Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 18. Dez. 2014 - 7a K 4590/14.A
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Oktober 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
Tatbestand:
2Der am 2. Februar 1997 geborene Kläger, gambischer Staatsangehöriger, reiste unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 4. Juli 2014 meldete er sich bei der Ausländerbehörde in C. . Nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch einen Fingerabdruckabgleich lagen Anhaltspunkte vor für eine Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III–VO). Dem Bundesamt wurde von EURODAC gemeldet, dass der Kläger bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat („EURODAC-Treffer). Am 5. August 2014 wurde ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien gerichtet. Die italienischen Behörden antworteten darauf nicht.
3Mit Bescheid vom 6. Oktober 2014 ordnete das Bundesamt die Abschiebung des Klägers nach Italien an, da dieser Staat gemäß § 18 Abs. 1 b Dublin III-VO für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die gegen eine Überstellung nach Italien sprechen könnten, seien nicht ersichtlich.
4Am 15. Oktober 2014 hat der Kläger Klage erhoben und gleichzeitig um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Das Bundesamt habe Art. 6 der Dublin III-VO nicht berücksichtigt. Insbesondere sei nicht erkennbar, inwieweit eine Überprüfung des Kindeswohls stattgefunden habe. Seine Abschiebung als Minderjähriger nach Italien verstoße zudem gegen die UN-Kinderrechtskonvention.
5Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
6den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Oktober 2014 aufzuheben.
7Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
8die Klage abzuweisen.
9Sie bezieht sich zur Begründung auf den angegriffenen Bescheid und führt ergänzend aus, dass die Rechtsprechung des EUGH zu Minderjährigen im vorliegenden Fall mangels eines Asylantrags des Klägers in Deutschland nicht greife.
10Mit Beschluss vom 25. November 2014 hat die Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Italien angeordnet (7a L 127/14.A).
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten, einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte Heft 1).
12Entscheidungsgründe:
13Die Klage, über die im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑), ist zulässig und begründet.
14Der Bescheid des Bundesamtes vom 6. Oktober 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO).
15Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch macht und seinen Asylantrag inhaltlich prüft. Das Ermessen der Beklagten ist insoweit auf null reduziert.
16Nach dieser Vorschrift kann jeder Mitgliedsstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist, und wird dadurch zum zuständigen Mitgliedsstaat im Sinne der Verordnung.
17Das hiernach dem Mitgliedsstaat grundsätzlich eingeräumte Ermessen ist in Bezug auf die Rücküberstellung nach Italien derzeit auf null reduziert sein, weil dort gegenwärtig systemische Mängel des Asylverfahrens zu besorgen sind, denen der Kläger ausgesetzt sein wird.
18Die den Regeln des Selbsteintrittsrechts und der Dublin-III-VO zugrundeliegende Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ‑ EUGrdRCH ‑, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Genfer Flüchtlingskonvention steht,
19vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 -, NVwZ 2012, 417.
20trifft nach vorliegenden Erkenntnissen für Italien gegenwärtig nicht zu.
21Dabei reicht allerdings nicht jede Verletzung von Verfahrens- oder materiellem Recht, um eine Selbsteintrittspflicht zu begründen. Ein Mitgliedstaat muss vielmehr die Überstellung eines Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO nur unterlassen, wenn ihm nicht unbekannt sein kann, dass das Asyl verfahren in diesem Mitgliedstaat systemische Mängel aufweist, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union implizieren. In diesem Fall ist die Überstellung auch nach nationalem Verfassungsrecht unzulässig, wenn ‑ bezogen auf den Drittstaat bzw. auf den zuständigen Staat ‑ Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind.
22Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 ‑ 2 BvR 1938/93‑, juris.
23Ausgehend von diesen Maßstäben bestehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen in Italien an systemischen Mängeln leiden. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass dem Kläger im Falle seiner Rücküberstellung nach Italien im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im zuvor dargestellten Sinne droht, er namentlich im Falle einer Überstellung nach Italien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. der Art. 4 EUGrdRCH, Art. 3 EMRK zu befürchten hat.
24Dafür liegen nach dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unzweifelhafte Anhaltspunkte vor (EGMR, Urteil vom 4. November 2014, Case of Tarakhel vs. Switzerland 2917/12, u.a. Rdnr. 50 ff; 108, 115), die insbesondere für den Kreis der besonders schutzwürdigen Personen, zu denen die Kläger als Minderjähriger gehört, nur unter eingeschränkten Bedingungen eine Abschiebung nach Italien zulassen.
25Die tatsächliche Situation von Schutzsuchenden in Italien stellt sich nach der gegenwärtigen Erkenntnislage im Wesentlichen wie folgt dar:
26Im Sommer 2013 ist die Zahl der in Italien ankommenden (Boots-)Flüchtlinge ‑ erneut ‑ stark angestiegen.
27Vgl. z.B. Zahlenangaben und Vergleiche 2011-2013 bei: Zeit online vom 10. Oktober 2013 unter Hinweis auf Material UNHCR; tagesschau.de vom 20. August 2013.
28Die bis dahin schon bedenkliche Auslastung der Aufnahmekapazitäten hat sich verschlechtert.
29Nach dem jüngsten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, der auf einer Abklärungsreise nach Rom und Mailand, verschiedenen Interviews mit Vertretern von Nicht-Regierungs-Organisationen ‑ NGO’s ‑, Behörden und Flüchtlingen sowie aktuellen Berichten über die Situation in Italien fußt, sind die Aufnahmekapazitäten der für alle Asylsuchenden vorgesehenen Erstaufnahmezentren CARA, in denen auch sog. Dublin-Rückkehrende im Falle ihrer Rücküberstellung nach Italien grds. ‑ befristet ‑ unterkommen können, ausgelastet. Das gilt auch für die bereitgestellten Plätze im sog. FER-Projekt (vom Europäischen Flüchtlingsrat finanzierte Unterkünfte), die an den Flughäfen Rom und Mailand angeboten werden. Die Anzahl der Plätze in diesen Projekten, die zeitlich beschränkt sind, ist ohnehin sehr gering.
30Schweizerische Flüchtlingshilfe ‑ SFH ‑, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013 , S. 5, 14 ff, 20.
31Auch das Zweitaufnahmesystem SPRAR, das auf einer Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und NGO‘s basiert, ist ausgelastet; noch im Juli 2013 wurde vom italienischen Innenministerium wegen Überfüllung der Erstaufnahmezentren um Aufstockung der Plätze gebeten.
32Vgl. SFH, a.a.O., S. 23, Fußnote 135 unter Bezugnahme auf eine e-Mail Auskunft von borderline-europe vom 7. August 2013.
33Eine erhebliche Verschlechterung der Aufnahmebedingungen und deutliche Überbelegungen in den Zentren beklagt auch der UNHCR in seinen Empfehlungen vom Juli 2013,
34UNHCR Recommendations on important Aspects of Refugee protection in Italy, Juli 2013, S. 9 ff.
35Die tatsächliche Überbelegung wird schließlich anhand des von der Liaisonbeamtin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Rom vom 21. November 2013 unter Bezugnahme auf Daten des italienischen Innenministeriums vom 8. November 2013 übersandten Zahlenmaterials, das bestimmte Aufnahmezentren abdeckt (CARA/CDA), deutlich: Danach war dort in verschiedenen Orten „ursprünglich“ eine Kapazität von insgesamt 6.180 Plätzen, sind „jetzt“ 7.516 Plätze „vorgesehen“, die tatsächlich mit 10.856 Schutzsuchenden belegt sein sollen,
36vgl. Wiedergabe der Information der Liaisonbeamtin in der Klageerwiderung der Antragsgegnerin im Verfahren 7a K 486/14.A.
37Die Frage, ob das vom italienischen Innenministerium übermittelte Zahlenmaterial belastbar ist, lässt die Kammer dabei offen.
38Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. September 2013 an das OVG NRW (dort zu d) ist verlässliches Datenmaterial nicht zu erlangen; dahingehend auch: UNHCR, a.a.O., z.B. S. 10, 13.
39Rücküberstellte haben nach Einschätzung einer italienischen Untersuchungskommission keine ausdrückliche Garantie für eine Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung.
40Vgl. Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderern ‑ ASGI ‑ vom 20. November 2012 an das VG Darmstadt.
41Die anderslautende Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. September 2013 an das Oberverwaltungsgericht NRW (dort zu c) legt die Kammer im vorläufigen Rechtsschutzverfahren angesichts der wiedergegebenen Erkenntnisse vor Ort tätiger Organisationen, der unter b) dieser Auskunft des Auswärtigen Amtes angedeuteten Schwierigkeiten bei der Unterbringung unter Hinnahme auch Wochen fehlender Unterkunft und mit Rücksicht darauf, dass nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes kein belastbares Zahlenmaterial zu tatsächlichen Unterbringungsmöglichkeiten der Dublin-II-Rückkehrer von offizieller Seite zu erlangen ist (AA, Auskunft vom 11.09.2013, a.a.O., zu d)) nicht zugrunde.
42Aus der Schwierigkeit, dauerhaft eine angemessene und sichere Unterkunft zu erlangen, folgen insbesondere von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe beschriebene Probleme der (Dauer-)Obdachlosigkeit, Verwahrlosung und auch der (sexuellen) Ausbeutung für die Schutzsuchenden.
43SFH, a.a.O., z.B. S. 40, 45.
44Ein weiterer wesentlicher Mangel im System der Versorgung von Asylsuchenden ist darin zu sehen, dass der Mehrheit der Flüchtlinge ‑ abgesehen von der Unterbringung in Erstaufnahmezentren ‑ keine ausreichende Unterstützung und Hilfeleistungen zuteilwerden, die ein sozial würdiges Leben in einer für sie fremden Umgebung ermöglichen. Dazu gehört auch ein Mindestmaß an Integritätsbemühungen des Staates, um den Schutzsuchenden eine Teilnahme am Alltagsleben in Italien zu ermöglichen, wie etwa Sprachunterricht. Die vereinzelten Angebote decken den tatsächlichen Bedarf nicht annähernd ab.
45Vgl. UNHCR, a.a.O., S. 10, 12 f: “their self-reliance remains a concern after the end of the emergency reception plan. This is mainly because of the poor quality of reception services, … more broadly, because of the economic situation in Italy.”; SFH, a.a.O., S. 43 ff.
46Belastbare Auskünfte und Stellungnahmen aus jüngster Zeit, die die dargestellten allgemeinen Erkenntnisse erschüttern könnten, liegen bisher nicht vor.
47Die Kammer folgt der Einschätzung des UNHCR in den „Empfehlungen“, dass die Missstände insoweit auf fehlender strategischer und struktureller Planung und zuverlässiger Koordinationsmechanismen auf zentraler Ebene beruhen. Diese Bewertung wird von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe erneut im aktuellen Bericht geteilt.
48UNHCR, a.a.O., S. 10,13.; ebenso: SFH, a.a.O., S. 7.
49Die Kammer stuft diese Mängel insgesamt als systemisch ein, weil sie auf einem unzureichenden Aufnahmesystem und einem fehlendem materiellen und sozialen Sicherungsnetz beruhen, das der italienische Staat trotz ausreichender rechtlicher Rahmenbedingungen nicht bereitstellt.
50Ebenso: VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 ‑ 1 K 844/11.GI.A ‑ juris, insbes. Rdnr. 33 f m.w.N.; VG Frankfurt a.M., Urteil vom 9. Juli 2013 ‑ 7 K 560/11.F.A. ‑, juris Rdnr. 24 ff; VG Köln, Beschluss vom 7. Mai 2013 ‑ 20 L 613/13.A ‑ juris, VG Aachen, Beschluss vom 14. März 2013 ‑ 9 L 53/13.A, juris, VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17. Mai 2013 ‑ 5a L 566/13.A -, juris.
51Am 4. Juni 2013 hat das italienische Innenministerium einen sog. EASO-Support-Plan beschlossen und mit dem Europäischen Asylunterstützungsbüro EASO einen Unterstützungsplan vereinbart. Dies verdeutlicht, dass der italienische Staat derzeit selbst davon ausgeht, den Mindestnormen der Gemeinschaft für die Aufnahme von Asylbewerbern nicht aus eigenen Kräften zu entsprechen. Dieser „Hilfsplan“ reicht bis Ende 2014.
52Vgl. EASO press-release 4.6.2013, EASO-Italy-Special-Support-Plan.
53Ob die Situation der Flüchtlinge sich dadurch nachhaltig bessert, bleibt abzuwarten.
54An der Einschätzung, dass in Italien auch zum jetzigen Zeitpunkt noch systemische Mängel des Asylverfahrens bestehen, die dazu führen, dass Flüchtlinge einschließlich der Antragsteller überwiegend wahrscheinlich menschenrechtswidrigen Verhältnissen ausgesetzt werden, hält die Kammer auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts NRW zum jetzigen Zeitpunkt fest. Das Urteil des OVG NRW vom 7. März 2014 ‑ 1 A 21/12.A ‑, das die Rücküberstellung nach Italien für zulässig erachtet, beruht auf der Erkenntnislage, die auch die Kammer zugrundegelegt hat. Der Auffassung des Senats, die sich aus der Erkenntnislage ergebende Situation in Italien lasse noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EuGRCh überschreitendes Versagen des Staates erkennen, vermag die Kammer gegenwärtig nicht zu folgen.
55Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Zahl der in Italien aufzunehmenden Flüchtlinge 2014 weiter erheblich angestiegen ist und erst jüngst das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR dringend angemahnt hat, einen strukturierten Plan zur Aufnahme der Flüchtlinge in Italien zu entwickeln. Anlass für diese Mahnung war, dass in Italien im Juni 2014 ca. 400 Flüchtlinge auf zwei Parkplätzen vor Rom und Mailand ohne Versorgung hilflos ausgesetzt worden waren.
56Vgl. z.B. Spiegel online 10. Juni 2014 „Hunderte Bootsflüchtlinge auf Parkplätzen ausgesetzt“; N24 10. Juni 2014; Huffington Post 18. Juni 2014 „Italy’s Churches shelter Refugees despite overflowing migrant crises“; FR 15. Juni 2014 „Mehr als 1500 Bootsflüchtlinge in 24 Stunden“; vgl. allgemein auch: west-info.eu 15. Juli 2014 „The new Europe begins at Lampedusa“ by G. Terranova.
57Erkenntnisse darüber, dass Italien angesichts der gestiegenen Zahlen die ohnehin überfüllten Unterbringungskapazitäten entsprechend aufgestockt hätte und den weiteren dargestellten Mängeln im Aufnahmeverfahren wirksam begegnet wäre, liegen nicht vor.
58Wegen der Zurückweisung von Flüchtlingen ohne Möglichkeit der Antragstellung hat die Europäische Kommission zudem ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien eingeleitet.
59Vgl. Asylmagazin, hrsg. v. Informationsverbund Asyl und Migration 5/2014, S. 142.
60Die Unanwendbarkeit der Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-VO aus Gründen höherrangigen Rechts ist danach insgesamt mit der Folge zu bejahen, dass eine Rücküberstellung nach Italien derzeit nicht ‑ jedenfalls nicht ohne die erforderliche Rückversicherung im Einzelfall, dass der Betreffende Asylbewerber ohne Verletzung von Art. 3 MRK aufgenommen und untergebracht wird -, erfolgen darf.
61vgl. EGMR, Urt. vom 4. November 2014, a.a.O.
62Eine solche Garantie hat die Beklagte nicht eingeholt. Vorliegend hat Italien auf die Anfrage der Beklagten gar nicht reagiert. Die Beklagte beruft sich für die Zuständigkeitsfrage allein auf den Fristablauf.
63Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
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Referenzen - Gesetze
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113
Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 101
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.