer in wesentlichen Punkten vergleichbaren Situation bereits Verfolgung erlitten haben, bei unverändert gebliebener Sachlage auch prognoserechtlich auf das (künftige) Schicksal anderer Personen geschlossen werden.
78 
Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nach dem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 – 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung zwar ebenfalls.
79 
Nach den bisher richterrechtlich entwickelten Maßgaben durfte aber ein (landesweit) vorverfolgt ausgereister Flüchtling grundsätzlich nur dann in sein Heimatland zurückgeschickt werden, wenn er dort hinreichend sicher vor erneuter politischer Verfolgung war (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab), wobei hinreichende Sicherheit in diesem Zusammenhang bedeutete, dass aufgrund der bereits einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Ausschlusses erneuter Verfolgung zu stellen waren. Es musste mehr als überwiegend wahrscheinlich sein, dass keine erneute Verfolgung droht, ohne dass allerdings ein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellter Ausschluss zu verlangen gewesen wäre. Demgegenüber konnte ein unverfolgt Ausgereister bei zu berücksichtigenden objektiven Nachfluchtgründen auf sein Heimatland verwiesen werden, wenn ihm dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte, was anzunehmen war, wenn er in absehbarer Zeit dort nicht mit Verfolgungsmaßnahmen ernsthaft zu rechnen hatte (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 – 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; vgl. zusammenfassend BVerwG, U.v. 18.02,1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97).
80 
Auch die Qualifikationsrichtlinie nimmt bei der anzustellenden Verfolgungsprognose eine Differenzierung vor, indem sie in Art. 4 Abs. 4, auf den § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ausdrücklich Bezug nimmt, ausführt, dass die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Im Übrigen aber verbleibt es bei der Prüfung, ob der Flüchtling zum Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in sein Heimatland erwartbar Verfolgungsmaßnahmen oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erleiden wird oder hiervon unmittelbar bedroht ist. Insoweit kann auch auf die Begriffsbestimmung des Art. 2 lit. c QRL zurückgegriffen werden, wonach "Flüchtling" im Sinne der Qualifikationsrichtlinie einen Drittstaatsangehörigen bezeichnet, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will. Der letztgenannte Maßstab entspricht dabei dem in der Rechtsprechung entwickelten Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" in Anlehnung an die britische Rechtsprechung des "real risk", wobei auch ein Verfolgungsrisiko von unter 50% als beachtlich wahrscheinliches Risiko angesehen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 05.11.1991 – 9 C 118.90 – NVwZ 1992, 582 m.w.N.).
81 
Der von der Rechtsprechung entwickelte Maßstab der "hinreichenden Sicherheit" bei vorverfolgt ausgereisten Flüchtlingen wird somit durch die in Art. 4 Abs. 4 QRL enthaltene Rückausnahme modifiziert. Bei der Auslegung des Art. 4 Abs. 4 QRL können zwar die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien der "hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung" mit herangezogen werden, da auch der Richtliniengeber davon ausgeht, dass der bereits einmal verfolgte Flüchtling einen erhöhten Schutzstandard genießt, stellt doch die Vorverfolgung einen ernsthaften Hinweis auf eine auch bei Rückkehr zu befürchtende Verfolgung dar, es sei denn es greift die Rückausnahme des Art. 4 Abs. 4 a.E. QRL. Allerdings werden die unterschiedlichen Maßstäbe bzw. Ansätze in der praktischen Anwendung sicherlich häufig keine unterschiedlichen Ergebnisse zur Folge haben (weitergehend BayVGH, U. v. 31.08.2007 - 11 B 02.31774 – juris, der auch in Anwendung der Qualifikationsrichtlinie von den bisher entwickelten Prognosemaßstäben ausgeht).
III.
82 
Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <160>) - gilt auch im vorliegenden Kontext, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können, weshalb insoweit auch keine Frage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen ist (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
IV.
83 
Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
84 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
85 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
86 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
87 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
88 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
89 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
90 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
91 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
92 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
93 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
94 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
95 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
96 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ameerui Mumineen', ‚Khalifar-ul-Mimineem’, 'Shaabi' oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
d) sein Gotteshaus als 'Masjid' bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
97 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als 'Azan' bezeichnet oder den 'Azan' so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
98 
Sec. 298 C lautet:
99 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
100 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
101 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
102 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierenden, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 – 140/1996/759/958-960 – Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
103 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
104 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
105 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
106 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten d).
107 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
108 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
109 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
110 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
111 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
112 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
113 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL darstellen. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
114 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.
V.
116 
Dafür, dass generell jeder pakistanischer Staatsangehöriger allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft hingegen Verfolgung zu gewärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen unter II 2 und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden, selbst wenn man die vorgenannten rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie und deren Anwendung auf die Lage der Ahmadis in Pakistan (vgl. II. und IV.) zu ihren Gunsten unterstellt, nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn dieser Personenkreis sich in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Insoweit stellt sich die Sachlage nicht anders dar, als sie bislang der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs und der anderer Oberverwaltungsgerichte zu dem Aspekt der asylerheblichen Gruppenverfolgung entsprach (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 24.11.2000 – A 6 S 672/99 – juris; HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, B.v. 29.06.1005 – 2 L 208/01 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 21.07.2004 – 19 A 2599/04.A – juris m.w.N.; OVG Saarland, B.v. 15.03.2002 – 9 Q 59/01 m.w.N. – juris; BayVGH, U.v. 24.07.1995 – 21 B 91.30329 – juris; NiedersOVG, U.v. 29.02.1996 – 12 L 6696/95 – juris; ThürOVG, U.v. 30.09.1998 – 3 KO 864/98 – juris; HambOVG, B.v. 02.03.1999 – OVG Bf 13/95 – juris). Hieran ist auch nach dem aktuellen Erkenntnisstand festzuhalten. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, v.a. was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies bislang der Fall war. Nachdem nach wie vor die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa vier Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. AA Lagebericht vom 30.05.2007, S. 16), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
VI.
117 
Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass er seinem Glauben überhaupt eng verbunden ist, diesen auch in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt hat und auch gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation betroffen wäre.
118 
Dies ergibt sich aus folgendem: Wäre der Kläger seinem Glauben wirklich innerlich verbunden, so ist es für den Senat nicht verständlich, dass er in den acht Jahren, die er sich nunmehr in M. aufhält, allenfalls fünf oder sechs Mal in Weingarten war, um sich dort mit anderen Angehörigen der dortigen Ahmadiyya-Gemeinde zu treffen, zumal vor dem Hintergrund, dass er an seinem Wohnort der einzige Ahmadi ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Ausländerbehörde insoweit offenbar keinerlei Schwierigkeiten gemacht hatte. Abgesehen davon hat der Senat auch nicht ausgeräumte Zweifel, ob die behaupteten Besuche in Weingarten überhaupt, jedenfalls in dieser Zahl stattgefunden haben. Befragt nach der Dauer des letzten Aufenthalts in Weingarten vor immerhin nur 2 oder 3 Monaten, konnte der Kläger unverständlicherweise zunächst überhaupt keine näheren Angaben machen und lachte nur völlig unvermittelt. Vielmehr musste der Senat mehrfach nachfragen und erhielt schließlich eine völlig vage Zeitangabe. Der Senat nimmt dem Kläger nicht ab, dass er sich nach so kurzer Zeit nicht genauer an die Dauer seines Aufenthalts in Weingarten erinnern kann. Seine Angaben dazu, wie er seine Gebetspflichten erfüllt, lassen gleichfalls nicht auf eine enge Bindung an den Glauben schließen. Wenn bereits ein Besuch, auch wenn er bedeutend sein sollte, dazu führt, dass er seinen diesbezüglichen Pflichten nicht nachkommt, so lässt dies auf eine gewisse Beliebigkeit schließen, zumal sich der Kläger ohnehin nicht sehr strikt an diese Pflichten gebunden fühlt, wenn er es als typisch darstellt, nur 2 oder 3 Mal am Tag zu beten. Schließlich waren seine Angaben zu den maßgeblichen Glaubensinhalten und deren Bedeutung für sein Leben in hohem Maße undifferenziert, wenn nicht gar oberflächlich, wenn er etwa auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zum Glauben der Mehrheit der Muslime zunächst nur ausführen konnte, dass das, was sie glaubten, die anderen nicht glaubten, und das, was sie nicht glaubten, die anderen glaubten, und es erst mehrerer weiterer Fragen bedurfte, um den Kläger zu der völlig vagen Aussage zu veranlassen, dass sie an den Quadiani glaubten und dass der Messias schon gekommen sei. Aus alledem vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger in einer wirklich engen und verpflichtenden Beziehung zum Glauben der Ahmadis steht und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten.
VII.
119 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
120 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der 1979 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an; er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab.
Zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit hat er Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 02.10.2000, 28.10.2010 sowie vom 06.12.2011 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 23.07.2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 04.08.2000 brachte er im Wesentlichen vor, er gehöre von Geburt an der Religionsgemeinschaft der Ahmadis an und habe deshalb Verfolgungsmaßnahmen erlitten. So sei er beim Besuch der Moschee geschlagen worden. Gleiches sei ihm beim Tragen von religiösen Abzeichen widerfahren. Eines Nachts im Mai des Jahres 2000 sei er beim Bewachen von Getreide durch Diebe zusammengeschlagen worden. Am nächsten Tag habe sein Vater zusammen mit Freunden die Diebe zur Rede gestellt, worüber diese sehr erbost gewesen seien und gedroht hätten, ihn zu töten. Die Familie habe deshalb beschlossen, dass er sein Heimatland verlassen solle.
Mit Bescheid vom 15.09.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die mit Urteil vom 22.05.2001 (A 8 K 12809/00) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem glaubhaften individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan nicht angenommen werden. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 09.10.2001 (A 6 S 688/01) rechtskräftig.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf erfolglose Folgeanträge.
Am 08.12.2008 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kläger werde von diesen Einschränkungen vor allem der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, da er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. So bete der Kläger regelmäßig und besuche die Moschee; er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Auch bekleide er Ämter innerhalb der religiösen Gemeinde. Im Übrigen habe sich die Verfolgungssituation der Ahmadis in Pakistan erheblich verschärft. Er habe erstmalig Anfang November 2008 von zwei Glaubensgenossen erfahren, dass diese aufgrund von Europarecht durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe als Flüchtlinge anerkannt worden seien; er habe sich deshalb am 01.12.2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Ziffer 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15.09.2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Ziffer 2) ab.
Am 31.03.2010 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug. Ergänzend trug er zur aktuellen Lage der Ahmadis in Pakistan vor. Im Übrigen führte er aus, er selbst sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und seinem Glauben eng verbunden. Er bete regelmäßig, besuche die Moschee und nehme an den Gemeindeveranstaltungen teil. Insbesondere habe er auch eine Aufgabe innerhalb der Gemeinde, er sei als sog. „Ziafat“ tätig und als solcher für die Organisation der Essenszubereitung bei Gemeindeveranstaltungen zuständig.
10 
Mit Urteil vom 09.07.2010 - A 4 K 1179/10 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hob die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 30.03.2010 auf, soweit sie dem entgegenstehen. Zur Begründung wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 20.11.2007   - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07) hin. Der Kläger sei von den Restriktionen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den genannten Urteilen für die öffentliche Glaubensausübung von Ahmadis in Pakistan zu verzeichnen seien, selbst betroffen. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sei. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eng mit seinem Glauben verbunden sei, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt habe und dies auch gegenwärtig in einer Weise tue, dass er im Fall einer Rückkehr von der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschriebenen Situation selbst betroffen werde. So habe der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass und wie er seinen Glauben hier in Deutschland lebe; er sei aktives Mitglied seiner jetzigen religiösen Gemeinde. Über die geschilderte gemeindeinterne Betätigung hinaus habe der Kläger dargelegt, auch an öffentlichkeitswirksamen überörtlichen Veranstaltungen der Ahmadis teilgenommen zu haben. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es ihm ein inneres Bedürfnis, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen und für diesen aktiv zu werben.
11 
Am 02.08.2010 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung.
12 
Mit Beschluss vom 10.01.2011 wurde die Berufung ohne Beschränkung zugelassen.
13 
Am 01.02.2011 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und führte dabei im Wesentlichen aus: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehe auch in der Sache kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht folge in fehlerhafter Weise der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.05.2008 vertretenen Auffassung, dass sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie wesentlich erweitert habe. An dieser vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. In rechtsfehlerhafter Weise habe das Verwaltungsgericht auch die Ziffer 2 des Bescheids vom 30.03.2010 aufgehoben, mit der das Bundesamt die Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheids vom 15.09.2000 bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG abgelehnt habe. Die knappe und nicht näher nachvollziehbare Begründung des Urteils deute darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Regelungsgehalt des § 31 Abs. 3 AsylVfG verkenne. Die Voraussetzungen für derartige Abschiebungsverbote lägen im Übrigen nicht vor.
14 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2011 informatorisch angehört; insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
15 
Durch Urteil vom 13.12.2011 (A 10 S 69/11) wurde die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wurde: „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.03.2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.“ Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen vor. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 am 28.08.2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; Urteil des Senats vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris). Auch sei die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der Antragstellung am 05.12.2008 gewahrt worden.
16 
Das Gericht gehe im Anschluss an seine Urteile vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) sowie vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert habe.
17 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, gehe die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt worden sei, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede stehe (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehöre somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung seien nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst würden schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setze darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt werde, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmache (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL). Erst an dieser Stelle erweise sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden könne, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitze.
18 
Auf der Grundlage der Feststellungen in den Urteilen vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) und vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) und deren Fortschreibung bis zur mündlichen Verhandlung drohe einem bekennenden Ahmadi, der zu seinem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehe und seinen Glauben in Pakistan öffentlich betätigen wolle, eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL.
19 
Das Gericht habe, insbesondere auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Nach dem in der informatorischen Befragung gewonnen Gesamteindruck halte das Gericht die Angaben des Klägers zu seiner Glaubensausübung in Pakistan für uneingeschränkt glaubhaft. Im übrigen habe der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung überzeugend ausgeführt, ein religiös geprägtes Leben in Pakistan geführt zu haben, auch wenn er keine herausgehobene Funktion oder ein Amt in seiner Gemeinde bekleidet habe. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, so oft als möglich, mindestens jedoch dreimal am Tag, das Gebet in der Moschee der Ahmadis verrichtet zu haben. Dies spreche im vorliegenden Fall bereits deshalb für einen engen Glaubensbezug, weil das Aufsuchen der Moschee aufgrund der Berufstätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft und der Entfernung der Felder zu der Moschee mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger glaubhaft geschildert, bei Bedarf in seiner religiösen Gemeinde untergeordnete Tätigkeiten, etwa Reinigungsdienste, ausgeübt zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um eine religiöse Betätigung gehandelt haben dürfte, die über die übliche Glaubensausübung in Pakistan hinausgehe, spreche sie doch für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angehe, seien diese nach dem gewonnenen Eindruck glaubhaft. Das Gericht glaube dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2000 jeweils in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätige, regelmäßig zum Gebet in die Moschee gehe und verschiedene untergeordnete Tätigkeiten ausübe. So habe der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft geschildert, wie er sich unmittelbar nach seiner Einreise zu der Ahmadi-Gemeinde nach XXX begeben und sich dort in vielfältiger Weise sozial und kulturell engagiert habe. Insbesondere habe der Kläger in der Gemeinde XXX nicht nur die in der Heimat bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich bereits in XXX monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Gerade diese missionarischen Aktivitäten stellten ein wesentliches, wenn auch nicht zwingend erforderliches Indiz für die Annahme einer verpflichtenden Verbundenheit mit dem Glauben der Ahmadis dar. Nach seinem Umzug nach XXX habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Der Senat glaube dem Kläger, im Jahre 2010 einen Landsmann zum ahmadischen Glauben bekehrt zu haben. In diesem Zusammenhang habe der Kläger weiterhin glaubhaft ausgeführt, ihm wohlgesonnene Landsleute regelmäßig zum Besuch seiner eigenen Moschee in missionarischer Absicht eingeladen zu haben. Dies zeige, dass es dem Kläger in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Ahmadis ein inneres Anliegen sei, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Darüber hinaus nehme der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teil. Auch habe er nachvollziehbar geschildert, in seiner Familie ein streng glaubensgebundenes Leben zu führen und sich insbesondere für die religiöse Erziehung seiner kleinen Tochter einzusetzen. Diesem Eindruck stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfüge. Nach der Überzeugung des Gerichts handele es sich bei dem Kläger um einen „einfachen“ Ahmadi, der seinem Glauben jedoch verpflichtend verbunden sei und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben wolle. Damit gehöre der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stünden und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen seien.
20 
Da dem Kläger nach dem oben Gesagten die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen sei, bedürfe es keiner Entscheidung über die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ziffer 2 des versagenden Bescheides des Bundesamtes vom 30.03.2010 aufgehoben; insoweit sei der Tenor wie erfolgt neu zu fassen.
21 
Das Urteil wurde der Beklagten am 17.01.2012 zugestellt.
22 
Am 16.02.2012 legte die Beklagte die zugelassene Revision ein und begründete diese am 16.03.2012.
23 
Mit Beschluss vom 12.05.2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2010 aus. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen durch Urteil vom 05.09.2012 (C-71/11 u.a.) beantwortet hatte, wurde das Verfahren fortgesetzt.
24 
Durch Urteil vom 20.02.2013 (10 C 23.12) hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 13.12.2011 auf und wies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof habe das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren für bekennende Ahmadis bestünden, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten, nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden sei der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne. Das Urteil lasse jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejahe, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten. Hänge die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, sei für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das sei in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht habe weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe träfen. Nur wenn eine wertende Betrachtung ergebe, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko bestehe, könne daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehöre, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei.
25 
Der Kläger und die Beklagte haben sich durch Schriftsätze jeweils vom 08.05.2013 sowie vom 29.05.2013 zum Revisionsurteil sowie zu der vom Senat aufgeworfenen Frage nach weiteren Ermittlungsansätzen für die Erstellung der Verfolgungsprognose geäußert. Hierauf wird im Einzelnen verwiesen.
26 
Auf Anregung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ Frankfurt unter dem 06.06.2013 eine Stellungnahme vorgelegt u.a. zu Einzelheiten des Berichts- und Dokumentationssystem zu Übergriffen gegen Ahmadis in Pakistan, das der von der Londoner Organisation betriebenen Website „thepersecution.org“ zugrunde liegt.
27 
Die Beklagte beantragt,
28 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - zu ändern, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgesprochen sowie die Ziffer 1 des Bescheids vom 30. März 2010 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut informatorisch angehört; wegen der dabei gemachten Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
32 
Auf die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste wird verwiesen.
33 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts (7 Bd), die Ausländerakten (3 Bd), die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie die Akten des 10. Senats hinsichtlich des streitgegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
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Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
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Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Gründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
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Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 - A 6 K 43/07 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der am …1974 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Er hat zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 30.07.2001 und 20.01.2010 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 03.06.2001 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12.06.2001 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) am 30.08.2001 brachte er im Wesentlichen vor, er sei von Geburt an Ahmadi und habe bestimmte Funktionen in seiner örtlichen Glaubensgemeinschaft ausgeübt. Zuletzt habe er seit dem Jahre 1998 das Amt eines Saik innegehabt. Weiter berief er sich auf mehrere Übergriffe aus den Jahren 1998 und 1999 sowie auf Strafanzeigen gegen Verwandte und deren Inhaftierung. Zentraler Gegenstand des Vorbringens war ein Vorfall am 08.06.2000, bei dem ein Onkel des Klägers durch einen Schuss getötet und auch der Bruder des Klägers durch einen Schuss verletzt worden sein soll, sowie die sich daran anschließenden Ermittlungsverfahren gegen den Kläger und weitere ortsansässige Ahmadis. Am 28.10.2000 sei der Name des Klägers in einer weiteren Strafanzeige gemäß § 302 des Pakistanischen Strafgesetzbuches erwähnt worden. Aufgrund dieser Anzeige seien sein Bruder und sein Neffe festgenommen worden. Zum Beleg seines Verfolgungsvorbringens legte der Kläger bei seiner Bundesamtsanhörung zahlreiche Unterlagen, insbesondere Strafanzeigen und Zeitungsberichte über die Tötung seines Onkels sowie ein ärztliches Attest über von seinem Bruder erlittene Verletzungen, in Kopie vor.
Mit Bescheid vom 26.11.2003 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen, die mit Urteil vom 28.10.2005 (Az.: A 6 K 12413/03) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem beachtlichen individuellen Vorverfolgungsschicksal des Klägers. Die von ihm im Behördenverfahren vorgelegten FIRs (First Information Reports) seien nach der durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes mit großer Wahrscheinlichkeit gefälscht. Jedenfalls bestehe im Falle einer Rückkehr des Klägers keine individuelle Verfolgungsgefahr, weil die Gerichtsverfahren betreffend den Vorfall am 08.06.2000 ausweislich der Beweisaufnahme eingestellt worden seien. Eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan sei nicht gegeben, auch nicht unter Berücksichtigung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie, durch die sich an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff des religiösen Existenzminimums und des sog. „forum internum“ nichts ändere. Dahingestellt könne deshalb bleiben, ob der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz bereits die Qualifikationsrichtlinie mit der Folge umgesetzt habe, dass diese nunmehr im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG trotz der noch nicht abgelaufenen Umsetzungsfrist Anwendung finde. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Senats vom 31.05.2006 (Az.: A 10 S 25/06) rechtskräftig.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 05.01.2007 - bei der Außenstelle Reutlingen des Bundesamtes persönlich abgegeben am 10.01.2007 - stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrecht erhalten werden. Darüber hinaus legte der Kläger einen Antrag an den Lahore High Court - Criminal Appeal Nr. 3/3/2003 - als neues Beweismittel vor, den er von Verwandten in Kopie erhalten habe. Damit könne nunmehr belegt werden, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts in seinem klageabweisenden Urteil vom 28.10.2005 das im Asylerstverfahren thematisierte Gerichtsverfahren bei dem Lahore High Court fortgeführt werde und nicht bereits von dem Untergericht endgültig eingestellt worden sei. Es handle sich dabei um ein sog. Gegenverfahren der Ahmadis gegen die sunnitischen Moslems; aus diesem Grund müsse der Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan mit Verfolgung durch fanatische Moslems rechnen.
Mit Bescheid vom 22.01.2007 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und auf Abänderung des Bescheids vom 26.11.2003 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ab.
Am 24.01.2007 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung hat er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen und zur Frage von Rechtsänderungen durch die Richtlinie 2004/83/EG vorgetragen.
Mit Urteil vom 28.09.2007 - A 6 K 43/07 - hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Eine staatliche oder nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan könne derzeit nicht angenommen werden und drohe auch nicht in absehbarer Zukunft. Das Gericht folge dabei der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und der übereinstimmenden obergerichtlichen Rechtsprechung. Insoweit habe sich an der Sachlage bis zum heutigen Zeitpunkt nichts Relevantes geändert. Auch das Inkrafttreten von § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union rechtfertige keine abweichende Beurteilung der Sachlage aus Rechtsgründen. Die Neubestimmung des Flüchtlingsbegriffs in Anwendung der Genfer Konvention führe nicht zur Annahme einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan. Weder die Qualifikationsrichtlinie noch die Genfer Flüchtlingskonvention forderten inhaltlich eine wesentlich andere Betrachtungsweise, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob nach Inkrafttreten der neuen Rechtslage die bisherige Rechtsprechung zum sog. „forum internum“ und zur Gewährleistung des asylrechtlich erforderlichen religiösen Existenzminimums weiterhin fortbestehen könne und inwieweit dies Folgen für die Annahme einer Gruppenverfolgung von Ahmadis habe.
Jedenfalls erreichten die im Hinblick auf Ahmadis in Pakistan dokumentierten Verfolgungsfälle, selbst wenn man den Kreis der einzubeziehenden Referenzfälle erweitere, auch zum derzeitigen Zeitpunkt nicht die zur Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte. Nach Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie könnten nur schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte die Flüchtlingseigenschaft begründen. Deshalb seien nicht sämtliche Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit bei der Auswahl der zu berücksichtigenden Referenzfälle einzubeziehen. Unter Beachtung der Rechtsanwendungspraxis in Pakistan sei weiter darauf abzustellen, welche Referenzfälle zu Gefahren für Leib, Leben oder die physische Freiheit führten. Hinsichtlich der Frage der öffentlichen Religionsausübung sei darauf hinzuweisen, dass den Ahmadis eine öffentliche Religionsausübung nicht völlig unmöglich sei. Das Auswärtige Amt weise in seinem Lagebericht vom 18.05.2007 beispielhaft darauf hin, dass es Gotteshäuser gebe, in denen Ahmadis trotz der bestehenden Strafvorschriften öffentlich ihren Glauben ausüben könnten. Ahmadis sei es auch nicht untersagt, sich öffentlich zum Quadianismus oder Ahmadiismus als ihrer Religion zu bekennen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24.10.2007 zugestellt.
10 
Am 24.11.2007 hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt.
11 
Mit Beschluss vom 07.03.2008 - dem Kläger am 14.03.2008 zugestellt - hat der Senat die Berufung zugelassen, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt. Im Übrigen blieb der Antrag bezogen auf die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ohne Erfolg.
12 
Am 14.04.2008 hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag begründet.
13 
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Als Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QRL gälten nunmehr Handlungen, die sich nach ihrer Art oder Wiederholung als eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten. Als Verfolgung seien aber nach Buchst. b auch Maßnahmen anzusehen, die so gravierend seien, dass eine Person auf eine ähnliche Weise wie nach Buchst. a betroffen sei. Die Religionsfreiheit stelle ein Menschenrecht im Sinne dieser Vorschrift dar, was sich insbesondere aus Art. 18 Abs. 1 und 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie aus Art. 9 Abs. 1 EMRK ergebe. Vor diesem Hintergrund sei ein Rückgriff auf die Rechtsprechung zum Begriff der politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16 a GG nicht zulässig. Vielmehr dürften Einschränkungen der Religionsfreiheit nur unter Beachtung von Art. 18 Abs. 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie Art. 9 Abs. 2 EMRK vorgenommen werden. Die hiernach erforderlichen Gesetze müssten allgemeiner Natur sein, d. h. für alle Staatsbürger, egal welcher religiösen Ausrichtung sie angehörten, gelten. Bezogen auf die Ahmadis in Pakistan bedeute dies, dass sämtliche gegen diese Bevölkerungsgruppe gerichteten Strafgesetze offensichtlich nicht den vorgenannten Anforderungen genügten. Bereits diese Regelungen seien für sich genommen daher geeignet, als schwerwiegende Verletzung eines Menschenrechts zu gelten.
14 
Mit einzubeziehen seien auch die staatlichen Regelungen, wonach Ahmadis, um einen Nationalpass ausgestellt zu bekommen, ihre Glaubensgrundsätze dadurch verleugnen müssten, dass sie sich schriftlich auf einem Sonderformular als Nicht-Moslems bezeichnen müssten. Weiter seien die diskriminierenden Regelungen des Wahlrechts zu berücksichtigen, die es Ahmadis seit längerem unmöglich machten, sich auf normalen Wahllisten als Kandidat aufstellen zu lassen oder die normalen Kandidaten zu wählen, was zur Folge habe, dass Ahmadis an den Parlamentswahlen nicht mehr teilnähmen und daher im Parlament auch nicht mehr vertreten seien. Zu verweisen sei in diesem Zusammenhang auf den sog. Präsidentenerlass Nr. 15 vom 17.06.2002 zur Ergänzung des Erlasses über die allgemeinen Wahlen 2002. Nach dieser Regelung bleibe der Status von Ahmadis unverändert, nach Ziff. 7 c der Regelung müssten aber Personen, die sich als Wähler registrieren lassen wollten, für den Fall, dass Einspruch eingelegt werde, innerhalb von 15 Tagen bei der Aufsichtsbehörde erscheinen und ein Formular mit einer Erklärung über die Finalität des Propheten unterzeichnen. Falls der Betreffende sich weigere, werde er als Nicht-Muslim betrachtet und sein Name werde aus dem allgemeinen Wahlverzeichnis gestrichen und der Zusatzliste für Nicht-Muslime zugeteilt. Damit werde sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht deutlich eingeschränkt. Ferner müssten auch die Regelungen bei der Registrierung von Geburten in Betracht gezogen werden, da bei den öffentlichen Registrierungsstellen die Religion des Kindes bzw. der Eltern angegeben werden müsse. Ahmadis müssten dort „Ahmadi“ angeben und dürften nicht entsprechend ihrem Selbstverständnis „Moslem“ eintragen lassen. Dies führe in Pakistan faktisch zu einer stigmatisierenden Ausgrenzung.
15 
Im Übrigen seien die faktischen Beeinträchtigungen im Schul-, Hochschul- und Ausbildungsbereich sowie die Benachteiligungen bei der Einstellung bzw. Beförderung im öffentlichen Dienst zu berücksichtigen. Benachteiligungen bestünden auch in Bezug auf das Bildungswesen, weil die Studenten auf den Antragsformularen ihre Religionszugehörigkeit angeben müssten. Bezeichneten die Ahmadis sich auf diesem Formular entsprechend ihrem Selbstverständnis als „Moslem“, riskierten sie eine Freiheitsstrafe. Bezeichneten sie sich hingegen als „Ahmadi“, müssten sie mit einer Verweigerung des Zugangs rechnen. Im Fall einer Zulassung dürften sie in der Regel nicht am Pflichtfach „Islamiyat“ teilnehmen, was zur Benachteiligung beim Schulabschluss führe. Hinzuweisen sei auf die weit verbreiteten Entweihungen der ahmadischen Grab- und Gebetsstätten, den Ausschluss von der Beerdigung auf den meisten Friedhöfen, die Beschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit sowie die Beschränkungen im Bereich der Publizistik. Betrachte man dieses Bündel von diskriminierenden und ausgrenzenden Maßnahmen unterschiedlichen Charakters einerseits sowie andererseits die Tatsache, dass bei einer Gesamtzahl von ca. zwei bis vier Millionen Ahmadis in Pakistan nur noch ca. 500.000 sog. bekennende Ahmadis lebten, so liege es nahe, dass die weit überwiegende Anzahl der Ahmadis sich nur deshalb nicht traue, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Glauben zu bekennen, um dem auf ihnen lastenden Ausgrenzungsdruck zu entgehen, wobei auch die Existenz und der Vollzug der religiösen Strafgesetze berücksichtigt werden müsse. Auch die Anzahl der tätlichen Übergriffe von privaten Dritten in Bezug auf religiöses Verhalten der Ahmadis müsse in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden.
16 
Mit Schriftsätzen vom 09.03.2009 und 27.07.2010 ließ der Kläger ergänzend vortragen, dass sich nach der neueren Erkenntnislage die Situation der Ahmadis in Pakistan hinsichtlich ihrer Religionsausübungsmöglichkeiten erneut wesentlich verschlechtert habe. Ausweislich eines Berichts der Human Rights Commission of Pakistan vom 09.07.2008 sei gegen die ganze ahmadische Bevölkerung von Rabwah ein religiös motiviertes Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, nachdem die ahmadische Bevölkerung das 100-jährige Kalifat ihrer Gemeinde gefeiert habe. Ausgehend von der Einwohnerzahl von Rabwah und dem Anteil der Ahmadis hieran könne geschlossen werden, dass sich dieses Ermittlungsverfahren auf mindestens 50.000 Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde beziehe; die vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 22.10.2008 genannte Zahl von lediglich „über tausend“ Strafverfahren gegen Ahmadis nach § 289c des Pakistanischen Strafgesetzbuches sei deshalb deutlich zu niedrig geschätzt. Auch hätten in einer Fernsehsendung vom 07.09.2008 pakistanische Mullahs unwidersprochen die Auffassung vertreten, dass Ahmadis aus religiösen Gründen zu töten seien; in der Folgezeit seien daraufhin zwei bekannte ahmadische Persönlichkeiten ermordet worden. Seit dieser Sendung habe sich das Klima zwischen Ahmadis und Nichtahmadis in Pakistan weiter verschlechtert, so dass Ahmadis landesweit von Tötung bedroht seien. Am 28.01.2009 seien fünf Ahmadis, davon vier Jugendliche im Alter zwischen 14 und 16 Jahren, nach § 295c des Pakistanischen Strafgesetzbuches wegen Blasphemie angezeigt worden, der Vorwurf habe auf Beleidigung des Propheten mittels verunglimpfender Graffiti in einer Toilette gelautet.
17 
Der Kläger beantragt,
18 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 - A 6 K 43/07 - zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom 22. Januar 2007 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.
19 
Die Beklagte beantragt,
20 
die Berufung zurückzuweisen.
21 
Zur Begründung verweist sie auf den angefochtenen Bescheid und führt im Übrigen aus, § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL führe zu keiner grundsätzlich abweichenden Bewertung. Entgegen der vom Senat in seinem Urteil vom 20.05.2008 (Az.: A 10 S 72/08) vertretenen Auffassung habe sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie nicht wesentlich erweitert; an der Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (Az.:10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. Denn das Bundesverwaltungsgericht habe in diesem Urteil klargestellt, dass auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG nicht jede Einschränkung der Religionsfreiheit zu einer Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts führe. Ob ein Ausländer als Flüchtling anzuerkennen sei, müsse vielmehr nach höchstrichterlicher Sicht maßgeblich nach Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie beurteilt werden, denn dieser Bestimmung sei zu entnehmen, welches Rechtsgut in welchem Ausmaß geschützt sei. Entscheidend sei auf die Gefährdungslage abzustellen, die aus einer aktiven Wahrnehmung des Menschenrechts auf Religionsfreiheit durch einen Ahmadi resultiere, die also aufgrund einer öffentlichkeitswirksamen Betätigung eintrete. Einschränkungen der religiösen Betätigung als solche stellten nur dann hinreichend schwere Eingriffe dar, wenn die Religionsausübung grundsätzlich unterbunden werde oder sie zu einer Beeinträchtigung eines unabdingbaren Teils des religiösen Selbstverständnisses des Gläubigen führen würde und daher ein Verzicht nicht zugemutet werden könne. Nur dieser Kernbereich der Religionsausübung sei nach ständiger Rechtsprechung unveräußerlich und nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht einschränkbar. Unabhängig hiervon habe die Qualifikationsrichtlinie keine Veränderung insoweit erbracht, als Schutzbedarf notwendigerweise eine individuelle Betroffenheit voraussetze. Selbst wenn zugunsten des Klägers von einer Rechtsänderung durch die Qualifikationsrichtlinie ausgegangen werde, bedürfe es tragfähiger Feststellungen dazu, wie er seinen Glauben bisher gelebt habe und eine Prognose, ob er dies auch bei Rückkehr entsprechend fortsetzen wolle. Im Übrigen spreche jedoch die Entstehungsgeschichte und die bisherige Rechtslage nicht für die Auffassung des Klägers, dass mit Umsetzung der Vorgaben aus der Richtlinie 2004/83/EG eine erhebliche Rechtsänderung eingetreten sei.
22 
Der Senat hat den Kläger und seine Lebensgefährtin, Frau A. S., in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört; wegen der dabei getätigten Angaben wird auf die gefertigte Anlage zur Niederschrift verwiesen.
23 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen hinsichtlich des Erst- und des gegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts stellt sich im Ergebnis als richtig dar. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.01.2007 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Buchst. c der zur Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) im Wege des Asylfolgeverfahrens.
25 
Entsprechend der Berufungszulassung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch die von dem Kläger begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG, nicht auch die im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
26 
Da der erste Asylantrag des Klägers bereits im Jahre 2006 bestandskräftig abgelehnt wurde, handelt es sich bei dem gegenständlichen Asylantrag um einen Folgeantrag. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor (1.). Auch hat sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG sowohl der flüchtlingsrechtliche Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit als auch der anwendbare Prognosemaßstab für eine festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit im Vergleich zu den im Asylerstverfahren einschlägigen Vorgaben verändert (2.). Jedoch kann sich der Kläger auch bei Anwendung dieses günstigeren Maßstabs für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung der Ahmadis berufen (3.). Eine - grundsätzlich denkbare - individuelle flüchtlingsrelevante Rückkehrgefährdung scheidet mangels hinreichender Glaubensgebundenheit des Klägers aus (4.).
27 
1. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auf einen nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags gestellten Folgeantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Hiernach setzt ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens insbesondere voraus, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist oder neue Beweismittel vorliegen und dass die Geeignetheit dieser Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird. Der Folgeantrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene Kenntnis von dem Wiederaufgreifensgrund hat (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG). Diese einschränkenden Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG finden auch dann Anwendung, wenn der Antragsteller in einem weiteren Verfahren eine ihm günstige Rechtsänderung unter Hinweis auf die nunmehr eingetretene unmittelbare Wirkung der Richtlinie 2004/83/EG geltend macht (vgl. hierzu Urteil des Senats vom heutigen Tage im Verfahren Az.: A 10 S 688/08).
28 
a) Entgegen der vom Bundesamt in seinem Bescheid vom 22.01.2007 vertretenen Auffassung ist mit Rücksicht auf die Qualifikationsrichtlinie und in Bezug auf die Beurteilung der maßgeblichen Lage der Ahmadis in Pakistan eine relevante Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris). Ob für den Betroffenen tatsächlich eine günstigere Entscheidung im Einzelfall in Betracht kommt, muss der Prüfung in dem durchzuführenden Asylfolgeverfahren vorbehalten bleiben; das Bundesamt hat zu Unrecht in dem versagenden Bescheid eine Vollprüfung am Maßstab der Richtlinie vorgenommen und mit diesen Überlegungen einen Wiederaufgreifensgrund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verneint. Nach der Konzeption des Asylverfahrensgesetzes ist jedoch eine abschließende Prüfung der Erheblichkeit der geltend gemachten Sachverhalts- oder Rechtsänderung auf einer zweiten Stufe erst dem weiteren Asylverfahren vorbehalten, sofern eine günstige Entscheidung aufgrund der geänderten Umstände jedenfalls möglich erscheint. Deshalb muss es auch ausreichen, wenn der Betroffene innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG sich auf die mögliche Rechtsänderung durch das Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie berufen hat; der Vortrag weiterer Tatsachen, die einen Rückschluss darauf zulassen, dass ein Ahmadi mit seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie aktuell aktiv ausgeübt hat, ist demgegenüber keine Zulässigkeitsvoraussetzung (a. A. VG des Saarlandes, Urteil vom 20.01.2010 - 5 K 621/08 - juris).
29 
b) Wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht erkannt hat, steht einem Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG unter dem Gesichtspunkt der Rechtsänderung auch nicht entgegen, dass es bereits in seinem das Erstverfahren abschließenden Urteil vom 28.10.2005 (Az.: A 6 K 12413/03) die materiellen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie zumindest hilfsweise seiner inhaltlichen Prüfung zugrunde gelegt hat. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Urteil offen gelassen, ob der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz bereits einen Teil der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt hat und bereits zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kraft nationalen Rechts im Lichte von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang dann im Einzelnen näher dargelegt, dass selbst bei Anwendung der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie nicht von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan ausgegangen werden könne, da Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG eine mit dem nationalen Recht vergleichbare Struktur aufweise und den Schutzbereich der Religionsausübung nicht über die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze zum „forum internum“ hinaus erweitert habe.
30 
Diese vom Verwaltungsgericht der Sache nach vorgenommene Überprüfung des Asylbegehrens anhand der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie steht der Annahme einer Rechtsänderung nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, dass erst mit Ablauf des 10.10.2006 (Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie und Eintritt deren unmittelbarer Anwendbarkeit, vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) objektiv-rechtlich eine Rechtsänderung eingetreten ist. Für dieses Verständnis sprechen nicht zuletzt Gesichtspunkte des effektiven Rechtsschutzes. Da der Senat in seinem die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschluss vom 31.05.2006 (Az.: A 10 S 25/06) die vom Verwaltungsgericht erwogene Vorwirkung bzw. vorzeitige Umsetzung des Richtlinienentwurfs in nationales Recht abgelehnt hat, war dem Kläger eine obergerichtliche Überprüfung des vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Verständnisses der Qualifikationsrichtlinie verwehrt. Der Kläger konnte daher im Asylerstverfahren nicht mit Erfolg geltend machen, dass sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG gerade im Hinblick auf die Religionsausübungsfreiheit eine Erweiterung des Schutzbereichs ergeben hat.
31 
c) Der Kläger hat auch die maßgebliche Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten, ohne dass es darauf ankommt, wann der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter positive Kenntnis von der Rechtsänderung erlangt hat. Da der Kläger seinen Asylfolgeantrag persönlich bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes bereits am 10.01.2007 gestellt hat, wird auch die denkbar kürzeste Frist (drei Monate ab Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie) gewahrt.
32 
Nach alledem liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor. Was die unanfechtbare negative Entscheidung des Erstverfahrens und die dort gewürdigten individuellen Vorfluchtgründe betrifft, ist jedoch eine erneute Überprüfung und Bewertung im weiteren Asylverfahren nicht eröffnet. Denn die Qualifikationsrichtlinie misst sich keine Geltung auch für Sachverhalte bei, über die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist unanfechtbar entschieden wurde (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris ). Im Folgenden ist deshalb lediglich zu überprüfen, ob bei Anwendung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie bzw. deren Umsetzung durch § 60 Abs. 1 AufenthG eine flüchtlingsrechtlich relevante individuelle oder gruppenbezogene Rückkehrgefährdung des Klägers besteht.
33 
2. Der Senat geht im Anschluss an sein Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert hat.
34 
2.1.a) Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 Buchst. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere der Schutz der Religionsausübung gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL maßgeblich. Danach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Die Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definiert, was unter dem Verfolgungsgrund der Religion zu verstehen ist, d. h. an welche religiösen Einstellungen oder Betätigungen eine Verfolgungshandlung anknüpfen muss, um flüchtlingsrechtlich beachtlich zu sein. Die Vorschrift gewährleistet dabei bereits nach ihrem Wortlaut für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn sie sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jede religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird.
35 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, dürfte die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinausgehen, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16 a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede steht (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen (vgl. Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032.07 - a.a.O. sowie Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 - InfAuslR 2008, 101).
36 
b) Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
37 
Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit liegt in jedem Falle dann vor, wenn der Gläubige so schwerwiegend an der Ausübung seines Glaubens gehindert wird, dass das Recht auf Religionsfreiheit in seinem Kernbereich verletzt wird. Der Kern der Religionsfreiheit ist für die personale Würde und Entfaltung eines jeden Menschen unverzichtbar und gehört damit zum menschenrechtlichen Mindeststandard. Er ist nach ständiger Rechtsprechung unveräußerlich und nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht einschränkbar (vgl. zu den Einzelheiten etwa BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158 ff.>; sowie BVerwG, Urteile vom 20.01.2004 - 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 und vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - a.a.O.). Wird dieser Kernbereich verletzt, ist in jedem Fall eine schwerwiegende Rechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu bejahen und dementsprechend Flüchtlingsschutz zu gewähren.
38 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere Buchst. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht jedoch deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung - von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen - in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird, und dass der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann. Vielmehr können erhebliche Einschränkungen oder Verbote öffentlicher Glaubensbetätigung, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion oder dem - nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnisses des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern.
39 
2.2.a) Wie vom Senat bereits in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07- a.a.O.) näher dargestellt, hat sich unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie auch der Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert. Nach Art. 4 Abs. 3 QRL ist - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung - eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorzunehmen. Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nachdem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; st. Rspr.), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung ebenfalls. So ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgericht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenziert zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen, zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
40 
b) Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden i.S.d. Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdulla -). Der in dem Tatbestandsmerkmal „…tatsächlich Gefahr liefe…“ des Art. 2 Buchst. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330, RdNr. 125 ff. - Saadi -); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192).
41 
Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden; die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 - a.a.O). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände der Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - a.a.O.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
42 
2.3. Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143) gilt auch hier, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können. Allerdings ist an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben für eine Gruppenverfolgung auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG festzuhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 sowie Beschluss vom 02.02.2010 - 10 B 18.09 -, juris).
43 
a) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines staatlichen Verfolgungspogroms - (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200).
44 
b) Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Bezug gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.). An diesem Grundkonzept hat sich nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG nichts geändert. Es stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.).
45 
3. Der Kläger kann sich bei Anwendung dieser Grundsätze für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung der Gruppe der Ahmadis (oder der Untergruppe der ihren Glauben aktiv ausübenden Ahmadis) berufen.
46 
3.1 Die Lage in Pakistan - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs des Klägers von Bedeutung ist - stellt sich auch im September 2010 im Wesentlichen so wie bereits im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) geschildert dar. Der Senat hat in diesem Urteil folgendes ausgeführt:
47 
„Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
48 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
49 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
50 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
51 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
52 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
53 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
54 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
55 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
56 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
57 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
58 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
59 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
60 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ameerui Mumineen', 'Khalifar-ul-Mimineem', 'Shaabi' oder 'Razi-Allah-Anho' bezeichnet oder anredet;
61 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ummul-Mumineen' bezeichnet oder anredet;
62 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ahle-bait' bezeichnet oder anredet;
63 
d) sein Gotteshaus als 'Masjid' bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
64 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als 'Azan' bezeichnet oder den 'Azan' so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
65 
Sec. 298 C lautet:
66 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
67 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
68 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
69 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierenden, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960 – Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
70 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
71 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
72 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
73 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten d).
74 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
75 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
76 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
77 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
78 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
79 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
80 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL darstellen. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
81 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
82 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.“
83 
3.2. Auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beansprucht die vom Senat in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) dargestellte Einschätzung der Lage weiterhin uneingeschränkte Gültigkeit. Nach aktueller Erkenntnislage kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Risiko für einfache Ahmadi, mit einem Strafverfahren nach dem Blasphemieparagrafen sec. 295c des pakistanischen Strafgesetzbuches oder den sonstigen sogenannten „Ahmadi-Paragrafen“ überzogen zu werden, signifikant erhöht hätte. Die vom Senat in dem genannten Urteil zugrunde gelegten Zahlenverhältnisse (vgl. insbesondere Randziffer 102 bis 104 im UA bei juris) treffen nach wie vor zu; allenfalls ist eine leichte Besserung der Verhältnisse eingetreten. So führt das Auswärtige Amt im seinem Lagebericht vom 22.10.2008 (Stand: September 2008) aus, dass im Jahre 2007 gegen 23 Ahmadis Anklage in Blasphemiefällen erhoben worden sei; die erhoffte Verbesserung der Lage sei deshalb nicht eingetreten. Die Zahl der Neufälle insgesamt stagniere bei ca. 50 pro Jahr und steige nicht weiter an. In seinem aktuellen Lagebericht vom 17.03.2010 (Stand: März 2010) geht das Auswärtige Amt für den Beurteilungszeitraum 2008 davon aus, dass gegen 14 Ahmadis wegen Blasphemie Anklage erhoben worden sei, mithin ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr beobachtet werden könne.
84 
Insgesamt gesehen steht diese zahlenmäßige Entwicklung mit den sonstigen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln in Einklang, auch wenn darin teilweise von leicht abweichenden Zahlen ausgegangen wird. So geht etwa das U.S. Department of State in seinem International Religious Freedom Report 2009 (Stand: 26. Oktober 2009) davon aus, dass nach eigenen Angaben von Organisationen der Ahmadiyya in Rabwah gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen Verstößen gegen die Religionsgesetze Strafverfahren eingeleitet worden seien, darunter in 18 Fällen wegen Blasphemievorwürfen und in 68 Fällen wegen Verstoßes gegen die sog. „Ahmadi-Gesetze“. Zu ähnlichen Zahlen gelangte das Home Office in seinem Country of Origin Report Pakistan vom 18.01.2010. Dort wird unter Berufung auf Ahmadi-Quellen davon ausgegangen, dass von Juni 2008 bis April 2009 gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen religiöser Gründe Strafverfahren eingeleitet worden seien, wobei eine genaue Unterscheidung der Vorwürfe und der Verfahrensstadien nicht erfolgt (vgl. Ziffer 19.63 des Reports). Ferner wird darin auch auf den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführten Vorfall vom 8. Juni 2008 verwiesen, wonach ein FIR (First Information Report) gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah erstellt worden sei; dieser Vorfall wird vom U.S. Department of State in seinem Human Rights Report Pakistan 2009 (11. März 2010) bestätigt (S. 15). Entgegen der Meinung des Klägers kann aus letztgenanntem Vorfall jedoch nicht geschlossen werden, dass die vom Auswärtigen Amt wiedergegebenen Zahlen nicht mehr zutreffend sind. Wie sich insbesondere dem Human Rights Report Pakistan des U.S. Departement of State (S. 15) entnehmen lässt, hat das mit dem genannten FIR eingeleitete Verfahren bis zum dort genannten Zeitpunkt noch keinen Fortgang genommen. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass dieser pauschale Vorwurf gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah Anlass für weitergehende strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen gegen einzelne Ahmadis bietet. Für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung können deshalb nur die Fälle berücksichtigt werden, in denen es tatsächlich zu individuellen Ermittlungsverfahren oder gar Anklagen gekommen ist. Neueres oder umfassenderes Zahlenmaterial, das eine abweichende Gefährdungsprognose ermöglichen könnte, liegt dem Senat nicht vor.
85 
3.3. Dafür, dass generell jeder pakistanische Staatsangehörige allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Verfolgung zu gegenwärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden, selbst wenn man die vorgenannten rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie und deren Anwendung auf die Lage der Ahmadis in Pakistan zu ihren Gunsten unterstellt, nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn sich dieser Personenkreis in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, vor allem was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies in der Vergangenheit der Fall war (vgl. zu weiteren Nachweisen aus der auch älteren Rechtsprechung Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 -, a.a.O.). Nachdem nach wie vor die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa 4 Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. Lagebericht des Antragsteller vom 17.03.2010, S. 13), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
86 
Dies gilt selbst dann, wenn in der Betrachtung allein die Zahl der aktiv ihren Glauben ausübenden Ahmadis, also die oben genannten 500.000 bis 600.000 Mitglieder, zugrunde gelegt wird. Auch bei dieser Untergruppe ergibt sich nicht die hinreichende Verfolgungsdichte, die eine Gruppenverfolgung nach dem oben Gesagten voraussetzt. Diese Betrachtung wird, soweit ersichtlich, im Übrigen von der sonstigen oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geteilt (vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 13.11.2008 - A 1 B 550/07 -, juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.06.2005 - 2 L 208/01 -, juris).
87 
4. Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre.
88 
a) Der Senat vermochte dabei die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderte Ausübung seiner Religion in Pakistan und die von ihm in der Heimatgemeinde angeblich wahrgenommenen Funktionen weitgehend nicht zu glauben. Seine Angaben hierzu wichen nicht nur in teils erheblichem Maße von seinen Schilderungen im Asylerstverfahren ab, sie waren vor allem auch mit der vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2005 nicht in Einklang zu bringen. So gab der Kläger etwa in der mündlichen Verhandlung an, er habe in seiner Heimatgemeinde die Funktion eines „Saik“ inne gehabt, neben ihm habe nur noch eine weitere Person dieses Amt ausgeübt. Seine Aufgabe habe darin bestanden, sämtliche Mitglieder der Ahmadyyia-Gemeinde im Heimatdorf fünf Mal täglich von den Gebetszeiten zu unterrichten und dazu zu bewegen, in die Moschee zu kommen. Dabei ist es für den Senat bereits schwer nachzuvollziehen, wie der Kläger angesichts der Größe seines Heimatortes mit ca. 30.000 Einwohnern fünf Mal am Tag im Stadtgebiet verstreut wohnende 70 bis 80 Familien aufgesucht haben will. Entscheidend für die fehlende Glaubhaftigkeit ist jedoch, dass diese Angaben nicht mit der in sich stimmigen, auf den Erklärungen zahlreicher Vertrauenspersonen beruhenden Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2006 in Einklag stehen, an deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat. Zwar bestätigte das Auswärtige Amt die Angaben des Klägers, wonach er die Funktion eines Saiks in seinem Heimatdorf Chak Nr. 18 inne hatte; er sei jedoch lediglich einer von acht bis zehn Saiks gewesen. Auch ist die Funktion eines Saik nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eher mit der eines freiwilligen Gemeindehelfers zu vergleichen, der die Jugendlichen näher an die Religion heranbringen und sie auf ihre Pflichten aufmerksam machen soll. Dieser Widerspruch konnte auch durch entsprechende Vorhalte an den Kläger nicht aufgeklärt werden. Vielmehr relativierte der Kläger seine Angaben dann teilweise dahingehend, dass das Amt eines Saik durchaus erzieherische Elemente habe, nämlich durch die Motivation der Jugendlichen zur Teilnahme am Gebet. Ferner blieben die Einlassungen des Klägers in der mündlichen Berufungsverhandlung erheblich hinter den Schilderungen seiner in der Heimatgemeinde wahrgenommenen Ämter im Asylerstverfahren zurück, etwa was die angebliche stellvertretende Leitungsfunktion betrifft.
89 
b) Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angeht, so waren diese zumindest überwiegend glaubhaft. Der Senat glaubt dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2001 in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis in Balingen betätigt, regelmäßig zum Gebet in die dortige Moschee geht und verschiedene Funktionen ausübt. So schilderte der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft, wie er für die Gemeinde Fahrdienste leistet, an Informationsveranstaltungen mitwirkt und sich in sonstiger Weise vielfältig sozial und kulturell für seine Gemeinde engagiert. Auffällig war in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Kläger spontan von sich aus vor allem kulturelle und soziale Aktivitäten schilderte, die mit dem Kernbereich der Glaubensausübung nur wenig zu tun haben. Vor allem entfaltete der Kläger nach seinen eigenen Angaben keine nennenswerten missionarischen Aktivitäten, obwohl es eine zentrale Intention seiner Glaubensgemeinschaft ist, eigene Landsleute vom Glauben zu überzeugen. Erst auf Nachfrage gab der Kläger in diesem Zusammenhang an, er unterhalte sich mit anderen Moslems in seiner Unterkunft bzw. am Arbeitsplatz genauso wie mit Christen über Glaubensinhalte. Diese Gespräche waren nach seinen eigenen Angaben jedoch von dem Bemühen geprägt, sich für Verständigung und ein gutes Zusammenleben zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften einzusetzen bzw. bestehende Missverständnisse und Animositäten zwischen den Glaubensgemeinschaften auszuräumen. Aktive Missionierungsbemühungen, also Versuche, Andersgläubige von der Richtigkeit des eigenen Glaubens zu überzeugen, wurden von dem Kläger auch auf Nachfrage nicht geschildert. Dies wurde im Übrigen auch durch die informatorische Befragung der Lebensgefährtin des Klägers verdeutlicht, wonach er ihr gegenüber ebenfalls keinerlei Missionierungsbemühungen entfalte.
90 
Schließlich waren die Angaben des Klägers zu den maßgeblichen Glaubensinhalten und deren Bedeutung für sein Leben relativ undifferenziert, wenn er etwa auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zu dem Glauben der Mehrheit der Muslime lediglich ausführen konnte, dass die Ahmadis glaubten, der Messias sei schon gekommen und die anderen dies nicht glauben würden. Auch auf Nachfrage konnte er lediglich angeben, dass die Ahmadis an ihre Kalifen, die anderen jedoch nicht daran glaubten. Ebenso vage blieben die Angaben des Klägers, wie er seinen Glauben bei einer unterstellten Rückkehr nach Pakistan auszuüben gedenke.
91 
Nach alledem vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger in einer wirklich engen und verpflichtenden Beziehung zum Glauben der Ahmadis steht und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten.
92 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
93 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

 
24 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts stellt sich im Ergebnis als richtig dar. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.01.2007 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Buchst. c der zur Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) im Wege des Asylfolgeverfahrens.
25 
Entsprechend der Berufungszulassung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch die von dem Kläger begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG, nicht auch die im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
26 
Da der erste Asylantrag des Klägers bereits im Jahre 2006 bestandskräftig abgelehnt wurde, handelt es sich bei dem gegenständlichen Asylantrag um einen Folgeantrag. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor (1.). Auch hat sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG sowohl der flüchtlingsrechtliche Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit als auch der anwendbare Prognosemaßstab für eine festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit im Vergleich zu den im Asylerstverfahren einschlägigen Vorgaben verändert (2.). Jedoch kann sich der Kläger auch bei Anwendung dieses günstigeren Maßstabs für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung der Ahmadis berufen (3.). Eine - grundsätzlich denkbare - individuelle flüchtlingsrelevante Rückkehrgefährdung scheidet mangels hinreichender Glaubensgebundenheit des Klägers aus (4.).
27 
1. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auf einen nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags gestellten Folgeantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Hiernach setzt ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens insbesondere voraus, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist oder neue Beweismittel vorliegen und dass die Geeignetheit dieser Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird. Der Folgeantrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene Kenntnis von dem Wiederaufgreifensgrund hat (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG). Diese einschränkenden Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG finden auch dann Anwendung, wenn der Antragsteller in einem weiteren Verfahren eine ihm günstige Rechtsänderung unter Hinweis auf die nunmehr eingetretene unmittelbare Wirkung der Richtlinie 2004/83/EG geltend macht (vgl. hierzu Urteil des Senats vom heutigen Tage im Verfahren Az.: A 10 S 688/08).
28 
a) Entgegen der vom Bundesamt in seinem Bescheid vom 22.01.2007 vertretenen Auffassung ist mit Rücksicht auf die Qualifikationsrichtlinie und in Bezug auf die Beurteilung der maßgeblichen Lage der Ahmadis in Pakistan eine relevante Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris). Ob für den Betroffenen tatsächlich eine günstigere Entscheidung im Einzelfall in Betracht kommt, muss der Prüfung in dem durchzuführenden Asylfolgeverfahren vorbehalten bleiben; das Bundesamt hat zu Unrecht in dem versagenden Bescheid eine Vollprüfung am Maßstab der Richtlinie vorgenommen und mit diesen Überlegungen einen Wiederaufgreifensgrund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verneint. Nach der Konzeption des Asylverfahrensgesetzes ist jedoch eine abschließende Prüfung der Erheblichkeit der geltend gemachten Sachverhalts- oder Rechtsänderung auf einer zweiten Stufe erst dem weiteren Asylverfahren vorbehalten, sofern eine günstige Entscheidung aufgrund der geänderten Umstände jedenfalls möglich erscheint. Deshalb muss es auch ausreichen, wenn der Betroffene innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG sich auf die mögliche Rechtsänderung durch das Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie berufen hat; der Vortrag weiterer Tatsachen, die einen Rückschluss darauf zulassen, dass ein Ahmadi mit seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie aktuell aktiv ausgeübt hat, ist demgegenüber keine Zulässigkeitsvoraussetzung (a. A. VG des Saarlandes, Urteil vom 20.01.2010 - 5 K 621/08 - juris).
29 
b) Wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht erkannt hat, steht einem Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG unter dem Gesichtspunkt der Rechtsänderung auch nicht entgegen, dass es bereits in seinem das Erstverfahren abschließenden Urteil vom 28.10.2005 (Az.: A 6 K 12413/03) die materiellen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie zumindest hilfsweise seiner inhaltlichen Prüfung zugrunde gelegt hat. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Urteil offen gelassen, ob der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz bereits einen Teil der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt hat und bereits zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kraft nationalen Rechts im Lichte von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang dann im Einzelnen näher dargelegt, dass selbst bei Anwendung der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie nicht von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan ausgegangen werden könne, da Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG eine mit dem nationalen Recht vergleichbare Struktur aufweise und den Schutzbereich der Religionsausübung nicht über die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze zum „forum internum“ hinaus erweitert habe.
30 
Diese vom Verwaltungsgericht der Sache nach vorgenommene Überprüfung des Asylbegehrens anhand der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie steht der Annahme einer Rechtsänderung nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, dass erst mit Ablauf des 10.10.2006 (Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie und Eintritt deren unmittelbarer Anwendbarkeit, vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) objektiv-rechtlich eine Rechtsänderung eingetreten ist. Für dieses Verständnis sprechen nicht zuletzt Gesichtspunkte des effektiven Rechtsschutzes. Da der Senat in seinem die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschluss vom 31.05.2006 (Az.: A 10 S 25/06) die vom Verwaltungsgericht erwogene Vorwirkung bzw. vorzeitige Umsetzung des Richtlinienentwurfs in nationales Recht abgelehnt hat, war dem Kläger eine obergerichtliche Überprüfung des vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Verständnisses der Qualifikationsrichtlinie verwehrt. Der Kläger konnte daher im Asylerstverfahren nicht mit Erfolg geltend machen, dass sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG gerade im Hinblick auf die Religionsausübungsfreiheit eine Erweiterung des Schutzbereichs ergeben hat.
31 
c) Der Kläger hat auch die maßgebliche Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten, ohne dass es darauf ankommt, wann der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter positive Kenntnis von der Rechtsänderung erlangt hat. Da der Kläger seinen Asylfolgeantrag persönlich bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes bereits am 10.01.2007 gestellt hat, wird auch die denkbar kürzeste Frist (drei Monate ab Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie) gewahrt.
32 
Nach alledem liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor. Was die unanfechtbare negative Entscheidung des Erstverfahrens und die dort gewürdigten individuellen Vorfluchtgründe betrifft, ist jedoch eine erneute Überprüfung und Bewertung im weiteren Asylverfahren nicht eröffnet. Denn die Qualifikationsrichtlinie misst sich keine Geltung auch für Sachverhalte bei, über die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist unanfechtbar entschieden wurde (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris ). Im Folgenden ist deshalb lediglich zu überprüfen, ob bei Anwendung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie bzw. deren Umsetzung durch § 60 Abs. 1 AufenthG eine flüchtlingsrechtlich relevante individuelle oder gruppenbezogene Rückkehrgefährdung des Klägers besteht.
33 
2. Der Senat geht im Anschluss an sein Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert hat.
34 
2.1.a) Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 Buchst. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere der Schutz der Religionsausübung gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL maßgeblich. Danach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Die Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definiert, was unter dem Verfolgungsgrund der Religion zu verstehen ist, d. h. an welche religiösen Einstellungen oder Betätigungen eine Verfolgungshandlung anknüpfen muss, um flüchtlingsrechtlich beachtlich zu sein. Die Vorschrift gewährleistet dabei bereits nach ihrem Wortlaut für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn sie sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jede religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird.
35 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, dürfte die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinausgehen, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16 a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede steht (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen (vgl. Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032.07 - a.a.O. sowie Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 - InfAuslR 2008, 101).
36 
b) Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
37 
Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit liegt in jedem Falle dann vor, wenn der Gläubige so schwerwiegend an der Ausübung seines Glaubens gehindert wird, dass das Recht auf Religionsfreiheit in seinem Kernbereich verletzt wird. Der Kern der Religionsfreiheit ist für die personale Würde und Entfaltung eines jeden Menschen unverzichtbar und gehört damit zum menschenrechtlichen Mindeststandard. Er ist nach ständiger Rechtsprechung unveräußerlich und nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht einschränkbar (vgl. zu den Einzelheiten etwa BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158 ff.>; sowie BVerwG, Urteile vom 20.01.2004 - 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 und vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - a.a.O.). Wird dieser Kernbereich verletzt, ist in jedem Fall eine schwerwiegende Rechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu bejahen und dementsprechend Flüchtlingsschutz zu gewähren.
38 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere Buchst. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht jedoch deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung - von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen - in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird, und dass der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann. Vielmehr können erhebliche Einschränkungen oder Verbote öffentlicher Glaubensbetätigung, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion oder dem - nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnisses des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern.
39 
2.2.a) Wie vom Senat bereits in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07- a.a.O.) näher dargestellt, hat sich unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie auch der Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert. Nach Art. 4 Abs. 3 QRL ist - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung - eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorzunehmen. Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nachdem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; st. Rspr.), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung ebenfalls. So ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgericht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenziert zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen, zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
40 
b) Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden i.S.d. Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdulla -). Der in dem Tatbestandsmerkmal „…tatsächlich Gefahr liefe…“ des Art. 2 Buchst. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330, RdNr. 125 ff. - Saadi -); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192).
41 
Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden; die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 - a.a.O). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände der Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - a.a.O.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
42 
2.3. Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143) gilt auch hier, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können. Allerdings ist an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben für eine Gruppenverfolgung auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG festzuhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 sowie Beschluss vom 02.02.2010 - 10 B 18.09 -, juris).
43 
a) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines staatlichen Verfolgungspogroms - (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200).
44 
b) Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Bezug gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.). An diesem Grundkonzept hat sich nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG nichts geändert. Es stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.).
45 
3. Der Kläger kann sich bei Anwendung dieser Grundsätze für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung der Gruppe der Ahmadis (oder der Untergruppe der ihren Glauben aktiv ausübenden Ahmadis) berufen.
46 
3.1 Die Lage in Pakistan - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs des Klägers von Bedeutung ist - stellt sich auch im September 2010 im Wesentlichen so wie bereits im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) geschildert dar. Der Senat hat in diesem Urteil folgendes ausgeführt:
47 
„Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
48 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
49 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
50 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
51 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
52 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
53 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
54 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
55 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
56 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
57 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
58 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
59 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
60 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ameerui Mumineen', 'Khalifar-ul-Mimineem', 'Shaabi' oder 'Razi-Allah-Anho' bezeichnet oder anredet;
61 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ummul-Mumineen' bezeichnet oder anredet;
62 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ahle-bait' bezeichnet oder anredet;
63 
d) sein Gotteshaus als 'Masjid' bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
64 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als 'Azan' bezeichnet oder den 'Azan' so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
65 
Sec. 298 C lautet:
66 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
67 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
68 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
69 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierenden, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960 – Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
70 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
71 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
72 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
73 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten d).
74 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
75 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
76 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
77 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
78 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
79 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
80 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL darstellen. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
81 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
82 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.“
83 
3.2. Auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beansprucht die vom Senat in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) dargestellte Einschätzung der Lage weiterhin uneingeschränkte Gültigkeit. Nach aktueller Erkenntnislage kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Risiko für einfache Ahmadi, mit einem Strafverfahren nach dem Blasphemieparagrafen sec. 295c des pakistanischen Strafgesetzbuches oder den sonstigen sogenannten „Ahmadi-Paragrafen“ überzogen zu werden, signifikant erhöht hätte. Die vom Senat in dem genannten Urteil zugrunde gelegten Zahlenverhältnisse (vgl. insbesondere Randziffer 102 bis 104 im UA bei juris) treffen nach wie vor zu; allenfalls ist eine leichte Besserung der Verhältnisse eingetreten. So führt das Auswärtige Amt im seinem Lagebericht vom 22.10.2008 (Stand: September 2008) aus, dass im Jahre 2007 gegen 23 Ahmadis Anklage in Blasphemiefällen erhoben worden sei; die erhoffte Verbesserung der Lage sei deshalb nicht eingetreten. Die Zahl der Neufälle insgesamt stagniere bei ca. 50 pro Jahr und steige nicht weiter an. In seinem aktuellen Lagebericht vom 17.03.2010 (Stand: März 2010) geht das Auswärtige Amt für den Beurteilungszeitraum 2008 davon aus, dass gegen 14 Ahmadis wegen Blasphemie Anklage erhoben worden sei, mithin ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr beobachtet werden könne.
84 
Insgesamt gesehen steht diese zahlenmäßige Entwicklung mit den sonstigen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln in Einklang, auch wenn darin teilweise von leicht abweichenden Zahlen ausgegangen wird. So geht etwa das U.S. Department of State in seinem International Religious Freedom Report 2009 (Stand: 26. Oktober 2009) davon aus, dass nach eigenen Angaben von Organisationen der Ahmadiyya in Rabwah gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen Verstößen gegen die Religionsgesetze Strafverfahren eingeleitet worden seien, darunter in 18 Fällen wegen Blasphemievorwürfen und in 68 Fällen wegen Verstoßes gegen die sog. „Ahmadi-Gesetze“. Zu ähnlichen Zahlen gelangte das Home Office in seinem Country of Origin Report Pakistan vom 18.01.2010. Dort wird unter Berufung auf Ahmadi-Quellen davon ausgegangen, dass von Juni 2008 bis April 2009 gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen religiöser Gründe Strafverfahren eingeleitet worden seien, wobei eine genaue Unterscheidung der Vorwürfe und der Verfahrensstadien nicht erfolgt (vgl. Ziffer 19.63 des Reports). Ferner wird darin auch auf den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführten Vorfall vom 8. Juni 2008 verwiesen, wonach ein FIR (First Information Report) gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah erstellt worden sei; dieser Vorfall wird vom U.S. Department of State in seinem Human Rights Report Pakistan 2009 (11. März 2010) bestätigt (S. 15). Entgegen der Meinung des Klägers kann aus letztgenanntem Vorfall jedoch nicht geschlossen werden, dass die vom Auswärtigen Amt wiedergegebenen Zahlen nicht mehr zutreffend sind. Wie sich insbesondere dem Human Rights Report Pakistan des U.S. Departement of State (S. 15) entnehmen lässt, hat das mit dem genannten FIR eingeleitete Verfahren bis zum dort genannten Zeitpunkt noch keinen Fortgang genommen. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass dieser pauschale Vorwurf gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah Anlass für weitergehende strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen gegen einzelne Ahmadis bietet. Für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung können deshalb nur die Fälle berücksichtigt werden, in denen es tatsächlich zu individuellen Ermittlungsverfahren oder gar Anklagen gekommen ist. Neueres oder umfassenderes Zahlenmaterial, das eine abweichende Gefährdungsprognose ermöglichen könnte, liegt dem Senat nicht vor.
85 
3.3. Dafür, dass generell jeder pakistanische Staatsangehörige allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Verfolgung zu gegenwärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden, selbst wenn man die vorgenannten rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie und deren Anwendung auf die Lage der Ahmadis in Pakistan zu ihren Gunsten unterstellt, nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn sich dieser Personenkreis in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, vor allem was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies in der Vergangenheit der Fall war (vgl. zu weiteren Nachweisen aus der auch älteren Rechtsprechung Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 -, a.a.O.). Nachdem nach wie vor die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa 4 Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. Lagebericht des Antragsteller vom 17.03.2010, S. 13), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
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Dies gilt selbst dann, wenn in der Betrachtung allein die Zahl der aktiv ihren Glauben ausübenden Ahmadis, also die oben genannten 500.000 bis 600.000 Mitglieder, zugrunde gelegt wird. Auch bei dieser Untergruppe ergibt sich nicht die hinreichende Verfolgungsdichte, die eine Gruppenverfolgung nach dem oben Gesagten voraussetzt. Diese Betrachtung wird, soweit ersichtlich, im Übrigen von der sonstigen oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geteilt (vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 13.11.2008 - A 1 B 550/07 -, juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.06.2005 - 2 L 208/01 -, juris).
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4. Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre.
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a) Der Senat vermochte dabei die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderte Ausübung seiner Religion in Pakistan und die von ihm in der Heimatgemeinde angeblich wahrgenommenen Funktionen weitgehend nicht zu glauben. Seine Angaben hierzu wichen nicht nur in teils erheblichem Maße von seinen Schilderungen im Asylerstverfahren ab, sie waren vor allem auch mit der vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2005 nicht in Einklang zu bringen. So gab der Kläger etwa in der mündlichen Verhandlung an, er habe in seiner Heimatgemeinde die Funktion eines „Saik“ inne gehabt, neben ihm habe nur noch eine weitere Person dieses Amt ausgeübt. Seine Aufgabe habe darin bestanden, sämtliche Mitglieder der Ahmadyyia-Gemeinde im Heimatdorf fünf Mal täglich von den Gebetszeiten zu unterrichten und dazu zu bewegen, in die Moschee zu kommen. Dabei ist es für den Senat bereits schwer nachzuvollziehen, wie der Kläger angesichts der Größe seines Heimatortes mit ca. 30.000 Einwohnern fünf Mal am Tag im Stadtgebiet verstreut wohnende 70 bis 80 Familien aufgesucht haben will. Entscheidend für die fehlende Glaubhaftigkeit ist jedoch, dass diese Angaben nicht mit der in sich stimmigen, auf den Erklärungen zahlreicher Vertrauenspersonen beruhenden Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2006 in Einklag stehen, an deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat. Zwar bestätigte das Auswärtige Amt die Angaben des Klägers, wonach er die Funktion eines Saiks in seinem Heimatdorf Chak Nr. 18 inne hatte; er sei jedoch lediglich einer von acht bis zehn Saiks gewesen. Auch ist die Funktion eines Saik nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eher mit der eines freiwilligen Gemeindehelfers zu vergleichen, der die Jugendlichen näher an die Religion heranbringen und sie auf ihre Pflichten aufmerksam machen soll. Dieser Widerspruch konnte auch durch entsprechende Vorhalte an den Kläger nicht aufgeklärt werden. Vielmehr relativierte der Kläger seine Angaben dann teilweise dahingehend, dass das Amt eines Saik durchaus erzieherische Elemente habe, nämlich durch die Motivation der Jugendlichen zur Teilnahme am Gebet. Ferner blieben die Einlassungen des Klägers in der mündlichen Berufungsverhandlung erheblich hinter den Schilderungen seiner in der Heimatgemeinde wahrgenommenen Ämter im Asylerstverfahren zurück, etwa was die angebliche stellvertretende Leitungsfunktion betrifft.
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b) Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angeht, so waren diese zumindest überwiegend glaubhaft. Der Senat glaubt dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2001 in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis in Balingen betätigt, regelmäßig zum Gebet in die dortige Moschee geht und verschiedene Funktionen ausübt. So schilderte der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft, wie er für die Gemeinde Fahrdienste leistet, an Informationsveranstaltungen mitwirkt und sich in sonstiger Weise vielfältig sozial und kulturell für seine Gemeinde engagiert. Auffällig war in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Kläger spontan von sich aus vor allem kulturelle und soziale Aktivitäten schilderte, die mit dem Kernbereich der Glaubensausübung nur wenig zu tun haben. Vor allem entfaltete der Kläger nach seinen eigenen Angaben keine nennenswerten missionarischen Aktivitäten, obwohl es eine zentrale Intention seiner Glaubensgemeinschaft ist, eigene Landsleute vom Glauben zu überzeugen. Erst auf Nachfrage gab der Kläger in diesem Zusammenhang an, er unterhalte sich mit anderen Moslems in seiner Unterkunft bzw. am Arbeitsplatz genauso wie mit Christen über Glaubensinhalte. Diese Gespräche waren nach seinen eigenen Angaben jedoch von dem Bemühen geprägt, sich für Verständigung und ein gutes Zusammenleben zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften einzusetzen bzw. bestehende Missverständnisse und Animositäten zwischen den Glaubensgemeinschaften auszuräumen. Aktive Missionierungsbemühungen, also Versuche, Andersgläubige von der Richtigkeit des eigenen Glaubens zu überzeugen, wurden von dem Kläger auch auf Nachfrage nicht geschildert. Dies wurde im Übrigen auch durch die informatorische Befragung der Lebensgefährtin des Klägers verdeutlicht, wonach er ihr gegenüber ebenfalls keinerlei Missionierungsbemühungen entfalte.
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Schließlich waren die Angaben des Klägers zu den maßgeblichen Glaubensinhalten und deren Bedeutung für sein Leben relativ undifferenziert, wenn er etwa auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zu dem Glauben der Mehrheit der Muslime lediglich ausführen konnte, dass die Ahmadis glaubten, der Messias sei schon gekommen und die anderen dies nicht glauben würden. Auch auf Nachfrage konnte er lediglich angeben, dass die Ahmadis an ihre Kalifen, die anderen jedoch nicht daran glaubten. Ebenso vage blieben die Angaben des Klägers, wie er seinen Glauben bei einer unterstellten Rückkehr nach Pakistan auszuüben gedenke.
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Nach alledem vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger in einer wirklich engen und verpflichtenden Beziehung zum Glauben der Ahmadis steht und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
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Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.