Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 26. Feb. 2018 - Au 5 K 17.35634
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. Dezember 2017 (Gz.: *) wird in Nr. 2 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Anerkennung als Asylberechtigte bzw. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Gründe
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(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:
- 1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, - 2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder - 3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen, - 2.
eine schwere Straftat begangen hat, - 3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder - 4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn
- 1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist, - 2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, - 3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und - 4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn
- 1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist, - 2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, - 3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben, - 4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und - 5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.
(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.
(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.
(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache beizufügen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Das Bundesamt informiert mit der Entscheidung über die Rechte und Pflichten, die sich aus ihr ergeben.
(2) In Entscheidungen über zulässige Asylanträge und nach § 30 Absatz 5 ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. In den Fällen des § 13 Absatz 2 Satz 2 ist nur über den beschränkten Antrag zu entscheiden.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird. Von der Feststellung nach Satz 1 kann auch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen.
(4) Wird der Asylantrag nur nach § 26a als unzulässig abgelehnt, bleibt § 26 Absatz 5 in den Fällen des § 26 Absatz 1 bis 4 unberührt.
(5) Wird ein Ausländer nach § 26 Absatz 1 bis 3 als Asylberechtigter anerkannt oder wird ihm nach § 26 Absatz 5 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt, soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen werden.
(6) Wird der Asylantrag nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 als unzulässig abgelehnt, wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
(7) In der Entscheidung des Bundesamtes ist die AZR-Nummer nach § 3 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzes über das Ausländerzentralregister zu nennen.
(1) Die Kammer soll in der Regel in Streitigkeiten nach diesem Gesetz den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn nicht die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, dass inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.
(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.
(4) In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet ein Mitglied der Kammer als Einzelrichter. Der Einzelrichter überträgt den Rechtsstreit auf die Kammer, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn er von der Rechtsprechung der Kammer abweichen will.
(5) Ein Richter auf Probe darf in den ersten sechs Monaten nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:
- 1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, - 2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder - 3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen, - 2.
eine schwere Straftat begangen hat, - 3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder - 4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Gründe
(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn
- 1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist, - 2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, - 3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und - 4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn
- 1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist, - 2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, - 3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben, - 4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und - 5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.
(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.
(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.
(1) Ein Asylantrag liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht.
(2) Mit jedem Asylantrag wird die Anerkennung als Asylberechtigter sowie internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 beantragt. Der Ausländer kann den Asylantrag auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränken. Er ist über die Folgen einer Beschränkung des Antrags zu belehren. § 24 Absatz 2 bleibt unberührt.
(3) Ein Ausländer, der nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere ist, hat an der Grenze um Asyl nachzusuchen (§ 18). Im Falle der unerlaubten Einreise hat er sich unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden (§ 22) oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen (§ 19). Der nachfolgende Asylantrag ist unverzüglich zu stellen.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:
- 1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, - 2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder - 3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen, - 2.
eine schwere Straftat begangen hat, - 3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder - 4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.
(1) Der Asylantrag ist bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist. Das Bundesamt kann den Ausländer in Abstimmung mit der von der obersten Landesbehörde bestimmten Stelle verpflichten, seinen Asylantrag bei einer anderen Außenstelle zu stellen. Der Ausländer ist vor der Antragstellung schriftlich und gegen Empfangsbestätigung darauf hinzuweisen, dass nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines Asylantrages die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 10 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes Beschränkungen unterliegt. In Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 ist der Hinweis unverzüglich nachzuholen.
(2) Der Asylantrag ist beim Bundesamt zu stellen, wenn der Ausländer
- 1.
einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten besitzt, - 2.
sich in Haft oder sonstigem öffentlichem Gewahrsam, in einem Krankenhaus, einer Heil- oder Pflegeanstalt oder in einer Jugendhilfeeinrichtung befindet, oder - 3.
minderjährig ist und sein gesetzlicher Vertreter nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
(3) Befindet sich der Ausländer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 in
- 1.
Untersuchungshaft, - 2.
Strafhaft, - 3.
Vorbereitungshaft nach § 62 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes, - 4.
Sicherungshaft nach § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes, weil er sich nach der unerlaubten Einreise länger als einen Monat ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten hat, - 5.
Sicherungshaft nach § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 und 3 des Aufenthaltsgesetzes, - 6.
Mitwirkungshaft nach § 62 Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes, - 7.
Ausreisegewahrsam nach § 62b des Aufenthaltsgesetzes,
Tenor
1. Die Beklagte wird – unter entsprechender Aufhebung der Ziffern 2 bis 4 des Bescheids vom 10. Dezember 2012 – verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten dürfen die Vollstreckung des jeweils anderen Beteiligten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
- 1
Der irakische Kläger begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter, hilfsweise die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weiter hilfsweise subsidiären Schutz.
- 2
Der ausweislich seines irakischen Personalausweises am ... 1957 in Scheichan geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und jesidischen Glaubens. Seine Familie stammt aus der Stadt Scheichan in der Provinz Ninive. Nach der bei der Beklagten vorgelegten Heiratsurkunde vom ... 1985 ist er seit diesem Tag mit der ..., der Klägerin im Verfahren 8 A 1238/12, verheiratet. Er ist Vater des nach eigenen Angaben am ... 1994 geborenen U., dem mit Bescheid vom ... 2009 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (Gz. der Beklagten: 5381754-438), sowie Vater der Klägerinnen in den Verfahren 8 A 1273/12 und 8 A 289/13.
- 3
Der Kläger erlitt im Jahr 2008 zwei Schlaganfälle und ist seitdem teilweise gelähmt. Bereits im Irak befand er sich deshalb in ständiger ärztlicher Behandlung. Er reiste am ... 2010 mit seinem gültigen irakischen Reisepass und einem darin enthaltenen Visum zur Familienzusammenführung legal ins Bundesgebiet ein. Am ... 2010 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 36 Abs. 1 AufenthG zum Familiennachzug zu seinem damals minderjährigen Sohn U.. Mit anwaltlichem Schreiben vom 11. Oktober 2010 – bei der Beklagten am Folgetag eingegangen – stellt er einen Asylantrag. Mit Bescheid vom ... Oktober 2010 wurde für den weiterhin pflegebedürftigen Kläger ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt.
- 4
Am ... Februar 2011 hörte die Beklagte den Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal an (Bl. 94 ff. der Asylakte). Mit Bescheid vom ... Dezember 2012 lehnte sie seine Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht bestehen. Er könne nicht als Asylberechtigter anerkannt werden und genieße keinen Flüchtlingsschutz, weil er legal und unverfolgt ausgereist sei. Die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung der Jesiden lägen nicht mehr vor. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gebe es trotz seiner Erkrankung nicht. Es sei nicht ersichtlich, dass ihm eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bei einer Rückkehr in den Irak drohe.
- 5
Mit seiner am ... Dezember 2012 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Unter Berufung auf verschiedene Gerichtsurteile meint er, dass die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung im Irak noch vorlägen. Es sei zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, weil die medizinische Versorgung im Irak zusammen gebrochen sei.
- 6
Der Kläger beantragt,
- 7
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom ... Dezember 2012 zu verpflichten,
1. den Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen;
2. hilfsweise, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
3. weiter hilfsweise, den Kläger als subsidiär Schutzberechtigten anzuerkennen;
4. weiter hilfsweise, Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1, Abs. 5 AufenthG festzustellen.
- 8
Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich der Antrag,
- 9
die Klage abzuweisen.
- 10
Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz. Der Gesetzgeber habe bei § 26 AsylVfG bewusst für die Bestimmung der Minderjährigkeit auf unterschiedliche Zeitpunkte abgestellt. Durch § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG solle allein dem Bedürfnis von Minderjährigen nach familiärer Fürsorge und dem Schutz dieser Personen Rechnung getragen werden. Sei der Stammberechtigte – wie hier – mittlerweile volljährig geworden, bestünde kein Schutzbedürfnis mehr. Dem Kläger sei durch die lange Bearbeitungszeit kein Nachteil entstanden, da die Norm, auf die er sich berufe, erst zum 1. Dezember 2013 in Kraft getreten sei.
- 11
Bei der Entscheidung haben die Asylakte und die Ausländerakte des Klägers sowie die Asylakte seines Sohnes ... (...-438) vorgelegen.
Entscheidungsgründe
I.
- 12
Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten (Bl. 18, 20; 87, 88 d. A.) durch den Berichterstatter anstelle der Kammer gemäß § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO und im schriftlichen Verfahren gemäß § 101 Abs. 2 VwGO.
II.
- 13
Die zulässige Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO ist im Hinblick auf die Anerkennung als Asylberechtigter unbegründet (dazu 1.), hinsichtlich des ersten Hilfsantrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 113 Abs. 5 VwGO begründet (dazu 2.).
- 14
1. Der Kläger kann schon deshalb nicht als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG anerkannt werden, weil er gemäß § 27a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf dem Landweg – und damit zwingend über einen sicheren Drittstaat – ins Bundesgebiet eingereist ist. Die Ausnahmetatbestände von § 27a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG sind nicht erfüllt.
- 15
2. Die Versagung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch Bescheid vom ... Dezember 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3, 26 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 1, 2 AsylVfG i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474; im Folgenden: „Richtlinienumsetzungsgesetz“). Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 5 Satz 1, 2 AsylVfG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlingsschutzberechtigten auf Antrag als Flüchtlinge anerkannt, wenn die in den § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 5 AsylVfG genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies ist der Fall.
- 16
2.1 Der Kläger ist der Vater des nach eigenen glaubhaften Angaben am ... 1994 geborenen U., dem mit Bescheid vom ... September 2009 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (Stammberechtigter). Die Altersangaben basieren auf den glaubhaften Angaben der Tante des Stammberechtigten, mit der er ins Bundesgebiet eingereist ist. Er hat bei seiner Anhörung am ... Juli 2009 die Namen seiner Eltern zutreffend angegeben.
- 17
2.2 Der Stammberechtigte war im maßgeblichen Zeitpunkt der Asylantragstellung des Klägers ledig und noch minderjährig. Zwar ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AsylVfG grundsätzlich für das Erfüllen der Tatbestandsmerkmale auf die Sach- und Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt abzustellen. Von diesem Grundsatz ist jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn sich aus dem materiellen Recht ergibt, dass ein früherer Zeitpunkt maßgeblich ist (Bergmann, in: Renner, Ausländerrecht Kommentar, 9. Aufl. 2011, § 77 AsylVfG, Rn. 2; ausdrücklich für die zeitlichen Anknüpfungspunkte beim Familienasyl auch Hailbronner, Ausländerrecht, 68. EL, Stand: April 2010, § 77 AsylVfG, Rn. 13). Dies ist hier der Fall. Bis auf § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG wird in den übrigen beiden Fällen, in denen § 26 AsylVfG den Rechteerwerb von der Minderjährigkeit eines Familienmitglieds abhängig macht, ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung des Zuziehenden abgestellt (§ 26 Abs. 2 und § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG). Zwar könnte man nach einer grammatischen Auslegung von § 26 Abs. 2 AsylVfG auch auf einen früheren Zeitpunkt, nämlich die Antragstellung des Stammberechtigten abstellen (Das Personalpronomen „seiner“ vor „Antragstellung“ könnte sich auf den Stammberechtigten oder das zuziehende Kind beziehen). Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird jedoch deutlich, dass es auf die Antragstellung des zuziehenden Minderjährigen ankommt (BT-Drs. 15/420, S. 109 [zu Nr. 17 Buchstabe c]: „Durch die Wörter 'seiner Asylantragstellung' wird sichergestellt, dass Kinder nur eine abgeleitete Asylberechtigung erhalten, wenn sie zum Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung minderjährig und ledig sind.“). Aus dem Unterlassen bei § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG, den maßgeblichen Zeitpunkt zu benennen, kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass bei dieser Norm auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen wäre. Vielmehr muss auch hierbei für die Bestimmung der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung – in diesem Fall des zuziehenden Elternteils – abgestellt werden. Dies ergeben eine richtlinienkonforme (dazu 2.2.1) und systematische (dazu 2.2.2) Auslegung von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG. Bei diesem Normverständnis ist der Kläger ein Elternteil eines minderjährigen Flüchtlings (dazu 2.2.3).
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2.2.1 Um den Zweck der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 über „Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes“ (ABl. EU 2011 L 337/9; im Folgenden: „Richtlinie“ oder „Richtlinie 2011/95/EU“) möglichst effektiv zu erreichen, muss für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abgestellt werden. Mit dem Schutzziel der Aufrechterhaltung des Familienverbands (Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie) knüpft die Richtlinie an einen tatsächlichen Zustand an, nämlich daran, dass sich Familienmitglieder in einen Mitgliedstaat geflüchtet haben und nunmehr dort ein (Teil-)Familienverband besteht. Eine vollständige Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie kann im Lichte dieses Schutzziels nur dann erreicht werden, wenn das Recht auf Aufrechterhaltung des Familienverbandes erworben wird, sobald der Familienverband tatsächlich im Fluchtstaat besteht. Würde man dagegen auf den Zeitpunkt der behördlichen (oder gerichtlichen) Entscheidung abstellen, würde das zu schützende Rechtsgut – der tatsächlich bestehende Familienverband – nicht durchgängig geschützt. Da sich das genaue Einreisedatum häufig nicht ermitteln lässt, ist es vom Schutzziel der Richtlinie gedeckt, auf das Datum der Antragstellung des zuziehenden Familienmitglieds abzustellen.
- 19
Vor diesem Hintergrund geht der Einwand der Beklagten fehl, dass heute – nachdem der Stammberechtigte volljährig geworden ist – das vermeintlich alleinige Ziel der Vorschrift, die im „Bedürfnis von Minderjährigen nach familiärer Fürsorge und dem Schutz dieser Personen“ liegen soll, nicht mehr erreicht werden könne. Das Recht, das die Familienangehörigen durch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erwerben, ist zeitlich nicht – wie bei § 36 AufenthG – auf die Minderjährigkeit beschränkt, sondern hängt vom Bestand des Flüchtlingsschutzes des Stammberechtigten ab, der mit der Minderjährigkeit nicht endet. Eine vollständige Umsetzung der Richtlinie verlangt daher, dass Familienflüchtlingsschutz gewährt werden muss, sobald bei Entstehung des Familienverbandes im Fluchtstaat die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.
- 20
2.2.2 Selbst wenn man annähme, dass es die Richtlinie 2011/95/EU nicht zwingend erfordert, bei der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen, ergibt sich dies aus der Systematik von § 26 AsylVfG. Die von der Beklagten vertretene Ansicht würde in mehrfacher Hinsicht zu Wertungswidersprüchen führen.
- 21
Würde man einzig bei § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG für die Bestimmung der Minderjährigkeit nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstellen, könnte die Behörde (oder das Gericht) durch die Wahl des Entscheidungszeitpunktes beeinflussen, ob der Tatbestand erfüllt ist. Zwar kommt es vor, dass der Entscheidungszeitpunkt über den Erfolg einer Klage entscheidet, etwa weil es zwischen Antragstellung und endgültiger Entscheidung zu einem Machtwechsel im Fluchtstaat gekommen und daher die Verfolgungsgefahr weggefallen ist. Derartige Umstände liegen jedoch – anders als die Entscheidung, wann über den Fall entschieden wird – außerhalb des Einflussbereichs der Verfahrensbeteiligten und müssen daher hingenommen werden. Die Überlegung, dass sich die Verfahrensdauer nicht nachteilig auf das Entstehen des Familienasyls auswirken soll, hat den Gesetzgeber bei § 26 Abs. 2 AsylVfG dazu bewogen, nicht auf die Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Stammberechtigten (so noch der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens, BT-Drs. 12/2062 v. 12.2.1992, S. 26), sondern auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (so ausdrücklich die Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 12/2718 v. 2.6.1992, S. 20, 60; siehe auch: Bodenbender, in GK-AsylVfG, 82. EL, Juni 2008, § 26 AsylVfG, Rn. 21).
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Es wäre widersprüchlich, beim Familienflüchtlingsschutz für Eltern, die zu ihren Kindern ziehen (§ 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG), andere Maßstäbe anzulegen als im umgekehrten Fall, in dem die Kinder den Flüchtlingsschutz von den stammberechtigten Eltern (§ 26 Abs. 2 AsylVfG) ableiten. In beiden Fällen geht es um die Wahrung des im Fluchtstaat (neu) bestehenden Familien(teil)verbands (Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie) und die Integration der nahen Angehörigen eines Stammberechtigten (zu diesem gesetzgeberischen Ziel des Familienasyls: BT-Drs. 11/6960, S. 30). Beide Schutztatbestände unterscheiden sich nur hinsichtlich des Familienmitglieds, das zuerst Flüchtlingsschutz erhält, uns basieren auf derselben unionsrechtlichen Grundlage (Art. 23 Abs. 1 und 2 der insoweit gleichlautenden Richtlinien 2011/95/EU und 2004/83/EG). Die Definitionen der jeweils Berechtigten (Art. 2 Buchst. h 2. Anstrich Richtlinie 2004/83/EG bzw. Art. 2 Buchst. j 3. Anstrich Richtlinie 2011/95/EU) geben keinen Anlass zu einer unterschiedlichen Behandlung, weil sie beide den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit nicht festlegen. In der Begründung des Richtlinienumsetzungsgesetzes wird nicht erläutert, warum § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit nicht nennt. Dort wird lediglich mitgeteilt, dass § 26 Abs. 2 AsylVfG unverändert bleiben könne und in § 26 Abs. 3 Satz 1 der „Familienschutz erstmalig auf die Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter“ ausgedehnt werde (BR-Drs. 218/13, S. 30).
- 23
Noch weniger nachvollziehbar wäre es, minderjährige Stammberechtigte, zu denen ein Elternteil zuziehen will, schlechter zu stellen als solche, zu denen ein Geschwisterkind zuziehen will. Während im ersten Fall die Eltern nach der Auffassung der Beklagten Flüchtlingsschutz nur erhalten sollen, wenn das stammberechtigte Kind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch minderjährig ist, reicht es nach § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG im zweiten Fall aus, dass der Stammberechtigte bei Antragstellung des zuziehenden Geschwisterkindes (das ebenfalls minderjährig sein muss) noch minderjährig ist (hierzu VG Hamburg, Urt. v. 13.11.2013, 8 A 214/12, S. 14f.). Ein solches Ergebnis wäre auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil der Zuzug von (minderjährigen) Geschwistern zu minderjährigen Stammberechtigten nicht von der Richtlinie 2011/95/EU gefordert wird, der Zuzug von Eltern dagegen gemäß Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j) 3. Anstrich der Richtlinie von den Mitgliedstaaten ermöglicht werden muss. Wenn die Gesetzesbegründung für § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG darauf verweist, dass „[z]ur Aufrechterhaltung der Familieneinheit und im Interesse des Minderjährigenschutzes“ minderjährige ledige Geschwister in das Familienasyl einbezogen werden (BR-Drs. 218/13, S. 30) – und hierbei auf die Minderjährigkeit bei Antragstellung abgestellt wird –, muss dies auch für den Fall gelten, dass ein Elternteil zu einem minderjährigen Stammberechtigten zieht.
- 24
2.2.3 Nach dem hier vertretenen Verständnis von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG war der Kläger ein Elternteil eines minderjährigen ledigen Kindes, weil der Stammberechtigte bei der Asylantragstellung des Klägers am... Oktober 2010 noch minderjährig war. Dass der Stammberechtigte zwischenzeitlich – am ... Mai 2012 – volljährig geworden ist, ist rechtlich unerheblich.
- 25
2.3 Unschädlich für den Anspruch des Klägers ist, dass bei seiner Asylantragstellung am 12. Oktober 2010 die Anspruchsgrundlage des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG in der Fassung vom 1. Dezember 2013 noch nicht in Kraft war. Hinsichtlich der Rechtslage verbleibt es nämlich bei dem in § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AsylVfG formulierten Grundsatz, dass es auf den Entscheidungszeitpunkt ankommt. Soweit sich aus dem anzuwendenden Recht nicht etwas Anderes ergibt, ist es eine vom Gesetzgeber gewollte Folge von § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, dass ein ursprünglich begründeter Asylantrag wegen nachträglich veränderter Verhältnisse unbegründet werden kann oder umgekehrt, dass eine anfangs unbegründete Klage wegen Eintritts nachträglicher Ereignisse im maßgeblichen Zeitpunkt Erfolg hat (Marx, AsylVfG 7. Aufl. 2009, § 77 Rn. 7; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 90. EL, Februar 2011, § 77 AsylVfG, Rn. 3). Anders als beim maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit (siehe oben 2.2), ergibt sich aus dem materiellen Recht für das anzuwendende Recht kein von § 77 Abs. 1 AsylVfG abweichender Zeitpunkt. Wenn es der Gesetzgeber gewollt hätte, dass Familienflüchtlingsschutz nur dann gewährt werden soll, wenn die Voraussetzungen auch bei Inkrafttreten der Norm vorlagen, hätte er Übergangsvorschriften erlassen können. Hierauf hat er jedoch im Hinblick auf § 26 AsylVfG verzichtet (s. Art. 7 des Richtlinienumsetzungsgesetzes).
- 26
2.4 Auch die übrigen Voraussetzungen von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG liegen vor. Die Flüchtlingsanerkennung des Stammberechtigten vom ... September 2009 ist gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG seit dem... September 2009 unanfechtbar (Bl. 117 der Asylakte des Stammberechtigten). Sie ist nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG). Die Lage im Irak hat sich nicht grundsätzlich zum Besseren gewendet, so dass ein Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht in Betracht kommt. Anhaltspunkte dafür, dass der Stammberechtigte unrichtige Angaben im Verfahren gemacht hat, so dass eine Rücknahme nach § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in Betracht zu ziehen wäre, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Zwar hat das Einwohner-Zentralamt der Freien und Hansestadt Hamburg mit Schreiben vom ... November 2009 ein Widerrufsverfahren angeregt. Die Beklagte hat jedoch mit Schreiben vom ... Januar 2010 mitgeteilt, dass sie davon absieht (Bl. 123, 161 der Asylakte des Stammberechtigten). Die Familie bestand schon im Herkunftsland (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG). Der Stammberechtigte ist im Jahr 2009 mit seiner Tante ausgereist; bis dahin lebte er mit seiner Familie in Scheichan.
- 27
Die Antragstellung mit Schreiben vom ... Oktober 2010 erfolgte noch unverzüglich i.S.v. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG nach der Einreise am x. September 2010. Unverzüglich bedeutet – wie im Zivilrecht – „ohne schuldhaftes Zögern“ (Marx, AsylVfG, 7. Auflage 2009, §, 26, Rn. 46). Erforderlich ist nicht eine sofortige, aber eine alsbaldige Antragstellung. Dies setzt grundsätzlich eine Antragstellung binnen zweier Wochen voraus (siehe die Nachweise bei Bodenbender, GK-AsylVfG, 82. EL, Stand: Juni 2008, § 26 AsylVfG, Rn. 59). Wie lange das Zögern mit einer Antragstellung dauern darf, bevor es schuldhaft wird, hängt grundsätzlich von einer Würdigung der besonderen Verhältnisse im konkreten Fall ab. Insoweit muss u. a. auch die Möglichkeit gewährleistet sein, Rechtsrat einzuholen (VG Leipzig, Urt. v. 7.1.2004, A 6 K 30241/01, juris, Rn. 18). Nach diesem Maßstab erfolgte die Antragstellung noch unverzüglich. Es muss einem schwerkranken, aus einem fremden Kulturkreis kommenden älteren Mann, der bei der Bewältigung des Alltags auf Hilfe angewiesen ist, vor der Asylantragstellung zugestanden werden, sich zunächst im Zielland zu orientieren. Hierzu gehört es jedenfalls, sich eine Wohnung zu suchen, und die medizinische und pflegerische Versorgung zu organisieren. Da für ihn nicht ohne Weiteres klar sein konnte, welche Auswirkungen die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 36 AufenthG auf einen Asylantrag haben würde, war es vertretbar, zunächst eine anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Diese erfolgte am ... September 2010, mithin knapp drei Wochen nach der Einreise. Vor diesem Hintergrund hat der Kläger den Asylantrag noch unverzüglich gestellt.
- 28
Der Kläger hatte als Vater des bei Antragstellung minderjährigen Stammberechtigten mangels anderweitiger Anhaltspunkte die Personensorge inne (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG).
- 29
2.5 Für das Vorliegen von Ausschlussgründen nach §§ 26 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 AsylVfG ist nichts ersichtlich.
III.
- 30
Da die Klage bereits mit dem ersten Hilfsantrag Erfolg hat, braucht über die weiteren Hilfsanträge nicht entschieden zu werden.
IV.
- 31
Die Kostenentscheidung beruht auf § 83b AsylVfG, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn
- 1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist, - 2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, - 3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und - 4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn
- 1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist, - 2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, - 3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben, - 4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und - 5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.
(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.
(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.