Verwaltungsgericht Karlsruhe Beschluss, 14. Okt. 2011 - A 9 K 716/11

published on 14/10/2011 00:00
Verwaltungsgericht Karlsruhe Beschluss, 14. Okt. 2011 - A 9 K 716/11
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Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10.03.2011 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

 
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10.03.2011, mit dem der Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde,  ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 75, 36 Abs. 3 S. 1 AsylVfG statthaft und auch sonst zulässig. Der Antrag ist auch begründet; denn an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen ernstlichen Zweifel (Art. 16 a Abs. 4 GG i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylVfG).
Anknüpfungspunkt der Prüfung des Gerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist die Frage, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, ohne dass deshalb der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes selbst zum Verfahrensgegenstand wird (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, BVerfGE 94, 166). Voraussetzung für einen Erfolg des Rechtsschutzbegehrens ist insoweit, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils des Bundesamtes bestehen (vgl. Hailbronner, AuslR B 2, § 30 AsylVfG, Rd.-Nrn. 4, 90; § 36 AsylVfG, Rd.-Nrn. 80 ff). Dabei hat sich die gerichtliche Überprüfung der durch das Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung im Eilverfahren daran zu orientieren, ob nach dem im Zeitpunkt der (gerichtlichen) Beurteilung des Asylbegehrens festgestellten Sachverhalt an der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen kein vernünftiger Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylantrags geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.10.1993, NVwZ 1994, 160; vgl. auch GK-AsylVfG § 30 Rd.-Nrn. 15 ff m.w.N.), oder ob eine der Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 AsylVfG vorliegt, unter denen ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist.
Die ist hier nicht der Fall. Das Bundesamt stützt die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als offensichtlich unbegründet auf § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylVfG. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 AsylVfG gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich. Die Annahme einer gröblichen Verletzung der Mitwirkungspflichten des Antragstellers stützt das Bundesamt auf dessen unentschuldigtes Nichterscheinen zu dem auf den 19.01.2011 angesetzten Termin zur persönlichen Anhörung gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt eine Erklärung des Antragstellers zu den Gründen seines Fernbleibens allerdings vor, und es erscheint zweifelhaft, ob auf der Grundlage seines Vorbringens die Annahme einer gröblichen Verletzung von Mitwirkungspflichten gerechtfertigt erscheint. Der zunächst in der Aufnahmeeinrichtung in Karlsruhe untergebrachte Antragsteller macht geltend, nach seiner durch Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 21.12.2010 erfolgten Zuweisung in eine Gemeinschaftsunterkunft in Mannheim sei er davon ausgegangen, der durch Terminbenachrichtigung vom 15.12.2010 auf den 19.01.2011 in Karlsruhe angesetzte Anhörungstermin sei gegenstandslos geworden und er werde von einer Mannheimer Außenstelle des Bundesamts einen neuen Termin mitgeteilt bekommen. In dieser Annahme habe er sich dadurch bestärkt gesehen, dass die Mannheimer Gemeinschaftsunterkunft ihm ebenfalls einen Termin am Vormittag des 19.01.2011 (zur Auszahlung des Taschengelds) gesetzt habe. Diese Einlassung, gegen deren Glaubhaftigkeit Bedenken weder geltend gemacht noch ersichtlich sind, rechtfertigt zwar nicht den Schluss, der Antragsteller habe sein Fernbleiben beim Anhörungstermin nicht zu vertreten, lässt aber die Annahme einer gröblichen Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 25 Abs. 1 AsylVfG als zweifelhaft erscheinen. Auch ein vom Ausländer zu vertretendes Ausbleiben zum Termin zur persönlichen Anhörung ist - für sich genommen - noch nicht als gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG anzusehen, wonach er nebst weiteren erforderlichen Angaben selbst die Tatsachen vortragen muss, die seine Furcht vor politischer Verfolgung begründen. Aus den Gesamtumständen des Einzelfalls muss vielmehr eine besonders schwerwiegende Verletzung der in Rede stehenden Mitwirkungspflichten deutlich werden, die ohne Weiteres die offensichtliche inhaltliche Unbegründetheit des Asylbegehrens indiziert (Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 30 Rd.-Nr. 171; im gleichen Sinne auch Hailbronner, AsylVfG, § 30 Rd.-Nr. 68). Ein solch schwerwiegender Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nach § 25 Abs. 1 AsylVfG dürfte hier nicht gegeben sein; denn das wohl nicht grob fahrlässige Ausbleiben des Antragstellers beim Termin zur persönlichen Anhörung lässt mangels weiterer Tatsachen, die dieser Pflichtverletzung erhebliches Gewicht verleihen könnten, im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht den Schluss zu, er hintertreibe die vom Gesetz gewollten Ziele eines richtigen Entscheidungsergebnisses und der zügigen Durchführung des Asylverfahrens (vgl. Hailbronner, a.a.O.). Dass er beabsichtigt, eine deutsche Staatsangehörige zu heiraten, lässt jedenfalls nicht ohne weiteres auf ein Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens schließen. Im gerichtlichen Verfahren hat der Antragsteller vielmehr deutlich gemacht, dass er zu einer Darlegung der seinem Asylantrag zugrundeliegenden Tatsachen jederzeit bereit ist.
Abgesehen von den Zweifeln am Vorliegen einer gröblichen Verletzung von Mitwirkungspflichten erscheint es in verfahrensrechtlicher Hinsicht zweifelhaft, ob das Bundesamt auf der Grundlage von § 25 Abs. 4 Satz 5 AsylVfG sogleich nach Aktenlage entscheiden durfte, ohne zumindest dem Antragsteller zuvor Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben. Erscheint der Ausländer ohne genügende Entschuldigung nicht zur Anhörung, so knüpft das Gesetz hieran unterschiedliche Folgen, je nachdem, ob es sich um einen Ausländer handelt, der verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen oder nicht (Hailbronner, a.a.O., § 25 Rd.-Nr. 32). Aus dem Regelungszusammenhang des § 25 Abs. 4 AsylVfG wird deutlich, dass der Gesetzgeber - unter der Prämisse der Anwesenheit des Ausländers in der Aufnahmeeinrichtung - ein vereinfachtes und beschleunigtes Verfahren während der längstens dreimonatigen Pflicht des Ausländers zur Wohnsitznahme in der Aufnahmeeinrichtung (§ 47 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ermöglicht. Dies kommt in der Verzichtbarkeit der förmlichen Ladung zur Anhörung, aber auch in der Möglichkeit der Entscheidung nach Aktenlage bereits nach unentschuldigtem Nichterscheinen des Ausländers zur Anhörung zum Ausdruck. Im vorliegenden Fall war der Antragsteller zwar noch zur Wohnsitznahme in der Aufnahmeeinrichtung verpflichtet, als ihm - am 15.12.2010 - der Termin zur persönlichen Anhörung am 19.01.2011 bekanntgegeben wurde. Bereits vor dem für die Anhörung anberaumtem Tag, nämlich ab dem 22.12.2010, war er aber einer Gemeinschaftunterkunft in Mannheim zugeteilt worden (in der Zuweisungsentscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 21.12.2010 fälschlicherweise als Aufnahmeeinrichtung bezeichnet). Nach der Verlegung durfte das Bundesamt wohl nicht mehr auf der Grundlage von § 25 Abs. 4 Satz 5 AsylVfG nach Aktenlage entscheiden, sondern dürfte nach Maßgabe von § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG gehalten gewesen sein, dem Antragsteller zunächst Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb eines Monats zu geben.
Hat das Bundesamt nach alledem voraussichtlich zu Unrecht sogleich nach Aktenlage entschieden, dürfte im Hauptsacheverfahren das vom Antragsteller verfolgte - isolierte - Anfechtungsbegehren statthaft sein, um den Weg zu einer inhaltlichen Überprüfung des Asylbegehrens durch das hierfür primär zuständige Bundesamt zu eröffnen (vgl. VG Frankfurt am Main, Urteil vom 06.08.2010 - 7 K 1811/10 -, InfAuslR 2011, 44). Eine persönliche Anhörung des Antragstellers dürfte zumindest zweckmäßig sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.