Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 19. Okt. 2018 - Au 8 K 17.34930

bei uns veröffentlicht am19.10.2018

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

Der nach eigenen Angaben am ... 1992 in ... geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit. Er reiste Ende 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Das Verfahren wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. Juni 2017 (Au 8 K 16.31019) rechtskräftig abgeschlossen.

Am 9. August 2017 stellte er einen Folgeantrag. Zur Begründung verwies er auf die Familienfehde, auf die sich verschlechternde Sicherheitslage und auf aktuelle Atteste.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2017 wurde der Antrag des Klägers auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheids). In Nr. 2 wurde auch der weitergehende Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 3. Juni 2016 bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 abgelehnt. Der Kläger habe keine Umstände vorgetragen, die zu einem vom Erstverfahrensbescheid abweichenden Ergebnis bezüglich der Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten führen würden. Sowohl die Familienfehden als auch die ärztlichen Atteste, die im Übrigen dem Bundesamt nicht vorliegen würden, seien bereit im Erstverfahren als Asylgründe genannt und auch im Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg gewürdigt worden.

Dagegen ließ Kläger Klage erheben und beantragen,

1. den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Oktober 2017 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass bei dem Kläger nationale Abschiebungshindernisse vorliegen.

Der Kläger sei psychisch krank. Er befinde sich seit 2014 in ärztlicher Behandlung. Er leide an einer chronischen posttraumatischen Belastungsstörung, einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen und an einer dissoziativen Störung. Weil die posttraumatische Belastungsstörung durch ein Ereignis ausgelöst werde, welches nicht normal abgespeichert worden sei, könne der Betroffene auch nicht über das Erlebnis sprechen. Insoweit würden sich die Anforderungen an Atteste und den Vortrag des Asylsuchenden der Krankheit widersprechen. Die Ärzte und Therapeuten würden sich hüten, bei einem Traumatisierten über das traumatische Ereignis zu sprechen, um ihn nicht weiter zu destabilisieren. Das traumatisierende Ereignis werde vielmehr solange umgangen, bis der Betroffene psychisch in einem sicheren Hafen angekommen sei. Dem Fachpersonal seien vor allem die Symptome der Krankheit wichtig. Das Attest des Facharztes ... vom 19. Oktober 2017 belege, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode erkrankt sei. Es werde auch auf den Bericht der Diplom-Psychologin von ... vom 13. Oktober 2017 verwiesen. Auf Grund der Erkrankung sei davon auszugehen, dass der Kläger alsbald nach seiner Rückkehr in Lebensgefahr geraten würde. Er habe ohne Medikamentierung bei der zu erwartenden Reizüberflutung keine Chance, situationsangemessen zu reagieren. Er sei nicht in der Lage, sich selbst ausreichend zu versorgen. Afghanistan sei, was psychische Erkrankungen betreffe, immer noch im Mittelalter. Viele Afghanen würden immer noch glauben, dass ein psychisch Kranker von bösen Geistern besessen sei. Somit habe der Kläger keine Hilfe in Afghanistan zu erwarten. Auch seine Familie sei nicht in der Lage, ihm zu helfen, weil sie in Pakistan lebe. Der Kläger sei nicht in der Lage, auf die zu erwartende schlechten Lebensbedingungen adäquat zu reagieren, sich selbst zu versorgen, Unterkunft, Nahrung, Hygienebedarf und medizinische Versorgung zu erreichen. Ein weiterer Befundbericht von ... vom 9. Juli 2018 zeige, dass sich der Zustand des Klägers weiterhin verschlechtert habe. Er sei weiterhin auf Medikamente angewiesen und die Panikattacken hätten sich verselbständigt. Dies führe zu einer Zunahme der Depression, weil dieser Zustand extrem ermüdend sei. Die Betroffenen wollten irgendwann nur noch ihre Ruhe - Erlösung haben. Somit sei bei und nach der Abschiebung mit akuter Suizidalität zu rechnen. Des Weiteren wurde noch ein aktuelles fachärztliches Attest des den Kläger behandelnden Facharztes für Neurologie und für Psychiatrie und Psychotherapie vom 10. August 2018 und ein vorläufiger Arztbrief der ... vom 8. Oktober 2018 vorgelegt.

In der mündlichen Verhandlung wurde die den Kläger behandelnden Dipl. Psychologin und psychologische Psychotherapeutin von ... formlos angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte, auch im Erstverfahren (Au 8 K 16.31019) und im Eilverfahren (Au 8 S 18.31249) sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids und auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots. Es wird in vollem Umfang Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:

Ein Asylantrag ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Nach dieser Vorschrift ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt und wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen.

1. Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 VwVfG sind vorliegend nicht gegeben.

Hinsichtlich seines Vorbringens im Erstverfahren, weshalb er Afghanistan verlassen habe, brachte er im Folgeverfahren keine zusätzlichen oder neuen Gesichtspunkte vor, welche eine andere Beurteilung hätten rechtfertigen können.

Die Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan verhilft dem vorliegenden Antrag nicht zum Erfolg. Denn es reicht nicht jegliche Verschlechterung der Verhältnisse im Heimatland zur Begründung eines Folgeantrages aus; vielmehr muss aufgrund der veränderten Umstände eine abweichende Bewertung des Asylbegehrens zumindest möglich erscheinen. Zunächst ist bereits grundsätzlich nichts dafür ersichtlich, dass sich in dem kurzen Zeitraum seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylerstverfahrens Anfang Juni 2017 bis zur Folgeantragstellung August 2017 die Sicherheitslage in Afghanistan maßgeblich geändert hätte. Darüber hinaus droht dem Kläger in Afghanistan auch aktuell keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Weder in Kabul noch in ganz Afghanistan ist die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderliche Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.13 - juris; BayVGH, B.v. 11.5.2018 - 13a ZB 17.30993 -juris; B.v. 12.9.2018 - 13a ZB 17.31021 - BA Rn. 6 ff.), erreicht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der jüngsten sicherheitsrelevanten Vorfälle in Afghanistan. Damit ist derzeit nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht erkennbar.

Auch die schlechte Arbeitsmarkt- und Versorgungslage in Afghanistan, wie sie sich etwa aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31. Mai 2018 (im Folgenden: Lagebericht) und weiteren, aktuellen Erkenntnismitteln zu Afghanistan ergibt, ist ebenfalls nicht geeignet, ein Abschiebungsverbot zu begründen. Denn nach der ständigen und weiterhin gültigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 12.9.2018 - 13a ZB 17.31021 - BA Rn. 6 ff.; B.v. 26.3.2018 - 13a ZB 17.30438 - BA Rn. 5 f.; B.v. 4.1.2018 - 13a ZB 17.31652 BA Rn. 5 f., 9; B.v. 29.11.2017 - 13a ZB 17.31251 - BA Rn. 5 f.; VG Regensburg, B.v. 5.9.2018 - RN 7 K 16.32563 - juris Rn. 18) sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte (NdsOVG, B.v. 25.5.2018 - 9 LA 64/18 -Ls-; VGH BW, U.v. 11.4.2018 - A 11 S 924/17 - juris Rn. 115 ff.; 336 ff.) ergibt sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein junger arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr aufgrund der schlechten Versorgungslage einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre (§ 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK) bzw. in eine extreme Gefahrenlage (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Ein junger, gesunder männlicher Rückkehrer ist nach oben angeführter Rechtsprechung selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren. Auch die aktuellen Ausführungen im Lagebericht zur Situation von Rückkehrern sind nicht geeignet, eine andere Einschätzung bezüglich des Vorliegens von Abschiebungsverboten herbeizuführen. Soweit Organisationen wie UNHCR und Pro Asyl zu einem anderen Ergebnis gelangen, folgen sie eigenen Maßstäben, aber nicht denen der o.g. Rechtsprechung. Das Gericht geht weiterhin davon aus, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt im urbanen oder semiurbanen Umfeld wie bspw. in Kabul, Herat oder Mazare Sharif sicherstellen kann. Aber auch wenn man es als wahr unterstellen würde, dass sich inzwischen die gesamte Familie des Klägers in Pakistan befindet, so lebt zumindest noch Verwandtschaft mütterlicherseits in Afghanistan. Im Übrigen sind unter Berücksichtigung der Auskunftslage insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer Position, die durchaus auch Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts eröffnet (vgl. BayVGH, U.v. 13.5.2013 - 13a B 12.30052 - juris Rn. 12; VGH BW, U.v. 17.1.2018 - A 11 S 241/17 - juris Rn. 479, 484, 493). Zudem stehen ihm auch Rückkehrhilfen zur Verfügung (vgl. BAMF an VG Augsburg vom 12.08.2016), die jedenfalls für die Anfangszeit einer Wiedereingliederung des Klägers in die afghanischen Verhältnisse sein Auskommen sichern, bis er aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt sichern kann (aus GARP-Mitteln 500 Euro je Erwachsener, aus ERIN-Mitteln ca. 700 Euro, näher dazu VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 -Au 3 K 16.30949 - Rn. 21 m.w.N.; auch Asylos, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19, 21, asylos.eu/wpcontent/uploads/2017/08/AFG2017-05-Afghanistan-Situationofyoungmale-Westernisedreturneesto-Kabul-1.pdf; zudem BT-Drs. 19/1120, S. 15 f.), wobei nur ein Sechstel der Rückkehrer auch Leistungen nach der Rückkehr in Anspruch nahm (Asylos ebenda S. 20).

2. Die Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens des Verfahrens im Ermessenswege nach § 51 Abs. 5 VwVfG durch Widerruf des Bescheides hinsichtlich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG sind ebenso wenig glaubhaft gemacht. Eine Reduzierung des behördlichen Ermessensspielraums der Beklagten auf Null mit der Folge ihrer Verpflichtung zu einem solchen Wiederaufgreifen ist auch mit Blick auf die zu schützenden Grundrechte des Klägers nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG nicht gegeben. Auch unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nicht vor.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist weiterhin davon auszugehen, dass die Lage in Afghanistan nicht so ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, B.v. 29.11.2017 - 13a ZB 17.31251 - juris Rn. 6 m.w.N.; vgl. obige Ausführungen). Auf ein stützendes familiäres Netzwerk kommt es nicht entscheidend an. Aber auch wenn man es als wahr unterstellen würde, dass sich inzwischen die gesamte Familie des Klägers in Pakistan befindet, so lebt zumindest noch Verwandtschaft mütterlicherseits in Afghanistan. Auch war er vor seiner letzten Aufnahme im ... offensichtlich arbeitsfähig, da er einer Arbeit nachging.

bb) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG steht dem Kläger ebenfalls nicht zu.

Aus den vorgelegten Attesten ergeben sich keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.

Nach § 60a Abs. 2c AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlichmedizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2018 - 9 ZB 18.30178 - juris Rn. 7; B.v. 10.1.2018 - 10 ZB 16.30735 - juris Rn. 8; B.v. 24.1.2018 - 10 ZB 18.30105 - juris Rn. 7) sind die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen.

Aus den nunmehr im Folgeverfahren vorgelegten neuen Attesten vom Facharzt ... vom 19. Oktober 2017 und 10. August 2018, vom ... vom 8. Oktober 2018 sowie von ... vom 13. Oktober 2017 und 9. Juli 2018 ergeben sich im Vergleich zu den Ausführungen im Urteil im Erstverfahren (Au 8 K 16.31019) keine wesentlichen Änderungen. Die Befundberichte von ... entsprechen bereits insoweit nicht den in § 60a Abs. 2c AufenthG normierten und den von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien, da es sich bei der Diplom-Psychologin und psychologischen Psychotherapeutin von... nicht um eine Fachärztin handelt. Den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG genügt eine Stellungnahme einer psychologischen Psychotherapeutin, auch wenn sie eine Approbation erlangt hat, nicht, weil sie jedenfalls nicht eine approbierte Ärztin ist (vgl. BT-Drucks. 18/7538 S. 19; VG München, B.v. 18.10.2017 - M 21 S17. 33668 - juris Rn. 29; VG Regensburg, B.v. 5.9.2018 - RN 7 K 16.32563 - juris Rn. 24f). Allerdings schließt dies eine zusätzliche Heranziehung von Attesten von Psychotherapeuten oder Psychologen im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbil dung auch nicht aus (vgl. auch OVG Lüneburg, B.v. 7.9.2018 - 10 LA 343/18 - juris Rn. 11).

Unter Auswertung sämtlicher vorgelegten Stellungnahmen ergibt sich folgendes:

Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um ein innerpsychisches Erlebnis, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht. Es kommt deshalb in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrundeliegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese, einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Betreffenden hinsichtlich des das Trauma auslösenden Ereignisses, einer alternativen Hypothesenbildung sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282 ff; Loesel/Bender, Asylpraxis Bd. 7 S. 175 ff).

Somit ist für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung der Nachweis eines traumatischen Ereignisses Voraussetzung. Es gibt keine posttraumatische Belastungsstörung ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. S. 752; Steller in Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW, 2004, 41; BayVGH, B.v. 28.9.2006 - 19 CE 06.260 - juris). Da die fachärztlichen Gutachten auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (VGH BW, B.v. 2.5.2000 - 11 S 1963/99 - InfAuslR 2000, 435).

Zwar gehen die verschiedenen Berichte auch auf die Auslösekriterien ein. Die vom Kläger geschilderten Geschehnisse, die das Auslösekriterium erfüllen sollen, werden aber allein den geschilderten Symptomen und der Verhaltensbeobachtung gegenübergestellt. Ihre äußere, objektive Ereignisseite bleibt in den Befundberichten im Allgemeinen, wird also weder hinreichend konkret beschrieben noch sorgfältig oder kritisch hinterfragt. Es fehlt an einer Abklärung, ob die vom Kläger geschilderten Erlebnisse auf wirklich Erlebtem beruhen sowie eine fundierte, ernsthafte und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers. Dies ist bei der Begutachtung einer posttraumatischen Belastungsstörung wohl auch nicht zu leisten. Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung (BayVGH, B.v. 4.11.2016 - 9 ZB 16.30468 - juris Rn. 18f). Fehlt es am Nachweis eines traumatisierenden Ereignisses, ist das Symptomspektrum einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht ausgefüllt.

Aus den psychologischpsychotherapeutischen Befundberichten der den Kläger behandelnden Dipl. Psychologin und psychologische Psychotherapeutin vom 1. Juni 2017, 13. Oktober 2017 und 9. Juli 2018 unter Einbeziehung der Ausführungen der Dipl. Psychologin in der mündlichen Verhandlung lässt sich nicht nachvollziehbar entnehmen, dass der Kläger an einer PTBS leidet. Wie bereits im Urteil im Erstverfahren (Au 8 K 16.31019) und im Eilverfahren im Beschluss vom 23. Juli 2018 (Au 8 S 18.31294) festgestellt, fehlt es an einer fundierten, ernsthaften und nachvollziehbaren Auseinandersetzung der Therapeutin mit den Angaben des Klägers. Diese werden vielmehr als wahr unterstellt und zur Grundlage der Diagnose gemacht, ohne dass darauf eingegangen wird, dass diese Angaben sowohl im Bescheid im Erstverfahren des Bundesamts vom 3. Juni 2016 und im Urteil im Erstverfahren vom 7. Juni 2017 als unglaubhaft eingestuft worden sind. Auch wenn der Psychotherapeutin das Urteil des Verwaltungsgerichts im Erstverfahren bei Erstellung des Befundberichts vom 13. Oktober 2017 vorgelegen hat, findet im Bericht keine Auseinandersetzung mit der vom Gericht festgestellten Unglaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers statt. Der Kläger hat bei der Therapeutin offensichtlich auch erstmals angegeben, dass er von den Taliban als Jugendlicher geschlagen worden sei. Dies wird von der Psychotherapeutin u.a. auch als Grundlage der Diagnose der Posttraumatische Belastungsstörung zugrunde gelegt, obwohl der Kläger bei seiner ersten Anhörung durch das Bundesamt angegeben hat, persönlich mit den Taliban keine Probleme gehabt zu haben.

Auch ist nach der Rechtsprechung darzulegen, warum eine Erkrankung nicht bereits früher geltend gemacht wurde, wenn -wie im Fall des Klägers - die PTBS erst frühestens 2017 und somit fünf Jahre nach Einreise des Klägers Ende 2012 vorgebracht wird. Selbst wenn zutreffen sollte, dass der Kläger bereits von Juli bis August an vier Sitzungen einer Stabilisierungsgruppe bei ... teilgenommen hat, und er, wie er in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, ungefähr drei Monate auf einen Platz zur Behandlung bei ... hat warten müssen, hat jedenfalls von August 2014 bis Anfang 2017 keine Behandlung des Klägers stattgefunden. Insoweit findet sich in den vorgelegten Berichten keine Begründung dafür, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist.

Psychotische Symptome wurden von der Psychotherapeutin „nur“ teilremittiert, d.h. gegenwärtig nicht mehr vorliegend, festgestellt. Die von der Psychotherapeutin festgestellten Panikattacken im Sinne einer Panikstörung (ICD-10:F41.0) wurden von den Fachärzten nicht (substantiiert - dazu unten) als Diagnose festgestellt.

Aus den fachärztlichen Attesten des den Kläger behandelnden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie vom 26. Mai 2017, vom 19. Oktober 2017 und vom 10. August 2018 lässt sich zwar nach wie vor entnehmen, dass der Kläger an einer Posttraumatische Belastungsstörung leide, aber auch im aktuellen Attest vom 10. August 2018 wurden keine Ausführungen dazu gemacht, in wie weit sich der Arzt damit auseinander gesetzt hat, dass das Bundesamt und das Verwaltungsgericht im Erstverfahren das Vorbringen des Klägers als unglaubhaft eingestuft haben und der behandelnde Arzt diese Angaben als wahr unterstellt. Auch eine Erklärung, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist, fehlt nach wie vor (vgl. dazu schon Urteil im Erstverfahren, Rn. 19). Auch die Diagnose einer Panikstörung entspricht nicht den gesetzlich normierten und qualifizierten Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG. Dem Attest vom 10. August 2018 lässt sich nun erstmals entnehmen, dass „letztlich die Diagnose e iner Panikstörung (ICD-10:F41.0) gestellt wurde“. Den Ausführungen lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob der Arzt selbst die Diagnose gestellt hat oder diese Diagnose nur von anderen Berichten übernommen hat, und erst recht nicht, aufgrund welcher Umstände diese fachliche Beurteilung erfolgt ist. Auch die Feststellung „dissoziativer Momente“ (ICD-10:F44.8) erfolgt ohne Darlegung, auf welcher Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist.

Ausweislich des aktuellen vorläufigen Arztbriefes der ... vom 8. Oktober 2018 befindet sich der Kläger seit Anfang August das zweite Mal stationär im ... Als Diagnose lassen sich eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10:F33.2) und eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10:F43.1) entnehmen. Wie bereits im Urteil im Erstverfahren festgestellt, fehlt es auch hier (nach wie vor) an einer Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers, die als wahr unterstellt werden, ohne auf eine gegenteilige Auffassung des Bundesamts und des Verwaltungsgerichts einzugehen. Im aktuellen Bericht finden sich darüber hinaus keine neuen Ausführungen im Vergleich zum Arztbrief vom 12. April 2017. Psychotische Symptome und Panikattacken werden nicht festgestellt.

Das Gericht teilt im Übrigen die Einschätzung des Gerichts im Erstverfahren, dass der Kläger gesundheitlichen Einschränkungen unterliegt, die jedoch nicht zu einer wesentlichen oder lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung führen bzw. eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung nicht ausgeschlossen ist im Heimatland. Zwar ist nun eine Medikation enthalten. Grundsätzlich ist jedoch insoweit zu berücksichtigen, dass die dem Kläger bereits früher verordneten Medikamentenwirkstoffe nach der Auskunftslage auch im Herkunftsland verfügbar sind (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 2.3.2017, Länderinformationsblatt Afghanistan, S. 173; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 5.4.2017, Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung, S. 6 f.) und somit eine weitere Behandlung insoweit gewährleistet ist. Das Abschiebungsverbot dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Die Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland. Es stellt allein den Schutz vor einer gravierenden, existentiellen Beeinträchtigung von Leib und Leben sicher (vgl. OVG NW, B.v. 14.6.2005 11 A 4518/02.A - juris Rn. 22).

Aus dem Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung und den Feststellungen der vorgelegten Atteste ergibt sich für das Gericht vielmehr der Eindruck, dass der Kläger nicht wegen zielstaatsbezogener Probleme, sondern wegen inlandsbezogener Probleme psychischer Behandlung bedarf. So hat der Kläger zweimal in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er Panikattacken bekomme, wenn er davon höre, dass jetzt auch Leute mit Duldung abgeschoben würden. Dies deckt sich auch mit den Feststellungen der den Kläger behandelnden Psychotherapeutin im Befundbericht vom 13. Oktober 2017, wonach es dem Kläger nach dem Entzug der Arbeitserlaubnis und der Verunsicherung bezüglich seines Aufenthalts so schlecht gegangen sei, dass er stationär im ... behandelt werden musste. Auch der Facharzt führt im Bericht vom 10. August 2018 aus, dass die aktuellen Entwicklungen im Asylverfahren nach dem Urteil vom 23. Juli 2018 zu einer „depressiv suizidalen Dekompensation mit Symptomen wie oben beschrieben“ geführt hätten. Im vorläufigen Arztbrief der ... vom 8. Oktober 2018 wird festgestellt, dass der Kläger weiterhin ausgeprägte Ängste vor der anstehenden Gerichtsverhandlung und der drohenden Abschiebung angebe. Des Weiteren zeigt die zeitliche Entwicklung des Gesundheitszustands des Klägers nach Auffassung des Gerichts, dass der Kläger letztendlich durch die Entwicklung seines Asylverfahrens psychisch belastet ist. So war er zwar wohl viermal bei einer Stabilisierungsgruppe von ... im Juli und August 2014, beim Facharzt, im ... und bei ... war er letztendlich jedoch erst nach Erlass des ablehnenden Bescheids. Eine mit der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit eines Bleiberechts für Deutschland und einer etwaigen bevorstehenden bzw. angedrohten Rückkehr in das Heimatland einhergehende Gefährdung bzw. Verschlechterung des Gesundheitszustandes rechtfertigt jedoch für sich genommen regelmäßig kein Abschiebungsverbot. Indem das Asylgesetz ebenso wie etwa das Aufenthaltsgesetz die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, nimmt es in diesem Zusammenhang vielfach zu erwartende Auswirkungen auf den gesundheitlichen und insbesondere auf den psychischen Zustand der Betroffenen in Kauf und lässt diese nur beim Vorliegen besonderer Umstände, die durch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ihre Begrenzung erfahren, als Abschiebungsverbote gelten (vgl. zu inlandsbezogenen Abschiebungsverboten: OVG NW, B.v. 15.9.2004 - 18 B 2014/04 - juris Rn. 8; B.v. 4.11.2005 - 18 B 94/05 - juris Rn. 7; B.v. 17.2.2006 - 18 B 52/06 - juris Rn. 6 m.w.N.).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 4 Subsidiärer Schutz


(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 51 Wiederaufgreifen des Verfahrens


(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn 1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen g

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 29 Unzulässige Anträge


(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn1.ein anderer Staata)nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oderb)auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertragesfür die Durchführung des Asylverfahr

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 71 Folgeantrag


(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltung

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Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 19. Okt. 2018 - Au 8 K 17.34930 zitiert oder wird zitiert von 10 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 19. Okt. 2018 - Au 8 K 17.34930 zitiert 10 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 29. Nov. 2017 - 13a ZB 17.31251

bei uns veröffentlicht am 29.11.2017

Tenor I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. III. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht

Verwaltungsgericht Regensburg Beschluss, 05. Sept. 2018 - RN 7 K 16.32563

bei uns veröffentlicht am 05.09.2018

Tenor Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt. Gründe I. Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzstatus, weiter h

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2016 - 9 ZB 16.30468

bei uns veröffentlicht am 04.11.2016

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. Der Kläger ist seinen A

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 18. Okt. 2016 - Au 3 K 16.30949

bei uns veröffentlicht am 18.10.2016

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Tatbestand Die Kläger, eine dreiköpfige Familie ohne Ausweispapiere, gehören der Volksgruppe der Hazara an und

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 26. Apr. 2018 - 9 ZB 18.30178

bei uns veröffentlicht am 26.04.2018

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. Der Kläger, Staatsangehöriger

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2018 - 10 ZB 18.30105

bei uns veröffentlicht am 24.01.2018

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Ber

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 07. Juni 2017 - Au 8 K 16.31019

bei uns veröffentlicht am 07.06.2017

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Tatbestand Der Kläger, nach eigenen Angaben am ... 1992 in ... (Afghanistan)

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2018 - 10 ZB 16.30735

bei uns veröffentlicht am 10.01.2018

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der zulässige Antrag auf Zulassung der

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 11. Apr. 2018 - A 11 S 924/17

bei uns veröffentlicht am 11.04.2018

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 17. Januar 2017 - A 5 K 2774/16 - wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelassen. T

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 17. Jan. 2018 - A 11 S 241/17

bei uns veröffentlicht am 17.01.2018

Tenor Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. Oktober 2016 - A 2 K 3108/16 - wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand

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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Der Kläger, nach eigenen Angaben am ... 1992 in ... (Afghanistan) geboren und afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit beantragte am 21. Januar 2013 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asyl.

Im Rahmen des Datenabgleichs wurde als Einreisedatum der 19. Dezember 2012 erfasst. Er habe die Schule bis zur fünften Klasse besucht. Seine wirtschaftliche Situation sei gut. In seiner Heimat lebe noch die Großfamilie.

Bei der Anhörung nach § 25 AsylG am 21. Mai 2013 beim Bundesamt gab der Kläger an, eine Tazkira und Reisepass in Afghanistan zu haben. Er habe den Pass vor ca. sechs Jahren beantragt, weil er in den Iran gewollt habe. Seine Eltern, ein Bruder und eine Schwester befänden sich immer noch in seiner Heimat. Sein Bruder (...) sei acht Jahre alt und seine Schwester (...) etwas älter als er und bereits verheiratet. Weitere Geschwister habe er nicht. Ferner lebten noch mehrere Onkel und Tanten im Heimatland. Er habe mit seiner Familie auf dem landwirtschaftlichen Hof gearbeitet, die wirtschaftliche Situation sei durchschnittlich gewesen. Afghanistan habe er im Juli 2008 verlassen. Er sei über den Iran und die Türkei nach Griechenland gelangt, wo er sich von Ende 2008 bis Dezember 2012 aufgehalten habe. Für die Schleusung bis nach Griechenland habe er 7.000 US-Dollar bezahlt. Das Geld habe er von der Verpachtung eines Teils seines Landes erwirtschaftet.

Zum Verfolgungsschicksal befragt erklärte der Kläger im Wesentlichen, dass ein Onkel Mitglied der islamistischen Partei „Hezb-e-Islami“ gewesen sei und er von Gegnern vor ca. 20 Jahren bei einem Bombenanschlag, der eigentlich dem Anführer der Bewegung gegolten habe, getötet worden sei. Zwei Monate vor seiner Ausreise im Jahr 2012 habe es wegen der früheren Ereignisse Schüsse gegeben, rund eineinhalb Monate später sei er wiederum beschossen worden. Sein Vater habe ihm erklärt, dass dies mit den Ereignissen in der Vergangenheit zusammenhänge. Auf Nachfrage führte der Kläger aus, dass die Kinder der von seinem Onkel getöteten Personen nunmehr Rache an ihm nehmen würden. Sein Vater sei nicht bedroht worden, ältere Personen würde man in Ruhe lassen. Er persönlich habe mit den Taliban oder anderen öffentlichen Stellen keine Probleme gehabt, nur in der Schule, in die er gegangen sei, habe es eine Explosion gegeben. Dabei seien auch zwei seiner jüngeren Brüder getötet worden. Nach Afghanistan könne er nicht zurück. Er sei in den letzten beiden Monaten vor der Ausreise zweimal beschossen worden.

Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 3. Juni 2016, zugestellt am 2. Juli 2016, den Asylantrag ab (Nr. 2), erkannte weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zu (Nrn. 1 und 3) und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen (Nr. 4). Die Abschiebung nach Afghanistan wurde angedroht (Nr. 5) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate befristet (Nr. 6). Der klägerische Vortrag sei unglaubhaft. Es sei nicht nachvollziehbar, dass 20 Jahre nach der Tötung seines Onkels und des Parteiführers gerade der Kläger für die Tat büßen solle. Der Kläger verfüge über familiäre Beziehungen und habe Land verpachtet, so dass seine wirtschaftliche Existenz gesichert erscheine.

Hiergegen ließ der Kläger am 11. Juli 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben. Für ihn ist zuletzt beantragt,

1. den Bescheid des Bundesamts in den Ziffern 4 bis 6 aufzuheben und 

2. die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

Am 3. August 2016 legte das Bundesamt die dort geführten Akten vor, äußerte sich aber nicht zur Sache.

Mit Beschluss vom 8. September 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Mit Telefax vom 31. Mai 2017 und 1. Juni 2017 legte die Prozessbevollmächtigte des Klägers diverse Atteste vor, wonach der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung und schweren depressiven Episode leide. Aufgrund der Suizidalität sei der Kläger nicht in der Lage, seine wirtschaftliche Existenz zu sichern.

Das Bezirkskrankenhaus ... diagnostizierte laut Bericht vom 9. Mai 2017 eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen und eine posttraumatische Belastungsstörung. Der Kläger habe sich vom 4. März bis 13. April 2017 in stationärer Behandlung befunden. Er habe Zukunftsängste geäußert und Probleme beim Einschlafen gehabt. Er habe Sehnsucht nach seiner Familie und zugleich Angst vor einer Abschiebung. Laut biographischer Anamnese habe der Kläger zwei Geschwister, vier seiner Brüder wären schon verstorben, zwei als Babys und zwei wären bei einem Bombenanschlag in der Schule ums Leben gekommen. Sein Clan habe eine Fehde mit einem anderen Familienverband, weil sein Onkel ein Mitglied des verfeindeten Clans ermordet hätte. Er rechne mit Vergeltung. Laut psychischem Befund bei der Aufnahme würden sich keine Hinweise auf Suizidalität ergeben. Zum Zeitpunkt der Entlassung bestünde ebenfalle keine akute Selbst- und Fremdgefährdung. Eine gewisse affektive Besserung sei erreicht worden.

Laut fachärztlichen Befundbericht von, Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie,, vom 26. Mai 2017 wurde beim Kläger eine schwere depressive Episode mit psychotischen Anteilen, eine somatisierte Depression sowie eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Zur Vorgeschichte wurde ausgeführt, dass der Kläger seine Heimat wegen zweier Mordanschläge aus Rache für zwei von seinem Onkel ermordete Personen verlassen habe. Nach Ablehnung im Asylverfahren habe sich sein Befinden verschlechtert. Nach dem Befund vom 7. Februar 2017 bestünde kein Hinweis für eine akute Suizidalität. Hinsichtlich des weiteren Verlaufs werden u.a. eine Angst vor Blutrache im Heimatland und die Ungewissheit im Asylverfahren als destabilisierende Faktoren geschildert. Weiter werden Erinnerungen an die Tötung seiner acht- bzw. neun Jahre alten Brüder, Konflikte mit einem verfeindeten Clan und die andauernde Bedrohung durch diesen sowie die beiden Mordanschläge dargelegt. Eine Exposition des Klägers in seine Heimat sei mit erheblichen Gefahren für Leib und Leben verbunden, eine neuerliche suizidale oder psychotische Dekompensation sei nicht auszuschließen.

..., Psychologin bei, diagnostizierte beim Kläger laut Befundbericht vom 1. Juni 2017 ebenfalls eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, teilremittiert, und lehnte eine Rückführung wegen extremer Destabilisierung und damit zu erwartender deutlicher Verschlechterung der depressiven Symptomatik ab. Nach Angaben des Klägers seien drei weitere Brüder noch vor seiner Geburt bei einem Bombenanschlag auf eine Schule getötet worden. Er selber habe die weiterführende Schule wegen der räumlichen Nähe zur verfeindeten Großfamilie nicht besuchen können. Nach Entzug der Arbeitserlaubnis und wegen der Unsicherheiten hinsichtlich seines Aufenthalts in Deutschland habe er Anfang des Jahres stationär behandelt werden müssen. Der Kläger sei dringend und langfristig behandlungsbedürftig.

Am 7. Juni 2017 fand mündliche Verhandlung statt. Die Klage wurde in der mündlichen Verhandlung auf die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten beschränkt. Das Gericht hat den von der Klagerücknahme erfassten Verfahrensteil per Beschluss abgetrennt, unter dem Az. Au 8 K 17.33331 fortgeführt und eingestellt. Im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten verhandeln und über die Klage entscheiden, da die Ladung den Hinweis nach § 102 Abs. 2 VwGO enthielt.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt, dass auch wegen der Erkrankungen des Klägers zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nicht angenommen werden können. Aus den vorgelegten Attesten gehen zwar die Diagnosen hervor, allerdings liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Hierzu verhalten sich die vorgelegten Atteste nicht hinreichend deutlich, da nur allgemein von einer „deutlichen Verschlechterung“ bzw. einer „nicht auszuschließenden Dekompensation“ die Rede ist, ohne dass dies näher quantifiziert wird, zumal das Bezirkskrankenhaus ... im Befundbericht vom 9. Mai 2017 keine Hinweise mehr auf akute Selbst- und Fremdgefährdung sieht. Nach dem Befund von ... vom 26. Mai 2017 besteht ebenfalls kein Hinweis für eine akute Suizidalität. Hinzu kommt, dass, wenn wie hier das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt wird und die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich ist, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen (siehe zum Ganzen: BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 2.12.2013 – 11 ZB 13.30303 – juris Rn. 8; B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 7).

Diesen Anforderungen werden die vorgelegten Atteste nicht gerecht: Der Kläger ist vor fasst neun Jahren aus seiner Heimat aus- und nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Griechenland vor rund viereinhalb Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er hat aber erst im Zusammenhang mit der Ablehnungsentscheidung des Bundesamts und dem Entzug der Arbeitserlaubnis Erkrankungen auf dem psychiatrischen Gebiet geltend gemacht bzw. sich in Behandlung begeben. Eine tragfähige und schlüssige Begründung dafür, warum der Kläger seine auf (traumatisierende) Erlebnisse in seinem Heimatland zurückzuführende Erkrankungen nicht früher behandeln hat lassen und geltend gemacht hat, hat der Kläger nicht angegeben. Ferner entbehren die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen einer Abklärung, ob bzw. inwieweit die vom Kläger geschilderten Erlebnisse auf wirklich Erlebtem beruhen. Es fehlt an einer fundierten, ernsthaften und nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers. Diese werden vielmehr als wahr unterstellt und zur Grundlage der Diagnose gemacht, ohne dass sich diese so aus dem Vortrag des Klägers im Asylverfahren ergeben hätten. Die Feststellung der behaupteten traumatisierenden Ereignisse aber ist Gegenstand der gerichtlichen Sachverhaltswürdigung und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 7).

Das Bundesamt hat im Asylerstverfahren das vom Kläger geltend gemachte Vorfluchtgeschehen insgesamt als unglaubhaft eingestuft. Auch für das Gericht ergeben sich aus den im streitgegenständlichen Bescheid dargelegten Gründen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des klägerischen Vorbringens. So ist es für das Gericht schlichtweg nicht nachvollziehbar, weshalb erst nach einem Zeitraum von 20 Jahren wegen Handlungen eines Onkels am Kläger Rache verübt werden soll, zumal dieser Onkel seinerseits bei einem Anschlag ums Leben gekommen sei. Schließlich sind auch die Darstellungen zu den weiteren Fluchtgründen unstimmig. So gab der Kläger zu Beginn der Anhörung an, neben den beiden namentlich genannten Geschwistern keine weiteren Brüder und Schwestern zu haben. Später erklärte er dann, dass zwei jüngere Brüder bei einem Bombenanschlag auf die Schule getötet worden seien. Dies deckt sich aber wiederum nicht zu den eigenanamnestischen Angaben in den ärztlichen Befundberichten. Dort ist einmal von drei getöteten Brüdern die Rede (..., vom 1.6.2017 S.2), an anderer Stelle wird von vier mittlerweile verstorbenen Geschwistern gesprochen (Bezirkskrankenhaus, vom 9.5.2017 S. 2). Außerdem wird nicht klar, ob sein Onkel seinerzeit Partei- oder Familienfeinde getötet habe (siehe hierzu bspw. BA-Akte Bl. 47; Bezirkskrankenhaus, vom 9.5.2017 S. 2). Schließlich sind auch die Angaben in zeitlicher Hinsicht widersprüchlich, da der Kläger im Jahr 2012 Opfer des Anschlagsversuchs gewesen sein will, vorher aber erklärte bereits im Juli 2008 sein Heimatland verlassen zu haben (BA-Akte Bl. 46). Es bestehen angesichts dieser konträren Schilderungen Zweifel an dem Vorliegen der behaupteten traumatisierenden Ereignisse.

Hinzu kommt, dass die ärztlicherseits festgestellten Symptome ihre Ursache (auch) in der derzeitigen Aufenthaltssituation inklusive der Trennung von der Familie haben. Indes führt eine mit der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit eines Bleiberechts für Deutschland und einer bevorstehenden Rückkehr in das Heimatland einhergehende Gefährdung bzw. Verschlechterung des Gesundheitszustandes für sich genommen regelmäßig nicht zu einem Abschiebungsverbot. Indem das Asylverfahrensgesetz ebenso wie etwa das Aufenthaltsgesetz die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, nimmt es in diesem Zusammenhang vielfach zu erwartende Auswirkungen auf den gesundheitlichen und insbesondere auf den psychischen Zustand der Betroffenen in Kauf und lässt diese nur beim Vorliegen besonderer Umstände, die durch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ihre Begrenzung erfahren, als Abschiebungsverbote gelten (vgl. zu inlandbezogenen Abschiebungsverboten: OVG NW, B.v. 15.9.2004 – 18 B 2014/04 – juris Rn. 8; B.v. 4.11.2005 – 18 B 94/05 – juris Rn. 7; B.v. 17.2.2006 – 18 B 52/06 – juris Rn. 6 m.w.N.).

Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger gesundheitlichen Einschränkungen unterliegt. Allerdings ist bei den den Stellungnahmen zugrunde gelegten Symptomen nicht zu erkennen, wie hierdurch auch bei einer fehlenden Behandlungsmöglichkeit wesentliche oder lebensbedrohliche Gesundheitsbeeinträchtigungen hervorgerufen werden können. Auch bei Depressionen treten nicht zwangsläufig erhebliche Gefahren für Leib oder Leben ein, wenn die Behandlung nicht durchgeführt wird. Gleiches gilt für eine posttraumatische Belastungsstörung; auch diese stellt im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Erkrankung dar, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet (vgl. VG Stuttgart, U.v. 14.3.2017 – A 11 K 7407/16 – juris Rn. 69). Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern; eine abschiebungsschutzrelevante Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt deshalb nicht vor, wenn lediglich eine Heilung eines Krankheitszustandes des Ausländers im Abschiebungsfall nicht zu erwarten ist (vgl. OVG NW, B.v. 14.6.2005 – 11 A 4518/02.A – AuAS 2005, 189; B.v. 27.1.2015 – 13 A 1201/12.A – juris Rn 32 m.w.N.). Hinzu kommt, dass eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung nicht von vornherein ausgeschlossen ist (siehe Schweizer Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung, vom 5.4.2017). Angesichts der wirtschaftlichen Situation des Klägers (s.u.) steht nicht fest, dass der Kläger die erforderliche ärztliche und medikamentöse Behandlung in Afghanistan nicht erhalten wird.

Schließlich ergibt sich eine extreme allgemeine Gefahrenlage für den Kläger weder in seiner Heimatregion noch in Kabul als möglichem Zielort der Abschiebung im Hinblick auf die allgemeine Versorgungslage. Er ist volljährig, arbeitsfähig und mit den Lebensverhältnissen in Afghanistan vertraut. Die wirtschaftliche Situation der Familie wurde als gut geschildert. Der Kläger bzw. seine Eltern verfügen beispielsweise über Grundbesitz, welcher teilweise verpachtet wird. Zumindest Verwandte mütterlicherseits leben in Afghanistan. Das Gericht ist daher der Überzeugung, dass der Kläger jedenfalls in seiner Heimat ggf. mit Unterstützung seiner (Groß)Familie seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann (vgl. BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309; B.v. 14.12.2016 – 13a ZB 16.30139 – Rn. 4, 6 m.w.N.). Im Übrigen sind unter Berücksichtigung der Auskunftslage insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer vergleichsweise guten Position, die durchaus auch Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts eröffnet (vgl. BayVGH, U.v. 13.5.2013 – 13a B 12.30052 – juris Rn. 12). Schließlich stehen ihm auch Rückkehrhilfen zur Verfügung (vgl. VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – Au 3 K 16.30949 – juris Rn. 21 m.w.N.), die jedenfalls für die Anfangszeit einer Wiedereingliederung des Klägers in die afghanischen Verhältnisse sein Auskommen sichern, bis er aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt sichern kann (aus GARP-Mitteln 500 Euro je Erwachsener, aus ERIN-Mitteln ca. 700 Euro, näher dazu VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – Au 3 K 16.30949 – juris Rn. 21 m.w.N.).

Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34, § 38 Abs. 1 AsylG.

Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn

1.
ein anderer Staat
a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder
b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist,
2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat,
3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird,
4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder
5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.

(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.

(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.

(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Das Gleiche gilt für den Asylantrag eines Kindes, wenn der Vertreter nach § 14a Abs. 3 auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet hatte.

(2) Der Ausländer hat den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, gelten die §§ 47 bis 67 entsprechend. In den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder wenn der Ausländer nachweislich am persönlichen Erscheinen gehindert ist, ist der Folgeantrag schriftlich zu stellen. Der Folgeantrag ist schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen, wenn

1.
die Außenstelle, die nach Satz 1 zuständig wäre, nicht mehr besteht,
2.
der Ausländer während des früheren Asylverfahrens nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
§ 19 Abs. 1 findet keine Anwendung.

(3) In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden. § 10 gilt entsprechend.

(4) Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vor, sind die §§ 34, 35 und 36 entsprechend anzuwenden; im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) ist § 34a entsprechend anzuwenden.

(5) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Die Abschiebung darf erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden.

(6) Absatz 5 gilt auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) kann der Ausländer nach § 57 Abs. 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes dorthin zurückgeschoben werden, ohne dass es der vorherigen Mitteilung des Bundesamtes bedarf.

(7) War der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt, gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht. Die §§ 59a und 59b gelten entsprechend. In den Fällen der Absätze 5 und 6 ist für ausländerrechtliche Maßnahmen auch die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhält.

(8) Ein Folgeantrag steht der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

III. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag aus nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. August 2017 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig, „ob volljährigen und arbeitsfähigen afghanischen Männern … bei einer Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit … infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG droht“ und „ob arbeitsfähige afghanische Männer, die … faktische Iraner sind, sich ihren Lebensunterhalt jedenfalls in Kabul sicherstellen können, wenn sie kein sie stützendes familiäres Netzwerk in Afghanistan haben“. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes lägen nicht vor, beruhe auf überholten Erkenntnissen. Mittlerweile müsse von einer ernsthaften individuellen Bedrohung für alle Zivilpersonen gesprochen werden. Dies ergebe sich aus zahlreichen, im Einzelnen genannten Stellungnahmen und Berichten, etwa aus der Schnellrecherche der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 19. Juni 2017. Andererseits seien die Einschätzungen des Auswärtigen Amts nicht neutral, sondern politisch gesteuert und geformt, wie allerdings auch einige Einschätzungen flüchtlingsfreundlicher Organisationen. Die Verschlechterung der Sicherheitslage und insbesondere der Versorgungslage werde auch in Medienberichten der FAZ, des Deutschlandfunks und anderer Organisationen und Presseorgane bestätigt. Die Erwirtschaftung des Existenzminimums sei nicht möglich.

Das Verwaltungsgericht hat die Voraussetzungen von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und damit einen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes verneint (UA S. 8 f.). Dem Kläger drohe bei einer Rückkehr kein ernsthafter Schaden im Sinn des § 4 AsylG. Im Übrigen sei der Kläger auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul oder einer anderen Großstadt zu verweisen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor (UA S. 10).

Das entspricht der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Dieser geht weiterhin davon aus, dass für die in der Zentralregion gelegene Stadt Kabul (und auch für ganz Afghanistan) die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht vorliegen. Auch ist die Lage in Afghanistan nicht so, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, B.v. 21.8.2017 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris unter Bezugnahme auf U.v. 12.2.2015 –13a B 14.30309 – juris und Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167). Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris; U.v. 12.2.2015 a.a.O.; U.v. 30.1.2014 – 13a B 13.30279 – juris). Auf ein stützendes Netzwerk kommt es nicht an. Etwas anderes ergibt sich auch nicht deshalb, weil der Kläger im Iran geboren und dort aufgewachsen ist. Nach der auch vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs besteht für Afghanen, die sich nicht in Afghanistan aufgehalten haben, jedenfalls dann, wenn sie – wie der Kläger – eine der Landessprachen (hier: Dari) beherrschen, die Chance, durch Gelegenheitsarbeiten etwa in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen (BayVGH, B.v. 12.4.2017 – 13a ZB 17.30230 – juris; U.v. 12.2.2015 –13a B 14.30309 – juris; U.v. 24.10.2013 – 13a B 13.30031 – juris Rn. 22 = KommunalPraxisBY 2014, 62 -LS-). Eine Rückkehr nach Afghanistan scheitert grundsätzlich nicht am fehlenden vorherigen Aufenthalt im Heimatland. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Betroffene eine der beiden Landessprachen spricht

Die klägerischen Ausführungen zur Verschlechterung der Sicherheits- und Versorgungslage bieten keinen Anlass, im Rahmen eines Berufungsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten. Sie berücksichtigen nicht die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, wann eine für die Gewährung subsidiären Schutzes notwendige erhebliche individuelle Gefährdung anzunehmen sein kann (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56). Danach bedarf es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos (BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454). Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und von 11.418 Opfern in Afghanistan (nach UNAMA) liegt die Gefahrendichte im Jahr 2016 landesweit erheblich unter 0,12% oder 1:800. Selbst dieses Risiko wäre weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (BVerwG, B.v. 17.11.2011 a.a.O. Rn. 23). Die bisher bekannt gewordenen Zahlen für 2017 bewegen sich in etwa in der gleichen Größenordnung. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe nennt ebenfalls keine anderen Zahlen.

Soweit der UNHCR im Dezember 2016 („Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern“) unter Bezugnahme auf die UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 und in weiteren Publikationen auf die Verschlechterung der Sicherheitslage hinweist, folgt hieraus nichts anderes. Vor dem Hintergrund anhaltender Besorgnis in Bezug auf die Sicherheitslage werden dort Empfehlungen für den Schutzbedarf ausgesprochen und verschiedene Risikoprofile aufgezeigt, ohne dass Zahlen genannt würden, die die bisherige Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs in Frage stellen könnten. Die dortige Bewertung beruht zudem auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben. Des Weiteren sind auch nach dessen Auffassung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben (Richtlinien vom 19.4.2016, S. 10). Im Übrigen geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan nicht derart ist, dass jede Überstellung dorthin notwendig Art. 3 EMRK verletzt (vgl. EGMR, U.v. 11.7.2017 – S.M.A./Netherlands, Nr. 46051/13 Rn. 53; U.v. 11.7.2017 – Soleimankheel and others/Netherlands, Nr. 41509/12 Rn. 51; U.v. 11.7.2017 – G.R.S./Netherlands, Nr. 77691/11 Rn. 39; U.v. 11.7.2017 – E.K./Netherlands, Nr. 72586/11 Rn. 67; U.v. 11.7.2017 – E.P. and A.R./Netherlands, Nr. 63104/11 Rn. 80; U.v. 16.5.2017 – M.M./Netherlands, Nr. 15993/09 Rn. 120; U.v. 12.1.2016 – A.G.R./Niederlande, Nr. 13442/08 – NVwZ 2017, 293 Rn. 59). Insoweit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 9. April 2013 (H. and B./United Kingdom, Nr. 70073/10 Rn. 92 f.) festgestellt, dass es in Afghanistan keine allgemeine Gewaltsituation gibt, die zur Folge hätte, dass allein wegen der Abschiebung einer Person dorthin tatsächlich die Gefahr von Misshandlungen gegeben sei. In den vorgenannten Urteilen hat er angesichts der ihm mittlerweile vorliegenden Informationen an dieser Einschätzung festgehalten.

Aus den sonstigen Ausführungen und Hinweisen auf Presseartikel im Zulassungsantrag ergeben sich ebenfalls keine anderen Ausgangsdaten, die darauf schließen ließen, dass die vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Erkenntnisse zwischenzeitlich unrichtig oder überholt wären. Die vom Kläger zitierte Stellungnahme von Stahlmann (Asylmagazin 2017, 73) zur humanitären Lage von Rückkehrenden liefert ebenfalls keine anderen Erkenntnisse. Vielmehr wird dort in gleicher Weise betont, dass sich die Gefahr für die Zivilbevölkerung nur in der Gesamtschau kriegerischer, terroristischer und diktatorischer Gewaltformen erschließe und ein allein an Opferzahlen orientierter Ansatz der Problematik nicht gerecht werden könne (vgl. auch Stahlmann, Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, ZAR 2017, 189).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Tenor

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird

abgelehnt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzstatus, weiter hilfsweise Abschiebungsschutz.

Der am …1997 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, Volkszugehöriger der Hazarer und schiitischen Glaubens. Er reiste laut BÜMA am 3.12.2015 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22.4.2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung gemäß § 25 AsylG (Asylgesetz) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 23.8.2016 gab der Kläger Folgendes an: Er habe in Afghanistan am 28.10.2015 verlassen. Er habe dort seit 2005 bis zu seiner Ausreise in Kabul, Stadtteil … … gelebt. Die Reise auf dem Landweg habe 5000 – 6000 US Dollar gekostet. Seine Eltern seien verstorben. Er habe niemanden in Afghanistan. Die Geschwister hielten sich in Deutschland oder in Istanbul auf, Onkel und Tanten seien überall verstreut. Er sei bis zur zehnten Klasse in die Schule gegangen. Er habe in einer Bäckerei gearbeitet, früher hätten sie selbst einen eigenen Laden gehabt, in dem sie Kekse verkauft hätten, diesen aber später aufgegeben. Seine Mutter sei 2013 an einer Krebserkrankung gestorben. Im Jahr 2015 sei sein Vater auf dem Weg in eine andere Provinz vom Fahrzeug heruntergezerrt und von den Taliban erschossen worden. Dann sei die ganze Verantwortung auf ihn als Familienoberhaupt zugekommen. Weil sie aus W. gewesen seien, hätten sie bei Behördenangelegenheiten immer dorthin den gefährlichen Weg nehmen müssen. Er habe nach dem Tod seines Vaters dann ständig Angst gehabt, dass er eines Tages auch getötet werde und er nicht in der Lage wäre für seine Familie zu sorgen. Nach diesen Problemen familiärer Art und weil er für seine jüngeren Brüder habe sorgen müssen hätten sie sich entschlossen Afghanistan zu verlassen. Sie hätten ständig Angst gehabt. Keiner habe sich um sie gekümmert. Sie seien Richtung Iran gegangen und von dort aus nach Europa. Nahe Verwandte und Bekannte des Vaters hätten ihnen dabei geholfen. In der Türkei seien sie getrennt geworden. Zwei Schwestern und zwei Brüder seien dort geblieben. Auf Nachfrage: Er persönlich sei nicht direkt bedroht worden. Sein Onkel väterlicherseits habe mit dem Fremden gearbeitet. Seine Familie sei bekannt gewesen. Seinen Vater hätte dies auch bedroht. Zwei Onkel in Kanada hätten früher mit den Amerikanern zusammen gearbeitet, ein Onkel, der jetzt in Deutschland sei, für die Caritas. Befragt, was er bei einer Rückkehr befürchten würde gab er an, es gebe dort kein Leben. Er sei unruhig, habe schlaflose Nächte. Er fürchte nicht mehr ans Ziel zu kommen. Er leide psychisch darunter. Auch als Hazara hätten sie in Afghanistan keine Sicherheit.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 22.9.2016 wurde in Ziffer 1 der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und in Ziffer 2 der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt. In Ziffer 3 des Bescheids wurde der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt. In Ziffer 4 des Bescheids wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. In Ziffer 5 forderte das Bundesamt den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, würde er nach Afghanistan abgeschoben. Er könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfte oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. In Ziffer 6 wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde laut Bundesamtsakte am 23.9.2016 als Einschreiben zur Post gegeben.

Mit am 6.10.2016 beim Verwaltungsgericht Regensburg eingegangenem Schriftsatz seiner Bevollmächtigten ließ der Kläger gegen den Bescheid Klage erheben. Zur Begründung wird vorgebracht, dem Kläger würde in Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgung durch die Taliban drohen, weil diesen bekannt sei, dass der Vater und der Onkel des Klägers für ausländische Organisationen gearbeitet hätten. Zumindest habe er Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes. Jedenfalls lägen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots vor, da der – noch sehr junge – Kläger an einer psychischen Erkrankung leide. Es wurde hierzu eine gutachterliche Stellungnahme des Dr. …, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, vom 31.3.2017 vorgelegt. Wie darin nachvollziehbar dargelegt werde, leide der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die im Zusammenhang mit seinen Erlebnissen in Afghanistan stünden und wegen derer er eine längerfristige psychotherapeutische Behandlung benötige. Der Kläger gehöre deswegen als besonders schutzbedürftige Person zum Kreis der Flüchtlinge mit einem besonderen Risikoprofil im Sinne der UNHCR-Richtlinien, für die eine Existenzmöglichkeit unter den Lebensbedingungen in Afghanistan nicht bestehe. Im Falle einer Rückkehr hätte der Kläger im Hinblick auf die in Afghanistan bestehenden Mängel im Gesundheitswesen und das Erfordernis, über finanzielle Mittel verfügen zu müssen, nicht nur keinen Zugang zu der für ihn notwendigen Behandlung, was aus allen Erkenntnismitteln deutlich hervorgehe. Er wäre auch im Hinblick auf seine besondere Verletzlichkeit nicht in der Lage, sich ohne Unterstützung von Verwandten im täglichen Überlebenskampf durchzusetzen. Über Verwandte verfüge er nicht mehr.

Der Kläger beantragt,

  • 1.die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22.9.2016, zugestellt am 27.9.2016, zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen,

  • 2.hilfsweise, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen,

  • 3.weiter hilfsweise festzustellen, dass für den Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen,

  • 4.dem Kläger unter Beiordnung der Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 5.9.2018 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichterin übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf die übermittelte Bundesamtsakte Bezug genommen.

II.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung ist nach Maßgabe von § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. §§ 114, 121 der Zivilprozessordnung (ZPO) ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers abzulehnen, weil der Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg zukommt. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.

1. Im Bescheid vom 22.9.2016 hat das Bundesamt im Hinblick auf seine Anhörung nach § 25 AsylG ausführlich und zutreffend dargestellt und ohne erkennbare Rechtsfehler begründet, warum die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG sowie subsidiärer Schutz nicht zuerkannt werden kann und die Voraussetzungen der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall des Klägers nicht erfüllt sind. Das Gericht folgt deshalb nach summarischer Prüfung den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts (§ 77 Abs. 2 des Asylgesetzes (AsylG)).

Soweit im Klageverfahren pauschal vorgebracht wird, dass sich Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes aus der Tätigkeit des Vaters für eine ausländische Organisation ergeben würden, bleibt offen, worauf sich der Kläger insoweit konkret beruft. Beim Bundesamt hat der Kläger nichts davon erwähnt, dass der Vater für eine ausländische Organisation gearbeitet hätte. Er hat allerdings angeführt, dass Onkel von ihm für die Caritas bzw. für die Amerikaner gearbeitet hätten, allerdings blieb auch der Vortrag hierzu unkonkret und vage und ist nicht geeignet, eine entsprechende Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.

Eine andere Beurteilung ergibt sich im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung nach § 77 Abs. 1 AsylG auch nicht nach Auswertung der neuesten Erkenntnisquellen zur Sicherheitslage. Gesamtbetrachtend führt die Lage in Afghanistan nicht dazu, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zu gewähren wäre (vgl. etwa BayVGH, B.v. 16.1.2018 – 13a ZB 17.30687; B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris; B.v. 8.11.2017 – 13a ZB 17.30615 – juris;).

2. Auch soweit nun im Klageverfahren im Hinblick auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen erstmals eine posttraumatische Belastungsstörung geltend gemacht wird, ergibt sich keine andere Beurteilung. Die Voraussetzungen für die hilfsweise begehrte Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG (menschenrechtswidrige Behandlung) bzw. nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht erfüllt.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solche ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st. Rspr. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG; vgl. BVerwG‚ U.v. 29.10.2002 – 1 C 1.02 – DVBl 2003, 463; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – BVerwGE 105‚ 383 m.w.N.). Eine „erhebliche konkrete Gefahr“ im Falle einer zielstaatsbezogenen Verschlimmerung einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung ist daher gegeben, wenn sich der Gesundheitszustand alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat wegen der dortigen Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179; B.v. 17.8.2011 – 10 B 13.11 – juris; BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 16.30007 – juris). Gründe hierfür können nicht nur fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sein, sondern etwa auch die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33).

Der sich auf eine seiner Abschiebung entgegenstehende Erkrankung berufende Ausländer muss diese durch eine qualifizierte, gewissen Mindestanforderungen genügende ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (BayVGH, B.v. 27.11.2017 – 9 ZB 17.31302 – juris Rn. 4). Besondere Anforderungen hierfür gelten nach der ständigen Rechtsprechung im Hinblick auf das Vorbringen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbilds und seiner vielfältigen Symptome bedarf es hierfür regelmäßig eines fachärztlichen Attests, das den Mindestanforderungen genügt. So muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – juris).

Das Gericht hat im Rahmen der summarischen Prüfung bereits erhebliche Zweifel, ob die vorgelegte gutachterliche Stellungnahme des Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten zum Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung im Hinblick auf die fachliche Qualifikation des Gutachters ausreicht. Wie in der zitierten Rechtsprechung des BVerwG zu den Anforderungen der Darlegung einer PTBS ausgeführt, bedarf es hierzu regelmäßig einer Vorlage eines fachärztlichen Attestes. Das vorgelegte Gutachten stammt allerdings nicht von einem Facharzt, sondern von einem Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten. Die Aus- bzw. Weiterbildung bzw. die Qualifikation zur Führung des Titels eines „Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten“ muss zwar wie die des „Psychologischen Psychotherapeuten“ Mindestanforderungen erfüllen (vgl. § 5 PsychThG – Zugangsvoraussetzung kann anders als beim Psychologischen Psychotherapeuten aber nicht nur ein Hochschulstudium der Psychologie, sondern auch ein Hochschulstudium der Pädagogik oder Sozialpädagogik sein). Die Rechtsprechung hat im Hinblick darauf und weil die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht nur „regelmäßig“ die Vorlage eines fachärztlichen Attestes fordert auch z.B. die Vorlage eines Gutachtens eines Psychologischen Psychotherapeuten zur Darlegung einer PTBS ausreichen lassen, wenn es die inhaltlichen Mindestanforderungen erfüllt (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 11.8.2016 – Az. 20 ZB 16.30110 – juris).

Es entspricht inzwischen allerdings gefestigter Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468 – juris Rn. 4; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 8; OVG NRW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17A – juris Rn. 19 ff.; OVG LSA, B.v. 28.9.2017 – 2 L 85/17 – juris Rn. 2 ff.), dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG (eingefügt durch Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016, BGBl I 2016, 390) auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn. 7).

§ 60a Abs. 2c Satz 2 und Satz 3 AufenthG fordern dem Wortlaut nach aber eindeutig eine ärztliche Bescheinigung. Der Ausländer muss danach eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine „qualifizierte ärztliche Bescheinigung“ glaubhaft machen. Diese „ärztliche Bescheinigung“ soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die „fachlich-medizinische Beurteilung“ des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach „ärztlicher Beurteilung“ aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Ausnahmen oder eine Einschränkung dahingehend, dass dies nur „regelmäßig“ gefordert wird, enthält die Vorschrift dem Wortlaut nach nicht.

Die vorgelegte Stellungnahme des Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten Dr. Phil. … vom 31.3.20178 zum Gesundheitszustand des Klägers genügt den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG damit schon deshalb nicht, weil sie nicht von einem approbierten Arzt erstellt wurde (so auch VG München, B.v. 18.10.2017 – M 21 S 17.33668 – juris Rn. 29 unter Verwies auf BT-Drucks. 18/7538 S. 19; VG Augsburg, U.v. 17.5.2018 – Au 6 K 17.31062 – juris Rn 58).

In dem Gutachten wurde unabhängig davon auch inhaltlich nicht entsprechend den Anforderungen der Rechtsprechung und des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG eine PTBS mit entsprechendem Schweregrad und Behandlungsbedürftigkeit dargelegt, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im beschrieben Sinne darstellt.

Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die beschriebene Erkrankung offenbar weder in der Zeit seit der Einreise bis zur Begutachtung (ca. 15 Monate) dazu geführt hat, dass der Kläger um ärztliche oder sonst fachkundige Hilfe nachgesucht hat, noch in der Zeit nach der Begutachtung eine entsprechende Behandlung eingeleitet worden wäre.

Zwar wird ausgeführt, der Kläger benötige eine längerfristige psychotherapeutische Behandlung. Grundvoraussetzung sei aber eine gesicherte Aufenthaltssituation. Solange der Kläger sich durch eine mögliche Abschiebung bedroht fühle, könne keine Therapie erfolgreich sein. Auch wenn das Gericht keine ausreichende Fachkunde für eine eigene Beurteilung hat, spricht der Umstand, dass nach dem Gutachten derzeit akut eine Behandlung (Medikamente, Psychotherapie etc.) unabhängig von der Notwendigkeit einer längerfristigen Therapie nicht gesehen wird nicht dafür, dass das Krankheitsbild eine Schwere aufweist, wie es das Gesetz für die Feststellung von Abschiebungshindernissen fordert.

Wie ausgeführt muss sich aus einem Gutachten zum Vorliegen einer PTBS zudem nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Begutachter seine Diagnose gestellt hat, insbesondere auch ob die geschilderten Beschwerden durch die eigene erhobenen Befunde bestätigt werden und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Es muss Aufschluss über die Schwere der Krankheit und deren Behandlungsbedürftigkeit geben. Insoweit ist der pauschale Verweis auf die Notwendigkeit einer längerfristigen psychotherapeutischen Behandlung unter der Voraussetzung einer gesicherten Aufenthaltssituation wenig konkret und nicht ausreichend. Auch ist nach der angeführten Rechtsprechung dazulegen, warum der Erkrankung nicht früher geltend gemacht wurde, nachdem erst 15 Monate nach der Einreise und nach der Ablehnung des Asylantrags eine PTBS vorgebracht wurde. Zu verweisen ist auch darauf, dass das Krankheitsbild einer PTBS grundsätzlich ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes voraus setzt, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (vgl. z.B. OVG NRW v. 13.6.2018, 13 A 1080/18.A – juris Rn. 15). Soweit hierzu im Gutachten (Ziffer 5) ausgeführt wird, der Kläger sei als Kind und Jugendlicher in Afghanistan und auf dem Fluchtweg nach Deutschland wiederholt massiven direkten und beobachteten Traumatisierungen/Gewalterfahrungen schutzlos ausgesetzt gewesen, er sei hierdurch schwerst traumatisiert worden, fällt schon auf, dass weder im Rahmen der vom Gutachter dargelegten Anamnese noch in den Schilderungen des Klägers beim Bundesamt von Traumatisierungen/Gewalterfahrungen auf dem Fluchtweg die Rede ist. Auch soweit in der Anamnese ausgeführt wird, der Kläger habe berichtet, er könne gar nicht alles aufzählen, was er in all den Jahren als Kind und Jugendlicher in Kabul/Afghanistan erlebt habe; er sei Augenzeuge von schlimmsten Gewalttaten (Bombenexpolsionen, Anschläge durch Selbstmordattentäter) in Kabul gewesen, bleibt dies zeitlich und auch im Hinblick auf das konkret Erlebte allgemein und vage. Es ergibt sich zudem nicht, dass der Gutachter diese Schilderungen einer eigenen kritischen Betrachtung unterzogen hätte.

Insgesamt hat das Gericht keine durchgreifenden Zweifel, dass der Kläger in psychischer Hinsicht erheblich belastet ist. Insoweit weist der Gutachter auch nachvollziehbar auf die Belastung durch den unsicheren Aufenthaltsstatus hin. Eine PTBS bzw. psychische Erkrankung ausreichender Schwere, die zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis führt, ist aber nicht dargelegt.

Aus den genannten Gründen ergibt sich auch kein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf die humanitären Bedingungen im Abschiebezielstaat (vgl. BVerwG v. 31.1.2013, 10 C 15/12 – juris), da die anzuwendenden Gefahrenmaßstäbe weitgehend übereinstimmen. Insbesondere ergibt sich aus den dargelegten Gründen auch nicht, dass der Kläger infolge einer Erkrankung zumindest sein Existenzminimum in seinem Heimatland, z.B. durch Gelegenheitsarbeiten, etc. erwirtschaften könnte.

Nach alledem bietet die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Diese Entscheidung ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 17. Januar 2017 - A 5 K 2774/16 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt im Berufungsverfahren gegenüber der Beklagten nur noch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und hilfsweise die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots.
Der nach seinem Vorbringen 1995 oder 1998 in Bamyan geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger schiitischer Religionszugehörigkeit.
Er reiste nach seinem Vortrag am 18. Mai 2016 nach Deutschland ein und stellte am 24. Mai 2016 einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes.
Bei der Anhörung durch das Bundesamt am 7. Juni 2016 gab der Kläger an, in der Heimat habe er bei einem Onkel gelebt, weil seine Eltern getötet worden seien, als er sieben Jahre alt gewesen sei. Der Onkel lebe in Kandahar in einem gemieteten Haus. Er handele mit Trockenfrüchten. Er, der Kläger, habe keine Schule besucht und auf dem Bau gearbeitet. Als Hazara und Schiit sei er durch die Taliban gefährdet. Vor der Flucht sei er vier bis fünf Tage von den Taliban in einem Granatapfelgarten festgehalten worden. Die Taliban hätten ihn als Kämpfer rekrutieren wollen. Sie hätten ihn geohrfeigt und mit einem Stock geschlagen. Er habe zunächst eingewilligt. Er sei jedoch geflohen, als er sich habe verstecken sollen, weil eine Attacke der afghanischen Streitkräfte vermutet worden sei. Er habe einen Bach als Versteck genutzt, und sei durch den Garten entkommen. Für eine Stunde sei er zu seinem Onkel gegangen. Danach habe er Afghanistan verlassen. Eine Alternative habe er nicht gesehen.
Mit Bescheid vom 15. Juli 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag ab. Gleichzeitig entschied es, dass nationale Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Weiterhin erging die Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall nicht fristgerechter Ausreise drohte das Bundesamt die Abschiebung nach Afghanistan an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. In der Begründung heißt es u.a.: Das Vorbringen des Klägers sei nicht glaubhaft. Es sei detailarm, vage und oberflächlich. Dies gelte insbesondere für die Schilderung der Situation des Aufenthalts bei den Taliban. Auch seien keine Umstände der vorgebrachten Rekrutierung durch die Taliban geschildert worden. Konkrete Fragen habe der Kläger nur knapp und wiederholend beantwortet. Wie die Tage im Granatapfelgarten abgelaufen seien, sei trotz Nachfragen offen geblieben. Zudem sei es nicht realistisch, dass innerhalb des nur einstündigen Aufenthalts beim Onkel eine beträchtliche Summe für die Flucht zur Verfügung gestellt habe werden können. Im Übrigen habe dem Kläger eine Fluchtalternative zur Verfügung gestanden.
Der Kläger erhob am 12. August 2016 Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg und trug vor, er habe sich seiner Zwangsrekrutierung durch die Taliban widersetzt. Am 20. September 2015 sei er von Taliban verschleppt worden. An diesem Tag habe er frei gehabt. Zwei bewaffnete Personen hätten ihn in einem Auto entführt. Man habe ihn geschlagen und getreten. Zum Schein habe er eine Zusammenarbeit zugesagt. Er habe u.a. Schießübungen absolvieren müssen. Er habe sich fünf Nächte in der Gewalt der Taliban befunden. Am 5. Tag habe er bei einem Angriff von Regierungstruppen auf das Ausbildungscamp fliehen können. Zu Fuß habe er sich zu seinem Onkel begeben. Nach einer Stunde hätten sie sich in ein Restaurant begeben, wo sie einen Schlepper getroffen hätten. Die Reise habe 4.500 US-Dollar gekostet. Er habe u.a. beim Onkel hinterlegte Ersparnisse gehabt.
Die Beklagte trat der Klage aus den Gründen des angegriffenen Bescheids entgegen.
Das Verwaltungsgericht hörte den Kläger in der mündlichen Verhandlung an.
Mit Urteil vom 17. Januar 2017 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte u.a. aus: Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, die Taliban hätten ihn festgesetzt, damit er als Kämpfer für sie tätig sei. Bei einem Angriff von Regierungstruppen auf das Ausbildungscamp habe er fliehen können. Mit diesem Vortrag könne der Kläger seiner Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Das Gericht nehme dem Kläger sein Vorbringen nicht ab. Der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung sei wie schon beim Bundesamt sehr allgemein gehalten gewesen. Er sei blass und detailarm und wirke distanziert. Zudem habe es unerklärliche Ungereimtheiten gegeben. Dabei habe das Gericht wohlwollend berücksichtigt, dass der Kläger aus einem anderen Kulturkreis stamme und - wie er angegeben habe - nicht zur Schule gegangen sei. Die Kammer sei aber davon überzeugt, dass der Kläger allgemeine Erkenntnisse zur Situation in Afghanistan zur Konstruktion eines eigenen Verfolgungsschicksals verwendet habe. Das Vorbringen des Klägers sei sehr pauschal gehalten und farblos gewesen. Es habe sich auf allgemeine Angaben wie, er sei „erst einmal zusammengeschlagen worden", er habe zugestimmt, dass er „mit denen arbeiten werde", beschränkt. Auch die einschneidenden Fluchtmodalitäten habe der Kläger ganz allgemein und ohne Angabe von Einzelheiten wiedergegeben. So habe er lediglich angegeben, bei Beginn der Schießerei mit den Regierungstruppen habe er seine Waffe niedergelegt und sei geflüchtet. Anschauliche Einzelheiten seien trotz mehrerer Nachfragen des Gerichts nicht genannt geworden. Gleiches gelte für die Ausreisemodalitäten im Land Afghanistan selbst. Anschauliche Details seien dem Kläger auch insoweit nicht zu entlocken gewesen. Bereits im Hinblick darauf habe die Kammer zu keinem Zeitpunkt den Eindruck gehabt, dass der Kläger von tatsächlich Erlebtem berichtet habe. An dieser Beurteilung könne auch der Vortrag des Klägers nichts ändern, es habe im Büro seines Rechtsanwalts möglicherweise Übersetzungsfehler des Dolmetschers gegeben. Die Beurteilung des Vorbringens des Klägers ergebe sich bereits aus dem Verlauf der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht unabhängig von der Vorbereitung der Klagebegründung. An der Beurteilung des Gerichts ändere auch die Tatsache nichts, dass der Kläger nach seinem Vertrag Analphabet sei. Nach den Erfahrungen des Gerichts seien Analphabeten sehr wohl in der Lage, einen Sachverhalt detailreich und anschaulich darzustellen, wenn er sich denn wirklich so ereignet habe. Im Übrigen habe der Kläger über sein angebliches Verfolgungsschicksal ungereimt widersprüchlich und gesteigert berichtet. Völlig neu sei das Vorbringen des Klägers, ein Bekannter habe ihm in der Schweiz (vor der Einreise nach Deutschland) gesagt, er, der Kläger, werde konkret von den Taliban gesucht. Davon sei beim Bundesamt nie die Rede gewesen. Es hätte sich dem Kläger aufdrängen müssen, diesen Sachverhalt anzusprechen, wenn er sich denn wirklich so ereignet gehabt hätte. Über die Dauer der Festsetzung durch die Taliban und die Art der Misshandlungen seien ebenfalls unterschiedliche Angaben gemacht worden. Dies überrasche deshalb, weil die maßgeblichen Ereignisse noch nicht lange zurücklägen. Nicht nachvollziehbar sei für das Gericht auch, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung zu den beiden Personen, die ihn angeblich in ein Auto verfrachtet hätten, überhaupt nichts habe sagen können, weil diese ihm die Augen verbunden hätten. Der Kläger müsse diese Personen aber zunächst gesehen haben. So sei dann auch noch in der Klagebegründung angegeben worden, die beiden Personen seien bewaffnet gewesen. Ungereimt sei dabei dann auch das Vorbringen des Klägers, er sei im Camp zunächst zusammengeschlagen worden, und erst später sei es um seine Mitarbeit bei den Taliban gegangen. Schließlich habe es auch bei den finanziellen Ausreisemodalitäten eine gravierende Ungereimtheit gegeben. So habe der Kläger beim Bundesamt noch angegeben, er habe sich nach der Flucht aus dem Ausbildungscamp ca. eine Stunde beim Onkel aufgehalten und sei dann sofort gegen einen hohen Geldbetrag ausgereist. Das Geld habe er mitgenommen. Nachdem dem Kläger im ablehnenden Bescheid des Bundesamts dann vorgehalten worden sei, es sie unrealistisch, innerhalb einer Stunde einen erheblichen Geldbetrag (in US-DoIIar) aufzubringen, habe der Kläger sein Vorbringen dahin modifiziert, dass das Geld erst einige Zeit später nach Griechenland übersandt worden sei. Davon sei beim Bundesamt nicht ansatzweise die Rede gewesen.
10 
Das Urteil wurde dem Kläger am 27. Januar 2017 zustellt.
11 
Am 27. Februar 2017 stellte der Kläger einen Zulassungsantrag, dem der Senat durch Beschluss vom 4. April 2017 - zugestellt am 12. April 2017 - teilweise in Bezug auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote entsprach.
12 
Am 11. Mai 2017 reichte der Kläger unter Stellung eines Berufungsantrags die Berufungsbegründung ein. Er trägt u.a. vor: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes. Er habe angesichts der in humanitärer Hinsicht katastrophalen Situation in Afghanistan und unter Berücksichtigung der sich ständig verschärfenden Sicherheitslage eine Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zu befürchten. Es sei nicht wahrscheinlich, dass er das zum Überleben notwendige Existenzminimum werde erwirtschaften können. Aufgrund des vom Kläger in der Provinz Kandahar Erlebten könne ihm nicht zugemutet werden sich in dieses Gebiet zurückzubegeben. An anderen Orten in Afghanistan befänden sich indes keine Familienangehörigen. Frau Stahlmann führe jedoch in ihrem Aufsatz „Überleben in Afghanistan? - Zur humanitären Lage von Rückkehrern und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" aus, dass diese akut in ihrem Überleben gefährdet seien, wenn sie keine verlässliche Unterstützung durch bestehende soziale Netzwerke hätten. Der Kläger könne sich ferner auch auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG berufen. Insoweit sei insbesondere auch darauf hinzuweisen, dass sich die Bundesregierung bis heute nicht in der Lage sehe, die angeblich sicheren Landesteile, die betroffenen Ausländern als interner Schutz im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG dienen sollen, konkret zu benennen.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 17. Januar 2017 - A 5 K 2774/16 - teilweise zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 15. Juli 2016 zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass hinsichtlich Afghanistan ein nationales Abschiebungsverbot vorliegt.
15 
Die Beklagte tritt der Berufung aus den Gründen des angegriffenen Urteils entgegen und beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung zu seinen Fluchtgründen angehört; insoweit wird auf die Niederschrift vom 11. April 2018 verwiesen.
18 
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten verweist der Senat auf die gewechselten Schriftsätze. Ihm lagen die Akten des Bundesamts als Ausdruck sowie die Akten des Verwaltungsgerichts vor.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
20 
Dem Kläger kommt weder der geltend gemachte Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes noch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots zu. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erweist sich daher als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
I.
21 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes, da er keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsstaat ein ernsthafter Schaden droht, § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Dies gilt für alle drei Varianten des ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 AsylG.
22 
1. Dem Kläger droht weder die Verhängung noch die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG).
23 
2. Ebenso wenig droht ihm Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Der Kläger bringt nicht mit Erfolg vor, individuell unmittelbar von dem Eintritt eines ernsthaften Schadens bedroht zu sein. Soweit er sich auf die Gefährdungen beruft, die sich aus den allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan ergeben, fehlt es insoweit bereits an einem Verfolgungsakteur im Sinne des § 3c AsylG und des Art. 6 RL 2011/95/EU.
24 
a) Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die Vorschrift der Umsetzung der RL 2011/95/EU dient, ist sie in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b RL 2011/95/EU auszulegen. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen, zu verstehen.
25 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 Rn. 220 m.w.N. sowie vom 11.07.2006 - 54810/00 - (Jalloh/ Deutschland), NJW 2006, 3117 Rn. 67; BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 Rn. 22 ff. m.w.N.; siehe auch Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff. und Jarass, Charta der Grundrechte, 3. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 9.
26 
Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen.
27 
Siehe auch Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff.
28 
Im Rahmen des subsidiären Schutzes gilt für die Beurteilung der Frage, ob ein ernsthafter Schaden droht, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2f RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“).
29 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 20; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.03.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
30 
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der der Prognose zugrunde zu legen ist, gilt unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlitten hat: Ein solcher Umstand stellte aber einen ernsthafter Hinweis dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies folgt aus der Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU.
31 
b) aa) Ausgehend von diesen Maßstäben besteht keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Klägers im Falle seiner Rückkehr. Denn der Senat glaubt dem Kläger nicht, dass er die von ihm berichteten Geschehnisse im Zusammenhang mit einer Zwangsrekrutierung bzw. Entführung durch die Taliban tatsächlich erlebt hat.
32 
Das Gericht trifft seine Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge vielfach befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind.
33 
Unter Berücksichtigung des beschriebenen Beweisnotstands kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu, weswegen allein der Tatsachenvortrag des Schutzsuchenden zum Erfolg der Klage führen kann, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft" sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann.
34 
Grundlegend: BVerwG, Urteile vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 567, juris Rn. 16 und vom 29.11.1977 - I C 33.71 -, juris, beide m.w.N.; außerdem: BVerwG, Beschlüsse vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, NVwZ-RR 2011, 382 und vom 08.03.2007 - 1 B 101.06 -, BeckRS 2007, 22701; vgl. dazu auch Stuhlfauth, in: Bader, u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 108 VwGO Rn. 8, m.w.N.
35 
So sieht auch Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95/EU unter bestimmten Umständen vor, dass die Einlassung des Schutzsuchenden ausreichend sein kann und es keiner Nachweise seiner Aussagen bedarf. Und zwar dann, wenn dieser sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen, alle ihm verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen, und er eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben hat, festgestellt wurde, dass seine Aussagen kohärent und plausibel sind und sie zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, er internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat (es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war) und schließlich auch seine generelle Glaubwürdigkeit festgestellt worden ist.
36 
Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 22.11.2012 - C-277/11 - (M.M./Irland), NVwZ 2013, 59.
37 
Es ist demzufolge zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden berücksichtigt werden.
38 
Dazu BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, NVwZ 1990, 171, juris Rn. 3 und 4; OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 2632/06.A -, BeckRS 2013, 55090 juris Rn. 59.
39 
Mit anderen Worten: Für die richterliche Überzeugungsbildung ist eine bewertende Gesamtschau des gesamten Vorbringens des Schutzsuchenden unter Berücksichtigung seiner individuellen Aussagekompetenz und seiner Glaubwürdigkeit erforderlich, die die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso berücksichtigt wie die Plausibilität des Vorbringens, an der es etwa fehlen kann, wenn nachvollziehbare Erklärungen fehlen oder unterbleiben, falsche oder missverständliche Urkunden nicht erklärt werden können bzw. wenn Beweise oder Vorbringen ohne nachvollziehbaren Grund verspätet vorgebracht werden.
40 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.01.2018 - A 11 S 241/17 -, juris Rn. 50 ff.; International Association of Refugee Law Judges, Assessment of Credibility in Refugee and Subsidiary Protection claims under the EU Qualification Directive, Judicial criteria and standards, https://www.iarlj.org/images /stories/Credo/Credo_Paper_March 2013-rev1.pdf, Seite 33 f.).
41 
bb) Die Einlassungen des Klägers zu der angeblich erlebten Rekrutierung durch Kräfte der Taliban sind nicht glaubhaft, da sie in inhaltlich wesentlichen Teilen nicht kohärent sind und es auch an zentralen Stellen an einer überzeugenden Schilderung der Vorgänge mangelt und somit die Einlassung keine hinreichende Substanz aufweist.
42 
Dieses hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, weshalb der Senat zunächst hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen verweist (vgl. § 130b Satz 2 VwGO). Hieran hat auch die Anhörung des Senats nichts Grundlegendes geändert. Im Gegenteil: Es sind weitere Unstimmigkeiten hinzugekommen. Zunächst ist auch trotz entsprechender Befragung durch den Senat im Dunkeln geblieben, wie der Kläger den Taliban entkommen konnte. Von sich aus hat er zunächst überhaupt nichts Erhellendes beigetragen, sondern schlicht davon gesprochen, er sei „irgendwie“ entkommen. Aber auch diesbezügliche Nachfragen haben keine plausible Schilderung ergeben, wie der Kläger, der seinem Vortrag nach zwangsweise rekrutiert und festgehalten worden war, relativ problemlos hatte entkommen können, indem er beispielsweise „die Waffe in eine Ecke gestellt habe“, und das, obwohl sicherlich die Taliban ihn ständig unter Kontrolle gehabt haben werden. Weiter wurde der Zeitraum, den er von den Taliban festgehalten wurde, entgegen der schließlich eindeutigen Angabe in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Verwaltungsgericht wiederum abweichend genannt. Die von ihm geschilderte Kontaktaufnahme des Onkels mit dem Schleuser ist in mehrfacher Hinsicht wenig nachvollziehbar und auch widersprüchlich. Hatte er gegenüber dem Bundesamt noch keine nachvollziehbaren Angaben gemacht, erklärte er gegenüber dem Verwaltungsgericht, dass man sich in einem Restaurant getroffen habe. In der mündlichen Verhandlung war aber von einem Restaurant mit keinem Wort die Rede, vielmehr wollte man sich - so zunächst - auf dem Marktplatz getroffen haben, sodann auf einem Platz, auf dem viele Märtyrer getötet worden seien, von dem auch viele Busse abführen. Erst auf den Vorhalt seiner abweichenden Angaben beim Verwaltungsgericht erklärte der Kläger, dass auf dem Märtyrerplatz die Schleuser ihre Plätze hätten, nämlich Restaurants und Hotels. Dass es sich dabei um einen wenig tauglichen Versuch handelt, die Ungereimtheiten aus der Welt zu schaffen bzw. zu glätten, liegt für den Senat auf der Hand. Auch die Übergabe des Geldes an den Schlepper wurde vom Kläger unterschiedlich geschildert. Beim Bundesamt erklärte er, er habe das Geld mitgenommen. Vor dem Verwaltungsgericht war davon die Rede, dass der Schlepper das Geld erst erhalten sollte, wenn er - der Kläger - in Griechenland angekommen sei. Nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung soll der Schlepper eine erste Rate sogleich erhalten haben, während eine zweite Rate nach der Ankunft im Iran zu zahlen war. Auf die Frage des Senats, ob sich der Onkel nicht vor der Bezahlung der zweiten Rate vergewissert habe, dass er auch im Iran angekommen sei, erklärte der Kläger, er habe über das Telefon des Schleusers Kontakt mit dem Onkel aufgenommen und mit dem Onkel zwei, drei Worte oder Sätze gewechselt. Auf Vorhalt seiner Einlassung gegenüber dem Verwaltungsgericht, wonach der Onkel gar kein Telefon habe, sprach er davon, dass der Schleuser (ein zweiter Schleuser?) oder jemand anderes ein Telefon gehabt habe.
43 
Dieses zugrunde gelegt lässt sich die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nach den individuellen Schilderungen des Klägers nicht feststellen.
44 
c) Ausgehend von den oben dargestellten Maßstäben besteht auch keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Hinblick auf die Tatsache, dass der Kläger dem Volk der Hazara angehört.
45 
Der Senat hat im Urteil vom 17. Januar 2018 (A 11 S 241/17 -, juris, Rn. 28 - 83), das zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurde, entschieden, dass die Volksgruppe der Hazara keiner flüchtlingsrelevanten Gruppenverfolgung ausgesetzt ist, und dabei maßgeblich darauf abgestellt, dass die erforderliche Verfolgungsdichte nicht festgestellt werden kann. Aus den gleichen Erwägungen kann auch eine Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht festgestellt werden, da insoweit, wie oben ausgeführt (I 2 a), kein unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt. Der Senat verweist in erster Linie auf diese Ausführungen, an denen auch in Ansehung der Ausführungen der Gutachterin Frau Stahlmann festzuhalten ist.
46 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 327 ff.
47 
Zwar sind hiernach in der jüngsten Vergangenheit (vermutlich drei) weitere Anschläge auf schiitische Einrichtungen hinzugekommen
48 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 334 und in diesem Zusammenhang Senatsurteil vom 17. Januar 2018 - A 11 S 241/17 -, Rn. 83,
49 
die Sicherheitslage wird hierdurch aber nicht grundlegend nachteilig verändert. Die abweichende Einschätzung von Stahlmann beruht ersichtlich auf einem anderen Wahrscheinlichkeitsmaßstab, als der für den Senat durch 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG (i.V.m. Art. 3 EMRK) vorgegebene. Wie auch anderen Zusammenhängen ist nach ihren detailreichen Schilderungen zwar nicht von der Hand zu weisen, dass der Eintritt eines schädigenden Ereignisses bei realistischer Betrachtungsweise durchaus im Bereich des Möglichen liegt, allerdings lassen die Ausführungen der Gutachterin und die vielfältigen Beispiele nicht den Schluss zu, dass - auch unter besonderer Berücksichtigung des hohen Rangs der gefährdeten Rechtsgüter - jeder (zurückkehrende) Hazara mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine entsprechende Rechtsgutsverletzung zu gewärtigen hätte.
50 
d) Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Denn es fehlt am erforderlichen Akteur, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG.
51 
Trotz der inhaltlichen Kongruenz von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG („Als ernsthafter Schaden gilt:... Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ...“) und Art. 3 EMRK („Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“)
52 
vgl. Storey, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part D III, Art. 15 Rn. 3 f.
53 
führt das Vorliegen der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nicht zwingend zu einer Zuerkennung subsidiären Schutzes. Denn es reicht nicht aus, dass die Voraussetzungen eines Tatbestandes nach § 4 Abs. 1 AsylG erfüllt sind. Vielmehr sind - neben § 4 Abs. 2 AsylG - gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch die Anforderungen der §§ 3c bis 3e AsylG zu beachten, die für den subsidiären Schutz entsprechend gelten. Erforderlich ist daher, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadens von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten.
54 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris
55 
Es ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt, dass ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15b RL 2011/95/EU eine Situation nicht erfasst, in der eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf fehlende Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit im Herkunftsstaat zurückzuführen ist, solange die notwendige Versorgung nicht absichtlich verweigert wird. Dies folgt u.a. daraus, dass Art. 6 RL 2011/95/EU eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Schäden im Sinne des Art. 15 RL 2011/95/EU müssen daher von bestimmten Dritten verursacht werden.
56 
EuGH, Urteil vom 18.12.2014 - C-542/13 - (M´Bodj), NVwZ-RR 2015, 158, insb. Rn. 35 und 41.
57 
Dies bekräftigend hat auch Generalanwalt Bot ausgeführt, aus der Auslegung von Art. 6 RL 2004/83/EG - der Fall betrifft das Vereinigte Königreich - folge, dass die in Rede stehenden ernsthaften Schäden durch das Verhalten eines Dritten verursacht werden müssen. Ein Anspruch auf subsidiären Schutz ist nämlich nicht schon dann begründet, wenn nachgewiesen wird, dass für den Betroffenen bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestünde. Es muss auch nachgewiesen werden, dass diese Gefahr auf Faktoren beruht, die den Behörden dieses Landes direkt oder indirekt anzulasten und ihnen stets bewusst sind, und zwar entweder weil die Behörden des Staates, dem der Betroffene angehört, ihn persönlich bedrohen oder diese Bedrohung tolerieren, oder weil diese Bedrohung auf unabhängige Gruppen zurückgeht, vor denen die Behörden ihre Staatsangehörigen nicht wirksam schützen können.
58 
GA Bot, Schlussanträge vom 24.10.2017 - C-353/16 - (MP/Vereinigtes Königreich), Rn. 28 - 30.
59 
Insbesondere trifft es nicht zu, dass Art. 3 EMRK eine erweiternde Auslegung von Art 15b RL 2011/95/EU gebieten würde
60 
so aber: Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), dort S. 11.
61 
denn mit einer möglichen Versagung internationalen Schutzes wird unionsrechtlich nicht abschließend darüber entschieden, ob eine Rückführung in den Herkunftsstaat rechtlich zulässig ist, was sich u.a. aus Art. 5 RL 2008/115/EG ergibt. Der zu prüfende Grundsatz der Nichtzurückweisung ist hier umfassend und damit auch auf Art. 3 EMRK bezogen zu verstehen und damit weiter als derjenige aus Art. 33 Abs. 1 GFK.
62 
Vgl. Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part C VII, Art. 5 Rn. 9.
63 
Diese Auslegung von Art. 15b RL 2011/95/EU, die der ständigen Rechtsprechung des Senats entspricht,
64 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris, vom 05.12.2017 - A 11 S 1144/17 -, juris und vom 17.01.2018 - A 11 S 241/17 -, juris
65 
steht im Einklang mit der herrschenden Lehre und Rechtsprechung.
66 
VG Berlin, Urteil vom 10.07.2017 - VG 34 K 197.16 A -, juris Rn. 54; VG Lüneburg, Urteil vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 51 f.; VG Osnabrück, Urteil vom 15.05.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net; außerdem: EASO, Qualification for International Protection Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109; vgl. auch Hinterberger/Klammer, Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen: Die aktuelle EGMR- und EuGH-Rechtsprechung zum Non-Refoulement und deren Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage, NVwZ 2017, 1180 [1181 f.] sowie wohl auch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 32 und Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 60 Rn. 57 zum „nicht in vollem Umfang“ identischen Schutzbereich von § 60 Abs. 5 AufenthG und von § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU/§ 4 AsylG.
67 
An einem somit erforderlichen Akteur fehlt es vorliegend. Denn die humanitäre Lage und die prekären Lebensumstände sind keinem der genannten Akteure nach § 3c AsylG zuzurechnen.
68 
st. Rspr. des erkennenden Senats, VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.01.2018 - A 11 S 1265/17 -, juris Rn. 101 ff.; und vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108, dort zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, sowie auch - anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
69 
Die schlechte Versorgungslage (betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung) wird durch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans, die dort herrschenden Umweltbedingungen (also insbesondere die schwierigen klimatischen Bedingungen sowie Naturkatastrophen) sowie maßgeblich durch die volatile Sicherheitslage negativ beeinflusst und bestimmt. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte. Insbesondere wird weder die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten noch werden all diese Umstände gezielt herbeigeführt.
70 
Vgl. dazu im Folgenden die Darstellungen zu den Lebensverhältnissen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
71 
Soweit teilweise in der Rechtsprechung vertreten wird, die schlechte humanitäre Lage sei überwiegend durch die seit Jahrzehnten herrschenden bewaffneten Konflikte und damit im Sinne von § 3c AsylG auf Aktionen staatlicher und nicht-staatlicher Konfliktparteien, gegen die der Staat keinen Schutz bieten könne, zurückzuführen,
72 
VG Köln, Urteil vom 12.12.2017 - 5 K 3637/17.A -
73 
übersieht dieser Ansatz gerade, dass die Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und damit auch Art. 15b RL 2011/95/EU eine gewisse Zielgerichtetheit des Verhaltens des Akteurs erfordert
74 
EASO, Qualification for International Protection (Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109;
75 
und daher reine Kausalitätserwägungen hier nicht anspruchsbegründend wirken können. Somit scheidet die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Ermangelung eines tauglichen Akteurs aus.
76 
3. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor.
77 
Nach dieser Vorschrift ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht.
78 
a) aa) Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist.
79 
EuGH, Urteil vom 30.01.2014 - C-285/12 - Diakité, NVwZ 2014, 573 Rn. 35
80 
bb) Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt aber außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen.
81 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 43 und vom 30.01.2014 - C-285/12 - Diakité - NVwZ 2014, 573 Rn. 30.
82 
Der für die Annahme einer individuellen Gefahr in diesem Sinne erforderliche Grad willkürlicher Gewalt wird daher umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund solcher individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden etwa als Arzt oder Journalist ergeben, da diese regelmäßig gezwungen sind, sich nahe an einer Gefahrenquelle aufzuhalten. Ebenso können solche Umstände aber auch aus einer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist.
83 
Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
84 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, juris Rn. 13; NdsOVG Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
85 
Das besonders hohe Niveau kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Zustand permanenter Gefährdungen der Bevölkerung und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts festgestellt werden. Vielmehr erfordert die Bestimmung der Gefahrendichte eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung erfolgen.
86 
BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 23 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 - 3 L 53/12 -, juris Rn. 24 ff.; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
87 
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011
88 
10 C 13.10, Rn. 22 und 10 C 11.10, Rn. 20
89 
- bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 (0,125 %) bzw. 1:1.000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen.
90 
Vgl. hieran anknüpfend auch: NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
91 
Im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung sind bei der qualitativen Bewertung insbesondere auch die angewandten Methoden und Taktiken, die in dem Konflikt angewendet werden, die Anzahl der als Konfliktfolge Binnenvertriebenen und die kumulativen Effekte lang andauernder bewaffneter Konflikte und die medizinische Versorgungslage in den Blick zu nehmen.
92 
Vgl. auch EASO, Artikel 15 Buchstabe c der Anerkennungsrichtlinie (2011/95/EU) – Eine richterliche Analyse, Dezember 2014.
93 
Die Bedeutung der kumulativen Effekte lang andauernder bewaffneter Konflikte im Rahmen der Gesamtbetrachtung liegt – jedenfalls auch – darin, die mit zunehmender Konfliktdauer typischer- und vorhersehbarerweise ansteigende Anzahl und die ansteigende Schwere psychischer Erkrankungen als Folge der dauerhaften Bedrohungssituation angemessen zu würdigen. Indes sind solche Folgen schon deswegen nicht bei der quantitativen Betrachtung zu berücksichtigen, weil hier eine angemessene statistische Erfassung im Krisengebiet schlechterdings nicht vorstellbar ist.
94 
cc) Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Der Begriff des „tatsächlichen Zielortes der Rückkehr“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH
95 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 40, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167.
96 
ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat schützt, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat. Auch eine nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage) ändert nichts daran, dass diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz behält. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aus.
97 
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167.
98 
b) Ausgehend von den Angaben des Klägers, vor seiner Ausreise mit seinem Onkel in dessen Haus in der Provinz Kandahar gelebt zu haben, ist auf diese Provinz für die Beurteilung des Anspruchs auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG abzustellen. Das dort vorherrschende Ausmaß an Gewalt genügt eindeutig nicht, um eine tatsächliche Gefahr des Erleidens eines ernsthaften Schadens anzunehmen.
99 
Zwischen dem 1. Januar 2017 und dem 31. Dezember 2017 UNAMA hat 716 Opfer (davon 271 Todesopfer) festgestellt. Die Anzahl der Opfer in der Zivilbevölkerung hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent reduziert.
100 
UNAMA, Annual Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2018 S. 67.
101 
Die Opferzahlen sind im Verhältnis von einer Bevölkerungszahl von rund 1.279.529 Personen
102 
EASO, Country of Origin Information Report – Afghanistan Security Situation, December 2017.
103 
gesehen nicht geeignet, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass eine jede Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, zu begründen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in den Statistiken von UNAMA alle Vorfälle unberücksichtigt bleiben, die nicht von drei unabhängigen, überprüfbaren Quellen bestätigt werden, und daher ausgehend von diesem Ansatz eine Untererfassung der tatsächlichen Vorfälle zwingend vorliegen muss.
104 
vgl. Stahlmann, Gutachten 2018, S. 177.
105 
Denn bei einem von diesen Zahlen ausgehenden rechnerischen Risiko von 0,056 Prozent, als Zivilperson Opfer des Konflikts in Kandahar zu werden, ist auch bei tatsächlich wesentlich höheren Opferzahlen eine tatsächliche Gefahr bei Weitem zu verneinen.
106 
Angesichts dieses bei quantitativer Betrachtung niedrigen Risikos kann die gebotene qualitative Betrachtung im Rahmen der Gesamtbewertung hier auch auf keinen Anspruch des Klägers auf die Gewährung subsidiären Schutzes führen. Denn auch unter Berücksichtigung der mit allein für das Jahr 2017 festzustellenden, extrem hohen Anzahl neuer oder neuerlich Binnenvertriebener in Afghanistan, nämlich über 500.000 Personen,
107 
UNOCHA, Snapshot of Population Movements in 2017.
108 
und in Erwägung des Umstandes, dass der Bevölkerungsanteil, der aufgrund kriegsbedingter Bedrohungen psychisch erkrankt ist, voraussichtlich bei deutlich über 50 Prozent liegen dürfte
109 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 184 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung, 5. April 2017, S. 2 f.
110 
lässt sich eine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für den Kläger allein aufgrund seiner Anwesenheit in seiner Heimatprovinz nicht feststellen. Es liegt hier ein Fall vor, bei dem das aufgrund quantitativer Betrachtungen festgestellte geringe Risiko, aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen in Kandahar getötet oder körperlich verletzt zu werden, schon die Folge hat, dass die qualitative Betrachtung hinsichtlich der allgemeinen, nicht auf individuellen Umständen (mit-)basierenden Gefährdungslage nicht mehr zur Bejahung des Tatbestandes des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG führen kann,
111 
zu dieser Fallgestaltung: BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 22.
112 
Soweit Stahlmann in ihrem Gutachten vom 28. März 2018 ausführt, es bestehe allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan im gesamten Staatsgebiet die Gefahr, einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden,
113 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 9,
114 
handelt es sich insoweit - in Beantwortung der vom Verwaltungsgericht Wiesbaden gestellten Frage - zunächst allein um eine dem erkennenden Senat vorbehaltene rechtliche Würdigung, der auch keine Indizwirkung zukommen kann. Die von ihr sodann geschilderten tatsächlichen Umstände zeigen zwar die besonderen Umstände der innerstaatlich bewaffneten Konflikte in Afghanistan auf, lassen aber zur Überzeugung des Senats keine für den Kläger günstigere Beurteilung zu. Denn die Tatsachen betreffen weit überwiegend Umstände, die allein bei der qualitativen Gesamtbetrachtung zu würdigen sind, die sich hier - wie ausgeführt - aufgrund der verhältnismäßig niedrigen Opferzahlen unter keinen Umständen auswirken kann.
II.
115 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots, weder auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (1.), noch auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (2.).
116 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund der schlechten humanitären Bedingungen in Afghanistan besteht nicht. Denn die rechtlichen Voraussetzungen (a)) hierfür sind unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse in Afghanistan insgesamt (b)) und der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (c)) sowie in Ansehung der der persönlichen Situation des Klägers und insbesondere auch seiner Zugehörigkeit zu den Hazaras nicht gegeben (d)).
117 
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
118 
aa) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
119 
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen.
120 
Vgl. dazu bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 4 sowie insbesondere auch juris Rn. 71 m.w.N.
121 
Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will.
122 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681.
123 
Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt.
124 
BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 5 sowie insbesondere auch juris Rn. 79 ff.; EGMR, Urteile vom 02.05.1997 - 146/1996/767/ 964 - (D./Vereinigtes Königreich), NVwZ 1998, 161; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334; vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland) - NVwZ 2011, 413; vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 und vom 13.10.2011 - 10611/09 - (Husseini/Schweden), NJOZ 2012, 952.
125 
Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 13. Dezember 2016
126 
- 41738/10 - (Paposhvili/Belgien), NVwZ 2017, 1187 Rn. 187 und 189,
127 
aber nunmehr ausdrücklich wiederholt auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung hinweist, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist, wird hinreichend deutlich, dass außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale auch solche sein können, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.
128 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris.
129 
Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw.
130 
Vgl. dazu ausführlich BayVGH, Urteil vom 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, BeckRS 2017, 113717; dieser auch bereits in seinen Urteilen vom 21.11.2014 – 13a B 14.30285 -, BeckRS 2015, 41010 und - 13a B 14.30284 -; dort jeweils eingehend zur Bejahung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen bezüglich Familien mit minderjährigen Kindern wegen der Rahmenbedingungen in Afghanistan (m.w.N.).
131 
Vorliegend sind allein die hohen Anforderungen der letztgenannten Fallgestaltung maßgeblich, da die hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevanten humanitären Verhältnisse in Afghanistan keinem Akteur zuzuordnen sind, sondern auf einer Vielzahl von Faktoren beruhen, darunter die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Umweltbedingungen wie Klima und Naturkatastrophen sowie die Sicherheitslage. Wie bereits ausgeführt ist nicht festzustellen, dass der afghanische Staat, die in Afghanistan aktiven internationalen Streitkräfte oder ein sonstiger (etwa nichtstaatlicher) Akteur die maßgebliche Verantwortung hierfür trügen, insbesondere, dass etwa die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten würde.
132 
so auch schon VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108 sowie auch anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
133 
bb) Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch die des Bundesverwaltungsgerichts
134 
- EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f. und BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 -
135 
machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit, als es die allgemeine Lage in Afghanistan als nicht ausreichend ernst für die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK eingestuft hat, die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation betont.
136 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, insb. Leitsatz 3 -; vgl. auch BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
137 
Dabei kann aber - schon nach der Gesetzessystematik - der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG nicht, insbesondere auch nicht analog, herangezogen werden. Da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind, lassen sich die ggf. erhöhten Anforderungen an eine ausreichende Lebensgrundlage im Fall einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG ebenfalls nicht übertragen.
138 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris Rn. 180; BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
139 
Ein Zusammenhang zwischen Art. 3 EMRK und § 3e AsylG besteht lediglich dergestalt, dass für den Fall, dass die Situation am vermeintlichen Schutzort einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellte, dieser Schutzort den Anforderungen des § 3e AsylG nicht genügen würde.
140 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 85 m.w.N.
141 
cc) Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein.
142 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - (Abdolkhani und Karimnia/Türkei), InfAuslR 2010, 47; Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris; Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330 Rn. 140; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334 sowie Urteil vom 06.02.2001 - 44599/98 - (Bensaid/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2002, 453.
143 
Um eine tatsächliche Gefahr und also auch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verletzung in den von Art. 3 EMRK geschützten Rechten annehmen zu können, bedarf es keiner überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts.
144 
EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330 Rn. 140.
145 
Erforderlich aber auch ausreichend ist danach die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung, was dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht.
146 
BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51 Rn. 22;
147 
Dies bedeutet auch, dass ein gewisser Grad an Mutmaßung dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent sein muss und es hier daher nicht um den eindeutigen, über allen Zweifeln erhabenen Beweis gehen kann, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre.
148 
EGMR, Urteil vom 09.01.2018 - 36417/16 - (X/Schweden) Rn. 50.
149 
dd) Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet.
150 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309.
151 
Dieser Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung ist hier Kabul.
152 
Vgl. zu den Flugverbindungen nach Afghanistan: Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 25 sowie zu den bislang durchgeführten Abschiebungen nach Kabul (etwa am 15. Dezember 2016, 24. Januar 2017, 23. Februar 2017 und am 28. März 2017): Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 12 m.w.N.
153 
Unter Berücksichtigung der landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und gerade der in Kabul ergibt sich, dass unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt.
154 
b) Die relevanten Lebensverhältnisse in Afghanistan und die Situation von Rückkehrern gestalten sich wie folgt:
155 
Afghanistan hat insgesamt etwa 27 bis 34 Millionen Einwohner.
156 
Vgl. dazu Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150: 33,3 Millionen; so auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; vgl. auch „the world fact book“ - Afghanistan auf https://www.cia.gov/ für Juli 2017 geschätzt 34,124,811 Einwohner; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees - Mai 2017 -, S. 55: mindestens 31,5 Millionen; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 18/Rn. 48: mindestens 30 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 2: 29.724.323; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8/Rn. 30: 27 bis 32 Millionen.
157 
Über 40 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre, zwei Drittel unter 25 Jahre alt.
158 
Sam Hall, Urban displaced youth in Kabul - mental health matters, Juni 2016, S. 7.
159 
Geprägt wird das Leben der Menschen im Land von einer schwierigen wirtschaftlichen Situation (aa)) und Versorgungslage (bb)), von prekären humanitären Gegebenheiten (cc)) sowie von einer volatilen Sicherheitslage (dd)). Zudem sehen sich Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zusätzlichen Gefahren ausgesetzt (ee)). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Rückkehrer unter bestimmten Umständen spezielle Unterstützungsmaßnahmen erhalten können (ff)).
160 
aa) Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es belegte im Jahr 2015 den Platz 171 und im Jahr 2016 den Platz 169 von 187 im Human Development Index. Mindestens 36 % der Bevölkerung des Landes leben unter der Armutsgrenze. Teils wird auch von einer Steigerung von 36 % für die Jahre 2007/2008 auf 39 % für die Jahre 2013/2014 berichtet, wobei ein Leben in Armut nach dem hier verfolgten Ansatz vorliegt, wenn das Einkommen unter der Armutsgrenze von 1.150 Afghani (20 US$) pro Monat liegt. Afghanistan weist im Vergleich mit allen asiatischen Ländern den höchsten Anteil armer Menschen auf. Die Zahl derjenigen, die humanitärer Unterstützung bedurften, hat sich von 2016 bis zum Beginn des Jahres 2017 um 13 % auf 9,3 Millionen erhöht. Dabei gibt es regionale Unterschiede. Sie reichen von einem Anteil von 27,7 % der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebt, im Südwesten bis zu 49,7 % im Nordosten.
161 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 176; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 31 f. m.w.N.; Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 3 Fn. 17; World Food Programme, Country Brief, WFP Assistance, Juli 2017.
162 
Bei einer ohnehin schon zuvor schlechten Lage ist seit dem Jahr 2012 ein massiver Einbruch der Wirtschaft zu verzeichnen.
163 
Dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N.
164 
Sie sieht sich in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 konfrontiert mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90 % (von 140.000 internationalen Soldaten auf rund 14.000). Die Abwertung des Afghani gegenüber dem US-Dollar schreitet - bei gleichzeitiger Deflation - immer weiter voran. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum ist kurzfristig nicht in Sicht.
165 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21.
166 
Zudem beruht die Wirtschaft zu großen Teilen auf irregulären und illegalen Aktivitäten, darunter der Opiumhandel.
167 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
168 
Der Vergleich des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts für das Jahr 2012 von 14,4 % mit dem des Jahres 2015, in dem nur noch 0,8 % Wachstum zu verzeichnen waren, macht den für das gesamte Land zu verzeichnenden Einbruch deutlich.
169 
Vgl. dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12 m.w.N.; siehe auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 5.
170 
Seitdem wird das Wachstum auf ein bis zwei Prozent im Jahr geschätzt.
171 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 221.
172 
Auf Grund der abgeschwächten Konjunktur, unter anderem wegen der mangelnden Sicherheit und der politischen Ungewissheit, steht zu erwarten, dass das Bruttoinlandsprodukt allenfalls geringfügig weiterwachsen kann.
173 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 19 m.w.N.
174 
Diese Wirtschaftslage spiegelt sich auch beim Arbeitsmarkt wider, für den uneinheitliche Zahlen vorliegen.
175 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21 zur Bezeichnung der Arbeitsmarktzahlen als schwach und kontrovers ("weak and controversial").
176 
Je nach Quelle und Erfassungsweise werden etwa für das Jahr 2014 Arbeitslosenzahlen von 9,1 % bis 24 % genannt, teils wird - unter Berücksichtigung eines Anteils von 15,3 % unterbeschäftigter Personen - der Anteil der nicht erwerbstätigen Personen sogar mit 40 % angegeben.
177 
Im Einzelnen m.w.N.: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21.
178 
Im Jahr 2015 lag die landesweite Arbeitslosenquote bei 40 %. Der Anteil in den Städten war deutlich höher, da die Landwirtschaft, in der rund 60 % - in ländlichen Regionen sogar 70 % der erwerbstätigen Bevölkerung - tätig sind, weiterhin der stabilste Beschäftigungssektor ist.
179 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (76) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 m.w.N.; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
180 
Auch für den Zeitraum Ende des Jahres 2016 wurde ein Arbeitslosenanteil mit etwa 40 % geschätzt und die Aussichten als sehr düster bezeichnet.
181 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
182 
Ebenso werden für die Jugendarbeitslosigkeit sehr unterschiedliche Größenordnungen genannt. So gibt die Weltbank für das Jahr 2014 einen Anteil von 23 % bezüglich junger Frauen und 16 % hinsichtlich junger Männern an (bei 9,1 % für dieses Jahr im Allgemeinen). Die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten soll um 50 % höher sein als die städtische Arbeitslosigkeit insgesamt.
183 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22.
184 
Aktuelle Erhebungen zur Arbeitslosenquote soll es nicht geben.
185 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 222.
186 
Gerade der städtische Arbeitsmarkt ist durch die bereits erwähnten Änderungen des internationalen Engagements geprägt. Dort waren mit der plötzlichen Ankunft internationaler Organisationen zunächst Qualifikationen gefragt, die auf dem lokalen Arbeitskräftemarkt nach den langen Kriegsjahren tatsächlich Mangelware waren - darunter Englischkenntnisse, Arbeitserfahrung mit der in internationalen Organisationen gepflegten Bürokratie und formelle Ausbildungs- und Studienabschlüsse. Außerdem hatte der Bauboom in den Städten, insbesondere im grundlegend zerstörten und rapide wachsenden Kabul, zunächst einen Markt für ungelernte Arbeitskräfte geschaffen.
187 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (74); zum Arbeitsmarkt in Kabul auch Kohler, InfAuslR 2017, 99 (101) mit Verweis auf Islamic Republic of Afghanistan - Central Statistics Organisation, Socio-Demographic and Economic Survey, Figure 11 und Figure 12, dort allerdings nur für das Jahr 2013.
188 
Damals hatten - in begrenztem Maße - selbst die traditionell familiär organisierten privatwirtschaftlichen Betriebe externe Arbeitskräfte aufgenommen (wenn auch in den Grenzen kriegsbedingter Freund-/Feindschemata, so dass Fremde im Sinne ethnischer, religiöser oder lokaler Zugehörigkeit weiterhin weitgehend ausgeschlossen waren). Diese Entwicklung hat sich allerdings durch den bereits als prägend erwähnten Abzug der internationalen Truppen wieder verflüchtigt. Der Bauboom hat sich als kurzfristig erwiesen und auch der Dienstleistungsbereich ist eingebrochen. Geblieben ist der Umstand, dass zur Erlangung einer der wenigen vorhandenen Arbeitsplätze nicht die schulische oder berufliche Ausbildung, Qualifikation oder Erfahrung ausschlaggebend sind, sondern Beziehungen. Dies gilt für den gesamten Arbeitsmarkt, insbesondere auch für Arbeitsplätze im Staatsdienst.
189 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76); anschaulich hierzu auch die Beispiele von Schuster zur allein durch (teils verwandtschaftliche) Beziehungen gekennzeichnete Einstellungspraxis ohne Rücksicht auf die Qualifikation an der Kabuler Universität und verschiedenen Ministerien: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 15/Rn. 44; vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 und 68; vgl. auch die Beispiele zu Rückkehrern, die trotz Qualifikation mangels Beziehungen keine Beschäftigung fanden: Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 65 ff. m.w.N.; zur „untergeordneten“ Rolle von Eignung, Befähigung und Leistung bei der Verteilung administrativer Ämter auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 7.
190 
Gerade im Bereich der Arbeitsplätze für ungelernte Kräfte ist die Konkurrenz immens. Gerade weil der Bausektor eingebrochen ist, erweist es sich als schwieriger, als Hilfsarbeiter oder Tagelöhner ein Auskommen zu finden. Dazu kommt, dass der Druck auf den Arbeitsmarkt vor allem in Städten rapide zugenommen ist, da die nicht konventionell umkämpften Städte wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif zunächst aufgesucht wurden. Dasselbe gilt für die große Mehrheit der unfreiwilligen Rückkehrer aus Pakistan und Iran, wenn sie keine Chance haben, in Herkunftsorte ihrer Familien zurückzukehren. Dieser Zuzug hat sich zwar vor allem in Kabul abgeschwächt, weil der Zugang zu Hilfen in Relation zu den außergewöhnlich hohen Lebenserhaltungskosten so eklatant unzureichend ist und sich die Sicherheitslage so deutlich verschlechtert hat. Der Zuzug besteht jedoch weiter fort und verschärft somit weiterhin auch die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.
191 
Stahlmann, Gutachten 2018 S. 226 f.
192 
Das vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Kriegs- und Konflikterfahrungen und anhaltender Alltagskriminalität als notwendig und bewährt erachtete System von Beziehungen bzw. Netzwerken ist geprägt durch eine Gegenseitigkeit, eine langfristige und belastbare Reziprozität. Wer in der Lage ist, einen Vorteil - etwa einen Arbeitsplatz - zu verschaffen, verknüpft hiermit die Erwartung, jedenfalls langfristig seinerseits einen Vorteil zu erlangen. Ist vom Arbeitssuchenden keine Gegenleistung zu erwarten, weil dieser nicht über die erforderlichen Beziehungen verfügt, ist nicht oder weniger zu erwarten, dass ihm eine Arbeitsstelle vermittelt wird. Ein entsprechendes Netzwerk ist daher der Schlüssel zum Arbeitsmarkt. Zudem gewährleistet das System der Empfehlungen, dass der Arbeitgeber sich sicher sein kann, dass der Arbeitssuchende, dessen örtliche und ethnische Herkunft sowie familiären Hintergrund er auf Grund der Empfehlung kennt, vertrauenswürdig ist.
193 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67 f.: „Network as key to the job market“; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12. m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12.
194 
So äußerten die meisten Arbeitgeber in einer Befragung zu ihrer Einstellungspraxis, sie nutzten das traditionellste System: Freunde (62,6 %) und Familie (57,9 %). Entsprechend beklagen die Arbeitssuchenden unabhängig von ihren Qualifikationen, dass die Vergabe von Arbeitsstellen von persönliche Verbindungen, sog. „wasita“ (wechselseitige Verbindungen zu Personen mit Macht oder Einfluss), abhängig sei. Erforderlich sind „shanaktht“ (jemanden kennen) und „safarish“ (eine Art Empfehlung). Nur etwa 15 % der Arbeitnehmer werden über den örtlichen Bazar angeworben, der größte Teil der Arbeitsplätze wird über Freunde oder Verwandte erlangt.
195 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67.
196 
Die Beziehungen oder Netzwerke sind vielschichtig. Für manche besteht ihr Netzwerk aus nahen Verwandten, für andere ist es breiter angelegt und kann auch aus Freunden bestehen. Bei Angehörigen der Hazara kommt es vor, dass beim Zuzug in eine neue Stadt ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse oder Wohlfahrtseinrichtung konzentriert ist. Ganz allgemein genügt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie allein noch nicht, um ein solides Netzwerk für die Arbeitssuche zu begründen.
197 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
198 
Es findet sich die Aussage, dass Rückkehrer aus Europa aufgrund ihres sozio-politischen Ausschlusses keinen Zugang zu Netzwerken und ihren Ressourcen hätten. Das Konzept einer alleinstehenden Person entsprechend es europäischen Verständnisses sei in Afghanistan nicht vorhanden, so dass die Hürden beim Zugang zu sozialen Netzwerken für abgeschobene Asylbewerber aus Europa nicht zu überwinden seien. Es sei für viele Afghanen im Wortsinn nicht „denk-bar“, ohne Zugehörigkeit zu sozialen Netzwerken zu überleben, was an der fundamentalen Bedeutung dieser Netzwerke und Familien im Zugang der Kontrolle von existenziellen Ressourcen liege. Die Macht über Vermittlung von Ressourcen und Sicherheit durch Familien und Netzwerke beruhe u.a. darauf, dass in der vorherrschenden Sozialordnung nicht das Individuum, sondern die Familie als kleinste soziale, ökonomische und politische Einheit verstanden werde. Der Versuch, als Individuum ohne soziale Netzwerke Zugang zu neuen sozialen Netzwerken zu bekommen, sei somit schlicht nicht vorgesehen.
199 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 205 f.
200 
Eine staatliche Arbeitsvermittlung oder gar eine Arbeitslosenunterstützung nach westlichen Vorstellungen gibt es nicht. Allerdings werden freie Stellen im öffentlichen Sektor vom Civil Service Commission Management Directorate der Kommission für Öffentlichen Dienst und Verwaltungsreform online angekündigt. Außerdem bietet eine Nichtregierungsorganisation (ACBAR) Unterstützung für Arbeitssuchende an. Sie befindet sich in Charahi Shaheed, Sherpoor Bezirk in Kabul. Auf ihrer Website besteht die Möglichkeit, sich mit einem Lebenslauf und Motivationsschreiben auf relevante Jobs zu bewerben.
201 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
202 
Soweit eine Arbeitsstelle gefunden werden kann
203 
- dazu Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S.10; siehe auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22 zum „vulnerable employment“ -,
204 
ist das durchschnittliche Einkommen (insbesondere im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten, dazu sogleich) gering. Das durchschnittliche monatliche Einkommen in Afghanistan wird in verschiedenen Quellen mit 80 bis 120 US$ angegeben, teilweise wird ein Mindestlohn von 95 US$ für nur vorübergehend beschäftigte Arbeitskräfte genannt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - wie ausgeführt - bei 36 % der afghanischen Bevölkerung der Lohn bei unter 20 US$ pro Monat liegt.
205 
IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 f.
206 
Afghanistan bleibt eine hauptsächlich ländliche Gesellschaft, deren Wirtschaft maßgeblich auf der Landwirtschaft basiert. 76 % der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten. Mehr als die Hälfte der Arbeitskräfte des Landes ist im Bereich der Landwirtschaft beschäftigt. 96 % der Produktion bewegt sich im Bereich der Nahrungsmittelverarbeitung, also einem Bereich, der in hohem Maße von der Landwirtschaft abhängig ist.
207 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22, 32.
208 
Die Landwirtschaft leidet allerdings - neben der problematischen Sicherheitssituation - insbesondere auch unter vielfältigen Naturkatastrophen, weswegen das World Food Programme das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch reagiert. Gerade der Norden - eigentlich die „Kornkammer“ des Landes - ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheit, Überschwemmungen und Erdrutschen ausgesetzt
209 
- Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23; UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 16.
210 
bb) Die Versorgungslage in Afghanistan ist schlecht. Wie bereits ausgeführt ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt, mit 9,3 Mio. Menschen, die Anfang 2017 auf humanitäre Hilfe angewiesen waren (s.o.). Für das Jahr 2018 geht UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs - von 3,3 Millionen Personen aus, bei denen ein akuter Bedarf an unmittelbar lebensrettender humanitärer Hilfe besteht sowie weiterer 8,7 Millionen Menschen, die einen chronischen Bedarf an Unterstützungsleistungen aufweisen. Dabei kann aus dem Unterschied in der Darstellung von 9,3 Millionen (2017) zu nun 3,3 Millionen (2018) Personen mit dringenden Bedarfen in den Angaben zum Angewiesensein auf humanitäre Hilfe nicht auf eine Verbesserung der Lage geschlossen werden. Denn der Unterschied geht auf eine abweichende Methode der Datenerfassung zurück.
211 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 15.
212 
Im Jahr 2016 waren etwa 1,6 Millionen Afghanen (nach den Daten von UNOCHA ein Anteil von 6 %) von schwerwiegender Ernährungsunsicherheit („severely food insecure“) betroffen, bei weiteren 9,7 Millionen Menschen (34 %) war dies in mäßiger Weise der Fall („moderately food insecure“).
213 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 5 f. und 26 sowie die Aufteilung nach Regionen auf S. 21; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 42 m.w.N.; vgl. auch UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 28; dort auch unter Bezugnahme auf UNOCHA der Hinweis auf die Wechselwirkung mit der steigenden Anzahl intern Vertriebener und Rückkehrer, die sich in den städtischen Zentren und Randgebieten sammeln sowie zur erwarteten Anzahl von mehr als einer Million neuer Rückkehrer im Sommer 2017); Ernährungsunsicherheit in den Vorjahren vgl. auch Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014: S. 6 f., 43, 54 und 56 - die Hälfte der Haushalte in Städten und 68 % der intern Vertriebenen werden als ernsthaft von Ernährungsunsicherheit betroffen beschrieben.
214 
Für das Jahr 2017 war ein Anstieg auf 1,9 Millionen Personen, bei denen von einer schwerwiegenden Ernährungsunsicherheit auszugehen ist, zu verzeichnen. Ausgehend von der ernährungssicherheitsbezogenen Klassifizierung IPC (Integrated food security phase classification) bedeutet dies, dass sie mit einer extremen Nahrungsmittelunterversorgung konfrontiert sind, die zu akuter Mangel- oder Unterernährung mit einer überhöhten Sterblichkeitsrate führt. Weitere 5,6 Millionen Menschen werden der Gruppe zugeordnet, bei der eine akuter Nahrungsmittel und Existenzkrise angenommen wird, was bedeutet, dass eine beachtliche Nahrungsmittelunterversorgung vorliegt oder dass diese Unterversorgung nur durch den Verkauf letzter Vermögenswerte noch abgewendet werden kann. Schließlich ist bei weiteren 10 Millionen Menschen festzustellen, dass diese allein das Minimum der erforderlichen Nahrungsmittelversorgung sicherstellen können und damit eine vollständige Sicherung der Existenzgrundlage nicht gesichert erscheint.
215 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 24.
216 
48 % der Haushalte von intern vertriebenen Personen, die in informellen Siedlungen in Kabul lebten, waren im Dezember 2015 ernsthaft von Ernährungsunsicherheit betroffen.
217 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 7.
218 
Insbesondere die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten.
219 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23.
220 
In den Städten allgemein und insbesondere der Hauptstadt Kabul sind die Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Einkommen hoch. So finden sich - jeweils auch abhängig vom Lebensstil - Angaben von 100 bis 150 EUR oder 150 bis 250 US$ für einen alleinstehenden Mann in Kabul
221 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188 -
222 
und mindestens 250 bis zu 600 EUR pro Monat für eine Familie, bestehend aus einem Vater und drei Kindern
223 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017 -,
224 
wobei jeweils noch keine Unterbringungs-/Mietkosten enthalten sind.
225 
Für die Kosten von Wohnraum finden sich - auch abhängig von der Lage - Angaben von einer Monatsmiete für ein Zimmer in Höhe von 100 US$, für ein Einzimmerapartment in Kabul von 88 US$/6.000 Afghani bis zu 146 US$/10.000 Afghani oder auch in Höhe von 160 bis 180 EUR (zuzüglich Nebenkosten von etwa 20 bis 25 EUR/Monat) sowie auch 300 US$. Die Miete für eine Dreizimmerwohnung in Kabul wird mit ca. 300 EUR/Monat bei Nebenkosten in Höhe von etwa 30 EUR angegeben, aber auch Preise von 400 bis 600 US$ zuzüglich Nebenkosten von etwa 40 US$ pro Monat werden genannt.
226 
Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 14/Rn. 41; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 3; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76); vgl. auch Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: Einzelzimmer für 4.000 bis 6.000 Afghani, bei einem Lohnniveau von 4.000 bis 4.500 Afghani pro Monat; EASO, Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2017, S. 7 m.w.N.: 300 US$.
227 
Die im Vergleich zum realistischer Weise zu erzielenden Einkommen immensen Unterbringungskosten bei gleichzeitig großem Zustrom neuer Einwohner erklären, dass etwa drei Viertel der Menschen in Slums lebt.
228 
Dazu ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.).
229 
Sofern Wohnraum auf dem freien Markt verfügbar ist, haben in aller Regel wiederum nur diejenigen eine Chance darauf, die einen Bürgen beibringen können und in der Lage sind, bis zu sechs Monatsmieten im Voraus zu bezahlen. Im Rahmen der Wohnungssuche benötigt man also außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben, aber auch die beschriebenen sozialen Netzwerke. Diese sowie der Umstand, dass sich jemand für den künftigen Mieter und dessen vertrauenswürdigen Charakter gleichsam verbürgt, gewährleisten aus Sicht des Vermieters eine gewisse Sicherheit sowie insbesondere auch, dass der Mieter kein „unmoralisches“ Verhalten an den Tag legt und seine Miete zahlen wird.
230 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.); Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12 und auch S. 14/Rn. 41 und S. 15/ Rn. 44 m.w.N.
231 
Es gibt keine NGOs oder öffentliche Organisationen, die bei der Wohnungssuche unterstützen. Immobilienmakler bieten einen entsprechenden Service im Austausch für eine Monatsmiete von Mieter und Vermieter an.
232 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016.
233 
Zwischen den Verhältnissen in den urbanen Zentren und den ländlichen Gebieten Afghanistans herrscht ein eklatantes Gefälle. Es fehlt außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Der Anteil der Bevölkerung, der Zugang zu Trinkwasser hat, beträgt nur 46 %.
234 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 31.
235 
cc) Verschärft wird die Lage - insbesondere auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmarkt - nicht zuletzt aufgrund erheblicher Migrationsbewegungen.
236 
Für das gesamte Land ist eine erhebliche, zudem stetig ansteigende Anzahl an Migranten festzustellen. Es handelt sich sowohl um Binnenvertriebene (internally displaced persons - IDPs), Rückkehrer (insbesondere aus Iran und Pakistan sowie aus dem westlichen Ausland) und Wirtschaftsmigranten.
237 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
238 
Im Jahr 2015 gab es in ganz Afghanistan mindestens 1,1 Millionen Binnenvertriebene.
239 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21: zwischen 1,1 und 1,2 konfliktinduzierte Binnenflüchtlinge.
240 
Im April 2016 war deren Zahl auf 1,2 Millionen geschätzt worden.
241 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74 f.) m.w.N.;. a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 7.
242 
Bis Jahresende wurden 2016 insgesamt 620.000 bis 650.000 Menschen als kriegsbedingt vertrieben ausdrücklich und aktenkundig registriert - das sind dreimal so viele wie 2014 und sechsmal so viele wie 2012.
243 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74) m.w.N.: 623.345; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Verschlechterung bis ins Jahr 2017 mit Rekordzahlen neuer, konfliktbedingter Binnenvertreibung in Höhe von 651.751 Personen; vgl. auch Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
244 
Für das Jahr 2017 hat UNOCHA 501.000 neue Binnenvertriebene festgestellt, wobei sich ein Großteil der Betroffenen in der Provinz Nangarhar aufhalten. Über 100.000 Binnenvertriebene und Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran leben in provisorischen Unterkünften, Zelten oder unter dem freien Himmel.
245 
UNOCHA, Snapshot of Population Movements in 2017, UNOCHA, Humanitarian Bulletin Afghanistan, Issue 73, 1 – 28 February 2018.
246 
Im Jahr 2016 sind etwa eine Million Menschen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei als Rückkehrende auch jene gelten, deren Eltern schon im benachbarten Ausland geboren wurden. Hintergrund ist, dass der Iran vermehrt afghanische Staatsangehörige abschiebt. Nachdem Pakistan im Herbst 2016 entschieden hatte, ab April 2017 keine afghanischen Personen mehr im Land zu dulden, gewährt Pakistan nunmehr auf Antrag afghanischen Staatsangehörigen wieder einen befristeten legalen Aufenthaltsstatus.
247 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 4 zum Rekordniveau von interner Flucht und Vertreibung für das Jahr 2016: ca. 372.000 + 242.000 Flüchtlinge aus Pakistan und 420.000 aus dem Iran; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74): 1.034.000 Rückkehrer aus Iran und Pakistan; a.i., Amnesty Report 2017 - Afghanistan (Berichtszeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016): S. 1; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 28.02.2018, S. 11.
248 
Für 2017 hat IOM (bis einschließlich 16. Dezember 2017) über 538.000 Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan erfasst, in den ersten drei Monaten des Jahres 2018 sind über 160.000 Rückkehrer gezählt worden.
249 
IOM, Return of Undocumented Afghans, Weekly Situation Report 10-16 December 2017 und IOM, Return of Undocumented Afghans, Weekly Situation Report 25 -31 March 2018
250 
Plastisch hat der UNHCR die Versorgungs- und humanitäre Situation zusammengefasst. Er beschreibt, dass infolge des allgemein gestiegenen Sicherheitsrisikos - einschließlich der Zunahme der die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen betreffenden Sicherheitsvorfälle - der Zugang zu den betroffenen Menschen für humanitäre Hilfsorganisationen begrenzt ist. Die begrenzte Präsenz jener Organisationen in den vom Konflikt betroffenen Gebieten behindert insbesondere den Zugang zu lebensrettender Unterstützung für die besonders schutzbedürftigen Teile der Bevölkerung. Jahrzehnte der Konflikte und wiederkehrender Naturkatastrophen haben die afghanische Bevölkerung in einen Zustand großer Schutzbedürftigkeit versetzt und die Überlebensmechanismen vieler Menschen erschöpft. Der fortwährende Konflikt greift durch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und von Viehbestand, steigende Raten ansteckender Krankheiten, verstärkte Vertreibung, ständige Menschenrechtsverletzungen und höhere Kriminalitätsraten diese Schwachstellen weiter an. Ebenso haben der andauernde Konflikt, schwache Regierungsgewalt sowie ineffiziente oder korrupte Institutionen dazu geführt, dass Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf Katastrophen, Risikoreduzierung und Notfallmechanismen Berichten zufolge nicht oder kaum vorhanden sind. In der Folge stellen Naturkatastrophen wie Überflutungen, Schlammlawinen, Erdbeben, Dürren und harte Winter eine weitere Belastung für die Bevölkerung dar, deren Widerstandskraft ohnehin bereits geschwächt wird.
251 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 30 f.; vgl. auch UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8.
252 
dd) Des Weiteren ist die Situation der Menschen in Afghanistan bestimmt durch eine anhaltend schlechte Sicherheitslage.
253 
Sie ist - bei starken regionalen Unterschieden - anhaltend volatil.
254 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 4. Ruttig in Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 4 ff.
255 
Afghanistan besetzt auf dem Global Peace Index (GPI) des Jahres 2017 bei den am wenigsten friedlichen Ländern den zweiten Platz hinter Syrien. In der weiteren Beschreibung des GPI wird dazu ausgeführt, die Gesamtbewertung Afghanistans habe sich das sechste Jahr in Folge weiter verschlechtert. Die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen hat beginnend mit den ersten Monaten des Jahres 2017 wieder zugenommen.
256 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 14 m.w.N. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 13 f.
257 
Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht von den Kampfhandlungen der Konfliktparteien, aber auch von improvisierten Sprengkörpern, von Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. UNAMA gab im Bericht betreffend den Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt für das Jahr 2017 eine Zahl von 10.453 zivilen Opfern an, davon 7015 Verletzte und 3438 Tote. Damit stellte UNAMA einen Rückgang der Anzahl ziviler Opfer um 9 Prozent gegenüber dem Jahr 2016 fest, wobei dieser Rückgang fast ausschließlich auf die Zahl der Verletzten, nicht aber auf die Anzahl der getöteten Zivilpersonen zurückzuführen ist. UNAMA nimmt dabei an, dass sich diese Entwicklung auf die weit geringere Anzahl von Kollateralschäden bei Bodenkämpfen zurückführen lässt, da die Zahl der Opfer bei Selbstmord- und anderen Anschlägen weiter auf nunmehr 2.295 (605 Tote und 1.690 Verletzte) angestiegen ist. Dabei ist die Bevölkerung immer dann gefährdet, wenn sie bei Kämpfen der Konfliktparteien zwischen die Fronten gerät oder Opfer improvisierter Sprengsätze wird, die für andere Ziele gedacht waren. Weniger ausschlaggebend ist dagegen, ob die afghanischen Sicherheitskräfte oder die Taliban die Kontrolle über einen Raum ausüben.
258 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8 f. UNAMA, Annual Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2018, S. 1.
259 
Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzuführen sind, stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen und Entführungen Bedrohungen dar. Dies gilt insbesondere für Kabul.
260 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 9.
261 
Ein großer Teil des Landes wird von regierungsfeindlichen Kräften beherrscht, wobei die jeweilige Vorherrschaft der unterschiedlichen Kräfte ständigem Wandel unterworfen ist. Im ersten Quartal 2017 waren nur etwa 60 % der 407 Distrikte des Landes unter der Kontrolle oder dem Einfluss der afghanischen Regierung, was einen Anstieg um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Stand Mitte November 2016, aber einen Rückgang um 11 Prozentpunkte im Vergleich zum ersten Quartal 2016 bedeutet. Die Taliban behaupteten, 16 der 34 Provinzen Afghanistans zu kontrollieren und in nur 89 Distrikten nicht präsent zu sein. In den südlichen Provinzen Helmand, Nimruz, Uruzgan, Zabul, Ghazni würden beinahe alle Distrikte von ihnen kontrolliert bzw. seien zumindest „umkämpft“.
262 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 22 f. m.w.N.; siehe auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 27.
263 
Unter dem direkten Einfluss der Taliban standen im dritten Quartal 2016 etwa 2,9 Millionen Menschen, im vierten Quartal waren es noch ungefähr 2,5 Millionen.
264 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 26 f.
265 
Die afghanische Regierung konnte dabei die Kontrolle über Kabul sowie die Hauptbevölkerungszentren, die meisten Schlüsselverbindungsstrecken, Provinzhauptstädte und die Mehrzahl der Distriktzentren behalten, wobei Distriktzentren und Provinzhauptstädte von Taliban bekämpft bzw. bedroht und diese sich zeitweise der Hauptkommunikationsverbindungen im Land bemächtigt haben, insbesondere in den Provinzen Kunduz und Helmand.
266 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 23 m.w.N.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 24.
267 
In Afghanistan - aber auch grenzüberschreitend Richtung Pakistan - sind mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke aktiv, darunter die Taliban, das Haqqani Netzwerk (verbündet mit den Taliban, aber nicht Teil von deren Kernbewegung), der Islamische Staat (auch Daesh) in Gestalt des IS-Zweigs ISKP (auch ISIL-KP) sowie al-Qaida.
268 
Zu den einzelnen Gruppen ausführlich u.a.: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 10 ff. und 27 ff.
269 
Die Sicherheitslage wird außerdem durch den Opiumanbau in Afghanistan beeinträchtigt. Die Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen sowohl die Aufständischen als auch daneben bestehende kriminelle Netzwerke. Die Anbaufläche für Opium vergrößerte sich im Jahr 2016 im Vergleich zu 2015 um 10 % auf etwa 201.000 Hektar und 2017 um 63 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das für das Jahr 2016 geschätzte Volumen der Opiumproduktion betrug 4.800 Tonnen, dasjenige für 2017 bei 9.000 Tonnen. Die Steigerungen erklären sich aus guten Anbaubedingungen bei zugleich weniger effektiven staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen aufgrund von fehlenden finanziellen Ressourcen hierfür sowie der schlechten Sicherheitslage.
270 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 31; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 28.02.2018, S. 32; zur Instabilität infolge des Opiumhandels: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
271 
ee) Rückkehrer aus dem westlichen Ausland - freiwillig Zurückgekehrte aber auch Abgeschobene - sind zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Sie sehen sich dem generellen Verdacht gegenüber, ihr Land und ihre religiöse Pflicht verraten zu haben.
272 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4, je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 97, insb. Rn. 545.
273 
Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird vermehrt dahin wahrgenommen, der Zurückkehrende habe sich der europäischen Kultur und dem Lebensstil angepasst. Es herrscht die Erwartung, der Betroffene werde entsprechendes (Fehl-) Verhalten auch in Afghanistan weiter an den Tag legen, etwa außereheliche Beziehungen, Alkohol- und Drogenkonsum und alle möglichen Varianten von Apostasie. Schon entsprechende Gerüchte können ausreichen, um staatliche Verfolgung, jedenfalls aber Selbstjustiz bis hin zur Bestrafung mit dem Tod - auch durch Angehörige - wegen des vermeintlichen Bruchs kultureller und religiöser Normen auszulösen.
274 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 7 ff. m.w.N., dies., Asylmagazin 2017, 82 (83); Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 22. Januar 2016 zu Afghanistan: Situation einer ledigen Mutter der Hazara-Ethnie in Kabul, 22.01.2016, S. 9 f. sowie US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 11; zum Risiko der vermeintlichen „Kontamination“ durch die westliche Lebensweise: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. S. 4 f./Rn. 13 und dies., Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 19/Rn. 49; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 ff. m.w.N.;
275 
Die Unterstützung durch Angehörige und Familie - soweit vorhanden - ist darüber hinaus des Öfteren eingeschränkt, weil die Rückkehr nach Afghanistan als Ausdruck des Versagens trotz des vermeintlich leichten Lebens im Westen verstanden wird und gleichzeitig der Verdacht schwelt, der Zurückkehrende habe womöglich eine schwere Straftat in Europa begangen. Denn nach einer in Afghanistan weit verbreiteten Auffassung schiebt Europa nur Straftäter ab, weshalb ein Abgeschobener im vermeintlich regellosen Europa ein schweres Verbrechen verübt haben müsse.
276 
Stahlmann, Gutachten 2018 S. 301 und dies. Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 9; zum Stigma des Versagens auch Naber, Asylmagazin 2016, 3 (7) und auch Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 35 sowie S. 36 zur Assoziation der Rückkehr mit Kriminalität, je m.w.N.
277 
Außerdem kann einer Unterstützung durch die Familie entgegenstehen, dass diese erhebliche Mittel aufgewendet oder sogar Geld geliehen hat, um die Reise zu finanzieren. Neben dem Vorwurf, der Zurückkehrende habe die erwartete (Versorgungs-) Leistung nicht erbracht, droht auch die Rückforderung durch Kreditgeber, mit der Folge, dass ein Rückkehrer seiner Familie nicht willkommen, sondern „bestenfalls“ nur eine Belastung für diese ist.
278 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 38 und 41.
279 
Des Weiteren wird als Gefahr beschrieben, dass die Taliban die Flucht als ein Verhalten werten, mit dem man sich ihrem Machtanspruch entziehen will. Nachvollziehbar erscheint angesichts dessen, dass von Seiten der Taliban das Interesse bestehen soll, zur allgemeinen Abschreckung diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich ihnen entzogen haben.
280 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4 ff., je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 41 f.; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 33 f. m.w.N.
281 
Entsprechend wird die ohnehin allgemein übliche Überprüfung der Biographie der Rückkehrer durch das neue soziale Umfeld noch sorgfältiger als üblich vorgenommen, da sie wegen ihrer Flucht grundsätzlich verdächtigt werden, sich persönlicher Verfolgung entzogen zu haben - sei es durch militante Gruppierungen oder Privatpersonen.
282 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 5, m.w.N.; ähnlich Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 40 und 43 m.w.N. vgl. auch S. 35 m.w.N. zur Problematik der Diskriminierung/Entlassung bei Bekanntwerden eines vorangegangenen Aufenthalts im westlichen Ausland.
283 
Zudem wird angesichts des - grob verzerrt und übersteigert wahrgenommenen - Reichtums in Europa („Jeder Europäer ist (Euro-)Millionär“) in Afghanistan oft davon ausgegangen, dass Rückkehrer während ihrer Zeit im Westen zu Wohlstand gekommen sind. Sowohl sie selbst als auch ihre Familien laufen daher Gefahr, Opfer von Entführungen zu werden, die lebensbedrohlich sein können, insbesondere wenn nicht gezahlt wird oder werden kann. Das gleiche gilt für bekanntgewordenen Kontakt mit Ausländern.
284 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 321 ff.; dies, ZAR 2017, 189 (198); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 10 f., je m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 6 f./Rn. 18 sowie Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 20/Rn. 52; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 f. und S. 40, je m.w.N.
285 
Schließlich berichten Rückkehrer von Problemen mit Behörden oder Sicherheitskräften, insbesondere, weil sie als anders aussehend wahrgenommen werden, weil sie keine Tazkira haben, aber auch, weil sie als Sicherheitsrisiko empfunden werden, da sie mangels Ausbildung und mangels Chancen auf Arbeit als potentielle Drogenhändler oder durch bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte leicht zu rekrutierende Personen gesehen werden.
286 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 18.
287 
ff) Andererseits können Rückkehrer - anders als die übrige Bevölkerung - von Unterstützungsmaßnahmen profitieren.
288 
Zusammenfassend hierzu: Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 6 f. und Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19 bis 29.
289 
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. Unterstützung in Gestalt von Geldzahlungen können afghanische Rückkehrer, die sich freiwillig in ihr Heimatland zurückbegeben, über zwei Programme des IOM erlangen.
290 
Das REAG/GARP-Programm 2017 („Reintegration and Emigration Program for Asylum-Seekers in Germany“/„Government Assisted Repatriation Program“) gewährt eine Reisebeihilfe (etwa die Übernahme der Beförderungskosten) sowie eine Starthilfe, die für Erwachsene und Jugendliche 500 EUR und für Kinder unter zwölf Jahren 250 EUR beträgt.
291 
IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Informationsblatt Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“ (Juli 2017), S. 1; IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Juli 2017), S. 5); IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Januar 2017), S. 5.
292 
Darüber hinaus bietet die IOM über das European Reintegration Network (ERIN) das Unterstützungsprogramm ERIN Specific Action Program für Rückkehrer nach Afghanistan an. Dieses hat allerdings - anders als die vorgenannten Programme - keine Geldleistungen zum Gegenstand. Es gewährt Unterstützung nach der Ankunft und bei der Reintegration in Afghanistan, wobei freiwillige Rückkehrer eine umfangreichere Unterstützung („larger re-integration packages”) erhalten als diejenigen, die nicht freiwillig zurückgekehrt sind. Die Inanspruchnahme setzt eine Bewerbung vor der Rückkehr voraus. Angeboten werden ein Empfangs- und Orientierungsservice bei der Ankunft am Flughafen, Unterstützung beim Weitertransport, Empfehlungen zur Sicherstellung der durchgehenden Versorgung mit dringender ärztlicher Behandlung und eine Notfallunterbringung von mindestens einer Woche. Zur weiteren Wiedereingliederung kann die Beratung durch einen IOM-Mitarbeiter in Anspruch genommen werden, der den Rückkehrern und ihren Familien etwa bei der Planung einer Strategie zur Reintegration helfen kann und auch dazu, wie sie die ihnen gewährten nationalen Zuschüsse sinnvoll verwenden können. Möglich sind Hilfestellungen bei Existenzgründungen, die Beratung bei der Suche und Vermittlung von Arbeitsstellen, die Vermittlung in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Unterstützung in sozialen, medizinischen und rechtlichen Angelegenheit oder die Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung. Unterstützungsleistungen werden nicht durch Direktzahlungen, sondern durch Beratungs- und Sachleistungen erbracht. Bei rückgeführten Personen können diese höchstens einen Wert von 700 EUR haben. Als „berücksichtigungsfähige Kriterien“ bei der Prüfung werden existenzsichernde Maßnahmen, individueller medizinischer Bedarf, die Rückkehr weiterer Familienangehöriger, die Dauer des Aufenthalts in Deutschland bzw. der Abwesenheit im Heimatland sowie die Vulnerabilität des Betroffenen genannt. Die Reintegrationsmaßnahmen legen der Rückkehrer und der Mitarbeiter vor Ort individuell fest. Die Unterstützung soll nach drei bis sechs Monaten weitgehend abgeschlossen sein.
293 
Siehe insgesamt: BAMF/ERIN, Programmsteckbrief ERIN - European Reintegration Network, Rückkehrerhilfen (Projektdauer Juni 2016 bis Dezember 2021), 14.08.2017; IOM/ ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Briefing Note, 13.03.2017; ERIN/IOM, ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Leaflet, 13.03.2017.
294 
Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützungsprogramme für Rückkehrer aus Europa. Im April 2015 hat die afghanische Regierung zunächst eine Hohe Kommission für Migration gegründet und im November 2016 dann ein gesondert auf die Belange von Rückkehrern gerichtetes Komitee (Displacement and Returnees Executive Committee). Dessen Funktion ist es, eine Strategie zur Koordination von humanitären und Entwicklungsprogrammen festzulegen sowie die Entwicklung von Richtlinien zur Unterstützung (u.a.) von Rückkehrern. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Unterstützung des Einzelnen. Damit die Rückkehrer nicht als gescheitert und unfähig zur Leistung des von ihnen erwarteten Beitrags erscheinen, ist auch die finanzielle Unterstützung des familiären bzw. sozialen Umfelds angedacht. Der Ansatz ist allerdings kritisiert worden, etwa weil er die örtliche Korruption nicht berücksichtige.
295 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28, dort auch zu Unterstützungsangeboten für das Umfeld bzw. die Gemeinschaft der Rückkehrer („a more community-oriented financial support“).
296 
Die derzeit von Seiten der afghanischen Regierung gewährten Hilfen umfassen die Bereiche der Arbeitsvermittlung, des rechtlichen Beistands sowie Fragen von Grund und Boden und Obdach. Die Unterstützung wird nicht von einer einzelnen Institution gewährt, vielmehr muss der Rückkehrer selbst die Initiative ergreifen und sich an die jeweils zuständige Stelle wenden - etwa an das Arbeitsministerium, wenn er Hilfe bei der Arbeitssuche erhalten will. Rückkehrer aus Europa berichten, dass sie nur wenig Unterstützung in irgendeiner Art erhalten hätten, mit Ausnahme einer zweiwöchigen Unterbringung durch die Regierung.
297 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28.
298 
Schließlich gibt es lokale nichtstaatliche Organisationen, die freiwillige und abgeschobene Rückkehrer unterstützen, etwa IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation). IPSO ist eine in Deutschland ansässige Organisation mit psychosozialen Unterstützungsangeboten (Selbsterfahrungsgruppen, Übungen zum Leben in Afghanistan, Eins-zu-Eins-Beratung, Malen und Handarbeit). AMASO gewährt Rückkehrern - vorwiegend aus nordischen Ländern - die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen. Außerdem bietet eine örtliche Anwaltskanzlei (freiwilligen) Rückkehrern aus Norwegen ihre Dienstleistungen an. Etablierte Koordinationsmechanismen zur Sicherstellung der benötigten Unterstützung für alle Rückkehrer oder zu deren Gleichbehandlung scheint es allerdings insgesamt nicht zu geben.
299 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7, dort auch S. 10 zu AMASO und IPSO; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28 f., dort auf S. 53 auch ausführlicher zu IPSO sowie auf S. 64 ausführlicher zur AMASO, dort auch zur Betreuung eines aus Deutschland abgeschobenen, bei einem Bombenanschlag verletzten Rückkehrers.
300 
Eine weitere Unterstützungsleistung können Rückkehrer zudem in Form einer kurzfristigen Unterbringung erlangen. Die IOM bietet in einem sogenannten Empfangszentrum (Jangalak reception centre) eine vorübergehende Unterkunft für höchstens zwei Wochen. Es handelt sich um ein Gebäude auf dem Gelände des Ministeriums für Flüchtlinge und Neuverteilung auf dem Gelände der früheren Jangalak-Fabrik. Dort gibt es 24 Zimmer mit je zwei bis drei Betten. Sowohl freiwillige als auch abgeschobene Rückkehrer können dort unterkommen. Zwölf Mitarbeiter betreuen die Rückkehrer. 2016 nutzten 43 Personen das Angebot. Sie blieben durchschnittlich für sieben Nächte.
301 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9.
302 
Im Rahmen einer entsprechenden Befragung erklärten mehrere Rückkehrer, sie wollten auf das Angebot nicht zurückgreifen, weil sie glaubten, der Aufenthalt dort berge das Risiko, dass sie als Rückkehrer identifiziert würden.
303 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 63.
304 
AMASO hat in einem Facebook-Post vom 8.Oktober 2017 darauf hingewiesen, dass IOM sich nicht mehr um aus Europa abgeschobene Personen kümmere. Stattdessen sorge sich die Aga Khan Development Foundation um die Sicherstellung von Wohnraum in den ersten 14 Tagen nach der Ankunft und zwar im Spinzar Hotel in der Stadtmitte.
305 
Stahlmann, Gutachten 2018 S. 237 f.
306 
c) Für Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung lassen sich folgende Unterschiede oder Besonderheiten im Vergleich zu den allgemeinen Feststellungen zu den Lebensverhältnissen in Afghanistan erkennen.
307 
Der Wohnungsmarkt in Kabul erweist sich als sehr angespannt und daher teuer. Die Stadt Kabul hat von der erheblichen, stetig ansteigenden Anzahl an Migranten einen unverhältnismäßig großen Anteil aufgenommen.
308 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
309 
Kabul ist einer der Hauptzielorte der größten Rückkehrbewegung und zugleich auch traditionell ein Zufluchtsgebiet der vom Konflikt betroffenen Binnenvertriebenen insbesondere aus der Zentralregion. Ein erheblicher Anteil der insgesamt 5,7 Millionen Menschen, die nach dem Fall der Taliban aus dem Iran und Pakistan zurückgekehrt waren, und der genannten 1,2 Millionen Binnenvertriebenen hat sich in bzw. um Kabul herum niedergelassen. Zu diesen kommen noch weitere Personen hinzu, etwa ein erheblicher Anteil der im Jahr 2016 aus Pakistan Zurückgekehrten. Ihre Zahl wurde zur Jahresmitte 2016 noch mit 54.600 bemessen. Zum Ende des Jahres 2016 nannte der UNHCR die Zahl ca. 625.000 Rückkehrern aus Pakistan allein für die letzten vier Monate des Jahres 2016. In Zusammenhang mit dieser Entwicklung wird auch die Verlautbarung eines Ministers der afghanischen Regierung (Balkhi) gebracht, Kabul könne nicht alle Personen aus gefährlichen Provinzen aufnehmen, verbunden mit der Bitte, Abschiebungen zu beenden.
310 
Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (75); UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 5 zur starken Betroffenheit u.a. von Kabul von der hohen Anzahl an Rückkehrern sowie S. 7 zu Kabul als traditionellem Zufluchtsort.
311 
Ein nicht unerheblicher Teil der Migranten, aber auch der von jeher in Kabul ansässigen Bevölkerung, gehört dabei der Volksgruppe der Hazara an. In Kabul sollen nach Schätzungen über eine Million bzw. bis zu 1,5 Millionen Hazara leben. Die meisten davon sind Vertriebene, die sich erst vor Kurzem dort niedergelassen haben. Sie sind von den negativen Auswirkungen der hohen Arbeitslosigkeit in gleichem Maße wie auch die übrige Bevölkerung betroffen.
312 
Immigration and Refugee Board of Canada, Afghanistan: Situation of Hazara people living in Kabul City, including treatment by society, security situation, and access to employment; security situation for Hazara traveling to areas surrounding Kabul City to access employment, 20.04.2016.
313 
Fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und ein ähnlicher Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan hat sich in den überfüllten informellen Siedlungen Kabuls niedergelassen. Deswegen bewertet auch der UNHCR im Hinblick auf den Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, als äußerst eingeschränkt.
314 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Inneren - Dezember 2016, S. 7.
315 
Als Folge des großen Zustroms nach Kabul wird beschrieben, dass die Migranten in besonderem Maße benachteiligt seien und oft in den überfüllten informellen Siedlungen endeten, für die insbesondere für den Winter die Zustände als schrecklich geschildert werden. Diese bestehen großteils aus behelfsmäßigen Zelten oder Lehmhütten ohne geeigneten Schutz vor Kälte und mit beschränktem Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Es wird von mehreren Dutzend Menschen, insbesondere Kindern und älteren Personen, berichtet, die in den Wintermonaten der Jahre 2012 und 2017 wegen der Kälte gestorben sind. Zum anderen führt der immense Zuzug dazu, dass die existenziellen Ressourcen noch stärker umkämpft sind, die Arbeitslosigkeit und die Alltagskriminalität zunehmen.
316 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S.40; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 15 f.; zu den Zuständen in den informellen Siedlungen auch EASO Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2015, S. 5 f. m.w.N.; a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 17.
317 
Im Übrigen bedeutet eine Wohnung in Kabul zu haben nicht automatisch den Zugang zu Wasser und Strom. Dieser hat sich zwar in den letzten 15 Jahren generell verbessert. Allerdings ist bei der zentralen Wasserversorgung die Wasserqualität schlecht geworden, da Infrastruktur ursprünglich für weit weniger Einwohner ausgelegt war. So funktioniert das öffentliche Wasserleitungssystem nur stundenweise. Zugang zu Leitungswasser haben nur ungefähr 34 % der Einwohner. Die meisten Menschen leben in den Slums und beziehen das Wasser entweder von öffentlichen Pumpen oder selbst angelegten Brunnen, mit denen das Grundwasser angezapft wird. Dessen Stand hat sich zwischenzeitlich von drei bis fünf Metern auf 70 bis 80 Meter Tiefe abgesenkt.
318 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 7; Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014, S. 49.
319 
Schließlich ist auch die Sicherheitslage in Kabul prekär.
320 
Vgl. dazu: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.
321 
Sie war bereits in den vergangenen Jahren geprägt von zahlreichen Anschlägen, insbesondere auf medienwirksame Ziele ausländischer Streitkräfte und Organisationen sowie Regierungseinrichtungen.
322 
Dazu die ausführliche Darstellung bei Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 21 ff./Rn. 59 ff. und dies. Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 7/Rn. 18 sowie auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, 06.06.2016; vgl. auch die genannte Entscheidung OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11 Rn. 207 bis 230 zur damaligen - vor Abzug der internationalen der Streitkräfte liegenden - Sicherheitslage (Rn. 217: „aktuell als stabil eingeschätzt“) und der diesbezüglichen Rolle der Taliban.
323 
In jüngerer Zeit erweist sich die Sicherheitslage weiter als volatil. UNAMA hat für das Jahr 2017 für die gesamte Provinz Kabul 1.831 zivile Opfer registriert (479 Tote und 1.352 Verletzte), was einen Anstieg um 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Kabul war damit die Provinz mit der höchsten Anzahl ziviler Opfer, ist allerdings auch die Provinz mit der höchsten Einwohnerzahl.
324 
UNAMA, Annual Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2018, Annex III S. 67.
325 
Das Selbstmordattentat, das in Deutschland die meiste Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr, war der Anschlag vom 31. Mai 2017 auf die Deutsche Botschaft.
326 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 2; vgl. zu den weiteren zahlreichen Vorfällen die Darstellung in der Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
327 
Auch bei einer Reihe weiterer Anschläge in Kabul wurden Regierungsinstitutionen, internationale Organisationen und Einrichtungen der afghanischen Armee und Polizei angegriffen, wobei viele Angehörige der afghanischen Zivilbevölkerung (u.a. Passanten, Kinder usw.) verletzt und getötet wurden.
328 
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3 m.w.N.; vgl. auch dazu die Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
329 
Im ersten Quartal des Jahres 2018 kam es zu einer Reihe schwerwiegender Anschläge im Kabul. So starben 114 Personen und wurden mindestens 229 verletzt, als ein mit Sprengstoff beladener Rettungswagen am 28. Januar 2018 an einem Kontrollpunkt detonierte. 24 Todesopfer forderte eine Geiselnahme im Hotel Intercontinental am 20. Januar 2018.
330 
UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 28.02.2018, S. 7.
331 
Zusammenfassend ist hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul
332 
- vgl. hierzu ergänzend die Ausführungen im Urteil des Senats vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 193, sowie auch zu den Verhältnissen in Kabul allgemein: juris Rn. 99 ff. -
333 
festzuhalten, dass sich nicht nur die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle gehäuft hat, sondern - wohl maßgeblich auch wegen „neuen“ regierungsfeindlichen Kräfte (IS/Daesh/ISKP) - als weitere Tendenz festzustellen ist, dass bei Anschlägen nun vermehrt zivile Opfer in Kauf genommen werden und sogar gerade auf die Zivilbevölkerung zielen.
334 
d) Ausgehend von den dargestellten Verhältnissen in Afghanistan insgesamt sowie insbesondere in der Stadt Kabul als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung ist im Falle der Kläger ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem humanitäre Gründe seiner Abschiebung zwingend entgegensprächen im Sinne von Art. 3 EMRK, nicht festzustellen.
335 
Im Ausgangspunkt ist festzustellen, dass der Senat - wie oben ausgeführt - sich nicht davon überzeugen konnte, dass der Kläger mit einer Gruppe der Mujaheddin oder anderer regierungsfeindlicher Organisationen in Konflikt geraten ist. Deshalb kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ihm wegen dieses Umstandes und möglicher Nachstellungen die notwendige und für eine Sicherung des Existenzminimums unerlässliche Flexibilität (insbesondere am Arbeitsmarkt) fehlt.
336 
Der Senat geht in seiner Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 09.11.2017 - A 11 S 789/17 -, juris), an der er auch in Ansehung der Erwägungen im Gutachten von Stahlmann vom 28. März 2018 festhält, davon aus, dass im Falle leistungsfähiger, erwachsener Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen und ohne familiäres oder soziales Netzwerk bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind, sofern nicht spezifische individuelle Einschränkungen oder Handicaps festgestellt werden können, was hier jedoch nicht der Fall ist.
337 
(1) Zwar ist die Lage in Kabul prekär. Wie sich aus den vorstehenden Darstellungen ersehen lässt, sind sowohl die wirtschaftlichen Voraussetzungen als auch die humanitären Umstände schlecht. Dasselbe gilt für die in den letzten Jahren stetig schlechter gewordene Sicherheitslage. Dennoch kann nicht für sämtliche Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan insgesamt an (familiären oder sonstigen) Beziehungen oder an Unterstützungsnetzwerken fehlt, angenommen werden, die schlechten Bedingungen im Land könnten generell und bei allen diesen Rückkehrern ganz außerordentliche individuelle Umstände darstellen und die hohen Anforderungen zur Bejahung des Art. 3 EMRK trotz fehlenden Akteurs erfüllen.
338 
Afghanistan und insbesondere Kabul sind gerade auch in jüngster Zeit mit der Rückkehr einer Vielzahl von Menschen aus dem benachbarten und westlichen Ausland konfrontiert. Dabei stellt sich deren Lage, obwohl die Situation für Rückkehrer schwierig ist, nicht für alle gleichermaßen problematisch dar. Berichte dahin, dass Rückkehrer generell oder aber jedenfalls in sehr großer Zahl und unabhängig von ihrer persönlichen Disposition ihr Existenzminimum nicht sichern könnten, gibt es nicht. Vielmehr sind bestimmte, vulnerable Gruppen wie etwa Familien mit jüngeren Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke oder ältere Menschen in besonderem Maße gefährdet, ohne dass aber insgesamt festzustellen wäre, dass die Existenzsicherung oder gar das Überleben für sämtliche Rückkehrer nicht gewährleistet wäre.
339 
Insbesondere trifft dies auch nicht für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, aus Europa oder gar aus Deutschland zu, zumal beispielsweise mit Unterstützung der IOM seit dem Jahr 2003 insgesamt 15.041 Personen aus verschiedenen Ländern Europas (darunter das Vereinigte Königreich, Norwegen, die Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien und Österreich) freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Allein im Jahr 2016 unterstützte die IOM 6.864 Personen bei ihrer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, davon über 3.000 aus Deutschland. Die meisten Rückkehrer (78 % oder 5.382) waren dabei junge Männer, von denen wiederum ein erheblicher Anteil zwischen 19 und 26 Jahren alt war (2.781) oder sogar Jugendliche mit bis zu 18 Jahren (2.101). Die Zahl der zurückgekehrten Familien wird mit 733 angegeben.
340 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 16; Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 2; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 10.
341 
Neben diesen zahlreichen freiwilligen Rückkehrern gab und gibt es Abschiebungen aus Europa. So wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und April 2017 insgesamt 176 Personen aus Europa nach Afghanistan abgeschoben, darunter 106 aus Deutschland, von denen wiederum auch einige keine Verwandten in Kabul oder teilweise auch im gesamten Land hatten.
342 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3 ff.
343 
Vom 31. Mai 2017 bis zum 23. Januar 2018 wurden 68 weitere Personen aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben.
344 
BT-Drs. 19/632 S. 5.
345 
Obwohl diese Rückkehrer sich - wie dargestellt - in Afghanistan vielen Belastungen gegenübersehen und die Situation im Land äußerst schwierig ist, sind den umfangreichen Erkenntnismitteln zur Lage in Afghanistan keine Informationen zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort stehe einer Existenzsicherung in Afghanistan bzw. in Kabul (auch nur auf niedriger Stufe) entgegen. Zwar gibt es vereinzelte Rückkehrerberichte, die die oben geschilderte Bandbreite von Problemen betreffen. Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahin, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern sowie kinderlose Ehepaare in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, liegen hingegen nicht vor. Zwar lassen sich für den Senat auch schwerwiegende Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche durchaus nicht ausschließen, eine tatsächliche Gefahr, dass sie eintreten werden, besteht indes nicht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Situation auch im Falle des Klägers realisieren würde - dass also auch der Kläger entsprechend erkannt würde, dass er infolge dessen tatsächlich keinen Zugang zu einer auch nur einfachen Unterkunft haben würde oder vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre -, vermag der Senat daher nicht festzustellen.
346 
(2) Insbesondere lässt sich aus dem Fehlen eines bereits bestehenden familiären oder sozialen Netzwerks in Kabul nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK herleiten. Ein solches traditionelles Unterstützungsnetzwerk, das durch (unterstützungsfähige und -willige) Mitglieder der (erweiterten) Familie oder ihrer größeren ethnischen Gruppe gebildet wird, ist auch nach Auffassung von UNHCR im Falle von alleinstehenden, leistungsfähigen Männern ohne besonderen Schutzbedarf trotz der schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan nicht geboten, um zu verhindern, dass im Falle der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein kontinuierlicher Prozess in Gang gesetzt wird, in dem sie verelenden und bleibende schwere physische und seelische Schäden davontragen. Denn von diesen kann erwartet werden, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen, wobei allerdings dennoch immer eine einzelfallbezogene Analyse vorzunehmen ist.
347 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 10 und S. 99, wobei in der nachfolgenden Stellungnahme des UNHCR vom Dezember 2016 (Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Inneren - Dezember 2016) insofern keine Änderungen der Bewertung vorgenommen wurden (vgl. dort zur Aufrechterhaltung der Erwägungen der Richtlinien vom 19.04.2016: S. 7 f.).
348 
Aus den oben zusammengefasst wiedergegebenen Erwägungen von Stahlmann in ihrem Gutachten vom 28. März 2018 für das Verwaltungsgericht Wiesbaden ergibt sich keine andere Sicht der Dinge. Denn wenn dort festgestellt wird, es sei im Wortsinn für viele Afghanen nicht „denk-bar“, ohne Zugehörigkeit zu sozialen Netzwerken zu überleben, der Versuch, als Individuum ohne soziale Netzwerke Zugang zu neuen sozialen Netzwerken zu bekommen, sei nicht vorgesehen und das Konzept der alleinstehenden Person sei in Afghanistan schlicht nicht vorhanden, dann spricht zwar viel dafür, dass diese Aussagen in ihrer Allgemeinheit zutreffen. Indes beantworten diese Aussagen nicht die Frage, wie es um die Überlebenssicherung von alleinstehenden Rückkehrern steht, wenn diese trotz der fehlenden Vorstellbarkeit des Alleinstehens in größerer Zahl tatsächlich in Afghanistan auftauchen. Hier bleibt es für die vom Senat zu treffende Risikoprognose dabei, dass sich eine tatsächliche Gefahr der zeitnahen Verelendung im Falle der Rückkehr nicht belegen lässt und es sogar überwiegend wahrscheinlich ist, dass eine solche Situation nicht eintreten wird.
349 
Von nicht unerheblicher Bedeutung ist es, ob die Betroffenen eine der beiden in Afghanistan gesprochenen Sprachen (Paschtu und Dari) beherrschen und sich somit hinreichend verständigen können.
350 
Zu diesem Kriterium vgl. BayVGH, Urteil vom 16.01.2014 - 13a B 13.30025 -, Leitsatz sowie juris Rn. 25 (Sicherung des Existenzminimums für einen afghanischen Rückkehrer ohne Kenntnisse einer der Landessprachen verneint, wenn kein Vermögen vorhanden und keine familiäre Unterstützung zu erlangen ist).
351 
Dies ist bei dem Kläger der Fall.
352 
Das Erwirtschaften eines - wenn auch womöglich sehr geringen - Einkommens wird dem Kläger trotz des angespannten Arbeitsmarkts wenigstens als Tagelöhner möglich sein. Auch der den Erkenntnismitteln zu entnehmende und auch vom Kläger selbst beschriebene Zusammenhalt unter den Volkszugehörigen der Hazara, der von Stahlmann nicht infrage gestellt wird, kann ihm bei einer Rückkehr nach Kabul zugutekommen, da - wie beschrieben - für Hazara beim Zuzug in eine neue Stadt die Möglichkeit besteht, auf ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse bzw. eine Wohlfahrtseinrichtung zurückzugreifen.
353 
siehe: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
354 
Zwar sind die Lebenshaltungskosten für den Kläger in Kabul hoch. Ausgehend von vorstehenden Ausführungen (ohne Unterbringungskosten) sind sie mit mindestens 100 EUR pro Monat zu bemessen, die Mietkosten werden mit mindestens 88 US$ bzw. 4.000 Afghani bzw. 75 EUR pro Monat angegeben
355 
S.o., insbesondere zu den monatlichen Lebenshaltungskosten von mindestens 100 EUR: BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017 sowie zum Preis von ab 4.000 Afghani für ein Einzelzimmer: Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42.
356 
Der Kläger hat die Möglichkeit, zunächst im Jangalak-Zentrum oder ggf. in den von der Aga Khan Development Foundation zur Verfügung gestellten Unterkünften zu wohnen, sich von dort um Arbeit und Unterkunft - beides ggf. auf niedrigem Niveau - zu bemühen und - sollte es nicht anders gehen - vorübergehend in einer der informellen Siedlungen unterzukommen. Dass die fraglos beklagenswerten Zustände in solchen Siedlungen insgesamt flächendeckend derart desolat sind, dass sie gleichsam für jeden Bewohner und damit auch für den kinderlosen Kläger mit den hohen Anforderungen des Art. 3 EMRK nicht zu vereinbaren wären, vermag der Senat nicht festzustellen.
357 
Zwar beschreibt Stahlmann, dass sich die Versorgung mit Trinkwasser, Hygiene- und Sanitäranlage sowie Abwassersystemen in den Slums dramatisch verschlechtert habe und die Krankheitshäufigkeit zunehme.
358 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 163.
359 
Indes lässt sich auch ihren Ausführungen nicht entnehmen, dass gravierende Erkrankungen in einer derartigen Häufigkeit aufträten, dass der Rückschluss, jedem gesunden, arbeitsfähigen Mann drohe eine solche Erkrankung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit rechtlich zulässig wäre. Die schlechten hygienischen Zustände in den informellen Siedlungen alleine reichen nicht aus, um die Schwelle zur tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen Behandlung zu überschreiten. Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Verfahren M.S.S./ Belgien und Griechenland angewendeten Standards waren zum einen auf Signatarstaaten der Konvention bezogen und mit Asylbewerbern auf eine besonders schutzbedürftige Personengruppe ausgerichtet, deren Wohlergehen im besonderen Maße von der Fürsorge des Aufnahmestaates abhängt.
360 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 Rn. 249 ff.
361 
Beide Voraussetzungen liegen in der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht vor.
362 
(3) Der Senat geht bei seiner Bewertung der Situation davon aus, dass die dargestellten Rückkehrerhilfen für die Frage der Existenzsicherung des Klägers keine nachhaltige Bedeutung haben können, da sie bestenfalls eine anfängliche Unterstützung bzw. einen nur vorübergehenden Ausgleich schaffen können. Die 500,- EUR, die der Kläger bei einer Entscheidung zur freiwilligen Rückkehr über das REAG/GARP-Programm erhalten würden, vermögen ihm nur eine überschaubare Erleichterung zu bieten. Auch die Leistungen des ERIN-Programms stellt der Senat nicht in die Beurteilung ein. So besteht kein Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weswegen unklar ist, ob der Kläger überhaupt Leistungen erhalten würde. Im Übrigen ist auch nicht im Voraus bestimmbar, welche Leistungen im Falle einer Leistungsgewährung vor Ort in Betracht gezogen werden könnten.
363 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
364 
Gleiches gilt für die Geldleistungen des im Dezember 2017 neu aufgelegten StarthilfePlus-Programms, auf die ein Rechtsanspruch nicht besteht.
365 
(4) Schließlich ist auch im Hinblick auf die durchaus schwierige Sicherheitslage in Kabul ein Verstoß im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht festzustellen. So entspricht die Gefahrendichte in der Provinz Kabul insbesondere nicht der, wie sie im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zur Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) erforderlich wäre.
366 
Zur Heranziehung dieses Kriteriums im Rahmen des Art. 3 EMRK bzw. des § 60 Abs. 5 AufenthG vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteile vom 09.11.2017 - A 11 S 789/17 -, juris; vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/19 -, vom 14.08.2013 - A 11 S 688/13 - und vom 24.07.2013 - A 11 S 727/13.
367 
Denn bei einer auf das Jahr 2017 bezogenen rechnerischen Wahrscheinlichkeit von unter 0,07 %, aufgrund willkürlicher Gewalt getötet oder körperlich verletzt zu werden – ausgehend von dem Zahlenmaterial von UNAMA (siehe oben) – und einer Einwohnerzahl von 3.000.000 besteht keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung allein aufgrund des Ausmaßes vorherrschender Gewalt im Falle einer Rückkehr. Die vermutlich zu niedrigen Angaben von UNAMA (siehe oben) werden hier durch eine konservative Annahme von Einwohnern der Provinz Kabul ausgeglichen. Bei einer qualitativen Bewertung ist aufgrund der Opferzahlen hier – wie auch bei der Heimatregion des Klägers – kein anderes Ergebnis geboten.
368 
Dabei verkennt der Senat nicht, dass unter den sicherheitsrelevanten Vorfällen in Kabul in jüngerer Zeit wiederholt solche zu verzeichnen waren, die sich gegen Volkszugehörige der Hazara bzw. Angehörige des schiitischen Glaubens gerichtet haben, etwa der Anschlag vom 23. Juli 2016 (80 Tote) sowie die genannten Angriffe auf schiitische Moscheen bzw. Einrichtungen am 11. Oktober 2016 (mindestens 13 Tote), am 21. November 2016 (27 Tote), am 15. Juni 2017 (5 Tote), 25. August 2017 (57 Tote), 29. September 2017 (5 Tote), am 20. Oktober 2017 (mindestens 39 Tote) und 28. Dezember 2017 (41 Tote). Angesichts der über eine Million Hazara, die in Kabul leben, vermag auch dies einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht zu begründen, zumal es sich fast ausnahmslos um exponierte Einrichtungen gehandelt hatte und deshalb auch nicht jedermann zu jeder Zeit und an jedem Ort unvorhersehbar betroffen sein konnte.
369 
Die oben beschriebenen Gefährdungen, denen sich der Kläger als Rückkehrer aus dem europäischen Ausland möglicherweise ausgesetzt sehen wird, führen auch auf keine tatsächliche Gefahr der unmenschlichen Behandlung. Denn die insbesondere auch von Stahlmann beschriebenen Sicherheitsrisiken für Rückkehrer aus Europa
370 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 299 ff.
371 
lassen allein den Rückschluss auf das bestehende Risiko des Eintritts einer tatsächlichen Gefahr zu. Das bedeutet, dass der Eintritt eines schädigenden Ereignisses zwar durchaus möglich ist, aber die Schwelle zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. zur tatsächlichen Gefahr noch nicht überschritten ist. Denn aus den Schilderungen, Feststellungen und Schlussfolgerungen der Sachverständigen lässt sich für den Senat nicht erkennen, dass sich die beschriebenen Risiken bei so vielen Rückkehren realisieren werden, dass ein jeder Rückkehrer sich der tatsächlichen Gefahr der unmittelbaren Verelendung gegenübersähe. Weder gibt es über eine Häufung solcher Fälle (verlässliche) Berichte noch gibt es andere, aussagekräftige Indizien, die einen Rückschluss auf eine solche tatsächliche Gefahr zuließen.
372 
2. Aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG folgt für den Kläger kein nationales Abschiebungsverbot.
373 
a) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
374 
Dies kann aus individuellen Gründen - etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit - der Fall sein (a)), kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (b)).
375 
aa) Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst
376 
- Koch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand 15.08.2016, § 60 Rn. 40; Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 33 -,
377 
sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit.
378 
Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712, juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - NVwZ 2003, Beilage Nr. I 7, 53 juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 -, juris Rn. 7 und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, NVwZ 1998, 524.
379 
Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
380 
Vgl. zusammenfassend HTK-AuslR/§ 60 AufenthG/zu Abs. 7 Satz 1 bis 4/ Rn. 8 sowie zum Maßstab bei individuellen Gründen u.a. auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 -, NVwZ 2007, 712, juris Rn. 20 und vom 17.10.1995 – 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 1999, juris Rn. 16.
381 
bb) Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
382 
Zwar sind allgemeine Gefahren - also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land - gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
383 
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
384 
Dazu u.a. BVerwG, Urteile 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1489 Rn. 12 f.; vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 38.; vom 29.09.2011 – 10 C 24.10 -, NVwZ 2012, 451 Rn. 20; vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, NVwZ 2012, 240 Rn. 22 f. und vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, juris Rn. 14 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 28 zu den unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG60 Abs. 2 AufenthG a.F.) sowie auch Art. 3 EMRK einerseits und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG andererseits.
385 
Von diesem Maßstab ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
386 
b) Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
387 
aa) Zum einen besteht keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen. Insbesondere bestehen bei ihm keine individuellen Besonderheiten, etwa gesundheitlicher Art.
388 
bb) Zum anderen lässt sich auch aus den dargestellten, schlechten Lebensverhältnissen in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Denn die beschriebenen hohen Anforderungen, aus denen wegen einer extremen Gefahrenlage ausnahmsweise ein solches Abschiebungsverbot hergeleitet werden könnte, liegen nicht vor. So vermögen die - fraglos schlechten - Lebensverhältnisse vorliegend schon keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (s.o.). Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann, im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, kann der Senat danach nicht festzustellen.
III.
389 
Die Berufung ist daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2, zurückzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
390 
Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gründe

 
19 
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
20 
Dem Kläger kommt weder der geltend gemachte Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes noch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots zu. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erweist sich daher als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
I.
21 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes, da er keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsstaat ein ernsthafter Schaden droht, § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Dies gilt für alle drei Varianten des ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 AsylG.
22 
1. Dem Kläger droht weder die Verhängung noch die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG).
23 
2. Ebenso wenig droht ihm Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Der Kläger bringt nicht mit Erfolg vor, individuell unmittelbar von dem Eintritt eines ernsthaften Schadens bedroht zu sein. Soweit er sich auf die Gefährdungen beruft, die sich aus den allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan ergeben, fehlt es insoweit bereits an einem Verfolgungsakteur im Sinne des § 3c AsylG und des Art. 6 RL 2011/95/EU.
24 
a) Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die Vorschrift der Umsetzung der RL 2011/95/EU dient, ist sie in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b RL 2011/95/EU auszulegen. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen, zu verstehen.
25 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 Rn. 220 m.w.N. sowie vom 11.07.2006 - 54810/00 - (Jalloh/ Deutschland), NJW 2006, 3117 Rn. 67; BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 Rn. 22 ff. m.w.N.; siehe auch Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff. und Jarass, Charta der Grundrechte, 3. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 9.
26 
Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen.
27 
Siehe auch Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff.
28 
Im Rahmen des subsidiären Schutzes gilt für die Beurteilung der Frage, ob ein ernsthafter Schaden droht, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2f RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“).
29 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 20; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.03.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
30 
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der der Prognose zugrunde zu legen ist, gilt unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlitten hat: Ein solcher Umstand stellte aber einen ernsthafter Hinweis dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies folgt aus der Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU.
31 
b) aa) Ausgehend von diesen Maßstäben besteht keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Klägers im Falle seiner Rückkehr. Denn der Senat glaubt dem Kläger nicht, dass er die von ihm berichteten Geschehnisse im Zusammenhang mit einer Zwangsrekrutierung bzw. Entführung durch die Taliban tatsächlich erlebt hat.
32 
Das Gericht trifft seine Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge vielfach befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind.
33 
Unter Berücksichtigung des beschriebenen Beweisnotstands kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu, weswegen allein der Tatsachenvortrag des Schutzsuchenden zum Erfolg der Klage führen kann, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft" sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann.
34 
Grundlegend: BVerwG, Urteile vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 567, juris Rn. 16 und vom 29.11.1977 - I C 33.71 -, juris, beide m.w.N.; außerdem: BVerwG, Beschlüsse vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, NVwZ-RR 2011, 382 und vom 08.03.2007 - 1 B 101.06 -, BeckRS 2007, 22701; vgl. dazu auch Stuhlfauth, in: Bader, u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 108 VwGO Rn. 8, m.w.N.
35 
So sieht auch Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95/EU unter bestimmten Umständen vor, dass die Einlassung des Schutzsuchenden ausreichend sein kann und es keiner Nachweise seiner Aussagen bedarf. Und zwar dann, wenn dieser sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen, alle ihm verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen, und er eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben hat, festgestellt wurde, dass seine Aussagen kohärent und plausibel sind und sie zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, er internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat (es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war) und schließlich auch seine generelle Glaubwürdigkeit festgestellt worden ist.
36 
Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 22.11.2012 - C-277/11 - (M.M./Irland), NVwZ 2013, 59.
37 
Es ist demzufolge zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden berücksichtigt werden.
38 
Dazu BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, NVwZ 1990, 171, juris Rn. 3 und 4; OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 2632/06.A -, BeckRS 2013, 55090 juris Rn. 59.
39 
Mit anderen Worten: Für die richterliche Überzeugungsbildung ist eine bewertende Gesamtschau des gesamten Vorbringens des Schutzsuchenden unter Berücksichtigung seiner individuellen Aussagekompetenz und seiner Glaubwürdigkeit erforderlich, die die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso berücksichtigt wie die Plausibilität des Vorbringens, an der es etwa fehlen kann, wenn nachvollziehbare Erklärungen fehlen oder unterbleiben, falsche oder missverständliche Urkunden nicht erklärt werden können bzw. wenn Beweise oder Vorbringen ohne nachvollziehbaren Grund verspätet vorgebracht werden.
40 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.01.2018 - A 11 S 241/17 -, juris Rn. 50 ff.; International Association of Refugee Law Judges, Assessment of Credibility in Refugee and Subsidiary Protection claims under the EU Qualification Directive, Judicial criteria and standards, https://www.iarlj.org/images /stories/Credo/Credo_Paper_March 2013-rev1.pdf, Seite 33 f.).
41 
bb) Die Einlassungen des Klägers zu der angeblich erlebten Rekrutierung durch Kräfte der Taliban sind nicht glaubhaft, da sie in inhaltlich wesentlichen Teilen nicht kohärent sind und es auch an zentralen Stellen an einer überzeugenden Schilderung der Vorgänge mangelt und somit die Einlassung keine hinreichende Substanz aufweist.
42 
Dieses hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, weshalb der Senat zunächst hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen verweist (vgl. § 130b Satz 2 VwGO). Hieran hat auch die Anhörung des Senats nichts Grundlegendes geändert. Im Gegenteil: Es sind weitere Unstimmigkeiten hinzugekommen. Zunächst ist auch trotz entsprechender Befragung durch den Senat im Dunkeln geblieben, wie der Kläger den Taliban entkommen konnte. Von sich aus hat er zunächst überhaupt nichts Erhellendes beigetragen, sondern schlicht davon gesprochen, er sei „irgendwie“ entkommen. Aber auch diesbezügliche Nachfragen haben keine plausible Schilderung ergeben, wie der Kläger, der seinem Vortrag nach zwangsweise rekrutiert und festgehalten worden war, relativ problemlos hatte entkommen können, indem er beispielsweise „die Waffe in eine Ecke gestellt habe“, und das, obwohl sicherlich die Taliban ihn ständig unter Kontrolle gehabt haben werden. Weiter wurde der Zeitraum, den er von den Taliban festgehalten wurde, entgegen der schließlich eindeutigen Angabe in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Verwaltungsgericht wiederum abweichend genannt. Die von ihm geschilderte Kontaktaufnahme des Onkels mit dem Schleuser ist in mehrfacher Hinsicht wenig nachvollziehbar und auch widersprüchlich. Hatte er gegenüber dem Bundesamt noch keine nachvollziehbaren Angaben gemacht, erklärte er gegenüber dem Verwaltungsgericht, dass man sich in einem Restaurant getroffen habe. In der mündlichen Verhandlung war aber von einem Restaurant mit keinem Wort die Rede, vielmehr wollte man sich - so zunächst - auf dem Marktplatz getroffen haben, sodann auf einem Platz, auf dem viele Märtyrer getötet worden seien, von dem auch viele Busse abführen. Erst auf den Vorhalt seiner abweichenden Angaben beim Verwaltungsgericht erklärte der Kläger, dass auf dem Märtyrerplatz die Schleuser ihre Plätze hätten, nämlich Restaurants und Hotels. Dass es sich dabei um einen wenig tauglichen Versuch handelt, die Ungereimtheiten aus der Welt zu schaffen bzw. zu glätten, liegt für den Senat auf der Hand. Auch die Übergabe des Geldes an den Schlepper wurde vom Kläger unterschiedlich geschildert. Beim Bundesamt erklärte er, er habe das Geld mitgenommen. Vor dem Verwaltungsgericht war davon die Rede, dass der Schlepper das Geld erst erhalten sollte, wenn er - der Kläger - in Griechenland angekommen sei. Nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung soll der Schlepper eine erste Rate sogleich erhalten haben, während eine zweite Rate nach der Ankunft im Iran zu zahlen war. Auf die Frage des Senats, ob sich der Onkel nicht vor der Bezahlung der zweiten Rate vergewissert habe, dass er auch im Iran angekommen sei, erklärte der Kläger, er habe über das Telefon des Schleusers Kontakt mit dem Onkel aufgenommen und mit dem Onkel zwei, drei Worte oder Sätze gewechselt. Auf Vorhalt seiner Einlassung gegenüber dem Verwaltungsgericht, wonach der Onkel gar kein Telefon habe, sprach er davon, dass der Schleuser (ein zweiter Schleuser?) oder jemand anderes ein Telefon gehabt habe.
43 
Dieses zugrunde gelegt lässt sich die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nach den individuellen Schilderungen des Klägers nicht feststellen.
44 
c) Ausgehend von den oben dargestellten Maßstäben besteht auch keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Hinblick auf die Tatsache, dass der Kläger dem Volk der Hazara angehört.
45 
Der Senat hat im Urteil vom 17. Januar 2018 (A 11 S 241/17 -, juris, Rn. 28 - 83), das zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurde, entschieden, dass die Volksgruppe der Hazara keiner flüchtlingsrelevanten Gruppenverfolgung ausgesetzt ist, und dabei maßgeblich darauf abgestellt, dass die erforderliche Verfolgungsdichte nicht festgestellt werden kann. Aus den gleichen Erwägungen kann auch eine Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht festgestellt werden, da insoweit, wie oben ausgeführt (I 2 a), kein unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt. Der Senat verweist in erster Linie auf diese Ausführungen, an denen auch in Ansehung der Ausführungen der Gutachterin Frau Stahlmann festzuhalten ist.
46 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 327 ff.
47 
Zwar sind hiernach in der jüngsten Vergangenheit (vermutlich drei) weitere Anschläge auf schiitische Einrichtungen hinzugekommen
48 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 334 und in diesem Zusammenhang Senatsurteil vom 17. Januar 2018 - A 11 S 241/17 -, Rn. 83,
49 
die Sicherheitslage wird hierdurch aber nicht grundlegend nachteilig verändert. Die abweichende Einschätzung von Stahlmann beruht ersichtlich auf einem anderen Wahrscheinlichkeitsmaßstab, als der für den Senat durch 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG (i.V.m. Art. 3 EMRK) vorgegebene. Wie auch anderen Zusammenhängen ist nach ihren detailreichen Schilderungen zwar nicht von der Hand zu weisen, dass der Eintritt eines schädigenden Ereignisses bei realistischer Betrachtungsweise durchaus im Bereich des Möglichen liegt, allerdings lassen die Ausführungen der Gutachterin und die vielfältigen Beispiele nicht den Schluss zu, dass - auch unter besonderer Berücksichtigung des hohen Rangs der gefährdeten Rechtsgüter - jeder (zurückkehrende) Hazara mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine entsprechende Rechtsgutsverletzung zu gewärtigen hätte.
50 
d) Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Denn es fehlt am erforderlichen Akteur, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG.
51 
Trotz der inhaltlichen Kongruenz von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG („Als ernsthafter Schaden gilt:... Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ...“) und Art. 3 EMRK („Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“)
52 
vgl. Storey, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part D III, Art. 15 Rn. 3 f.
53 
führt das Vorliegen der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nicht zwingend zu einer Zuerkennung subsidiären Schutzes. Denn es reicht nicht aus, dass die Voraussetzungen eines Tatbestandes nach § 4 Abs. 1 AsylG erfüllt sind. Vielmehr sind - neben § 4 Abs. 2 AsylG - gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch die Anforderungen der §§ 3c bis 3e AsylG zu beachten, die für den subsidiären Schutz entsprechend gelten. Erforderlich ist daher, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadens von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten.
54 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris
55 
Es ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt, dass ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15b RL 2011/95/EU eine Situation nicht erfasst, in der eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf fehlende Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit im Herkunftsstaat zurückzuführen ist, solange die notwendige Versorgung nicht absichtlich verweigert wird. Dies folgt u.a. daraus, dass Art. 6 RL 2011/95/EU eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Schäden im Sinne des Art. 15 RL 2011/95/EU müssen daher von bestimmten Dritten verursacht werden.
56 
EuGH, Urteil vom 18.12.2014 - C-542/13 - (M´Bodj), NVwZ-RR 2015, 158, insb. Rn. 35 und 41.
57 
Dies bekräftigend hat auch Generalanwalt Bot ausgeführt, aus der Auslegung von Art. 6 RL 2004/83/EG - der Fall betrifft das Vereinigte Königreich - folge, dass die in Rede stehenden ernsthaften Schäden durch das Verhalten eines Dritten verursacht werden müssen. Ein Anspruch auf subsidiären Schutz ist nämlich nicht schon dann begründet, wenn nachgewiesen wird, dass für den Betroffenen bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestünde. Es muss auch nachgewiesen werden, dass diese Gefahr auf Faktoren beruht, die den Behörden dieses Landes direkt oder indirekt anzulasten und ihnen stets bewusst sind, und zwar entweder weil die Behörden des Staates, dem der Betroffene angehört, ihn persönlich bedrohen oder diese Bedrohung tolerieren, oder weil diese Bedrohung auf unabhängige Gruppen zurückgeht, vor denen die Behörden ihre Staatsangehörigen nicht wirksam schützen können.
58 
GA Bot, Schlussanträge vom 24.10.2017 - C-353/16 - (MP/Vereinigtes Königreich), Rn. 28 - 30.
59 
Insbesondere trifft es nicht zu, dass Art. 3 EMRK eine erweiternde Auslegung von Art 15b RL 2011/95/EU gebieten würde
60 
so aber: Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), dort S. 11.
61 
denn mit einer möglichen Versagung internationalen Schutzes wird unionsrechtlich nicht abschließend darüber entschieden, ob eine Rückführung in den Herkunftsstaat rechtlich zulässig ist, was sich u.a. aus Art. 5 RL 2008/115/EG ergibt. Der zu prüfende Grundsatz der Nichtzurückweisung ist hier umfassend und damit auch auf Art. 3 EMRK bezogen zu verstehen und damit weiter als derjenige aus Art. 33 Abs. 1 GFK.
62 
Vgl. Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part C VII, Art. 5 Rn. 9.
63 
Diese Auslegung von Art. 15b RL 2011/95/EU, die der ständigen Rechtsprechung des Senats entspricht,
64 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris, vom 05.12.2017 - A 11 S 1144/17 -, juris und vom 17.01.2018 - A 11 S 241/17 -, juris
65 
steht im Einklang mit der herrschenden Lehre und Rechtsprechung.
66 
VG Berlin, Urteil vom 10.07.2017 - VG 34 K 197.16 A -, juris Rn. 54; VG Lüneburg, Urteil vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 51 f.; VG Osnabrück, Urteil vom 15.05.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net; außerdem: EASO, Qualification for International Protection Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109; vgl. auch Hinterberger/Klammer, Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen: Die aktuelle EGMR- und EuGH-Rechtsprechung zum Non-Refoulement und deren Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage, NVwZ 2017, 1180 [1181 f.] sowie wohl auch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 32 und Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 60 Rn. 57 zum „nicht in vollem Umfang“ identischen Schutzbereich von § 60 Abs. 5 AufenthG und von § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU/§ 4 AsylG.
67 
An einem somit erforderlichen Akteur fehlt es vorliegend. Denn die humanitäre Lage und die prekären Lebensumstände sind keinem der genannten Akteure nach § 3c AsylG zuzurechnen.
68 
st. Rspr. des erkennenden Senats, VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.01.2018 - A 11 S 1265/17 -, juris Rn. 101 ff.; und vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108, dort zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, sowie auch - anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
69 
Die schlechte Versorgungslage (betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung) wird durch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans, die dort herrschenden Umweltbedingungen (also insbesondere die schwierigen klimatischen Bedingungen sowie Naturkatastrophen) sowie maßgeblich durch die volatile Sicherheitslage negativ beeinflusst und bestimmt. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte. Insbesondere wird weder die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten noch werden all diese Umstände gezielt herbeigeführt.
70 
Vgl. dazu im Folgenden die Darstellungen zu den Lebensverhältnissen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
71 
Soweit teilweise in der Rechtsprechung vertreten wird, die schlechte humanitäre Lage sei überwiegend durch die seit Jahrzehnten herrschenden bewaffneten Konflikte und damit im Sinne von § 3c AsylG auf Aktionen staatlicher und nicht-staatlicher Konfliktparteien, gegen die der Staat keinen Schutz bieten könne, zurückzuführen,
72 
VG Köln, Urteil vom 12.12.2017 - 5 K 3637/17.A -
73 
übersieht dieser Ansatz gerade, dass die Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und damit auch Art. 15b RL 2011/95/EU eine gewisse Zielgerichtetheit des Verhaltens des Akteurs erfordert
74 
EASO, Qualification for International Protection (Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109;
75 
und daher reine Kausalitätserwägungen hier nicht anspruchsbegründend wirken können. Somit scheidet die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Ermangelung eines tauglichen Akteurs aus.
76 
3. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor.
77 
Nach dieser Vorschrift ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht.
78 
a) aa) Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist.
79 
EuGH, Urteil vom 30.01.2014 - C-285/12 - Diakité, NVwZ 2014, 573 Rn. 35
80 
bb) Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt aber außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen.
81 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 43 und vom 30.01.2014 - C-285/12 - Diakité - NVwZ 2014, 573 Rn. 30.
82 
Der für die Annahme einer individuellen Gefahr in diesem Sinne erforderliche Grad willkürlicher Gewalt wird daher umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund solcher individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden etwa als Arzt oder Journalist ergeben, da diese regelmäßig gezwungen sind, sich nahe an einer Gefahrenquelle aufzuhalten. Ebenso können solche Umstände aber auch aus einer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist.
83 
Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
84 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, juris Rn. 13; NdsOVG Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
85 
Das besonders hohe Niveau kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Zustand permanenter Gefährdungen der Bevölkerung und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts festgestellt werden. Vielmehr erfordert die Bestimmung der Gefahrendichte eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung erfolgen.
86 
BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 23 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 - 3 L 53/12 -, juris Rn. 24 ff.; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
87 
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011
88 
10 C 13.10, Rn. 22 und 10 C 11.10, Rn. 20
89 
- bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 (0,125 %) bzw. 1:1.000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen.
90 
Vgl. hieran anknüpfend auch: NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
91 
Im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung sind bei der qualitativen Bewertung insbesondere auch die angewandten Methoden und Taktiken, die in dem Konflikt angewendet werden, die Anzahl der als Konfliktfolge Binnenvertriebenen und die kumulativen Effekte lang andauernder bewaffneter Konflikte und die medizinische Versorgungslage in den Blick zu nehmen.
92 
Vgl. auch EASO, Artikel 15 Buchstabe c der Anerkennungsrichtlinie (2011/95/EU) – Eine richterliche Analyse, Dezember 2014.
93 
Die Bedeutung der kumulativen Effekte lang andauernder bewaffneter Konflikte im Rahmen der Gesamtbetrachtung liegt – jedenfalls auch – darin, die mit zunehmender Konfliktdauer typischer- und vorhersehbarerweise ansteigende Anzahl und die ansteigende Schwere psychischer Erkrankungen als Folge der dauerhaften Bedrohungssituation angemessen zu würdigen. Indes sind solche Folgen schon deswegen nicht bei der quantitativen Betrachtung zu berücksichtigen, weil hier eine angemessene statistische Erfassung im Krisengebiet schlechterdings nicht vorstellbar ist.
94 
cc) Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Der Begriff des „tatsächlichen Zielortes der Rückkehr“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH
95 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 40, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167.
96 
ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat schützt, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat. Auch eine nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage) ändert nichts daran, dass diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz behält. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aus.
97 
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167.
98 
b) Ausgehend von den Angaben des Klägers, vor seiner Ausreise mit seinem Onkel in dessen Haus in der Provinz Kandahar gelebt zu haben, ist auf diese Provinz für die Beurteilung des Anspruchs auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG abzustellen. Das dort vorherrschende Ausmaß an Gewalt genügt eindeutig nicht, um eine tatsächliche Gefahr des Erleidens eines ernsthaften Schadens anzunehmen.
99 
Zwischen dem 1. Januar 2017 und dem 31. Dezember 2017 UNAMA hat 716 Opfer (davon 271 Todesopfer) festgestellt. Die Anzahl der Opfer in der Zivilbevölkerung hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent reduziert.
100 
UNAMA, Annual Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2018 S. 67.
101 
Die Opferzahlen sind im Verhältnis von einer Bevölkerungszahl von rund 1.279.529 Personen
102 
EASO, Country of Origin Information Report – Afghanistan Security Situation, December 2017.
103 
gesehen nicht geeignet, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass eine jede Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, zu begründen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in den Statistiken von UNAMA alle Vorfälle unberücksichtigt bleiben, die nicht von drei unabhängigen, überprüfbaren Quellen bestätigt werden, und daher ausgehend von diesem Ansatz eine Untererfassung der tatsächlichen Vorfälle zwingend vorliegen muss.
104 
vgl. Stahlmann, Gutachten 2018, S. 177.
105 
Denn bei einem von diesen Zahlen ausgehenden rechnerischen Risiko von 0,056 Prozent, als Zivilperson Opfer des Konflikts in Kandahar zu werden, ist auch bei tatsächlich wesentlich höheren Opferzahlen eine tatsächliche Gefahr bei Weitem zu verneinen.
106 
Angesichts dieses bei quantitativer Betrachtung niedrigen Risikos kann die gebotene qualitative Betrachtung im Rahmen der Gesamtbewertung hier auch auf keinen Anspruch des Klägers auf die Gewährung subsidiären Schutzes führen. Denn auch unter Berücksichtigung der mit allein für das Jahr 2017 festzustellenden, extrem hohen Anzahl neuer oder neuerlich Binnenvertriebener in Afghanistan, nämlich über 500.000 Personen,
107 
UNOCHA, Snapshot of Population Movements in 2017.
108 
und in Erwägung des Umstandes, dass der Bevölkerungsanteil, der aufgrund kriegsbedingter Bedrohungen psychisch erkrankt ist, voraussichtlich bei deutlich über 50 Prozent liegen dürfte
109 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 184 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung, 5. April 2017, S. 2 f.
110 
lässt sich eine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für den Kläger allein aufgrund seiner Anwesenheit in seiner Heimatprovinz nicht feststellen. Es liegt hier ein Fall vor, bei dem das aufgrund quantitativer Betrachtungen festgestellte geringe Risiko, aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen in Kandahar getötet oder körperlich verletzt zu werden, schon die Folge hat, dass die qualitative Betrachtung hinsichtlich der allgemeinen, nicht auf individuellen Umständen (mit-)basierenden Gefährdungslage nicht mehr zur Bejahung des Tatbestandes des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG führen kann,
111 
zu dieser Fallgestaltung: BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 22.
112 
Soweit Stahlmann in ihrem Gutachten vom 28. März 2018 ausführt, es bestehe allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan im gesamten Staatsgebiet die Gefahr, einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden,
113 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 9,
114 
handelt es sich insoweit - in Beantwortung der vom Verwaltungsgericht Wiesbaden gestellten Frage - zunächst allein um eine dem erkennenden Senat vorbehaltene rechtliche Würdigung, der auch keine Indizwirkung zukommen kann. Die von ihr sodann geschilderten tatsächlichen Umstände zeigen zwar die besonderen Umstände der innerstaatlich bewaffneten Konflikte in Afghanistan auf, lassen aber zur Überzeugung des Senats keine für den Kläger günstigere Beurteilung zu. Denn die Tatsachen betreffen weit überwiegend Umstände, die allein bei der qualitativen Gesamtbetrachtung zu würdigen sind, die sich hier - wie ausgeführt - aufgrund der verhältnismäßig niedrigen Opferzahlen unter keinen Umständen auswirken kann.
II.
115 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots, weder auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (1.), noch auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (2.).
116 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund der schlechten humanitären Bedingungen in Afghanistan besteht nicht. Denn die rechtlichen Voraussetzungen (a)) hierfür sind unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse in Afghanistan insgesamt (b)) und der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (c)) sowie in Ansehung der der persönlichen Situation des Klägers und insbesondere auch seiner Zugehörigkeit zu den Hazaras nicht gegeben (d)).
117 
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
118 
aa) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
119 
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen.
120 
Vgl. dazu bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 4 sowie insbesondere auch juris Rn. 71 m.w.N.
121 
Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will.
122 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681.
123 
Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt.
124 
BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 5 sowie insbesondere auch juris Rn. 79 ff.; EGMR, Urteile vom 02.05.1997 - 146/1996/767/ 964 - (D./Vereinigtes Königreich), NVwZ 1998, 161; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334; vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland) - NVwZ 2011, 413; vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 und vom 13.10.2011 - 10611/09 - (Husseini/Schweden), NJOZ 2012, 952.
125 
Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 13. Dezember 2016
126 
- 41738/10 - (Paposhvili/Belgien), NVwZ 2017, 1187 Rn. 187 und 189,
127 
aber nunmehr ausdrücklich wiederholt auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung hinweist, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist, wird hinreichend deutlich, dass außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale auch solche sein können, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.
128 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris.
129 
Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw.
130 
Vgl. dazu ausführlich BayVGH, Urteil vom 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, BeckRS 2017, 113717; dieser auch bereits in seinen Urteilen vom 21.11.2014 – 13a B 14.30285 -, BeckRS 2015, 41010 und - 13a B 14.30284 -; dort jeweils eingehend zur Bejahung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen bezüglich Familien mit minderjährigen Kindern wegen der Rahmenbedingungen in Afghanistan (m.w.N.).
131 
Vorliegend sind allein die hohen Anforderungen der letztgenannten Fallgestaltung maßgeblich, da die hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevanten humanitären Verhältnisse in Afghanistan keinem Akteur zuzuordnen sind, sondern auf einer Vielzahl von Faktoren beruhen, darunter die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Umweltbedingungen wie Klima und Naturkatastrophen sowie die Sicherheitslage. Wie bereits ausgeführt ist nicht festzustellen, dass der afghanische Staat, die in Afghanistan aktiven internationalen Streitkräfte oder ein sonstiger (etwa nichtstaatlicher) Akteur die maßgebliche Verantwortung hierfür trügen, insbesondere, dass etwa die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten würde.
132 
so auch schon VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108 sowie auch anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
133 
bb) Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch die des Bundesverwaltungsgerichts
134 
- EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f. und BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 -
135 
machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit, als es die allgemeine Lage in Afghanistan als nicht ausreichend ernst für die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK eingestuft hat, die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation betont.
136 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, insb. Leitsatz 3 -; vgl. auch BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
137 
Dabei kann aber - schon nach der Gesetzessystematik - der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG nicht, insbesondere auch nicht analog, herangezogen werden. Da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind, lassen sich die ggf. erhöhten Anforderungen an eine ausreichende Lebensgrundlage im Fall einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG ebenfalls nicht übertragen.
138 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris Rn. 180; BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
139 
Ein Zusammenhang zwischen Art. 3 EMRK und § 3e AsylG besteht lediglich dergestalt, dass für den Fall, dass die Situation am vermeintlichen Schutzort einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellte, dieser Schutzort den Anforderungen des § 3e AsylG nicht genügen würde.
140 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 85 m.w.N.
141 
cc) Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein.
142 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - (Abdolkhani und Karimnia/Türkei), InfAuslR 2010, 47; Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris; Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330 Rn. 140; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334 sowie Urteil vom 06.02.2001 - 44599/98 - (Bensaid/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2002, 453.
143 
Um eine tatsächliche Gefahr und also auch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verletzung in den von Art. 3 EMRK geschützten Rechten annehmen zu können, bedarf es keiner überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts.
144 
EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330 Rn. 140.
145 
Erforderlich aber auch ausreichend ist danach die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung, was dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht.
146 
BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51 Rn. 22;
147 
Dies bedeutet auch, dass ein gewisser Grad an Mutmaßung dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent sein muss und es hier daher nicht um den eindeutigen, über allen Zweifeln erhabenen Beweis gehen kann, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre.
148 
EGMR, Urteil vom 09.01.2018 - 36417/16 - (X/Schweden) Rn. 50.
149 
dd) Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet.
150 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309.
151 
Dieser Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung ist hier Kabul.
152 
Vgl. zu den Flugverbindungen nach Afghanistan: Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 25 sowie zu den bislang durchgeführten Abschiebungen nach Kabul (etwa am 15. Dezember 2016, 24. Januar 2017, 23. Februar 2017 und am 28. März 2017): Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 12 m.w.N.
153 
Unter Berücksichtigung der landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und gerade der in Kabul ergibt sich, dass unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt.
154 
b) Die relevanten Lebensverhältnisse in Afghanistan und die Situation von Rückkehrern gestalten sich wie folgt:
155 
Afghanistan hat insgesamt etwa 27 bis 34 Millionen Einwohner.
156 
Vgl. dazu Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150: 33,3 Millionen; so auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; vgl. auch „the world fact book“ - Afghanistan auf https://www.cia.gov/ für Juli 2017 geschätzt 34,124,811 Einwohner; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees - Mai 2017 -, S. 55: mindestens 31,5 Millionen; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 18/Rn. 48: mindestens 30 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 2: 29.724.323; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8/Rn. 30: 27 bis 32 Millionen.
157 
Über 40 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre, zwei Drittel unter 25 Jahre alt.
158 
Sam Hall, Urban displaced youth in Kabul - mental health matters, Juni 2016, S. 7.
159 
Geprägt wird das Leben der Menschen im Land von einer schwierigen wirtschaftlichen Situation (aa)) und Versorgungslage (bb)), von prekären humanitären Gegebenheiten (cc)) sowie von einer volatilen Sicherheitslage (dd)). Zudem sehen sich Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zusätzlichen Gefahren ausgesetzt (ee)). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Rückkehrer unter bestimmten Umständen spezielle Unterstützungsmaßnahmen erhalten können (ff)).
160 
aa) Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es belegte im Jahr 2015 den Platz 171 und im Jahr 2016 den Platz 169 von 187 im Human Development Index. Mindestens 36 % der Bevölkerung des Landes leben unter der Armutsgrenze. Teils wird auch von einer Steigerung von 36 % für die Jahre 2007/2008 auf 39 % für die Jahre 2013/2014 berichtet, wobei ein Leben in Armut nach dem hier verfolgten Ansatz vorliegt, wenn das Einkommen unter der Armutsgrenze von 1.150 Afghani (20 US$) pro Monat liegt. Afghanistan weist im Vergleich mit allen asiatischen Ländern den höchsten Anteil armer Menschen auf. Die Zahl derjenigen, die humanitärer Unterstützung bedurften, hat sich von 2016 bis zum Beginn des Jahres 2017 um 13 % auf 9,3 Millionen erhöht. Dabei gibt es regionale Unterschiede. Sie reichen von einem Anteil von 27,7 % der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebt, im Südwesten bis zu 49,7 % im Nordosten.
161 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 176; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 31 f. m.w.N.; Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 3 Fn. 17; World Food Programme, Country Brief, WFP Assistance, Juli 2017.
162 
Bei einer ohnehin schon zuvor schlechten Lage ist seit dem Jahr 2012 ein massiver Einbruch der Wirtschaft zu verzeichnen.
163 
Dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N.
164 
Sie sieht sich in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 konfrontiert mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90 % (von 140.000 internationalen Soldaten auf rund 14.000). Die Abwertung des Afghani gegenüber dem US-Dollar schreitet - bei gleichzeitiger Deflation - immer weiter voran. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum ist kurzfristig nicht in Sicht.
165 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21.
166 
Zudem beruht die Wirtschaft zu großen Teilen auf irregulären und illegalen Aktivitäten, darunter der Opiumhandel.
167 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
168 
Der Vergleich des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts für das Jahr 2012 von 14,4 % mit dem des Jahres 2015, in dem nur noch 0,8 % Wachstum zu verzeichnen waren, macht den für das gesamte Land zu verzeichnenden Einbruch deutlich.
169 
Vgl. dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12 m.w.N.; siehe auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 5.
170 
Seitdem wird das Wachstum auf ein bis zwei Prozent im Jahr geschätzt.
171 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 221.
172 
Auf Grund der abgeschwächten Konjunktur, unter anderem wegen der mangelnden Sicherheit und der politischen Ungewissheit, steht zu erwarten, dass das Bruttoinlandsprodukt allenfalls geringfügig weiterwachsen kann.
173 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 19 m.w.N.
174 
Diese Wirtschaftslage spiegelt sich auch beim Arbeitsmarkt wider, für den uneinheitliche Zahlen vorliegen.
175 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21 zur Bezeichnung der Arbeitsmarktzahlen als schwach und kontrovers ("weak and controversial").
176 
Je nach Quelle und Erfassungsweise werden etwa für das Jahr 2014 Arbeitslosenzahlen von 9,1 % bis 24 % genannt, teils wird - unter Berücksichtigung eines Anteils von 15,3 % unterbeschäftigter Personen - der Anteil der nicht erwerbstätigen Personen sogar mit 40 % angegeben.
177 
Im Einzelnen m.w.N.: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21.
178 
Im Jahr 2015 lag die landesweite Arbeitslosenquote bei 40 %. Der Anteil in den Städten war deutlich höher, da die Landwirtschaft, in der rund 60 % - in ländlichen Regionen sogar 70 % der erwerbstätigen Bevölkerung - tätig sind, weiterhin der stabilste Beschäftigungssektor ist.
179 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (76) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 m.w.N.; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
180 
Auch für den Zeitraum Ende des Jahres 2016 wurde ein Arbeitslosenanteil mit etwa 40 % geschätzt und die Aussichten als sehr düster bezeichnet.
181 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
182 
Ebenso werden für die Jugendarbeitslosigkeit sehr unterschiedliche Größenordnungen genannt. So gibt die Weltbank für das Jahr 2014 einen Anteil von 23 % bezüglich junger Frauen und 16 % hinsichtlich junger Männern an (bei 9,1 % für dieses Jahr im Allgemeinen). Die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten soll um 50 % höher sein als die städtische Arbeitslosigkeit insgesamt.
183 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22.
184 
Aktuelle Erhebungen zur Arbeitslosenquote soll es nicht geben.
185 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 222.
186 
Gerade der städtische Arbeitsmarkt ist durch die bereits erwähnten Änderungen des internationalen Engagements geprägt. Dort waren mit der plötzlichen Ankunft internationaler Organisationen zunächst Qualifikationen gefragt, die auf dem lokalen Arbeitskräftemarkt nach den langen Kriegsjahren tatsächlich Mangelware waren - darunter Englischkenntnisse, Arbeitserfahrung mit der in internationalen Organisationen gepflegten Bürokratie und formelle Ausbildungs- und Studienabschlüsse. Außerdem hatte der Bauboom in den Städten, insbesondere im grundlegend zerstörten und rapide wachsenden Kabul, zunächst einen Markt für ungelernte Arbeitskräfte geschaffen.
187 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (74); zum Arbeitsmarkt in Kabul auch Kohler, InfAuslR 2017, 99 (101) mit Verweis auf Islamic Republic of Afghanistan - Central Statistics Organisation, Socio-Demographic and Economic Survey, Figure 11 und Figure 12, dort allerdings nur für das Jahr 2013.
188 
Damals hatten - in begrenztem Maße - selbst die traditionell familiär organisierten privatwirtschaftlichen Betriebe externe Arbeitskräfte aufgenommen (wenn auch in den Grenzen kriegsbedingter Freund-/Feindschemata, so dass Fremde im Sinne ethnischer, religiöser oder lokaler Zugehörigkeit weiterhin weitgehend ausgeschlossen waren). Diese Entwicklung hat sich allerdings durch den bereits als prägend erwähnten Abzug der internationalen Truppen wieder verflüchtigt. Der Bauboom hat sich als kurzfristig erwiesen und auch der Dienstleistungsbereich ist eingebrochen. Geblieben ist der Umstand, dass zur Erlangung einer der wenigen vorhandenen Arbeitsplätze nicht die schulische oder berufliche Ausbildung, Qualifikation oder Erfahrung ausschlaggebend sind, sondern Beziehungen. Dies gilt für den gesamten Arbeitsmarkt, insbesondere auch für Arbeitsplätze im Staatsdienst.
189 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76); anschaulich hierzu auch die Beispiele von Schuster zur allein durch (teils verwandtschaftliche) Beziehungen gekennzeichnete Einstellungspraxis ohne Rücksicht auf die Qualifikation an der Kabuler Universität und verschiedenen Ministerien: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 15/Rn. 44; vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 und 68; vgl. auch die Beispiele zu Rückkehrern, die trotz Qualifikation mangels Beziehungen keine Beschäftigung fanden: Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 65 ff. m.w.N.; zur „untergeordneten“ Rolle von Eignung, Befähigung und Leistung bei der Verteilung administrativer Ämter auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 7.
190 
Gerade im Bereich der Arbeitsplätze für ungelernte Kräfte ist die Konkurrenz immens. Gerade weil der Bausektor eingebrochen ist, erweist es sich als schwieriger, als Hilfsarbeiter oder Tagelöhner ein Auskommen zu finden. Dazu kommt, dass der Druck auf den Arbeitsmarkt vor allem in Städten rapide zugenommen ist, da die nicht konventionell umkämpften Städte wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif zunächst aufgesucht wurden. Dasselbe gilt für die große Mehrheit der unfreiwilligen Rückkehrer aus Pakistan und Iran, wenn sie keine Chance haben, in Herkunftsorte ihrer Familien zurückzukehren. Dieser Zuzug hat sich zwar vor allem in Kabul abgeschwächt, weil der Zugang zu Hilfen in Relation zu den außergewöhnlich hohen Lebenserhaltungskosten so eklatant unzureichend ist und sich die Sicherheitslage so deutlich verschlechtert hat. Der Zuzug besteht jedoch weiter fort und verschärft somit weiterhin auch die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.
191 
Stahlmann, Gutachten 2018 S. 226 f.
192 
Das vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Kriegs- und Konflikterfahrungen und anhaltender Alltagskriminalität als notwendig und bewährt erachtete System von Beziehungen bzw. Netzwerken ist geprägt durch eine Gegenseitigkeit, eine langfristige und belastbare Reziprozität. Wer in der Lage ist, einen Vorteil - etwa einen Arbeitsplatz - zu verschaffen, verknüpft hiermit die Erwartung, jedenfalls langfristig seinerseits einen Vorteil zu erlangen. Ist vom Arbeitssuchenden keine Gegenleistung zu erwarten, weil dieser nicht über die erforderlichen Beziehungen verfügt, ist nicht oder weniger zu erwarten, dass ihm eine Arbeitsstelle vermittelt wird. Ein entsprechendes Netzwerk ist daher der Schlüssel zum Arbeitsmarkt. Zudem gewährleistet das System der Empfehlungen, dass der Arbeitgeber sich sicher sein kann, dass der Arbeitssuchende, dessen örtliche und ethnische Herkunft sowie familiären Hintergrund er auf Grund der Empfehlung kennt, vertrauenswürdig ist.
193 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67 f.: „Network as key to the job market“; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12. m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12.
194 
So äußerten die meisten Arbeitgeber in einer Befragung zu ihrer Einstellungspraxis, sie nutzten das traditionellste System: Freunde (62,6 %) und Familie (57,9 %). Entsprechend beklagen die Arbeitssuchenden unabhängig von ihren Qualifikationen, dass die Vergabe von Arbeitsstellen von persönliche Verbindungen, sog. „wasita“ (wechselseitige Verbindungen zu Personen mit Macht oder Einfluss), abhängig sei. Erforderlich sind „shanaktht“ (jemanden kennen) und „safarish“ (eine Art Empfehlung). Nur etwa 15 % der Arbeitnehmer werden über den örtlichen Bazar angeworben, der größte Teil der Arbeitsplätze wird über Freunde oder Verwandte erlangt.
195 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67.
196 
Die Beziehungen oder Netzwerke sind vielschichtig. Für manche besteht ihr Netzwerk aus nahen Verwandten, für andere ist es breiter angelegt und kann auch aus Freunden bestehen. Bei Angehörigen der Hazara kommt es vor, dass beim Zuzug in eine neue Stadt ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse oder Wohlfahrtseinrichtung konzentriert ist. Ganz allgemein genügt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie allein noch nicht, um ein solides Netzwerk für die Arbeitssuche zu begründen.
197 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
198 
Es findet sich die Aussage, dass Rückkehrer aus Europa aufgrund ihres sozio-politischen Ausschlusses keinen Zugang zu Netzwerken und ihren Ressourcen hätten. Das Konzept einer alleinstehenden Person entsprechend es europäischen Verständnisses sei in Afghanistan nicht vorhanden, so dass die Hürden beim Zugang zu sozialen Netzwerken für abgeschobene Asylbewerber aus Europa nicht zu überwinden seien. Es sei für viele Afghanen im Wortsinn nicht „denk-bar“, ohne Zugehörigkeit zu sozialen Netzwerken zu überleben, was an der fundamentalen Bedeutung dieser Netzwerke und Familien im Zugang der Kontrolle von existenziellen Ressourcen liege. Die Macht über Vermittlung von Ressourcen und Sicherheit durch Familien und Netzwerke beruhe u.a. darauf, dass in der vorherrschenden Sozialordnung nicht das Individuum, sondern die Familie als kleinste soziale, ökonomische und politische Einheit verstanden werde. Der Versuch, als Individuum ohne soziale Netzwerke Zugang zu neuen sozialen Netzwerken zu bekommen, sei somit schlicht nicht vorgesehen.
199 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 205 f.
200 
Eine staatliche Arbeitsvermittlung oder gar eine Arbeitslosenunterstützung nach westlichen Vorstellungen gibt es nicht. Allerdings werden freie Stellen im öffentlichen Sektor vom Civil Service Commission Management Directorate der Kommission für Öffentlichen Dienst und Verwaltungsreform online angekündigt. Außerdem bietet eine Nichtregierungsorganisation (ACBAR) Unterstützung für Arbeitssuchende an. Sie befindet sich in Charahi Shaheed, Sherpoor Bezirk in Kabul. Auf ihrer Website besteht die Möglichkeit, sich mit einem Lebenslauf und Motivationsschreiben auf relevante Jobs zu bewerben.
201 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
202 
Soweit eine Arbeitsstelle gefunden werden kann
203 
- dazu Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S.10; siehe auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22 zum „vulnerable employment“ -,
204 
ist das durchschnittliche Einkommen (insbesondere im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten, dazu sogleich) gering. Das durchschnittliche monatliche Einkommen in Afghanistan wird in verschiedenen Quellen mit 80 bis 120 US$ angegeben, teilweise wird ein Mindestlohn von 95 US$ für nur vorübergehend beschäftigte Arbeitskräfte genannt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - wie ausgeführt - bei 36 % der afghanischen Bevölkerung der Lohn bei unter 20 US$ pro Monat liegt.
205 
IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 f.
206 
Afghanistan bleibt eine hauptsächlich ländliche Gesellschaft, deren Wirtschaft maßgeblich auf der Landwirtschaft basiert. 76 % der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten. Mehr als die Hälfte der Arbeitskräfte des Landes ist im Bereich der Landwirtschaft beschäftigt. 96 % der Produktion bewegt sich im Bereich der Nahrungsmittelverarbeitung, also einem Bereich, der in hohem Maße von der Landwirtschaft abhängig ist.
207 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22, 32.
208 
Die Landwirtschaft leidet allerdings - neben der problematischen Sicherheitssituation - insbesondere auch unter vielfältigen Naturkatastrophen, weswegen das World Food Programme das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch reagiert. Gerade der Norden - eigentlich die „Kornkammer“ des Landes - ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheit, Überschwemmungen und Erdrutschen ausgesetzt
209 
- Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23; UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 16.
210 
bb) Die Versorgungslage in Afghanistan ist schlecht. Wie bereits ausgeführt ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt, mit 9,3 Mio. Menschen, die Anfang 2017 auf humanitäre Hilfe angewiesen waren (s.o.). Für das Jahr 2018 geht UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs - von 3,3 Millionen Personen aus, bei denen ein akuter Bedarf an unmittelbar lebensrettender humanitärer Hilfe besteht sowie weiterer 8,7 Millionen Menschen, die einen chronischen Bedarf an Unterstützungsleistungen aufweisen. Dabei kann aus dem Unterschied in der Darstellung von 9,3 Millionen (2017) zu nun 3,3 Millionen (2018) Personen mit dringenden Bedarfen in den Angaben zum Angewiesensein auf humanitäre Hilfe nicht auf eine Verbesserung der Lage geschlossen werden. Denn der Unterschied geht auf eine abweichende Methode der Datenerfassung zurück.
211 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 15.
212 
Im Jahr 2016 waren etwa 1,6 Millionen Afghanen (nach den Daten von UNOCHA ein Anteil von 6 %) von schwerwiegender Ernährungsunsicherheit („severely food insecure“) betroffen, bei weiteren 9,7 Millionen Menschen (34 %) war dies in mäßiger Weise der Fall („moderately food insecure“).
213 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 5 f. und 26 sowie die Aufteilung nach Regionen auf S. 21; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 42 m.w.N.; vgl. auch UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 28; dort auch unter Bezugnahme auf UNOCHA der Hinweis auf die Wechselwirkung mit der steigenden Anzahl intern Vertriebener und Rückkehrer, die sich in den städtischen Zentren und Randgebieten sammeln sowie zur erwarteten Anzahl von mehr als einer Million neuer Rückkehrer im Sommer 2017); Ernährungsunsicherheit in den Vorjahren vgl. auch Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014: S. 6 f., 43, 54 und 56 - die Hälfte der Haushalte in Städten und 68 % der intern Vertriebenen werden als ernsthaft von Ernährungsunsicherheit betroffen beschrieben.
214 
Für das Jahr 2017 war ein Anstieg auf 1,9 Millionen Personen, bei denen von einer schwerwiegenden Ernährungsunsicherheit auszugehen ist, zu verzeichnen. Ausgehend von der ernährungssicherheitsbezogenen Klassifizierung IPC (Integrated food security phase classification) bedeutet dies, dass sie mit einer extremen Nahrungsmittelunterversorgung konfrontiert sind, die zu akuter Mangel- oder Unterernährung mit einer überhöhten Sterblichkeitsrate führt. Weitere 5,6 Millionen Menschen werden der Gruppe zugeordnet, bei der eine akuter Nahrungsmittel und Existenzkrise angenommen wird, was bedeutet, dass eine beachtliche Nahrungsmittelunterversorgung vorliegt oder dass diese Unterversorgung nur durch den Verkauf letzter Vermögenswerte noch abgewendet werden kann. Schließlich ist bei weiteren 10 Millionen Menschen festzustellen, dass diese allein das Minimum der erforderlichen Nahrungsmittelversorgung sicherstellen können und damit eine vollständige Sicherung der Existenzgrundlage nicht gesichert erscheint.
215 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 24.
216 
48 % der Haushalte von intern vertriebenen Personen, die in informellen Siedlungen in Kabul lebten, waren im Dezember 2015 ernsthaft von Ernährungsunsicherheit betroffen.
217 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 7.
218 
Insbesondere die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten.
219 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23.
220 
In den Städten allgemein und insbesondere der Hauptstadt Kabul sind die Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Einkommen hoch. So finden sich - jeweils auch abhängig vom Lebensstil - Angaben von 100 bis 150 EUR oder 150 bis 250 US$ für einen alleinstehenden Mann in Kabul
221 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188 -
222 
und mindestens 250 bis zu 600 EUR pro Monat für eine Familie, bestehend aus einem Vater und drei Kindern
223 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017 -,
224 
wobei jeweils noch keine Unterbringungs-/Mietkosten enthalten sind.
225 
Für die Kosten von Wohnraum finden sich - auch abhängig von der Lage - Angaben von einer Monatsmiete für ein Zimmer in Höhe von 100 US$, für ein Einzimmerapartment in Kabul von 88 US$/6.000 Afghani bis zu 146 US$/10.000 Afghani oder auch in Höhe von 160 bis 180 EUR (zuzüglich Nebenkosten von etwa 20 bis 25 EUR/Monat) sowie auch 300 US$. Die Miete für eine Dreizimmerwohnung in Kabul wird mit ca. 300 EUR/Monat bei Nebenkosten in Höhe von etwa 30 EUR angegeben, aber auch Preise von 400 bis 600 US$ zuzüglich Nebenkosten von etwa 40 US$ pro Monat werden genannt.
226 
Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 14/Rn. 41; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 3; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76); vgl. auch Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: Einzelzimmer für 4.000 bis 6.000 Afghani, bei einem Lohnniveau von 4.000 bis 4.500 Afghani pro Monat; EASO, Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2017, S. 7 m.w.N.: 300 US$.
227 
Die im Vergleich zum realistischer Weise zu erzielenden Einkommen immensen Unterbringungskosten bei gleichzeitig großem Zustrom neuer Einwohner erklären, dass etwa drei Viertel der Menschen in Slums lebt.
228 
Dazu ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.).
229 
Sofern Wohnraum auf dem freien Markt verfügbar ist, haben in aller Regel wiederum nur diejenigen eine Chance darauf, die einen Bürgen beibringen können und in der Lage sind, bis zu sechs Monatsmieten im Voraus zu bezahlen. Im Rahmen der Wohnungssuche benötigt man also außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben, aber auch die beschriebenen sozialen Netzwerke. Diese sowie der Umstand, dass sich jemand für den künftigen Mieter und dessen vertrauenswürdigen Charakter gleichsam verbürgt, gewährleisten aus Sicht des Vermieters eine gewisse Sicherheit sowie insbesondere auch, dass der Mieter kein „unmoralisches“ Verhalten an den Tag legt und seine Miete zahlen wird.
230 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.); Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12 und auch S. 14/Rn. 41 und S. 15/ Rn. 44 m.w.N.
231 
Es gibt keine NGOs oder öffentliche Organisationen, die bei der Wohnungssuche unterstützen. Immobilienmakler bieten einen entsprechenden Service im Austausch für eine Monatsmiete von Mieter und Vermieter an.
232 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016.
233 
Zwischen den Verhältnissen in den urbanen Zentren und den ländlichen Gebieten Afghanistans herrscht ein eklatantes Gefälle. Es fehlt außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Der Anteil der Bevölkerung, der Zugang zu Trinkwasser hat, beträgt nur 46 %.
234 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 31.
235 
cc) Verschärft wird die Lage - insbesondere auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmarkt - nicht zuletzt aufgrund erheblicher Migrationsbewegungen.
236 
Für das gesamte Land ist eine erhebliche, zudem stetig ansteigende Anzahl an Migranten festzustellen. Es handelt sich sowohl um Binnenvertriebene (internally displaced persons - IDPs), Rückkehrer (insbesondere aus Iran und Pakistan sowie aus dem westlichen Ausland) und Wirtschaftsmigranten.
237 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
238 
Im Jahr 2015 gab es in ganz Afghanistan mindestens 1,1 Millionen Binnenvertriebene.
239 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21: zwischen 1,1 und 1,2 konfliktinduzierte Binnenflüchtlinge.
240 
Im April 2016 war deren Zahl auf 1,2 Millionen geschätzt worden.
241 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74 f.) m.w.N.;. a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 7.
242 
Bis Jahresende wurden 2016 insgesamt 620.000 bis 650.000 Menschen als kriegsbedingt vertrieben ausdrücklich und aktenkundig registriert - das sind dreimal so viele wie 2014 und sechsmal so viele wie 2012.
243 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74) m.w.N.: 623.345; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Verschlechterung bis ins Jahr 2017 mit Rekordzahlen neuer, konfliktbedingter Binnenvertreibung in Höhe von 651.751 Personen; vgl. auch Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
244 
Für das Jahr 2017 hat UNOCHA 501.000 neue Binnenvertriebene festgestellt, wobei sich ein Großteil der Betroffenen in der Provinz Nangarhar aufhalten. Über 100.000 Binnenvertriebene und Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran leben in provisorischen Unterkünften, Zelten oder unter dem freien Himmel.
245 
UNOCHA, Snapshot of Population Movements in 2017, UNOCHA, Humanitarian Bulletin Afghanistan, Issue 73, 1 – 28 February 2018.
246 
Im Jahr 2016 sind etwa eine Million Menschen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei als Rückkehrende auch jene gelten, deren Eltern schon im benachbarten Ausland geboren wurden. Hintergrund ist, dass der Iran vermehrt afghanische Staatsangehörige abschiebt. Nachdem Pakistan im Herbst 2016 entschieden hatte, ab April 2017 keine afghanischen Personen mehr im Land zu dulden, gewährt Pakistan nunmehr auf Antrag afghanischen Staatsangehörigen wieder einen befristeten legalen Aufenthaltsstatus.
247 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 4 zum Rekordniveau von interner Flucht und Vertreibung für das Jahr 2016: ca. 372.000 + 242.000 Flüchtlinge aus Pakistan und 420.000 aus dem Iran; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74): 1.034.000 Rückkehrer aus Iran und Pakistan; a.i., Amnesty Report 2017 - Afghanistan (Berichtszeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016): S. 1; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 28.02.2018, S. 11.
248 
Für 2017 hat IOM (bis einschließlich 16. Dezember 2017) über 538.000 Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan erfasst, in den ersten drei Monaten des Jahres 2018 sind über 160.000 Rückkehrer gezählt worden.
249 
IOM, Return of Undocumented Afghans, Weekly Situation Report 10-16 December 2017 und IOM, Return of Undocumented Afghans, Weekly Situation Report 25 -31 March 2018
250 
Plastisch hat der UNHCR die Versorgungs- und humanitäre Situation zusammengefasst. Er beschreibt, dass infolge des allgemein gestiegenen Sicherheitsrisikos - einschließlich der Zunahme der die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen betreffenden Sicherheitsvorfälle - der Zugang zu den betroffenen Menschen für humanitäre Hilfsorganisationen begrenzt ist. Die begrenzte Präsenz jener Organisationen in den vom Konflikt betroffenen Gebieten behindert insbesondere den Zugang zu lebensrettender Unterstützung für die besonders schutzbedürftigen Teile der Bevölkerung. Jahrzehnte der Konflikte und wiederkehrender Naturkatastrophen haben die afghanische Bevölkerung in einen Zustand großer Schutzbedürftigkeit versetzt und die Überlebensmechanismen vieler Menschen erschöpft. Der fortwährende Konflikt greift durch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und von Viehbestand, steigende Raten ansteckender Krankheiten, verstärkte Vertreibung, ständige Menschenrechtsverletzungen und höhere Kriminalitätsraten diese Schwachstellen weiter an. Ebenso haben der andauernde Konflikt, schwache Regierungsgewalt sowie ineffiziente oder korrupte Institutionen dazu geführt, dass Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf Katastrophen, Risikoreduzierung und Notfallmechanismen Berichten zufolge nicht oder kaum vorhanden sind. In der Folge stellen Naturkatastrophen wie Überflutungen, Schlammlawinen, Erdbeben, Dürren und harte Winter eine weitere Belastung für die Bevölkerung dar, deren Widerstandskraft ohnehin bereits geschwächt wird.
251 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 30 f.; vgl. auch UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8.
252 
dd) Des Weiteren ist die Situation der Menschen in Afghanistan bestimmt durch eine anhaltend schlechte Sicherheitslage.
253 
Sie ist - bei starken regionalen Unterschieden - anhaltend volatil.
254 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 4. Ruttig in Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 4 ff.
255 
Afghanistan besetzt auf dem Global Peace Index (GPI) des Jahres 2017 bei den am wenigsten friedlichen Ländern den zweiten Platz hinter Syrien. In der weiteren Beschreibung des GPI wird dazu ausgeführt, die Gesamtbewertung Afghanistans habe sich das sechste Jahr in Folge weiter verschlechtert. Die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen hat beginnend mit den ersten Monaten des Jahres 2017 wieder zugenommen.
256 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 14 m.w.N. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 13 f.
257 
Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht von den Kampfhandlungen der Konfliktparteien, aber auch von improvisierten Sprengkörpern, von Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. UNAMA gab im Bericht betreffend den Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt für das Jahr 2017 eine Zahl von 10.453 zivilen Opfern an, davon 7015 Verletzte und 3438 Tote. Damit stellte UNAMA einen Rückgang der Anzahl ziviler Opfer um 9 Prozent gegenüber dem Jahr 2016 fest, wobei dieser Rückgang fast ausschließlich auf die Zahl der Verletzten, nicht aber auf die Anzahl der getöteten Zivilpersonen zurückzuführen ist. UNAMA nimmt dabei an, dass sich diese Entwicklung auf die weit geringere Anzahl von Kollateralschäden bei Bodenkämpfen zurückführen lässt, da die Zahl der Opfer bei Selbstmord- und anderen Anschlägen weiter auf nunmehr 2.295 (605 Tote und 1.690 Verletzte) angestiegen ist. Dabei ist die Bevölkerung immer dann gefährdet, wenn sie bei Kämpfen der Konfliktparteien zwischen die Fronten gerät oder Opfer improvisierter Sprengsätze wird, die für andere Ziele gedacht waren. Weniger ausschlaggebend ist dagegen, ob die afghanischen Sicherheitskräfte oder die Taliban die Kontrolle über einen Raum ausüben.
258 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8 f. UNAMA, Annual Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2018, S. 1.
259 
Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzuführen sind, stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen und Entführungen Bedrohungen dar. Dies gilt insbesondere für Kabul.
260 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 9.
261 
Ein großer Teil des Landes wird von regierungsfeindlichen Kräften beherrscht, wobei die jeweilige Vorherrschaft der unterschiedlichen Kräfte ständigem Wandel unterworfen ist. Im ersten Quartal 2017 waren nur etwa 60 % der 407 Distrikte des Landes unter der Kontrolle oder dem Einfluss der afghanischen Regierung, was einen Anstieg um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Stand Mitte November 2016, aber einen Rückgang um 11 Prozentpunkte im Vergleich zum ersten Quartal 2016 bedeutet. Die Taliban behaupteten, 16 der 34 Provinzen Afghanistans zu kontrollieren und in nur 89 Distrikten nicht präsent zu sein. In den südlichen Provinzen Helmand, Nimruz, Uruzgan, Zabul, Ghazni würden beinahe alle Distrikte von ihnen kontrolliert bzw. seien zumindest „umkämpft“.
262 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 22 f. m.w.N.; siehe auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 27.
263 
Unter dem direkten Einfluss der Taliban standen im dritten Quartal 2016 etwa 2,9 Millionen Menschen, im vierten Quartal waren es noch ungefähr 2,5 Millionen.
264 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 26 f.
265 
Die afghanische Regierung konnte dabei die Kontrolle über Kabul sowie die Hauptbevölkerungszentren, die meisten Schlüsselverbindungsstrecken, Provinzhauptstädte und die Mehrzahl der Distriktzentren behalten, wobei Distriktzentren und Provinzhauptstädte von Taliban bekämpft bzw. bedroht und diese sich zeitweise der Hauptkommunikationsverbindungen im Land bemächtigt haben, insbesondere in den Provinzen Kunduz und Helmand.
266 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 23 m.w.N.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 24.
267 
In Afghanistan - aber auch grenzüberschreitend Richtung Pakistan - sind mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke aktiv, darunter die Taliban, das Haqqani Netzwerk (verbündet mit den Taliban, aber nicht Teil von deren Kernbewegung), der Islamische Staat (auch Daesh) in Gestalt des IS-Zweigs ISKP (auch ISIL-KP) sowie al-Qaida.
268 
Zu den einzelnen Gruppen ausführlich u.a.: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 10 ff. und 27 ff.
269 
Die Sicherheitslage wird außerdem durch den Opiumanbau in Afghanistan beeinträchtigt. Die Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen sowohl die Aufständischen als auch daneben bestehende kriminelle Netzwerke. Die Anbaufläche für Opium vergrößerte sich im Jahr 2016 im Vergleich zu 2015 um 10 % auf etwa 201.000 Hektar und 2017 um 63 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das für das Jahr 2016 geschätzte Volumen der Opiumproduktion betrug 4.800 Tonnen, dasjenige für 2017 bei 9.000 Tonnen. Die Steigerungen erklären sich aus guten Anbaubedingungen bei zugleich weniger effektiven staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen aufgrund von fehlenden finanziellen Ressourcen hierfür sowie der schlechten Sicherheitslage.
270 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 31; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 28.02.2018, S. 32; zur Instabilität infolge des Opiumhandels: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
271 
ee) Rückkehrer aus dem westlichen Ausland - freiwillig Zurückgekehrte aber auch Abgeschobene - sind zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Sie sehen sich dem generellen Verdacht gegenüber, ihr Land und ihre religiöse Pflicht verraten zu haben.
272 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4, je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 97, insb. Rn. 545.
273 
Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird vermehrt dahin wahrgenommen, der Zurückkehrende habe sich der europäischen Kultur und dem Lebensstil angepasst. Es herrscht die Erwartung, der Betroffene werde entsprechendes (Fehl-) Verhalten auch in Afghanistan weiter an den Tag legen, etwa außereheliche Beziehungen, Alkohol- und Drogenkonsum und alle möglichen Varianten von Apostasie. Schon entsprechende Gerüchte können ausreichen, um staatliche Verfolgung, jedenfalls aber Selbstjustiz bis hin zur Bestrafung mit dem Tod - auch durch Angehörige - wegen des vermeintlichen Bruchs kultureller und religiöser Normen auszulösen.
274 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 7 ff. m.w.N., dies., Asylmagazin 2017, 82 (83); Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 22. Januar 2016 zu Afghanistan: Situation einer ledigen Mutter der Hazara-Ethnie in Kabul, 22.01.2016, S. 9 f. sowie US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 11; zum Risiko der vermeintlichen „Kontamination“ durch die westliche Lebensweise: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. S. 4 f./Rn. 13 und dies., Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 19/Rn. 49; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 ff. m.w.N.;
275 
Die Unterstützung durch Angehörige und Familie - soweit vorhanden - ist darüber hinaus des Öfteren eingeschränkt, weil die Rückkehr nach Afghanistan als Ausdruck des Versagens trotz des vermeintlich leichten Lebens im Westen verstanden wird und gleichzeitig der Verdacht schwelt, der Zurückkehrende habe womöglich eine schwere Straftat in Europa begangen. Denn nach einer in Afghanistan weit verbreiteten Auffassung schiebt Europa nur Straftäter ab, weshalb ein Abgeschobener im vermeintlich regellosen Europa ein schweres Verbrechen verübt haben müsse.
276 
Stahlmann, Gutachten 2018 S. 301 und dies. Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 9; zum Stigma des Versagens auch Naber, Asylmagazin 2016, 3 (7) und auch Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 35 sowie S. 36 zur Assoziation der Rückkehr mit Kriminalität, je m.w.N.
277 
Außerdem kann einer Unterstützung durch die Familie entgegenstehen, dass diese erhebliche Mittel aufgewendet oder sogar Geld geliehen hat, um die Reise zu finanzieren. Neben dem Vorwurf, der Zurückkehrende habe die erwartete (Versorgungs-) Leistung nicht erbracht, droht auch die Rückforderung durch Kreditgeber, mit der Folge, dass ein Rückkehrer seiner Familie nicht willkommen, sondern „bestenfalls“ nur eine Belastung für diese ist.
278 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 38 und 41.
279 
Des Weiteren wird als Gefahr beschrieben, dass die Taliban die Flucht als ein Verhalten werten, mit dem man sich ihrem Machtanspruch entziehen will. Nachvollziehbar erscheint angesichts dessen, dass von Seiten der Taliban das Interesse bestehen soll, zur allgemeinen Abschreckung diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich ihnen entzogen haben.
280 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4 ff., je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 41 f.; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 33 f. m.w.N.
281 
Entsprechend wird die ohnehin allgemein übliche Überprüfung der Biographie der Rückkehrer durch das neue soziale Umfeld noch sorgfältiger als üblich vorgenommen, da sie wegen ihrer Flucht grundsätzlich verdächtigt werden, sich persönlicher Verfolgung entzogen zu haben - sei es durch militante Gruppierungen oder Privatpersonen.
282 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 5, m.w.N.; ähnlich Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 40 und 43 m.w.N. vgl. auch S. 35 m.w.N. zur Problematik der Diskriminierung/Entlassung bei Bekanntwerden eines vorangegangenen Aufenthalts im westlichen Ausland.
283 
Zudem wird angesichts des - grob verzerrt und übersteigert wahrgenommenen - Reichtums in Europa („Jeder Europäer ist (Euro-)Millionär“) in Afghanistan oft davon ausgegangen, dass Rückkehrer während ihrer Zeit im Westen zu Wohlstand gekommen sind. Sowohl sie selbst als auch ihre Familien laufen daher Gefahr, Opfer von Entführungen zu werden, die lebensbedrohlich sein können, insbesondere wenn nicht gezahlt wird oder werden kann. Das gleiche gilt für bekanntgewordenen Kontakt mit Ausländern.
284 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 321 ff.; dies, ZAR 2017, 189 (198); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 10 f., je m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 6 f./Rn. 18 sowie Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 20/Rn. 52; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 f. und S. 40, je m.w.N.
285 
Schließlich berichten Rückkehrer von Problemen mit Behörden oder Sicherheitskräften, insbesondere, weil sie als anders aussehend wahrgenommen werden, weil sie keine Tazkira haben, aber auch, weil sie als Sicherheitsrisiko empfunden werden, da sie mangels Ausbildung und mangels Chancen auf Arbeit als potentielle Drogenhändler oder durch bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte leicht zu rekrutierende Personen gesehen werden.
286 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 18.
287 
ff) Andererseits können Rückkehrer - anders als die übrige Bevölkerung - von Unterstützungsmaßnahmen profitieren.
288 
Zusammenfassend hierzu: Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 6 f. und Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19 bis 29.
289 
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. Unterstützung in Gestalt von Geldzahlungen können afghanische Rückkehrer, die sich freiwillig in ihr Heimatland zurückbegeben, über zwei Programme des IOM erlangen.
290 
Das REAG/GARP-Programm 2017 („Reintegration and Emigration Program for Asylum-Seekers in Germany“/„Government Assisted Repatriation Program“) gewährt eine Reisebeihilfe (etwa die Übernahme der Beförderungskosten) sowie eine Starthilfe, die für Erwachsene und Jugendliche 500 EUR und für Kinder unter zwölf Jahren 250 EUR beträgt.
291 
IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Informationsblatt Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“ (Juli 2017), S. 1; IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Juli 2017), S. 5); IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Januar 2017), S. 5.
292 
Darüber hinaus bietet die IOM über das European Reintegration Network (ERIN) das Unterstützungsprogramm ERIN Specific Action Program für Rückkehrer nach Afghanistan an. Dieses hat allerdings - anders als die vorgenannten Programme - keine Geldleistungen zum Gegenstand. Es gewährt Unterstützung nach der Ankunft und bei der Reintegration in Afghanistan, wobei freiwillige Rückkehrer eine umfangreichere Unterstützung („larger re-integration packages”) erhalten als diejenigen, die nicht freiwillig zurückgekehrt sind. Die Inanspruchnahme setzt eine Bewerbung vor der Rückkehr voraus. Angeboten werden ein Empfangs- und Orientierungsservice bei der Ankunft am Flughafen, Unterstützung beim Weitertransport, Empfehlungen zur Sicherstellung der durchgehenden Versorgung mit dringender ärztlicher Behandlung und eine Notfallunterbringung von mindestens einer Woche. Zur weiteren Wiedereingliederung kann die Beratung durch einen IOM-Mitarbeiter in Anspruch genommen werden, der den Rückkehrern und ihren Familien etwa bei der Planung einer Strategie zur Reintegration helfen kann und auch dazu, wie sie die ihnen gewährten nationalen Zuschüsse sinnvoll verwenden können. Möglich sind Hilfestellungen bei Existenzgründungen, die Beratung bei der Suche und Vermittlung von Arbeitsstellen, die Vermittlung in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Unterstützung in sozialen, medizinischen und rechtlichen Angelegenheit oder die Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung. Unterstützungsleistungen werden nicht durch Direktzahlungen, sondern durch Beratungs- und Sachleistungen erbracht. Bei rückgeführten Personen können diese höchstens einen Wert von 700 EUR haben. Als „berücksichtigungsfähige Kriterien“ bei der Prüfung werden existenzsichernde Maßnahmen, individueller medizinischer Bedarf, die Rückkehr weiterer Familienangehöriger, die Dauer des Aufenthalts in Deutschland bzw. der Abwesenheit im Heimatland sowie die Vulnerabilität des Betroffenen genannt. Die Reintegrationsmaßnahmen legen der Rückkehrer und der Mitarbeiter vor Ort individuell fest. Die Unterstützung soll nach drei bis sechs Monaten weitgehend abgeschlossen sein.
293 
Siehe insgesamt: BAMF/ERIN, Programmsteckbrief ERIN - European Reintegration Network, Rückkehrerhilfen (Projektdauer Juni 2016 bis Dezember 2021), 14.08.2017; IOM/ ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Briefing Note, 13.03.2017; ERIN/IOM, ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Leaflet, 13.03.2017.
294 
Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützungsprogramme für Rückkehrer aus Europa. Im April 2015 hat die afghanische Regierung zunächst eine Hohe Kommission für Migration gegründet und im November 2016 dann ein gesondert auf die Belange von Rückkehrern gerichtetes Komitee (Displacement and Returnees Executive Committee). Dessen Funktion ist es, eine Strategie zur Koordination von humanitären und Entwicklungsprogrammen festzulegen sowie die Entwicklung von Richtlinien zur Unterstützung (u.a.) von Rückkehrern. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Unterstützung des Einzelnen. Damit die Rückkehrer nicht als gescheitert und unfähig zur Leistung des von ihnen erwarteten Beitrags erscheinen, ist auch die finanzielle Unterstützung des familiären bzw. sozialen Umfelds angedacht. Der Ansatz ist allerdings kritisiert worden, etwa weil er die örtliche Korruption nicht berücksichtige.
295 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28, dort auch zu Unterstützungsangeboten für das Umfeld bzw. die Gemeinschaft der Rückkehrer („a more community-oriented financial support“).
296 
Die derzeit von Seiten der afghanischen Regierung gewährten Hilfen umfassen die Bereiche der Arbeitsvermittlung, des rechtlichen Beistands sowie Fragen von Grund und Boden und Obdach. Die Unterstützung wird nicht von einer einzelnen Institution gewährt, vielmehr muss der Rückkehrer selbst die Initiative ergreifen und sich an die jeweils zuständige Stelle wenden - etwa an das Arbeitsministerium, wenn er Hilfe bei der Arbeitssuche erhalten will. Rückkehrer aus Europa berichten, dass sie nur wenig Unterstützung in irgendeiner Art erhalten hätten, mit Ausnahme einer zweiwöchigen Unterbringung durch die Regierung.
297 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28.
298 
Schließlich gibt es lokale nichtstaatliche Organisationen, die freiwillige und abgeschobene Rückkehrer unterstützen, etwa IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation). IPSO ist eine in Deutschland ansässige Organisation mit psychosozialen Unterstützungsangeboten (Selbsterfahrungsgruppen, Übungen zum Leben in Afghanistan, Eins-zu-Eins-Beratung, Malen und Handarbeit). AMASO gewährt Rückkehrern - vorwiegend aus nordischen Ländern - die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen. Außerdem bietet eine örtliche Anwaltskanzlei (freiwilligen) Rückkehrern aus Norwegen ihre Dienstleistungen an. Etablierte Koordinationsmechanismen zur Sicherstellung der benötigten Unterstützung für alle Rückkehrer oder zu deren Gleichbehandlung scheint es allerdings insgesamt nicht zu geben.
299 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7, dort auch S. 10 zu AMASO und IPSO; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28 f., dort auf S. 53 auch ausführlicher zu IPSO sowie auf S. 64 ausführlicher zur AMASO, dort auch zur Betreuung eines aus Deutschland abgeschobenen, bei einem Bombenanschlag verletzten Rückkehrers.
300 
Eine weitere Unterstützungsleistung können Rückkehrer zudem in Form einer kurzfristigen Unterbringung erlangen. Die IOM bietet in einem sogenannten Empfangszentrum (Jangalak reception centre) eine vorübergehende Unterkunft für höchstens zwei Wochen. Es handelt sich um ein Gebäude auf dem Gelände des Ministeriums für Flüchtlinge und Neuverteilung auf dem Gelände der früheren Jangalak-Fabrik. Dort gibt es 24 Zimmer mit je zwei bis drei Betten. Sowohl freiwillige als auch abgeschobene Rückkehrer können dort unterkommen. Zwölf Mitarbeiter betreuen die Rückkehrer. 2016 nutzten 43 Personen das Angebot. Sie blieben durchschnittlich für sieben Nächte.
301 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9.
302 
Im Rahmen einer entsprechenden Befragung erklärten mehrere Rückkehrer, sie wollten auf das Angebot nicht zurückgreifen, weil sie glaubten, der Aufenthalt dort berge das Risiko, dass sie als Rückkehrer identifiziert würden.
303 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 63.
304 
AMASO hat in einem Facebook-Post vom 8.Oktober 2017 darauf hingewiesen, dass IOM sich nicht mehr um aus Europa abgeschobene Personen kümmere. Stattdessen sorge sich die Aga Khan Development Foundation um die Sicherstellung von Wohnraum in den ersten 14 Tagen nach der Ankunft und zwar im Spinzar Hotel in der Stadtmitte.
305 
Stahlmann, Gutachten 2018 S. 237 f.
306 
c) Für Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung lassen sich folgende Unterschiede oder Besonderheiten im Vergleich zu den allgemeinen Feststellungen zu den Lebensverhältnissen in Afghanistan erkennen.
307 
Der Wohnungsmarkt in Kabul erweist sich als sehr angespannt und daher teuer. Die Stadt Kabul hat von der erheblichen, stetig ansteigenden Anzahl an Migranten einen unverhältnismäßig großen Anteil aufgenommen.
308 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
309 
Kabul ist einer der Hauptzielorte der größten Rückkehrbewegung und zugleich auch traditionell ein Zufluchtsgebiet der vom Konflikt betroffenen Binnenvertriebenen insbesondere aus der Zentralregion. Ein erheblicher Anteil der insgesamt 5,7 Millionen Menschen, die nach dem Fall der Taliban aus dem Iran und Pakistan zurückgekehrt waren, und der genannten 1,2 Millionen Binnenvertriebenen hat sich in bzw. um Kabul herum niedergelassen. Zu diesen kommen noch weitere Personen hinzu, etwa ein erheblicher Anteil der im Jahr 2016 aus Pakistan Zurückgekehrten. Ihre Zahl wurde zur Jahresmitte 2016 noch mit 54.600 bemessen. Zum Ende des Jahres 2016 nannte der UNHCR die Zahl ca. 625.000 Rückkehrern aus Pakistan allein für die letzten vier Monate des Jahres 2016. In Zusammenhang mit dieser Entwicklung wird auch die Verlautbarung eines Ministers der afghanischen Regierung (Balkhi) gebracht, Kabul könne nicht alle Personen aus gefährlichen Provinzen aufnehmen, verbunden mit der Bitte, Abschiebungen zu beenden.
310 
Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (75); UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 5 zur starken Betroffenheit u.a. von Kabul von der hohen Anzahl an Rückkehrern sowie S. 7 zu Kabul als traditionellem Zufluchtsort.
311 
Ein nicht unerheblicher Teil der Migranten, aber auch der von jeher in Kabul ansässigen Bevölkerung, gehört dabei der Volksgruppe der Hazara an. In Kabul sollen nach Schätzungen über eine Million bzw. bis zu 1,5 Millionen Hazara leben. Die meisten davon sind Vertriebene, die sich erst vor Kurzem dort niedergelassen haben. Sie sind von den negativen Auswirkungen der hohen Arbeitslosigkeit in gleichem Maße wie auch die übrige Bevölkerung betroffen.
312 
Immigration and Refugee Board of Canada, Afghanistan: Situation of Hazara people living in Kabul City, including treatment by society, security situation, and access to employment; security situation for Hazara traveling to areas surrounding Kabul City to access employment, 20.04.2016.
313 
Fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und ein ähnlicher Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan hat sich in den überfüllten informellen Siedlungen Kabuls niedergelassen. Deswegen bewertet auch der UNHCR im Hinblick auf den Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, als äußerst eingeschränkt.
314 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Inneren - Dezember 2016, S. 7.
315 
Als Folge des großen Zustroms nach Kabul wird beschrieben, dass die Migranten in besonderem Maße benachteiligt seien und oft in den überfüllten informellen Siedlungen endeten, für die insbesondere für den Winter die Zustände als schrecklich geschildert werden. Diese bestehen großteils aus behelfsmäßigen Zelten oder Lehmhütten ohne geeigneten Schutz vor Kälte und mit beschränktem Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Es wird von mehreren Dutzend Menschen, insbesondere Kindern und älteren Personen, berichtet, die in den Wintermonaten der Jahre 2012 und 2017 wegen der Kälte gestorben sind. Zum anderen führt der immense Zuzug dazu, dass die existenziellen Ressourcen noch stärker umkämpft sind, die Arbeitslosigkeit und die Alltagskriminalität zunehmen.
316 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S.40; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 15 f.; zu den Zuständen in den informellen Siedlungen auch EASO Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2015, S. 5 f. m.w.N.; a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 17.
317 
Im Übrigen bedeutet eine Wohnung in Kabul zu haben nicht automatisch den Zugang zu Wasser und Strom. Dieser hat sich zwar in den letzten 15 Jahren generell verbessert. Allerdings ist bei der zentralen Wasserversorgung die Wasserqualität schlecht geworden, da Infrastruktur ursprünglich für weit weniger Einwohner ausgelegt war. So funktioniert das öffentliche Wasserleitungssystem nur stundenweise. Zugang zu Leitungswasser haben nur ungefähr 34 % der Einwohner. Die meisten Menschen leben in den Slums und beziehen das Wasser entweder von öffentlichen Pumpen oder selbst angelegten Brunnen, mit denen das Grundwasser angezapft wird. Dessen Stand hat sich zwischenzeitlich von drei bis fünf Metern auf 70 bis 80 Meter Tiefe abgesenkt.
318 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 7; Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014, S. 49.
319 
Schließlich ist auch die Sicherheitslage in Kabul prekär.
320 
Vgl. dazu: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.
321 
Sie war bereits in den vergangenen Jahren geprägt von zahlreichen Anschlägen, insbesondere auf medienwirksame Ziele ausländischer Streitkräfte und Organisationen sowie Regierungseinrichtungen.
322 
Dazu die ausführliche Darstellung bei Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 21 ff./Rn. 59 ff. und dies. Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 7/Rn. 18 sowie auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, 06.06.2016; vgl. auch die genannte Entscheidung OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11 Rn. 207 bis 230 zur damaligen - vor Abzug der internationalen der Streitkräfte liegenden - Sicherheitslage (Rn. 217: „aktuell als stabil eingeschätzt“) und der diesbezüglichen Rolle der Taliban.
323 
In jüngerer Zeit erweist sich die Sicherheitslage weiter als volatil. UNAMA hat für das Jahr 2017 für die gesamte Provinz Kabul 1.831 zivile Opfer registriert (479 Tote und 1.352 Verletzte), was einen Anstieg um 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Kabul war damit die Provinz mit der höchsten Anzahl ziviler Opfer, ist allerdings auch die Provinz mit der höchsten Einwohnerzahl.
324 
UNAMA, Annual Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2018, Annex III S. 67.
325 
Das Selbstmordattentat, das in Deutschland die meiste Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr, war der Anschlag vom 31. Mai 2017 auf die Deutsche Botschaft.
326 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 2; vgl. zu den weiteren zahlreichen Vorfällen die Darstellung in der Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
327 
Auch bei einer Reihe weiterer Anschläge in Kabul wurden Regierungsinstitutionen, internationale Organisationen und Einrichtungen der afghanischen Armee und Polizei angegriffen, wobei viele Angehörige der afghanischen Zivilbevölkerung (u.a. Passanten, Kinder usw.) verletzt und getötet wurden.
328 
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3 m.w.N.; vgl. auch dazu die Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
329 
Im ersten Quartal des Jahres 2018 kam es zu einer Reihe schwerwiegender Anschläge im Kabul. So starben 114 Personen und wurden mindestens 229 verletzt, als ein mit Sprengstoff beladener Rettungswagen am 28. Januar 2018 an einem Kontrollpunkt detonierte. 24 Todesopfer forderte eine Geiselnahme im Hotel Intercontinental am 20. Januar 2018.
330 
UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 28.02.2018, S. 7.
331 
Zusammenfassend ist hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul
332 
- vgl. hierzu ergänzend die Ausführungen im Urteil des Senats vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 193, sowie auch zu den Verhältnissen in Kabul allgemein: juris Rn. 99 ff. -
333 
festzuhalten, dass sich nicht nur die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle gehäuft hat, sondern - wohl maßgeblich auch wegen „neuen“ regierungsfeindlichen Kräfte (IS/Daesh/ISKP) - als weitere Tendenz festzustellen ist, dass bei Anschlägen nun vermehrt zivile Opfer in Kauf genommen werden und sogar gerade auf die Zivilbevölkerung zielen.
334 
d) Ausgehend von den dargestellten Verhältnissen in Afghanistan insgesamt sowie insbesondere in der Stadt Kabul als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung ist im Falle der Kläger ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem humanitäre Gründe seiner Abschiebung zwingend entgegensprächen im Sinne von Art. 3 EMRK, nicht festzustellen.
335 
Im Ausgangspunkt ist festzustellen, dass der Senat - wie oben ausgeführt - sich nicht davon überzeugen konnte, dass der Kläger mit einer Gruppe der Mujaheddin oder anderer regierungsfeindlicher Organisationen in Konflikt geraten ist. Deshalb kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ihm wegen dieses Umstandes und möglicher Nachstellungen die notwendige und für eine Sicherung des Existenzminimums unerlässliche Flexibilität (insbesondere am Arbeitsmarkt) fehlt.
336 
Der Senat geht in seiner Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 09.11.2017 - A 11 S 789/17 -, juris), an der er auch in Ansehung der Erwägungen im Gutachten von Stahlmann vom 28. März 2018 festhält, davon aus, dass im Falle leistungsfähiger, erwachsener Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen und ohne familiäres oder soziales Netzwerk bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind, sofern nicht spezifische individuelle Einschränkungen oder Handicaps festgestellt werden können, was hier jedoch nicht der Fall ist.
337 
(1) Zwar ist die Lage in Kabul prekär. Wie sich aus den vorstehenden Darstellungen ersehen lässt, sind sowohl die wirtschaftlichen Voraussetzungen als auch die humanitären Umstände schlecht. Dasselbe gilt für die in den letzten Jahren stetig schlechter gewordene Sicherheitslage. Dennoch kann nicht für sämtliche Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan insgesamt an (familiären oder sonstigen) Beziehungen oder an Unterstützungsnetzwerken fehlt, angenommen werden, die schlechten Bedingungen im Land könnten generell und bei allen diesen Rückkehrern ganz außerordentliche individuelle Umstände darstellen und die hohen Anforderungen zur Bejahung des Art. 3 EMRK trotz fehlenden Akteurs erfüllen.
338 
Afghanistan und insbesondere Kabul sind gerade auch in jüngster Zeit mit der Rückkehr einer Vielzahl von Menschen aus dem benachbarten und westlichen Ausland konfrontiert. Dabei stellt sich deren Lage, obwohl die Situation für Rückkehrer schwierig ist, nicht für alle gleichermaßen problematisch dar. Berichte dahin, dass Rückkehrer generell oder aber jedenfalls in sehr großer Zahl und unabhängig von ihrer persönlichen Disposition ihr Existenzminimum nicht sichern könnten, gibt es nicht. Vielmehr sind bestimmte, vulnerable Gruppen wie etwa Familien mit jüngeren Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke oder ältere Menschen in besonderem Maße gefährdet, ohne dass aber insgesamt festzustellen wäre, dass die Existenzsicherung oder gar das Überleben für sämtliche Rückkehrer nicht gewährleistet wäre.
339 
Insbesondere trifft dies auch nicht für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, aus Europa oder gar aus Deutschland zu, zumal beispielsweise mit Unterstützung der IOM seit dem Jahr 2003 insgesamt 15.041 Personen aus verschiedenen Ländern Europas (darunter das Vereinigte Königreich, Norwegen, die Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien und Österreich) freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Allein im Jahr 2016 unterstützte die IOM 6.864 Personen bei ihrer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, davon über 3.000 aus Deutschland. Die meisten Rückkehrer (78 % oder 5.382) waren dabei junge Männer, von denen wiederum ein erheblicher Anteil zwischen 19 und 26 Jahren alt war (2.781) oder sogar Jugendliche mit bis zu 18 Jahren (2.101). Die Zahl der zurückgekehrten Familien wird mit 733 angegeben.
340 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 16; Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 2; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 10.
341 
Neben diesen zahlreichen freiwilligen Rückkehrern gab und gibt es Abschiebungen aus Europa. So wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und April 2017 insgesamt 176 Personen aus Europa nach Afghanistan abgeschoben, darunter 106 aus Deutschland, von denen wiederum auch einige keine Verwandten in Kabul oder teilweise auch im gesamten Land hatten.
342 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3 ff.
343 
Vom 31. Mai 2017 bis zum 23. Januar 2018 wurden 68 weitere Personen aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben.
344 
BT-Drs. 19/632 S. 5.
345 
Obwohl diese Rückkehrer sich - wie dargestellt - in Afghanistan vielen Belastungen gegenübersehen und die Situation im Land äußerst schwierig ist, sind den umfangreichen Erkenntnismitteln zur Lage in Afghanistan keine Informationen zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort stehe einer Existenzsicherung in Afghanistan bzw. in Kabul (auch nur auf niedriger Stufe) entgegen. Zwar gibt es vereinzelte Rückkehrerberichte, die die oben geschilderte Bandbreite von Problemen betreffen. Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahin, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern sowie kinderlose Ehepaare in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, liegen hingegen nicht vor. Zwar lassen sich für den Senat auch schwerwiegende Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche durchaus nicht ausschließen, eine tatsächliche Gefahr, dass sie eintreten werden, besteht indes nicht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Situation auch im Falle des Klägers realisieren würde - dass also auch der Kläger entsprechend erkannt würde, dass er infolge dessen tatsächlich keinen Zugang zu einer auch nur einfachen Unterkunft haben würde oder vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre -, vermag der Senat daher nicht festzustellen.
346 
(2) Insbesondere lässt sich aus dem Fehlen eines bereits bestehenden familiären oder sozialen Netzwerks in Kabul nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK herleiten. Ein solches traditionelles Unterstützungsnetzwerk, das durch (unterstützungsfähige und -willige) Mitglieder der (erweiterten) Familie oder ihrer größeren ethnischen Gruppe gebildet wird, ist auch nach Auffassung von UNHCR im Falle von alleinstehenden, leistungsfähigen Männern ohne besonderen Schutzbedarf trotz der schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan nicht geboten, um zu verhindern, dass im Falle der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein kontinuierlicher Prozess in Gang gesetzt wird, in dem sie verelenden und bleibende schwere physische und seelische Schäden davontragen. Denn von diesen kann erwartet werden, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen, wobei allerdings dennoch immer eine einzelfallbezogene Analyse vorzunehmen ist.
347 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 10 und S. 99, wobei in der nachfolgenden Stellungnahme des UNHCR vom Dezember 2016 (Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Inneren - Dezember 2016) insofern keine Änderungen der Bewertung vorgenommen wurden (vgl. dort zur Aufrechterhaltung der Erwägungen der Richtlinien vom 19.04.2016: S. 7 f.).
348 
Aus den oben zusammengefasst wiedergegebenen Erwägungen von Stahlmann in ihrem Gutachten vom 28. März 2018 für das Verwaltungsgericht Wiesbaden ergibt sich keine andere Sicht der Dinge. Denn wenn dort festgestellt wird, es sei im Wortsinn für viele Afghanen nicht „denk-bar“, ohne Zugehörigkeit zu sozialen Netzwerken zu überleben, der Versuch, als Individuum ohne soziale Netzwerke Zugang zu neuen sozialen Netzwerken zu bekommen, sei nicht vorgesehen und das Konzept der alleinstehenden Person sei in Afghanistan schlicht nicht vorhanden, dann spricht zwar viel dafür, dass diese Aussagen in ihrer Allgemeinheit zutreffen. Indes beantworten diese Aussagen nicht die Frage, wie es um die Überlebenssicherung von alleinstehenden Rückkehrern steht, wenn diese trotz der fehlenden Vorstellbarkeit des Alleinstehens in größerer Zahl tatsächlich in Afghanistan auftauchen. Hier bleibt es für die vom Senat zu treffende Risikoprognose dabei, dass sich eine tatsächliche Gefahr der zeitnahen Verelendung im Falle der Rückkehr nicht belegen lässt und es sogar überwiegend wahrscheinlich ist, dass eine solche Situation nicht eintreten wird.
349 
Von nicht unerheblicher Bedeutung ist es, ob die Betroffenen eine der beiden in Afghanistan gesprochenen Sprachen (Paschtu und Dari) beherrschen und sich somit hinreichend verständigen können.
350 
Zu diesem Kriterium vgl. BayVGH, Urteil vom 16.01.2014 - 13a B 13.30025 -, Leitsatz sowie juris Rn. 25 (Sicherung des Existenzminimums für einen afghanischen Rückkehrer ohne Kenntnisse einer der Landessprachen verneint, wenn kein Vermögen vorhanden und keine familiäre Unterstützung zu erlangen ist).
351 
Dies ist bei dem Kläger der Fall.
352 
Das Erwirtschaften eines - wenn auch womöglich sehr geringen - Einkommens wird dem Kläger trotz des angespannten Arbeitsmarkts wenigstens als Tagelöhner möglich sein. Auch der den Erkenntnismitteln zu entnehmende und auch vom Kläger selbst beschriebene Zusammenhalt unter den Volkszugehörigen der Hazara, der von Stahlmann nicht infrage gestellt wird, kann ihm bei einer Rückkehr nach Kabul zugutekommen, da - wie beschrieben - für Hazara beim Zuzug in eine neue Stadt die Möglichkeit besteht, auf ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse bzw. eine Wohlfahrtseinrichtung zurückzugreifen.
353 
siehe: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
354 
Zwar sind die Lebenshaltungskosten für den Kläger in Kabul hoch. Ausgehend von vorstehenden Ausführungen (ohne Unterbringungskosten) sind sie mit mindestens 100 EUR pro Monat zu bemessen, die Mietkosten werden mit mindestens 88 US$ bzw. 4.000 Afghani bzw. 75 EUR pro Monat angegeben
355 
S.o., insbesondere zu den monatlichen Lebenshaltungskosten von mindestens 100 EUR: BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017 sowie zum Preis von ab 4.000 Afghani für ein Einzelzimmer: Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42.
356 
Der Kläger hat die Möglichkeit, zunächst im Jangalak-Zentrum oder ggf. in den von der Aga Khan Development Foundation zur Verfügung gestellten Unterkünften zu wohnen, sich von dort um Arbeit und Unterkunft - beides ggf. auf niedrigem Niveau - zu bemühen und - sollte es nicht anders gehen - vorübergehend in einer der informellen Siedlungen unterzukommen. Dass die fraglos beklagenswerten Zustände in solchen Siedlungen insgesamt flächendeckend derart desolat sind, dass sie gleichsam für jeden Bewohner und damit auch für den kinderlosen Kläger mit den hohen Anforderungen des Art. 3 EMRK nicht zu vereinbaren wären, vermag der Senat nicht festzustellen.
357 
Zwar beschreibt Stahlmann, dass sich die Versorgung mit Trinkwasser, Hygiene- und Sanitäranlage sowie Abwassersystemen in den Slums dramatisch verschlechtert habe und die Krankheitshäufigkeit zunehme.
358 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 163.
359 
Indes lässt sich auch ihren Ausführungen nicht entnehmen, dass gravierende Erkrankungen in einer derartigen Häufigkeit aufträten, dass der Rückschluss, jedem gesunden, arbeitsfähigen Mann drohe eine solche Erkrankung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit rechtlich zulässig wäre. Die schlechten hygienischen Zustände in den informellen Siedlungen alleine reichen nicht aus, um die Schwelle zur tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen Behandlung zu überschreiten. Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Verfahren M.S.S./ Belgien und Griechenland angewendeten Standards waren zum einen auf Signatarstaaten der Konvention bezogen und mit Asylbewerbern auf eine besonders schutzbedürftige Personengruppe ausgerichtet, deren Wohlergehen im besonderen Maße von der Fürsorge des Aufnahmestaates abhängt.
360 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 Rn. 249 ff.
361 
Beide Voraussetzungen liegen in der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht vor.
362 
(3) Der Senat geht bei seiner Bewertung der Situation davon aus, dass die dargestellten Rückkehrerhilfen für die Frage der Existenzsicherung des Klägers keine nachhaltige Bedeutung haben können, da sie bestenfalls eine anfängliche Unterstützung bzw. einen nur vorübergehenden Ausgleich schaffen können. Die 500,- EUR, die der Kläger bei einer Entscheidung zur freiwilligen Rückkehr über das REAG/GARP-Programm erhalten würden, vermögen ihm nur eine überschaubare Erleichterung zu bieten. Auch die Leistungen des ERIN-Programms stellt der Senat nicht in die Beurteilung ein. So besteht kein Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weswegen unklar ist, ob der Kläger überhaupt Leistungen erhalten würde. Im Übrigen ist auch nicht im Voraus bestimmbar, welche Leistungen im Falle einer Leistungsgewährung vor Ort in Betracht gezogen werden könnten.
363 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
364 
Gleiches gilt für die Geldleistungen des im Dezember 2017 neu aufgelegten StarthilfePlus-Programms, auf die ein Rechtsanspruch nicht besteht.
365 
(4) Schließlich ist auch im Hinblick auf die durchaus schwierige Sicherheitslage in Kabul ein Verstoß im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht festzustellen. So entspricht die Gefahrendichte in der Provinz Kabul insbesondere nicht der, wie sie im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zur Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) erforderlich wäre.
366 
Zur Heranziehung dieses Kriteriums im Rahmen des Art. 3 EMRK bzw. des § 60 Abs. 5 AufenthG vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteile vom 09.11.2017 - A 11 S 789/17 -, juris; vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/19 -, vom 14.08.2013 - A 11 S 688/13 - und vom 24.07.2013 - A 11 S 727/13.
367 
Denn bei einer auf das Jahr 2017 bezogenen rechnerischen Wahrscheinlichkeit von unter 0,07 %, aufgrund willkürlicher Gewalt getötet oder körperlich verletzt zu werden – ausgehend von dem Zahlenmaterial von UNAMA (siehe oben) – und einer Einwohnerzahl von 3.000.000 besteht keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung allein aufgrund des Ausmaßes vorherrschender Gewalt im Falle einer Rückkehr. Die vermutlich zu niedrigen Angaben von UNAMA (siehe oben) werden hier durch eine konservative Annahme von Einwohnern der Provinz Kabul ausgeglichen. Bei einer qualitativen Bewertung ist aufgrund der Opferzahlen hier – wie auch bei der Heimatregion des Klägers – kein anderes Ergebnis geboten.
368 
Dabei verkennt der Senat nicht, dass unter den sicherheitsrelevanten Vorfällen in Kabul in jüngerer Zeit wiederholt solche zu verzeichnen waren, die sich gegen Volkszugehörige der Hazara bzw. Angehörige des schiitischen Glaubens gerichtet haben, etwa der Anschlag vom 23. Juli 2016 (80 Tote) sowie die genannten Angriffe auf schiitische Moscheen bzw. Einrichtungen am 11. Oktober 2016 (mindestens 13 Tote), am 21. November 2016 (27 Tote), am 15. Juni 2017 (5 Tote), 25. August 2017 (57 Tote), 29. September 2017 (5 Tote), am 20. Oktober 2017 (mindestens 39 Tote) und 28. Dezember 2017 (41 Tote). Angesichts der über eine Million Hazara, die in Kabul leben, vermag auch dies einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht zu begründen, zumal es sich fast ausnahmslos um exponierte Einrichtungen gehandelt hatte und deshalb auch nicht jedermann zu jeder Zeit und an jedem Ort unvorhersehbar betroffen sein konnte.
369 
Die oben beschriebenen Gefährdungen, denen sich der Kläger als Rückkehrer aus dem europäischen Ausland möglicherweise ausgesetzt sehen wird, führen auch auf keine tatsächliche Gefahr der unmenschlichen Behandlung. Denn die insbesondere auch von Stahlmann beschriebenen Sicherheitsrisiken für Rückkehrer aus Europa
370 
Stahlmann, Gutachten 2018, S. 299 ff.
371 
lassen allein den Rückschluss auf das bestehende Risiko des Eintritts einer tatsächlichen Gefahr zu. Das bedeutet, dass der Eintritt eines schädigenden Ereignisses zwar durchaus möglich ist, aber die Schwelle zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. zur tatsächlichen Gefahr noch nicht überschritten ist. Denn aus den Schilderungen, Feststellungen und Schlussfolgerungen der Sachverständigen lässt sich für den Senat nicht erkennen, dass sich die beschriebenen Risiken bei so vielen Rückkehren realisieren werden, dass ein jeder Rückkehrer sich der tatsächlichen Gefahr der unmittelbaren Verelendung gegenübersähe. Weder gibt es über eine Häufung solcher Fälle (verlässliche) Berichte noch gibt es andere, aussagekräftige Indizien, die einen Rückschluss auf eine solche tatsächliche Gefahr zuließen.
372 
2. Aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG folgt für den Kläger kein nationales Abschiebungsverbot.
373 
a) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
374 
Dies kann aus individuellen Gründen - etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit - der Fall sein (a)), kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (b)).
375 
aa) Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst
376 
- Koch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand 15.08.2016, § 60 Rn. 40; Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 33 -,
377 
sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit.
378 
Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712, juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - NVwZ 2003, Beilage Nr. I 7, 53 juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 -, juris Rn. 7 und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, NVwZ 1998, 524.
379 
Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
380 
Vgl. zusammenfassend HTK-AuslR/§ 60 AufenthG/zu Abs. 7 Satz 1 bis 4/ Rn. 8 sowie zum Maßstab bei individuellen Gründen u.a. auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 -, NVwZ 2007, 712, juris Rn. 20 und vom 17.10.1995 – 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 1999, juris Rn. 16.
381 
bb) Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
382 
Zwar sind allgemeine Gefahren - also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land - gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
383 
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
384 
Dazu u.a. BVerwG, Urteile 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1489 Rn. 12 f.; vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 38.; vom 29.09.2011 – 10 C 24.10 -, NVwZ 2012, 451 Rn. 20; vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, NVwZ 2012, 240 Rn. 22 f. und vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, juris Rn. 14 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 28 zu den unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG60 Abs. 2 AufenthG a.F.) sowie auch Art. 3 EMRK einerseits und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG andererseits.
385 
Von diesem Maßstab ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
386 
b) Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
387 
aa) Zum einen besteht keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen. Insbesondere bestehen bei ihm keine individuellen Besonderheiten, etwa gesundheitlicher Art.
388 
bb) Zum anderen lässt sich auch aus den dargestellten, schlechten Lebensverhältnissen in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Denn die beschriebenen hohen Anforderungen, aus denen wegen einer extremen Gefahrenlage ausnahmsweise ein solches Abschiebungsverbot hergeleitet werden könnte, liegen nicht vor. So vermögen die - fraglos schlechten - Lebensverhältnisse vorliegend schon keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (s.o.). Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann, im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, kann der Senat danach nicht festzustellen.
III.
389 
Die Berufung ist daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2, zurückzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
390 
Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. Oktober 2016 - A 2 K 3108/16 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzes und höchsthilfsweise die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots.
Der am ... März 1997 in Ghazni/Afghanistan geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger islamisch-schiitischen Glaubens vom Volk der Hazara. Er reiste nach eigenen Angaben am 7. September 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik ein und beantragte am 3. Februar 2016 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 11. März 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, vor seiner Ausreise habe er in Afghanistan in der Provinz Ghazni im Distrikt Nahoor in der Region Sabzaab gelebt. Vor ungefähr neun Monaten sei er ausgereist. Die Reise habe bis zum Iran 60.000 Afghani gekostet. Die Kosten habe sein Bruder getragen. Für die weitere Reise nach Deutschland seien es etwa 9.000,00 EUR gewesen. Das Geld stamme aus dem Verkauf ihres Landes. Seine Eltern seien tot. Er habe keine nahen Verwandten in Afghanistan. Es gebe ein paar Cousins, zu denen er keinen Kontakt habe. Ihren Aufenthaltsort kenne er nicht. Er habe bis zur sechsten Klasse die Schule besucht. Er habe als Fliesenleger gearbeitet. Befragt zu seinem Verfolgungsschicksal gab der Kläger an, es habe in ihrer Region große Probleme mit Kutschi-Nomaden gegeben, die sie regelmäßig - schon als er noch ein Kind gewesen sei - im Frühling angegriffen und Vieh und Vorräte genommen hätten. Sie hätten auch seinen Vater getötet. Persönlich angegriffen worden sei er nicht. Er sei immer gegangen, bevor die Kutschi gekommen seien. Im letzten Jahr habe es einen großen Angriff der Kutschi gegeben. Es seien viele Menschen aus ihrer („unserer“) Heimatregion vertrieben worden.
Mit Bescheid vom 5. April 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf die Anerkennung als Asylberechtigter sowie auch den Antrag auf subsidiären Schutz ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan oder einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung festgesetzt.
Gegen den am 20. Mai 2016 zugestellten Bescheid erhob der Kläger am 30. Juni 2016 unter Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Klagefrist Klage zum Verwaltungsgericht. Zur Begründung trug er vor, auf Grund einer fehlerhaften Namensbezeichnung sei ihm der Bescheid erst auf Nachfrage beim Sozialen Dienst und gezielte Suche hin am 23. Juni 2016 bekannt geworden. In der Sache selbst trug er vor, er habe im Ort Sabzeab in der Provinz Ghazni mit seinem Bruder und seinem Vater gelebt. Der Ort sei regelmäßig von Kutschi-Nomaden angegriffen worden. Das Land seines Vaters sei regelmäßig von Kutschi besetzt worden. Im Alter von 15 Jahren habe er mitansehen müssen, wie sein Vater von den Kutschi erschossen worden sei, als dieser versucht habe, sein Land zu verteidigen. Aus Angst vor Angriffen hätten der Kläger und sein Bruder das Land des Vaters verkauft und seien ins etwa drei Autostunden entfernte Nawur geflohen. Dort habe der Kläger als Fliesenleger arbeiten können. Von ehemaligen Nachbarn aus Sabzeab hätten sie erfahren, dass die Kutschi, die früher die Ländereien besetzt hätten, sie suchten. Die Kutschi verübelten ihnen, dass sie das Land verkauft hätten und dieses nun wegen der wehrhaften neuen Eigentümer nicht mehr besetzt werden konnte. Aus Angst von den Kutschi hätten die Brüder sich zur Flucht entschlossen. Mit dem Geld aus dem Landverkauf seien sie in den Iran geflohen. Von dort habe sie ein Schlepper für 60.000 Afghani zur türkischen Grenze gebracht. Dort habe er seinen Bruder bei einem Zusammenstoß mit türkischen Grenzbeamten verloren. Er habe seine Flucht über das Mittelmeer allein fortgesetzt und nochmals 9.000 EUR bezahlen müssen. Beim Bundesamt habe er nur sehr unvollständige Angaben gemacht, weil ihm nicht klar gewesen sei, wie ausführlich er habe berichten sollen. Er sei mittellos und in Afghanistan völlig auf sich allein gestellt. Zur Familie der Mutter bestehe schon seit deren Tod kein Kontakt mehr. Der Kontakt zu seinem Onkel väterlicherseits und dessen Familie sei abgebrochen. Außerdem verwies der Kläger auf die Situation der Volkszugehörigen der Hazara in Afghanistan im Allgemeinen.
In der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2016 vor dem Verwaltungsgericht beantragte der Kläger, ihm wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, den Bescheid des Bundesamts vom 5. April 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft - hilfsweise subsidiären Schutz - zuzuerkennen und weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen. Im Rahmen seiner Anhörung gab der Kläger an, er habe in Afghanistan einen Onkel, von dem er aber nicht wisse, wo er sich aufhalte. Wo sein Bruder sei, wisse er nicht. Verwandte in Deutschland habe er nicht. Er gehe hier zur Schule. Er habe sein Heimatdorf verlassen, weil sie im Dorf ständig von den Kutschi-Nomaden gestört worden seien. Sie seien von diesen geschlagen worden. Einmal sei sein Arm von einem der Kutschi mit einem Gewehrkolben gebrochen worden. Sein Vater sei hinzugekommen und erschlossen worden. Sie hätten bei der Polizei Anzeige erstattet, aber keine Hilfe erhalten. Sie hätten dann die Grundstücke unter Preis verkauft. Etwa drei bis vier Monate nach dem Tod des Vaters seien sie nach Nawur. Dort hätten sie zwei bis drei Monate bei einer Hazarafamilie gewohnt, die sie wegen ihrer Volkszugehörigkeit aufgenommen habe. Anders als sein Bruder habe er selbst wegen des gebrochenen Arms nicht arbeiten können. Die Kutschi hätten sie weiter gesucht. Danach seien sie ins etwa drei bis dreieinhalb Fußstunden entfernte Dorf Gorgoshte gegangen. Dort hätten sie drei bis dreieinhalb Monate bzw. vier bis fünf Monate lang gewohnt. Sie hätten dort einen Mann kennengelernt, mit dem sie dann etwa eineinhalb Jahre in einem Ort namens Kakrak gelebt hätten. Sie hätten für den Mann geputzt und beim Fliesenlegen geholfen. Befragt nach seinen Befürchtungen im Falle einer Rückkehr schilderte der Kläger unter Darstellung jüngster Vorfälle, Hazara würden in Afghanistan unterdrückt, entführt und schlecht behandelt. Hazara müssten in Kabul wegen der schlechten Sicherheitslage von Bodyguards geschützt werden.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 13. Oktober 2016 ab. Die Klage sei zwar zulässig, da hinsichtlich der versäumten Klagefrist angesichts des Ablaufs in der Gemeinschaftsunterkunft Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheide aber aus. Ob der Kläger in seinem Heimatland in der Vergangenheit einer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei könne offenbleiben, da er internen Schutz jedenfalls in der Stadt Kabul erlangen könne. Anhaltspunkte dafür, dass die Kutschi dem Kläger landesweit nachstellen könnten, seien nicht ersichtlich. Die Hazara unterlägen auch nicht als soziale Gruppe in Kabul einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung. Auch der Zuerkennung subsidiären Schutzes stehe die Möglichkeit internen Schutzes entgegen. Nationale Abschiebungsverbote seien ebenfalls nicht gegeben. Da davon auszugehen sei, dass der Kläger in der Lage sein werde, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, sei nicht ersichtlich, dass aus den humanitären Bedingungen im Abschiebungszielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliege. Schließlich bestehe auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 31. Januar 2017 die Berufung gegen das Urteil zugelassen.
Auf den am 7. Februar 2017 zugestellten Beschluss hat der Kläger nach entsprechend gewährter Fristverlängerung am 21. März 2017 unter Stellung eines Antrags die Berufung begründet. Er vertritt unter Wiederholung und Darstellung seiner Angaben im Verhandlungstermin beim Verwaltungsgericht sowie der Urteilsbegründung die Auffassung, ihm sei auf Grund erlittener flüchtlingsrelevanter Verfolgung in Afghanistan - dem Angriff der Kutschi-Nomaden, bei dem ihm selbst der Arm gebrochen worden und sein ihm zu Hilfe eilender Vater erschossen worden sei - die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die im Urteil als widersprüchlich kritisierten Angaben beruhten womöglich darauf, dass der Kläger die Fragen beim Bundesamt nicht richtig verstanden habe. Es seien auch die mit 40 Minuten kurze Dauer der Bundesamtsanhörung, die fehlenden Rückfragen des Entscheiders, der Kulturkreis des Klägers sowie dessen Bildungsstand und Alter zu berücksichtigen. Unter Darstellung verschiedener Erkenntnisquellen argumentiert der Kläger, der Konflikt zwischen den Hazara und den Kutschi sei eine ethnisch bedingte, nichtstaatliche Verfolgung, vor der der afghanische Staat keinen Schutz gewähre bzw. gewähren könne. Interner Schutz in Kabul oder einem anderen Landesteil könne der Kläger in Anbetracht der Sicherheitslage nicht erlangen. Insbesondere sei es ihm angesichts der angespannten wirtschaftlichen und humanitären Lage, nicht zumutbar, sich in Kabul niederzulassen. Er könne seine Existenz dort nicht sichern. Zuletzt hat der Kläger zudem zu seiner gesundheitlichen Situation vorgetragen und ärztliche Schreiben zu einer bei ihm festgestellten und behandelten Herzrhythmusstörung vorgelegt.
10 
Der Kläger beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. Oktober 2016 - A 2 K 3108/16 - zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 5. April 2016 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
12 
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen,
13 
weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG im Hinblick auf Afghanistan bestehen.
14 
Die Beklagte beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Zur Begründung trägt sie unter Darstellung zahlreicher Erkenntnisquellen vor, aus der Zugehörigkeit des Klägers zum Volk der Hazara folge nicht die Gefahr landesweiter Verfolgung.
17 
Der Senat hat den Kläger im Rahmen der am 13. Oktober 2017 durchgeführten mündlichen Verhandlung informatorisch angehört. Zum Inhalt der Anhörung wird auf die Niederschrift zum Verhandlungstermin Bezug genommen.
18 
Der Kläger hat unmittelbar vor sowie im Anschluss an Verhandlungstermin vom 13. Oktober 2017 ergänzend Unterlagen zu seinem gesundheitlichen Zustand vorgelegt. Es handelt sich um folgende Dokumente:
19 
- Schreiben des Universitätsklinikums H... vom 5. Oktober 2017 zur Vorstellung in der Chest Pain Unit des Klinikums am selben Tag mit der Verdachtsdiagnose „Wolff-Parkinson-White-Syndrom“ (einer Herzrhythmusstörung), wobei zum weiteren Vorgehen eine Wiedervorstellung zur Durchführung einer elektrophysiologischen Diagnostik und Kathetertherapie für den 23. Oktober 2017 vermerkt wurde sowie
20 
- Schreiben des Universitätsklinikum H… vom 23. Oktober 2017 zur erfolgreichen transseptalen Ablation einer linksposteroseptalen Bahn bei WPW-Syndrom;
21 
- Schreiben des Medizinischen Versorgungszentrums Dr. H. u.a. (Ärzte für Innere Medizin, Kardiologische Diagnostik u.a.) vom 6. November 2017, wonach beim Kläger am 23. Oktober 2017 im Rahmen der elektrophysiologischen Untersuchung erfolgreich abladiert und eine Leitungsbahn am Herzen erfolgreich habe verödet werden können;
22 
- Schreiben des Medizinischen Versorgungszentrums Dr. H. u.a. vom 13. November 2017 zu Rückfragen der Klägervertreterin bezüglich der Wahrscheinlichkeit sowie der Folgen eines möglichen Rezidivs.
23 
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 28. und 29. November 2017 auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet.
24 
Dem Senat liegen die verfahrensbezogenen Akten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie die des Verwaltungsgerichts vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf diese Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
25 
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
26 
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
27 
Die Klage ist zwar aus den zutreffenden Erwägungen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zulässig (vgl. ohnehin § 60 Abs. 5 VwGO). Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Denn in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hat der Kläger weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (I.) noch auf subsidiären Schutz (II.). Auch ein nationales Abschiebungsverbot liegt nicht vor (III.).
28 
I. Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
29 
1. Rechtsgrundlage: §§ 3 bis 3e AsylG
30 
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention GFK - (BGBl 1953 II S. 559), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugungen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
31 
a) §§ 3, 3a AsylG
32 
Nach § 3a Abs. 1 AsylG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl EU L 337/9, kurz auch Anerkennungs-/Qualifikationsrichtlinie; im Folgenden RL 2011/95/EU) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU) können als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u. a. gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
33 
Die Feststellung einer Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG setzt voraus, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach der Vorschrift geschützten Rechtsguts selbst zielt.
34 
BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 Rn. 13 und vom 19.01.2009 -10 C 52.07 -, NVwZ 2009, 982 Rn. 23 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -; vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, Asylmagazin 2017, 197, juris Rn. 39 und vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389, juris Rn. 26.
35 
b) § 3c AsylG
36 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 RL 2011/95/EU) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 RL 2011/95/EU) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
37 
c) § 3e AsylG
38 
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, was voraussetzt, dass der betroffene Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e AsylG).
39 
d) Wahrscheinlichkeitsmaßstab (beachtliche Wahrscheinlichkeit/real risk)
40 
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung begründet ist, gilt der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2d RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
41 
BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
42 
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung erforderlich. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falls die tatsächliche Gefahr (sog. „real risk“) einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnenen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert. Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger gewissermaßen unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen.
43 
VGH Bad.-Württ., Urteile vom 30.05.2017 - A 9 S 991/15 -, juris Rn. 25, vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, juris Rn. 40 und vom 03.11.2016 - A 9 S 303/15 -, Asylmagazin 2016, 232, juris Rn. 32.
44 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU gelten können.
45 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss.
46 
VGH Bad.-Württ., Urteile vom 30.05.2017 - A 9 S 991/15 -, juris Rn. 27 und vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, juris Rn. 42.
47 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise verfolgt worden ist.
48 
BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32 und vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, NVwZ 2011, 1463 Rn. 22; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -; vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, Asylmagazin 2017, 197, juris Rn. 43 und vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389, juris Rn. 34 m.w.N.
49 
Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften.
50 
e) Maßstab der Überzeugungsbildung
51 
Das Gericht trifft seine Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des vom Kläger behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge im Heimat-, also im „Verfolgerland“ vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind.
52 
Neben der bereits beschriebenen Besonderheit auf dem Gebiet des Beweismaßes (beachtliche Wahrscheinlichkeit, s.o. lit d)) ist im Flüchtlingsrecht daher auch die Modifikation im Bereich des Beweismittel zu beachten: Unter Berücksichtigung des beschriebenen Beweisnotstands kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu, weswegen allein der Tatsachenvortrag des Asylsuchenden zum Erfolg der Klage führen kann, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft" sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann.
53 
Grundlegend: BVerwG, Urteile vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 567, juris Rn. 16 und vom 29.11.1977 - I C 33.71 -, juris, beide m.w.N.; außerdem: BVerwG, Beschlüsse vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, NVwZ-RR 2011, 382 und vom 08.03.2007 - 1 B 101.06 -, BeckRS 2007, 22701; vgl. dazu auch Stuhlfauth, in: Bader, u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 108 VwGO Rn. 8, m.w.N.
54 
So sieht auch Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95/EU unter bestimmten Umständen vor, dass die Einlassung des Schutzsuchenden ausreichend sein kann und es keiner Nachweise seiner Aussagen bedarf. Und zwar dann, wenn dieser sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen, alle ihm verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen, und er eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben hat, festgestellt wurde, dass seine Aussagen kohärent und plausibel sind und sie zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, er internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat (es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war) und schließlich auch seine generelle Glaubwürdigkeit festgestellt worden ist.
55 
Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 22.11.2012 - C-277/11 - (M.M./Irland), NVwZ 2013, 59.
56 
Es ist demzufolge zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden berücksichtigt werden.
57 
Dazu BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, NVwZ 1990, 171, juris Rn. 3 und 4 sowie auch OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 2632/06.A -, BeckRS 2013, 55090 juris Rn. 59.
58 
Mit anderen Worten: Für die richterliche Überzeugungsbildung ist eine bewertende Gesamtschau des gesamten Vorbringens des Schutzsuchenden unter Berücksichtigung seiner individuellen Aussagekompetenz und seiner Glaubwürdigkeit erforderlich, die die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso berücksichtigt wie die Plausibilität des Vorbringens, an der es etwa fehlen kann, wenn nachvollziehbare Erklärungen fehlen oder unterbleiben, falsche oder missverständliche Urkunden nicht erklärt werden können bzw. wenn Beweise oder Vorbringen ohne nachvollziehbaren Grund verspätet vorgebracht werden.
59 
Vgl. insgesamt auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -, BeckRS 2017, 127389 Rn. 23 ff. sowie International Association of Refugee Law Judges, Assessment of Credibility in Refugee and Subsidiary Protection claims under the EU Qualification Directive, Judicial criteria and standards, https://www.iarlj.org/images/stories/Credo/Credo_Paper_March 2013-rev1.pdf, Seite 33 f.).
60 
2. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf Grund von Vorverfolgung
61 
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Denn er befindet sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes. Dem Kläger droht in Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung.
62 
Eine insoweit relevante Vorverfolgung des Klägers, auf Grund derer der Kläger die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen könnte, liegt nicht vor.
63 
Der Schilderung des Klägers beim Verwaltungsgericht und vor dem Senat, wonach ihm bei einem der regelmäßigen Angriffe der Kutschi-Nomaden auf die Ländereien seines Vaters durch einen Angreifer mittels eines Gewehrkolbens der Arm gebrochen worden sei, glaubt der Senat nicht.
64 
Zwar kommt es durchaus regelmäßig zu den vom Kläger beschriebenen Konflikten zwischen den paschtunischen Kutschi-Nomaden, die von den Hazara teils mit der Bezeichnung „taleban“ versehen werden, und niedergelassenen Hazara.
65 
Vgl. dazu insgesamt ausführlich Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, dort auch S. 13 zur verbreiteten Bezeichnung „taleban“ für die Kutschi.
66 
Allerdings ist die Schilderung des Klägers nicht in Einklang zu bringen mit seinen Angaben beim Bundesamt und auch mit den (ansonsten detaillierten) Darstellungen im Schreiben zur Klagebegründung vom 7. Juli 2016. Beim Bundesamt hat der Kläger auf Frage, ob er persönlich bedroht oder angegriffen worden sei, angegeben, er sei immer weggegangen, bevor die Kutschi gekommen seien, nämlich in den Nachbardistrikt. Auch in der ausführlichen Klagebegründung wird ein Angriff auf den Kläger oder eine Verletzung nicht erwähnt, obwohl (in Steigerung zum Vortrag beim Bundesamt) nun erstmals geschildert wird, der Kläger habe mit ansehen müssen, wie sein Vater von den Kutschi beim Versuch, sein Land zu verteidigen, erschossen worden sei. Genau in diesem Zusammenhang soll nach der Schilderung des Klägers beim Verwaltungsgericht und vor dem Senat nun auch der Angriff auf den Kläger selbst erfolgt sein. Auf Vorhalt seiner Angaben beim Bundesamt hat der Kläger lediglich erklärt, man habe ihn gefragt, warum er nach Deutschland gekommen sei. Er habe keinerlei Gelegenheit bekommen, etwas dazu zu sagen. Auch auf wiederholte Nachfrage und Bitte um Erklärung seiner Antwort beim Bundesamt auf die ausdrücklich auf einen ihn persönlich betreffenden Angriff bezogene Frage hat der Kläger nur geäußert, er sei bedroht, weil Kutschi und Taliban dasselbe seien. Wieso der Kläger ein derart zentrales und auch für ihn persönlich prägendes Ereignis wie den Tod seines Vaters und den Angriff auf ihn selbst mit der Folge einer erheblichen Verletzung beim Bundesamt nicht geschildert hat, erschließt sich (auch im Hinblick auf die gehaltlos gebliebenen Erklärungsversuche des Klägers) nicht. Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angeführten Umstände - etwa der seiner Ansicht nach kurzen Dauer der Bundesamtsanhörung (welche richtigerweise nicht 40, sondern 55 Minuten dauerte), des kulturellen Hintergrunds sowie des Bildungsstands und des Alters des Klägers - ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger seinen jüngsten Schilderungen entsprechend Opfer eines Übergriffs der Kutschi geworden ist, zumal die Angaben des Klägers im Verhandlungstermin vom 13. Oktober 2017 auch im Übrigen in sich widersprüchlich und unklar waren (etwa die Angaben zum Erlös aus dem Verkauf des väterlichen Lands, zu dem der Kläger zunächst 9.000 EUR und 60.000 Afghani, dann nur 9.000 EUR angegeben und zuletzt geäußert hat, er wisse überhaupt nicht, was sein - wechselnd jüngerer oder älterer - Bruder für den Verkauf erhalten habe).
67 
Danach fehlt es bereits an einer glaubhaft geschilderten Verfolgungshandlung (§ 3a AsylG), so dass es keiner weiteren Ausführungen dazu bedarf, ob der vom Kläger beschriebene Sachverhalt überhaupt an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund des § 3b AsylG (etwa - wie es das Verwaltungsgericht angedeutet hat - die Ethnie des Klägers) anknüpft, oder ob dieser schlicht kriminelles Unrecht betrifft.
68 
3. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Gruppenverfolgung der Hazara
69 
Des Weiteren kommt auch eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft alleine auf Grundlage der Zugehörigkeit des Klägers zum Volk der Hazara nicht in Betracht. Denn nur die Anknüpfung an die Volkszugehörigkeit - ohne bzw. unabhängig von einer Vorverfolgung - wäre nur dann zur Begründung einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung geeignet, wenn sich eine Verfolgung der gesamten Gruppe der Hazara feststellen ließe.
70 
Dies ist allerdings nicht der Fall.
71 
a) Rechtliche Anforderungen
72 
Zwar kann sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen, also einer anlassgeprägte Einzelverfolgung ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich erheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet, also die Gefahr der Gruppenverfolgung besteht. Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Mit dem Begriff der Gruppenverfolgung werden daher lediglich schlagwortartig die Voraussetzungen bezeichnet, unter denen anzunehmen ist, dass jeder Gruppenangehörige ohne Rücksicht auf sein persönliches Schicksal in der Gefahr persönlicher Verfolgung steht. Der Begriff der Gruppenverfolgung ist damit nur ein Hilfsmittel, um aus Maßnahmen, die gegen die Gruppe gerichtet sind, auf eine individuelle Verfolgungsbetroffenheit zu schließen. Das Eingreifen der Regelvermutung
73 
- BVerwG, Urteile vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, Rn. 13, vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, NVwZ 2006, 1420, juris Rn. 20 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590, juris Rn. 7; zum Teil auch als materiell-rechtlicher Anscheinsbeweis bezeichnet: Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 108 Rn. 73 -
74 
ohne Nachweis individueller konkreter Verfolgungsmaßnahmen setzt voraus, dass jedes im Verfolgungsgebiet im Verfolgungszeitraum lebende Gruppenmitglied nicht nur möglicherweise latent oder potentiell, sondern wegen seiner Gruppenzugehörigkeit aktuell gefährdet ist, weil den Gruppenangehörigen insgesamt Verfolgung droht. Die Verfolgungshandlungen müssen sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht; dagegen sind nur vereinzelt bleibende, individuelle Übergriffe gegen Gruppenmitglieder nicht geeignet, eine Gruppenverfolgung zu begründen. Erforderlich ist vielmehr eine bestimmte Verfolgungsdichte mit einer großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter, die die Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich erhebliche Merkmale treffen. Die Gruppenverfolgung kann dabei nicht nur aus unmittelbarer oder mittelbarer staatlicher Verfolgung resultieren, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Ob die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung vorliegen ist durch eine wertende Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu ermitteln. Die Verfolgungswahrscheinlichkeit aufgrund einer Gruppenverfolgung ist dabei ausgehend von der (jedenfalls annähend zu bestimmenden) Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe zu ermitteln. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, kann gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen. Auch für die Gruppenverfolgung gilt, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine erreich- und zumutbare Möglichkeit internen Schutzes offensteht.
75 
Vgl. insgesamt: BVerwG, Urteile vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936, Rn. 41; vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, Rn. 13 ff.; vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590, juris Rn. 7 f. und vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420, juris Rn. 20 ff., jeweils m.w.N.; grundlegend zur Gruppenverfolgung auch: BVerfG, Urteil vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85, 515/90, 1827/89 -, NVwZ 1991, 768 und BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175.
76 
b) Subsumtion: Keine Gruppenverfolgung von Hazara in Afghanistan
77 
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer Gruppenverfolgung der Hazara allerdings aus. Die Hazara bilden zwar eine ethnische Minderheit (aa)), es ist allerdings weder eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung festzustellen (bb)) noch lässt sich auf Grundlage der Situation der Hazara im alltäglichen Leben (cc)) eine Gruppenverfolgung ersehen, zumal auch positive Entwicklungen zu verzeichnen sind (dd)). Insbesondere vermag der Umstand, dass Volkszugehörige der Hazara Opfer von Anschlägen und kriminellen Übergriffen werden, eine Gruppenverfolgung nicht zu begründen (ee))
78 
aa) Die Volksgruppe der Hazara stellt im Vielvölkerstaat Afghanistan - nach den Paschtunen (40 %) und den Tadschiken (25 %) - mit einem Anteil von etwa 10 % der Bevölkerung eine Minderheit dar.
79 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 72, 94 und 96).
80 
Ihre Anzahl wird auf ungefähr drei Millionen geschätzt.
81 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
82 
Teilweise wird abweichend hiervon eine Zahl von 2,7 bis 6 Millionen bzw. ein Anteil von 9 bis 20 % der Bevölkerung angegeben.
83 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6 m.w.N.).
84 
Hinsichtlich der Vergleichsgröße ist für das gesamte Land von einer Einwohnerzahl zwischen etwa 27 bis 34 Millionen auszugehen.
85 
Vgl. dazu Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150: 33,3 Millionen; so auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; vgl. auch „the world fact book“ - Afghanistan auf https://www.cia.gov/ für Juli 2017 geschätzt 34,124,811 Einwohner; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees - Mai 2017 -, S. 55: mindestens 31,5 Millionen; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 18/Rn. 48: mindestens 30 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 2: 29.724.323; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8/Rn. 30: 27 bis 32 Millionen.
86 
Bei den Hazara handelt es sich um ein Volk mongolischer Abstammung. Auf Grund dieser Herkunft sind sie optisch wegen ihrer tendenziell eher zentralasiatischen Gesichtszüge meist als ihrer Volksgruppe zugehörig zu erkennen.
87 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7; Stahlmann, ZAR 2017, 189 (190 f.); Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6.
88 
Sie sprechen vorwiegend einen Dialekt des Persischen namens Hazaragi, der mongolische und turksprachige Wörter enthält. Die Hazara waren einst die größte ethnische Gruppe Afghanistans. Mehr als die Hälfte der Hazara-Bevölkerung war allerdings bereits im Jahr 1893 getötet worden, als die Hazara nach einem politischen Aufstand ihre Autonomie eingebüßt hatten. Die meisten Hazara leben auch heute noch im sogenannten Hazarajat (auch: Hazarestan) im zentralen Bergland Afghanistans, dem „Land der Hazara“. Dessen ca. 50.000 Quadratkilometer großes Gebiet ist in seiner exakten Abgrenzung zwar umstritten, es umfasst jedenfalls den Bereich der Provinz Bamiyan sowie Teile benachbarter Provinzen. Andere Hazara leben in den Bergen von Badachschan (eine Provinz im äußersten Nordosten Afghanistans), aber auch in weiteren Teilen Afghanistans, etwa in Daikundi und Ghazni.
89 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6; vgl. auch zu weiteren Distrikten Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 17; vgl. auch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 152, dort werden als Kernland der Region des Hazarat die Provinzen Bamiyan, Ghazni, Daikundi, der Westen der Provinz Wardak und Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis und Sar-e Pol genannt.
90 
In Bamiyan besteht die Bevölkerung beispielsweise zu 67 % aus Hazara.
91 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 2.
92 
Die meisten Hazara in Kabul leben in dem überbevölkerten Gebiet Dasht-e Barchi.
93 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87 f. Fn. 492.
94 
Der ganz überwiegende Teil der Hazara ist schiitischen Glaubens und stellt somit auch in religiöser Hinsicht - im Vergleich zu den mehrheitlich sunnitischen Muslimen des Landes - eine Minderheit dar.
95 
Vgl. insgesamt ausführlich: Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 2 und 4 m.w.N. sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7 und UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 59.
96 
bb) Für eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung der Hazara gibt es keine Anhaltspunkte.
97 
In der afghanischen Verfassung ist der Gleichheitsgrundsatz verankert. Sie schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Auch ist eine systematische, etwa auch nach dem Merkmal der Volkszugehörigkeit diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis für Afghanistan nicht erkennbar.
98 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 und S. 11; Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150; anschaulich auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 17.
99 
Nachdem die Hazara zuvor unter dem Regime der sunnitischen Taliban schwerwiegenden Misshandlungen - etwa auch Massakern und dem Vorenthalten von Nahrungsmitteln - ausgesetzt gewesen waren, konnten sie neben ihrer allgemeinen sozio-ökonomische Position insbesondere ihre gesellschaftliche Stellung auch in der Politik erheblich verbessern. So besetzte ein Hazara unter Präsident Karzai verschiedene hochrangige Regierungspositionen, u.a. auch das Amt des Vizepräsidenten. Auch ansonsten finden sich in hochrangigen Positionen in der öffentlichen Verwaltung und der Politik sowohl auf zentraler als auch lokaler Ebene Hazara. Die Hazara gelten insgesamt als in der Zivilgesellschaft gut vertreten.
100 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.
101 
cc) Im alltäglichen, gesellschaftlichen Leben kommt es allerdings durchaus zu Diskriminierungen von Hazara. So wird - allgemein gehalten - davon berichtet, dass Hazara beständig sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt sowie Inhaftierung betroffen seien und sie beispielsweise auch innerhalb der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt seien, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden, als dies bei Nicht-Hazara-Beamten der Fall ist.
102 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 5 f.; vgl. auch Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 2 m.w.N.; vgl. auch UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87 sowie S. 59 Fn. 327, 328 sowie auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 153; außerdem: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 114 m.w.N.; USDOS, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 47.
103 
Ein Beispiel für die - jedenfalls als solche empfundene - Benachteiligung ist die Auseinandersetzung um den Verlauf einer Stromtrasse. Der Umstand, dass eine durch Bamiyan geplante internationale Hochspannungsleitung lediglich als Durchgangslinie angedacht war und nicht etwa das bislang nur durch eine staatliche Solaranlage (unter-) versorgte Bamiyan elektrifiziert werden sollte, wurde zum Ursprung einer Protestbewegung der Hazara, des sog. „Enlightenment Movement“.
104 
SRF, Bericht: Schiiten in Afghanistan - Das Volk der Hazara will mehr Licht; Diskriminiert - die Minderheit der Hazara in Afghanistan, 16.03.2017; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 f.; vgl. dazu auch im Weiteren zur Demonstration der Hazara bzw. der Enlightenment-Bewegung vom 23. Juli 2016, die zum Ziel eines verheerenden Anschlags von IS-Kräften wurde.
105 
dd) Allerdings gibt es auch positive Entwicklungen. So stellt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2016 dar, dass sich die Lage der ca. 3.000.000 Hazara in Afghanistan grundsätzlich verbessert hat, auch wenn sie in der öffentlichen Verwaltung weiterhin unterrepräsentiert sind, was aber auch noch eine Nachwirkung vergangener Zeiten sein könnte.
106 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
107 
Ähnliches lässt sich auch der Darstellung des UNHCR entnehmen, der von erheblichen politischen und wirtschaftlichen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban Regimes im Jahr 2001 berichtet und u.a. auf die Anzahl der schiitischen Parlamentsmitglieder verweist, die in etwa dem Anteil der Schiiten in der Bevölkerung entspreche. Die Diskriminierung von Schiiten durch Sunniten hat danach deutlich abgenommen und aus Kabul sowie aus größeren Randgebieten seien keine Vorfälle mehr gemeldet worden. In Herat würden - bei einem großen schiitischen Bevölkerungsanteil - sowohl schiitische als auch sunnitische Führer von einem weitgehend harmonischen Zusammenleben berichten.
108 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87, 59, dort insbesondere auch Fn. 326 unter Verweis auf den Bericht des US Department of State vom 14.10.2015: 2014 Report on International Religious Freedom - Afghanistan vgl. zur signifikanten Verbesserung der Lage der Hazara seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 auch Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre,: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 3.
109 
In seinen Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern von Dezember 2016
110 
- UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 5 f. -
111 
berichtet der UNHCR, dass Hazara-Familien aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit als Binnenflüchtlinge in der vergleichsweise ruhigen Provinz Bamiyan aufgenommen wurden, nachdem im Herbst 2016 Dörfer von Hazara im Rahmen der Taliban-Aufstände gegen regierungsnahe Kräfte angegriffen worden sind. Auch kam es zu Verhandlungen zwischen Gruppen der Hazara und der Taliban, durch die bereits einige Angelegenheiten geklärt werden konnten. In Ghazni haben die Taliban und die Hazaras einen Nichtangriffspakt geschlossen, auf der Grundlage, dass den Taliban erlaubt wurde, bestimmte Straßen durch die Gebiete der Hazara zu nutzen.
112 
Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 18 f., vgl. auch S. 20 f.
113 
Hieraus allerdings eine sich verfestigende Lage oder gar eine dauerhafte Entwicklung ableiten zu wollen, ist angesichts der sich ständig ändernden Verbindungen, Partei- und Fraktionswechsel der verschiedenen Akteure (etwa der Bewegungen zwischen und auch innerhalb der Taliban, der IS-Bewegungen und sonstigen Gruppen) nicht angezeigt.
114 
Vgl. zu den von jeher üblichen „pragmatischen“ Doppelallianzen, Wechseln in den Loyalitäten, persönlichen Verbindungen, Meinungsunterschieden und -umschwüngen insbesondere der regierungsfeindlichen Gruppen eindrücklich: Stahlmann, ZAR 2017, 189 (S. 190 ff.), insbes. S. 192 sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22 f.
115 
Vielmehr verbleibt es insgesamt bei einer unsicheren Situation, in der auch nicht von einer gleichförmigen Lage sämtlicher hazarischen Volkszugehörigen die Rede sein kann. So arbeiten die Hazara teilweise mit den Taliban zusammen oder gehören ihnen sogar an
116 
- EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan - recruitment by armed groups, September 2016, S. 19 -,
117 
zuweilen findet - angesichts der üblicherweise schiitischen Religionszugehörigkeit der Hazara allerdings nur in Ausnahmefällen - sogar eine Rekrutierung von Hazara durch die (sunnitischen) Taliban statt.
118 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22.
119 
ee) Auch aus einer für Volkszugehörige der Hazara prekären Sicherheitslage lässt sich nicht auf eine Verfolgungsdichte nach den Anforderungen einer Gruppenverfolgung schließen.
120 
Die Vorfälle, durch die Hazara - oft auch als Angehörige der schiitischen Religion - betroffen waren bzw. verletzt oder sogar getötet wurden, sind zahlreich, was die nachfolgenden (nicht abschließenden) Ereignisse verdeutlichen.
121 
Im März 2016 wurden in der Provinz Sar-e Pol elf, im Juni 2016 17 Hazara entführt. Letztere wurden nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Am 6. Juli 2016 töteten Taliban 22 Polizisten, die Angehörige der Hazara waren.
122 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 6 f. und S. 15 f. sowie außerdem im Bericht insgesamt auch ausführlich zu weiteren Vorfällen vor 2016; US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 3.
123 
Am 23. Juli 2016 ereignete sich in Kabul äußerst gravierender und „öffentlichkeitswirksamer“ Anschlag auf Angehörige der Hazara, der im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19. Oktober 2016 - also aus einer Zeit vor dem schweren Anschlag vom 31. Mai 2017 - als schwerster Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte bezeichnet wurde.
124 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 10.
125 
Bei einem Angriff auf eine Kundgebung der zuvor erwähnten „Enlightenment“-Bewegung in Kabul, zu dem sich die dem Islamischen Staat (auch bezeichnet als Daesh) zugehörige Splittergruppe ISKP (Islamic State Khorasan Province, auch ISIL-KP) bekannte, starben 80 Personen.
126 
UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 6; Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 8; Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups vom 03.10.2016, S. 25; dort auch zur IS-Gruppe ISKP als einer Splittergruppe dies Islamischen Staats (IS), der auch Daesh genannt wird, ausführlich auf S. 22 ff. des Berichts sowie auch: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 18 und 30;
127 
Am 11. Oktober 2016 kam es zu zwei Angriffen auf schiitische Einrichtungen (einen Schrein und die Azrat-Moschee), bei denen mindestens 13 Zivilisten getötet wurden. Am 21. November 2016 wurde eine weitere schiitische Moschee in Kabul (Baqir-Ul-Olum) angegriffen, wobei 27 Zivilisten getötet und mindestens 30 verletzt wurden.
128 
Zu den (jeweils auch abweichenden) Zahlen: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 25; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 5 f., 11 und 16 f. m.w.N.; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10.
129 
Im Gegensatz zu den Selbstmordanschlägen und komplexen Attacken der Taliban richten sich vom ISKP durchgeführte Anschläge auch absichtlich gegen Zivilisten, insbesondere gegen die Hazara als schiitische Minderheit, da diese auch wegen der Teilnahme afghanischer Schiiten am Kampf gegen den IS auf Seiten des syrischen Regimes im Fokus des ISKP steht.
130 
Vgl. dazu den Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
131 
Auch in der maßgeblich von Hazara bewohnten Provinz Bamiyan kommt es wiederholt zu gezielten Angriffen auf Hazara durch regierungsfeindliche Kräfte entlang der Hauptverkehrsstraßen. Dabei erweisen sich insbesondere die Route von Kabul über die Provinz Parwan sowie die Straße über Maidan Wardak als unsicher.
132 
UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 6; vgl. auch Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 11 „Todesstraße“/„Death Road“ und auch Accord Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, 24.02.2016, S. 3; vgl. auch Stahlmann, ZAR 2017, 189 (194) zur „Straße des Todes“.
133 
Die Vorfälle zum Nachteil von Hazara setzten sich auch im Jahr 2017 fort. Bereits am 1. Januar 2017 forderte eine Sprengstoffexplosion in einer schiitischen Moschee in Herat ein Todesopfer. Fünf Menschen wurden verletzt. Regierungsfeindliche Kräfte hielten am 6. Januar 2017 in der Provinz Baghlan einen Bus mit Minenarbeitern, die hauptsächlich Hazara waren, an. Sie töteten acht Passagiere und verletzten drei weitere. In Sar-e Pol wurden durch Anhänger des ISKP am 15. März 2017 drei Hazara getötet. Sie wurden erschossen und anschließend geköpft. Am 12. Mai 2017 verübte der Daesh/ISKP mittels einer ferngesteuerten Sprengvorrichtung einen Anschlag auf eine Bäckerei in einem schiitisch geprägten Stadtviertel vom Herat nahe einer religiösen Versammlung, bei dem sieben Menschen getötet und 17 verletzt wurden. Auch zu einem weiteren Anschlag auf eine schiitische Moschee in Kabul am 15. Juni 2017, bei dem fünf Zivilisten getötet und sieben weitere verletzt worden waren, bekannte sich der ISKP.
134 
UNAMA Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 46 und 48, 49.
135 
Bei zwei weiteren Angriffen auf schiitische Moscheen in Kabul und in der Provinz Ghor am 20. Oktober 2017 wurden in Kabul mindestens 39, womöglich sogar mehr als 65 Personen getötet und 67 weitere verletzt; in Ghor wurden bis zu 33 Menschen getötet. Bei gegen die schiitische Minderheit gerichteten Anschlägen wurden im Zeitraum zwischen Januar und Ende Oktober 2017 insgesamt mindestens 149 Menschen getötet und 300 verletzt, wobei für den überwiegenden Anteil vermutlich der ISKP verantwortlich ist.
136 
Human Rights Watch: The Pain Behind the Numbers of Afghanistan’s Deadly Attacks, 23.10.2017; Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017.
137 
ff) Angesichts vorstehender Ausführungen und auch im Hinblick auf die im Verhältnis zur Gesamtzahl der in Afghanistan lebenden Hazara nicht ausreichend gewichtigen Anzahl ist insgesamt trotz der dargestellten Vielzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle zum Nachteil von Hazara nicht festzustellen, dass über eine „nur“ latente oder potentielle Gefährdung hinaus ein Grad erreicht wäre, der die Feststellung zuließe, dass grundsätzlich die gesamte Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Ein- bzw. Angriffen betroffen wäre. Auch kann aus dem Umstand, dass die Opfer der Vorfälle hazarische Volkszugehörige sind, nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass sie ihren Grund immer gerade in der Volks- oder auch in der schiitischen Religionszugehörigkeit der Geschädigten haben. Dies ist zwar für einzelne Ereignisse klar oder jedenfalls naheliegend.
138 
Vgl. etwa für den Anschlag auf die Demonstration vom 23. Juli 2016 oder die Anschläge auf schiitische Moscheen in der zweiten Hälfte des Jahrs 2016, vgl. dazu UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 41 f. sowie auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation Office, August 2017, S. 19.
139 
Teilweise lässt sich bereits nicht feststellen, ob es sich nicht schlicht um kriminelles Unrecht handelt, das letztlich zufällig zum Nachteil von Hazara wirkt, aber ebenso andere Volksgruppen treffen könnte und auch trifft. So kann etwa der Anteil betroffener Hazara auf der vorgenannten „Death Road“ auch auf andere Umstände als ihre Ethnie zurückzuführen sein, etwa darauf, dass sie überdurchschnittlich viel reisen. Auch der Umstand, dass ein großer Anteil von Hazara in Stadtzentren lebt, dort in höheren Positionen tätig ist und daher auch mehr Geld verdient, kann ihre hohe Betroffenheit erklären.
140 
So einer von mehreren Erklärungsansätzen laut Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 19.
141 
Auch bleibt oft unklar, von wem die Übergriffe letztlich ausgehen, da es oft kein oder umgekehrt mehrere Bekenntnisse verschiedener Gruppen gibt und beispielsweise auch eine Tendenz zu bestehen scheint, wonach die afghanische Regierung nicht zuordenbare Gruppen erst einmal dem IS zuschreibt.
142 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 22.
143 
Es bedarf daher auch keiner weiteren Ausführungen dazu, ob der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer Gruppenverfolgung der Hazara nicht ohnehin entgegensteht, dass die Situation der Hazara sich in einzelnen Gebieten und Provinzen erheblich voneinander unterscheidet und sich daher auch die Frage einer internen Schutzmöglichkeit stellen könnte. So stellt sich in homogenen, hauptsächlich von Hazara bewohnten Gebieten die Situation durchaus abweichend von anderen Regionen dar: Die Provinzen Bamiyan und Daikundi werden zuweilen als großteils sicher bezeichnet, wobei aber wiederum Teile im nördlichen Bamiyan und in den an Urusgan angrenzenden Teilen Daikundis als instabil gelten, da sie an Regionen mit Aktivitäten Aufständischer angrenzen
144 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 9; zur Problematik der Gefahren für Hazara auch in verhältnismäßig sicheren Bereichen wegen erforderlicher Reisen in größere Städte zum Zwecke der Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung ergänzend: S. 9 m.w.N.; zum hohen - subjektiven - Sicherheitsempfinden in Bamiyan mit 86,3 % vgl. den Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 9; dort auch auf S. 10 der Hinweis, dass bislang noch keine Anschläge des ISKP auf Hazara in deren angestammten Siedlungsgebieten der zentralen Hochlandregion bezeugt sind).
145 
Insgesamt liegen damit die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung von Volkszugehörigen der Hazara in Afghanistan nicht vor.
146 
So im Übrigen auch: BayVGH, Beschlüsse vom 20.01.2017 - 13a ZB 16.30996 -, juris Rn. 11 f.; vom 04.01.2017 - 13a ZB 16.30600 -, juris Rn. 6; und vom 19.12.2016 - 13a ZB 16.30581 -, juris Rn. 4; außerdem auch jüngere untergerichtliche Entscheidungen: eingehend VG Lüneburg, Urteile vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 24 ff. und vom 13.06.2017 - 3 A 136/16 -, juris Rn. 25 ff.; außerdem VG Cottbus, Urteil vom 01.08.2017 - 5 K 1488/16.A -, juris Rn. 21 ff.; VG Berlin, Urteil vom 14.06.2017 - 16 K 207/17 A -, juris Rn. 20; VG Osnabrück, Urteil vom 15.03.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net, S. 8 UA; VG Düsseldorf, Urteil vom 05.01.2017 - 18 K 2043/15.A -, juris Rn. 28 ff.
147 
II. Kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes
148 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG.
149 
1. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AsylG
150 
Dem Kläger droht weder die Verhängung noch die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 AsylG).
151 
2. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG
152 
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt von Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung droht. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten die § 3c bis 3e AsylG entsprechend. Insbesondere bedarf es also auch für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes aus den in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 genannten Gründen eines Verfolgungsakteurs im Sinne des § 3c AsylG (Art. 6 Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl EU L 337/95).
153 
An diesen Voraussetzungen fehlt es.
154 
Hinweise für drohende Folter (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 1 AsylG) oder ernsthaften Schaden wegen einer unmenschlichen oder erniedrigen Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 3 AsylG) gibt es nicht.
155 
Ebenso kommt die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus auf Grundlage eines gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 2 AsylG relevanten ernsthaften Schadens in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung vorliegend nicht in Betracht. Denn die Voraussetzungen der §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 2, Abs. 3 Satz 1, 3c bis 3e AsylG (a)) sind weder wegen des vorgebrachten individuellen Verfolgungsgeschehens erfüllt (b)) noch im Hinblick auf die humanitären Verhältnisse in Afghanistan, weil es insofern an einem Akteur im Sinne des § 3c AsylG fehlt (c)).
156 
a) Rechtliche Anforderungen
157 
aa) Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die Vorschrift der Umsetzung der RL 2011/95/EU dient, ist sie in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b RL 2011/95/EU auszulegen. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des EGMR zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen, zu verstehen.
158 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 Rn. 220 m.w.N. sowie vom 11.07.2006 - 54810/00 - (Jalloh/ Deutschland), NJW 2006, 3117 Rn. 67; BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 Rn. 22 ff. m.w.N.; siehe auch Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff. und Jarass, Charta der Grundrechte, 3. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 9.
159 
Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen.
160 
Vgl. auch dazu im Einzelnen ausführlich Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff., insbesondere Rn. 24, 25.
161 
bb) Wie bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt auch im Rahmen des subsidiären Schutzes für die Beurteilung der Frage, ob ein ernsthafter Schaden droht, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2f RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des EGMR, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“).
162 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 20; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.03.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
163 
Auch im Rahmen des § 4 AsylG ist der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 erlitten hat, dies stellt aber einen ernsthafter Hinweis dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Denn auch diesbezüglich gilt die Vermutung gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU.
164 
b) Kein Anspruch auf Grund individueller Umstände
165 
Unter Berücksichtigung dieser Anforderung besteht keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Klägers im Falle seiner Rückkehr.
166 
Nach der Schilderung des Klägers wäre eine solche in Anknüpfung an den von ihm als Vorverfolgungsgeschehen geschilderten Übergriff der Kutschi, bei dem sein Arm verletzt wurde, vorstellbar. Wie bereits ausgeführt vermag der Senat von einer solchen Vorverfolgung des Klägers nicht auszugehen, weil er dem Kläger das von ihm geschilderte Verfolgungsgeschehen nicht glaubt. Eine auf dieser Schilderung basierende Zuerkennung subsidiären Schutzes scheidet aus.
167 
c) Kein Anspruch auf Grund der schlechten humanitären Situation mangels Akteur
168 
Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Denn es fehlt am erforderlichen Akteur § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG.
169 
Trotz der inhaltlichen Kongruenz von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG („Als ernsthafter Schaden gilt:... Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ...“) und Art. 3 EMRK („Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“)
170 
- vgl. dazu sowie auch zu Unterschieden: Storey, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part D III, Art. 15 Rn. 3 f. -
171 
führt das Vorliegen der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nicht zwingend zu einer Zuerkennung subsidiären Schutzes. Denn es reicht nicht aus, dass die Voraussetzungen eines Tatbestandes nach § 4 Abs. 1 AsylG erfüllt sind. Vielmehr sind - neben § 4 Abs. 2 AsylG - gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch die Anforderungen der § 3c bis 3e AsylG zu beachten, die für den subsidiären Schutz entsprechend gelten. Erforderlich ist daher, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadens von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten.
172 
Es ist in der Rechtsprechung des EuGH geklärt, dass ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15b RL 2011/95/EU eine Situation nicht erfasst, in der eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf fehlende Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit im Herkunftsstaat zurückzuführen ist, solange die notwendige Versorgung nicht absichtlich verweigert wird. Dies folgt u.a. daraus, dass Art. 6 RL 2011/95/EU eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Schäden im Sinne des Art. 15 RL 2011/95/EU müssen daher von bestimmten Dritten verursacht werden.
173 
EuGH, Urteil vom 18.12.2014 - C-542/13 - (M´Bodj), NVwZ-RR 2015, 158, insb. Rn. 35 und 41.
174 
Dies bekräftigend hat auch Generalanwalt Bot jüngst ausgeführt, aus der Auslegung von Art. 6 RL 2004/83/EG - der Fall betrifft das Vereinigte Königreich - folge, dass die in Rede stehenden ernsthaften Schäden durch das Verhalten eines Dritten verursacht werden müssen. Ein Anspruch auf subsidiären Schutz ist nämlich nicht schon dann begründet, wenn nachgewiesen wird, dass für den Betroffenen bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestünde. Es muss auch nachgewiesen werden, dass diese Gefahr auf Faktoren beruht, die den Behörden dieses Landes direkt oder indirekt anzulasten und ihnen stets bewusst sind, und zwar entweder weil die Behörden des Staates, dem der Betroffene angehört, ihn persönlich bedrohen oder diese Bedrohung tolerieren, oder weil diese Bedrohung auf unabhängige Gruppen zurückgeht, vor denen die Behörden ihre Staatsangehörigen nicht wirksam schützen können.
175 
GA Bot, Schlussanträge vom 24.10.2017 - C-353/16 - (MP/Vereinigtes Königreich), Rn. 28 - 30.
176 
Insbesondere trifft es nicht zu, dass Art. 3 EMRK eine erweiternde Auslegung von Art 15b RL 2011/95/EU gebieten würde
177 
(so aber: Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), dort S. 11),
178 
denn mit einer möglichen Versagung internationalen Schutzes wird unionsrechtlich nicht abschließend darüber entschieden, ob eine Rückführung in den Herkunftsstaat rechtlich zulässig ist, was sich u.a. aus Art. 5 RL 2008/115/EG ergibt. Der zu prüfende Grundsatz der Nichtzurückweisung ist hier umfassend und damit auch auf Art. 3 EMRK bezogen zu verstehen und damit weiter als derjenige aus Art. 33 Abs. 1 GFK.
179 
Vgl. Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part C VII, Art. 5 Rn. 9.
180 
Diese Auslegung von Art. 15b RL 2011/95/EU steht im Einklang mit der herrschenden Lehre und Rechtsprechung.
181 
VG Berlin, Urteil vom 10.07.2017 - VG 34 K 197.16 A -, juris Rn. 54; VG Lüneburg, Urteil vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 51 f.; VG Osnabrück, Urteil vom 15.05.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net; außerdem: EASO, Qualification for International Protection Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109; vgl. auch Hinterberger/Klammer, Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen: Die aktuelle EGMR- und EuGH-Rechtsprechung zum Non-Refoulement und deren Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage, NVwZ 2017, 1180 [1181 f.] sowie wohl auch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 32 und Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 60 Rn. 57 zum „nicht in vollem Umfang“ identischen Schutzbereich von § 60 Abs. 5 AufenthG und von § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU/§ 4 AsylG.
182 
An einem somit erforderlichen Akteur fehlt es vorliegend. Denn die humanitäre Lage und die prekären Lebensumstände sind keinem der genannten Akteure nach § 3c AsylG zuzurechnen.
183 
Vgl. zu dem Umstand, dass die schwierige humanitäre Situation in Afghanistan nicht unmittelbar dem afghanischen Staat zuzurechnen ist bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108, dort zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, sowie auch - anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
184 
Die schlechte Versorgungslage (betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung) wird durch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans, die dort herrschenden Umweltbedingungen (also insbesondere die schwierigen klimatischen Bedingungen sowie Naturkatastrophen) sowie maßgeblich durch die volatile Sicherheitslage negativ beeinflusst und bestimmt. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte. Insbesondere wird weder die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten noch werden all diese Umstände gezielt herbeigeführt.
185 
Vgl. dazu im Folgenden die Darstellungen zu den Lebensverhältnissen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
186 
Daher scheidet die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG bereits in Ermangelung eines tauglichen Akteurs aus.
187 
3. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG
188 
Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor.
189 
a) Rechtliche Anforderungen
190 
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 AsylG ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht.
191 
aa) Dies ist der Fall, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt aber außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen.
192 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - (Elgafaji/Niederlande), NVwZ 2009, 705 und vom 30.01.2014 - C-285/12 - (Diakité/Belgien), NVwZ 2014, 573.
193 
Der für die Annahme einer individuellen Gefahr in diesem Sinne erforderliche Grad willkürlicher Gewalt wird daher umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund solcher individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden etwa als Arzt oder Journalist ergeben, da diese regelmäßig gezwungen sind, sich nahe an einer Gefahrenquelle aufzuhalten. Ebenso können solche Umstände aber auch aus einer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist.
194 
Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
195 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, juris Rn. 13; NdsOVG Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
196 
Das besonders hohe Niveau kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Zustand permanenter Gefährdungen der Bevölkerung und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts festgestellt werden. Vielmehr erfordert die Bestimmung der Gefahrendichte eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung - etwa auch im Hinblick auf die medizinische Versorgungslage - erfolgen.
197 
BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 23 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 - 3 L 53/12 -, juris Rn. 24 ff.; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
198 
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011
199 
10 C 13.10, Rn. 22 und 10 C 11.10, Rn. 20
200 
- bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 (0,125 %) bzw. 1:1.000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen.
201 
Vgl. hieran anknüpfend auch: NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
202 
bb) Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Der Begriff des „tatsächlichen Zielortes der Rückkehr“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH
203 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - (Elgafaji/Niederlande), NVwZ 2009, 705, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167
204 
ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat schützt, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat. Auch eine nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage) ändert nichts daran, dass diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz behält. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aus.
205 
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167.
206 
b) Situation am maßgeblichen Ort, der Provinz Ghazni
207 
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen fehlt es - auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände (dazu lit. c)) - an der erforderlichen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt.
208 
Dabei ist in Anwendung vorstehender Anforderungen auf die Provinz Ghazni abzustellen, in der der Kläger geboren und aufgewachsen ist und wo er sich bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan aufgehalten hat.
209 
Für diese ist allerdings sowohl nach quantitativer Betrachtung als auch in qualitativer Hinsicht die erforderliche Gefahrendichte nicht festzustellen.
210 
Denn das Risiko der Verletzung oder Tötung liegt für die Provinz Ghazni weit unterhalb den vorgenannten Schwellen von 0,125 % bzw. 0,1 %.
211 
Ghazni hat ca. 1.270.000 Einwohner. Es ist die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl und bildet gemeinsam mit den Provinzen Khost (Einwohnerzahl ca. 593.000), Paktia (Einwohnerzahl ca. 570.000) und Paktika (Einwohnerzahl ca. 450.000) die südöstliche Region Afghanistans.
212 
Zu den (geschätzten) Einwohnerzahlen (2017): Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017: Ghazni 1.270.192, Paktia 570.534, Khost 593.691, Paktika 449.116. sowie auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; zu 2016: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 71, 93 und 96 m.w.N. (CSO 2016): Ghazni: 1.249.000; Khost; 584.000; Paktia: 561.000; Paktika: 441.000; für 2015: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94, 98, 101 und 106: Ghazni: 1.228.831, Paktia: 551.987; Khost: 574.582, Paktika: 434.742; zur Einordnung in die südöstliche Region: UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 2 und S. 12 Fn. 15.
213 
Für die südöstliche Region ergibt sich damit eine Gesamteinwohnerzahl von ca. 2.881.000.
214 
Für das Jahr 2015 erfasste die UNAMA eine Anzahl von 1.470 verletzten oder getöteten Zivilpersonen in der südöstlichen Region. Für das Jahr 2016 wurden insgesamt 903 gezählt.
215 
UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 21.
216 
Für die (mangels provinzbezogener Zahlen herangezogene) südöstliche Region ist damit orientiert an der Gesamteinwohnerzahl von ca. 2.881.000 für bei 1.470 Opfern für das Jahr 2015 von einer Wahrscheinlichkeit von 0,051 % und für das Jahr 2016 mit 903 Opfern von 0,031 % auszugehen. Nichts anderes ergibt sich, wenn der Provinz Ghazni die Hälfte der Opferzahlen für die südöstliche Region zurechnet werden, weil Ghazni rund 44 % der Einwohner der südöstlichen Region stellt (1.270.000 zu 2.881.000) und weil auf Ghazni in der Vergangenheit auch etwa die Hälfte der sicherheitsrelevanten Vorfälle (einschließlich Vorfällen, die nicht zum Nachteil von Zivilpersonen erfolgten) entfallen sind. So wurden im Zeitraum 1. September 2015 bis 31. Mai 2016 für Ghazni insgesamt 1.292 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, während es im Vergleich dazu in Khost 441, in Paktia 394 und in Paktika 491 Vorfälle gab. Der Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in der südöstlichen Region von damit insgesamt 2.618 stehen für Ghazni damit 1.292 Vorfälle gegenüber, also ein Anteil von etwa der Hälfte.
217 
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 72, 94 und 96; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 95, 99, 102 und106.
218 
Auch bei der Übertragung dieses Verhältnisses ergibt sich lediglich ein Anteil von 0,058 % für 2015 (die Hälfte von1.470 zu 1.270.000) bzw. 0,036 % für 2016 (die Hälfte von 903 zu 1.270.000).
219 
Für das erste Halbjahr 2017 hat die UNAMA die Anzahl der zivilen Opfer u.a. auch nach Provinzen aufgeführt. Für Ghazni wurden danach 165 Opfer erfasst
220 
- UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 -,
221 
was hochgerechnet für das gesamte Jahr 2017 eine Zahl von 330 Personen ergäbe. Für das Jahr 2017 errechnet sich mit der hochgerechneten Zahl von 330 Opfern in Orientierung an der Einwohnerzahl von Ghazni mit 1.270.000 ein Anteil von 0,026 %.
222 
Dabei ist dem Senat andererseits bewusst, dass die von der UNAMA berichteten zivilen Opferzahlen womöglich auf Grund der Methodik der UNAMA tatsächlich zu niedrig bemessen sein können.
223 
Zur Problematik der Aussagekraft der UNAMA-Zahlen im Hinblick auf das selbst auferlegte Erfordernis von drei unabhängigen Quellen vgl. Stahlmann, ZAR 2017, 189 (192 f.); hierauf unter Aufgreifen der Bedenken Bezug nehmend auch Berlit, ZAR 2017, 110 (116).
224 
Eine „Korrektur" der ausgewiesenen Zahlen mit Hilfe eines - ohnehin schwierig zu bemessenden - Faktors
225 
- in diese Richtung: NdsOVG, Urteil vom 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 65; HessVGH, Urteil vom 30.01.2014 - 8 A 119/12.A -, BeckRS 2014, 48268; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, NVwZ-RR 2014, 939, juris Rn. 151 und 230; jeweils unter hilfsweiser Betrachtung ("selbst wenn") mit einer Verdreifachung der UNAMA-Zahlen, orientiert an einer Stellungnahme von an einer Stellungnahme von Dr. Danesch an den HessVGH vom 03.09.2013, S. 11 -
226 
hält der Senat allerdings nicht für angezeigt. Denn es ergibt sich nicht mir unter Berücksichtigung des vorliegend schon quantitativ geringen Anteils auch unter qualitativen Gesichtspunkten nicht, dass sich die allgemeine Gefahr so weit verdichtet hätte, dass eine erhebliche individuelle Gefahr bzw. Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG zu bejahen wäre.
227 
Insbesondere ist bei der Bewertung auch zu berücksichtigen, dass sich die Sicherheitslage in Ghazni gegenüber dem Vorjahr erheblich verbessert hat. Die Zahl der zivilen Opfer ist um 26 % zurückgegangen.
228 
Vgl. UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73.
229 
Der Senat verkennt nicht, dass es auch im Jahr 2017 zu Vorfällen zum Nachteil der Zivilbevölkerung gekommen ist und voraussichtlich auch weiter kommen wird. Allerdings sind die Gewinne der Taliban in der Region minimal und unbeständig. Im Gegensatz zum Jahr 2015 registrierte die UNAMA im Jahr 2016 auch keine Entführungsfälle der Hazara-Bevölkerung in Ghazni mehr. In vormals betroffenen Gegenden wurden Checkpoints der afghanischen Sicherheitskräfte errichtet, was als Abschreckung gewertet wird.
230 
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55; UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 74 f.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 56.
231 
Insgesamt ist daher sowohl bei quantitativer als auch bei qualitativer Betrachtung angesichts der Bevölkerungszahl auf der einen und den Verletzten und getöteten Zivilpersonen auf der anderen Seite für eine Zivilperson in der Provinz Ghazni nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden.
232 
Vgl. auch BayVGH, Beschlüsse vom 10.04.2017 - 13 a ZB 17.30266 -, juris Rn. 5; vom 06.04.2017 - 13a ZB 17.30254 -, juris Rn. 7; NdsOVG, Urteil vom 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 51 ff.
233 
c) Keine individuell gefahrerhöhenden Umstände als Hazara
234 
Insbesondere lässt sich dies auch unter Berücksichtigung individueller Umstände nicht feststellen. Denn im Falle des Klägers sind keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände gegeben, die eine erheblichen individuellen Gefährdung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu begründen geeignet sind.
235 
So lassen sich solche nicht aus der Volkszugehörigkeit des Klägers herleiten.
236 
Wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht, sind Volkszugehörige der Hazara zwar wiederholt Opfer im andauernden Konflikt, da es in Afghanistan insgesamt, aber auch in der hier maßgeblichen Provinz Ghazni immer wieder zu gezielt gegen Hazara bzw. Schiiten gerichtete Aktionen kommt, etwa die Anschläge auf schiitische Moscheen sowie die (vermutlich) gerade auf Hazara zielende Entführungen. Hinsichtlich letzterer ist allerdings darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zum Jahr 2015 im Weiteren in der Provinz Ghazni keine solchen Entführungen mehr bekannt wurden und auch im Land insgesamt ein ganz erheblicher Rückgang festzustellen ist: Während im Jahr 2015 noch 224 Hazara entführt worden waren, waren es 2016 noch 84 Personen, was ohnehin nur 4 % der Gesamtzahl an Entführungsopfern des gesamten Landes darstellt.
237 
UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 74 f. und S. 65; UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation Office, August 2017, S. 19.
238 
Anhaltspunkte dahin, dass die zivilen Opfer in der Provinz Ghazni, deren Bevölkerung zu 49 % aus Paschtunen, zu 46 % aus Hazara und zu 5 % aus Tadschiken besteht
239 
- EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94 -,
240 
zu einem erheblichen Teil Volkszugehörige der Hazara sind, gibt es ebenso wenig wie dafür, dass dies für das gesamte Land der Fall wäre. So werden etwa als die Hauptziele regierungsfeindlicher Kräfte in Ghazni nicht etwa die Hazara genannt, sondern Mitglieder der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) (hierzu gehören u.a. die Armee, die Luftstreitkräfte, die Polizei etc.), Distriktgouverneure, Stammesführer und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen. In Ghazni hatten die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle im Zeitraum zwischen September 2015 und Mai 2016 direkte bewaffnete Auseinandersetzungen und Luftangriffe zum Hintergrund (nämlich 952 von 1.292). Andere Ursachen sind eher untergeordnet (155 Vorfälle im Rahmen von Sicherheitsmaßnahmen wie Festnahmen etc., 144 im Zusammenhang mit Explosionen, 39 Fälle von gezielt gegen Einzelpersonen gerichteter Gewalt etc.).
241 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94 f.; zu den Definitionen S. 9 ff.
242 
Dass Hazara von den danach wesentlichen, bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und regierungsfeindlichen Kräften bzw. den Luftangriffen in besonderem Maße betroffen wären, ist nicht ersichtlich.
243 
Auch UNAMA hat im Midyear Report des Jahrs 2017 festgestellt, dass die Hauptursache für die Verletzung bzw. Tötung von Zivilisten Bodenkämpfe sind (diese umfassen etwa direkte bewaffnete Auseinandersetzungen und Zusammenstöße der Konfliktparteien, Kreuzfeuer etc.). An zweiter Stelle folgen improvisierte Sprengkörper (IEDs) und erst an dritter Stelle kommen gezielte bzw. absichtliche Tötungen.
244 
UNAMA Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 sowie S. 68.
245 
Danach lässt sich nicht feststellen, dass nur oder vor allem Hazara Opfer im Rahmen des bestehenden Konflikts wären oder dass Hazara in besonderem Maße Gefahr laufen, als unbeteiligte Zivilpersonen Opfer des Konflikts zu werden.
246 
III. Nationales Abschiebungsverbot
247 
Auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (1.) und nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (2.) liegen nicht vor.
248 
1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK
249 
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund der schlechten humanitären Bedingungen in Afghanistan besteht nicht. Denn die rechtlichen Voraussetzungen (a)) hierfür sind unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse in Afghanistan insgesamt (b)) und der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (c)) sowie in Ansehung der der persönlichen Situation des Klägers (d)) nicht gegeben.
250 
a) Rechtliche Anforderungen
251 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
252 
aa) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
253 
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen.
254 
Vgl. dazu bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 4 sowie insbesondere auch juris Rn. 71 m.w.N.
255 
Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will.
256 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681.
257 
Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt.
258 
BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 5 sowie insbesondere auch juris Rn. 79 ff.; EGMR, Urteile vom 02.05.1997 - 146/1996/767/ 964 - (D./Vereinigtes Königreich), NVwZ 1998, 161; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334; vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland) - NVwZ 2011, 413; vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 und vom 13.10.2011 - 10611/09 - (Husseini/Schweden), NJOZ 2012, 952.
259 
Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 13. Dezember 2016
260 
- 41738/10 - (Paposhvili/Belgien), NVwZ 2017, 1187 Rn. 187und 189,
261 
aber nunmehr ausdrücklich wiederholt auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung hinweist, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist, wird hinreichend deutlich, dass außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale auch solche sein können, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.
262 
Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw.
263 
Vgl. dazu jüngst wieder ausführlich BayVGH, Urteil vom 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, BeckRS 2017, 113717; dieser bereits zuvor in seinen beiden Urteilen vom 21.11.2014 – 13a B 14.30285 -, BeckRS 2015, 41010 und - 13a B 14.30284 -; dort jeweils eingehend zur Bejahung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen bezüglich Familien mit minderjährigen Kindern wegen der Rahmenbedingungen in Afghanistan (m.w.N.).
264 
Vorliegend sind allein die hohen Anforderungen der letztgenannten Fallgestaltung maßgeblich, da die hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevanten humanitären Verhältnisse in Afghanistan keinem Akteur zuzuordnen sind (s.o.).
265 
bb) Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch die des Bundesverwaltungsgerichts
266 
- EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f. und BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 -
267 
machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit, als es die allgemeine Lage in Afghanistan als nicht ausreichend ernst für die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK eingestuft hat, die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation betont.
268 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, insb. Leitsatz 3 -; vgl. auch: BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
269 
Dabei kann aber - schon nach der Gesetzessystematik - der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG nicht, insbesondere auch nicht analog, herangezogen werden. Da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind, lassen sich die ggf. erhöhten Anforderungen an eine ausreichende Lebensgrundlage im Fall einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG ebenfalls nicht übertragen.
270 
BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
271 
Ein Zusammenhang zwischen Art. 3 EMRK und § 3e AsylG besteht lediglich dergestalt, dass für den Fall, dass die Situation am vermeintlichen Schutzort einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellte, dieser Schutzort den Anforderungen des § 3e AsylG nicht genügen würde.
272 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 85 m.w.N.
273 
cc) Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein.
274 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - (Abdolkhani und Karimnia/Türkei), InfAuslR 2010, 47; Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris; Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334 sowie Urteil vom 06.02.2001 - 44599/98 - (Bensaid/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2002, 453.
275 
Erforderlich ist danach die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung. Es gilt - wie bei § 60 Abs. 1 AufenthG - der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die für eine Verfolgung sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen.
276 
BVerwG, Urteil v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EGMR, Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris.
277 
dd) Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet.
278 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309.
279 
Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung ist vorliegend Kabul.
280 
Vgl. zu den Flugverbindungen nach Afghanistan: Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 25 sowie zu den bislang durchgeführten Abschiebungen nach Kabul (etwa am 15. Dezember 2016, 24. Januar 2017, 23. Februar 2017 und am 28. März 2017): Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 12 m.w.N.
281 
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kann nur beanspruchen, wem prinzipiell im gesamten Zielstaat der Abschiebung die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung landesweit droht. Es darf also für den Betroffenen keine interne/innerstaatliche Fluchtalternative („internal flight alternative“) bestehen.
282 
Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche)
283 
- vgl. zu den Überschneidungen des Art. 3 EMRK mit dem internen Schutz nach § 3e AsylG (aber auch zu den Unterschieden) ausführlich Marx, ZAR 2017, 304 -
284 
Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen.
285 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 266; EGMR, Urteil vom 11.01.2007 - 1948/04 - (Salah Sheekh/Niederlande) Rn. 141; Lehnert, in: Meyer-Ladewig u.a., EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 3 Rn. 70 m.w.N.
286 
Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat.
287 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 294 f.
288 
Anknüpfend hieran ergibt sich unter Berücksichtigung der landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan (dazu b)) und auch der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (dazu c)), dass unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers (dazu d)) kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt.
289 
b) Lebensverhältnisse landesweit
290 
Die landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und die Situation von Rückkehrern gestalten sich wie folgt:
291 
Afghanistan hat insgesamt etwa 27 bis 34 Millionen Einwohner (s.o.). Über 40 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre, zwei Drittel unter 25 Jahre alt.
292 
Sam Hall, Urban displaced youth in Kabul - mental health matters, Juni 2016, S. 7.
293 
Geprägt wird das Leben der Menschen im Land von einer schwierigen wirtschaftlichen Situation (aa)) und Versorgungslage (bb)), von prekären humanitären Gegebenheiten (cc)) sowie von einer volatilen Sicherheitslage (dd)). Zudem sehen sich Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zusätzlichen Gefahren ausgesetzt (ee)). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Rückkehrer unter bestimmten Umständen spezielle Unterstützungsmaßnahmen erhalten können (ff)).
294 
aa) Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es belegte im Jahr 2015 den Platz 171 und im Jahr 2016 den Platz 169 von 187 im Human Development Index. Mindestens 36 % der Bevölkerung des Landes leben unter der Armutsgrenze. Teils wird auch von einer Steigerung von 36 % für die Jahre 2007/2008 auf 39 % für die Jahre 2013/2014 berichtet, wobei ein Leben in Armut nach dem hier verfolgten Ansatz vorliegt, wenn das Einkommen unter der Armutsgrenze von 1.150 Afghani (20 US$) pro Monat liegt. Afghanistan weist im Vergleich mit allen asiatischen Ländern den höchsten Anteil armer Menschen auf. Die Zahl derjenigen, die humanitärer Unterstützung bedurften, hat sich von 2016 bis zum Beginn des Jahres 2017 um 13 % auf 9,3 Millionen erhöht. Dabei gibt es regionale Unterschiede. Sie reichen von einem Anteil von 27,7 % der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebt, im Südwesten bis zu 49,7 % im Nordosten.
295 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 176; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 31 f. m.w.N.; Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 3 Fn. 17; World Food Programme, Country Brief, WFP Assistance, Juli 2017.
296 
Bei einer ohnehin schon zuvor schlechten Lage ist seit dem Jahr 2012 ein massiver Einbruch der Wirtschaft zu verzeichnen.
297 
Dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N.
298 
Sie sieht sich in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 konfrontiert mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90 % (von 140.000 internationalen Soldaten auf rund 14.000). Die Abwertung des Afghani gegenüber dem US-Dollar schreitet - bei gleichzeitiger Deflation - immer weiter voran. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum ist kurzfristig nicht in Sicht.
299 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21.
300 
Zudem beruht die Wirtschaft zu großen Teilen auf irregulären und illegalen Aktivitäten, darunter der Opiumhandel.
301 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
302 
Der Vergleich des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts für das Jahr 2012 von 14,4 % mit dem des Jahres 2015, in dem nur noch 0,8 % Wachstum zu verzeichnen waren, macht den für das gesamte Land zu verzeichnenden Einbruch deutlich.
303 
Vgl. dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12 m.w.N.; siehe auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 5.
304 
Bis zum Jahr 2016 blieb es bei einem Wachstum von unter 2 %. Auf Grund der abgeschwächten Konjunktur, unter anderem wegen der mangelnden Sicherheit und der politischen Ungewissheit, wird erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt allenfalls geringfügig wächst.
305 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 19 m.w.N.
306 
Diese Wirtschaftslage spiegelt sich auch im Arbeitsmarkt wider, für den uneinheitliche Zahlen vorliegen.
307 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21 zur Bezeichnung der Arbeitsmarktzahlen als schwach und kontrovers ("weak and controversial").
308 
Je nach Quelle und Erfassungsweise werden etwa für das Jahr 2014 Arbeitslosenzahlen von 9,1 % bis 24 % genannt, teils wird - unter Berücksichtigung eines Anteils von 15,3 % unterbeschäftigter Personen - der Anteil der nicht erwerbstätigen Personen sogar mit 40 % angegeben.
309 
Im Einzelnen m.w.N.: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21.
310 
Im Jahr 2015 lag die landesweite Arbeitslosenquote bei 40 %. Der Anteil in den Städten war deutlich höher, da die Landwirtschaft, in der rund 60 % - in ländlichen Regionen sogar 70 % der erwerbstätigen Bevölkerung - tätig sind, weiterhin der stabilste Beschäftigungssektor ist.
311 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (76) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 m.w.N.; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
312 
Auch für den Zeitraum Ende des Jahres 2016 wurde ein Arbeitslosenanteil mit etwa 40 % geschätzt und die Aussichten als sehr düster bezeichnet.
313 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
314 
Ebenso werden für die Jugendarbeitslosigkeit sehr unterschiedliche Größenordnungen genannt. So gibt die Weltbank für das Jahr 2014 einen Anteil von 23 % bezüglich junger Frauen und 16 % hinsichtlich junger Männern an (bei 9,1 % für dieses Jahr im Allgemeinen). Die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten soll um 50 % höher sein als die städtische Arbeitslosigkeit insgesamt.
315 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22.
316 
Es findet sich sogar die Angabe einer Jugendarbeitslosigkeit von 82 %.
317 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76).
318 
Gerade der städtische Arbeitsmarkt ist durch die bereits erwähnten Änderungen des internationalen Engagements geprägt. Dort waren mit der plötzlichen Ankunft internationaler Organisationen zunächst Qualifikationen gefragt, die auf dem lokalen Arbeitskräftemarkt nach den langen Kriegsjahren tatsächlich Mangelware waren - darunter Englischkenntnisse, Arbeitserfahrung mit der in internationalen Organisationen gepflegten Bürokratie und formelle Ausbildungs- und Studienabschlüsse. Außerdem hatte der Bauboom in den Städten, insbesondere im grundlegend zerstörten und rapide wachsenden Kabul, zunächst einen Markt für ungelernte Arbeitskräfte geschaffen.
319 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (74); zum Arbeitsmarkt in Kabul auch Kohler, InfAuslR 2017, 99 (101) mit Verweis auf Islamic Republic of Afghanistan - Central Statistics Organisation, Socio-Demographic and Economic Survey, Figure 11 und Figure 12, dort allerdings nur für das Jahr 2013.
320 
Damals hatten - in begrenztem Maße - selbst die traditionell familiär organisierten privatwirtschaftlichen Betriebe externe Arbeitskräfte aufgenommen (wenn auch in den Grenzen kriegsbedingter Freund-/Feindschemata, so dass Fremde im Sinne ethnischer, religiöser oder lokaler Zugehörigkeit weiterhin weitgehend ausgeschlossen waren). Diese Entwicklung hat sich allerdings durch den bereits als prägend erwähnten Abzug der internationalen Truppen wieder verflüchtigt. Der Bauboom hat sich als kurzfristig erwiesen und auch der Dienstleistungsbereich ist eingebrochen. Geblieben ist der Umstand, dass zur Erlangung einer der wenigen vorhandenen Arbeitsplätze nicht die schulische oder berufliche Ausbildung, Qualifikation oder Erfahrung ausschlaggebend sind, sondern Beziehungen. Dies gilt für den gesamten Arbeitsmarkt, insbesondere auch für Arbeitsplätze im Staatsdienst.
321 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76); anschaulich hierzu auch die Beispiele von Schuster zur allein durch (teils verwandtschaftliche) Beziehungen gekennzeichnete Einstellungspraxis ohne Rücksicht auf die Qualifikation an der Kabuler Universität und verschiedenen Ministerien: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 15/Rn. 44; vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 und 68; vgl. auch die Beispiele zu Rückkehrern, die trotz Qualifikation mangels Beziehungen keine Beschäftigung fanden: Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 65 ff. m.w.N.; zur „untergeordneten“ Rolle von Eignung, Befähigung und Leistung bei der Verteilung administrativer Ämter auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 7.
322 
Das vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Kriegs- und Konflikterfahrungen und anhaltender Alltagskriminalität als notwendig und bewährt erachtete System von Beziehungen bzw. Netzwerken ist geprägt durch eine Gegenseitigkeit, eine langfristige und belastbare Reziprozität. Wer in der Lage ist, einen Vorteil - etwa einen Arbeitsplatz - zu verschaffen, verknüpft hiermit die Erwartung, jedenfalls langfristig seinerseits einen Vorteil zu erlangen. Ist vom Arbeitssuchenden keine Gegenleistung zu erwarten, weil dieser nicht über die erforderlichen Beziehungen verfügt, ist nicht oder weniger zu erwarten, dass ihm eine Arbeitsstelle vermittelt wird. Ein entsprechendes Netzwerk ist daher der Schlüssel zum Arbeitsmarkt. Zudem gewährleistet das System der Empfehlungen, dass der Arbeitgeber sich sicher sein kann, dass der Arbeitssuchende, dessen örtliche und ethnische Herkunft sowie familiären Hintergrund er auf Grund der Empfehlung kennt, vertrauenswürdig ist.
323 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67 f.: „Network as key to the job market“; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12. m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12.
324 
So äußerten die meisten Arbeitgeber in einer Befragung zu ihrer Einstellungspraxis, sie nutzten das traditionellste System: Freunde (62,6 %) und Familie (57,9 %). Entsprechend beklagen die Arbeitssuchenden unabhängig von ihren Qualifikationen, dass die Vergabe von Arbeitsstellen von persönliche Verbindungen, sog. „wasita“ (wechselseitige Verbindungen zu Personen mit Macht oder Einfluss), abhängig sei. Erforderlich sind „shanaktht“ (jemanden kennen) und „safarish“ (eine Art Empfehlung). Nur etwa 15 % der Arbeitnehmer werden über den örtlichen Bazar angeworben, der größte Teil der Arbeitsplätze wird über Freunde oder Verwandte erlangt.
325 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67.
326 
Die Beziehungen oder Netzwerke sind vielschichtig. Für manche besteht ihr Netzwerk aus nahen Verwandten, für andere ist es breiter angelegt und kann auch aus Freunden bestehen. Bei Angehörigen der Hazara kommt es vor, dass beim Zuzug in eine neue Stadt ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse oder Wohlfahrtseinrichtung konzentriert ist. Ganz allgemein genügt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie allein noch nicht, um ein solides Netzwerk für die Arbeitssuche zu begründen.
327 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
328 
Eine staatliche Arbeitsvermittlung oder gar eine Arbeitslosenunterstützung nach westlichen Vorstellungen gibt es nicht. Allerdings werden freie Stellen im öffentlichen Sektor vom Civil Service Commission Management Directorate der Kommission für Öffentlichen Dienst und Verwaltungsreform online angekündigt. Außerdem bietet eine Nichtregierungsorganisation (ACBAR) Unterstützung für Arbeitssuchende an. Sie befindet sich in Charahi Shaheed, Sherpoor Bezirk in Kabul. Auf ihrer Website besteht die Möglichkeit, sich mit einem Lebenslauf und Motivationsschreiben auf relevante Jobs zu bewerben.
329 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
330 
Soweit eine Arbeitsstelle gefunden werden kann
331 
- dazu Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S.10; siehe auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22 zum „vulnerable employment“ -,
332 
ist das durchschnittliche Einkommen (insbesondere im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten, dazu sogleich) gering. Das durchschnittliche monatliche Einkommen in Afghanistan wird in verschiedenen Quellen mit 80 bis 120 US$ angegeben, teilweise wird ein Mindestlohn von 95 US$ für nur vorübergehend beschäftigte Arbeitskräfte genannt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - wie ausgeführt - bei 36 % der afghanischen Bevölkerung der Lohn bei unter 20 US$ pro Monat liegt.
333 
IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 f.
334 
Afghanistan bleibt eine hauptsächlich ländliche Gesellschaft, deren Wirtschaft maßgeblich auf der Landwirtschaft basiert. 76 % der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten. Mehr als die Hälfte der Arbeitskräfte des Landes ist im Bereich der Landwirtschaft beschäftigt. 96 % der Produktion bewegt sich im Bereich der Nahrungsmittelverarbeitung, also einem Bereich, der in hohem Maße von der Landwirtschaft abhängig ist.
335 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22, 32.
336 
Einen nicht unwesentlichen Anteil in der Landwirtschaft hat allerdings auch der Opiumanbau (s.o.), da dieser zum einen eine große Gewinnmarge verspricht und zum anderen die Mohnpflanzen mit den widrigen Bedingungen (etwa der schlechten Bodenqualität) verhältnismäßig gut zurechtkommen.
337 
Zum Opiumanbau allgemein: General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 50; UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 15; zur Verteilung des Opiumanbaus in den einzelnen Provinzen vgl. ausführlich EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016): zu Daikundi, S. 70 f.; zu Kandahar, S. 73 -; zu Helmand, S. 77 („Afghanistan’s single largest opium poppy cultivating province in 2015, accounting for 47 % of the total area under opium poppy cultivation in the country.“); zu Uruzgan, S. 87 („opium poppy as a dominant crop“); zu Zabul - S. 90; zu Badakhshan, S. 133; zu Ghor, S. 171.
338 
Die Landwirtschaft leidet allerdings - neben der problematischen Sicherheitssituation - insbesondere auch unter vielfältigen Naturkatastrophen, weswegen das World Food Programme das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch reagiert. Gerade der Norden - eigentlich die „Kornkammer“ des Landes - ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheit, Überschwemmungen und Erdverschiebungen ausgesetzt
339 
- Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23; UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8 -
340 
(vgl. im Weiteren ausführlicher bei den Darstellungen zur Versorgungslage und zur humanitären Situation unter lit. bb) und cc)).
341 
bb) Die Versorgungslage in Afghanistan ist schlecht. Wie bereits ausgeführt ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt, mit 9,3 Mio. Menschen, die Anfang 2017 auf humanitäre Hilfe angewiesen waren (s.o.).
342 
Im Jahr 2016 waren etwa 1,6 Millionen Afghanen (nach den Daten von UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs - ein Anteil von 6 %) ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit („severely food insecure“) betroffen, bei weiteren 9,7 Millionen Menschen (34 %) war dies in mäßiger Weise der Fall („moderately food insecure“).
343 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 5 f. und 26 sowie die Aufteilung nach Regionen auf S. 21; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 42 m.w.N.; vgl. auch UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 28; dort auch unter Bezugnahme auf UNOCHA der Hinweis auf die Wechselwirkung mit der steigenden Anzahl intern Vertriebener und Rückkehrer, die sich in den städtischen Zentren und Randgebieten sammeln sowie zur erwarteten Anzahl von mehr als einer Million neuer Rückkehrer im Sommer 2017); zur Lebensmittelunsicherheit in den Vorjahren vgl. auch Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014: S. 6 f., 43, 54 und 56 - die Hälfte der Haushalte in Städten und 68 % der intern Vertriebenen werden als ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit betroffen beschrieben.
344 
48 % der Haushalte von intern vertriebenen Personen, die in informellen Siedlungen in Kabul lebten, waren im Dezember 2015 ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit betroffen.
345 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 7.
346 
Insbesondere die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten.
347 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23.
348 
In den Städten allgemein und insbesondere der Hauptstadt Kabul sind die Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Einkommen hoch. So finden sich - jeweils auch abhängig vom Lebensstil - Angaben von 100 bis 150 EUR oder 150 bis 250 US$ für einen alleinstehenden Mann in Kabul
349 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188 -
350 
und mindestens 250 bis zu 600 EUR pro Monat für eine Familie, bestehend aus einem Vater und drei Kindern
351 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017 -,
352 
wobei jeweils noch keine Unterbringungs-/Mietkosten enthalten sind.
353 
Für die Kosten von Wohnraum finden sich - auch abhängig von der Lage - Angaben von einer Monatsmiete für ein Zimmer in Höhe von 100 US$, für ein Einzimmerapartment in Kabul von 88 US$/6.000 Afghani bis zu 146 US$/10.000 Afghani oder auch in Höhe von 160 bis 180 EUR (zuzüglich Nebenkosten von etwa 20 bis 25 EUR/Monat) sowie auch 300 US$. Die Miete für eine Dreizimmerwohnung in Kabul wird mit ca. 300 EUR/Monat bei Nebenkosten in Höhe von etwa 30 EUR angegeben, aber auch Preise von 400 bis 600 US$ zuzüglich Nebenkosten von etwa 40 US$ pro Monat werden genannt.
354 
Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 14/Rn. 41; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 3; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76); vgl. auch Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: Einzelzimmer für 4.000 bis 6.000 Afghani, bei einem Lohnniveau von 4.000 bis 4.500 Afghani pro Monat; EASO, Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2017, S. 7 m.w.N.: 300 US$.
355 
Die im Vergleich zum realistischer Weise zu erzielenden Einkommen immensen Unterbringungskosten bei gleichzeitig großem Zustrom neuer Einwohner erklären, dass etwa drei Viertel der Menschen in Slums lebt.
356 
Dazu ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.).
357 
Sofern Wohnraum auf dem freien Markt verfügbar ist, haben in aller Regel wiederum nur diejenigen eine Chance darauf, die einen Bürgen beibringen können und in der Lage sind, bis zu sechs Monatsmieten im Voraus zu bezahlen. Im Rahmen der Wohnungssuche benötigt man also außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben, aber auch die beschriebenen sozialen Netzwerke. Diese sowie der Umstand, dass sich jemand für den künftigen Mieter und dessen vertrauenswürdigen Charakter gleichsam verbürgt, gewährleisten aus Sicht des Vermieters eine gewisse Sicherheit sowie insbesondere auch, dass der Mieter kein „unmoralisches“ Verhalten an den Tag legt und seine Miete zahlen wird.
358 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.); Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12 und auch S. 14/Rn. 41 und S. 15/ Rn. 44 m.w.N.
359 
Es gibt keine NGOs oder öffentliche Organisationen, die bei der Wohnungssuche unterstützen. Immobilienmakler bieten einen entsprechenden Service im Austausch für eine Monatsmiete von Mieter und Vermieter an.
360 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016.
361 
Zwischen den Verhältnissen in den urbanen Zentren und den ländlichen Gebieten Afghanistans herrscht ein eklatantes Gefälle. Es fehlt außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Der Anteil der Bevölkerung, der Zugang zu Trinkwasser hat, beträgt nur 46 %.
362 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 31.
363 
cc) Verschärft wird die Lage - insbesondere auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmarkt - nicht zuletzt aufgrund erheblicher Migrationsbewegungen.
364 
Für das gesamte Land Afghanistan ist eine erhebliche, zudem stetig ansteigende Anzahl an Migranten festzustellen. Es handelt sich sowohl um Binnenvertriebene (internally displaced persons - IDPs), Rückkehrer (insbesondere aus Iran und Pakistan sowie aus dem westlichen Ausland) und Wirtschaftsmigranten.
365 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
366 
Im Jahr 2015 gab es in ganz Afghanistan mindestens 1,1 Millionen Binnenvertriebene.
367 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21: zwischen 1,1 und 1,2 konfliktinduzierte Binnenflüchtlinge.
368 
Im April 2016 war deren Zahl auf 1,2 Millionen geschätzt worden.
369 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74 f.) m.w.N.;. a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 7.
370 
Bis Jahresende wurden 2016 insgesamt 620.000 bis 650.000 Menschen als kriegsbedingt vertrieben ausdrücklich und aktenkundig registriert - das sind dreimal so viele wie 2014 und sechsmal so viele wie 2012. Im Zeitraum seit Anfang 2017 bis ca. Juli 2017 haben etwa 150.000 Personen auf Grund innerstaatlicher Konflikte ihren Wohnort verlassen. Sie suchen mehrheitlich innerhalb ihrer Provinz Zuflucht, es sind aber auch Fluchtbewegungen in die Provinz Kabul zu verzeichnen.
371 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74) m.w.N.: 623.345; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Verschlechterung bis ins Jahr 2017 mit Rekordzahlen neuer, konfliktbedingter Binnenvertreibung in Höhe von 651.751 Personen; vgl. auch Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
372 
Daneben sind im Jahr 2016 etwa eine Million Menschen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei als Rückkehrende auch jene gelten, deren Eltern schon im benachbarten Ausland geboren wurden. Hintergrund ist, dass der Iran vermehrt afghanische Staatsangehörige abschiebt und Pakistan im letzten Herbst 2016 entschieden hat, ab April 2017 keine afghanischen Personen mehr im Land zu dulden. Zusätzlich zu den 1,6 Millionen afghanischen Staatsangehörigen, die in Pakistan bisher einen Flüchtlingsstatus hatten, betrifft diese Entscheidung nach Schätzungen der pakistanischen Regierung zumindest eine weitere Million illegal dort lebender afghanischer Personen.
373 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 4 zum Rekordniveau von interner Flucht und Vertreibung für das Jahr 2016: ca. 372.000 + 242.000 Flüchtlinge aus Pakistan und 420.000 aus dem Iran sowie eine Prognose für das Jahr 2017 mit 650.000 zurückkehrenden Flüchtlingen; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74): 1.034.000 Rückkehrer aus Iran und Pakistan; a.i., Amnesty Report 2017 - Afghanistan (Berichtszeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016): S. 1; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4: mehr als eine Million; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Rückkehr von 620.000 Flüchtlingen und nicht dokumentierten Afghanen aus Pakistan.
374 
Plastisch hat der UNHCR die Versorgungs- und humanitäre Situation zusammengefasst. Er beschreibt, dass infolge des allgemein gestiegenen Sicherheitsrisikos - einschließlich der Zunahme der die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen betreffenden Sicherheitsvorfälle - der Zugang zu den betroffenen Menschen für humanitäre Hilfsorganisationen begrenzt ist. Die begrenzte Präsenz jener Organisationen in den vom Konflikt betroffenen Gebieten behindert insbesondere den Zugang zu lebensrettender Unterstützung für die besonders schutzbedürftigen Teile der Bevölkerung. Jahrzehnte der Konflikte und wiederkehrender Naturkatastrophen haben die afghanische Bevölkerung in einen Zustand großer Schutzbedürftigkeit versetzt und die Überlebensmechanismen vieler Menschen erschöpft. Der fortwährende Konflikt greift durch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und von Viehbestand, steigende Raten ansteckender Krankheiten, verstärkte Vertreibung, ständige Menschenrechtsverletzungen und höhere Kriminalitätsraten diese Schwachstellen weiter an. Ebenso haben der andauernde Konflikt, schwache Regierungsgewalt sowie ineffiziente oder korrupte Institutionen dazu geführt, dass Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf Katastrophen, Risikoreduzierung und Notfallmechanismen Berichten zufolge nicht oder kaum vorhanden sind. In der Folge stellen Naturkatastrophen wie Überflutungen, Schlammlawinen, Erdbeben, Dürren und harte Winter eine weitere Belastung für die Bevölkerung dar, deren Widerstandskraft ohnehin bereits geschwächt wird.
375 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 30 f.; vgl. auch UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8.
376 
dd) Des Weiteren ist die Situation der Menschen in Afghanistan bestimmt durch eine anhaltend schlechte Sicherheitslage.
377 
Sie wird - bei starken regionalen Unterschieden - allgemein als anhaltend volatil beschrieben.
378 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 4. Ruttig in Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 4 ff. spricht von der dreifachen Krise im Hinblick auf die Sicherheitslage, die sozio-ökonomische und die politische Situation in Afghanistan
379 
Afghanistan besetzt auf dem Global Peace Index (GPI) des Jahres 2017 bei den am wenigsten friedlichen Ländern den zweiten Platz hinter Syrien. In der weiteren Beschreibung des GPI wird dazu ausgeführt, die Gesamtbewertung Afghanistans habe sich das sechste Jahr in Folge weiter verschlechtert. Die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen hat auch in den ersten Monaten des Jahres 2017 wieder zugenommen, insbesondere im Vergleich zu derselben Zeitspanne des Vorjahres.
380 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 14 m.w.N. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 13 f.
381 
Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht von den Kampfhandlungen der Konfliktparteien, aber auch von improvisierten Sprengkörpern, von Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. UNAMA gab im Bericht betreffend den Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt für das Jahr 2016 eine Zahl von 11.418 zivilen Opfern an, davon 7.920 Verletzte und 3.498 Tote. Der Halbjahresbericht vom Juli 2017 geht für das erste Halbjahr 2017 von einer Gesamtopferzahl (Tote und Verletzte) von 5.243 im Vergleich zu 5.267 im Vorjahreszeitraum aus. Die überwiegende Zahl von zivilen Opfern ist dabei auf Kampfhandlungen am Boden (38 % im Jahr 2016, 34 % im ersten Halbjahr 2017) und improvisierte Sprengsätze (19 % im Jahr 2016, 18 % im ersten Halbjahr 2017) zurückzuführen. Dabei ist die Bevölkerung immer dann gefährdet, wenn sie bei Kämpfen der Konfliktparteien zwischen die Fronten gerät oder Opfer improvisierter Sprengsätze wird, die für andere Ziele gedacht waren. Weniger ausschlaggebend ist dagegen, ob die afghanischen Sicherheitskräfte oder die Taliban die Kontrolle über einen Raum ausüben.
382 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8 f.; UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017. S. 3; UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 10.
383 
Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzuführen sind, stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen und Entführungen Bedrohungen dar. Dies gilt insbesondere für Kabul.
384 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 9.
385 
Ein großer Teil des Landes wird von regierungsfeindlichen Kräften beherrscht, wobei die jeweilige Vorherrschaft der unterschiedlichen Kräfte ständigem Wandel unterworfen ist. Im ersten Quartal 2017 waren nur etwa 60 % der 407 Distrikte des Landes unter der Kontrolle oder dem Einfluss der afghanischen Regierung, was einen Anstieg um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Stand Mitte November 2016, aber einen Rückgang um 11 Prozentpunkte im Vergleich zum ersten Quartal 2016 bedeutet. Die Taliban behaupten, 16 der 34 Provinzen Afghanistans zu kontrollieren und in nur 89 Distrikten nicht präsent zu sein. In den südlichen Provinzen Helmand, Nimroz, Uruzgan, Zabul, Ghazni würden beinahe alle Distrikte von ihnen kontrolliert bzw. seien zumindest „umkämpft“.
386 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 22 f. m.w.N.; siehe auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 27.
387 
Unter dem direkten Einfluss der Taliban standen im dritten Quartal 2016 etwa 2,9 Millionen Menschen, im vierten Quartal waren es noch ungefähr 2,5 Millionen.
388 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 26 f.
389 
Die afghanische Regierung konnte dabei die Kontrolle über Kabul sowie die Hauptbevölkerungszentren, die meisten Schlüsselverbindungsstrecken, Provinzhauptstädte und die Mehrzahl der Distriktzentren behalten, wobei Distriktzentren und Provinzhauptstädte von Taliban bekämpft bzw. bedroht und diese sich zeitweise der Hauptkommunikationsverbindungen im Land bemächtigt haben, insbesondere in den Provinzen Kunduz und Helmand.
390 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 23 m.w.N.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 24.
391 
In Afghanistan - aber auch grenzüberschreitend Richtung Pakistan - sind mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke aktiv, darunter die Taliban, das Haqqani Netzwerk (verbündet mit den Taliban, aber nicht Teil von deren Kernbewegung), der Islamische Staat/Daesh in Gestalt der ISKP sowie al-Qaida.
392 
Zu den einzelnen Gruppen ausführlich u.a.: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 10 ff. und 27 ff.
393 
Die Sicherheitslage wird außerdem durch den Opiumanbau in Afghanistan beeinträchtigt. Die Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen sowohl die Aufständischen als auch daneben bestehende kriminelle Netzwerke. Die Anbaufläche für Opium vergrößerte sich im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 10 % auf etwa 201.000 Hektar. Das für das Jahr 2016 geschätzte Volumen der Opiumproduktion betrug 4.800 Tonnen, was eine Steigerung von etwa 43 % im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Die im Vergleich zur Ausweitung der Produktionsfläche auffallend hohe Steigerung der Produktionsmenge erklärt sich aus guten Anbaubedingungen bei zugleich weniger effektiven staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen aufgrund von fehlenden finanziellen Ressourcen hierfür sowie der schlechten Sicherheitslage.
394 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 31; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; zur Instabilität infolge des Opiumhandels: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
395 
ee) Rückkehrer aus dem westlichen Ausland - freiwillig Zurückgekehrte aber insbesondere auch Abgeschobene - sind zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Sie sehen sich dem generellen Verdacht gegenüber, ihr Land und ihre religiöse Pflicht verraten zu haben.
396 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4, je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 97, insb. Rn. 545.
397 
Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird vermehrt dahin wahrgenommen, der Zurückkehrende habe sich der europäischen Kultur und dem Lebensstil angepasst. Es herrscht die Erwartung, der Betroffene werde entsprechendes (Fehl-) Verhalten auch in Afghanistan weiter an den Tag legen, etwa außereheliche Beziehungen, Alkohol- und Drogenkonsum und alle möglichen Varianten von Apostasie. Schon entsprechende Gerüchte können ausreichen, um staatliche Verfolgung, jedenfalls aber Selbstjustiz bis hin zur Bestrafung mit dem Tod - auch durch Angehörige - wegen des vermeintlichen Bruchs kultureller und religiöser Normen auszulösen.
398 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 7 ff. m.w.N., dies., Asylmagazin 2017, 82 (83); Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 22. Januar 2016 zu Afghanistan: Situation einer ledigen Mutter der Hazara-Ethnie in Kabul, 22.01.2016, S. 9 f. sowie US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 11; zum Risiko der vermeintlichen „Kontamination“ durch die westliche Lebensweise: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. S. 4 f./Rn. 13 und dies., Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 19/Rn. 49; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 ff. m.w.N.; zur Problematik der vermeintlichen „Verwestlichung“ bei Frauen ausführlich Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 13 f. m.w.N.
399 
Die Unterstützung durch Angehörige und Familie - soweit vorhanden - ist darüber hinaus des Öfteren eingeschränkt, weil die Rückkehr nach Afghanistan als Ausdruck des Versagens trotz des vermeintlich leichten Lebens im Westen verstanden wird und gleichzeitig der Verdacht schwelt, der Zurückkehrende habe womöglich eine schwere Straftat in Europa begangen. Denn nach einer in Afghanistan weit verbreiteten Auffassung schiebt Europa nur Straftäter ab, weshalb ein Abgeschobener im vermeintlich regellosen Europa ein schweres Verbrechen verübt haben müsse.
400 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 9; zum Stigma des Versagens auch Naber, Asylmagazin 2016, 3 (7) und auch Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 35 sowie S. 36 zur Assoziation der Rückkehr mit Kriminalität, je m.w.N.
401 
Außerdem kann einer Unterstützung durch die Familie entgegenstehen, dass diese erhebliche Mittel aufgewendet oder sogar Geld geliehen hat, um die Reise zu finanzieren. Neben dem Vorwurf, der Zurückkehrende habe die erwartete (Versorgungs-) Leistung nicht erbracht, droht auch die Rückforderung durch Kreditgeber, mit der Folge, dass ein Rückkehrer seiner Familie nicht willkommen, sondern „bestenfalls“ nur eine Belastung für diese ist.
402 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 38 und 41.
403 
Des Weiteren wird als Gefahr beschrieben, dass die Taliban die Flucht als ein Verhalten werten, mit dem man sich ihrem Machtanspruch entziehen will. Nachvollziehbar erscheint angesichts dessen, dass von Seiten der Taliban das Interesse bestehen soll, zur allgemeinen Abschreckung diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich ihnen entzogen haben.
404 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4 ff., je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 41 f.; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 33 f. m.w.N.
405 
Entsprechend wird die ohnehin allgemein übliche Überprüfung der Biographie der Rückkehrer durch das neue soziale Umfeld noch sorgfältiger als üblich vorgenommen, da sie wegen ihrer Flucht grundsätzlich verdächtigt werden, sich persönlicher Verfolgung entzogen zu haben - sei es durch militante Gruppierungen oder Privatpersonen.
406 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 5, m.w.N.; ähnlich Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 40 und 43 m.w.N. vgl. auch S. 35 m.w.N. zur Problematik der Diskriminierung/Entlassung bei Bekanntwerden eines vorangegangenen Aufenthalts im westlichen Ausland.
407 
Zudem wird angesichts des - grob verzerrt und übersteigert wahrgenommenen - Reichtums in Europa („Jeder Europäer ist (Euro-)Millionär“) in Afghanistan oft davon ausgegangen, dass Rückkehrer während ihrer Zeit im Westen zu Wohlstand gekommen sind. Sowohl sie selbst als auch ihre Familien laufen daher Gefahr, Opfer von Entführungen zu werden, die lebensbedrohlich sein können, insbesondere wenn nicht gezahlt wird oder werden kann. Das gleiche gilt für bekanntgewordenen Kontakt mit Ausländern.
408 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (198); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 10 f., je m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 6 f./Rn. 18 sowie Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 20/Rn. 52; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 f. und S. 40, je m.w.N.
409 
Schließlich berichten Rückkehrer von Problemen mit Behörden oder Sicherheitskräften, insbesondere weil sie als anders aussehend wahrgenommen werden, weil sie keine Tazkira haben, aber auch, weil sie als Sicherheitsrisiko empfunden werden, da sie mangels Ausbildung und mangels Chancen auf Arbeit als potentielle Drogenhändler oder durch bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte leicht zu rekrutierende Personen gesehen werden.
410 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 18.
411 
ff) Andererseits können Rückkehrer - anders als die übrige Bevölkerung - von Unterstützungsmaßnahmen profitieren.
412 
Zusammenfassend hierzu: Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 6 f. und Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19 bis 29.
413 
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. Unterstützung in Gestalt von Geldzahlungen können afghanische Rückkehrer, die sich freiwillig in ihr Heimatland zurückbegeben, über zwei Programme des IOM erlangen.
414 
Das REAG/GARP-Programm 2017 („Reintegration and Emigration Program for Asylum-Seekers in Germany“/„Government Assisted Repatriation Program“) gewährt eine Reisebeihilfe (etwa die Übernahme der Beförderungskosten) sowie eine Starthilfe, die für Erwachsene und Jugendliche 500 EUR und für Kinder unter zwölf Jahren 250 EUR beträgt.
415 
IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Informationsblatt Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“ (Juli 2017), S. 1; IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Juli 2017), S. 5); IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Januar 2017), S. 5.
416 
Das „StarthilfePlus-Programm 2017“, das zum Dezember 2017 aktualisiert und erweitert wurde, gewährt Personen, die freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren, eine zusätzliche finanzielle Unterstützung. Bei Entscheidung zur Ausreise und Rücknahme des Asylantrags vor Abschluss des Asylverfahrens werden 1.200 EUR, für Kinder unter 12 Jahren 600 EUR pro Kind geleistet („Stufe 1“). Nach Zustellung eines negativen Asylerstbescheids verringert sich der Betrag auf 800 EUR bzw. für Kinder auf 400 EUR, sofern die verbindliche Entscheidung zur freiwilligen Ausreise innerhalb der im Bescheid gesetzten Ausreisefrist erfolgt und keine Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel eingelegt bzw. bereits eingelegte zurückgenommen werden („Stufe 2“). Die zum Dezember 2017 neu eingeführten „Stufe S“ betrifft Leistungen an Personen mit Schutzstatus, die freiwillig auf ihren Schutzstatus verzichten („Stufe S“). Die Übergangsregelung der „Stufe Ü“, die bereits im Vorgängerprogramm der StarthilfePlus vom Januar 2017 enthalten war, sieht Leistungen ebenfalls im Umfang 800 EUR (bzw. 400 EUR pro Kind) vor. Sie betrifft Rückkehrwillige, die entweder vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist, oder solche, die eine Duldung besitzen, einen Folgeantrag oder einen Zweitantrag gestellt haben. Anders als im Vorgängerprogramm setzt die Gewährung der StarthilfePlus nun nicht mehr voraus, dass die Entscheidung zur freiwilligen Ausreise vor einem Stichtag (dies war bislang der 31. Juli 2017) zu erfolgen hat. Erforderlich ist lediglich, dass die betroffene Person vor dem 1. Februar 2017 in Deutschland registriert wurde und eine vollziehbare Ausreisepflicht, eine Duldung oder die Stellung eines Folge- oder Zweitantrags vor dem 1. August 2017 vorlag. Bei gemeinsamem Antrag von mehr als vier Familienmitgliedern ist zudem bei allen vier Stufen ein Familienzuschlag von 500 EUR vorgesehen. Ein Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung besteht allerdings nicht.
417 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 2; BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Februar 2017), S. 2; BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017:Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017.
418 
Die Auszahlung der Gelder aus dem Programm REAG/GARP erfolgt noch in Deutschland, die des StarthilfePlus-Programms 2017 je zur Hälfte am Abflughafen und zur Hälfte in Afghanistan nach etwa sechs bis acht Monaten. Ansonsten erfolgen Bargeldzahlungen durch die IOM üblicherweise unmittelbar nach der Ankunft am Flughafen oder in einem der IOM-Büros vor Ort.
419 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 3; IOM/ZIRF, Mitteilung vom 14.08.2017 zu den Programmen des IOM für freiwillige Rückkehrer (StarthilfePlus, REAG/GARP) auf eine Anfrage des VGH Bad.-Württ. vom 10.07.2017 (A 11 S 512/17); BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017: Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 13, 17 und 25 m.w.N.
420 
Darüber hinaus bietet die IOM über das European Reintegration Network (ERIN) das Unterstützungsprogramm ERIN Specific Action Program für Rückkehrer nach Afghanistan an. Dieses hat allerdings - anders als die vorgenannten Programme - keine Geldleistungen zum Gegenstand. Es gewährt Unterstützung nach der Ankunft und bei der Reintegration in Afghanistan, wobei freiwillige Rückkehrer eine umfangreichere Unterstützung („larger re-integration packages”) erhalten als diejenigen, die nicht freiwillig zurückgekehrt sind. Die Inanspruchnahme setzt eine Bewerbung vor der Rückkehr voraus. Angeboten werden ein Empfangs- und Orientierungsservice bei der Ankunft am Flughafen, Unterstützung beim Weitertransport, Empfehlungen zur Sicherstellung der durchgehenden Versorgung mit dringender ärztlicher Behandlung und eine Notfallunterbringung von mindestens einer Woche. Zur weiteren Wiedereingliederung kann die Beratung durch einen IOM-Mitarbeiter in Anspruch genommen werden, der den Rückkehrern und ihren Familien etwa bei der Planung einer Strategie zur Reintegration helfen kann und auch dazu, wie sie die ihnen gewährten nationalen Zuschüsse sinnvoll verwenden können. Möglich sind Hilfestellungen bei Existenzgründungen, die Beratung bei der Suche und Vermittlung von Arbeitsstellen, die Vermittlung in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Unterstützung in sozialen, medizinischen und rechtlichen Angelegenheit oder die Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung. Unterstützungsleistungen werden nicht durch Direktzahlungen, sondern durch Beratungs- und Sachleistungen erbracht. Bei rückgeführten Personen können diese höchstens einen Wert von 700 EUR haben. Als „berücksichtigungsfähige Kriterien“ bei der Prüfung werden existenzsichernde Maßnahmen, individueller medizinischer Bedarf, die Rückkehr weiterer Familienangehöriger, die Dauer des Aufenthalts in Deutschland bzw. der Abwesenheit im Heimatland sowie die Vulnerabilität des Betroffenen genannt. Die Reintegrationsmaßnahmen legen der Rückkehrer und der Mitarbeiter vor Ort individuell fest. Die Unterstützung soll nach drei bis sechs Monaten weitgehend abgeschlossen sein.
421 
Siehe insgesamt: BAMF/ERIN, Programmsteckbrief ERIN - European Reintegration Network, Rückkehrerhilfen (Projektdauer Juni 2016 bis Dezember 2021), 14.08.2017; IOM/ ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Briefing Note, 13.03.2017; ERIN/IOM, ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Leaflet, 13.03.2017.
422 
Sachleistungen können freiwillige Rückkehrer außerdem im Rahmen eines für den Zeitraum zwischen 1. Dezember 2017 und 28. Februar 2018 geltenden Sonderprogramms der StarthilfePlus zur Reintegrationsunterstützung beantragen. Diese umfassen u.a. Bau-, Renovierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen, Basismobiliar und Grundausstattung für Küche und sanitäre Anlagen. Die Leistungen sind auf den Wert von 1.000 EUR pro Einzelperson und 3.000 EUR pro Familie begrenzt. Die konkrete Ausgestaltung der Reintegrationsunterstützung ist abhängig von einem nach der Rückkehr im Zielland zu erarbeitenden Reintegrationsplan.
423 
BAMF/IOM, Informationsblatt „Reintegrationsunterstützung im Bereich Wohnen im Bundesprogramm StarthilfePlus“ (Dezember 2017).
424 
IOM-Programme werden allerdings nur in geringem Umfang in Anspruch genommen. Dies scheint vor allem an technischen und bürokratischen Hürden zu liegen. Im Falle abgeschobener Personen kann hinzukommen, dass diese die Ankunft und Rückkehr am Flughafen in Kabul als demütigend empfinden, deswegen nicht das Bedürfnis verspüren, dort zu verweilen und entsprechend auch nicht den Kontakt zu dem dortigen IOM-Mitarbeiter suchen. Wenn der Umstand der Rückkehr als erdrückend empfunden wird, hat dies unter Umständen zur Folge, dass sie ihre Zeit mit dem Versuch verbringen, sich anzupassen, sie auf Grund von Depressionen nicht die Kraft für Verwaltungsaufgaben aufbringen, sie die Weitergabe von Informationen an die Behörden fürchten oder es ihnen an einem Telefon oder dem Geld für die Reise zu einem der IOM-Büros mangelt. Als maßgeblicher Grund wird auch vermutet, dass die Betroffenen nicht auf die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme zu dem IOM-Mitarbeiter hingewiesen werden.
425 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9 f., Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 26 f. m.w.N.; dort auch auf S. 48 zur Problematik, dass von Teilnehmern des IOM-Programms bemängelt worden sei, keine individualisierte Beratung statt, sondern die Beratung zur Planung eines Geschäftsbetriebs sei immer gleich („one-size-fits-all“).
426 
Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützungsprogramme für Rückkehrer aus Europa.
427 
Im April 2015 hat die afghanische Regierung zunächst eine Hohe Kommission für Migration gegründet und im November 2016 dann ein gesondert auf die Belange von Rückkehrern gerichtetes Komitee (Displacement and Returnees Executive Committee). Dessen Funktion ist es, eine Strategie zur Koordination von humanitären und Entwicklungsprogrammen festzulegen sowie die Entwicklung von Richtlinien zur Unterstützung (u.a.) von Rückkehrern. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Unterstützung des Einzelnen. Damit die Rückkehrer nicht als gescheitert und unfähig zur Leistung des von ihnen erwarteten Beitrags erscheinen, ist auch die finanzielle Unterstützung des familiären bzw. sozialen Umfelds angedacht. Der Ansatz ist allerdings kritisiert worden, etwa weil er die örtliche Korruption nicht berücksichtige.
428 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28, dort auch zu Unterstützungsangeboten für das Umfeld bzw. die Gemeinschaft der Rückkehrer („a more community-oriented financial support“).
429 
Die derzeit von Seiten der afghanischen Regierung gewährten Hilfen umfassen die Bereiche der Arbeitsvermittlung, des rechtlichen Beistands sowie Fragen von Grund und Boden und Obdach. Die Unterstützung wird nicht von einer einzelnen Institution gewährt, vielmehr muss der Rückkehrer selbst die Initiative ergreifen und sich an die jeweils zuständige Stelle wenden - etwa an das Arbeitsministerium, wenn er Hilfe bei der Arbeitssuche erhalten will. Rückkehrer aus Europa berichten, dass sie nur wenig Unterstützung in irgendeiner Art erhalten hätten, mit Ausnahme einer zweiwöchigen Unterbringung durch die Regierung.
430 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28.
431 
Schließlich gibt es lokale nichtstaatliche Organisationen, die freiwillige und abgeschobene Rückkehrer unterstützen, etwa IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation). IPSO ist eine in Deutschland ansässige Organisation mit psychosozialen Unterstützungsangeboten (Selbsterfahrungsgruppen, Übungen zum Leben in Afghanistan, Eins-zu-Eins-Beratung, Malen und Handarbeit). AMASO gewährt Rückkehrern - vorwiegend aus nordischen Ländern - die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen. Außerdem bietet eine örtliche Anwaltskanzlei (freiwilligen) Rückkehrern aus Norwegen ihre Dienstleistungen an. Etablierte Koordinationsmechanismen zur Sicherstellung der benötigten Unterstützung für alle Rückkehrer oder zu deren Gleichbehandlung scheint es allerdings insgesamt nicht zu geben.
432 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7, dort auch S. 10 zu AMASO und IPSO; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28 f., dort auf S. 53 auch ausführlicher zu IPSO sowie auf S. 64 ausführlicher zur AMASO, dort auch zur Betreuung eines aus Deutschland abgeschobenen, bei einem Bombenanschlag verletzten Rückkehrers.
433 
Eine weitere Unterstützungsleistung können Rückkehrer zudem in Form einer kurzfristigen Unterbringung erlangen. Die IOM bietet in einem sogenannten Empfangszentrum (Jangalak reception centre) eine vorübergehende Unterkunft für höchstens zwei Wochen. Es handelt sich um ein Gebäude auf dem Gelände des Ministeriums für Flüchtlinge und Neuverteilung auf dem Gelände der früheren Jangalak-Fabrik. Dort gibt es 24 Zimmer mit je zwei bis drei Betten. Sowohl freiwillige als auch abgeschobene Rückkehrer können dort unterkommen. Zwölf Mitarbeiter betreuen die Rückkehrer. 2016 nutzten 43 Personen das Angebot. Sie blieben durchschnittlich für sieben Nächte.
434 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9.
435 
Im Rahmen einer entsprechenden Befragung erklärten mehrere Rückkehrer, sie wollten auf das Angebot nicht zurückgreifen, weil sie glaubten, der Aufenthalt dort berge das Risiko, dass sie als Rückkehrer identifiziert würden.
436 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 63.
437 
c) Lebensverhältnisse in Kabul
438 
In Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung gestalten sich die Lebensverhältnisse in Teilen ähnlich, es gibt allerdings auch Unterschiede zu den für das gesamte Land erläuterten Lebensverhältnissen.
439 
Wie bereits im Zusammenhang mit dem städtischen Wohnungsmarkt allgemein dargestellt, ist der Wohnungsmarkt in Kabul teuer und (insbesondere auch auf Grund der großen Zahl intern Vertriebener und Rückkehrern aus dem benachbarten Ausland) sehr angespannt. Denn die Stadt Kabul hat von der erheblichen, stetig ansteigenden Anzahl an Migranten einen unverhältnismäßig großen Anteil aufgenommen.
440 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
441 
Kabul ist der Hauptzielort der größten Rückkehrbewegung und zugleich auch traditionell ein Zufluchtsgebiet der vom Konflikt betroffenen Binnenvertriebenen insbesondere aus der Zentralregion. Ein erheblicher Anteil der insgesamt 5,7 Millionen Menschen, die nach dem Fall der Taliban aus dem Iran und Pakistan zurückgekehrt waren, und der genannten 1,2 Millionen Binnenvertriebenen hat sich in bzw. um Kabul herum niedergelassen. Zu diesen kommen noch weitere Personen hinzu, etwa ein erheblicher Anteil der im Jahr 2016 aus Pakistan Zurückgekehrten. Ihre Zahl wurde zur Jahresmitte 2016 noch mit 54.600 bemessen. Zum Ende des Jahres 2016 nannte der UNHCR die Zahl ca. 625.000 Rückkehrern aus Pakistan allein für die letzten vier Monate des Jahres 2016. In Zusammenhang mit dieser Entwicklung wird auch die Verlautbarung eines Ministers der afghanischen Regierung (Balkhi) gebracht, Kabul könne nicht alle Personen aus gefährlichen Provinzen aufnehmen, verbunden mit der Bitte, Abschiebungen zu beenden.
442 
Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (75); UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 5 zur starken Betroffenheit u.a. von Kabul von der hohen Anzahl an Rückkehrern sowie S. 7 zu Kabul als traditionellem Zufluchtsort.
443 
Fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und ein ähnlicher Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan hat sich in den überfüllten informellen Siedlungen Kabuls niedergelassen. Deswegen bewertet auch der UNHCR im Hinblick auf den Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, als äußerst eingeschränkt.
444 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 7.
445 
Ein nicht unerheblicher Teil der Migranten, aber auch der von jeher in Kabul ansässigen Bevölkerung, gehört dabei der Volksgruppe der Hazara an. In Kabul sollen nach Schätzungen über eine Million bzw. bis zu 1,5 Millionen Hazara leben. Die meisten davon sind Vertriebene, die sich erst vor Kurzem dort niedergelassen haben. Sie sind von den negativen Auswirkungen des hohen Arbeitslosigkeit in gleichem Maße wie auch die übrige Bevölkerung betroffen.
446 
Immigration and Refugee Board of Canada, Afghanistan: Situation of Hazara people living in Kabul City, including treatment by society, security situation, and access to employment; security situation for Hazara traveling to areas surrounding Kabul City to access employment, 20.04.2016.
447 
Als Folge des großen Zustroms nach Kabul wird beschrieben, dass die Migranten in besonderem Maße benachteiligt seien und oft in den überfüllten informellen Siedlungen endeten, für die insbesondere für den Winter die Zustände als schrecklich geschildert werden. Diese bestehen großteils aus behelfsmäßigen Zelten oder Lehmhütten ohne geeigneten Schutz vor Kälte und mit beschränkten Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Es wird von mehreren Dutzend Menschen, insbesondere Kindern und älteren Personen, berichtet, die in den Wintermonaten der Jahre 2012 und 2017 wegen der Kälte gestorben sind. Zum Anderen führt der immense Zuzug dazu, dass die existenziellen Ressourcen noch stärker umkämpft sind, die Arbeitslosigkeit und die Alltagskriminalität zunehmen.
448 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S.40; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 15 f.; zu den Zuständen in den informellen Siedlungen auch EASO Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2015, S. 5 f. m.w.N.; a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 17.
449 
Im Übrigen bedeutet eine Wohnung in Kabul zu haben nicht automatisch den Zugang zu Wasser und Strom. Dieser hat sich zwar in den letzten 15 Jahren generell verbessert. Allerdings ist bei der zentralen Wasserversorgung die Wasserqualität schlecht geworden, da Infrastruktur ursprünglich für weit weniger Einwohner ausgelegt war. So funktioniert das öffentliche Wasserleitungssystem nur stundenweise. Zugang zu Leitungswasser haben nur ungefähr 34 % der Einwohner. Die meisten Menschen leben in den Slums und beziehen das Wasser entweder von öffentlichen Pumpen oder selbst angelegten Brunnen, mit denen das Grundwasser angezapft wird. Dessen Stand hat sich zwischenzeitlich von drei bis fünf Metern auf 70 bis 80 Meter Tiefe abgesenkt.
450 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 7; Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014, S. 49.
451 
Schließlich ist auch die Sicherheitslage in Kabul prekär.
452 
Vgl. dazu die Übersicht: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.
453 
Sie war bereits in den vergangenen Jahren geprägt von zahlreichen Anschlägen, insbesondere auf medienwirksame Ziele ausländischer Streitkräfte und Organisationen sowie Regierungseinrichtungen.
454 
Dazu die ausführliche Darstellung bei Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 21 ff./Rn. 59 ff. und dies. Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 7/Rn. 18 sowie auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, 06.06.2016; vgl. auch die genannte Entscheidung OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11 Rn. 207 bis 230 zur damaligen - vor Abzug internationalen der Streitkräfte liegenden - Sicherheitslage (Rn. 217: „aktuell als stabil eingeschätzt“) und der diesbezüglichen Rolle der Taliban.
455 
In jüngerer Zeit erweist sich die Sicherheitslage weiter als volatil. UNAMA hat für das Jahr 2016 für die gesamte Provinz Kabul 1.758 zivile Opfer registriert (376 Tote und 1.382 Verletzte). Kabul war damit die Provinz mit der höchsten Anzahl ziviler Opfer. Zur ersten Hälfte des Jahrs 2017 berichtete UNAMA, die Provinz Kabul weise weiterhin die höchste Zahl an zivilen Opfern auf, vorwiegend in Kabul City. Von den 1.048 zivilen Opfern (219 Tote und 829 Verletzte) in der Provinz Kabul waren 94 % die Folge von Selbstmordattentaten und komplexen Angriffen in Kabul City durch regierungsfeindliche Kräfte.
456 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 und S. 5, dort auch Fn. 11 zur Stadt Kabul: 986 zivile Opfer in den ersten sechs Monaten des Jahres (209 Todesopfer und 777 Verletzte); EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 83; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24.
457 
Vom Dezember 2016 bis zum 31. Mai 2017 gab es insgesamt acht öffentlichkeitswirksame Angriffe in Kabul (bei 42 Angriffen an anderen Orten in Afghanistan). So waren beispielsweise bereits bei einem Angriff durch Aufständische auf einen Stützpunkt der Afghanische Nationalarmee 144 Mitarbeiter getötet und 65 weitere Personen verletzt worden. Der Vorfall, der bei Weitem die schwersten Folgen hatte und gleichzeitig die meiste Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr, war allerdings der Anschlag vom 31. Mai 2017.
458 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017); S. 8 f. vgl. zu den weiteren zahlreichen Vorfällen die Darstellung in der Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
459 
Wie bei dem Vorfall vom 31. Mai 2017 wurden auch bei weiteren Anschlägen in Kabul, die erklärtermaßen gegen Regierungsinstitutionen, internationale Organisationen und Einrichtungen der afghanischen Armee und Polizei gerichtet waren, viele Angehörige der afghanischen Zivilbevölkerung (u.a. Passanten, Kinder usw.) verletzt und getötet.
460 
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3 m.w.N.; vgl. auch dazu die Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
461 
Auch am 20. Oktober 2017 kam es wieder zu einem Selbstmordattentat, bei dem mindestens 39, womöglich sogar mehr als 65 Personen getötet wurden.
462 
Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017; Human Rights Watch: The Pain Behind the Numbers of Afghanistan’s Deadly Attacks, 23.10.2017.
463 
Im Unterschied zu den vergangen Jahren kommt es nun zu einer Zunahme ziviler Opfer. Dieser Anstieg ist auf zahlreiche Selbstmordattentate und komplexe Angriffe in Kabul zurückzuführen. Anders als früher häufen sich nun auch Anschläge, die sich gezielt gegen Zivilpersonen richten. So beklagt UNAMA, dass sich zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2017 mindestens 40 % der von UNAMA dokumentierten zivilen, regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreibenden Opfern (und 26 % der Gesamtzahl der zivilen Opfer) das Ergebnis von Angriffen oder Vorfällen sind, die sich gezielt gegen Zivilisten richteten.
464 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 44; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3; vgl. zur vermehrt gezielt auf die Zivilbevölkerung gerichtete Anschläge, insbesondere der ISKP: Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 10.
465 
Zusammenfassend ist hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul
466 
- vgl. hierzu ergänzend die Ausführungen im Urteil des Senats vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 193, sowie auch zu den Verhältnissen in Kabul allgemein: juris Rn. 99 ff. -
467 
festzuhalten, dass sich nicht nur die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle gehäuft hat, sondern - wohl maßgeblich auch wegen „neuen“ regierungsfeindlichen Kräfte (IS/Daesh/ISKP) - als weitere Tendenz festzustellen ist, dass bei Anschlägen nun vermehrt zivile Opfer in Kauf genommen werden und sogar gerade auf die Zivilbevölkerung zielen.
468 
Vgl. zum Argument, Angriffe auf die Zivilbevölkerung lägen nicht im Fokus bzw. im Interesse der Taliban, noch das Urteil des OVG NRW vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, NVwZ-RR 2014, 939.
469 
d) Subsumtion
470 
Ausgehend von den dargestellten Verhältnissen in Afghanistan insgesamt sowie insbesondere in der Stadt Kabul als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung ist im Falle des Klägers ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem humanitäre Gründe zwingend gegen seine Abschiebung sprächen, nicht festzustellen. Denn in Anbetracht der Situation, wie sie leistungsfähige, erwachsene Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen und ohne familiäres oder soziales Netzwerk, zu denen auch der Kläger zählt, bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul antreffen und unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Klägers, sind die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht erfüllt.
471 
Zwar ist die Lage in Kabul - wie im gesamten Land - prekär. Wie sich aus den vorstehenden Darstellungen ersehen lässt, sind sowohl die wirtschaftlichen Voraussetzungen als auch die humanitären Umstände schlecht. Dasselbe gilt für die in den letzten Jahren stetig schlechter gewordene Sicherheitslage.
472 
Dennoch kann nicht gleichsam für sämtliche Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan insgesamt in (familiären oder sonstigen) Beziehungen oder an Unterstützungsnetzwerken fehlt, angenommen werden, die schlechten Bedingungen im Land könnten generell und bei allen diesen Rückkehrern ganz außerordentliche individuelle Umstände darstellen und die hohen Anforderungen zur Bejahung des Art. 3 EMRK trotz fehlenden Akteurs erfüllen.
473 
Zwar ist Afghanistan und insbesondere Kabul gerade auch in jüngster Zeit mit der Rückkehr einer Vielzahl von Menschen aus dem benachbarten und westlichen Ausland konfrontiert. Dabei stellt sich deren Lage, obwohl die Situation für Rückkehrer schwierig ist, nicht für alle gleichermaßen problematisch dar. Berichte dahin, dass Rückkehrer generell oder aber jedenfalls in sehr großer Zahl und unabhängig von ihrer persönlichen Disposition ihr Existenzminimum nicht sichern könnten, gibt es nicht. Vielmehr sind bestimmte, vulnerable Gruppen wie etwa Familien mit jüngeren Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke oder ältere Menschen in besonderem Maße gefährdet, ohne dass aber insgesamt festzustellen wäre, dass die Existenzsicherung oder gar das Überleben für sämtliche Rückkehrer nicht gewährleistet wäre.
474 
Insbesondere trifft dies auch nicht für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, aus Europa oder gar aus Deutschland zu, zumal beispielsweise mit Unterstützung der IOM seit dem Jahr 2003 insgesamt 15.041 Personen aus verschiedenen Ländern Europas (darunter das Vereinigte Königreich, Norwegen, die Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien und Österreich) freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Allein im Jahr 2016 unterstützte die IOM 6.864 Personen bei ihrer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, davon über 3.000 aus Deutschland. Die meisten Rückkehrer (78 % oder 5.382) waren dabei junge Männer, von denen wiederum ein erheblicher Anteil zwischen 19 und 26 Jahren alt war (2.781) oder sogar Jugendliche mit bis zu 18 Jahren (2.101). Die Zahl der zurückgekehrten Familien wird mit 733 angegeben.
475 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 16; Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 2; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 10.
476 
Neben diesen zahlreichen freiwilligen Rückkehrern gab und gibt es Abschiebungen aus Europa. So wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und April 2017 insgesamt 176 Personen aus Europa nach Afghanistan abgeschoben, darunter 106 aus Deutschland, von denen wiederum auch einige keine Verwandten in Kabul oder in Afghanistan insgesamt hatten (etwa, weil sie zuvor lange Jahre im Iran gelebt hatten).
477 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3 ff.
478 
Obwohl diese Rückkehrer sich - wie dargestellt - in Afghanistan vielen Belastungen gegenübersehen und die Situation im Land äußerst schwierig ist, sind den umfangreichen Erkenntnismitteln zur Lage in Afghanistan keine Informationen zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort stehe einer Existenzsicherung in Afghanistan bzw. in Kabul (auch nur auf niedriger Stufe) entgegen. Zwar gibt es vereinzelte Rückkehrerberichte, die die oben geschilderte Bandbreite von Problemen betreffen. Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahin, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, sind hingegen nicht ersichtlich.
479 
Insbesondere lässt sich aus dem Fehlen eines familiären oder sozialen Netzwerks in Kabul nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK herleiten. So kann auch nach Auffassung des UNHCR im Falle von - wie er es formuliert - alleinstehenden, leistungsfähigen Männern ohne besonderen Schutzbedarf von dem grundsätzlich für erforderlich erachteten traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch (unterstützungsfähige und - willige) Mitglieder der (erweiterten) Familie oder ihrer größeren ethnischen Gruppe trotz der schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan abgesehen werden. Denn von diesen kann erwartet werden, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen, wobei allerdings dennoch immer eine einzelfallbezogene Analyse vorzunehmen ist.
480 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 10 und S. 99, wobei in der nachfolgenden Stellungnahme des UNHCR vom Dezember 2016 (Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016) insofern keine Änderungen der Bewertung vorgenommen wurden (vgl. dort zur Aufrechterhaltung der Erwägungen der Richtlinien vom 19.04.2016: S. 7 f.).
481 
Von nicht unerheblicher Bedeutung kann allerdings sein, ob der Betroffene eine der beiden in Afghanistan gesprochenen Sprachen (Paschtu und Dari) beherrscht und sich somit hinreichend verständigen kann.
482 
Zu diesem Kriterium vgl. BayVGH, Urteil vom 16.01.2014 - 13a B 13.30025 -, Leitsatz sowie juris Rn. 25 (Sicherung des Existenzminimums für einen afghanischen Rückkehrer ohne Kenntnisse einer der Landessprachen verneint, wenn kein Vermögen vorhanden und keine familiäre Unterstützung zu erlangen ist).
483 
Dies ist beim Kläger, der Dari spricht, der Fall.
484 
Auch die zur Situation der Rückkehrer aus dem westlichen Ausland geschilderte, ablehnende Haltung der afghanischen Gesellschaft und das Misstrauen gegenüber Personen ohne Leumundszeugen ist für sich nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Zwar sind Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche durchaus nicht ausgeschlossen, zwangsläufig eintreten werden diese indes nicht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Situation auch im Falle des Klägers realisieren würde - dass also auch der Kläger entsprechend erkannt würde, dass er infolge dessen tatsächlich keinen Zugang zu einer auch nur einfachen Unterkunft haben würde oder vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre -, vermag der Senat daher nicht festzustellen.
485 
Vielmehr handelt es sich beim Kläger um einen alleinstehenden, leistungsfähigen, erwachsenen Mann. Das Erwirtschaften eines - wenn auch womöglich sehr geringen - Einkommens wird ihm trotz des angespannten Arbeitsmarkts wenigstens als Tagelöhner möglich sein. Insbesondere steht dem der Gesundheitszustand des Klägers nicht entgegen. Er hat zwar geltend gemacht, er leide an einer Herzrhythmusstörungen, zu denen er im Rahmen der Anhörung vor dem Senat im Verhandlungstermin vom 13. Oktober 2017 erklärt hat, sie hätten Schlafstörungen und einen Gewichtsverlust verursacht. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen belegen allerdings auch, dass die Ursache der Herzrhythmusstörung im Rahmen des am 23. Oktober 2017 durchgeführten Eingriffs erfolgreich beseitigt werden konnte (dazu im Weiteren noch ausführlicher im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, s.u. III. 2). Eine Einschränkung des Klägers in seiner Erwerbs- und Leistungsfähigkeit liegt daher nicht vor. Der Kläger hat nach eigenen Angaben bereits in der Vergangenheit in Afghanistan gearbeitet, zuerst in der Landwirtschaft seines Vaters und im Weiteren auch als Fliesenleger. Auch der den Erkenntnismitteln zu entnehmende und auch vom Kläger selbst beschriebene Zusammenhalt unter den Volkszugehörigen der Hazara kann ihm bei einer Rückkehr nach Kabul zugutekommen, da - wie beschrieben - für Hazara beim Zuzug in eine neue Stadt die Möglichkeit besteht, auf ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse bzw. eine Wohlfahrtseinrichtung zurückzugreifen.
486 
S.o.:EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
487 
Zwar sind die Lebenshaltungskosten in Kabul hoch. Ausgehend von vorstehenden Ausführungen (ohne Unterbringungskosten) sind sie mit mindestens 100 EUR pro Monat zu bemessen, für die Mietkosten fallen mindestens 88 US$ bzw. 4.000 Afghani bzw. 75 EUR pro Monat an.
488 
S.o., insbesondere zu den monatlichen Lebenshaltungskosten von mindestens 100 EUR: BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017 sowie zum Preis von ab 4.000 Afghani für ein Einzelzimmer: Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42.
489 
Der Kläger hat aber die Möglichkeit, zunächst im Jangalak-Zentrum zu wohnen, sich von dort um Arbeit und Unterkunft - beides ggf. auf niedrigem Niveau - zu bemühen und - sollte es nicht anders gehen - vorübergehend in einer der informellen Siedlungen unterzukommen. Dass die fraglos beklagenswerten Zustände in solchen Siedlungen insgesamt flächendeckend derart desolat sind, dass sie gleichsam für jeden Bewohner und damit auch für einen jungen, leistungsfähigen Mann, wie es der Kläger ist, mit den hohen Anforderungen des Art. 3 EMRK nicht zu vereinbaren wären, kann nicht festgestellt werden.
490 
Der Senat geht dabei allerdings davon aus, dass die dargestellten Rückkehrerhilfen für die Frage der Existenzsicherung des Klägers eine allenfalls untergeordnete Rolle spielen können, da sie bestenfalls eine anfängliche Unterstützung bzw. einen nur vorübergehenden Ausgleich schaffen können. Die 500,- EUR, die der Kläger bei einer Entscheidung zur freiwilligen Rückkehr über das REAG/GARP-Programm erhalten würde, vermögen ihm nur eine überschaubare Erleichterung bieten. Auch die Leistungen des ERIN-Programms stellt der Senat nicht in die Beurteilung ein. So besteht kein Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weswegen unklar ist, ob der Kläger überhaupt Leistungen erhalten würde. Im Übrigen ist auch nicht im Voraus bestimmbar, welche Leistungen im Falle einer Leistungsgewährung vor Ort in Betracht gezogen werden könnten.
491 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
492 
Gleiches gilt für die Geldleistungen des im Dezember 2017 neu aufgelegten StarthilfePlus-Programms, auf die ein Rechtsanspruch nicht besteht. Auch welche Sachleistungen im Rahmen des bis 28. Februar 2018 befristeten Reintegrations-Programms der StarthilfePlus womöglich gewährt werden könnten, ist angesichts des erst vor Ort auszuarbeitenden Reintegrationsplans völlig offen.
493 
Des Weiteren lässt sich bezüglich der von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland beschriebenen, unmittelbar gegen die körperliche Unversehrtheit und Freiheit gerichteten Handlungen - etwa wegen vermuteten Reichtums - nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit feststellen, dass gerade der Kläger Opfer eines entsprechenden Angriffs werden würde. Gleiches gilt für denkbare Übergriffe wegen eines unterstellten Bruchs mit kulturellen oder religiösen Normen oder wegen vermeintlicher Nähe zu westlichen Kräften. Denn aus der abstrakt bleibenden Möglichkeit solcher Übergriffe ist ein Abschiebungsverbot nicht herzuleiten. Der Umstand, dass von solchen Vorfällen wiederholt berichtet wird, erlaubt nicht den Rückschluss, dass (auch angesichts der erheblichen Zahl von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland) der Kläger hiervon mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit betroffen sein wird.
494 
Ferner steht die Volkszugehörigkeit des Klägers einer Existenzsicherung nicht entgegen. Wie beschrieben können sich die Hazara als Minderheit zwar einerseits im Alltag durchaus Diskriminierungen ausgesetzt sehen, andererseits hat sich ihre Situation seit dem Jahr 2001 insgesamt verbessert. Gerade in Kabul lebt mit etwa 1 bis 1,5 Millionen Personen eine ganz erhebliche Anzahl von - teils (intern) vertriebenen - Hazara. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Verhältnisse für diese - und in Anknüpfung hieran womöglich auch für den Kläger - so gestalteten, dass ein Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten und Unterkunft nicht (auch nicht auf einfachstem Niveau) gewährleistet wäre, zumal es trotz der großen Zahl der Hazara in Kabul keine Berichte dahin gibt, dass Hazara typischerweise keine Arbeit und/oder keine Unterkunft erhalten würden.
495 
Schließlich ist auch im Hinblick auf die durchaus schwierige Sicherheitslage in Kabul ein Verstoß im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht festzustellen. So entspricht die Gefahrendichte in der Provinz Kabul insbesondere nicht der, wie sie im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zur Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) erforderlich wäre.
496 
Zur Heranziehung dieses Kriteriums im Rahmen des Art. 3 EMRK bzw. des § 60 Abs. 5 AufenthG vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteile vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/19 -, vom 14.08.2013 – A 11 S 688/13 - und vom 24.07.2013 - A 11 S 727/13 -.
497 
So nennt UNAMA etwa für das erste Halbjahr 2017 für die Provinz Kabul die Anzahl von 1.048 zivilen Opfern (s.o.), was hochgerechnet für das gesamte Jahr 2017 eine Zahl von 2.096 Personen ergibt. Selbst wenn man dieser Zahl im Rahmen einer für den Kläger günstigen Herangehensweise die von der CSO genannten (wohl zu niedrig bemessenen) Einwohnerzahlen gegenüberstellte, reichte dies bei weitem nicht aus, um eine für § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG relevante Gefahrendichte von 0,125 % bzw. 0,1 % zu erreichen.
498 
Zu dieser: BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 22 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 20; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
499 
Denn es ergäbe sich bei einer Einwohnerzahl der Provinz Kabul von ca. 4.700.000, wie sie die CSO angibt, ein Anteil von 0,045 % (2.096 / 4.700.000). Tatsächlich wird dieser allerdings noch geringer sein. Denn allein die Zahl der Einwohner der Stadt Kabul dürfte die von der CSO angegebene Bevölkerungsgröße übersteigen. Sie wird mit bis zu sieben Millionen Menschen bemessenen.
500 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 17: nach informellen Schätzungen über sieben Millionen; ProAsyl, Afghanistan: No safe country for refugees, Mai 2017, S. 17: fast sieben Millionen ; Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53: über sieben Millionen; zuvor Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: über fünf Millionen; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017-, S. 10/Rn. 35: 4,4 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 4: 3.961.487; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 39: Schätzungen von 3,6 bis 7 Millionen; zu den unterschiedlichen Angaben von bis zu sieben Millionen - oder auch mehr - und der möglicherweise zu Grunde liegenden Vermengung der Stadt und der Provinz Kabul sowie zur Problematik statistischer Angaben in Afghanistan allgemein auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 6.
501 
Daher wird bei realistischer Betrachtung die Anzahl der Opfer zu einer höheren Bevölkerungszahl ins Verhältnis zu setzen sein. Die nach dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG als bei Weitem nicht ausreichend erachtete Schwelle wird daher schon quantitativ nicht erreicht und auch in qualitativer Hinsicht ist zu bedenken, dass in Kabul die medizinische Versorgungssituation im Falle von Anschlägen typischerweise besser ist, als in anderen Regionen Afghanistans.
502 
Vgl. dazu im Übrigen auch ausführlicher VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
503 
Dabei verkennt der Senat nicht, dass unter den sicherheitsrelevanten Vorfällen in Kabul in jüngerer Zeit wiederholt solche zu verzeichnen waren, die sich gegen Volkszugehörige der Hazara bzw. Angehörige des schiitischen Glaubens gerichtet haben, etwa der bereits mehrfach erwähnte Anschlag vom 23. Juli 2016 (80 Tote) sowie die genannten Angriffe auf schiitische Moscheen bzw. Einrichtungen am 11. Oktober 2016 (mindestens 13 Tote), am 21. November 2016 (27 Tote), am 15. Juni 2017 (5 Tote) und am 20. Oktober 2017 (mindestens 39 Tote). Angesichts der über eine Million Hazara, die in Kabul leben, vermag auch dies einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht zu begründen.
504 
Sicherheitsbedenken ergeben sich ferner nicht aus dem vom Kläger geschilderten Verfolgungsgeschehen, da die Angaben des Klägers nicht glaubhaft sind.
505 
Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor.
506 
2. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
507 
Auch ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht gegeben.
508 
a) Rechtliche Anforderungen
509 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
510 
Dies kann aus individuellen Gründen - etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit - der Fall sein (aa)), kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (bb)).
511 
aa) Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst
512 
- Koch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand 15.08.2016, § 60 Rn. 40; Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 33 -,
513 
sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit.
514 
Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712, juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - NVwZ 2003, Beilage Nr. I 7, 53 juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 -, juris Rn. 7 und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, NVwZ 1998, 524.
515 
Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
516 
Vgl. zusammenfassend HTK-AuslR/§ 60 AufenthG/zu Abs. 7 Satz 1 bis 4/ Rn. 8 und Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 32, beide m.w.N., sowie zum Maßstab bei individuellen Gründen u.a. auch BVerwG, Beschluss vom 18.07.2001 - 1 B 71.01 -, juris sowie Urteile vom 17.10.2006 – 1 C 18.05 -, NVwZ 2007, 712, juris Rn. 20 und vom 17.10.1995 – 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 1999, juris Rn. 16.
517 
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Verhältnisse im Zielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes erwarten lassen. Die vorhandene Erkrankung des Ausländers muss sich aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, weil etwa die Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland unzureichend sind oder die zwar grundsätzlich verfügbare medizinische Versorgung dem Betroffenen aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zur Verfügung steht.
518 
Vgl. statt vieler: BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 - und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -.
519 
bb) Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
520 
Zwar sind allgemeine Gefahren - also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land - gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
521 
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
522 
Dazu u.a. BVerwG, Urteile 13.06.2013 – 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1489 Rn. 12 f.; vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 38.; vom 29.09.2011 – 10 C 24.10 -, NVwZ 2012, 451 Rn. 20; vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, NVwZ 2012, 240 Rn. 22 f. und vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, juris Rn. 14 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 28 zu den unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG60 Abs. 2 AufenthG a.F.) sowie auch Art. 3 EMRK einerseits und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG andererseits.
523 
Von diesem Maßstab ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
524 
b) Subsumtion
525 
Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
526 
aa) Zum einen besteht eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen nicht.
527 
Hinsichtlich des durch den Kläger geschilderten Vorfalls (der Angriff und seine Verletzung durch die Kutschi) liegt eine entsprechende Gefahr nicht vor. Wie ausgeführt ist der diesbezügliche Vortrag des Klägers nicht glaubhaft.
528 
Aber auch im Hinblick auf die gesundheitliche Verfassung des Klägers sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt.
529 
Aus den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Schreiben geht zwar hervor, dass beim Kläger im Oktober 2017 eine Herzrhythmusstörung bei Verdacht auf ein sogenanntes Wolff-Parkinson-White-Syndrom diagnostiziert wurde, weswegen sich der Kläger am 23. Oktober 2017 einem operativen Eingriff unterzogen hat. Zum Ergebnis dieser Operation wird in den vorliegenden ärztlichen Schreiben vom 23. Oktober 2017, vom 6. November 2017 und vom 13. November 2017 übereinstimmend geschildert, dass erfolgreich eine Ablation durchgeführt werden konnte, dass der für die Störung ursächliche Erregungsherd verödet, die Herzrhythmusstörungen beseitigt und der Kläger beschwerdefrei entlassen werden konnte. Die Gefahr eines Rezidivs wird ausdrücklich als nur gering wahrscheinlich bezeichnet und die Rezidivrate mit knapp unter 5 % bemessen, wobei eine Medikation derzeit nicht notwendig sei. Eine bedrohliche, akute Gefährdung des Klägers besteht nach erfolgreicher Ablation nicht mehr.
530 
Angesichts dieser vom Kläger selbst mitgeteilten, nicht in Frage gestellten Angaben, bezüglich derer auch der Senat keinen Anlass zu Zweifeln hat, ist bereits nicht festzustellen, ob der Kläger angesichts der geringen Rezidivwahrscheinlichkeit überhaupt infolge seiner (derzeit) geheilten Erkrankung künftig wieder Einschränkungen haben wird. Erst recht nicht ist ersichtlich, dass ein Rezidiv und seine Folgen alsbald nach einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan eintreten werden.
531 
Insbesondere geht aus den Stellungnahmen auch hervor, dass zur Minderung der Rezidivgefahr eine (medikamentöse oder sonstige) Behandlung, für die sich die Frage der Verfügbarkeit in Afghanistan stellen könnte, nicht erfolgt, sondern sich das Behandlungsregime auf Wiedervorstellungstermine zu Kontrolluntersuchungen zum Zwecke des Ausschlusses eines (unwahrscheinlichen) Rezidivs und zur Prüfung der Integrität des Herzens beschränkt.
532 
Im Übrigen könnte selbst im unwahrscheinlichen Fall eines Rezidivs nicht von einer schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers ausgegangen werden. Ein Rezidiv würde mit Phasen von Herzrasen einhergehen, wobei dabei Luftnot und ein Beklemmungsgefühl auftreten können, wie es der Kläger in ähnlicher Weise ausweislich der Anamnesebeschreibung im Arztbrief vom 23. Oktober 2017 bereits vor dem Eingriff verspürt hat („rezidivierendes thorakales Brennen und Stechen“). Die abstrakt denkbare, schwerste (aber als selten eingeordnete) Folge eines Rezidivs wäre ein Kreislaufkollaps bzw. eine Ohnmacht, was für sich ebenfalls nicht geeignet wäre, eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Klägers von besonderer Intensität bzw. eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlimmerung zu begründen.
533 
bb) Zum anderen lässt sich auch aus den dargestellten, schlechten Lebensverhältnissen in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Denn die beschriebenen hohen Anforderungen, aus denen wegen einer extremen Gefahrenlage ausnahmsweise ein solches Abschiebungsverbot hergeleitet werden könnte, liegen nicht vor. So vermögen die - fraglos schlechten - Lebensverhältnisse vorliegend schon keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (s.o.). Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, kann der Senat danach nicht festzustellen. So liegen etwa Anhaltspunkte dahin, dass der Kläger mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod preisgegeben wäre, nicht vor.
534 
IV. Ergebnis, Nebenentscheidungen
535 
Die Berufung ist daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
536 
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
537 
Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gründe

 
25 
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
26 
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
27 
Die Klage ist zwar aus den zutreffenden Erwägungen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zulässig (vgl. ohnehin § 60 Abs. 5 VwGO). Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Denn in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hat der Kläger weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (I.) noch auf subsidiären Schutz (II.). Auch ein nationales Abschiebungsverbot liegt nicht vor (III.).
28 
I. Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
29 
1. Rechtsgrundlage: §§ 3 bis 3e AsylG
30 
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention GFK - (BGBl 1953 II S. 559), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugungen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
31 
a) §§ 3, 3a AsylG
32 
Nach § 3a Abs. 1 AsylG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl EU L 337/9, kurz auch Anerkennungs-/Qualifikationsrichtlinie; im Folgenden RL 2011/95/EU) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU) können als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u. a. gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
33 
Die Feststellung einer Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG setzt voraus, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach der Vorschrift geschützten Rechtsguts selbst zielt.
34 
BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 Rn. 13 und vom 19.01.2009 -10 C 52.07 -, NVwZ 2009, 982 Rn. 23 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -; vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, Asylmagazin 2017, 197, juris Rn. 39 und vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389, juris Rn. 26.
35 
b) § 3c AsylG
36 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 RL 2011/95/EU) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 RL 2011/95/EU) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
37 
c) § 3e AsylG
38 
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, was voraussetzt, dass der betroffene Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e AsylG).
39 
d) Wahrscheinlichkeitsmaßstab (beachtliche Wahrscheinlichkeit/real risk)
40 
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung begründet ist, gilt der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2d RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
41 
BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
42 
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung erforderlich. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falls die tatsächliche Gefahr (sog. „real risk“) einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnenen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert. Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger gewissermaßen unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen.
43 
VGH Bad.-Württ., Urteile vom 30.05.2017 - A 9 S 991/15 -, juris Rn. 25, vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, juris Rn. 40 und vom 03.11.2016 - A 9 S 303/15 -, Asylmagazin 2016, 232, juris Rn. 32.
44 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU gelten können.
45 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss.
46 
VGH Bad.-Württ., Urteile vom 30.05.2017 - A 9 S 991/15 -, juris Rn. 27 und vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, juris Rn. 42.
47 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise verfolgt worden ist.
48 
BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32 und vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, NVwZ 2011, 1463 Rn. 22; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -; vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, Asylmagazin 2017, 197, juris Rn. 43 und vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389, juris Rn. 34 m.w.N.
49 
Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften.
50 
e) Maßstab der Überzeugungsbildung
51 
Das Gericht trifft seine Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des vom Kläger behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge im Heimat-, also im „Verfolgerland“ vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind.
52 
Neben der bereits beschriebenen Besonderheit auf dem Gebiet des Beweismaßes (beachtliche Wahrscheinlichkeit, s.o. lit d)) ist im Flüchtlingsrecht daher auch die Modifikation im Bereich des Beweismittel zu beachten: Unter Berücksichtigung des beschriebenen Beweisnotstands kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu, weswegen allein der Tatsachenvortrag des Asylsuchenden zum Erfolg der Klage führen kann, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft" sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann.
53 
Grundlegend: BVerwG, Urteile vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 567, juris Rn. 16 und vom 29.11.1977 - I C 33.71 -, juris, beide m.w.N.; außerdem: BVerwG, Beschlüsse vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, NVwZ-RR 2011, 382 und vom 08.03.2007 - 1 B 101.06 -, BeckRS 2007, 22701; vgl. dazu auch Stuhlfauth, in: Bader, u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 108 VwGO Rn. 8, m.w.N.
54 
So sieht auch Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95/EU unter bestimmten Umständen vor, dass die Einlassung des Schutzsuchenden ausreichend sein kann und es keiner Nachweise seiner Aussagen bedarf. Und zwar dann, wenn dieser sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen, alle ihm verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen, und er eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben hat, festgestellt wurde, dass seine Aussagen kohärent und plausibel sind und sie zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, er internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat (es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war) und schließlich auch seine generelle Glaubwürdigkeit festgestellt worden ist.
55 
Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 22.11.2012 - C-277/11 - (M.M./Irland), NVwZ 2013, 59.
56 
Es ist demzufolge zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden berücksichtigt werden.
57 
Dazu BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, NVwZ 1990, 171, juris Rn. 3 und 4 sowie auch OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 2632/06.A -, BeckRS 2013, 55090 juris Rn. 59.
58 
Mit anderen Worten: Für die richterliche Überzeugungsbildung ist eine bewertende Gesamtschau des gesamten Vorbringens des Schutzsuchenden unter Berücksichtigung seiner individuellen Aussagekompetenz und seiner Glaubwürdigkeit erforderlich, die die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso berücksichtigt wie die Plausibilität des Vorbringens, an der es etwa fehlen kann, wenn nachvollziehbare Erklärungen fehlen oder unterbleiben, falsche oder missverständliche Urkunden nicht erklärt werden können bzw. wenn Beweise oder Vorbringen ohne nachvollziehbaren Grund verspätet vorgebracht werden.
59 
Vgl. insgesamt auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -, BeckRS 2017, 127389 Rn. 23 ff. sowie International Association of Refugee Law Judges, Assessment of Credibility in Refugee and Subsidiary Protection claims under the EU Qualification Directive, Judicial criteria and standards, https://www.iarlj.org/images/stories/Credo/Credo_Paper_March 2013-rev1.pdf, Seite 33 f.).
60 
2. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf Grund von Vorverfolgung
61 
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Denn er befindet sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes. Dem Kläger droht in Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung.
62 
Eine insoweit relevante Vorverfolgung des Klägers, auf Grund derer der Kläger die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen könnte, liegt nicht vor.
63 
Der Schilderung des Klägers beim Verwaltungsgericht und vor dem Senat, wonach ihm bei einem der regelmäßigen Angriffe der Kutschi-Nomaden auf die Ländereien seines Vaters durch einen Angreifer mittels eines Gewehrkolbens der Arm gebrochen worden sei, glaubt der Senat nicht.
64 
Zwar kommt es durchaus regelmäßig zu den vom Kläger beschriebenen Konflikten zwischen den paschtunischen Kutschi-Nomaden, die von den Hazara teils mit der Bezeichnung „taleban“ versehen werden, und niedergelassenen Hazara.
65 
Vgl. dazu insgesamt ausführlich Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, dort auch S. 13 zur verbreiteten Bezeichnung „taleban“ für die Kutschi.
66 
Allerdings ist die Schilderung des Klägers nicht in Einklang zu bringen mit seinen Angaben beim Bundesamt und auch mit den (ansonsten detaillierten) Darstellungen im Schreiben zur Klagebegründung vom 7. Juli 2016. Beim Bundesamt hat der Kläger auf Frage, ob er persönlich bedroht oder angegriffen worden sei, angegeben, er sei immer weggegangen, bevor die Kutschi gekommen seien, nämlich in den Nachbardistrikt. Auch in der ausführlichen Klagebegründung wird ein Angriff auf den Kläger oder eine Verletzung nicht erwähnt, obwohl (in Steigerung zum Vortrag beim Bundesamt) nun erstmals geschildert wird, der Kläger habe mit ansehen müssen, wie sein Vater von den Kutschi beim Versuch, sein Land zu verteidigen, erschossen worden sei. Genau in diesem Zusammenhang soll nach der Schilderung des Klägers beim Verwaltungsgericht und vor dem Senat nun auch der Angriff auf den Kläger selbst erfolgt sein. Auf Vorhalt seiner Angaben beim Bundesamt hat der Kläger lediglich erklärt, man habe ihn gefragt, warum er nach Deutschland gekommen sei. Er habe keinerlei Gelegenheit bekommen, etwas dazu zu sagen. Auch auf wiederholte Nachfrage und Bitte um Erklärung seiner Antwort beim Bundesamt auf die ausdrücklich auf einen ihn persönlich betreffenden Angriff bezogene Frage hat der Kläger nur geäußert, er sei bedroht, weil Kutschi und Taliban dasselbe seien. Wieso der Kläger ein derart zentrales und auch für ihn persönlich prägendes Ereignis wie den Tod seines Vaters und den Angriff auf ihn selbst mit der Folge einer erheblichen Verletzung beim Bundesamt nicht geschildert hat, erschließt sich (auch im Hinblick auf die gehaltlos gebliebenen Erklärungsversuche des Klägers) nicht. Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angeführten Umstände - etwa der seiner Ansicht nach kurzen Dauer der Bundesamtsanhörung (welche richtigerweise nicht 40, sondern 55 Minuten dauerte), des kulturellen Hintergrunds sowie des Bildungsstands und des Alters des Klägers - ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger seinen jüngsten Schilderungen entsprechend Opfer eines Übergriffs der Kutschi geworden ist, zumal die Angaben des Klägers im Verhandlungstermin vom 13. Oktober 2017 auch im Übrigen in sich widersprüchlich und unklar waren (etwa die Angaben zum Erlös aus dem Verkauf des väterlichen Lands, zu dem der Kläger zunächst 9.000 EUR und 60.000 Afghani, dann nur 9.000 EUR angegeben und zuletzt geäußert hat, er wisse überhaupt nicht, was sein - wechselnd jüngerer oder älterer - Bruder für den Verkauf erhalten habe).
67 
Danach fehlt es bereits an einer glaubhaft geschilderten Verfolgungshandlung (§ 3a AsylG), so dass es keiner weiteren Ausführungen dazu bedarf, ob der vom Kläger beschriebene Sachverhalt überhaupt an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund des § 3b AsylG (etwa - wie es das Verwaltungsgericht angedeutet hat - die Ethnie des Klägers) anknüpft, oder ob dieser schlicht kriminelles Unrecht betrifft.
68 
3. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Gruppenverfolgung der Hazara
69 
Des Weiteren kommt auch eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft alleine auf Grundlage der Zugehörigkeit des Klägers zum Volk der Hazara nicht in Betracht. Denn nur die Anknüpfung an die Volkszugehörigkeit - ohne bzw. unabhängig von einer Vorverfolgung - wäre nur dann zur Begründung einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung geeignet, wenn sich eine Verfolgung der gesamten Gruppe der Hazara feststellen ließe.
70 
Dies ist allerdings nicht der Fall.
71 
a) Rechtliche Anforderungen
72 
Zwar kann sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen, also einer anlassgeprägte Einzelverfolgung ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich erheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet, also die Gefahr der Gruppenverfolgung besteht. Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Mit dem Begriff der Gruppenverfolgung werden daher lediglich schlagwortartig die Voraussetzungen bezeichnet, unter denen anzunehmen ist, dass jeder Gruppenangehörige ohne Rücksicht auf sein persönliches Schicksal in der Gefahr persönlicher Verfolgung steht. Der Begriff der Gruppenverfolgung ist damit nur ein Hilfsmittel, um aus Maßnahmen, die gegen die Gruppe gerichtet sind, auf eine individuelle Verfolgungsbetroffenheit zu schließen. Das Eingreifen der Regelvermutung
73 
- BVerwG, Urteile vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, Rn. 13, vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, NVwZ 2006, 1420, juris Rn. 20 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590, juris Rn. 7; zum Teil auch als materiell-rechtlicher Anscheinsbeweis bezeichnet: Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 108 Rn. 73 -
74 
ohne Nachweis individueller konkreter Verfolgungsmaßnahmen setzt voraus, dass jedes im Verfolgungsgebiet im Verfolgungszeitraum lebende Gruppenmitglied nicht nur möglicherweise latent oder potentiell, sondern wegen seiner Gruppenzugehörigkeit aktuell gefährdet ist, weil den Gruppenangehörigen insgesamt Verfolgung droht. Die Verfolgungshandlungen müssen sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht; dagegen sind nur vereinzelt bleibende, individuelle Übergriffe gegen Gruppenmitglieder nicht geeignet, eine Gruppenverfolgung zu begründen. Erforderlich ist vielmehr eine bestimmte Verfolgungsdichte mit einer großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter, die die Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich erhebliche Merkmale treffen. Die Gruppenverfolgung kann dabei nicht nur aus unmittelbarer oder mittelbarer staatlicher Verfolgung resultieren, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Ob die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung vorliegen ist durch eine wertende Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu ermitteln. Die Verfolgungswahrscheinlichkeit aufgrund einer Gruppenverfolgung ist dabei ausgehend von der (jedenfalls annähend zu bestimmenden) Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe zu ermitteln. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, kann gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen. Auch für die Gruppenverfolgung gilt, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine erreich- und zumutbare Möglichkeit internen Schutzes offensteht.
75 
Vgl. insgesamt: BVerwG, Urteile vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936, Rn. 41; vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, Rn. 13 ff.; vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590, juris Rn. 7 f. und vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420, juris Rn. 20 ff., jeweils m.w.N.; grundlegend zur Gruppenverfolgung auch: BVerfG, Urteil vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85, 515/90, 1827/89 -, NVwZ 1991, 768 und BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175.
76 
b) Subsumtion: Keine Gruppenverfolgung von Hazara in Afghanistan
77 
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer Gruppenverfolgung der Hazara allerdings aus. Die Hazara bilden zwar eine ethnische Minderheit (aa)), es ist allerdings weder eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung festzustellen (bb)) noch lässt sich auf Grundlage der Situation der Hazara im alltäglichen Leben (cc)) eine Gruppenverfolgung ersehen, zumal auch positive Entwicklungen zu verzeichnen sind (dd)). Insbesondere vermag der Umstand, dass Volkszugehörige der Hazara Opfer von Anschlägen und kriminellen Übergriffen werden, eine Gruppenverfolgung nicht zu begründen (ee))
78 
aa) Die Volksgruppe der Hazara stellt im Vielvölkerstaat Afghanistan - nach den Paschtunen (40 %) und den Tadschiken (25 %) - mit einem Anteil von etwa 10 % der Bevölkerung eine Minderheit dar.
79 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 72, 94 und 96).
80 
Ihre Anzahl wird auf ungefähr drei Millionen geschätzt.
81 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
82 
Teilweise wird abweichend hiervon eine Zahl von 2,7 bis 6 Millionen bzw. ein Anteil von 9 bis 20 % der Bevölkerung angegeben.
83 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6 m.w.N.).
84 
Hinsichtlich der Vergleichsgröße ist für das gesamte Land von einer Einwohnerzahl zwischen etwa 27 bis 34 Millionen auszugehen.
85 
Vgl. dazu Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150: 33,3 Millionen; so auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; vgl. auch „the world fact book“ - Afghanistan auf https://www.cia.gov/ für Juli 2017 geschätzt 34,124,811 Einwohner; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees - Mai 2017 -, S. 55: mindestens 31,5 Millionen; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 18/Rn. 48: mindestens 30 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 2: 29.724.323; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8/Rn. 30: 27 bis 32 Millionen.
86 
Bei den Hazara handelt es sich um ein Volk mongolischer Abstammung. Auf Grund dieser Herkunft sind sie optisch wegen ihrer tendenziell eher zentralasiatischen Gesichtszüge meist als ihrer Volksgruppe zugehörig zu erkennen.
87 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7; Stahlmann, ZAR 2017, 189 (190 f.); Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6.
88 
Sie sprechen vorwiegend einen Dialekt des Persischen namens Hazaragi, der mongolische und turksprachige Wörter enthält. Die Hazara waren einst die größte ethnische Gruppe Afghanistans. Mehr als die Hälfte der Hazara-Bevölkerung war allerdings bereits im Jahr 1893 getötet worden, als die Hazara nach einem politischen Aufstand ihre Autonomie eingebüßt hatten. Die meisten Hazara leben auch heute noch im sogenannten Hazarajat (auch: Hazarestan) im zentralen Bergland Afghanistans, dem „Land der Hazara“. Dessen ca. 50.000 Quadratkilometer großes Gebiet ist in seiner exakten Abgrenzung zwar umstritten, es umfasst jedenfalls den Bereich der Provinz Bamiyan sowie Teile benachbarter Provinzen. Andere Hazara leben in den Bergen von Badachschan (eine Provinz im äußersten Nordosten Afghanistans), aber auch in weiteren Teilen Afghanistans, etwa in Daikundi und Ghazni.
89 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6; vgl. auch zu weiteren Distrikten Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 17; vgl. auch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 152, dort werden als Kernland der Region des Hazarat die Provinzen Bamiyan, Ghazni, Daikundi, der Westen der Provinz Wardak und Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis und Sar-e Pol genannt.
90 
In Bamiyan besteht die Bevölkerung beispielsweise zu 67 % aus Hazara.
91 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 2.
92 
Die meisten Hazara in Kabul leben in dem überbevölkerten Gebiet Dasht-e Barchi.
93 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87 f. Fn. 492.
94 
Der ganz überwiegende Teil der Hazara ist schiitischen Glaubens und stellt somit auch in religiöser Hinsicht - im Vergleich zu den mehrheitlich sunnitischen Muslimen des Landes - eine Minderheit dar.
95 
Vgl. insgesamt ausführlich: Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 2 und 4 m.w.N. sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7 und UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 59.
96 
bb) Für eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung der Hazara gibt es keine Anhaltspunkte.
97 
In der afghanischen Verfassung ist der Gleichheitsgrundsatz verankert. Sie schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Auch ist eine systematische, etwa auch nach dem Merkmal der Volkszugehörigkeit diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis für Afghanistan nicht erkennbar.
98 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 und S. 11; Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150; anschaulich auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 17.
99 
Nachdem die Hazara zuvor unter dem Regime der sunnitischen Taliban schwerwiegenden Misshandlungen - etwa auch Massakern und dem Vorenthalten von Nahrungsmitteln - ausgesetzt gewesen waren, konnten sie neben ihrer allgemeinen sozio-ökonomische Position insbesondere ihre gesellschaftliche Stellung auch in der Politik erheblich verbessern. So besetzte ein Hazara unter Präsident Karzai verschiedene hochrangige Regierungspositionen, u.a. auch das Amt des Vizepräsidenten. Auch ansonsten finden sich in hochrangigen Positionen in der öffentlichen Verwaltung und der Politik sowohl auf zentraler als auch lokaler Ebene Hazara. Die Hazara gelten insgesamt als in der Zivilgesellschaft gut vertreten.
100 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.
101 
cc) Im alltäglichen, gesellschaftlichen Leben kommt es allerdings durchaus zu Diskriminierungen von Hazara. So wird - allgemein gehalten - davon berichtet, dass Hazara beständig sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt sowie Inhaftierung betroffen seien und sie beispielsweise auch innerhalb der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt seien, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden, als dies bei Nicht-Hazara-Beamten der Fall ist.
102 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 5 f.; vgl. auch Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 2 m.w.N.; vgl. auch UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87 sowie S. 59 Fn. 327, 328 sowie auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 153; außerdem: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 114 m.w.N.; USDOS, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 47.
103 
Ein Beispiel für die - jedenfalls als solche empfundene - Benachteiligung ist die Auseinandersetzung um den Verlauf einer Stromtrasse. Der Umstand, dass eine durch Bamiyan geplante internationale Hochspannungsleitung lediglich als Durchgangslinie angedacht war und nicht etwa das bislang nur durch eine staatliche Solaranlage (unter-) versorgte Bamiyan elektrifiziert werden sollte, wurde zum Ursprung einer Protestbewegung der Hazara, des sog. „Enlightenment Movement“.
104 
SRF, Bericht: Schiiten in Afghanistan - Das Volk der Hazara will mehr Licht; Diskriminiert - die Minderheit der Hazara in Afghanistan, 16.03.2017; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 f.; vgl. dazu auch im Weiteren zur Demonstration der Hazara bzw. der Enlightenment-Bewegung vom 23. Juli 2016, die zum Ziel eines verheerenden Anschlags von IS-Kräften wurde.
105 
dd) Allerdings gibt es auch positive Entwicklungen. So stellt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2016 dar, dass sich die Lage der ca. 3.000.000 Hazara in Afghanistan grundsätzlich verbessert hat, auch wenn sie in der öffentlichen Verwaltung weiterhin unterrepräsentiert sind, was aber auch noch eine Nachwirkung vergangener Zeiten sein könnte.
106 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
107 
Ähnliches lässt sich auch der Darstellung des UNHCR entnehmen, der von erheblichen politischen und wirtschaftlichen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban Regimes im Jahr 2001 berichtet und u.a. auf die Anzahl der schiitischen Parlamentsmitglieder verweist, die in etwa dem Anteil der Schiiten in der Bevölkerung entspreche. Die Diskriminierung von Schiiten durch Sunniten hat danach deutlich abgenommen und aus Kabul sowie aus größeren Randgebieten seien keine Vorfälle mehr gemeldet worden. In Herat würden - bei einem großen schiitischen Bevölkerungsanteil - sowohl schiitische als auch sunnitische Führer von einem weitgehend harmonischen Zusammenleben berichten.
108 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87, 59, dort insbesondere auch Fn. 326 unter Verweis auf den Bericht des US Department of State vom 14.10.2015: 2014 Report on International Religious Freedom - Afghanistan vgl. zur signifikanten Verbesserung der Lage der Hazara seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 auch Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre,: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 3.
109 
In seinen Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern von Dezember 2016
110 
- UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 5 f. -
111 
berichtet der UNHCR, dass Hazara-Familien aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit als Binnenflüchtlinge in der vergleichsweise ruhigen Provinz Bamiyan aufgenommen wurden, nachdem im Herbst 2016 Dörfer von Hazara im Rahmen der Taliban-Aufstände gegen regierungsnahe Kräfte angegriffen worden sind. Auch kam es zu Verhandlungen zwischen Gruppen der Hazara und der Taliban, durch die bereits einige Angelegenheiten geklärt werden konnten. In Ghazni haben die Taliban und die Hazaras einen Nichtangriffspakt geschlossen, auf der Grundlage, dass den Taliban erlaubt wurde, bestimmte Straßen durch die Gebiete der Hazara zu nutzen.
112 
Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 18 f., vgl. auch S. 20 f.
113 
Hieraus allerdings eine sich verfestigende Lage oder gar eine dauerhafte Entwicklung ableiten zu wollen, ist angesichts der sich ständig ändernden Verbindungen, Partei- und Fraktionswechsel der verschiedenen Akteure (etwa der Bewegungen zwischen und auch innerhalb der Taliban, der IS-Bewegungen und sonstigen Gruppen) nicht angezeigt.
114 
Vgl. zu den von jeher üblichen „pragmatischen“ Doppelallianzen, Wechseln in den Loyalitäten, persönlichen Verbindungen, Meinungsunterschieden und -umschwüngen insbesondere der regierungsfeindlichen Gruppen eindrücklich: Stahlmann, ZAR 2017, 189 (S. 190 ff.), insbes. S. 192 sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22 f.
115 
Vielmehr verbleibt es insgesamt bei einer unsicheren Situation, in der auch nicht von einer gleichförmigen Lage sämtlicher hazarischen Volkszugehörigen die Rede sein kann. So arbeiten die Hazara teilweise mit den Taliban zusammen oder gehören ihnen sogar an
116 
- EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan - recruitment by armed groups, September 2016, S. 19 -,
117 
zuweilen findet - angesichts der üblicherweise schiitischen Religionszugehörigkeit der Hazara allerdings nur in Ausnahmefällen - sogar eine Rekrutierung von Hazara durch die (sunnitischen) Taliban statt.
118 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22.
119 
ee) Auch aus einer für Volkszugehörige der Hazara prekären Sicherheitslage lässt sich nicht auf eine Verfolgungsdichte nach den Anforderungen einer Gruppenverfolgung schließen.
120 
Die Vorfälle, durch die Hazara - oft auch als Angehörige der schiitischen Religion - betroffen waren bzw. verletzt oder sogar getötet wurden, sind zahlreich, was die nachfolgenden (nicht abschließenden) Ereignisse verdeutlichen.
121 
Im März 2016 wurden in der Provinz Sar-e Pol elf, im Juni 2016 17 Hazara entführt. Letztere wurden nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Am 6. Juli 2016 töteten Taliban 22 Polizisten, die Angehörige der Hazara waren.
122 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 6 f. und S. 15 f. sowie außerdem im Bericht insgesamt auch ausführlich zu weiteren Vorfällen vor 2016; US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 3.
123 
Am 23. Juli 2016 ereignete sich in Kabul äußerst gravierender und „öffentlichkeitswirksamer“ Anschlag auf Angehörige der Hazara, der im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19. Oktober 2016 - also aus einer Zeit vor dem schweren Anschlag vom 31. Mai 2017 - als schwerster Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte bezeichnet wurde.
124 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 10.
125 
Bei einem Angriff auf eine Kundgebung der zuvor erwähnten „Enlightenment“-Bewegung in Kabul, zu dem sich die dem Islamischen Staat (auch bezeichnet als Daesh) zugehörige Splittergruppe ISKP (Islamic State Khorasan Province, auch ISIL-KP) bekannte, starben 80 Personen.
126 
UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 6; Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 8; Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups vom 03.10.2016, S. 25; dort auch zur IS-Gruppe ISKP als einer Splittergruppe dies Islamischen Staats (IS), der auch Daesh genannt wird, ausführlich auf S. 22 ff. des Berichts sowie auch: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 18 und 30;
127 
Am 11. Oktober 2016 kam es zu zwei Angriffen auf schiitische Einrichtungen (einen Schrein und die Azrat-Moschee), bei denen mindestens 13 Zivilisten getötet wurden. Am 21. November 2016 wurde eine weitere schiitische Moschee in Kabul (Baqir-Ul-Olum) angegriffen, wobei 27 Zivilisten getötet und mindestens 30 verletzt wurden.
128 
Zu den (jeweils auch abweichenden) Zahlen: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 25; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 5 f., 11 und 16 f. m.w.N.; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10.
129 
Im Gegensatz zu den Selbstmordanschlägen und komplexen Attacken der Taliban richten sich vom ISKP durchgeführte Anschläge auch absichtlich gegen Zivilisten, insbesondere gegen die Hazara als schiitische Minderheit, da diese auch wegen der Teilnahme afghanischer Schiiten am Kampf gegen den IS auf Seiten des syrischen Regimes im Fokus des ISKP steht.
130 
Vgl. dazu den Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
131 
Auch in der maßgeblich von Hazara bewohnten Provinz Bamiyan kommt es wiederholt zu gezielten Angriffen auf Hazara durch regierungsfeindliche Kräfte entlang der Hauptverkehrsstraßen. Dabei erweisen sich insbesondere die Route von Kabul über die Provinz Parwan sowie die Straße über Maidan Wardak als unsicher.
132 
UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 6; vgl. auch Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 11 „Todesstraße“/„Death Road“ und auch Accord Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, 24.02.2016, S. 3; vgl. auch Stahlmann, ZAR 2017, 189 (194) zur „Straße des Todes“.
133 
Die Vorfälle zum Nachteil von Hazara setzten sich auch im Jahr 2017 fort. Bereits am 1. Januar 2017 forderte eine Sprengstoffexplosion in einer schiitischen Moschee in Herat ein Todesopfer. Fünf Menschen wurden verletzt. Regierungsfeindliche Kräfte hielten am 6. Januar 2017 in der Provinz Baghlan einen Bus mit Minenarbeitern, die hauptsächlich Hazara waren, an. Sie töteten acht Passagiere und verletzten drei weitere. In Sar-e Pol wurden durch Anhänger des ISKP am 15. März 2017 drei Hazara getötet. Sie wurden erschossen und anschließend geköpft. Am 12. Mai 2017 verübte der Daesh/ISKP mittels einer ferngesteuerten Sprengvorrichtung einen Anschlag auf eine Bäckerei in einem schiitisch geprägten Stadtviertel vom Herat nahe einer religiösen Versammlung, bei dem sieben Menschen getötet und 17 verletzt wurden. Auch zu einem weiteren Anschlag auf eine schiitische Moschee in Kabul am 15. Juni 2017, bei dem fünf Zivilisten getötet und sieben weitere verletzt worden waren, bekannte sich der ISKP.
134 
UNAMA Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 46 und 48, 49.
135 
Bei zwei weiteren Angriffen auf schiitische Moscheen in Kabul und in der Provinz Ghor am 20. Oktober 2017 wurden in Kabul mindestens 39, womöglich sogar mehr als 65 Personen getötet und 67 weitere verletzt; in Ghor wurden bis zu 33 Menschen getötet. Bei gegen die schiitische Minderheit gerichteten Anschlägen wurden im Zeitraum zwischen Januar und Ende Oktober 2017 insgesamt mindestens 149 Menschen getötet und 300 verletzt, wobei für den überwiegenden Anteil vermutlich der ISKP verantwortlich ist.
136 
Human Rights Watch: The Pain Behind the Numbers of Afghanistan’s Deadly Attacks, 23.10.2017; Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017.
137 
ff) Angesichts vorstehender Ausführungen und auch im Hinblick auf die im Verhältnis zur Gesamtzahl der in Afghanistan lebenden Hazara nicht ausreichend gewichtigen Anzahl ist insgesamt trotz der dargestellten Vielzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle zum Nachteil von Hazara nicht festzustellen, dass über eine „nur“ latente oder potentielle Gefährdung hinaus ein Grad erreicht wäre, der die Feststellung zuließe, dass grundsätzlich die gesamte Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Ein- bzw. Angriffen betroffen wäre. Auch kann aus dem Umstand, dass die Opfer der Vorfälle hazarische Volkszugehörige sind, nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass sie ihren Grund immer gerade in der Volks- oder auch in der schiitischen Religionszugehörigkeit der Geschädigten haben. Dies ist zwar für einzelne Ereignisse klar oder jedenfalls naheliegend.
138 
Vgl. etwa für den Anschlag auf die Demonstration vom 23. Juli 2016 oder die Anschläge auf schiitische Moscheen in der zweiten Hälfte des Jahrs 2016, vgl. dazu UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 41 f. sowie auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation Office, August 2017, S. 19.
139 
Teilweise lässt sich bereits nicht feststellen, ob es sich nicht schlicht um kriminelles Unrecht handelt, das letztlich zufällig zum Nachteil von Hazara wirkt, aber ebenso andere Volksgruppen treffen könnte und auch trifft. So kann etwa der Anteil betroffener Hazara auf der vorgenannten „Death Road“ auch auf andere Umstände als ihre Ethnie zurückzuführen sein, etwa darauf, dass sie überdurchschnittlich viel reisen. Auch der Umstand, dass ein großer Anteil von Hazara in Stadtzentren lebt, dort in höheren Positionen tätig ist und daher auch mehr Geld verdient, kann ihre hohe Betroffenheit erklären.
140 
So einer von mehreren Erklärungsansätzen laut Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 19.
141 
Auch bleibt oft unklar, von wem die Übergriffe letztlich ausgehen, da es oft kein oder umgekehrt mehrere Bekenntnisse verschiedener Gruppen gibt und beispielsweise auch eine Tendenz zu bestehen scheint, wonach die afghanische Regierung nicht zuordenbare Gruppen erst einmal dem IS zuschreibt.
142 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 22.
143 
Es bedarf daher auch keiner weiteren Ausführungen dazu, ob der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer Gruppenverfolgung der Hazara nicht ohnehin entgegensteht, dass die Situation der Hazara sich in einzelnen Gebieten und Provinzen erheblich voneinander unterscheidet und sich daher auch die Frage einer internen Schutzmöglichkeit stellen könnte. So stellt sich in homogenen, hauptsächlich von Hazara bewohnten Gebieten die Situation durchaus abweichend von anderen Regionen dar: Die Provinzen Bamiyan und Daikundi werden zuweilen als großteils sicher bezeichnet, wobei aber wiederum Teile im nördlichen Bamiyan und in den an Urusgan angrenzenden Teilen Daikundis als instabil gelten, da sie an Regionen mit Aktivitäten Aufständischer angrenzen
144 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 9; zur Problematik der Gefahren für Hazara auch in verhältnismäßig sicheren Bereichen wegen erforderlicher Reisen in größere Städte zum Zwecke der Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung ergänzend: S. 9 m.w.N.; zum hohen - subjektiven - Sicherheitsempfinden in Bamiyan mit 86,3 % vgl. den Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 9; dort auch auf S. 10 der Hinweis, dass bislang noch keine Anschläge des ISKP auf Hazara in deren angestammten Siedlungsgebieten der zentralen Hochlandregion bezeugt sind).
145 
Insgesamt liegen damit die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung von Volkszugehörigen der Hazara in Afghanistan nicht vor.
146 
So im Übrigen auch: BayVGH, Beschlüsse vom 20.01.2017 - 13a ZB 16.30996 -, juris Rn. 11 f.; vom 04.01.2017 - 13a ZB 16.30600 -, juris Rn. 6; und vom 19.12.2016 - 13a ZB 16.30581 -, juris Rn. 4; außerdem auch jüngere untergerichtliche Entscheidungen: eingehend VG Lüneburg, Urteile vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 24 ff. und vom 13.06.2017 - 3 A 136/16 -, juris Rn. 25 ff.; außerdem VG Cottbus, Urteil vom 01.08.2017 - 5 K 1488/16.A -, juris Rn. 21 ff.; VG Berlin, Urteil vom 14.06.2017 - 16 K 207/17 A -, juris Rn. 20; VG Osnabrück, Urteil vom 15.03.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net, S. 8 UA; VG Düsseldorf, Urteil vom 05.01.2017 - 18 K 2043/15.A -, juris Rn. 28 ff.
147 
II. Kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes
148 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG.
149 
1. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AsylG
150 
Dem Kläger droht weder die Verhängung noch die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 AsylG).
151 
2. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG
152 
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt von Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung droht. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten die § 3c bis 3e AsylG entsprechend. Insbesondere bedarf es also auch für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes aus den in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 genannten Gründen eines Verfolgungsakteurs im Sinne des § 3c AsylG (Art. 6 Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl EU L 337/95).
153 
An diesen Voraussetzungen fehlt es.
154 
Hinweise für drohende Folter (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 1 AsylG) oder ernsthaften Schaden wegen einer unmenschlichen oder erniedrigen Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 3 AsylG) gibt es nicht.
155 
Ebenso kommt die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus auf Grundlage eines gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 2 AsylG relevanten ernsthaften Schadens in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung vorliegend nicht in Betracht. Denn die Voraussetzungen der §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 2, Abs. 3 Satz 1, 3c bis 3e AsylG (a)) sind weder wegen des vorgebrachten individuellen Verfolgungsgeschehens erfüllt (b)) noch im Hinblick auf die humanitären Verhältnisse in Afghanistan, weil es insofern an einem Akteur im Sinne des § 3c AsylG fehlt (c)).
156 
a) Rechtliche Anforderungen
157 
aa) Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die Vorschrift der Umsetzung der RL 2011/95/EU dient, ist sie in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b RL 2011/95/EU auszulegen. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des EGMR zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen, zu verstehen.
158 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 Rn. 220 m.w.N. sowie vom 11.07.2006 - 54810/00 - (Jalloh/ Deutschland), NJW 2006, 3117 Rn. 67; BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 Rn. 22 ff. m.w.N.; siehe auch Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff. und Jarass, Charta der Grundrechte, 3. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 9.
159 
Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen.
160 
Vgl. auch dazu im Einzelnen ausführlich Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff., insbesondere Rn. 24, 25.
161 
bb) Wie bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt auch im Rahmen des subsidiären Schutzes für die Beurteilung der Frage, ob ein ernsthafter Schaden droht, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2f RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des EGMR, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“).
162 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 20; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.03.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
163 
Auch im Rahmen des § 4 AsylG ist der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 erlitten hat, dies stellt aber einen ernsthafter Hinweis dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Denn auch diesbezüglich gilt die Vermutung gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU.
164 
b) Kein Anspruch auf Grund individueller Umstände
165 
Unter Berücksichtigung dieser Anforderung besteht keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Klägers im Falle seiner Rückkehr.
166 
Nach der Schilderung des Klägers wäre eine solche in Anknüpfung an den von ihm als Vorverfolgungsgeschehen geschilderten Übergriff der Kutschi, bei dem sein Arm verletzt wurde, vorstellbar. Wie bereits ausgeführt vermag der Senat von einer solchen Vorverfolgung des Klägers nicht auszugehen, weil er dem Kläger das von ihm geschilderte Verfolgungsgeschehen nicht glaubt. Eine auf dieser Schilderung basierende Zuerkennung subsidiären Schutzes scheidet aus.
167 
c) Kein Anspruch auf Grund der schlechten humanitären Situation mangels Akteur
168 
Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Denn es fehlt am erforderlichen Akteur § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG.
169 
Trotz der inhaltlichen Kongruenz von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG („Als ernsthafter Schaden gilt:... Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ...“) und Art. 3 EMRK („Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“)
170 
- vgl. dazu sowie auch zu Unterschieden: Storey, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part D III, Art. 15 Rn. 3 f. -
171 
führt das Vorliegen der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nicht zwingend zu einer Zuerkennung subsidiären Schutzes. Denn es reicht nicht aus, dass die Voraussetzungen eines Tatbestandes nach § 4 Abs. 1 AsylG erfüllt sind. Vielmehr sind - neben § 4 Abs. 2 AsylG - gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch die Anforderungen der § 3c bis 3e AsylG zu beachten, die für den subsidiären Schutz entsprechend gelten. Erforderlich ist daher, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadens von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten.
172 
Es ist in der Rechtsprechung des EuGH geklärt, dass ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15b RL 2011/95/EU eine Situation nicht erfasst, in der eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf fehlende Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit im Herkunftsstaat zurückzuführen ist, solange die notwendige Versorgung nicht absichtlich verweigert wird. Dies folgt u.a. daraus, dass Art. 6 RL 2011/95/EU eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Schäden im Sinne des Art. 15 RL 2011/95/EU müssen daher von bestimmten Dritten verursacht werden.
173 
EuGH, Urteil vom 18.12.2014 - C-542/13 - (M´Bodj), NVwZ-RR 2015, 158, insb. Rn. 35 und 41.
174 
Dies bekräftigend hat auch Generalanwalt Bot jüngst ausgeführt, aus der Auslegung von Art. 6 RL 2004/83/EG - der Fall betrifft das Vereinigte Königreich - folge, dass die in Rede stehenden ernsthaften Schäden durch das Verhalten eines Dritten verursacht werden müssen. Ein Anspruch auf subsidiären Schutz ist nämlich nicht schon dann begründet, wenn nachgewiesen wird, dass für den Betroffenen bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestünde. Es muss auch nachgewiesen werden, dass diese Gefahr auf Faktoren beruht, die den Behörden dieses Landes direkt oder indirekt anzulasten und ihnen stets bewusst sind, und zwar entweder weil die Behörden des Staates, dem der Betroffene angehört, ihn persönlich bedrohen oder diese Bedrohung tolerieren, oder weil diese Bedrohung auf unabhängige Gruppen zurückgeht, vor denen die Behörden ihre Staatsangehörigen nicht wirksam schützen können.
175 
GA Bot, Schlussanträge vom 24.10.2017 - C-353/16 - (MP/Vereinigtes Königreich), Rn. 28 - 30.
176 
Insbesondere trifft es nicht zu, dass Art. 3 EMRK eine erweiternde Auslegung von Art 15b RL 2011/95/EU gebieten würde
177 
(so aber: Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), dort S. 11),
178 
denn mit einer möglichen Versagung internationalen Schutzes wird unionsrechtlich nicht abschließend darüber entschieden, ob eine Rückführung in den Herkunftsstaat rechtlich zulässig ist, was sich u.a. aus Art. 5 RL 2008/115/EG ergibt. Der zu prüfende Grundsatz der Nichtzurückweisung ist hier umfassend und damit auch auf Art. 3 EMRK bezogen zu verstehen und damit weiter als derjenige aus Art. 33 Abs. 1 GFK.
179 
Vgl. Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part C VII, Art. 5 Rn. 9.
180 
Diese Auslegung von Art. 15b RL 2011/95/EU steht im Einklang mit der herrschenden Lehre und Rechtsprechung.
181 
VG Berlin, Urteil vom 10.07.2017 - VG 34 K 197.16 A -, juris Rn. 54; VG Lüneburg, Urteil vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 51 f.; VG Osnabrück, Urteil vom 15.05.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net; außerdem: EASO, Qualification for International Protection Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109; vgl. auch Hinterberger/Klammer, Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen: Die aktuelle EGMR- und EuGH-Rechtsprechung zum Non-Refoulement und deren Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage, NVwZ 2017, 1180 [1181 f.] sowie wohl auch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 32 und Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 60 Rn. 57 zum „nicht in vollem Umfang“ identischen Schutzbereich von § 60 Abs. 5 AufenthG und von § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU/§ 4 AsylG.
182 
An einem somit erforderlichen Akteur fehlt es vorliegend. Denn die humanitäre Lage und die prekären Lebensumstände sind keinem der genannten Akteure nach § 3c AsylG zuzurechnen.
183 
Vgl. zu dem Umstand, dass die schwierige humanitäre Situation in Afghanistan nicht unmittelbar dem afghanischen Staat zuzurechnen ist bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108, dort zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, sowie auch - anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
184 
Die schlechte Versorgungslage (betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung) wird durch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans, die dort herrschenden Umweltbedingungen (also insbesondere die schwierigen klimatischen Bedingungen sowie Naturkatastrophen) sowie maßgeblich durch die volatile Sicherheitslage negativ beeinflusst und bestimmt. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte. Insbesondere wird weder die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten noch werden all diese Umstände gezielt herbeigeführt.
185 
Vgl. dazu im Folgenden die Darstellungen zu den Lebensverhältnissen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
186 
Daher scheidet die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG bereits in Ermangelung eines tauglichen Akteurs aus.
187 
3. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG
188 
Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor.
189 
a) Rechtliche Anforderungen
190 
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 AsylG ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht.
191 
aa) Dies ist der Fall, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt aber außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen.
192 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - (Elgafaji/Niederlande), NVwZ 2009, 705 und vom 30.01.2014 - C-285/12 - (Diakité/Belgien), NVwZ 2014, 573.
193 
Der für die Annahme einer individuellen Gefahr in diesem Sinne erforderliche Grad willkürlicher Gewalt wird daher umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund solcher individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden etwa als Arzt oder Journalist ergeben, da diese regelmäßig gezwungen sind, sich nahe an einer Gefahrenquelle aufzuhalten. Ebenso können solche Umstände aber auch aus einer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist.
194 
Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
195 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, juris Rn. 13; NdsOVG Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
196 
Das besonders hohe Niveau kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Zustand permanenter Gefährdungen der Bevölkerung und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts festgestellt werden. Vielmehr erfordert die Bestimmung der Gefahrendichte eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung - etwa auch im Hinblick auf die medizinische Versorgungslage - erfolgen.
197 
BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 23 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 - 3 L 53/12 -, juris Rn. 24 ff.; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
198 
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011
199 
10 C 13.10, Rn. 22 und 10 C 11.10, Rn. 20
200 
- bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 (0,125 %) bzw. 1:1.000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen.
201 
Vgl. hieran anknüpfend auch: NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
202 
bb) Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Der Begriff des „tatsächlichen Zielortes der Rückkehr“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH
203 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - (Elgafaji/Niederlande), NVwZ 2009, 705, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167
204 
ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat schützt, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat. Auch eine nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage) ändert nichts daran, dass diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz behält. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aus.
205 
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167.
206 
b) Situation am maßgeblichen Ort, der Provinz Ghazni
207 
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen fehlt es - auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände (dazu lit. c)) - an der erforderlichen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt.
208 
Dabei ist in Anwendung vorstehender Anforderungen auf die Provinz Ghazni abzustellen, in der der Kläger geboren und aufgewachsen ist und wo er sich bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan aufgehalten hat.
209 
Für diese ist allerdings sowohl nach quantitativer Betrachtung als auch in qualitativer Hinsicht die erforderliche Gefahrendichte nicht festzustellen.
210 
Denn das Risiko der Verletzung oder Tötung liegt für die Provinz Ghazni weit unterhalb den vorgenannten Schwellen von 0,125 % bzw. 0,1 %.
211 
Ghazni hat ca. 1.270.000 Einwohner. Es ist die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl und bildet gemeinsam mit den Provinzen Khost (Einwohnerzahl ca. 593.000), Paktia (Einwohnerzahl ca. 570.000) und Paktika (Einwohnerzahl ca. 450.000) die südöstliche Region Afghanistans.
212 
Zu den (geschätzten) Einwohnerzahlen (2017): Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017: Ghazni 1.270.192, Paktia 570.534, Khost 593.691, Paktika 449.116. sowie auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; zu 2016: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 71, 93 und 96 m.w.N. (CSO 2016): Ghazni: 1.249.000; Khost; 584.000; Paktia: 561.000; Paktika: 441.000; für 2015: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94, 98, 101 und 106: Ghazni: 1.228.831, Paktia: 551.987; Khost: 574.582, Paktika: 434.742; zur Einordnung in die südöstliche Region: UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 2 und S. 12 Fn. 15.
213 
Für die südöstliche Region ergibt sich damit eine Gesamteinwohnerzahl von ca. 2.881.000.
214 
Für das Jahr 2015 erfasste die UNAMA eine Anzahl von 1.470 verletzten oder getöteten Zivilpersonen in der südöstlichen Region. Für das Jahr 2016 wurden insgesamt 903 gezählt.
215 
UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 21.
216 
Für die (mangels provinzbezogener Zahlen herangezogene) südöstliche Region ist damit orientiert an der Gesamteinwohnerzahl von ca. 2.881.000 für bei 1.470 Opfern für das Jahr 2015 von einer Wahrscheinlichkeit von 0,051 % und für das Jahr 2016 mit 903 Opfern von 0,031 % auszugehen. Nichts anderes ergibt sich, wenn der Provinz Ghazni die Hälfte der Opferzahlen für die südöstliche Region zurechnet werden, weil Ghazni rund 44 % der Einwohner der südöstlichen Region stellt (1.270.000 zu 2.881.000) und weil auf Ghazni in der Vergangenheit auch etwa die Hälfte der sicherheitsrelevanten Vorfälle (einschließlich Vorfällen, die nicht zum Nachteil von Zivilpersonen erfolgten) entfallen sind. So wurden im Zeitraum 1. September 2015 bis 31. Mai 2016 für Ghazni insgesamt 1.292 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, während es im Vergleich dazu in Khost 441, in Paktia 394 und in Paktika 491 Vorfälle gab. Der Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in der südöstlichen Region von damit insgesamt 2.618 stehen für Ghazni damit 1.292 Vorfälle gegenüber, also ein Anteil von etwa der Hälfte.
217 
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 72, 94 und 96; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 95, 99, 102 und106.
218 
Auch bei der Übertragung dieses Verhältnisses ergibt sich lediglich ein Anteil von 0,058 % für 2015 (die Hälfte von1.470 zu 1.270.000) bzw. 0,036 % für 2016 (die Hälfte von 903 zu 1.270.000).
219 
Für das erste Halbjahr 2017 hat die UNAMA die Anzahl der zivilen Opfer u.a. auch nach Provinzen aufgeführt. Für Ghazni wurden danach 165 Opfer erfasst
220 
- UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 -,
221 
was hochgerechnet für das gesamte Jahr 2017 eine Zahl von 330 Personen ergäbe. Für das Jahr 2017 errechnet sich mit der hochgerechneten Zahl von 330 Opfern in Orientierung an der Einwohnerzahl von Ghazni mit 1.270.000 ein Anteil von 0,026 %.
222 
Dabei ist dem Senat andererseits bewusst, dass die von der UNAMA berichteten zivilen Opferzahlen womöglich auf Grund der Methodik der UNAMA tatsächlich zu niedrig bemessen sein können.
223 
Zur Problematik der Aussagekraft der UNAMA-Zahlen im Hinblick auf das selbst auferlegte Erfordernis von drei unabhängigen Quellen vgl. Stahlmann, ZAR 2017, 189 (192 f.); hierauf unter Aufgreifen der Bedenken Bezug nehmend auch Berlit, ZAR 2017, 110 (116).
224 
Eine „Korrektur" der ausgewiesenen Zahlen mit Hilfe eines - ohnehin schwierig zu bemessenden - Faktors
225 
- in diese Richtung: NdsOVG, Urteil vom 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 65; HessVGH, Urteil vom 30.01.2014 - 8 A 119/12.A -, BeckRS 2014, 48268; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, NVwZ-RR 2014, 939, juris Rn. 151 und 230; jeweils unter hilfsweiser Betrachtung ("selbst wenn") mit einer Verdreifachung der UNAMA-Zahlen, orientiert an einer Stellungnahme von an einer Stellungnahme von Dr. Danesch an den HessVGH vom 03.09.2013, S. 11 -
226 
hält der Senat allerdings nicht für angezeigt. Denn es ergibt sich nicht mir unter Berücksichtigung des vorliegend schon quantitativ geringen Anteils auch unter qualitativen Gesichtspunkten nicht, dass sich die allgemeine Gefahr so weit verdichtet hätte, dass eine erhebliche individuelle Gefahr bzw. Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG zu bejahen wäre.
227 
Insbesondere ist bei der Bewertung auch zu berücksichtigen, dass sich die Sicherheitslage in Ghazni gegenüber dem Vorjahr erheblich verbessert hat. Die Zahl der zivilen Opfer ist um 26 % zurückgegangen.
228 
Vgl. UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73.
229 
Der Senat verkennt nicht, dass es auch im Jahr 2017 zu Vorfällen zum Nachteil der Zivilbevölkerung gekommen ist und voraussichtlich auch weiter kommen wird. Allerdings sind die Gewinne der Taliban in der Region minimal und unbeständig. Im Gegensatz zum Jahr 2015 registrierte die UNAMA im Jahr 2016 auch keine Entführungsfälle der Hazara-Bevölkerung in Ghazni mehr. In vormals betroffenen Gegenden wurden Checkpoints der afghanischen Sicherheitskräfte errichtet, was als Abschreckung gewertet wird.
230 
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55; UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 74 f.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 56.
231 
Insgesamt ist daher sowohl bei quantitativer als auch bei qualitativer Betrachtung angesichts der Bevölkerungszahl auf der einen und den Verletzten und getöteten Zivilpersonen auf der anderen Seite für eine Zivilperson in der Provinz Ghazni nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden.
232 
Vgl. auch BayVGH, Beschlüsse vom 10.04.2017 - 13 a ZB 17.30266 -, juris Rn. 5; vom 06.04.2017 - 13a ZB 17.30254 -, juris Rn. 7; NdsOVG, Urteil vom 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 51 ff.
233 
c) Keine individuell gefahrerhöhenden Umstände als Hazara
234 
Insbesondere lässt sich dies auch unter Berücksichtigung individueller Umstände nicht feststellen. Denn im Falle des Klägers sind keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände gegeben, die eine erheblichen individuellen Gefährdung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu begründen geeignet sind.
235 
So lassen sich solche nicht aus der Volkszugehörigkeit des Klägers herleiten.
236 
Wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht, sind Volkszugehörige der Hazara zwar wiederholt Opfer im andauernden Konflikt, da es in Afghanistan insgesamt, aber auch in der hier maßgeblichen Provinz Ghazni immer wieder zu gezielt gegen Hazara bzw. Schiiten gerichtete Aktionen kommt, etwa die Anschläge auf schiitische Moscheen sowie die (vermutlich) gerade auf Hazara zielende Entführungen. Hinsichtlich letzterer ist allerdings darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zum Jahr 2015 im Weiteren in der Provinz Ghazni keine solchen Entführungen mehr bekannt wurden und auch im Land insgesamt ein ganz erheblicher Rückgang festzustellen ist: Während im Jahr 2015 noch 224 Hazara entführt worden waren, waren es 2016 noch 84 Personen, was ohnehin nur 4 % der Gesamtzahl an Entführungsopfern des gesamten Landes darstellt.
237 
UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 74 f. und S. 65; UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation Office, August 2017, S. 19.
238 
Anhaltspunkte dahin, dass die zivilen Opfer in der Provinz Ghazni, deren Bevölkerung zu 49 % aus Paschtunen, zu 46 % aus Hazara und zu 5 % aus Tadschiken besteht
239 
- EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94 -,
240 
zu einem erheblichen Teil Volkszugehörige der Hazara sind, gibt es ebenso wenig wie dafür, dass dies für das gesamte Land der Fall wäre. So werden etwa als die Hauptziele regierungsfeindlicher Kräfte in Ghazni nicht etwa die Hazara genannt, sondern Mitglieder der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) (hierzu gehören u.a. die Armee, die Luftstreitkräfte, die Polizei etc.), Distriktgouverneure, Stammesführer und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen. In Ghazni hatten die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle im Zeitraum zwischen September 2015 und Mai 2016 direkte bewaffnete Auseinandersetzungen und Luftangriffe zum Hintergrund (nämlich 952 von 1.292). Andere Ursachen sind eher untergeordnet (155 Vorfälle im Rahmen von Sicherheitsmaßnahmen wie Festnahmen etc., 144 im Zusammenhang mit Explosionen, 39 Fälle von gezielt gegen Einzelpersonen gerichteter Gewalt etc.).
241 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94 f.; zu den Definitionen S. 9 ff.
242 
Dass Hazara von den danach wesentlichen, bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und regierungsfeindlichen Kräften bzw. den Luftangriffen in besonderem Maße betroffen wären, ist nicht ersichtlich.
243 
Auch UNAMA hat im Midyear Report des Jahrs 2017 festgestellt, dass die Hauptursache für die Verletzung bzw. Tötung von Zivilisten Bodenkämpfe sind (diese umfassen etwa direkte bewaffnete Auseinandersetzungen und Zusammenstöße der Konfliktparteien, Kreuzfeuer etc.). An zweiter Stelle folgen improvisierte Sprengkörper (IEDs) und erst an dritter Stelle kommen gezielte bzw. absichtliche Tötungen.
244 
UNAMA Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 sowie S. 68.
245 
Danach lässt sich nicht feststellen, dass nur oder vor allem Hazara Opfer im Rahmen des bestehenden Konflikts wären oder dass Hazara in besonderem Maße Gefahr laufen, als unbeteiligte Zivilpersonen Opfer des Konflikts zu werden.
246 
III. Nationales Abschiebungsverbot
247 
Auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (1.) und nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (2.) liegen nicht vor.
248 
1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK
249 
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund der schlechten humanitären Bedingungen in Afghanistan besteht nicht. Denn die rechtlichen Voraussetzungen (a)) hierfür sind unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse in Afghanistan insgesamt (b)) und der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (c)) sowie in Ansehung der der persönlichen Situation des Klägers (d)) nicht gegeben.
250 
a) Rechtliche Anforderungen
251 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
252 
aa) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
253 
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen.
254 
Vgl. dazu bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 4 sowie insbesondere auch juris Rn. 71 m.w.N.
255 
Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will.
256 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681.
257 
Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt.
258 
BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 5 sowie insbesondere auch juris Rn. 79 ff.; EGMR, Urteile vom 02.05.1997 - 146/1996/767/ 964 - (D./Vereinigtes Königreich), NVwZ 1998, 161; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334; vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland) - NVwZ 2011, 413; vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 und vom 13.10.2011 - 10611/09 - (Husseini/Schweden), NJOZ 2012, 952.
259 
Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 13. Dezember 2016
260 
- 41738/10 - (Paposhvili/Belgien), NVwZ 2017, 1187 Rn. 187und 189,
261 
aber nunmehr ausdrücklich wiederholt auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung hinweist, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist, wird hinreichend deutlich, dass außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale auch solche sein können, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.
262 
Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw.
263 
Vgl. dazu jüngst wieder ausführlich BayVGH, Urteil vom 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, BeckRS 2017, 113717; dieser bereits zuvor in seinen beiden Urteilen vom 21.11.2014 – 13a B 14.30285 -, BeckRS 2015, 41010 und - 13a B 14.30284 -; dort jeweils eingehend zur Bejahung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen bezüglich Familien mit minderjährigen Kindern wegen der Rahmenbedingungen in Afghanistan (m.w.N.).
264 
Vorliegend sind allein die hohen Anforderungen der letztgenannten Fallgestaltung maßgeblich, da die hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevanten humanitären Verhältnisse in Afghanistan keinem Akteur zuzuordnen sind (s.o.).
265 
bb) Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch die des Bundesverwaltungsgerichts
266 
- EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f. und BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 -
267 
machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit, als es die allgemeine Lage in Afghanistan als nicht ausreichend ernst für die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK eingestuft hat, die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation betont.
268 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, insb. Leitsatz 3 -; vgl. auch: BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
269 
Dabei kann aber - schon nach der Gesetzessystematik - der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG nicht, insbesondere auch nicht analog, herangezogen werden. Da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind, lassen sich die ggf. erhöhten Anforderungen an eine ausreichende Lebensgrundlage im Fall einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG ebenfalls nicht übertragen.
270 
BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
271 
Ein Zusammenhang zwischen Art. 3 EMRK und § 3e AsylG besteht lediglich dergestalt, dass für den Fall, dass die Situation am vermeintlichen Schutzort einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellte, dieser Schutzort den Anforderungen des § 3e AsylG nicht genügen würde.
272 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 85 m.w.N.
273 
cc) Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein.
274 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - (Abdolkhani und Karimnia/Türkei), InfAuslR 2010, 47; Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris; Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334 sowie Urteil vom 06.02.2001 - 44599/98 - (Bensaid/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2002, 453.
275 
Erforderlich ist danach die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung. Es gilt - wie bei § 60 Abs. 1 AufenthG - der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die für eine Verfolgung sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen.
276 
BVerwG, Urteil v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EGMR, Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris.
277 
dd) Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet.
278 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309.
279 
Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung ist vorliegend Kabul.
280 
Vgl. zu den Flugverbindungen nach Afghanistan: Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 25 sowie zu den bislang durchgeführten Abschiebungen nach Kabul (etwa am 15. Dezember 2016, 24. Januar 2017, 23. Februar 2017 und am 28. März 2017): Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 12 m.w.N.
281 
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kann nur beanspruchen, wem prinzipiell im gesamten Zielstaat der Abschiebung die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung landesweit droht. Es darf also für den Betroffenen keine interne/innerstaatliche Fluchtalternative („internal flight alternative“) bestehen.
282 
Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche)
283 
- vgl. zu den Überschneidungen des Art. 3 EMRK mit dem internen Schutz nach § 3e AsylG (aber auch zu den Unterschieden) ausführlich Marx, ZAR 2017, 304 -
284 
Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen.
285 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 266; EGMR, Urteil vom 11.01.2007 - 1948/04 - (Salah Sheekh/Niederlande) Rn. 141; Lehnert, in: Meyer-Ladewig u.a., EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 3 Rn. 70 m.w.N.
286 
Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat.
287 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 294 f.
288 
Anknüpfend hieran ergibt sich unter Berücksichtigung der landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan (dazu b)) und auch der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (dazu c)), dass unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers (dazu d)) kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt.
289 
b) Lebensverhältnisse landesweit
290 
Die landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und die Situation von Rückkehrern gestalten sich wie folgt:
291 
Afghanistan hat insgesamt etwa 27 bis 34 Millionen Einwohner (s.o.). Über 40 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre, zwei Drittel unter 25 Jahre alt.
292 
Sam Hall, Urban displaced youth in Kabul - mental health matters, Juni 2016, S. 7.
293 
Geprägt wird das Leben der Menschen im Land von einer schwierigen wirtschaftlichen Situation (aa)) und Versorgungslage (bb)), von prekären humanitären Gegebenheiten (cc)) sowie von einer volatilen Sicherheitslage (dd)). Zudem sehen sich Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zusätzlichen Gefahren ausgesetzt (ee)). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Rückkehrer unter bestimmten Umständen spezielle Unterstützungsmaßnahmen erhalten können (ff)).
294 
aa) Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es belegte im Jahr 2015 den Platz 171 und im Jahr 2016 den Platz 169 von 187 im Human Development Index. Mindestens 36 % der Bevölkerung des Landes leben unter der Armutsgrenze. Teils wird auch von einer Steigerung von 36 % für die Jahre 2007/2008 auf 39 % für die Jahre 2013/2014 berichtet, wobei ein Leben in Armut nach dem hier verfolgten Ansatz vorliegt, wenn das Einkommen unter der Armutsgrenze von 1.150 Afghani (20 US$) pro Monat liegt. Afghanistan weist im Vergleich mit allen asiatischen Ländern den höchsten Anteil armer Menschen auf. Die Zahl derjenigen, die humanitärer Unterstützung bedurften, hat sich von 2016 bis zum Beginn des Jahres 2017 um 13 % auf 9,3 Millionen erhöht. Dabei gibt es regionale Unterschiede. Sie reichen von einem Anteil von 27,7 % der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebt, im Südwesten bis zu 49,7 % im Nordosten.
295 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 176; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 31 f. m.w.N.; Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 3 Fn. 17; World Food Programme, Country Brief, WFP Assistance, Juli 2017.
296 
Bei einer ohnehin schon zuvor schlechten Lage ist seit dem Jahr 2012 ein massiver Einbruch der Wirtschaft zu verzeichnen.
297 
Dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N.
298 
Sie sieht sich in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 konfrontiert mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90 % (von 140.000 internationalen Soldaten auf rund 14.000). Die Abwertung des Afghani gegenüber dem US-Dollar schreitet - bei gleichzeitiger Deflation - immer weiter voran. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum ist kurzfristig nicht in Sicht.
299 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21.
300 
Zudem beruht die Wirtschaft zu großen Teilen auf irregulären und illegalen Aktivitäten, darunter der Opiumhandel.
301 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
302 
Der Vergleich des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts für das Jahr 2012 von 14,4 % mit dem des Jahres 2015, in dem nur noch 0,8 % Wachstum zu verzeichnen waren, macht den für das gesamte Land zu verzeichnenden Einbruch deutlich.
303 
Vgl. dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12 m.w.N.; siehe auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 5.
304 
Bis zum Jahr 2016 blieb es bei einem Wachstum von unter 2 %. Auf Grund der abgeschwächten Konjunktur, unter anderem wegen der mangelnden Sicherheit und der politischen Ungewissheit, wird erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt allenfalls geringfügig wächst.
305 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 19 m.w.N.
306 
Diese Wirtschaftslage spiegelt sich auch im Arbeitsmarkt wider, für den uneinheitliche Zahlen vorliegen.
307 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21 zur Bezeichnung der Arbeitsmarktzahlen als schwach und kontrovers ("weak and controversial").
308 
Je nach Quelle und Erfassungsweise werden etwa für das Jahr 2014 Arbeitslosenzahlen von 9,1 % bis 24 % genannt, teils wird - unter Berücksichtigung eines Anteils von 15,3 % unterbeschäftigter Personen - der Anteil der nicht erwerbstätigen Personen sogar mit 40 % angegeben.
309 
Im Einzelnen m.w.N.: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21.
310 
Im Jahr 2015 lag die landesweite Arbeitslosenquote bei 40 %. Der Anteil in den Städten war deutlich höher, da die Landwirtschaft, in der rund 60 % - in ländlichen Regionen sogar 70 % der erwerbstätigen Bevölkerung - tätig sind, weiterhin der stabilste Beschäftigungssektor ist.
311 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (76) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 m.w.N.; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
312 
Auch für den Zeitraum Ende des Jahres 2016 wurde ein Arbeitslosenanteil mit etwa 40 % geschätzt und die Aussichten als sehr düster bezeichnet.
313 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
314 
Ebenso werden für die Jugendarbeitslosigkeit sehr unterschiedliche Größenordnungen genannt. So gibt die Weltbank für das Jahr 2014 einen Anteil von 23 % bezüglich junger Frauen und 16 % hinsichtlich junger Männern an (bei 9,1 % für dieses Jahr im Allgemeinen). Die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten soll um 50 % höher sein als die städtische Arbeitslosigkeit insgesamt.
315 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22.
316 
Es findet sich sogar die Angabe einer Jugendarbeitslosigkeit von 82 %.
317 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76).
318 
Gerade der städtische Arbeitsmarkt ist durch die bereits erwähnten Änderungen des internationalen Engagements geprägt. Dort waren mit der plötzlichen Ankunft internationaler Organisationen zunächst Qualifikationen gefragt, die auf dem lokalen Arbeitskräftemarkt nach den langen Kriegsjahren tatsächlich Mangelware waren - darunter Englischkenntnisse, Arbeitserfahrung mit der in internationalen Organisationen gepflegten Bürokratie und formelle Ausbildungs- und Studienabschlüsse. Außerdem hatte der Bauboom in den Städten, insbesondere im grundlegend zerstörten und rapide wachsenden Kabul, zunächst einen Markt für ungelernte Arbeitskräfte geschaffen.
319 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (74); zum Arbeitsmarkt in Kabul auch Kohler, InfAuslR 2017, 99 (101) mit Verweis auf Islamic Republic of Afghanistan - Central Statistics Organisation, Socio-Demographic and Economic Survey, Figure 11 und Figure 12, dort allerdings nur für das Jahr 2013.
320 
Damals hatten - in begrenztem Maße - selbst die traditionell familiär organisierten privatwirtschaftlichen Betriebe externe Arbeitskräfte aufgenommen (wenn auch in den Grenzen kriegsbedingter Freund-/Feindschemata, so dass Fremde im Sinne ethnischer, religiöser oder lokaler Zugehörigkeit weiterhin weitgehend ausgeschlossen waren). Diese Entwicklung hat sich allerdings durch den bereits als prägend erwähnten Abzug der internationalen Truppen wieder verflüchtigt. Der Bauboom hat sich als kurzfristig erwiesen und auch der Dienstleistungsbereich ist eingebrochen. Geblieben ist der Umstand, dass zur Erlangung einer der wenigen vorhandenen Arbeitsplätze nicht die schulische oder berufliche Ausbildung, Qualifikation oder Erfahrung ausschlaggebend sind, sondern Beziehungen. Dies gilt für den gesamten Arbeitsmarkt, insbesondere auch für Arbeitsplätze im Staatsdienst.
321 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76); anschaulich hierzu auch die Beispiele von Schuster zur allein durch (teils verwandtschaftliche) Beziehungen gekennzeichnete Einstellungspraxis ohne Rücksicht auf die Qualifikation an der Kabuler Universität und verschiedenen Ministerien: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 15/Rn. 44; vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 und 68; vgl. auch die Beispiele zu Rückkehrern, die trotz Qualifikation mangels Beziehungen keine Beschäftigung fanden: Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 65 ff. m.w.N.; zur „untergeordneten“ Rolle von Eignung, Befähigung und Leistung bei der Verteilung administrativer Ämter auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 7.
322 
Das vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Kriegs- und Konflikterfahrungen und anhaltender Alltagskriminalität als notwendig und bewährt erachtete System von Beziehungen bzw. Netzwerken ist geprägt durch eine Gegenseitigkeit, eine langfristige und belastbare Reziprozität. Wer in der Lage ist, einen Vorteil - etwa einen Arbeitsplatz - zu verschaffen, verknüpft hiermit die Erwartung, jedenfalls langfristig seinerseits einen Vorteil zu erlangen. Ist vom Arbeitssuchenden keine Gegenleistung zu erwarten, weil dieser nicht über die erforderlichen Beziehungen verfügt, ist nicht oder weniger zu erwarten, dass ihm eine Arbeitsstelle vermittelt wird. Ein entsprechendes Netzwerk ist daher der Schlüssel zum Arbeitsmarkt. Zudem gewährleistet das System der Empfehlungen, dass der Arbeitgeber sich sicher sein kann, dass der Arbeitssuchende, dessen örtliche und ethnische Herkunft sowie familiären Hintergrund er auf Grund der Empfehlung kennt, vertrauenswürdig ist.
323 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67 f.: „Network as key to the job market“; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12. m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12.
324 
So äußerten die meisten Arbeitgeber in einer Befragung zu ihrer Einstellungspraxis, sie nutzten das traditionellste System: Freunde (62,6 %) und Familie (57,9 %). Entsprechend beklagen die Arbeitssuchenden unabhängig von ihren Qualifikationen, dass die Vergabe von Arbeitsstellen von persönliche Verbindungen, sog. „wasita“ (wechselseitige Verbindungen zu Personen mit Macht oder Einfluss), abhängig sei. Erforderlich sind „shanaktht“ (jemanden kennen) und „safarish“ (eine Art Empfehlung). Nur etwa 15 % der Arbeitnehmer werden über den örtlichen Bazar angeworben, der größte Teil der Arbeitsplätze wird über Freunde oder Verwandte erlangt.
325 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67.
326 
Die Beziehungen oder Netzwerke sind vielschichtig. Für manche besteht ihr Netzwerk aus nahen Verwandten, für andere ist es breiter angelegt und kann auch aus Freunden bestehen. Bei Angehörigen der Hazara kommt es vor, dass beim Zuzug in eine neue Stadt ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse oder Wohlfahrtseinrichtung konzentriert ist. Ganz allgemein genügt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie allein noch nicht, um ein solides Netzwerk für die Arbeitssuche zu begründen.
327 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
328 
Eine staatliche Arbeitsvermittlung oder gar eine Arbeitslosenunterstützung nach westlichen Vorstellungen gibt es nicht. Allerdings werden freie Stellen im öffentlichen Sektor vom Civil Service Commission Management Directorate der Kommission für Öffentlichen Dienst und Verwaltungsreform online angekündigt. Außerdem bietet eine Nichtregierungsorganisation (ACBAR) Unterstützung für Arbeitssuchende an. Sie befindet sich in Charahi Shaheed, Sherpoor Bezirk in Kabul. Auf ihrer Website besteht die Möglichkeit, sich mit einem Lebenslauf und Motivationsschreiben auf relevante Jobs zu bewerben.
329 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
330 
Soweit eine Arbeitsstelle gefunden werden kann
331 
- dazu Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S.10; siehe auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22 zum „vulnerable employment“ -,
332 
ist das durchschnittliche Einkommen (insbesondere im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten, dazu sogleich) gering. Das durchschnittliche monatliche Einkommen in Afghanistan wird in verschiedenen Quellen mit 80 bis 120 US$ angegeben, teilweise wird ein Mindestlohn von 95 US$ für nur vorübergehend beschäftigte Arbeitskräfte genannt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - wie ausgeführt - bei 36 % der afghanischen Bevölkerung der Lohn bei unter 20 US$ pro Monat liegt.
333 
IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 f.
334 
Afghanistan bleibt eine hauptsächlich ländliche Gesellschaft, deren Wirtschaft maßgeblich auf der Landwirtschaft basiert. 76 % der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten. Mehr als die Hälfte der Arbeitskräfte des Landes ist im Bereich der Landwirtschaft beschäftigt. 96 % der Produktion bewegt sich im Bereich der Nahrungsmittelverarbeitung, also einem Bereich, der in hohem Maße von der Landwirtschaft abhängig ist.
335 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22, 32.
336 
Einen nicht unwesentlichen Anteil in der Landwirtschaft hat allerdings auch der Opiumanbau (s.o.), da dieser zum einen eine große Gewinnmarge verspricht und zum anderen die Mohnpflanzen mit den widrigen Bedingungen (etwa der schlechten Bodenqualität) verhältnismäßig gut zurechtkommen.
337 
Zum Opiumanbau allgemein: General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 50; UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 15; zur Verteilung des Opiumanbaus in den einzelnen Provinzen vgl. ausführlich EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016): zu Daikundi, S. 70 f.; zu Kandahar, S. 73 -; zu Helmand, S. 77 („Afghanistan’s single largest opium poppy cultivating province in 2015, accounting for 47 % of the total area under opium poppy cultivation in the country.“); zu Uruzgan, S. 87 („opium poppy as a dominant crop“); zu Zabul - S. 90; zu Badakhshan, S. 133; zu Ghor, S. 171.
338 
Die Landwirtschaft leidet allerdings - neben der problematischen Sicherheitssituation - insbesondere auch unter vielfältigen Naturkatastrophen, weswegen das World Food Programme das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch reagiert. Gerade der Norden - eigentlich die „Kornkammer“ des Landes - ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheit, Überschwemmungen und Erdverschiebungen ausgesetzt
339 
- Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23; UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8 -
340 
(vgl. im Weiteren ausführlicher bei den Darstellungen zur Versorgungslage und zur humanitären Situation unter lit. bb) und cc)).
341 
bb) Die Versorgungslage in Afghanistan ist schlecht. Wie bereits ausgeführt ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt, mit 9,3 Mio. Menschen, die Anfang 2017 auf humanitäre Hilfe angewiesen waren (s.o.).
342 
Im Jahr 2016 waren etwa 1,6 Millionen Afghanen (nach den Daten von UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs - ein Anteil von 6 %) ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit („severely food insecure“) betroffen, bei weiteren 9,7 Millionen Menschen (34 %) war dies in mäßiger Weise der Fall („moderately food insecure“).
343 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 5 f. und 26 sowie die Aufteilung nach Regionen auf S. 21; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 42 m.w.N.; vgl. auch UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 28; dort auch unter Bezugnahme auf UNOCHA der Hinweis auf die Wechselwirkung mit der steigenden Anzahl intern Vertriebener und Rückkehrer, die sich in den städtischen Zentren und Randgebieten sammeln sowie zur erwarteten Anzahl von mehr als einer Million neuer Rückkehrer im Sommer 2017); zur Lebensmittelunsicherheit in den Vorjahren vgl. auch Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014: S. 6 f., 43, 54 und 56 - die Hälfte der Haushalte in Städten und 68 % der intern Vertriebenen werden als ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit betroffen beschrieben.
344 
48 % der Haushalte von intern vertriebenen Personen, die in informellen Siedlungen in Kabul lebten, waren im Dezember 2015 ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit betroffen.
345 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 7.
346 
Insbesondere die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten.
347 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23.
348 
In den Städten allgemein und insbesondere der Hauptstadt Kabul sind die Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Einkommen hoch. So finden sich - jeweils auch abhängig vom Lebensstil - Angaben von 100 bis 150 EUR oder 150 bis 250 US$ für einen alleinstehenden Mann in Kabul
349 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188 -
350 
und mindestens 250 bis zu 600 EUR pro Monat für eine Familie, bestehend aus einem Vater und drei Kindern
351 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017 -,
352 
wobei jeweils noch keine Unterbringungs-/Mietkosten enthalten sind.
353 
Für die Kosten von Wohnraum finden sich - auch abhängig von der Lage - Angaben von einer Monatsmiete für ein Zimmer in Höhe von 100 US$, für ein Einzimmerapartment in Kabul von 88 US$/6.000 Afghani bis zu 146 US$/10.000 Afghani oder auch in Höhe von 160 bis 180 EUR (zuzüglich Nebenkosten von etwa 20 bis 25 EUR/Monat) sowie auch 300 US$. Die Miete für eine Dreizimmerwohnung in Kabul wird mit ca. 300 EUR/Monat bei Nebenkosten in Höhe von etwa 30 EUR angegeben, aber auch Preise von 400 bis 600 US$ zuzüglich Nebenkosten von etwa 40 US$ pro Monat werden genannt.
354 
Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 14/Rn. 41; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 3; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76); vgl. auch Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: Einzelzimmer für 4.000 bis 6.000 Afghani, bei einem Lohnniveau von 4.000 bis 4.500 Afghani pro Monat; EASO, Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2017, S. 7 m.w.N.: 300 US$.
355 
Die im Vergleich zum realistischer Weise zu erzielenden Einkommen immensen Unterbringungskosten bei gleichzeitig großem Zustrom neuer Einwohner erklären, dass etwa drei Viertel der Menschen in Slums lebt.
356 
Dazu ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.).
357 
Sofern Wohnraum auf dem freien Markt verfügbar ist, haben in aller Regel wiederum nur diejenigen eine Chance darauf, die einen Bürgen beibringen können und in der Lage sind, bis zu sechs Monatsmieten im Voraus zu bezahlen. Im Rahmen der Wohnungssuche benötigt man also außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben, aber auch die beschriebenen sozialen Netzwerke. Diese sowie der Umstand, dass sich jemand für den künftigen Mieter und dessen vertrauenswürdigen Charakter gleichsam verbürgt, gewährleisten aus Sicht des Vermieters eine gewisse Sicherheit sowie insbesondere auch, dass der Mieter kein „unmoralisches“ Verhalten an den Tag legt und seine Miete zahlen wird.
358 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.); Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12 und auch S. 14/Rn. 41 und S. 15/ Rn. 44 m.w.N.
359 
Es gibt keine NGOs oder öffentliche Organisationen, die bei der Wohnungssuche unterstützen. Immobilienmakler bieten einen entsprechenden Service im Austausch für eine Monatsmiete von Mieter und Vermieter an.
360 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016.
361 
Zwischen den Verhältnissen in den urbanen Zentren und den ländlichen Gebieten Afghanistans herrscht ein eklatantes Gefälle. Es fehlt außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Der Anteil der Bevölkerung, der Zugang zu Trinkwasser hat, beträgt nur 46 %.
362 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 31.
363 
cc) Verschärft wird die Lage - insbesondere auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmarkt - nicht zuletzt aufgrund erheblicher Migrationsbewegungen.
364 
Für das gesamte Land Afghanistan ist eine erhebliche, zudem stetig ansteigende Anzahl an Migranten festzustellen. Es handelt sich sowohl um Binnenvertriebene (internally displaced persons - IDPs), Rückkehrer (insbesondere aus Iran und Pakistan sowie aus dem westlichen Ausland) und Wirtschaftsmigranten.
365 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
366 
Im Jahr 2015 gab es in ganz Afghanistan mindestens 1,1 Millionen Binnenvertriebene.
367 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21: zwischen 1,1 und 1,2 konfliktinduzierte Binnenflüchtlinge.
368 
Im April 2016 war deren Zahl auf 1,2 Millionen geschätzt worden.
369 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74 f.) m.w.N.;. a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 7.
370 
Bis Jahresende wurden 2016 insgesamt 620.000 bis 650.000 Menschen als kriegsbedingt vertrieben ausdrücklich und aktenkundig registriert - das sind dreimal so viele wie 2014 und sechsmal so viele wie 2012. Im Zeitraum seit Anfang 2017 bis ca. Juli 2017 haben etwa 150.000 Personen auf Grund innerstaatlicher Konflikte ihren Wohnort verlassen. Sie suchen mehrheitlich innerhalb ihrer Provinz Zuflucht, es sind aber auch Fluchtbewegungen in die Provinz Kabul zu verzeichnen.
371 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74) m.w.N.: 623.345; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Verschlechterung bis ins Jahr 2017 mit Rekordzahlen neuer, konfliktbedingter Binnenvertreibung in Höhe von 651.751 Personen; vgl. auch Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
372 
Daneben sind im Jahr 2016 etwa eine Million Menschen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei als Rückkehrende auch jene gelten, deren Eltern schon im benachbarten Ausland geboren wurden. Hintergrund ist, dass der Iran vermehrt afghanische Staatsangehörige abschiebt und Pakistan im letzten Herbst 2016 entschieden hat, ab April 2017 keine afghanischen Personen mehr im Land zu dulden. Zusätzlich zu den 1,6 Millionen afghanischen Staatsangehörigen, die in Pakistan bisher einen Flüchtlingsstatus hatten, betrifft diese Entscheidung nach Schätzungen der pakistanischen Regierung zumindest eine weitere Million illegal dort lebender afghanischer Personen.
373 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 4 zum Rekordniveau von interner Flucht und Vertreibung für das Jahr 2016: ca. 372.000 + 242.000 Flüchtlinge aus Pakistan und 420.000 aus dem Iran sowie eine Prognose für das Jahr 2017 mit 650.000 zurückkehrenden Flüchtlingen; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74): 1.034.000 Rückkehrer aus Iran und Pakistan; a.i., Amnesty Report 2017 - Afghanistan (Berichtszeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016): S. 1; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4: mehr als eine Million; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Rückkehr von 620.000 Flüchtlingen und nicht dokumentierten Afghanen aus Pakistan.
374 
Plastisch hat der UNHCR die Versorgungs- und humanitäre Situation zusammengefasst. Er beschreibt, dass infolge des allgemein gestiegenen Sicherheitsrisikos - einschließlich der Zunahme der die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen betreffenden Sicherheitsvorfälle - der Zugang zu den betroffenen Menschen für humanitäre Hilfsorganisationen begrenzt ist. Die begrenzte Präsenz jener Organisationen in den vom Konflikt betroffenen Gebieten behindert insbesondere den Zugang zu lebensrettender Unterstützung für die besonders schutzbedürftigen Teile der Bevölkerung. Jahrzehnte der Konflikte und wiederkehrender Naturkatastrophen haben die afghanische Bevölkerung in einen Zustand großer Schutzbedürftigkeit versetzt und die Überlebensmechanismen vieler Menschen erschöpft. Der fortwährende Konflikt greift durch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und von Viehbestand, steigende Raten ansteckender Krankheiten, verstärkte Vertreibung, ständige Menschenrechtsverletzungen und höhere Kriminalitätsraten diese Schwachstellen weiter an. Ebenso haben der andauernde Konflikt, schwache Regierungsgewalt sowie ineffiziente oder korrupte Institutionen dazu geführt, dass Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf Katastrophen, Risikoreduzierung und Notfallmechanismen Berichten zufolge nicht oder kaum vorhanden sind. In der Folge stellen Naturkatastrophen wie Überflutungen, Schlammlawinen, Erdbeben, Dürren und harte Winter eine weitere Belastung für die Bevölkerung dar, deren Widerstandskraft ohnehin bereits geschwächt wird.
375 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 30 f.; vgl. auch UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8.
376 
dd) Des Weiteren ist die Situation der Menschen in Afghanistan bestimmt durch eine anhaltend schlechte Sicherheitslage.
377 
Sie wird - bei starken regionalen Unterschieden - allgemein als anhaltend volatil beschrieben.
378 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 4. Ruttig in Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 4 ff. spricht von der dreifachen Krise im Hinblick auf die Sicherheitslage, die sozio-ökonomische und die politische Situation in Afghanistan
379 
Afghanistan besetzt auf dem Global Peace Index (GPI) des Jahres 2017 bei den am wenigsten friedlichen Ländern den zweiten Platz hinter Syrien. In der weiteren Beschreibung des GPI wird dazu ausgeführt, die Gesamtbewertung Afghanistans habe sich das sechste Jahr in Folge weiter verschlechtert. Die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen hat auch in den ersten Monaten des Jahres 2017 wieder zugenommen, insbesondere im Vergleich zu derselben Zeitspanne des Vorjahres.
380 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 14 m.w.N. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 13 f.
381 
Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht von den Kampfhandlungen der Konfliktparteien, aber auch von improvisierten Sprengkörpern, von Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. UNAMA gab im Bericht betreffend den Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt für das Jahr 2016 eine Zahl von 11.418 zivilen Opfern an, davon 7.920 Verletzte und 3.498 Tote. Der Halbjahresbericht vom Juli 2017 geht für das erste Halbjahr 2017 von einer Gesamtopferzahl (Tote und Verletzte) von 5.243 im Vergleich zu 5.267 im Vorjahreszeitraum aus. Die überwiegende Zahl von zivilen Opfern ist dabei auf Kampfhandlungen am Boden (38 % im Jahr 2016, 34 % im ersten Halbjahr 2017) und improvisierte Sprengsätze (19 % im Jahr 2016, 18 % im ersten Halbjahr 2017) zurückzuführen. Dabei ist die Bevölkerung immer dann gefährdet, wenn sie bei Kämpfen der Konfliktparteien zwischen die Fronten gerät oder Opfer improvisierter Sprengsätze wird, die für andere Ziele gedacht waren. Weniger ausschlaggebend ist dagegen, ob die afghanischen Sicherheitskräfte oder die Taliban die Kontrolle über einen Raum ausüben.
382 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8 f.; UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017. S. 3; UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 10.
383 
Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzuführen sind, stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen und Entführungen Bedrohungen dar. Dies gilt insbesondere für Kabul.
384 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 9.
385 
Ein großer Teil des Landes wird von regierungsfeindlichen Kräften beherrscht, wobei die jeweilige Vorherrschaft der unterschiedlichen Kräfte ständigem Wandel unterworfen ist. Im ersten Quartal 2017 waren nur etwa 60 % der 407 Distrikte des Landes unter der Kontrolle oder dem Einfluss der afghanischen Regierung, was einen Anstieg um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Stand Mitte November 2016, aber einen Rückgang um 11 Prozentpunkte im Vergleich zum ersten Quartal 2016 bedeutet. Die Taliban behaupten, 16 der 34 Provinzen Afghanistans zu kontrollieren und in nur 89 Distrikten nicht präsent zu sein. In den südlichen Provinzen Helmand, Nimroz, Uruzgan, Zabul, Ghazni würden beinahe alle Distrikte von ihnen kontrolliert bzw. seien zumindest „umkämpft“.
386 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 22 f. m.w.N.; siehe auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 27.
387 
Unter dem direkten Einfluss der Taliban standen im dritten Quartal 2016 etwa 2,9 Millionen Menschen, im vierten Quartal waren es noch ungefähr 2,5 Millionen.
388 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 26 f.
389 
Die afghanische Regierung konnte dabei die Kontrolle über Kabul sowie die Hauptbevölkerungszentren, die meisten Schlüsselverbindungsstrecken, Provinzhauptstädte und die Mehrzahl der Distriktzentren behalten, wobei Distriktzentren und Provinzhauptstädte von Taliban bekämpft bzw. bedroht und diese sich zeitweise der Hauptkommunikationsverbindungen im Land bemächtigt haben, insbesondere in den Provinzen Kunduz und Helmand.
390 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 23 m.w.N.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 24.
391 
In Afghanistan - aber auch grenzüberschreitend Richtung Pakistan - sind mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke aktiv, darunter die Taliban, das Haqqani Netzwerk (verbündet mit den Taliban, aber nicht Teil von deren Kernbewegung), der Islamische Staat/Daesh in Gestalt der ISKP sowie al-Qaida.
392 
Zu den einzelnen Gruppen ausführlich u.a.: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 10 ff. und 27 ff.
393 
Die Sicherheitslage wird außerdem durch den Opiumanbau in Afghanistan beeinträchtigt. Die Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen sowohl die Aufständischen als auch daneben bestehende kriminelle Netzwerke. Die Anbaufläche für Opium vergrößerte sich im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 10 % auf etwa 201.000 Hektar. Das für das Jahr 2016 geschätzte Volumen der Opiumproduktion betrug 4.800 Tonnen, was eine Steigerung von etwa 43 % im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Die im Vergleich zur Ausweitung der Produktionsfläche auffallend hohe Steigerung der Produktionsmenge erklärt sich aus guten Anbaubedingungen bei zugleich weniger effektiven staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen aufgrund von fehlenden finanziellen Ressourcen hierfür sowie der schlechten Sicherheitslage.
394 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 31; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; zur Instabilität infolge des Opiumhandels: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
395 
ee) Rückkehrer aus dem westlichen Ausland - freiwillig Zurückgekehrte aber insbesondere auch Abgeschobene - sind zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Sie sehen sich dem generellen Verdacht gegenüber, ihr Land und ihre religiöse Pflicht verraten zu haben.
396 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4, je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 97, insb. Rn. 545.
397 
Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird vermehrt dahin wahrgenommen, der Zurückkehrende habe sich der europäischen Kultur und dem Lebensstil angepasst. Es herrscht die Erwartung, der Betroffene werde entsprechendes (Fehl-) Verhalten auch in Afghanistan weiter an den Tag legen, etwa außereheliche Beziehungen, Alkohol- und Drogenkonsum und alle möglichen Varianten von Apostasie. Schon entsprechende Gerüchte können ausreichen, um staatliche Verfolgung, jedenfalls aber Selbstjustiz bis hin zur Bestrafung mit dem Tod - auch durch Angehörige - wegen des vermeintlichen Bruchs kultureller und religiöser Normen auszulösen.
398 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 7 ff. m.w.N., dies., Asylmagazin 2017, 82 (83); Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 22. Januar 2016 zu Afghanistan: Situation einer ledigen Mutter der Hazara-Ethnie in Kabul, 22.01.2016, S. 9 f. sowie US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 11; zum Risiko der vermeintlichen „Kontamination“ durch die westliche Lebensweise: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. S. 4 f./Rn. 13 und dies., Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 19/Rn. 49; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 ff. m.w.N.; zur Problematik der vermeintlichen „Verwestlichung“ bei Frauen ausführlich Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 13 f. m.w.N.
399 
Die Unterstützung durch Angehörige und Familie - soweit vorhanden - ist darüber hinaus des Öfteren eingeschränkt, weil die Rückkehr nach Afghanistan als Ausdruck des Versagens trotz des vermeintlich leichten Lebens im Westen verstanden wird und gleichzeitig der Verdacht schwelt, der Zurückkehrende habe womöglich eine schwere Straftat in Europa begangen. Denn nach einer in Afghanistan weit verbreiteten Auffassung schiebt Europa nur Straftäter ab, weshalb ein Abgeschobener im vermeintlich regellosen Europa ein schweres Verbrechen verübt haben müsse.
400 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 9; zum Stigma des Versagens auch Naber, Asylmagazin 2016, 3 (7) und auch Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 35 sowie S. 36 zur Assoziation der Rückkehr mit Kriminalität, je m.w.N.
401 
Außerdem kann einer Unterstützung durch die Familie entgegenstehen, dass diese erhebliche Mittel aufgewendet oder sogar Geld geliehen hat, um die Reise zu finanzieren. Neben dem Vorwurf, der Zurückkehrende habe die erwartete (Versorgungs-) Leistung nicht erbracht, droht auch die Rückforderung durch Kreditgeber, mit der Folge, dass ein Rückkehrer seiner Familie nicht willkommen, sondern „bestenfalls“ nur eine Belastung für diese ist.
402 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 38 und 41.
403 
Des Weiteren wird als Gefahr beschrieben, dass die Taliban die Flucht als ein Verhalten werten, mit dem man sich ihrem Machtanspruch entziehen will. Nachvollziehbar erscheint angesichts dessen, dass von Seiten der Taliban das Interesse bestehen soll, zur allgemeinen Abschreckung diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich ihnen entzogen haben.
404 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4 ff., je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 41 f.; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 33 f. m.w.N.
405 
Entsprechend wird die ohnehin allgemein übliche Überprüfung der Biographie der Rückkehrer durch das neue soziale Umfeld noch sorgfältiger als üblich vorgenommen, da sie wegen ihrer Flucht grundsätzlich verdächtigt werden, sich persönlicher Verfolgung entzogen zu haben - sei es durch militante Gruppierungen oder Privatpersonen.
406 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 5, m.w.N.; ähnlich Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 40 und 43 m.w.N. vgl. auch S. 35 m.w.N. zur Problematik der Diskriminierung/Entlassung bei Bekanntwerden eines vorangegangenen Aufenthalts im westlichen Ausland.
407 
Zudem wird angesichts des - grob verzerrt und übersteigert wahrgenommenen - Reichtums in Europa („Jeder Europäer ist (Euro-)Millionär“) in Afghanistan oft davon ausgegangen, dass Rückkehrer während ihrer Zeit im Westen zu Wohlstand gekommen sind. Sowohl sie selbst als auch ihre Familien laufen daher Gefahr, Opfer von Entführungen zu werden, die lebensbedrohlich sein können, insbesondere wenn nicht gezahlt wird oder werden kann. Das gleiche gilt für bekanntgewordenen Kontakt mit Ausländern.
408 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (198); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 10 f., je m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 6 f./Rn. 18 sowie Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 20/Rn. 52; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 f. und S. 40, je m.w.N.
409 
Schließlich berichten Rückkehrer von Problemen mit Behörden oder Sicherheitskräften, insbesondere weil sie als anders aussehend wahrgenommen werden, weil sie keine Tazkira haben, aber auch, weil sie als Sicherheitsrisiko empfunden werden, da sie mangels Ausbildung und mangels Chancen auf Arbeit als potentielle Drogenhändler oder durch bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte leicht zu rekrutierende Personen gesehen werden.
410 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 18.
411 
ff) Andererseits können Rückkehrer - anders als die übrige Bevölkerung - von Unterstützungsmaßnahmen profitieren.
412 
Zusammenfassend hierzu: Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 6 f. und Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19 bis 29.
413 
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. Unterstützung in Gestalt von Geldzahlungen können afghanische Rückkehrer, die sich freiwillig in ihr Heimatland zurückbegeben, über zwei Programme des IOM erlangen.
414 
Das REAG/GARP-Programm 2017 („Reintegration and Emigration Program for Asylum-Seekers in Germany“/„Government Assisted Repatriation Program“) gewährt eine Reisebeihilfe (etwa die Übernahme der Beförderungskosten) sowie eine Starthilfe, die für Erwachsene und Jugendliche 500 EUR und für Kinder unter zwölf Jahren 250 EUR beträgt.
415 
IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Informationsblatt Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“ (Juli 2017), S. 1; IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Juli 2017), S. 5); IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Januar 2017), S. 5.
416 
Das „StarthilfePlus-Programm 2017“, das zum Dezember 2017 aktualisiert und erweitert wurde, gewährt Personen, die freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren, eine zusätzliche finanzielle Unterstützung. Bei Entscheidung zur Ausreise und Rücknahme des Asylantrags vor Abschluss des Asylverfahrens werden 1.200 EUR, für Kinder unter 12 Jahren 600 EUR pro Kind geleistet („Stufe 1“). Nach Zustellung eines negativen Asylerstbescheids verringert sich der Betrag auf 800 EUR bzw. für Kinder auf 400 EUR, sofern die verbindliche Entscheidung zur freiwilligen Ausreise innerhalb der im Bescheid gesetzten Ausreisefrist erfolgt und keine Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel eingelegt bzw. bereits eingelegte zurückgenommen werden („Stufe 2“). Die zum Dezember 2017 neu eingeführten „Stufe S“ betrifft Leistungen an Personen mit Schutzstatus, die freiwillig auf ihren Schutzstatus verzichten („Stufe S“). Die Übergangsregelung der „Stufe Ü“, die bereits im Vorgängerprogramm der StarthilfePlus vom Januar 2017 enthalten war, sieht Leistungen ebenfalls im Umfang 800 EUR (bzw. 400 EUR pro Kind) vor. Sie betrifft Rückkehrwillige, die entweder vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist, oder solche, die eine Duldung besitzen, einen Folgeantrag oder einen Zweitantrag gestellt haben. Anders als im Vorgängerprogramm setzt die Gewährung der StarthilfePlus nun nicht mehr voraus, dass die Entscheidung zur freiwilligen Ausreise vor einem Stichtag (dies war bislang der 31. Juli 2017) zu erfolgen hat. Erforderlich ist lediglich, dass die betroffene Person vor dem 1. Februar 2017 in Deutschland registriert wurde und eine vollziehbare Ausreisepflicht, eine Duldung oder die Stellung eines Folge- oder Zweitantrags vor dem 1. August 2017 vorlag. Bei gemeinsamem Antrag von mehr als vier Familienmitgliedern ist zudem bei allen vier Stufen ein Familienzuschlag von 500 EUR vorgesehen. Ein Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung besteht allerdings nicht.
417 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 2; BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Februar 2017), S. 2; BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017:Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017.
418 
Die Auszahlung der Gelder aus dem Programm REAG/GARP erfolgt noch in Deutschland, die des StarthilfePlus-Programms 2017 je zur Hälfte am Abflughafen und zur Hälfte in Afghanistan nach etwa sechs bis acht Monaten. Ansonsten erfolgen Bargeldzahlungen durch die IOM üblicherweise unmittelbar nach der Ankunft am Flughafen oder in einem der IOM-Büros vor Ort.
419 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 3; IOM/ZIRF, Mitteilung vom 14.08.2017 zu den Programmen des IOM für freiwillige Rückkehrer (StarthilfePlus, REAG/GARP) auf eine Anfrage des VGH Bad.-Württ. vom 10.07.2017 (A 11 S 512/17); BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017: Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 13, 17 und 25 m.w.N.
420 
Darüber hinaus bietet die IOM über das European Reintegration Network (ERIN) das Unterstützungsprogramm ERIN Specific Action Program für Rückkehrer nach Afghanistan an. Dieses hat allerdings - anders als die vorgenannten Programme - keine Geldleistungen zum Gegenstand. Es gewährt Unterstützung nach der Ankunft und bei der Reintegration in Afghanistan, wobei freiwillige Rückkehrer eine umfangreichere Unterstützung („larger re-integration packages”) erhalten als diejenigen, die nicht freiwillig zurückgekehrt sind. Die Inanspruchnahme setzt eine Bewerbung vor der Rückkehr voraus. Angeboten werden ein Empfangs- und Orientierungsservice bei der Ankunft am Flughafen, Unterstützung beim Weitertransport, Empfehlungen zur Sicherstellung der durchgehenden Versorgung mit dringender ärztlicher Behandlung und eine Notfallunterbringung von mindestens einer Woche. Zur weiteren Wiedereingliederung kann die Beratung durch einen IOM-Mitarbeiter in Anspruch genommen werden, der den Rückkehrern und ihren Familien etwa bei der Planung einer Strategie zur Reintegration helfen kann und auch dazu, wie sie die ihnen gewährten nationalen Zuschüsse sinnvoll verwenden können. Möglich sind Hilfestellungen bei Existenzgründungen, die Beratung bei der Suche und Vermittlung von Arbeitsstellen, die Vermittlung in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Unterstützung in sozialen, medizinischen und rechtlichen Angelegenheit oder die Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung. Unterstützungsleistungen werden nicht durch Direktzahlungen, sondern durch Beratungs- und Sachleistungen erbracht. Bei rückgeführten Personen können diese höchstens einen Wert von 700 EUR haben. Als „berücksichtigungsfähige Kriterien“ bei der Prüfung werden existenzsichernde Maßnahmen, individueller medizinischer Bedarf, die Rückkehr weiterer Familienangehöriger, die Dauer des Aufenthalts in Deutschland bzw. der Abwesenheit im Heimatland sowie die Vulnerabilität des Betroffenen genannt. Die Reintegrationsmaßnahmen legen der Rückkehrer und der Mitarbeiter vor Ort individuell fest. Die Unterstützung soll nach drei bis sechs Monaten weitgehend abgeschlossen sein.
421 
Siehe insgesamt: BAMF/ERIN, Programmsteckbrief ERIN - European Reintegration Network, Rückkehrerhilfen (Projektdauer Juni 2016 bis Dezember 2021), 14.08.2017; IOM/ ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Briefing Note, 13.03.2017; ERIN/IOM, ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Leaflet, 13.03.2017.
422 
Sachleistungen können freiwillige Rückkehrer außerdem im Rahmen eines für den Zeitraum zwischen 1. Dezember 2017 und 28. Februar 2018 geltenden Sonderprogramms der StarthilfePlus zur Reintegrationsunterstützung beantragen. Diese umfassen u.a. Bau-, Renovierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen, Basismobiliar und Grundausstattung für Küche und sanitäre Anlagen. Die Leistungen sind auf den Wert von 1.000 EUR pro Einzelperson und 3.000 EUR pro Familie begrenzt. Die konkrete Ausgestaltung der Reintegrationsunterstützung ist abhängig von einem nach der Rückkehr im Zielland zu erarbeitenden Reintegrationsplan.
423 
BAMF/IOM, Informationsblatt „Reintegrationsunterstützung im Bereich Wohnen im Bundesprogramm StarthilfePlus“ (Dezember 2017).
424 
IOM-Programme werden allerdings nur in geringem Umfang in Anspruch genommen. Dies scheint vor allem an technischen und bürokratischen Hürden zu liegen. Im Falle abgeschobener Personen kann hinzukommen, dass diese die Ankunft und Rückkehr am Flughafen in Kabul als demütigend empfinden, deswegen nicht das Bedürfnis verspüren, dort zu verweilen und entsprechend auch nicht den Kontakt zu dem dortigen IOM-Mitarbeiter suchen. Wenn der Umstand der Rückkehr als erdrückend empfunden wird, hat dies unter Umständen zur Folge, dass sie ihre Zeit mit dem Versuch verbringen, sich anzupassen, sie auf Grund von Depressionen nicht die Kraft für Verwaltungsaufgaben aufbringen, sie die Weitergabe von Informationen an die Behörden fürchten oder es ihnen an einem Telefon oder dem Geld für die Reise zu einem der IOM-Büros mangelt. Als maßgeblicher Grund wird auch vermutet, dass die Betroffenen nicht auf die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme zu dem IOM-Mitarbeiter hingewiesen werden.
425 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9 f., Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 26 f. m.w.N.; dort auch auf S. 48 zur Problematik, dass von Teilnehmern des IOM-Programms bemängelt worden sei, keine individualisierte Beratung statt, sondern die Beratung zur Planung eines Geschäftsbetriebs sei immer gleich („one-size-fits-all“).
426 
Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützungsprogramme für Rückkehrer aus Europa.
427 
Im April 2015 hat die afghanische Regierung zunächst eine Hohe Kommission für Migration gegründet und im November 2016 dann ein gesondert auf die Belange von Rückkehrern gerichtetes Komitee (Displacement and Returnees Executive Committee). Dessen Funktion ist es, eine Strategie zur Koordination von humanitären und Entwicklungsprogrammen festzulegen sowie die Entwicklung von Richtlinien zur Unterstützung (u.a.) von Rückkehrern. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Unterstützung des Einzelnen. Damit die Rückkehrer nicht als gescheitert und unfähig zur Leistung des von ihnen erwarteten Beitrags erscheinen, ist auch die finanzielle Unterstützung des familiären bzw. sozialen Umfelds angedacht. Der Ansatz ist allerdings kritisiert worden, etwa weil er die örtliche Korruption nicht berücksichtige.
428 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28, dort auch zu Unterstützungsangeboten für das Umfeld bzw. die Gemeinschaft der Rückkehrer („a more community-oriented financial support“).
429 
Die derzeit von Seiten der afghanischen Regierung gewährten Hilfen umfassen die Bereiche der Arbeitsvermittlung, des rechtlichen Beistands sowie Fragen von Grund und Boden und Obdach. Die Unterstützung wird nicht von einer einzelnen Institution gewährt, vielmehr muss der Rückkehrer selbst die Initiative ergreifen und sich an die jeweils zuständige Stelle wenden - etwa an das Arbeitsministerium, wenn er Hilfe bei der Arbeitssuche erhalten will. Rückkehrer aus Europa berichten, dass sie nur wenig Unterstützung in irgendeiner Art erhalten hätten, mit Ausnahme einer zweiwöchigen Unterbringung durch die Regierung.
430 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28.
431 
Schließlich gibt es lokale nichtstaatliche Organisationen, die freiwillige und abgeschobene Rückkehrer unterstützen, etwa IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation). IPSO ist eine in Deutschland ansässige Organisation mit psychosozialen Unterstützungsangeboten (Selbsterfahrungsgruppen, Übungen zum Leben in Afghanistan, Eins-zu-Eins-Beratung, Malen und Handarbeit). AMASO gewährt Rückkehrern - vorwiegend aus nordischen Ländern - die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen. Außerdem bietet eine örtliche Anwaltskanzlei (freiwilligen) Rückkehrern aus Norwegen ihre Dienstleistungen an. Etablierte Koordinationsmechanismen zur Sicherstellung der benötigten Unterstützung für alle Rückkehrer oder zu deren Gleichbehandlung scheint es allerdings insgesamt nicht zu geben.
432 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7, dort auch S. 10 zu AMASO und IPSO; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28 f., dort auf S. 53 auch ausführlicher zu IPSO sowie auf S. 64 ausführlicher zur AMASO, dort auch zur Betreuung eines aus Deutschland abgeschobenen, bei einem Bombenanschlag verletzten Rückkehrers.
433 
Eine weitere Unterstützungsleistung können Rückkehrer zudem in Form einer kurzfristigen Unterbringung erlangen. Die IOM bietet in einem sogenannten Empfangszentrum (Jangalak reception centre) eine vorübergehende Unterkunft für höchstens zwei Wochen. Es handelt sich um ein Gebäude auf dem Gelände des Ministeriums für Flüchtlinge und Neuverteilung auf dem Gelände der früheren Jangalak-Fabrik. Dort gibt es 24 Zimmer mit je zwei bis drei Betten. Sowohl freiwillige als auch abgeschobene Rückkehrer können dort unterkommen. Zwölf Mitarbeiter betreuen die Rückkehrer. 2016 nutzten 43 Personen das Angebot. Sie blieben durchschnittlich für sieben Nächte.
434 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9.
435 
Im Rahmen einer entsprechenden Befragung erklärten mehrere Rückkehrer, sie wollten auf das Angebot nicht zurückgreifen, weil sie glaubten, der Aufenthalt dort berge das Risiko, dass sie als Rückkehrer identifiziert würden.
436 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 63.
437 
c) Lebensverhältnisse in Kabul
438 
In Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung gestalten sich die Lebensverhältnisse in Teilen ähnlich, es gibt allerdings auch Unterschiede zu den für das gesamte Land erläuterten Lebensverhältnissen.
439 
Wie bereits im Zusammenhang mit dem städtischen Wohnungsmarkt allgemein dargestellt, ist der Wohnungsmarkt in Kabul teuer und (insbesondere auch auf Grund der großen Zahl intern Vertriebener und Rückkehrern aus dem benachbarten Ausland) sehr angespannt. Denn die Stadt Kabul hat von der erheblichen, stetig ansteigenden Anzahl an Migranten einen unverhältnismäßig großen Anteil aufgenommen.
440 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
441 
Kabul ist der Hauptzielort der größten Rückkehrbewegung und zugleich auch traditionell ein Zufluchtsgebiet der vom Konflikt betroffenen Binnenvertriebenen insbesondere aus der Zentralregion. Ein erheblicher Anteil der insgesamt 5,7 Millionen Menschen, die nach dem Fall der Taliban aus dem Iran und Pakistan zurückgekehrt waren, und der genannten 1,2 Millionen Binnenvertriebenen hat sich in bzw. um Kabul herum niedergelassen. Zu diesen kommen noch weitere Personen hinzu, etwa ein erheblicher Anteil der im Jahr 2016 aus Pakistan Zurückgekehrten. Ihre Zahl wurde zur Jahresmitte 2016 noch mit 54.600 bemessen. Zum Ende des Jahres 2016 nannte der UNHCR die Zahl ca. 625.000 Rückkehrern aus Pakistan allein für die letzten vier Monate des Jahres 2016. In Zusammenhang mit dieser Entwicklung wird auch die Verlautbarung eines Ministers der afghanischen Regierung (Balkhi) gebracht, Kabul könne nicht alle Personen aus gefährlichen Provinzen aufnehmen, verbunden mit der Bitte, Abschiebungen zu beenden.
442 
Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (75); UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 5 zur starken Betroffenheit u.a. von Kabul von der hohen Anzahl an Rückkehrern sowie S. 7 zu Kabul als traditionellem Zufluchtsort.
443 
Fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und ein ähnlicher Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan hat sich in den überfüllten informellen Siedlungen Kabuls niedergelassen. Deswegen bewertet auch der UNHCR im Hinblick auf den Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, als äußerst eingeschränkt.
444 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 7.
445 
Ein nicht unerheblicher Teil der Migranten, aber auch der von jeher in Kabul ansässigen Bevölkerung, gehört dabei der Volksgruppe der Hazara an. In Kabul sollen nach Schätzungen über eine Million bzw. bis zu 1,5 Millionen Hazara leben. Die meisten davon sind Vertriebene, die sich erst vor Kurzem dort niedergelassen haben. Sie sind von den negativen Auswirkungen des hohen Arbeitslosigkeit in gleichem Maße wie auch die übrige Bevölkerung betroffen.
446 
Immigration and Refugee Board of Canada, Afghanistan: Situation of Hazara people living in Kabul City, including treatment by society, security situation, and access to employment; security situation for Hazara traveling to areas surrounding Kabul City to access employment, 20.04.2016.
447 
Als Folge des großen Zustroms nach Kabul wird beschrieben, dass die Migranten in besonderem Maße benachteiligt seien und oft in den überfüllten informellen Siedlungen endeten, für die insbesondere für den Winter die Zustände als schrecklich geschildert werden. Diese bestehen großteils aus behelfsmäßigen Zelten oder Lehmhütten ohne geeigneten Schutz vor Kälte und mit beschränkten Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Es wird von mehreren Dutzend Menschen, insbesondere Kindern und älteren Personen, berichtet, die in den Wintermonaten der Jahre 2012 und 2017 wegen der Kälte gestorben sind. Zum Anderen führt der immense Zuzug dazu, dass die existenziellen Ressourcen noch stärker umkämpft sind, die Arbeitslosigkeit und die Alltagskriminalität zunehmen.
448 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S.40; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 15 f.; zu den Zuständen in den informellen Siedlungen auch EASO Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2015, S. 5 f. m.w.N.; a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 17.
449 
Im Übrigen bedeutet eine Wohnung in Kabul zu haben nicht automatisch den Zugang zu Wasser und Strom. Dieser hat sich zwar in den letzten 15 Jahren generell verbessert. Allerdings ist bei der zentralen Wasserversorgung die Wasserqualität schlecht geworden, da Infrastruktur ursprünglich für weit weniger Einwohner ausgelegt war. So funktioniert das öffentliche Wasserleitungssystem nur stundenweise. Zugang zu Leitungswasser haben nur ungefähr 34 % der Einwohner. Die meisten Menschen leben in den Slums und beziehen das Wasser entweder von öffentlichen Pumpen oder selbst angelegten Brunnen, mit denen das Grundwasser angezapft wird. Dessen Stand hat sich zwischenzeitlich von drei bis fünf Metern auf 70 bis 80 Meter Tiefe abgesenkt.
450 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 7; Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014, S. 49.
451 
Schließlich ist auch die Sicherheitslage in Kabul prekär.
452 
Vgl. dazu die Übersicht: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.
453 
Sie war bereits in den vergangenen Jahren geprägt von zahlreichen Anschlägen, insbesondere auf medienwirksame Ziele ausländischer Streitkräfte und Organisationen sowie Regierungseinrichtungen.
454 
Dazu die ausführliche Darstellung bei Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 21 ff./Rn. 59 ff. und dies. Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 7/Rn. 18 sowie auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, 06.06.2016; vgl. auch die genannte Entscheidung OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11 Rn. 207 bis 230 zur damaligen - vor Abzug internationalen der Streitkräfte liegenden - Sicherheitslage (Rn. 217: „aktuell als stabil eingeschätzt“) und der diesbezüglichen Rolle der Taliban.
455 
In jüngerer Zeit erweist sich die Sicherheitslage weiter als volatil. UNAMA hat für das Jahr 2016 für die gesamte Provinz Kabul 1.758 zivile Opfer registriert (376 Tote und 1.382 Verletzte). Kabul war damit die Provinz mit der höchsten Anzahl ziviler Opfer. Zur ersten Hälfte des Jahrs 2017 berichtete UNAMA, die Provinz Kabul weise weiterhin die höchste Zahl an zivilen Opfern auf, vorwiegend in Kabul City. Von den 1.048 zivilen Opfern (219 Tote und 829 Verletzte) in der Provinz Kabul waren 94 % die Folge von Selbstmordattentaten und komplexen Angriffen in Kabul City durch regierungsfeindliche Kräfte.
456 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 und S. 5, dort auch Fn. 11 zur Stadt Kabul: 986 zivile Opfer in den ersten sechs Monaten des Jahres (209 Todesopfer und 777 Verletzte); EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 83; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24.
457 
Vom Dezember 2016 bis zum 31. Mai 2017 gab es insgesamt acht öffentlichkeitswirksame Angriffe in Kabul (bei 42 Angriffen an anderen Orten in Afghanistan). So waren beispielsweise bereits bei einem Angriff durch Aufständische auf einen Stützpunkt der Afghanische Nationalarmee 144 Mitarbeiter getötet und 65 weitere Personen verletzt worden. Der Vorfall, der bei Weitem die schwersten Folgen hatte und gleichzeitig die meiste Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr, war allerdings der Anschlag vom 31. Mai 2017.
458 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017); S. 8 f. vgl. zu den weiteren zahlreichen Vorfällen die Darstellung in der Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
459 
Wie bei dem Vorfall vom 31. Mai 2017 wurden auch bei weiteren Anschlägen in Kabul, die erklärtermaßen gegen Regierungsinstitutionen, internationale Organisationen und Einrichtungen der afghanischen Armee und Polizei gerichtet waren, viele Angehörige der afghanischen Zivilbevölkerung (u.a. Passanten, Kinder usw.) verletzt und getötet.
460 
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3 m.w.N.; vgl. auch dazu die Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
461 
Auch am 20. Oktober 2017 kam es wieder zu einem Selbstmordattentat, bei dem mindestens 39, womöglich sogar mehr als 65 Personen getötet wurden.
462 
Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017; Human Rights Watch: The Pain Behind the Numbers of Afghanistan’s Deadly Attacks, 23.10.2017.
463 
Im Unterschied zu den vergangen Jahren kommt es nun zu einer Zunahme ziviler Opfer. Dieser Anstieg ist auf zahlreiche Selbstmordattentate und komplexe Angriffe in Kabul zurückzuführen. Anders als früher häufen sich nun auch Anschläge, die sich gezielt gegen Zivilpersonen richten. So beklagt UNAMA, dass sich zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2017 mindestens 40 % der von UNAMA dokumentierten zivilen, regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreibenden Opfern (und 26 % der Gesamtzahl der zivilen Opfer) das Ergebnis von Angriffen oder Vorfällen sind, die sich gezielt gegen Zivilisten richteten.
464 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 44; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3; vgl. zur vermehrt gezielt auf die Zivilbevölkerung gerichtete Anschläge, insbesondere der ISKP: Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 10.
465 
Zusammenfassend ist hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul
466 
- vgl. hierzu ergänzend die Ausführungen im Urteil des Senats vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 193, sowie auch zu den Verhältnissen in Kabul allgemein: juris Rn. 99 ff. -
467 
festzuhalten, dass sich nicht nur die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle gehäuft hat, sondern - wohl maßgeblich auch wegen „neuen“ regierungsfeindlichen Kräfte (IS/Daesh/ISKP) - als weitere Tendenz festzustellen ist, dass bei Anschlägen nun vermehrt zivile Opfer in Kauf genommen werden und sogar gerade auf die Zivilbevölkerung zielen.
468 
Vgl. zum Argument, Angriffe auf die Zivilbevölkerung lägen nicht im Fokus bzw. im Interesse der Taliban, noch das Urteil des OVG NRW vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, NVwZ-RR 2014, 939.
469 
d) Subsumtion
470 
Ausgehend von den dargestellten Verhältnissen in Afghanistan insgesamt sowie insbesondere in der Stadt Kabul als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung ist im Falle des Klägers ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem humanitäre Gründe zwingend gegen seine Abschiebung sprächen, nicht festzustellen. Denn in Anbetracht der Situation, wie sie leistungsfähige, erwachsene Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen und ohne familiäres oder soziales Netzwerk, zu denen auch der Kläger zählt, bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul antreffen und unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Klägers, sind die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht erfüllt.
471 
Zwar ist die Lage in Kabul - wie im gesamten Land - prekär. Wie sich aus den vorstehenden Darstellungen ersehen lässt, sind sowohl die wirtschaftlichen Voraussetzungen als auch die humanitären Umstände schlecht. Dasselbe gilt für die in den letzten Jahren stetig schlechter gewordene Sicherheitslage.
472 
Dennoch kann nicht gleichsam für sämtliche Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan insgesamt in (familiären oder sonstigen) Beziehungen oder an Unterstützungsnetzwerken fehlt, angenommen werden, die schlechten Bedingungen im Land könnten generell und bei allen diesen Rückkehrern ganz außerordentliche individuelle Umstände darstellen und die hohen Anforderungen zur Bejahung des Art. 3 EMRK trotz fehlenden Akteurs erfüllen.
473 
Zwar ist Afghanistan und insbesondere Kabul gerade auch in jüngster Zeit mit der Rückkehr einer Vielzahl von Menschen aus dem benachbarten und westlichen Ausland konfrontiert. Dabei stellt sich deren Lage, obwohl die Situation für Rückkehrer schwierig ist, nicht für alle gleichermaßen problematisch dar. Berichte dahin, dass Rückkehrer generell oder aber jedenfalls in sehr großer Zahl und unabhängig von ihrer persönlichen Disposition ihr Existenzminimum nicht sichern könnten, gibt es nicht. Vielmehr sind bestimmte, vulnerable Gruppen wie etwa Familien mit jüngeren Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke oder ältere Menschen in besonderem Maße gefährdet, ohne dass aber insgesamt festzustellen wäre, dass die Existenzsicherung oder gar das Überleben für sämtliche Rückkehrer nicht gewährleistet wäre.
474 
Insbesondere trifft dies auch nicht für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, aus Europa oder gar aus Deutschland zu, zumal beispielsweise mit Unterstützung der IOM seit dem Jahr 2003 insgesamt 15.041 Personen aus verschiedenen Ländern Europas (darunter das Vereinigte Königreich, Norwegen, die Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien und Österreich) freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Allein im Jahr 2016 unterstützte die IOM 6.864 Personen bei ihrer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, davon über 3.000 aus Deutschland. Die meisten Rückkehrer (78 % oder 5.382) waren dabei junge Männer, von denen wiederum ein erheblicher Anteil zwischen 19 und 26 Jahren alt war (2.781) oder sogar Jugendliche mit bis zu 18 Jahren (2.101). Die Zahl der zurückgekehrten Familien wird mit 733 angegeben.
475 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 16; Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 2; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 10.
476 
Neben diesen zahlreichen freiwilligen Rückkehrern gab und gibt es Abschiebungen aus Europa. So wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und April 2017 insgesamt 176 Personen aus Europa nach Afghanistan abgeschoben, darunter 106 aus Deutschland, von denen wiederum auch einige keine Verwandten in Kabul oder in Afghanistan insgesamt hatten (etwa, weil sie zuvor lange Jahre im Iran gelebt hatten).
477 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3 ff.
478 
Obwohl diese Rückkehrer sich - wie dargestellt - in Afghanistan vielen Belastungen gegenübersehen und die Situation im Land äußerst schwierig ist, sind den umfangreichen Erkenntnismitteln zur Lage in Afghanistan keine Informationen zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort stehe einer Existenzsicherung in Afghanistan bzw. in Kabul (auch nur auf niedriger Stufe) entgegen. Zwar gibt es vereinzelte Rückkehrerberichte, die die oben geschilderte Bandbreite von Problemen betreffen. Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahin, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, sind hingegen nicht ersichtlich.
479 
Insbesondere lässt sich aus dem Fehlen eines familiären oder sozialen Netzwerks in Kabul nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK herleiten. So kann auch nach Auffassung des UNHCR im Falle von - wie er es formuliert - alleinstehenden, leistungsfähigen Männern ohne besonderen Schutzbedarf von dem grundsätzlich für erforderlich erachteten traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch (unterstützungsfähige und - willige) Mitglieder der (erweiterten) Familie oder ihrer größeren ethnischen Gruppe trotz der schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan abgesehen werden. Denn von diesen kann erwartet werden, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen, wobei allerdings dennoch immer eine einzelfallbezogene Analyse vorzunehmen ist.
480 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 10 und S. 99, wobei in der nachfolgenden Stellungnahme des UNHCR vom Dezember 2016 (Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016) insofern keine Änderungen der Bewertung vorgenommen wurden (vgl. dort zur Aufrechterhaltung der Erwägungen der Richtlinien vom 19.04.2016: S. 7 f.).
481 
Von nicht unerheblicher Bedeutung kann allerdings sein, ob der Betroffene eine der beiden in Afghanistan gesprochenen Sprachen (Paschtu und Dari) beherrscht und sich somit hinreichend verständigen kann.
482 
Zu diesem Kriterium vgl. BayVGH, Urteil vom 16.01.2014 - 13a B 13.30025 -, Leitsatz sowie juris Rn. 25 (Sicherung des Existenzminimums für einen afghanischen Rückkehrer ohne Kenntnisse einer der Landessprachen verneint, wenn kein Vermögen vorhanden und keine familiäre Unterstützung zu erlangen ist).
483 
Dies ist beim Kläger, der Dari spricht, der Fall.
484 
Auch die zur Situation der Rückkehrer aus dem westlichen Ausland geschilderte, ablehnende Haltung der afghanischen Gesellschaft und das Misstrauen gegenüber Personen ohne Leumundszeugen ist für sich nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Zwar sind Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche durchaus nicht ausgeschlossen, zwangsläufig eintreten werden diese indes nicht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Situation auch im Falle des Klägers realisieren würde - dass also auch der Kläger entsprechend erkannt würde, dass er infolge dessen tatsächlich keinen Zugang zu einer auch nur einfachen Unterkunft haben würde oder vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre -, vermag der Senat daher nicht festzustellen.
485 
Vielmehr handelt es sich beim Kläger um einen alleinstehenden, leistungsfähigen, erwachsenen Mann. Das Erwirtschaften eines - wenn auch womöglich sehr geringen - Einkommens wird ihm trotz des angespannten Arbeitsmarkts wenigstens als Tagelöhner möglich sein. Insbesondere steht dem der Gesundheitszustand des Klägers nicht entgegen. Er hat zwar geltend gemacht, er leide an einer Herzrhythmusstörungen, zu denen er im Rahmen der Anhörung vor dem Senat im Verhandlungstermin vom 13. Oktober 2017 erklärt hat, sie hätten Schlafstörungen und einen Gewichtsverlust verursacht. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen belegen allerdings auch, dass die Ursache der Herzrhythmusstörung im Rahmen des am 23. Oktober 2017 durchgeführten Eingriffs erfolgreich beseitigt werden konnte (dazu im Weiteren noch ausführlicher im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, s.u. III. 2). Eine Einschränkung des Klägers in seiner Erwerbs- und Leistungsfähigkeit liegt daher nicht vor. Der Kläger hat nach eigenen Angaben bereits in der Vergangenheit in Afghanistan gearbeitet, zuerst in der Landwirtschaft seines Vaters und im Weiteren auch als Fliesenleger. Auch der den Erkenntnismitteln zu entnehmende und auch vom Kläger selbst beschriebene Zusammenhalt unter den Volkszugehörigen der Hazara kann ihm bei einer Rückkehr nach Kabul zugutekommen, da - wie beschrieben - für Hazara beim Zuzug in eine neue Stadt die Möglichkeit besteht, auf ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse bzw. eine Wohlfahrtseinrichtung zurückzugreifen.
486 
S.o.:EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
487 
Zwar sind die Lebenshaltungskosten in Kabul hoch. Ausgehend von vorstehenden Ausführungen (ohne Unterbringungskosten) sind sie mit mindestens 100 EUR pro Monat zu bemessen, für die Mietkosten fallen mindestens 88 US$ bzw. 4.000 Afghani bzw. 75 EUR pro Monat an.
488 
S.o., insbesondere zu den monatlichen Lebenshaltungskosten von mindestens 100 EUR: BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017 sowie zum Preis von ab 4.000 Afghani für ein Einzelzimmer: Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42.
489 
Der Kläger hat aber die Möglichkeit, zunächst im Jangalak-Zentrum zu wohnen, sich von dort um Arbeit und Unterkunft - beides ggf. auf niedrigem Niveau - zu bemühen und - sollte es nicht anders gehen - vorübergehend in einer der informellen Siedlungen unterzukommen. Dass die fraglos beklagenswerten Zustände in solchen Siedlungen insgesamt flächendeckend derart desolat sind, dass sie gleichsam für jeden Bewohner und damit auch für einen jungen, leistungsfähigen Mann, wie es der Kläger ist, mit den hohen Anforderungen des Art. 3 EMRK nicht zu vereinbaren wären, kann nicht festgestellt werden.
490 
Der Senat geht dabei allerdings davon aus, dass die dargestellten Rückkehrerhilfen für die Frage der Existenzsicherung des Klägers eine allenfalls untergeordnete Rolle spielen können, da sie bestenfalls eine anfängliche Unterstützung bzw. einen nur vorübergehenden Ausgleich schaffen können. Die 500,- EUR, die der Kläger bei einer Entscheidung zur freiwilligen Rückkehr über das REAG/GARP-Programm erhalten würde, vermögen ihm nur eine überschaubare Erleichterung bieten. Auch die Leistungen des ERIN-Programms stellt der Senat nicht in die Beurteilung ein. So besteht kein Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weswegen unklar ist, ob der Kläger überhaupt Leistungen erhalten würde. Im Übrigen ist auch nicht im Voraus bestimmbar, welche Leistungen im Falle einer Leistungsgewährung vor Ort in Betracht gezogen werden könnten.
491 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
492 
Gleiches gilt für die Geldleistungen des im Dezember 2017 neu aufgelegten StarthilfePlus-Programms, auf die ein Rechtsanspruch nicht besteht. Auch welche Sachleistungen im Rahmen des bis 28. Februar 2018 befristeten Reintegrations-Programms der StarthilfePlus womöglich gewährt werden könnten, ist angesichts des erst vor Ort auszuarbeitenden Reintegrationsplans völlig offen.
493 
Des Weiteren lässt sich bezüglich der von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland beschriebenen, unmittelbar gegen die körperliche Unversehrtheit und Freiheit gerichteten Handlungen - etwa wegen vermuteten Reichtums - nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit feststellen, dass gerade der Kläger Opfer eines entsprechenden Angriffs werden würde. Gleiches gilt für denkbare Übergriffe wegen eines unterstellten Bruchs mit kulturellen oder religiösen Normen oder wegen vermeintlicher Nähe zu westlichen Kräften. Denn aus der abstrakt bleibenden Möglichkeit solcher Übergriffe ist ein Abschiebungsverbot nicht herzuleiten. Der Umstand, dass von solchen Vorfällen wiederholt berichtet wird, erlaubt nicht den Rückschluss, dass (auch angesichts der erheblichen Zahl von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland) der Kläger hiervon mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit betroffen sein wird.
494 
Ferner steht die Volkszugehörigkeit des Klägers einer Existenzsicherung nicht entgegen. Wie beschrieben können sich die Hazara als Minderheit zwar einerseits im Alltag durchaus Diskriminierungen ausgesetzt sehen, andererseits hat sich ihre Situation seit dem Jahr 2001 insgesamt verbessert. Gerade in Kabul lebt mit etwa 1 bis 1,5 Millionen Personen eine ganz erhebliche Anzahl von - teils (intern) vertriebenen - Hazara. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Verhältnisse für diese - und in Anknüpfung hieran womöglich auch für den Kläger - so gestalteten, dass ein Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten und Unterkunft nicht (auch nicht auf einfachstem Niveau) gewährleistet wäre, zumal es trotz der großen Zahl der Hazara in Kabul keine Berichte dahin gibt, dass Hazara typischerweise keine Arbeit und/oder keine Unterkunft erhalten würden.
495 
Schließlich ist auch im Hinblick auf die durchaus schwierige Sicherheitslage in Kabul ein Verstoß im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht festzustellen. So entspricht die Gefahrendichte in der Provinz Kabul insbesondere nicht der, wie sie im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zur Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) erforderlich wäre.
496 
Zur Heranziehung dieses Kriteriums im Rahmen des Art. 3 EMRK bzw. des § 60 Abs. 5 AufenthG vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteile vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/19 -, vom 14.08.2013 – A 11 S 688/13 - und vom 24.07.2013 - A 11 S 727/13 -.
497 
So nennt UNAMA etwa für das erste Halbjahr 2017 für die Provinz Kabul die Anzahl von 1.048 zivilen Opfern (s.o.), was hochgerechnet für das gesamte Jahr 2017 eine Zahl von 2.096 Personen ergibt. Selbst wenn man dieser Zahl im Rahmen einer für den Kläger günstigen Herangehensweise die von der CSO genannten (wohl zu niedrig bemessenen) Einwohnerzahlen gegenüberstellte, reichte dies bei weitem nicht aus, um eine für § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG relevante Gefahrendichte von 0,125 % bzw. 0,1 % zu erreichen.
498 
Zu dieser: BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 22 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 20; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
499 
Denn es ergäbe sich bei einer Einwohnerzahl der Provinz Kabul von ca. 4.700.000, wie sie die CSO angibt, ein Anteil von 0,045 % (2.096 / 4.700.000). Tatsächlich wird dieser allerdings noch geringer sein. Denn allein die Zahl der Einwohner der Stadt Kabul dürfte die von der CSO angegebene Bevölkerungsgröße übersteigen. Sie wird mit bis zu sieben Millionen Menschen bemessenen.
500 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 17: nach informellen Schätzungen über sieben Millionen; ProAsyl, Afghanistan: No safe country for refugees, Mai 2017, S. 17: fast sieben Millionen ; Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53: über sieben Millionen; zuvor Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: über fünf Millionen; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017-, S. 10/Rn. 35: 4,4 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 4: 3.961.487; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 39: Schätzungen von 3,6 bis 7 Millionen; zu den unterschiedlichen Angaben von bis zu sieben Millionen - oder auch mehr - und der möglicherweise zu Grunde liegenden Vermengung der Stadt und der Provinz Kabul sowie zur Problematik statistischer Angaben in Afghanistan allgemein auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 6.
501 
Daher wird bei realistischer Betrachtung die Anzahl der Opfer zu einer höheren Bevölkerungszahl ins Verhältnis zu setzen sein. Die nach dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG als bei Weitem nicht ausreichend erachtete Schwelle wird daher schon quantitativ nicht erreicht und auch in qualitativer Hinsicht ist zu bedenken, dass in Kabul die medizinische Versorgungssituation im Falle von Anschlägen typischerweise besser ist, als in anderen Regionen Afghanistans.
502 
Vgl. dazu im Übrigen auch ausführlicher VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
503 
Dabei verkennt der Senat nicht, dass unter den sicherheitsrelevanten Vorfällen in Kabul in jüngerer Zeit wiederholt solche zu verzeichnen waren, die sich gegen Volkszugehörige der Hazara bzw. Angehörige des schiitischen Glaubens gerichtet haben, etwa der bereits mehrfach erwähnte Anschlag vom 23. Juli 2016 (80 Tote) sowie die genannten Angriffe auf schiitische Moscheen bzw. Einrichtungen am 11. Oktober 2016 (mindestens 13 Tote), am 21. November 2016 (27 Tote), am 15. Juni 2017 (5 Tote) und am 20. Oktober 2017 (mindestens 39 Tote). Angesichts der über eine Million Hazara, die in Kabul leben, vermag auch dies einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht zu begründen.
504 
Sicherheitsbedenken ergeben sich ferner nicht aus dem vom Kläger geschilderten Verfolgungsgeschehen, da die Angaben des Klägers nicht glaubhaft sind.
505 
Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor.
506 
2. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
507 
Auch ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht gegeben.
508 
a) Rechtliche Anforderungen
509 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
510 
Dies kann aus individuellen Gründen - etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit - der Fall sein (aa)), kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (bb)).
511 
aa) Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst
512 
- Koch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand 15.08.2016, § 60 Rn. 40; Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 33 -,
513 
sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit.
514 
Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712, juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - NVwZ 2003, Beilage Nr. I 7, 53 juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 -, juris Rn. 7 und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, NVwZ 1998, 524.
515 
Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
516 
Vgl. zusammenfassend HTK-AuslR/§ 60 AufenthG/zu Abs. 7 Satz 1 bis 4/ Rn. 8 und Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 32, beide m.w.N., sowie zum Maßstab bei individuellen Gründen u.a. auch BVerwG, Beschluss vom 18.07.2001 - 1 B 71.01 -, juris sowie Urteile vom 17.10.2006 – 1 C 18.05 -, NVwZ 2007, 712, juris Rn. 20 und vom 17.10.1995 – 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 1999, juris Rn. 16.
517 
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Verhältnisse im Zielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes erwarten lassen. Die vorhandene Erkrankung des Ausländers muss sich aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, weil etwa die Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland unzureichend sind oder die zwar grundsätzlich verfügbare medizinische Versorgung dem Betroffenen aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zur Verfügung steht.
518 
Vgl. statt vieler: BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 - und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -.
519 
bb) Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
520 
Zwar sind allgemeine Gefahren - also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land - gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
521 
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
522 
Dazu u.a. BVerwG, Urteile 13.06.2013 – 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1489 Rn. 12 f.; vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 38.; vom 29.09.2011 – 10 C 24.10 -, NVwZ 2012, 451 Rn. 20; vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, NVwZ 2012, 240 Rn. 22 f. und vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, juris Rn. 14 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 28 zu den unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG60 Abs. 2 AufenthG a.F.) sowie auch Art. 3 EMRK einerseits und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG andererseits.
523 
Von diesem Maßstab ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
524 
b) Subsumtion
525 
Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
526 
aa) Zum einen besteht eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen nicht.
527 
Hinsichtlich des durch den Kläger geschilderten Vorfalls (der Angriff und seine Verletzung durch die Kutschi) liegt eine entsprechende Gefahr nicht vor. Wie ausgeführt ist der diesbezügliche Vortrag des Klägers nicht glaubhaft.
528 
Aber auch im Hinblick auf die gesundheitliche Verfassung des Klägers sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt.
529 
Aus den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Schreiben geht zwar hervor, dass beim Kläger im Oktober 2017 eine Herzrhythmusstörung bei Verdacht auf ein sogenanntes Wolff-Parkinson-White-Syndrom diagnostiziert wurde, weswegen sich der Kläger am 23. Oktober 2017 einem operativen Eingriff unterzogen hat. Zum Ergebnis dieser Operation wird in den vorliegenden ärztlichen Schreiben vom 23. Oktober 2017, vom 6. November 2017 und vom 13. November 2017 übereinstimmend geschildert, dass erfolgreich eine Ablation durchgeführt werden konnte, dass der für die Störung ursächliche Erregungsherd verödet, die Herzrhythmusstörungen beseitigt und der Kläger beschwerdefrei entlassen werden konnte. Die Gefahr eines Rezidivs wird ausdrücklich als nur gering wahrscheinlich bezeichnet und die Rezidivrate mit knapp unter 5 % bemessen, wobei eine Medikation derzeit nicht notwendig sei. Eine bedrohliche, akute Gefährdung des Klägers besteht nach erfolgreicher Ablation nicht mehr.
530 
Angesichts dieser vom Kläger selbst mitgeteilten, nicht in Frage gestellten Angaben, bezüglich derer auch der Senat keinen Anlass zu Zweifeln hat, ist bereits nicht festzustellen, ob der Kläger angesichts der geringen Rezidivwahrscheinlichkeit überhaupt infolge seiner (derzeit) geheilten Erkrankung künftig wieder Einschränkungen haben wird. Erst recht nicht ist ersichtlich, dass ein Rezidiv und seine Folgen alsbald nach einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan eintreten werden.
531 
Insbesondere geht aus den Stellungnahmen auch hervor, dass zur Minderung der Rezidivgefahr eine (medikamentöse oder sonstige) Behandlung, für die sich die Frage der Verfügbarkeit in Afghanistan stellen könnte, nicht erfolgt, sondern sich das Behandlungsregime auf Wiedervorstellungstermine zu Kontrolluntersuchungen zum Zwecke des Ausschlusses eines (unwahrscheinlichen) Rezidivs und zur Prüfung der Integrität des Herzens beschränkt.
532 
Im Übrigen könnte selbst im unwahrscheinlichen Fall eines Rezidivs nicht von einer schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers ausgegangen werden. Ein Rezidiv würde mit Phasen von Herzrasen einhergehen, wobei dabei Luftnot und ein Beklemmungsgefühl auftreten können, wie es der Kläger in ähnlicher Weise ausweislich der Anamnesebeschreibung im Arztbrief vom 23. Oktober 2017 bereits vor dem Eingriff verspürt hat („rezidivierendes thorakales Brennen und Stechen“). Die abstrakt denkbare, schwerste (aber als selten eingeordnete) Folge eines Rezidivs wäre ein Kreislaufkollaps bzw. eine Ohnmacht, was für sich ebenfalls nicht geeignet wäre, eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Klägers von besonderer Intensität bzw. eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlimmerung zu begründen.
533 
bb) Zum anderen lässt sich auch aus den dargestellten, schlechten Lebensverhältnissen in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Denn die beschriebenen hohen Anforderungen, aus denen wegen einer extremen Gefahrenlage ausnahmsweise ein solches Abschiebungsverbot hergeleitet werden könnte, liegen nicht vor. So vermögen die - fraglos schlechten - Lebensverhältnisse vorliegend schon keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (s.o.). Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, kann der Senat danach nicht festzustellen. So liegen etwa Anhaltspunkte dahin, dass der Kläger mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod preisgegeben wäre, nicht vor.
534 
IV. Ergebnis, Nebenentscheidungen
535 
Die Berufung ist daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
536 
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
537 
Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Sonstige Literatur

 
538 
Inhalt
        
                 
Tatbestand
- 3 -
Entscheidungsgründe
- 8 -
I. Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
- 8 -
     1. Rechtsgrundlage: §§ 3 bis 3e AsylG
- 8 -
          a) §§ 3, 3a AsylG
- 9 -
          b) § 3c AsylG
- 10 -
          c) § 3e AsylG
- 10 -
          d) Wahrscheinlichkeitsmaßstab (beachtliche Wahrscheinlichkeit/real risk)
- 11 -
          e) Maßstab der Überzeugungsbildung
- 13 -
     2. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf Grund von Vorverfolgung
- 15 -
     3. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Gruppenverfolgung der Hazara            
- 17 -
          a) Rechtliche Anforderungen
- 17 -
          b) Subsumtion: Keine Gruppenverfolgung von Hazara in Afghanistan
- 19 -
II. Kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes
- 29 -
     1. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AsylG
- 29 -
     2. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG
- 29 -
          a) Rechtliche Anforderungen
- 30 -
          b) Kein Anspruch auf Grund individueller Umstände
- 31 -
          c) Kein Anspruch auf Grund der schlechten humanitären Situation mangels Akteur
- 32 -
     3. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG
- 34 -
          a) Rechtliche Anforderungen
- 35 -
          b) Situation am maßgeblichen Ort, der Provinz Ghazni
- 37 -
          c) Keine individuell gefahrerhöhenden Umstände als Hazara
- 40 -
III. Nationales Abschiebungsverbot
- 42 -
     1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK
- 42 -
          a) Rechtliche Anforderungen
- 43 -
          b) Lebensverhältnisse landesweit
- 48 -
          c) Lebensverhältnisse in Kabul
- 70 -
          d) Subsumtion
- 75 -
     2. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
- 82 -
          a) Rechtliche Anforderungen
- 83 -
          b) Subsumtion
- 86 -
IV. Ergebnis, Nebenentscheidungen
- 88 -

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Kläger, eine dreiköpfige Familie ohne Ausweispapiere, gehören der Volksgruppe der Hazara an und sind Schiiten. Nach ihren Angaben sind sie am ... 1991, ... 1992 bzw. ... 2015 in dem Dorf ... im Distrikt ... in der afghanischen Provinz ... geboren und afghanische Staatsangehörige. Am 10. Februar 2016 meldeten sie sich bei der Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in ..., am 11. März 2016 stellten sie Asylanträge, wobei sie als erste Sprache Dari und als zweite Sprache Persisch angaben.

Zeitgleich stellten ein Bruder der Klägerin zu 2. und seine Ehefrau unter den Namen ... und ... Asylanträge. Sie gaben an, am ... 1995 bzw. ... 1997 in ... geboren und ebenfalls afghanische Staatsangehörige zu sein. Ausweispapiere wurden nicht vorgelegt.

Ein weiterer Bruder der Klägerin zu 2., seine Ehefrau und die drei gemeinsamen Kinder meldeten sich bereits am 10. Dezember 2015 unter dem Familiennamen ... als Asylbewerber in Bayern. Sie gaben an, am ... 1986, ... 1986, ... 2008, ... 2010 bzw. ... 2012 in ... geboren und afghanische Staatsangehörige zu sein. Auch sie legten keine Ausweispapiere vor.

Bei seiner Anhörung am 15. Juni 2016 trug der Kläger zu 1. vor, seine afghanische Tazkira habe er auf dem Meer zwischen der Türkei und Griechenland auf Anordnung des Bootsfahrers mit seiner Tasche wegwerfen müssen. Er habe sein Heimatland Afghanistan im Jahr 2016 verlassen und sei ca. 40 Tage unterwegs gewesen. Die Reise mit Hilfe eines Schleusers habe von Afghanistan bis in den Iran 1,2 Mio. Toman, bis Griechenland 2 Mio. Toman und dann 1.800 Euro bis nach Deutschland für die gesamte Familie gekostet. Nach Deutschland sei er im Januar 2016 eingereist. Seine Mutter sei derzeit im Iran. In Afghanistan lebten zwei Schwestern, im Iran zwei Brüder, in Deutschland ein Bruder. Er habe keine Schule besucht und sei Bauarbeiter gewesen. In Afghanistan gebe es keine Sicherheit. In der Nähe ihres Dorfes habe es immer Kämpfe gegeben, so dass sie nach ... hätten fliehen müssen. In der Stadt sei es auch unsicher gewesen. Es habe Selbstmordattentäter gegeben, die sich in die Luft gesprengt hätten, und Minen auf den Straßen. Er sei selbst nicht betroffen gewesen, habe aber schon Bombenexplosionen gesehen. Die Taliban hätten ihr Dorf besetzt. Sie hätten nicht mehr dort leben können. Die Taliban hätten ihm zweimal Ohrfeigen gegeben. Sie hätten wissen wollen, wer im Dorf Waffen habe und wer Kommandeur sei. Er habe geweint, er habe gebetet. Dann hätten sie ihn freigelassen. Als er noch ein Kind gewesen sei, sei sein Vater von den Taliban getötet worden. Er denke, dass sein Vater wegen seines Grundbesitzes getötet worden sei. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde er Angst vor den Taliban haben. Er würde getötet werden. Der Grund, warum er um sein Leben fürchten müsse, sei, dass sie ihm einmal Ohrfeigen gegeben hätten. Im rechten Bein sei ihm im Iran eine Stahlplatte eingesetzt worden. Die für den 6. Juni 2016 geplante Operation sei wegen des heutigen Anhörungstermins auf den 29. Juni 2016 verschoben worden.

Die Klägerin zu 2. trug bei ihrer Anhörung vor, sie habe in ihrem Heimatland keine Personalpapiere besessen. Da sie nie in die Schule gegangen sei, sei keine Tazkira notwendig gewesen. Sie sei in dem Dorf ... geboren, aufgewachsen, habe dort geheiratet und sei von dort ausgereist. Sie sei Analphabetin, so dass sie sich mit dem Datum der Ausreise nicht auskenne. Die Reise habe ca. 40 Tage gedauert. Sie habe von Afghanistan in den Iran 1,2 Mio. Toman, vom Iran in die Türkei 2 Mio. Toman und dann 900 Euro je Person gekostet. Ihr Schwiegervater sei ein Grundbesitzer gewesen. Nach seinem Tod hätten ihr Mann und sein Bruder das Land geerbt. Davon hätten sie gelebt und die Reise finanziert. Vor der Einreise nach Deutschland hätten sie sich nicht vorübergehend in einem anderen Land aufgehalten. Ihre Eltern lebten im Iran, ebenso vier Schwestern. Zwei Brüder lebten in Deutschland. Sie sei Hausfrau gewesen. Wegen den Taliban sei ihr Leben in Gefahr gewesen. Sie hätten ihr Haus nicht verlassen können. Es sei ihnen wirtschaftlich gut gegangen. Die Taliban hätten die Männer von zu Hause rausgeholt und mitgenommen. Einige würden umgebracht werden. Ihre Schwiegermutter habe beschlossen, dass ihre Familie nach Europa gehen solle. Ihr Mann sei von den Taliban geschlagen worden, er habe Ohrfeigen bekommen. Ihr selbst sei nichts zugestoßen, weil sie immer zu Hause gewesen sei. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan habe sie Angst vor dem IS und den Taliban. Die Taliban würden sie umbringen.

Mit Bescheid vom 21. Juni 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, den Antrag auf Asylanerkennung und den Antrag auf subsidiären Schutz ab, verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG und drohte den Klägern die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat an, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Die Kläger hätten keine Verfolgungsmaßnahmen vorgetragen, denen sie in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal - Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - vor ihrer Ausreise aus dem Heimatland ausgesetzt gewesen seien oder bei einer Rückkehr unterliegen würden. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes lägen nicht vor. Für keine der afghanischen Provinzen könne generell ein Gefährdungsgrad für Zivilpersonen angenommen werden, der die Feststellung einer erheblichen individuellen Gefahr allein aufgrund einer Rückkehr in das Herkunftsgebiet rechtfertige. Nach Angaben der United Nations Assistence Mission in Afghanistan (UNAMA) habe es im Jahr 2014 landesweit 10.548 zivile Opfer (3.699 Tote und 6.849 Verletzte) gegeben. Im Jahr 2015 sei die Anzahl der landesweit registrierten zivilen Opfer um 4% auf 11.002 (3.545 Tote und 7.457 Verletzte) gestiegen. Ein Blick auf die regionale Zuordnung der zivilen Opfer zeige, dass mit Ausnahme der zentralen Region und der Region Nordost in allen Regionen die Opferzahlen gesunken seien. Während in der zentralen Region die Zahl der zivilen Opfer von 1.488 im Jahr 2014 auf 1.753 im Jahr 2015 angestiegen sei, habe es in der nordöstlichen Region (Provinzen Kundus, Baghlan, Takhar, Badakhshan) einen deutlichen Anstieg von 929 im Jahr 2014 auf 1.978 im Jahr 2015 gegeben. Der landesweite Anstieg der Gesamtopferzahlen sei daher maßgeblich auf die Entwicklung in der Nordostregion zurückzuführen und hier insbesondere auf die Kämpfe in Kundus, das kurzzeitig von den Taliban erobert worden sei. Angesichts dieser Erkenntnisse bleibe das Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes zu werden, weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt. Selbst wenn man von 20.000 Opfern ausgehe, habe bei einer Einwohnerzahl von rund 27 Mio. die Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden, im Jahr 2015 bei 0,074% gelegen. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) komme eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Kläger im Fall ihrer Abschiebung tatsächlich Gefahr liefen, im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen (allgemeine Gefahren) zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstelle. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne danach nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung gewertet werden. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Afghanistan führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Auch wenn hinsichtlich der wirtschaftlichen Existenzbedingungen wie Nahrungsversorgung, medizinischer Versorgung und Zugang zu Arbeit noch erhebliche Defizite bestünden und Afghanistan trotz eines gewissen wirtschaftlichen Aufschwungs nach wie vor eines der ärmsten Länder sei, seien die vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab nicht erfüllt. Die Umstände, die die Kläger geltend machten, gingen nicht über das Maß dessen hinaus, was alle Bewohner hinzunehmen hätten, die in einer vergleichbaren Lage lebten. Den Klägern drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Eine bei allgemeinen Gefahren eventuell durch verfassungskonforme Auslegung zu schließende Schutzlücke bestehe nicht mehr, weil durch die schlechte humanitäre Situation bedingte allgemeine Gefahren im Rahmen der Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK Berücksichtigung fänden und die anzuwendenden Gefahrenmaßstäbe des EGMR einerseits und der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG andererseits identisch seien.

Am 1. Juli 2016 erhoben die Bevollmächtigten der Kläger Klage. Sie beantragen,

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Juni 2016 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Am 25. Juli 2016 legten die Bevollmächtigten ein Attest der ...-klinik ... vom 30. Juni 2016 vor. Demnach wurde beim Kläger zu 1. bei Verdacht auf Knochenentzündung im Bereich der Oberschenkelfraktur das implantierte Osteosynthesematerial entfernt. Bei klinischem und laborchemischem Verdacht auf eine Infektion des Knochens sei postoperativ eine antibiotische Therapie mit Gabe über die Venen bis mindestens zum Erhalt der Abstrichergebnisse begonnen worden, so dass der Patient mindestens bis 4. Juli 2016 stationär behandelt werden müsse.

Das Gericht hat Auskünfte zu der Frage eingeholt, welche Starthilfen bzw. Hilfen zur Reintegration in das Heimatland ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige, deren Asylantrag abgelehnt wurde, nach dem REAG/GARP-Programm für das Jahr 2016 und ggf. weiteren Förderprogrammen erhalten können. Nach dem Government Assisted Repatriation Programme (GARP) können erfolglose Asylbewerber aus Afghanistan auf Antrag eine Starthilfe erhalten, die 500 Euro pro Erwachsenen und Jugendlichen und 250 Euro pro Kind unter 12 Jahren beträgt. Bei einer zwangsweisen Rückführung (Abschiebung) entfällt die Starthilfe. Zudem gibt es seit Juni 2016 das Europäische Reintegrationsprogramm „ERIN“ (European Reintegration Instrument Network). Die Reintegrationshilfen umfassen z. B. Service bei der Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen und Arbeitsplatzsuche sowie Unterstützung bei einer Geschäftsgründung. Die Unterstützung wird über den Vertragspartner weitgehend als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen beträgt für Einzelpersonen, die freiwillig zurückkehren, ca. 1.000 Euro bis 2.000 Euro, für rückgeführte Einzelpersonen ca. 700 Euro. Bei Familien kann der Leistungsumfang erhöht werden, wobei dies u. a. von der Größe der Familie und dem Bedarf im Rückkehrland abhängig ist.

Ergänzend wird auf den Akteninhalt, insbesondere das Protokoll über die Anhörung der Kläger zu 1. und 2. beim Bundesamt und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung, sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisgrundlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, die gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblich ist, haben die Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor.

Sowohl das Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention als auch das Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind zielstaatsbezogen. Es handelt sich nicht um absolute, sondern relative, auf einen bestimmten Staat bezogene Abschiebungsverbote, die dem Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht entgegenstehen, sondern lediglich zu deren Einschränkung führen (vgl. BT-Drucks. 12/2062, S. 44). Es geht jeweils (nur) um Gefahren, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen. Bezüglich § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG folgt dies unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift („wenn dort für diesen Ausländer eine … Gefahr … besteht“). Hinsichtlich § 60 Abs. 5 AufenthG ergibt sich dies aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Gesetz sowie ihrem Sinn und Zweck (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12/27 Rn. 35 f. unter Hinweis auf BVerwG, U. v. 11.11.1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322/324 ff. zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG). Insoweit ist bereits fraglich, ob sich die Kläger auf die Verhältnisse in Afghanistan berufen können, weil Afghanistan als Zielstaat einer Abschiebung nur für afghanische Staatsangehörige in Betracht kommt.

Es bestehen erhebliche Zweifel, ob die Kläger, die ebenso wie ihre Verwandten, die zeitgleich oder zeitnah Asylanträge in Deutschland gestellt haben, keine Identitäts- bzw. Herkunftsnachweise vorgelegt haben, wie behauptet afghanische Staatsangehörige sind. So hat der Kläger zu 1., der angeblich aus dem Distrikt ... stammt, bei der Anhörung vor Gericht angegeben, um von ... nach ... zu kommen, müsse man nach Norden fahren, obwohl ... westlich von ... liegt. Auf die Frage, in welchen Staat man komme, wenn man von ... aus weiter nach Norden fahre, antwortete er „nach Pakistan“, obwohl Afghanistan hier an Tadschikistan grenzt. Auf die Frage, wie die Währung in Afghanistan heiße, meinte er zunächst „Toman“, obwohl es sich hierbei um eine iranische Währungseinheit handelt. Erst nach einigem Zögern und Überlegen und nachdem das Gericht angedeutete hatte, dass die Antwort falsch sei, korrigierte er sich und gab die richtige Antwort. Für eine Herkunft aus dem Iran, in dem mehr als 1,5 Mio. Hazara leben, und damit eine iranische Staatsangehörigkeit der Kläger spricht auch, dass sie als zweite Sprache „Persisch“ angegeben haben. Der Bruder ... der Klägerin zu 2., der ebenfalls aus der Provinz ... stammen will, hat bei der Meldung als Asylbewerber am 5. Januar 2016 unter der Rubrik „Sprachkenntnisse“ sogar nur „Farsi“ angegeben. Auf eine iranische Staatsangehörigkeit deutet auch die Aussage der Klägerin zu 2. hin, der Verkehrsunfall des Klägers zu 1. sei entweder in ... oder in dem gemeinsamen Heimatdorf passiert, obwohl der Kläger zu 1. als Unfallort ... angegeben hat und es wenig realistisch ist, dass er den Unfallort nie gegenüber seiner Ehefrau erwähnt hat.

Letztlich kann dies aber offenbleiben, weil sich die Kläger selbst dann, wenn sie afghanische Staatsangehörige seien sollten, nicht mit Erfolg auf ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans berufen können.

1. Den Klägern droht bei einer Rückkehr nach Kabul, Bamiyan oder in einen anderen relativ sicheren Landesteil nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK aufgrund allgemeiner Gewalt oder schlechter humanitärer Bedingungen (vgl. VGH BW, U. v. 24.7.2013 - A 11 S 727/13 - juris; U. v. 26.2.2014 - A 11 S 2519/12 - juris; a.A. BayVGH, U. v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - juris ohne Erwähnung der genannten gegensätzlichen Urteile des VGH BW im Hinblick auf die zum Zeitpunkt der Entscheidung („derzeit“) in Afghanistan herrschenden Rahmenbedingungen).

a) Aus Art. 3 EMRK folgt, dass die Abschiebung eines Ausländers in einen Staat unzulässig ist, in dem ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden. Die Bestimmung zielt ebenso wie die gesamte Europäische Menschenrechtskonvention hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Ihre grundlegende Bedeutung macht nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12/22 f. Rn. 25). Dies gilt jedenfalls insoweit, als die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Aktionen von Konfliktparteien, sondern überwiegend auf Armut oder Naturereignisse zurückzuführen sind (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 a. a. O.). Für die Beurteilung, ob ganz außergewöhnliche Umstände vorliegen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaats fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung verbieten, ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 a. a. O. S. 23 Rn. 26).

b) Die allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan sind zumindest nicht in allen Landesteilen so ernst/schlecht, dass die Abschiebung einer dreiköpfigen Familie wie die der Kläger, die keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände aufweisen, eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde. Die Sicherheitslage und damit auch die wirtschaftliche Situation in Afghanistan weisen starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Es gibt Regionen, z. B. in den Provinzen Kabul, Balkh, Herat, Bamiyan und Panjshir, die im Vergleich mit anderen Landesteilen relativ sicher sind und wirtschaftlich moderat prosperieren (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 6.11.2015, Stand November 2015 - Lagebericht Afghanistan vom 6.11.2015 - Zusammenfassung S. 4). Dass jedenfalls die drei Provinzen Kabul, Bamiyan und Panjshir relativ sicher sind, hat auch der afghanische Minister für Flüchtlinge und Repatriierung Balkhi bestätigt, obwohl dieser im Gegensatz zur offiziellen Linie der afghanischen Regierung der Rückführung afghanischer Flüchtlinge aus den EU-Ländern grundsätzlich ablehnend gegenübersteht (vgl. Lagebericht Afghanistan vom 6.11.2015, IV. 1. Situation für Rückkehrer und allgemeine wirtschaftliche Rahmenbedingungen S. 24). Daran ändert auch der Anschlag zweier Selbstmordattentäter nichts, die sich am 23. Juli 2016 inmitten eines Demonstrationszugs der Hazara auf einem zentralen Platz in Kabul in die Luft sprengten und mindestens 80 Menschen töteten und 230 Menschen verletzten (vgl. www.tagesschau.de/ausland/kabul-explosion-105.html). Die Demonstration richtete sich gegen die geplante Trassenführung einer Hochspannungsleitung. Bei dem Anschlag, zu dem sich der sog. Islamische Staat bekannte und von dem sich die Taliban distanzierten, handelt es sich um ein singuläres Ereignis, das die allgemeine Sicherheitslage für die Bevölkerung Kabuls im allgemeinen und die Volksgruppe der Hazara im besonderem nicht wesentlich verändert hat. Weil bei der Niederlassung in einem bestimmten Landesteil ethnische Gesichtspunkte nicht außer Acht gelassen werden können (vgl. Lagebericht Afghanistan vom 6.11.2015, Zusammenfassung S. 4), ist es für Angehörige der Volksgruppe der Hazara, zu denen auch die Kläger gehören, von besonderer Bedeutung, dass gerade ihr Hauptsiedlungsgebiet, nämlich die Provinz Bamiyan zu den (relativ) sicheren Provinzen gehört. Wie das Beispiel der rund 100.000 pakistanischen Paschtunen zeigt, die wegen der Kämpfe mit der pakistanischen Armee allein im Juni 2014 laut UNHCR aus dem pakistanischen Nord-Waziristan nach Afghanistan gekommen sind und oft direkt von paschtunischen Familien in den afghanischen Nachbarprovinzen Paktika und Khost aufgenommen worden sind, gibt es in Afghanistan über den eigenen Familienverband hinaus eine große Solidarität und Hilfsbereitschaft innerhalb des eigenen Stammesverbandes bzw. der eigenen Volksgruppe (vgl. Lagebericht Afghanistan vom 6.11.2015, III. 5. Lage ausländischer Flüchtlinge S. 22). Dementsprechend erachtet der UNHCR eine interne Schutzalternative dann als zumutbar, wenn die (erweiterte) Familie oder die ethnische Gemeinschaft der Person willens und in der Lage sind, diese in der Praxis tatsächlich zu unterstützen (vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016, 3. f.).

c) Trotz kontinuierlicher Fortschritte, die z. B. zu einem Anstieg der Lebenserwartung bei Geburt um 22 Jahre und einem deutlichen Rückgang der Mütter- und Kindersterblichkeit über das letzte Jahrzehnt geführt haben, belegt Afghanistan aktuell nur Platz 169 von 187 im Human Development Index (im Jahr 2011 Platz 172). Der Anteil der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, beträgt im landesweiten Durchschnitt rund 36 Prozent. Dabei gibt es jedoch traditionell ein eklatantes Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten. Anders als in der Hauptstadt Kabul und in den Provinzhauptstädten fehlt es vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (vgl. Lagebericht Afghanistan vom 6.11.2015, IV. 1. Situation für Rückkehrer und allgemeine wirtschaftliche Rahmenbedingungen S. 23, 25). Dies hat zusammen mit bewaffneten Konflikten im Süden und Osten Afghanistans dazu geführt, dass dort ca. 1 Mio. oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten (vgl. Lagebericht Afghanistan vom 6.11.2015, IV. 1.1 Grundversorgung S. 24). Dabei ist zu sehen, dass afghanische Asylbewerber mit oder ohne Familie vor ihrer Ausreise nicht zu dem Teil der Bevölkerung gehört haben, der unterhalb der Armutsgrenze lebt, weil sich diese Bevölkerungsgruppe eine Schleusung nach Europa nicht leisten kann. Vielmehr handelt es sich in der Regel um junge, verhältnismäßig gut ausgebildete und moderat wohlhabende Personen (vgl. Lagebericht Afghanistan vom 6.11.2015, Zusammenfassung S. 6), die schon aus diesem Grund bei einer Rückkehr jedenfalls gegenüber denjenigen im Vorteil sein dürften, die seit jeher unterhalb der Armutsgrenze leben und deren Kinder oft von Unterernährung akut bedroht sind. Obwohl Norwegen auch afghanische Familien mit minderjährigen Kindern abschiebt, sind diesbezüglich offenbar keine Bezugsfälle bekannt, in denen diesen Familien die Reintegration in Afghanistan nicht gelungen wäre (vgl. Lagebericht Afghanistan vom 2.3.2015, Stand Oktober 2014, IV 2.1 Freiwillige Rückkehr und Rückführungen anderer EU-Staaten S. 24; Lagebericht Afghanistan vom 6.11.2015, IV. 2.1 S. 26). Auch wurde die norwegische Abschiebungspraxis offenbar nie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet. Zudem wurde anlässlich der letzten Geberkonferenz Anfang Oktober 2016, bei der die internationale Gemeinschaft Afghanistan für die kommenden vier Jahre Finanzhilfen in Höhe von 15,2 Milliarden Dollar (umgerechnet ca. 13,6 Milliarden Euro) zugesagt hat, ein Rückübernahmeabkommen zwischen der Europäischen Union und Afghanistan geschlossen (vgl. www.faz.net/aktuell/politik/ausland/geberkonferenz-afghanistan-erhaelt-15-mrd-dollar-finanzhilfen-14468268.html). Da Familien mit minderjährigen Kindern von diesem Rückübernahmeabkommen nicht ausgenommen sind, lässt dies den Schluss zu, dass es allgemeiner Konsens unter den EU-Staaten ist, dass auch diesem Personenkreis die Rückkehr nach Afghanistan zumutbar ist (vgl. Joint Way Forward on migration issues between Afghanistan and the EU).

d) Für eine reale, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehende Chance afghanischer Familien, nach einer Rückkehr eine ausreichende Existenzgrundlage für alle Familienmitglieder zu finden, sprechen vor allem die Start- und Reintegrationshilfen, die sie erhalten können. Für eine dreiköpfige Familie wie diejenige der Kläger beträgt die Starthilfe nach dem von Bund und Ländern finanzierten GARP-Programm insgesamt 1.250 Euro (500 Euro pro Erwachsener, 250 Euro pro Kind unter 12 Jahren). Hinzu kommen die kumulativ zur Verfügung stehenden Reintegrationsleistungen nach dem Europäischen Reintegrationsprogramm „ERIN“. Diese umfassen z. B. Service bei der Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und karitativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen und Arbeitsplatzsuche sowie Unterstützung bei einer Geschäftsgründung. Die Unterstützung wird über eine vor Ort tätige Partnerorganisation weitgehend als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen beträgt für Einzelpersonen, die freiwillig zurückkehren, ca. 1.000 Euro bis 2.000 Euro und für rückgeführte Einzelpersonen ca. 700 Euro (vgl. Auskunft des Bundesamts an VG Augsburg vom 12.8.2016). Bei Familien kann der Leistungsumfang erhöht werden, wobei dies u. a. von der Größe der Familie und dem konkreten Bedarf abhängig ist (vgl. E-Mail des Bundesamts an VG Augsburg vom 18.10.2016). Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Kläger als dreiköpfige Familie Reintegrationshilfen im Gesamtwert von 3.150 Euro in Anspruch nehmen können. Gerade vor dem Hintergrund, dass professionelle Hilfe bei der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche gewährt wird, erscheint dies ausreichend für die Prognose, dass es den Klägern zu 1. und 2. jedenfalls bis zum Ablauf der Zeitspanne, während der ihr Lebensunterhalt durch die Reintegrationshilfen gesichert ist, gelingt, sich und ihrem Kind zumindest mit Gelegenheitsarbeiten einschließlich Heimarbeit eine ausreichende Existenzgrundlage zu schaffen. Dabei ist mit zu berücksichtigen, dass die Familie im Notfall voraussichtlich aus dem Kreis der in Afghanistan im Allgemeinen und in Kabul im Besonderen tätigen internationalen Hilfsorganisationen langfristig die notwendige Unterstützung bekommen würde.

Wenn der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Urteil vom 21. November 2014 (a. a. O. Rn. 29) ausführt, die Unterstützungsleistungen würden nur einen vorübergehenden Ausgleich schaffen, seien aber nicht geeignet, auf Dauer eine menschenwürdige Existenz zu gewährleisten, orientiert er sich nicht an dem allgemein anerkannten, auch dem Kindeswohl in dem gebotenen Maße Rechnung tragenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Demnach genügt es, dass die Reintegrationshilfen, die seit der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs durch das Europäische Reintegrationsprogramm „ERIN“ erheblich ausgeweitet und erheblich effektiver gestaltet wurden, der rückkehrenden Familie eine reale Chance geben, ebenso wie ein großer Teil der bereits ortsansässigen Familien zumindest mit Gelegenheitsarbeiten eine ausreichende Existenzgrundlage zu finden. Die Reintegrationshilfen sollen die Nachteile ausgleichen, die Rückkehrer in der Phase des Neustarts vorübergehend gegenüber der ortsansässigen Bevölkerung haben, sie aber nicht auf Dauer besser stellen. Dauerhafte Hilfen wären im Hinblick auf die für eine gelungene Reintegration erforderliche Eigeninitiative kontraproduktiv. Abgesehen davon zählt der UNCHR in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 Kinder nicht generell zu den besonders schutzbedürftigen Personengruppen, sondern nur Kinder mit bestimmten Profilen oder in spezifischen Umständen oder Kinder im Kontext der (Zwangs-)Rekrutierung von Minderjährigen. (vgl. 3. b. Nr. 3, 10). Im Vergleich mit den zigtausenden Rückkehrerfamilien aus den Nachbarstaaten Pakistan und Iran haben die aus Deutschland zurückkehrenden Familien ohnehin einen großen Startvorteil (siehe unten f)).

Die Kläger können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für „freiwillige“ Rückkehrer gewährt werden, also (teilweise) nicht bei einer zwangsweisen Rückführung (Abschiebung). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können schlechte humanitäre Verhältnisse ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK nur begründen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind. Davon kann aber keine Rede sein, wenn der Betroffene seine individuelle Lage dadurch entscheidend verbessern kann, dass er seiner Ausreiseverpflichtung von sich aus nachkommt und es nicht auf eine Abschiebung ankommen lässt. Zudem kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten - wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr - im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, vom Bundesamt nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U. v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 - juris; VGH BW, U. v. 26.2.2014 - A 11 S 2519/12 - juris S. 40; a.A. VG Augsburg, U. v. 16.6.2011 - Au 6 K 11.30153 - juris Rn. 22). Abgesehen davon gibt die Internationale Organisation für Migration (IOM), die Abschiebungen nicht unterstützt und keine Abschiebungsprogramme durchführt, auch abgeschobenen Asylbewerbern Unterstützung nach der Ankunft im Land (vgl. Lagebericht Afghanistan vom 6.11.2015, IV. 2.1 Freiwillige Rückkehr und Rückführungen anderer EU-Staaten S. 26).

e) Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf individuelle gefahrerhöhende Umstände berufen. Der Kläger zu 1. hat bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass es ihm gesundheitlich gut geht. Die vor einigen Jahren bei einem Verkehrsunfall erlittene Oberschenkelfraktur ist ausgeheilt. Die wegen des Verdachts auf Knochenentzündung Ende Juni 2016 durchgeführte Operation, bei der das implantierte Osteosynthesematerial entfernt wurde, ist erfolgreich verlaufen. Die Behauptung der Klägerin zu 2., ihr Mann könne wegen seiner Beinverletzung nicht arbeiten, überzeugt demnach nicht.

f) Die Richtigkeit der Prognose, dass sich die Kläger nach einer Rückkehr in Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine ausreichende Existenzgrundlage schaffen können, wird dadurch bestätigt, dass unter der Regie des UNHCR allein in den ersten zehn Monaten des letzten Jahres fast 56.000 afghanische Flüchtlinge aus den Nachbarländern zurückgekehrt sind, davon über 53.000 aus Pakistan (vgl. Lagebericht Afghanistan vom 6.11.2015, IV. 2. Behandlung von Rückkehrern S. 26). Diese Rückkehrer werden in der ersten Zeit vom UNHCR unterstützt, doch dürfte diese Unterstützung weitaus geringer sein als diejenige, die Rückkehrer aus Deutschland erhalten. Obwohl unter den Rückkehrern aus Pakistan und dem Iran offenkundig auch zahlreiche Familien mit minderjährigen Kindern sind, sind nennenswerte Probleme offenbar nicht aufgetreten. Vielmehr haben Afghanistan, Pakistan und der UNHCR im August 2015 die Rückführung weiterer afghanischer Flüchtlinge in vier Phasen bis Ende 2017 vereinbart (vgl. Lagebericht Pakistan vom 30.5.2016, III. 5. Lage ausländischer Flüchtlinge S. 26 f.).

g) Nach alledem kommt es nicht entscheidungserheblich auf den in der behördlichen und gerichtlichen Praxis kaum aufklärbaren Umstand an, ob nahe Verwandte der Kläger in Afghanistan leben, bei denen sie Aufnahme finden können, zumal die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familien- bzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch sind (vgl. Lagebericht Afghanistan vom 6.11.2015, IV. 1. Situation der Rückkehrer S. 24).

2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Wie sich aus den Ausführungen unter 1. ergibt, besteht für sie in Afghanistan jedenfalls landesweit keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

III. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag aus nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. August 2017 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig, „ob volljährigen und arbeitsfähigen afghanischen Männern … bei einer Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit … infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG droht“ und „ob arbeitsfähige afghanische Männer, die … faktische Iraner sind, sich ihren Lebensunterhalt jedenfalls in Kabul sicherstellen können, wenn sie kein sie stützendes familiäres Netzwerk in Afghanistan haben“. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes lägen nicht vor, beruhe auf überholten Erkenntnissen. Mittlerweile müsse von einer ernsthaften individuellen Bedrohung für alle Zivilpersonen gesprochen werden. Dies ergebe sich aus zahlreichen, im Einzelnen genannten Stellungnahmen und Berichten, etwa aus der Schnellrecherche der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 19. Juni 2017. Andererseits seien die Einschätzungen des Auswärtigen Amts nicht neutral, sondern politisch gesteuert und geformt, wie allerdings auch einige Einschätzungen flüchtlingsfreundlicher Organisationen. Die Verschlechterung der Sicherheitslage und insbesondere der Versorgungslage werde auch in Medienberichten der FAZ, des Deutschlandfunks und anderer Organisationen und Presseorgane bestätigt. Die Erwirtschaftung des Existenzminimums sei nicht möglich.

Das Verwaltungsgericht hat die Voraussetzungen von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und damit einen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes verneint (UA S. 8 f.). Dem Kläger drohe bei einer Rückkehr kein ernsthafter Schaden im Sinn des § 4 AsylG. Im Übrigen sei der Kläger auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul oder einer anderen Großstadt zu verweisen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor (UA S. 10).

Das entspricht der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Dieser geht weiterhin davon aus, dass für die in der Zentralregion gelegene Stadt Kabul (und auch für ganz Afghanistan) die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht vorliegen. Auch ist die Lage in Afghanistan nicht so, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, B.v. 21.8.2017 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris unter Bezugnahme auf U.v. 12.2.2015 –13a B 14.30309 – juris und Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167). Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris; U.v. 12.2.2015 a.a.O.; U.v. 30.1.2014 – 13a B 13.30279 – juris). Auf ein stützendes Netzwerk kommt es nicht an. Etwas anderes ergibt sich auch nicht deshalb, weil der Kläger im Iran geboren und dort aufgewachsen ist. Nach der auch vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs besteht für Afghanen, die sich nicht in Afghanistan aufgehalten haben, jedenfalls dann, wenn sie – wie der Kläger – eine der Landessprachen (hier: Dari) beherrschen, die Chance, durch Gelegenheitsarbeiten etwa in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen (BayVGH, B.v. 12.4.2017 – 13a ZB 17.30230 – juris; U.v. 12.2.2015 –13a B 14.30309 – juris; U.v. 24.10.2013 – 13a B 13.30031 – juris Rn. 22 = KommunalPraxisBY 2014, 62 -LS-). Eine Rückkehr nach Afghanistan scheitert grundsätzlich nicht am fehlenden vorherigen Aufenthalt im Heimatland. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Betroffene eine der beiden Landessprachen spricht

Die klägerischen Ausführungen zur Verschlechterung der Sicherheits- und Versorgungslage bieten keinen Anlass, im Rahmen eines Berufungsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten. Sie berücksichtigen nicht die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, wann eine für die Gewährung subsidiären Schutzes notwendige erhebliche individuelle Gefährdung anzunehmen sein kann (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56). Danach bedarf es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos (BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454). Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und von 11.418 Opfern in Afghanistan (nach UNAMA) liegt die Gefahrendichte im Jahr 2016 landesweit erheblich unter 0,12% oder 1:800. Selbst dieses Risiko wäre weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (BVerwG, B.v. 17.11.2011 a.a.O. Rn. 23). Die bisher bekannt gewordenen Zahlen für 2017 bewegen sich in etwa in der gleichen Größenordnung. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe nennt ebenfalls keine anderen Zahlen.

Soweit der UNHCR im Dezember 2016 („Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern“) unter Bezugnahme auf die UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 und in weiteren Publikationen auf die Verschlechterung der Sicherheitslage hinweist, folgt hieraus nichts anderes. Vor dem Hintergrund anhaltender Besorgnis in Bezug auf die Sicherheitslage werden dort Empfehlungen für den Schutzbedarf ausgesprochen und verschiedene Risikoprofile aufgezeigt, ohne dass Zahlen genannt würden, die die bisherige Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs in Frage stellen könnten. Die dortige Bewertung beruht zudem auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben. Des Weiteren sind auch nach dessen Auffassung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben (Richtlinien vom 19.4.2016, S. 10). Im Übrigen geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan nicht derart ist, dass jede Überstellung dorthin notwendig Art. 3 EMRK verletzt (vgl. EGMR, U.v. 11.7.2017 – S.M.A./Netherlands, Nr. 46051/13 Rn. 53; U.v. 11.7.2017 – Soleimankheel and others/Netherlands, Nr. 41509/12 Rn. 51; U.v. 11.7.2017 – G.R.S./Netherlands, Nr. 77691/11 Rn. 39; U.v. 11.7.2017 – E.K./Netherlands, Nr. 72586/11 Rn. 67; U.v. 11.7.2017 – E.P. and A.R./Netherlands, Nr. 63104/11 Rn. 80; U.v. 16.5.2017 – M.M./Netherlands, Nr. 15993/09 Rn. 120; U.v. 12.1.2016 – A.G.R./Niederlande, Nr. 13442/08 – NVwZ 2017, 293 Rn. 59). Insoweit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 9. April 2013 (H. and B./United Kingdom, Nr. 70073/10 Rn. 92 f.) festgestellt, dass es in Afghanistan keine allgemeine Gewaltsituation gibt, die zur Folge hätte, dass allein wegen der Abschiebung einer Person dorthin tatsächlich die Gefahr von Misshandlungen gegeben sei. In den vorgenannten Urteilen hat er angesichts der ihm mittlerweile vorliegenden Informationen an dieser Einschätzung festgehalten.

Aus den sonstigen Ausführungen und Hinweisen auf Presseartikel im Zulassungsantrag ergeben sich ebenfalls keine anderen Ausgangsdaten, die darauf schließen ließen, dass die vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Erkenntnisse zwischenzeitlich unrichtig oder überholt wären. Die vom Kläger zitierte Stellungnahme von Stahlmann (Asylmagazin 2017, 73) zur humanitären Lage von Rückkehrenden liefert ebenfalls keine anderen Erkenntnisse. Vielmehr wird dort in gleicher Weise betont, dass sich die Gefahr für die Zivilbevölkerung nur in der Gesamtschau kriegerischer, terroristischer und diktatorischer Gewaltformen erschließe und ein allein an Opferzahlen orientierter Ansatz der Problematik nicht gerecht werden könne (vgl. auch Stahlmann, Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, ZAR 2017, 189).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Kläger, Staatsangehöriger Sierra Leones, begehrt die Feststellung von Abschiebungsverboten wegen schwerer psychischer Erkrankung. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 24. November 2015 als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Die Klage des Klägers hiergegen wies das Verwaltungsgericht München mit Gerichtsbescheid vom 21. März 2017 ab. Auf den Antrag des Klägers hin fand am 13. Oktober 2017 mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht statt, in der der Kläger seinen Antrag auf die Feststellung von Abschiebungsverboten beschränkte. Mit Urteil vom 13. Oktober 2017 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Hiergegen richtet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er macht einen Verfahrensmangel geltend, weil ihm durch die Ablehnung seines Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör versagt worden sei.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.

Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerwG, B.v. 10.8.2015 – 5 B 48.15 – juris Rn. 10 m.w.N.). Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch aber nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 291/13 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 14.12.2017 – 9 ZB 15.30129 – juris Rn. 16 m.w.N.). Gemessen daran liegt in der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 13. Oktober 2017 gestellten Beweisantrags keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 13. Oktober 2017 beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass er schwer psychisch erkrankt und aus diesem Grund auf ständige Behandlung angewiesen ist, um Eigengefährdungen entgegenzuwirken, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen. Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung als nicht entscheidungserheblich abgelehnt. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG werde vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstünden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG müsse der Ausländer eine Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, an die bestimmte Anforderungen zu stellen seien. Diesen Anforderungen genügten die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Az. M 21 S 15.31608 und M 21 S 7 16.30618) vorgelegten Atteste nicht; die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei hierzu nicht erforderlich.

Zur Begründung seines Zulassungsantrags trägt der Kläger vor, dass die Ablehnung des Beweisantrags hinsichtlich der Anwendbarkeit der Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG nicht vom Prozessrecht gedeckt sei. Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil das Verwaltungsgericht den Beweisantrag zu Recht abgelehnt hat. Das Verwaltungsgericht folgte hierbei der gefestigten Rechtsprechung mehrerer Oberverwaltungsgerichte, wonach die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind (BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn. 9 m.w.N.).

Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem Wortlaut des Gesetzes, der Entstehungsgeschichte und der Erwägung des Gesetzgebers, dass er mit den Regelungen in dem mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) eingeführten Absatz 2c des § 60a AufenthG im Wesentlichen die ohnehin bereits bestehende Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine substantiierte Geltendmachung krankheitsbedingter Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2007 (Az. 10 C 8.07 – juris Rn. 15) nachvollzogen hat. Der Wortlaut des § 60a Abs. 2c AufenthG stellt ausschließlich darauf ab, ob Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen vorliegen, und differenziert nicht zwischen inlands- und zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten. Auch lässt die Begründung zur Einführung des § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG erkennen, dass der Gesetzgeber mit diesen Regelungen die Anforderungen an die Geltendmachung psychischer Erkrankungen als Abschiebungshindernis insgesamt erschweren wollte. Schließlich umfasst die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG auch nach ihrem Sinn und Zweck die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG.

Es ist demnach – wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat – Aufgabe des erkennenden Gerichts zu überprüfen, ob die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist insoweit nicht erforderlich. Aus dem vorgelegten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2017 (Az. 13a ZB 17.31153) ergibt sich nichts anderes, weil sich diese Entscheidung zu der Frage, ob die Anforderungen an ärztliche Atteste in § 60a Abs. 2c AufenthG auch auf die Geltendmachung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind, nicht verhält.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht gegeben ist.

a) Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Seeger in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.8.2017, § 78 AsylG Rn. 18 ff; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 78 AsylG Rn. 11 ff.). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn.2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/ 17.A – juris Rn. 5; B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 7 m.w.N.; Berlit, a.a.O., § 78 Rn. 609 ff.).

Ist die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 7).

Eine § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügende Darlegung von Berufungszulassungsgründen erfordert eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 59), wobei „darlegen“ schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis bedeutet; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105/92 – juris Rn. 3 m.w.N.).

2. Nach diesen Maßstäben ist keine Rechts- oder Tatsachenfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargelegt.

a) Die Klägerin trägt als grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage zunächst vor, „ob für den Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG die Kriterien aus § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG herangezogen werden können.“

Die Beantwortung dieser Frage wäre schon nicht entscheidungserheblich für das vorliegende Verfahren, denn das Verwaltungsgericht hat nicht – wie von der Klägerin vorgetragen – die vorgelegten Atteste „nicht gewertet“, sondern durchaus einer Würdigung unterzogen. Es ist dabei jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Atteste – unabhängig davon, ob sie die Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG erfüllen – „bereits keine Diagnose einer lebensbedrohlichen oder ähnlich schwerwiegenden Erkrankung“ enthalten.

Außerdem ist die aufgeworfene Rechtsfrage auch nicht in einem Berufungsverfahren klärungsbedürftig, weil sie sich ohne weiteres anhand des Wortlauts des Gesetzes, der Entstehungsgeschichte und der gesetzgeberischen Erwägungen bejahen lässt. Mit den Regelungen in dem mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl I S. 390) eingeführten Absatz 2c des § 60a AufenthG, wonach der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen muss und diese ärztliche Bescheinigung insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten soll, hat der Gesetzgeber im Wesentlichen die ohnehin bereits bestehende Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine substantiierte Geltendmachung krankheitsbedingter Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2007 (10 C 8/07 – juris Rn. 15) nachvollzogen (siehe die ausführliche Darstellung in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 28.9. 2017 – 2 L 85/17 – juris Rn. 2-13, mit der Auswertung des Gesetzgebungsmaterialien; siehe auch OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17.A – juris Rn. 19-28; BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468 – Rn. 4; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 60 AufenthG Rn. 55).

b) Weiter hält die Klägerin für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob eine geschlechtsbezogene Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG vorliegt, wenn im Heimatland die Klägerin als Leibeigene eines Kämpfers leben musste und aufgrund der Tötung nun durch eine durch sie nicht näher bestimmbare Gruppe verfolgt wird“.

Die Behauptung der Klägerin, nach Überzeugung des Verwaltungsgerichts liege eine Verfolgung nach § 3 AsylG nicht vor, wenn der Verfolger nicht benannt werden könne, trifft nicht zu; eine derartige Aussage findet sich in dem Urteil des Verwaltungsgerichts nicht.

Auch wäre die aufgeworfene Frage nicht entscheidungserheblich, denn das Verwaltungsgericht hat den diesbezüglichen Tatsachenvortrag der Klägerin als nicht glaubhaft angesehen (UA S. 7/8).

Selbst wenn der Vortrag der Klägerin als glaubhaft anzusehen wäre, bedürfte es einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob das von ihr geschilderte Verhalten des (nach dem Vortrag der Klägerin mittlerweile toten) Mannes sowie der nicht weiter konkretisierten „Gruppe“ die Kriterien der §§ 3a bis 3e AsylG erfüllt und somit die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG begründen kann; diese Frage ist somit nicht verallgemeinerungsfähig und einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b AsylG.

Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AslyG).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Verpflichtung der Beklagten weiter, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil der geltend gemachte Verfahrensmangel, durch die Ablehnung ihres Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung sei der Klägerin das rechtliche Gehör versagt worden (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO), nicht vorliegt.

Die Ablehnung eines Beweisantrags nach § 86 Abs. 2 VwGO verstößt gegen den Anspruch auf Gewährung von rechtlichem Gehör, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (BVerwG, B.v. 10.8.2015 – 5 B 48.15 – juris Rn 10), d.h. ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Ansatz rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (BayVGH, B.v. 20.11.2017 – 11 ZB. 31318 – juris Rn. 4). Von Willkür kann insbesondere dann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Rechtsauffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5 m.w.N.).

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 13. Oktober 2017 beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass sie schwer psychisch erkrankt und aus diesem Grund auf ständige Behandlung angewiesen ist, um Eigengefährdungen entgegenzuwirken, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung als nicht entscheidungserheblich abgelehnt. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG werde vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstünden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG müsse der Ausländer eine Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, an die bestimmte Anforderungen zu stellen seien. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei hierzu nicht erforderlich.

Zur Begründung ihres Zulassungsantrags bringt die Klägerin vor, dass die Ablehnung des Beweisantrags hinsichtlich der Anwendbarkeit der Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG nicht vom Prozessrecht gedeckt sei.

Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil das Verwaltungsgericht den Beweisantrag zu Recht abgelehnt hat. Denn es entspricht inzwischen gefestigter Rechtsprechung mehrerer Oberverwaltungsgerichte (OVG LSA, B.v. 28.9. 2017 – 2 L 85/17 – juris Rn. 2-13; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17.A – juris Rn. 19-28, BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468 – Rn. 4) und auch des erkennenden Senats (BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – Rn. 8), dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind. Es ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes, der Entstehungsgeschichte und der Erwägung des Gesetzgebers, dass er mit den Regelungen in dem mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl I S. 390) eingeführten Absatz 2c des § 60a AufenthG im Wesentlichen die ohnehin bereits bestehende Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine substantiierte Geltendmachung krankheitsbedingter Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2007 (10 C 8/07 – juris Rn. 15) nachvollzogen hat. Der Wortlaut des § 60a Abs. 2c AufenthG stellt ausschließlich darauf ab, ob Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen vorliegen, und differenziert nicht zwischen inlands- und zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten. Auch lässt die Begründung zur Einführung des § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG erkennen, dass der Gesetzgeber mit diesen Regelungen die Anforderungen an die Geltendmachung psychischer Erkrankungen als Abschiebungshindernis insgesamt erschweren wollte. Schließlich umfasst die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG auch nach ihrem Sinn und Zweck die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG.

Es ist demnach – wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat – Aufgabe des erkennenden Gerichts zu überprüfen, ob die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist insoweit nicht erforderlich.

Aus dem vorgelegten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2017 (13a ZB 17.31153) ergibt sich nichts anderes, weil sich diese Entscheidung zu der Frage, ob die Anforderungen an ärztliche Atteste in § 60a Abs. 2c AufenthG auch auf die Geltendmachung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind, nicht verhält.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b AsylG.

Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Tenor

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird

abgelehnt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzstatus, weiter hilfsweise Abschiebungsschutz.

Der am …1997 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, Volkszugehöriger der Hazarer und schiitischen Glaubens. Er reiste laut BÜMA am 3.12.2015 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22.4.2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung gemäß § 25 AsylG (Asylgesetz) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 23.8.2016 gab der Kläger Folgendes an: Er habe in Afghanistan am 28.10.2015 verlassen. Er habe dort seit 2005 bis zu seiner Ausreise in Kabul, Stadtteil … … gelebt. Die Reise auf dem Landweg habe 5000 – 6000 US Dollar gekostet. Seine Eltern seien verstorben. Er habe niemanden in Afghanistan. Die Geschwister hielten sich in Deutschland oder in Istanbul auf, Onkel und Tanten seien überall verstreut. Er sei bis zur zehnten Klasse in die Schule gegangen. Er habe in einer Bäckerei gearbeitet, früher hätten sie selbst einen eigenen Laden gehabt, in dem sie Kekse verkauft hätten, diesen aber später aufgegeben. Seine Mutter sei 2013 an einer Krebserkrankung gestorben. Im Jahr 2015 sei sein Vater auf dem Weg in eine andere Provinz vom Fahrzeug heruntergezerrt und von den Taliban erschossen worden. Dann sei die ganze Verantwortung auf ihn als Familienoberhaupt zugekommen. Weil sie aus W. gewesen seien, hätten sie bei Behördenangelegenheiten immer dorthin den gefährlichen Weg nehmen müssen. Er habe nach dem Tod seines Vaters dann ständig Angst gehabt, dass er eines Tages auch getötet werde und er nicht in der Lage wäre für seine Familie zu sorgen. Nach diesen Problemen familiärer Art und weil er für seine jüngeren Brüder habe sorgen müssen hätten sie sich entschlossen Afghanistan zu verlassen. Sie hätten ständig Angst gehabt. Keiner habe sich um sie gekümmert. Sie seien Richtung Iran gegangen und von dort aus nach Europa. Nahe Verwandte und Bekannte des Vaters hätten ihnen dabei geholfen. In der Türkei seien sie getrennt geworden. Zwei Schwestern und zwei Brüder seien dort geblieben. Auf Nachfrage: Er persönlich sei nicht direkt bedroht worden. Sein Onkel väterlicherseits habe mit dem Fremden gearbeitet. Seine Familie sei bekannt gewesen. Seinen Vater hätte dies auch bedroht. Zwei Onkel in Kanada hätten früher mit den Amerikanern zusammen gearbeitet, ein Onkel, der jetzt in Deutschland sei, für die Caritas. Befragt, was er bei einer Rückkehr befürchten würde gab er an, es gebe dort kein Leben. Er sei unruhig, habe schlaflose Nächte. Er fürchte nicht mehr ans Ziel zu kommen. Er leide psychisch darunter. Auch als Hazara hätten sie in Afghanistan keine Sicherheit.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 22.9.2016 wurde in Ziffer 1 der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und in Ziffer 2 der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt. In Ziffer 3 des Bescheids wurde der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt. In Ziffer 4 des Bescheids wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. In Ziffer 5 forderte das Bundesamt den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, würde er nach Afghanistan abgeschoben. Er könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfte oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. In Ziffer 6 wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde laut Bundesamtsakte am 23.9.2016 als Einschreiben zur Post gegeben.

Mit am 6.10.2016 beim Verwaltungsgericht Regensburg eingegangenem Schriftsatz seiner Bevollmächtigten ließ der Kläger gegen den Bescheid Klage erheben. Zur Begründung wird vorgebracht, dem Kläger würde in Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgung durch die Taliban drohen, weil diesen bekannt sei, dass der Vater und der Onkel des Klägers für ausländische Organisationen gearbeitet hätten. Zumindest habe er Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes. Jedenfalls lägen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots vor, da der – noch sehr junge – Kläger an einer psychischen Erkrankung leide. Es wurde hierzu eine gutachterliche Stellungnahme des Dr. …, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, vom 31.3.2017 vorgelegt. Wie darin nachvollziehbar dargelegt werde, leide der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die im Zusammenhang mit seinen Erlebnissen in Afghanistan stünden und wegen derer er eine längerfristige psychotherapeutische Behandlung benötige. Der Kläger gehöre deswegen als besonders schutzbedürftige Person zum Kreis der Flüchtlinge mit einem besonderen Risikoprofil im Sinne der UNHCR-Richtlinien, für die eine Existenzmöglichkeit unter den Lebensbedingungen in Afghanistan nicht bestehe. Im Falle einer Rückkehr hätte der Kläger im Hinblick auf die in Afghanistan bestehenden Mängel im Gesundheitswesen und das Erfordernis, über finanzielle Mittel verfügen zu müssen, nicht nur keinen Zugang zu der für ihn notwendigen Behandlung, was aus allen Erkenntnismitteln deutlich hervorgehe. Er wäre auch im Hinblick auf seine besondere Verletzlichkeit nicht in der Lage, sich ohne Unterstützung von Verwandten im täglichen Überlebenskampf durchzusetzen. Über Verwandte verfüge er nicht mehr.

Der Kläger beantragt,

  • 1.die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22.9.2016, zugestellt am 27.9.2016, zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen,

  • 2.hilfsweise, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen,

  • 3.weiter hilfsweise festzustellen, dass für den Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen,

  • 4.dem Kläger unter Beiordnung der Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 5.9.2018 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichterin übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf die übermittelte Bundesamtsakte Bezug genommen.

II.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung ist nach Maßgabe von § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. §§ 114, 121 der Zivilprozessordnung (ZPO) ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers abzulehnen, weil der Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg zukommt. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.

1. Im Bescheid vom 22.9.2016 hat das Bundesamt im Hinblick auf seine Anhörung nach § 25 AsylG ausführlich und zutreffend dargestellt und ohne erkennbare Rechtsfehler begründet, warum die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG sowie subsidiärer Schutz nicht zuerkannt werden kann und die Voraussetzungen der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall des Klägers nicht erfüllt sind. Das Gericht folgt deshalb nach summarischer Prüfung den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts (§ 77 Abs. 2 des Asylgesetzes (AsylG)).

Soweit im Klageverfahren pauschal vorgebracht wird, dass sich Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes aus der Tätigkeit des Vaters für eine ausländische Organisation ergeben würden, bleibt offen, worauf sich der Kläger insoweit konkret beruft. Beim Bundesamt hat der Kläger nichts davon erwähnt, dass der Vater für eine ausländische Organisation gearbeitet hätte. Er hat allerdings angeführt, dass Onkel von ihm für die Caritas bzw. für die Amerikaner gearbeitet hätten, allerdings blieb auch der Vortrag hierzu unkonkret und vage und ist nicht geeignet, eine entsprechende Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.

Eine andere Beurteilung ergibt sich im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung nach § 77 Abs. 1 AsylG auch nicht nach Auswertung der neuesten Erkenntnisquellen zur Sicherheitslage. Gesamtbetrachtend führt die Lage in Afghanistan nicht dazu, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zu gewähren wäre (vgl. etwa BayVGH, B.v. 16.1.2018 – 13a ZB 17.30687; B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris; B.v. 8.11.2017 – 13a ZB 17.30615 – juris;).

2. Auch soweit nun im Klageverfahren im Hinblick auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen erstmals eine posttraumatische Belastungsstörung geltend gemacht wird, ergibt sich keine andere Beurteilung. Die Voraussetzungen für die hilfsweise begehrte Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG (menschenrechtswidrige Behandlung) bzw. nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht erfüllt.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solche ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st. Rspr. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG; vgl. BVerwG‚ U.v. 29.10.2002 – 1 C 1.02 – DVBl 2003, 463; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – BVerwGE 105‚ 383 m.w.N.). Eine „erhebliche konkrete Gefahr“ im Falle einer zielstaatsbezogenen Verschlimmerung einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung ist daher gegeben, wenn sich der Gesundheitszustand alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat wegen der dortigen Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179; B.v. 17.8.2011 – 10 B 13.11 – juris; BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 16.30007 – juris). Gründe hierfür können nicht nur fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sein, sondern etwa auch die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33).

Der sich auf eine seiner Abschiebung entgegenstehende Erkrankung berufende Ausländer muss diese durch eine qualifizierte, gewissen Mindestanforderungen genügende ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (BayVGH, B.v. 27.11.2017 – 9 ZB 17.31302 – juris Rn. 4). Besondere Anforderungen hierfür gelten nach der ständigen Rechtsprechung im Hinblick auf das Vorbringen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbilds und seiner vielfältigen Symptome bedarf es hierfür regelmäßig eines fachärztlichen Attests, das den Mindestanforderungen genügt. So muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – juris).

Das Gericht hat im Rahmen der summarischen Prüfung bereits erhebliche Zweifel, ob die vorgelegte gutachterliche Stellungnahme des Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten zum Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung im Hinblick auf die fachliche Qualifikation des Gutachters ausreicht. Wie in der zitierten Rechtsprechung des BVerwG zu den Anforderungen der Darlegung einer PTBS ausgeführt, bedarf es hierzu regelmäßig einer Vorlage eines fachärztlichen Attestes. Das vorgelegte Gutachten stammt allerdings nicht von einem Facharzt, sondern von einem Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten. Die Aus- bzw. Weiterbildung bzw. die Qualifikation zur Führung des Titels eines „Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten“ muss zwar wie die des „Psychologischen Psychotherapeuten“ Mindestanforderungen erfüllen (vgl. § 5 PsychThG – Zugangsvoraussetzung kann anders als beim Psychologischen Psychotherapeuten aber nicht nur ein Hochschulstudium der Psychologie, sondern auch ein Hochschulstudium der Pädagogik oder Sozialpädagogik sein). Die Rechtsprechung hat im Hinblick darauf und weil die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht nur „regelmäßig“ die Vorlage eines fachärztlichen Attestes fordert auch z.B. die Vorlage eines Gutachtens eines Psychologischen Psychotherapeuten zur Darlegung einer PTBS ausreichen lassen, wenn es die inhaltlichen Mindestanforderungen erfüllt (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 11.8.2016 – Az. 20 ZB 16.30110 – juris).

Es entspricht inzwischen allerdings gefestigter Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468 – juris Rn. 4; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 8; OVG NRW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17A – juris Rn. 19 ff.; OVG LSA, B.v. 28.9.2017 – 2 L 85/17 – juris Rn. 2 ff.), dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG (eingefügt durch Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016, BGBl I 2016, 390) auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn. 7).

§ 60a Abs. 2c Satz 2 und Satz 3 AufenthG fordern dem Wortlaut nach aber eindeutig eine ärztliche Bescheinigung. Der Ausländer muss danach eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine „qualifizierte ärztliche Bescheinigung“ glaubhaft machen. Diese „ärztliche Bescheinigung“ soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die „fachlich-medizinische Beurteilung“ des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach „ärztlicher Beurteilung“ aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Ausnahmen oder eine Einschränkung dahingehend, dass dies nur „regelmäßig“ gefordert wird, enthält die Vorschrift dem Wortlaut nach nicht.

Die vorgelegte Stellungnahme des Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten Dr. Phil. … vom 31.3.20178 zum Gesundheitszustand des Klägers genügt den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG damit schon deshalb nicht, weil sie nicht von einem approbierten Arzt erstellt wurde (so auch VG München, B.v. 18.10.2017 – M 21 S 17.33668 – juris Rn. 29 unter Verwies auf BT-Drucks. 18/7538 S. 19; VG Augsburg, U.v. 17.5.2018 – Au 6 K 17.31062 – juris Rn 58).

In dem Gutachten wurde unabhängig davon auch inhaltlich nicht entsprechend den Anforderungen der Rechtsprechung und des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG eine PTBS mit entsprechendem Schweregrad und Behandlungsbedürftigkeit dargelegt, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im beschrieben Sinne darstellt.

Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die beschriebene Erkrankung offenbar weder in der Zeit seit der Einreise bis zur Begutachtung (ca. 15 Monate) dazu geführt hat, dass der Kläger um ärztliche oder sonst fachkundige Hilfe nachgesucht hat, noch in der Zeit nach der Begutachtung eine entsprechende Behandlung eingeleitet worden wäre.

Zwar wird ausgeführt, der Kläger benötige eine längerfristige psychotherapeutische Behandlung. Grundvoraussetzung sei aber eine gesicherte Aufenthaltssituation. Solange der Kläger sich durch eine mögliche Abschiebung bedroht fühle, könne keine Therapie erfolgreich sein. Auch wenn das Gericht keine ausreichende Fachkunde für eine eigene Beurteilung hat, spricht der Umstand, dass nach dem Gutachten derzeit akut eine Behandlung (Medikamente, Psychotherapie etc.) unabhängig von der Notwendigkeit einer längerfristigen Therapie nicht gesehen wird nicht dafür, dass das Krankheitsbild eine Schwere aufweist, wie es das Gesetz für die Feststellung von Abschiebungshindernissen fordert.

Wie ausgeführt muss sich aus einem Gutachten zum Vorliegen einer PTBS zudem nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Begutachter seine Diagnose gestellt hat, insbesondere auch ob die geschilderten Beschwerden durch die eigene erhobenen Befunde bestätigt werden und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Es muss Aufschluss über die Schwere der Krankheit und deren Behandlungsbedürftigkeit geben. Insoweit ist der pauschale Verweis auf die Notwendigkeit einer längerfristigen psychotherapeutischen Behandlung unter der Voraussetzung einer gesicherten Aufenthaltssituation wenig konkret und nicht ausreichend. Auch ist nach der angeführten Rechtsprechung dazulegen, warum der Erkrankung nicht früher geltend gemacht wurde, nachdem erst 15 Monate nach der Einreise und nach der Ablehnung des Asylantrags eine PTBS vorgebracht wurde. Zu verweisen ist auch darauf, dass das Krankheitsbild einer PTBS grundsätzlich ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes voraus setzt, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (vgl. z.B. OVG NRW v. 13.6.2018, 13 A 1080/18.A – juris Rn. 15). Soweit hierzu im Gutachten (Ziffer 5) ausgeführt wird, der Kläger sei als Kind und Jugendlicher in Afghanistan und auf dem Fluchtweg nach Deutschland wiederholt massiven direkten und beobachteten Traumatisierungen/Gewalterfahrungen schutzlos ausgesetzt gewesen, er sei hierdurch schwerst traumatisiert worden, fällt schon auf, dass weder im Rahmen der vom Gutachter dargelegten Anamnese noch in den Schilderungen des Klägers beim Bundesamt von Traumatisierungen/Gewalterfahrungen auf dem Fluchtweg die Rede ist. Auch soweit in der Anamnese ausgeführt wird, der Kläger habe berichtet, er könne gar nicht alles aufzählen, was er in all den Jahren als Kind und Jugendlicher in Kabul/Afghanistan erlebt habe; er sei Augenzeuge von schlimmsten Gewalttaten (Bombenexpolsionen, Anschläge durch Selbstmordattentäter) in Kabul gewesen, bleibt dies zeitlich und auch im Hinblick auf das konkret Erlebte allgemein und vage. Es ergibt sich zudem nicht, dass der Gutachter diese Schilderungen einer eigenen kritischen Betrachtung unterzogen hätte.

Insgesamt hat das Gericht keine durchgreifenden Zweifel, dass der Kläger in psychischer Hinsicht erheblich belastet ist. Insoweit weist der Gutachter auch nachvollziehbar auf die Belastung durch den unsicheren Aufenthaltsstatus hin. Eine PTBS bzw. psychische Erkrankung ausreichender Schwere, die zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis führt, ist aber nicht dargelegt.

Aus den genannten Gründen ergibt sich auch kein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf die humanitären Bedingungen im Abschiebezielstaat (vgl. BVerwG v. 31.1.2013, 10 C 15/12 – juris), da die anzuwendenden Gefahrenmaßstäbe weitgehend übereinstimmen. Insbesondere ergibt sich aus den dargelegten Gründen auch nicht, dass der Kläger infolge einer Erkrankung zumindest sein Existenzminimum in seinem Heimatland, z.B. durch Gelegenheitsarbeiten, etc. erwirtschaften könnte.

Nach alledem bietet die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Diese Entscheidung ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I. Der Kläger ist seinen Angaben zufolge Staatsangehöriger Sierra Leones. Er begehrt im asylrechtlichen Folgeverfahren die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses festzustellen. Das Verwaltungsgericht wies die Asylklage mit Urteil vom 24. August 2016 in der Sache ab. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers. Er macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen verfahrensfehlerhafter Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags liegt nicht vor.

Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B. v. 30.1.1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141/144 = NJW 1986, 833; BVerfG, B. v. 18.6.1993 - 2 BvR 1815/92 - NVwZ 1994, 60 = BayVBl 1993, 562; BayVerfGH, E. v. 26.4.2005 - Vf. 97-VI-04 - VerfGH 58, 108 = BayVBl 2005, 721). Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch aber nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sach-fremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B. v. 22.5.2015 - 1 BvR 2291/13 - juris Rn. 5 m. w. N.).

Gemessen daran liegt in der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 gestellten Beweisantrags, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen,

„zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer depressiven Episode, derzeit leichtgradig, und einer generalisierenden Angststörung leidet, der Kläger psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung bedarf und sich sein Gesundheitszustand bei Abbruch der Behandlung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde“,

keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag mit folgender Begründung abgelehnt:

„Hinsichtlich der für die Person des Klägers geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist der Beweisantrag rechtlich nicht erheblich. Die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten therapeutischen und ärztlichen Äußerungen zu den Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer PTBS sind nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts unglaubwürdig. Hinsichtlich des für die Person des Klägers weiter geltend gemachten ‚depressiven Episode‘ und ‚Angststörung‘ werden die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt.“

1. Soweit es das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung betrifft, hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass der Klägervortrag den aus der Rechtsprechung (u. a. BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 = juris Rn. 15) folgenden Anforderungen an die Substantiierung zum Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich - wie hier - auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland stützt und deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, nicht genügt und seine Rechtsauffassung umfassend und nachvollziehbar begründet. Danach beruhten die vom Kläger vorgelegten therapeutischen Berichte und fachärztlichen Atteste hinsichtlich der darin zugrunde gelegten Auslösekriterien auf einem unglaubhaften Vortrag des Klägers und damit auf unzureichenden tatsächlichen Grundlagen. Diese Bewertung durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu beanstanden.

a) Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nur aufgrund eines traumatisierenden Ereignisses entstehen kann (vgl. ICD-10: F.43.1, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision: „ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“).

b) Weiter trifft es zu, dass die nach dem Diagnoseklassifikationssystem ICD-10 erstellten Befunde von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 sowie des Bezirksklinikums Niederbayern vom 25. Februar 2014 als „Auslösekriterium“ bzw. schwerwiegende Traumatisierung die Tötung des Vaters, die Entführung des Klägers durch Rebellen bzw. die Erschießung des Bruders des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten zugrunde legen und dass die darin genannten tatsächlichen Grundlagen (zur behaupteten Erschießung des Bruders vgl. nachfolgend Buchst. c, Doppelbuchst. dd), bereits vom Verwaltungsgericht Regensburg (U. v. 29.11.2012 - RN 5 K 12.30096) als unglaubhaft angesehen wurden. Das ärztliche Attest des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016 benennt dagegen das auslösende Ereignis nicht.

c) Hiervon ausgehend beruht der vom Verwaltungsgericht gezogene Schluss, es fehle an der tatsächlichen Grundlage eines traumatisierenden Ereignisses, aufgrund derer die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gerechtfertigt sei, auf einer nachvollziehbaren, insbesondere willkürfreien und sachlichen Grundlage, von der sich das Verwaltungsgericht eine eigene Überzeugung gebildet hat.

aa) Die Bewertung der tatsächlichen Grundlagen durch das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren folgt zwar der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg aus dem Urteil vom 29. November 2012. Dieses hatte sich im Rahmen des Erstverfahrens im rechtskräftigen Urteil vom 29. November 2012 umfänglich mit den vom Kläger geschilderten Geschehnissen auseinandergesetzt, die auch Auslöser der im Erstverfahren wie im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung sein sollen, sowie umfassend und nachvollziehbar begründet, weshalb es den klägerischen Vortrag „in höchstem Maße“ für „unsubstantiiert“, „oberflächlich“, „lebensfremd“ und „widersprüchlich“ erachtet. Nicht zutreffend ist aber, dass das Verwaltungsgericht die Bewertung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg im Erstverfahren lediglich ungeprüft übernommen habe. Es hat vielmehr das vom Kläger im Erstverfahren geschilderte Geschehen dargestellt, das im gegenständlichen Verfahren nicht vertieft oder ergänzt wurde, sich mit diesem auseinandergesetzt und weiter ausgeführt, es sei nicht zu erkennen, dass von der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg abzuweichen sei. Damit bringt das Verwaltungsgericht aber zum Ausdruck, dass es sich die Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg auch für den gegenständlichen Fall zu Eigen macht, nicht dass es dessen Bewertung lediglich (ungeprüft) übernimmt.

bb) Soweit der Kläger weiter bemängelt, das Verwaltungsgericht habe den Kläger zu den Ereignissen in Sierra Leone nicht weiter befragt, verhilft auch dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg.

Angesichts der konkreten Umstände bestand für das Verwaltungsgericht keine Veranlassung, den Kläger zu den im Erstverfahren vorgetragenen Ereignissen in Sierra Leone zu befragen. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren weder gegenüber dem Bundesamt noch in der Klagebegründung andere oder ergänzende Angaben zu den behaupteten traumatisierenden Geschehnissen in Sierra Leone vorgetragen, die eine vom Urteil des Verwaltungsgericht Regensburg abweichende Bewertung nahegelegt hätten. Davon abgesehen hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 Gelegenheit und angesichts der Feststellungen im Erstverfahren aber auch im Bundesamtsbescheid vom 15. Mai 2014 triftige Gründe, die in seiner Sphäre liegenden behaupteten Geschehnisse in Sierra Leone von sich aus nachvollziehbar und widerspruchsfrei zu schildern.

cc) Eine weitergehende Aufklärung zur Richtigkeit des Klägervorbringens musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht auf Grundlage der vorgelegten Befundberichte und fachärztlichen Atteste aufdrängen.

Zwar gehen die Befundberichte von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 auch auf die Auslösekriterien ein. Die vom Kläger geschilderten und in der Zeit weit zurückliegenden Geschehnisse, die das Auslösekriterium erfüllen sollen, wie etwa das „Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“, insbesondere „die Entführung durch die Rebellen“ und die „Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“, werden aber allein den geschilderten Symptomen und der Verhaltensbeobachtung gegenübergestellt. Ihre äußere, objektive Ereignisseite bleibt in den Befundberichten im Allgemeinen, wird also weder hinreichend konkret beschrieben noch sorgfältig oder kritisch hinterfragt. Dies ist bei der Begutachtung einer posttraumatischen Belastungsstörung wohl auch nicht zu leisten (vgl. Befundbericht v. 18.7.2016 S. 5: „Bei der Diagnoseerstellung von posttraumatischen Störungen ermöglicht die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse“). Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Die in den o.g. Befundberichten auf die Symptomatik gestützte Beurteilung zu den Angaben über die geschilderten Vorgänge lässt aus den genannten Gründen keine andere Bewertung zu. Im Befundbericht vom 7. August 2014 werden als Auslösekriterien „das Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“ und „die Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“ genannt, wenngleich die genauen Umstände zu Letzterem unklar bleiben würden; eine nähere Begründung für die gleichwohl getroffene Annahme, „Den gewaltsamen Verlust des Vaters sehen wir allerdings als gesichert an“, wird nicht gegeben. Im Befundbericht vom 18. Juli 2016 wird als Auslösekriterium zunächst die Ermordung des Vaters gesehen, jedoch auch die Erlebnisse bei den Rebellen. Letzteres erfülle danach „eindeutig das Traumakriterium A“ (Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5); die objektive Seite dieser Erlebnisse wird allerdings nicht aufgeklärt. Obschon „aufgrund einiger Ungenauigkeiten und Widersprüche nicht sicher gesagt werden kann, dass/ob alle geschilderten Erlebnisse so stattgefunden haben“ (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 9; ebs. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 6), wird im Befundbericht vom 18. Juli 2016 der Schluss gezogen, dass die beobachtete Symptomatik weiterhin überzeuge, insbesondere weil aufgrund der physiologischen Reaktionen bzw. Veränderungen des Klägers bei der Schilderung seiner Lebensgeschichte und insbesondere der traumatischen Erfahrungen keine Anhaltspunkte dafür gesehen würden, dass der Kläger „in diesen Punkten“ seine Biografie simuliere. Eine Auseinandersetzung etwa mit den vom Verwaltungsgericht Regensburg festgestellten Widersprüchen des klägerischen Vortrags findet nicht statt, obschon Refugio jedenfalls dessen Beschluss vom 27. März 2012 (Az. RN 5 S 12.30095) und die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 vorlagen und bekannt waren (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 2 sowie Befundbericht v. 18.7.2016, S. 2). Insgesamt fällt auf, dass das vom Kläger geschilderte Geschehen vage und im Allgemeinen bleibt; der Inhalt der festgestellten Ungenauigkeiten und Widersprüche sowie deren Bezug zu den gleichwohl zugrunde gelegten traumatisierenden Ereignissen wird nicht erläutert. Vonseiten des Klägers sind die in seine Sphäre fallenden behaupteten objektiven Ereignisse, also Ereignisse, die „fast bei jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würden“ (vgl. ICD-10: F43.1), auch in den behördlichen und gerichtlichen Verfahren nach wie vor nicht schlüssig und widerspruchsfrei dargestellt worden, obwohl angesichts der tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 aber auch der Begründung des Bundesamtsbescheids vom 29. April 2014 Anlass dazu bestand. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren, die offen zu Tage tretenden Widersprüche seines Vortrags aus dem Erstverfahren nicht ausgeräumt.

dd) Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe den klägerischen Vortrag zur Erschießung des Bruders bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten für unglaubhaft gehalten, weil der Kläger die Frage zur Anzahl seiner Geschwister nicht richtig beantwortet habe, was dieser aber richtig gestellt habe, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

Das Verwaltungsgericht hat diesen Umstand aus gutem Grund erfragt und in den Entscheidungsgründen aufgeführt. Das erstmals und soweit ersichtlich auch einmalig behauptete traumatisierende Ereignis, wonach der Bruder des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten erschossen worden sei (vgl. ärztliche Bestätigung des Bezirksklinikums Niederbayern v. 25.2.2014), hatte der Kläger weder bei der Anhörung im Erstverfahren noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 erwähnt. In der Niederschrift zur Erstanhörung wurden auch nur ein Bruder und eine Schwester vermerkt, die der Kläger zuletzt zu Hause gesehen habe. Die auf entsprechenden Vorhalt des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 gegebene Antwort des Klägers, „Ich habe nicht gewusst, dass ich bereits tote Geschwister auch angeben soll“, hat das Verwaltungsgericht in der Gesamtschau und aus nachvollziehbaren Gründen für unglaubhaft gehalten. So hatte der Kläger bei seiner Anhörung im Erstverfahren von der Verhaftung vieler Jungen durch die Rebellen berichtet, aber nichts zu einem Bruder erwähnt, der von diesen erschossen worden sein soll.

Hiervon abgesehen hat das Verwaltungsgericht die behauptete Verschleppung des Klägers durch Rebellen aber auch deshalb für unglaubhaft erachtet, weil der Kläger bereits im Asylerstverfahren widersprüchliche Angaben zur behaupteten Verschleppung durch Rebellen gemacht hatte (bei der Anhörung v. 18.1.2012 auf Frage wie lange der Kläger insgesamt bei den Rebellen gewesen sei: „Zehn Tage lang, dann bin ich entkommen“, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg v. 29. November 2012: „Ich wurde während des Krieges längere Zeit gefangen gehalten“ und „Sie (Anm.: die Rebellen) haben mich damals mehrmals gefangen genommen und ich bin immer wieder abgehauen und dann auch immer wieder zur Schule gegangen“).

d) Das Vorbringen, grundsätzlich gelte auch für den medizinischen Bereich, dass ein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann unzulässig sei, wenn ein unsubstantiierter „Ausforschungs-“ Beweisantrag vorliege und für die zugrundeliegende Tatsachenbehauptung nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spreche, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

aa) Ob sich ein derartiger allgemeiner Rechtssatz aus der u. a. in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2006 (Az. 1 B 91.05 - NVwZ 2007, 346) entnehmen lässt, erscheint fraglich, kann aber dahinstehen. Jedenfalls hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsauffassung im Revisionsverfahren präzisiert und klargestellt, dass zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests gehört und ausgeführt, welche Anforderungen an die Substantiierung zu stellen sind (BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251; vgl. auch BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.00 - juris Rn. 15 f.). Hiervon geht auch das Verwaltungsgericht aus (vgl. UA S. 11). Soweit das Verwaltungsgericht auf die seiner Auffassung nach unzureichenden tatsächlichen Grundlagen zur Frage des Vorliegens eines traumatisierenden Ereignisses abstellt, hat es die Anforderungen an die Darlegungspflicht des Klägers nicht überspannt. Insbesondere erfordert die nachvollziehbare Schilderung von in der Sphäre des Klägers liegenden Ereignissen keine kostenauslösende oder umfängliche gutachtliche Stellungnahme. Vielmehr sind die Beteiligten auch in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess verpflichtet, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174). Insoweit obliegt es dem Kläger, die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Hiervon ausgehend greift auch der Beweisantrag, ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen, dass beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, zu kurz, weil ein solches Gutachten die objektive Seite des Ereignisses nicht klärt.

bb) Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag des Klägers abgelehnt, weil es die Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung für nicht gegeben erachtete. Das Verwaltungsgericht hat den vorgelegten Bescheinigungen auch nicht per se deren hinreichende Qualität abgesprochen; es hat vielmehr die vom Kläger geschilderten und den Befunden zugrunde gelegten traumatisierenden Erlebnisse im Hinblick auf deren objektive Seite mit einer nachvollziehbaren Begründung als unglaubhaft gewertet.

Dass das Vorliegen eines traumatischen Ereignisses zwingende Voraussetzung für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist, wurde zutreffend bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 zum Erstverfahren festgestellt (nachfolgend BayVGH, B. v. 6.2.2013 - 9 ZB 13.30032), findet seine Bestätigung aber auch in den Befundberichten von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016, wonach die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nur eine spezifische Symptomatik, sondern auch ein traumatisches Lebensereignis als Auslöser für die Symptomatik zwingend erfordere und die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse ermögliche (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 5 bzw. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5).

e) Aus der in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 8.1.2016 - 13a ZB 15.30245 - nicht veröffentlicht) folgt nichts anderes. Diese Entscheidung betrifft nicht die an die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellten Anforderungen (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.07 - juris Rn. 15 f.), sondern die Übertragung dieser Anforderungen an die Diagnose einer Depression.

2. Soweit es die geltend gemachte (leichtgradige) depressive Störung und Angststörung beim Kläger betrifft, hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag abgelehnt, weil es die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt hat. Auch dies ist nicht zu beanstanden.

Das Absehen von einer Beweiserhebung wegen „Wahrunterstellung“ (im Sinn von Dahinstehenlassen von behaupteten Tatsachen) ist im Verwaltungsprozess dort zulässig, wo der Sache nach ein Verzicht auf die Beweiserhebung wegen Unerheblichkeit der vorgetragenen Tatsachen vorliegt (vgl. BVerwG, U. v. 17.1.1990 - 9 C 39.89 - NVwZ-RR 1990, 510). So liegt es hier. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die nachgewiesenen Erkrankungen einer depressiven Störung (leichtgradig) und einer Angststörung nicht derart schwerwiegende Krankheitsbilder darstellten, dass im Fall der Rückkehr nach Sierra Leone auch ohne deren fortlaufende Behandlung eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten sei. Diese Bewertung stützt sich auf die fachärztliche Äußerung des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016, wonach der Kläger „klar von Suizidalität distanziert“ sei und den Befundbericht von Refugio vom 18. Juli 2016, wonach der Kläger aus medizinischen Gründen derzeit keine Medikation in Bezug auf die Angststörung erhalte. Ohne dass es vorliegend darauf ankommt, findet diese Bewertung ihre rechtliche Grundlage in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Nach § 83 b AsylVfG werden Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.